Zubin Mehta - Münchner Philharmoniker

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Zubin Mehta
Rudolf Buchbinder
Donnerstag, 28. Mai 2015, 20 Uhr
Freitag, 29. Mai 2015, 20 Uhr
Sonntag, 31. Mai 2015, 19 Uhr
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Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouver türe zu Victor Hugos Schauspiel „Ruy Blas“ op. 95
Johannes Brahms
Konzer t für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15
1. Maestoso | 2. Adagio | 3. Rondo: Allegro non troppo
P j o t r I l j i t s c h Ts c h a i k o w s k i j
Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74
„Symphonie pathétique“
1. Adagio – Allegro non troppo | 2. Allegro con grazia
3. Allegro molto vivace | 4. Finale: Adagio lamentoso
Zubin Mehta, Dirigent
Rudolf Buchbinder, Klavier
Donnerstag, 28. Mai 2015, 20 Uhr
7. Abonnementkonzer t a
Freitag, 29. Mai 2015, 20 Uhr
7. Abonnementkonzer t c
Sonntag, 31. Mai 2015, 19 Uhr
4. Abonnementkonzer t h5
Spielzeit 2014/2015
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
2
Felix Mendelssohn Bartholdy: „Ruy Blas“
Genialer Auftakt zu einem „infamen“ Stück
Nicole Restle
Felix Mendelssohn Bartholdy
Entstehung
(1809–1847)
Mendelssohns Ouvertüre entstand vom 5. bis
7. März 1839 innerhalb der kurzen Zeitspanne
von nur drei Tagen, und zwar für eine Aufführung von Victor Hugos Versdrama „Ruy Blas“
am Leipziger Theater (Übersetzung: Carl Dräxler), deren Reinerlös dem Leipziger „TheaterPensionsfonds“ zugute kommen sollte. Victor
Hugo (1802-1885) hatte sein um 1695 in Madrid
spielendes politisches Intrigenstück zur Einweihung des Pariser „Théâtre de la Renaissance“
geschrieben, an dem es am 8. November 1838
mit großem Erfolg uraufgeführt worden war.
Für die Leipziger Aufführung komponierte Mendelssohn außer der Ouvertüre noch eine Romanze für zweistimmigen Frauenchor und Orchester
(op. 77 Nr. 3).
Ouvertüre zu Victor Hugos Schauspiel „Ruy Blas“
op. 95
Uraufführung
Lebensdaten des Komponisten
Geboren am 3. Februar 1809 in Hamburg; gestorben am 4. November 1847 in Leipzig.
Am 11. März 1839 in Leipzig im Rahmen einer
Aufführung von Victor Hugos Drama „Ruy Blas“
im Leipziger Stadttheater zugunsten des Leipziger „Theater-Pensionsfonds“ (Dirigent: Felix
Mendelssohn Bartholdy). Im Konzertsaal erklang
die Ouvertüre erstmals am 21. März 1839 während eines Abonnementskonzerts des Leipziger
Gewandhausorchesters (Dirigent: Felix Mendels­
sohn Bartholdy); auf dem Programmzettel wurde sie bei dieser Gelegenheit allerdings nur
noch als „Ouvertüre c-Moll“ angekündigt.
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Theodor Hildebrandt: Felix Mendelssohn Bartholdy (um 1835)
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Felix Mendelssohn Bartholdy: „Ruy Blas“
Gesellschaftsintrige mit
politischem Hintergrund
Kein Zweifel, Victor Hugos Drama „Ruy Blas“
zählte nicht zu jenen Bühnenwerken, die Mendelssohn goutierte. Im Gegenteil. Seine Briefe
bezeugen eindeutig, was er von dem Stück hielt,
nämlich nichts. „Infam“, „ganz abscheulich“
und „unter jeder Würde“ nannte er es in einem
Schreiben an seine Mutter. Der Komponist konnte dem Intrigenstück, das in Spanien gegen Ende des 17. Jahrhunderts spielt und eine gehörige Portion Gesellschaftskritik enthält, keinerlei positiven Aspekt abgewinnen.
