114_117_kuecheneinricht_F_B_AL• Wohnen 09.08.2006 10:06 Uhr Seite 114 T E X T K AT H A R I N A S E I S E R Der Mittelpunkt der Welt Wie sieht die ideale Küche aus? Welche Geräte braucht sie – und welche nicht? Muss eine gute Küche teuer sein? EIN PLÄDOYER für die Küche zum Kochen E s mag auf den ersten Blick eine ange- nehme Freizeitbeschäftigung sein, einen Nachmittag lang aufwändig gemachte Prospekte, Broschüren oder gar Bücher von bekannten Küchenherstellern durchzusehen. Der Ärger folgt ohne Vorwarnung. Was kann an hochglänzenden Fronten in schönen Farben schlecht sein? Wer würde die riesigen, perfekt gestylten Küchen mit allerlei modernem Gerät nicht haben wollen? Ist es nur der Neid? Der Unmut ist begründbar: Eine Küche muss nämlich 1. nicht sehr groß sein, 2. mindestens 20 Jahre halten (und daher eine ganze Reihe von Moden überstehen), 3. Lust aufs Kochen machen, 4. praktisch sein und 5. keine Verkaufsausstellung eines Elektromarktes imitieren. Außerdem sieht zum Glück keine Küche so kahl und leergeräumt aus wie in den Prospekten – wie sollte man darin auch kochen können? Eine perfekt scheinende Fassade ersetzt niemals die sorgfältige Planung einer genau auf den eigenen Bedarf abgestimmten Küche. Zettel, Stift und Mitmenschen Wer eine neue Küche plant, steht schnell vor einer Auswahl an Markennamen, Stilrichtungen, Farben und Funktionen, die einen fast Küchenplanung braucht Zeit und gute Ideen 114 maxima September 2006 verzweifeln lässt. Am Anfang einer neuen Küche sollte man deshalb nicht den Weg zum Küchenhändler, sondern die paar Schritte in die bestehende Küche gehen. Mitzubringen: Zettel, Stifte und alle, die in der neuen Küche regelmäßig anwesend sein werden. Zuallererst notieren Sie, was Sie an der eigenen Küche mögen, gut finden oder gar für einmalig halten. Auf den nächsten Zettel kommen die Dinge, die Sie unbedingt ändern wollen: Was stört Sie an Ihrer Küche, was ärgert Sie? Auf den dritten Zettel schreiben Sie die Wünsche: Warum wollen Sie eine neue Küche? Wer wird in ihr kochen? Für wie viele Leute wird gekocht? Was kochen Sie? Wie oft? Wird in der Küche gegessen? Sind auch Haustiere zu versorgen? Große Küche – lange Wege Eine gute Küche funktioniert schon auf knapp zehn Quadratmetern (darunter wird’s nur mit sorgfältiger Planung gehen). Je größer, desto länger die Wege, die man bei der Arbeit zurücklegen muss – womöglich mit schweren, heißen Töpfen in den Händen. Jahrhundertelang war der Herd das Zentrum der Küche, und der stand in der Mitte. Die Schwerpunkte haben sich etwas verändert, weil viel „gekocht“ wird, ohne den Herd zu benötigen (Salate, kalte Speisen, Desserts), aber die Idee ist immer noch bestechend: Warum soll man beim Kochen gegen die Wand starren? Warum soll man an einer langen Zeile entlang oder über Eck viele Meter zurücklegen, wenn man auch einen zentralen Punkt installieren könnte, der zum einen Wege verkürzen hilft und zum anderen endlich wieder Kommunikation in der Küche ermöglicht? Es endet nicht umsonst jedes gute Fest in einer (guten) Küche. Die Kücheninsel – wiederentdeckt und optimiert vor rund 25 Jahren vom deutschen Gestalter Otl Aicher – klingt nach einer Modeerscheinung, hat sich aber längst über Stilgrenzen und Generationen hinweg etabliert. Ob man auf der Insel zubereitet oder den Herd installiert und an der Wand die Abwasch belässt, ist letztendlich nicht so wichtig und hängt auch von den Gegebenheiten in Ihrer Küche ab. Die Insel ist mit dem früheren Küchentisch durchaus vergleichbar, nur weiß man mittlerweile, dass eine Arbeitshöhe von 90, besser 95 Zentimetern wesentlich rückenschonender ist als ein Esstisch, an dem man stehend Arbeiten verrichten würde. Es spricht ja nichts dagegen, die Insel so zu gestalten, dass man an einer Seite – viel- 114_117_kuecheneinricht_F_B_AL• 09.08.2006 10:06 Uhr Seite 115 Wohnen Die 1988 auf den Markt gebrachte Küchenwerkbank von bulthaup funktioniert perfekt – und ist längst zum Designklassiker geworden leicht mit höhenverstellbaren Hockern – auch sitzen kann: Zum Frühstück, Rezeptstudium, Erzählen oder Zuschauen. Kochen ernährt nicht nur, sondern verbindet, entspannt und regt an – jeden Menschen, jeden Tag. Wer es sich räumlich erlauben kann, öffnet die Küche so weit wie möglich zum Wohnraum. Abgetrennte Kombüsen gehören auf Schiffe, in Wohnungen haben sie nichts verloren. Das Material der Wahl Den meisten von uns ist es vergönnt, eine, maximal zwei Küchen in einem Leben neu gestalten zu können – mehr ist schon die Ausnahme. Küchen halten 20 Jahre oder noch viel länger, wenn sie sorgfältig geplant und ausgeführt wurden. Kanten müssen sehr sauber gearbeitet werden, Laden und Auszüge leicht und leise gleiten, Oberflächen angenehm anzugreifen und leicht zu reinigen sein. Das alles kann man bei Küchenherstellern ausprobieren – und sollte das auch ausgiebig nützen. Wie in Profiküchen kommt Edelstahl immer mehr in Mode, der wirkt in Privatküchen aber „Wirklich, das Geheimniss der schönen Küche ist, alles wegzuwerfen, was nichts taugt“ Otl Aicher, deutscher Gestalter oft kühl und ist noch dazu sehr teuer. Außerdem wird keine Privatküche je so belastet werden wie eine Restaurantküche. Holz ist langlebig und sinnlich, gute Verarbeitung ein absolutes Muss. Laminate, Aluminium, Furniere, Lacke gibt es in unzähligen Strukturen und Farben. Gerade letztere sind bei modernen Küchen beliebt, aber: Mag man sich den knalligen Farbton wirklich Jahrzehnte ansehen? Und wer noch weiter denkt: Sind es nicht die Lebensmittel und Speisen, die Farbe in die Küche bringen? Was gebraucht wird, ist schön Dekoration hat in einer Küche grundsätzlich nichts zu suchen. Arbeitsgeräte, Messer, Geschirr und Lebensmittel sind schön anzusehen, wenn man ihnen anmerkt, dass sie verwendet werden. Wer an den einzelnen Bereichen (Abwasch, Vor- und Zubereiten, Ko- chen) der Küche in Griffweite all jene Dinge arrangiert, die dort gebraucht werden, muss keine unsinnigen Wege oder Verrenkungen machen und bekommt Lust auf das Ausprobieren neuer Rezepte. Alle Gerätschaften und Dinge, die nie gebraucht werden oder nicht einwandfrei funktionieren, gehören ausgemistet und weggeworfen oder zu einer karitativen Organisation gebracht. Otl Aicher sagt dazu: „Wirklich, das Geheimnis der schönen Küche ist, alles wegzuwerfen, was nichts taugt.