Im Mittelpunkt der verwickelten, dabei höchst
spannenden Handlung steht Ruy Blas, ein intelligenter und feinsinniger Mensch, der sich bei
einem spanischen Adeligen verdingt. Dieser
wurde wegen moralischen Fehlverhaltens von
der spanischen Königin vom Hofe verbannt und
will sich nun an ihr rächen. Wohl wissend, dass
Ruy Blas heimlich in die Monarchin verliebt ist,
führt er ihn als angeblichen Verwandten in die
Hofgesellschaft ein, lässt ihn das Vertrauen
der Königin gewinnen und ihn bis zum Minister
aufsteigen, um dann – auf dem Höhepunkt des
Dramas – seinen nun tatsächlich „infamen“ Racheplan zu verwirklichen: Während eines von
ihm arrangierten nächtlichen Rendezvous soll
die wahre Identität seines Dieners preisgegeben
und die Königin bloßgestellt werden. Als Ruy
Blas erkennt, welch gemeine Intrige sein Herr
hier eingefädelt hat, tötet er ihn. So kann er
zwar den Ruf der angebeteten Königin retten,
doch diese – die komplizierten Zusammenhän-
ge noch nicht realisierend – wendet sich von
ihm ab. Als sie ihm schließlich verzeihen will,
ist es zu spät: Ruy Blas hat sich vergiftet und
stirbt in ihren Armen.
Bei der Komponistenehre gepackt
Victor Hugos Drama, das in Paris große Erfolge
erzielte und sich auch in Deutschland einiger
Beliebtheit erfreute, war durchaus ein Sujet,
das Komponisten inspirieren konnte. Davon
zeugen eine Reihe von Bühnenmusiken, Opern
und parodistischen Operetten, die im 19. Jahrhundert entstanden, heute jedoch in Vergessen­
heit geraten sind. Der Beweggrund für Felix
Mendelssohn Bartholdy, sich mit dem Stoff
auseinanderzusetzen, war jedoch ein vollkommen anderer: Der Leipziger Theater-Pensionsfonds wollte das Stück aufführen und bat Mendelssohn, dazu eine Ouvertüre und eine Romanze beizusteuern – „weil man sich eine bessere
Einnahme versprach, wenn mein Name auf dem
Titel stände“, heißt es in einem Brief.
Mendelssohn – an der Sache wenig interessiert
– meinte, er könne aus Zeitgründen nur die Romanze, nicht aber die Ouvertüre liefern. Die
Organisatoren bedauerten dies zutiefst, sahen
aber ein, dass solch ein Werk eben Zeit brauche. „Das wurmte mich“, gestand Mendelssohn. Er fühlte sich bei seiner Komponistenehre gepackt und lieferte in nur drei Tagen das
gewünschte Stück. Seiner Mutter gegenüber
erwähnte er, die Arbeit an der Ouvertüre hätte
ihm schlussendlich „unsäglichen Spaß“ gemacht.
Felix Mendelssohn Bartholdy: „Ruy Blas“
Der Beginn der „Ruy Blas“-Ouvertüre in der Handschrift des Komponisten (1839)
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Felix Mendelssohn Bartholdy: „Ruy Blas“
Ohne inhaltlichen Bezug ?
Die Ouvertüre zu „Ruy Blas“ steht ein wenig
im Schatten von vier anderen Orchesterwerken,
die Mendelssohn zwischen 1826 und 1835 komponierte: „Ein Sommernachtstraum“, „Meeresstille und glückliche Fahrt“, „Die Hebriden“ und
„Das Märchen von der schönen Melusine“. Obgleich als „Ouvertüren“ bezeichnet, erfüllten
sie nicht mehr die klassische Funktion, ein Bühnenwerk zu eröffnen, vielmehr waren sie vollkommen eigenständige, nur für die Aufführung
im Konzertsaal bestimmte Musikstücke. Mendelssohn hatte mit ihnen das neue musikalische
Genre der „Konzertouvertüre“ begründet, das
einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur
„Symphonischen Dichtung“ bildete. Bei „Ruy
Blas“ hingegen handelte es sich wieder um eine
„zweckgebundene“ Ouvertüre. Gleichwohl wird
in der Forschungsliteratur immer wieder darauf
hingewiesen, dass sich keine inhaltlichen Bezüge zwischen Hugos Drama und Mendelssohns
Musik erkennen ließen.