“ Alle jene Dinge, die nur selten gebraucht werden, verschwinden hinter Türen oder in Schubladen. Alles, was man aber regelmäßig in der Hand hat, soll offen stehen, liegen oder hängen. Mit einer Reling und Fleischerhaken oder einem zusätzlichen Regal über Kopf lässt sich sogar eine bestehende Küche passabel verändern – wenn man den Punkt „Ausmisten“ nicht nur im Geiste durchführt. September 2006 maxima 115 114_117_kuecheneinricht_F_B_AL• Wohnen 09.08.2006 10:06 Uhr Seite 116 KÜCHEN INTERNETTIPP www.dynamicspace.com Hier ist ein Zonenplaner zu finden, mit dem man den Platz für Stauraum ermitteln kann. Gute Broschüre und Checkliste. www.einrichten.de/kuechenplanung ist ein gutes Werkzeug, um problemlos die ersten Vorstellungen von einer neuen Küche anschaulich zu machen. www.bulthaup.at Durchdachte, zeitlose und perfekt gemachte Küchen. Im September & Oktober Kochevent „Die innovative Küche“ bei vielen bulthaup-Partnern. www.team7.at Küchen aus Vollholz, in Österreich hergestellt. www.ewe.at Riesen-Auswahl an Modellen und Stilen, gute Ideen. www.ikea.at Küchenplaner, viele Ideen und Varianten. www.mac-hoffmann.com Von 12. bis 15. Oktober findet die 11. WohndesignMesse in der Wiener Hofburg statt. 116 maxima September 2006 Warum einfach, wenn’s kompliziert geht? Das scheint der Grundsatz in vielen Küchen zu sein. Dabei ist es wirklich keine große Affäre: Platz rund um die Arbeitsbereiche gut ausnützen, unter der Arbeitsfläche nur Schubladen oder offene Regale planen, damit man sich nicht zu weit bücken muss, Sockel weit nach hinten setzen oder ganz weglassen, damit man besser stehen (und putzen) kann, genug freie Arbeitsflächen rund um den Herd, Abwasch neben Kühlschrank und anderen Geräten einplanen. Für anständiges Licht sorgen, das bedeutet eine nicht zu grelle Allgemeinbeleuchtung und für jeden Arbeitsbereich punktuelle, blendfreie Lichtquellen. Messer regelmäßig schärfen und auf einer (auch in bestehenden Küchen schnell montierten) magnetischen Messerleiste aufbewahren. Küchenwerkzeug wie Kochlöffel und Schöpfer, Schneebesen, Zange, Pinsel etc. in einem Köcher (Blumentopf, Vase, Keramik, Messbecher – nur gut stehen muss der Behälter) zwischen Herd und Arbeitsfläche bereitstellen. Platz für Geschirrtücher und Topflappen einplanen (offen, nicht irgendwo hineinzuschieben). Und besonders wichtig: Genügend gut strukturierten Raum für Müll(trennung) vorsehen, die anfallenden Mengen werden gerne unterschätzt. Grundsätzlich gilt: Warum in einer Lade oder einem Kasten kramen, wenn man es auch mit einem Griff haben könnte? Der Griff ist auch bei Schränken, Laden und Armaturen wichtig. Denken Sie an buttrige oder mehlige Hände und daran, wie oft Sie den Ellenbogen einsetzen. Bei Abwascharmaturen sollte man auf jeden Fall solche wählen, die hoch aufragen, damit man große Töpfe gut füllen und reinigen kann, eine Brause ist zum Abwaschen von Gemüse und Geschirr ein Segen. Die Abwasch ist in gängigen Küchen meist viel zu klein, ein Backblech sollte Platz haben. Wer eine Insel plant, sollte eine zweite Wasserentnahmestelle einplanen – das spart Wege und Wischen. BULTHAUP, EWE, TEAM 7, IKEA In einer Küche, die Lust aufs Kochen macht, wird jeder Zentimeter Stauraum gut genützt, sind Arbeitsabläufe durchdacht und Materialien pflegeleicht. Küchenhersteller haben in den letzten Jahrzehnten so viele gute Ideen entwickelt, dass es schade wäre, bei einer neuen Küche darauf zu verzichten 114_117_kuecheneinricht_F_B_AL• 09.08.2006 10:06 Uhr Widerstand ist sinnvoll Welche Küchengeräte sind in Ihrer Küche wirklich in Verwendung? (Die anderen am besten gleich ausräumen und verschenken.) Ein guter Herd muss Hitze liefern, keinen Koch ersetzen. Wer viele Mehlspeisen macht, wird der Küchenmaschine einen Stammplatz auf der Arbeitsfläche sichern. Aber wer braucht einen Dampfgarer? Eine multifunktionelle Mikrowellen-Heißluft-Dampf-Kombination mit einer buchdicken Anleitung? Reichen nicht eine gute Kochmulde (ob Gas, Elektro oder Induktion ist eine Glaubensfrage, die mehr Platz zur Beantwortung bräuchte), ein leistungsfähiger, leiser Dunstabzug, ein modernes, energieeffizientes und einfach zu bedienendes Backrohr, ein guter Kühlschrank, ein leiser Geschirrspüler mit ein paar einfachen Programmen, damit ihn alle Familienmitglieder bedienen können, und ein Wasserkocher, ein Pürierstab und ein Mixer? Sind Eierkocher, Waffeleisen, Sandwichmaker, Brotschneidmaschine und andere Platzfresser notwendig? Schön wäre es, wenn die prakti- Seite 117 schen Kühlladen aus der Gastronomie auch in Privatküchen Einzug halten würden. Setzen Sie dem Werbedruck der Gerätehersteller also ruhig Widerstand entgegen. Aber auch jene Geräte, die Ihrer sorgfältigen Prüfung standhalten, werden letztendlich nur dann von Nutzen sein, wenn Sie sie regelmäßig verwenden. Frei von Klischees und Moden „Designer, die nicht kochen, sollte man erst gar nicht an Küchen heranlassen. Und offenbar kochen herzlich wenige“, hat Otl Aicher 1982 in seinem Buch Die Küche zum Kochen geschrieben. Daran hat sich nichts geändert. Wie eine Küche auszusehen hat, wissen nur die, die in ihr kochen werden. Üben Sie sich an einem Blick möglichst frei von Klischees, Moden und vermeintlich unveränderbaren Werten. Teuer muss eine gut geplante Küche zum Kochen auch nicht sein, nur eine zum Angeben. Viel Freude also bei der Küchenplanung – und nehmen Sie sich Zeit dafür. Die Küche ist schließlich der Mittelpunkt der Welt. KÜCHEN-RATGEBER DIE KÜCHE ZUM KOCHEN Otl Aicher Ökobuch Verlag 2005 Dieses schön illustrierte, nur 100 Seiten umfassende Büchlein ersetzt einen ganzen Haufen an Hochglanzbroschüren oder DesignBüchern. Wer eine neue Küche plant, sollte es unbedingt zuallererst lesen. DIE NEUE KÜCHE Terence Conran DVA 2003 Sehr gut gemachtes, schönes Buch für alle, die ernsthaft über eine neue Küche nachdenken. Informationen, Tipps und gute Beispiele von der Planung über die Grundbausteine bis zu Geräten und Zubehör. DIE KÜCHE ETH Wohnforum Edition Wohnen 1 Birkhäuser 2006 Wer sich für Geschichte und Funktionen der Küche bis ins 21. Jahrhundert interessiert, wird Freude an diesem fundierten Buch haben. Kein Ratgeber, aber viele Denk-Impulse. KÜCHEN PLANEN & EINRICHTEN Konsument extra VKI 2002 Schlichtes, aber sinnvolles Buch: Möbel, Geräte und Materialien werden unter die Lupe genommen. Checkliste und rechtliche Aspekte beim Küchenkauf. inserat 1/2 quer b=200 h=127,621 (x=-3, y=151) inserat 1/2 quer abfallend, b=230 h=144, (x=-3, y=151) September 2006 maxima 117