Das Stück, das wie die vier anderen Ouvertüren der Form des Sonatenhauptsatzes entspricht,
beginnt mit einer Eröffnungssektion, in der sich
langsame, feierliche Bläserakkorde mit einem
lebhaften, spannungsgeladen Motiv der Streicher abwechseln. Sowohl von den Akkorden, die
im weiteren Verlauf als formale Gliederungspunkte immer wieder aufgegriffen werden, als
auch vom Streichermotiv leitet Mendelsohn die
folgenden Themen und Figuren ab. Drei musikalische Gedanken sind vorherrschend: das sich
windende und mit vielen Halbtönen ausgestattete Hauptthema, eine sanfte, elegische Kantilene der Klarinetten und Fagotte sowie eine
triumphierende, aus Dreiklangsbrechungen
bestehende Fanfare, die am Ende die Oberhand
gewinnt. Diese Tatsache wie auch der harmonische Verlauf der Ouvertüre vom düsteren
c-Moll zum strahlenden C-Dur muss nicht zwingend, aber könnte durchaus auch inhaltlich gedeutet werden: nämlich als moralischer Sieg
des Titelhelden über die gemeine Intrige.
Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll
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Metamorphosen einer „verunglückten Symphonie“
Wolfgang Stähr
Johannes Brahms
Lebensdaten des Komponisten
(1833 –1897)
Geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg; gestorben
am 3. April 1897 in Wien.
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll
op. 15
1. Maestoso
2. Adagio
3. Rondo: Allegro non troppo
Entstehung
1854 hatte Brahms versucht, den 1. Satz einer
d-Moll-Sonate für zwei Klaviere in den Kopfsatz
einer Symphonie umzuarbeiten und war mit dieser Unternehmung gescheitert. Gleichwohl entstand auf diesem (Um-)Weg Brahms’ erstes Orchesterwerk: Im Traum hatte er 1855 die Idee,
die „verunglückte Symphonie“ zu einem Klavierkonzert umzuarbeiten, und tatsächlich entstand
bis zum Herbst 1856 der 1. Satz eines „Concerts
für das Pianoforte mit Begleitung des Orchesters“, der allerdings bis 1859 mehrmals überarbeitet wurde. Das Adagio komponierte Brahms
im Winter 1856/57; der Erstfassung des RondoFinales, die er Mitte Dezember 1856 an Joseph
Joachim schickte, ließ er Ende April 1857 eine
zweite, verbesserte Version folgen.
Uraufführung
Am 22. Januar 1859 in Hannover im Saal des
Königlichen Hoftheaters (Königliche Hofkapelle
Hannover unter Leitung von Joseph Joachim;
Solist: Johannes Brahms).
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Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll
Komponieren nach Beethoven
„Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu
machen ?“ Dieser berühmte Stoßseufzer des
jungen Schubert zieht sich wie ein Leitmotiv
durch die Kompositionsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Namentlich die Symphonie, das Streichquartett und die Klaviersonate schienen mit
Beethovens Schaffen einen historischen Endpunkt erreicht zu haben, jenseits dessen an eine
schöpferisch originelle und eigenständige Fortsetzung kaum noch zu denken war.
Wie kein zweiter setzte sich Robert Schumann
– als Komponist wie als Chefredakteur seiner
„Neuen Zeitschrift für Musik“ – mit Beethoven
auseinander, den er geradezu als Maß aller Dinge für das zeitgenössische Komponieren begriff.
„Und hätte denn Beethoven so umsonst gelebt ?“
fragte er mit unverhohlenem Vorwurf gegen
seine Kollegen, die er oft als konventionell und
risikoscheu kritisierte: „Wer lesen kann“, so
forderte Schumann, „der hält sich nicht mehr
bei dem Buchstabieren auf; wer Shakespeare
versteht, ist über den Robinson hinüber; kurz,
der Sonatenstil von 1790 ist nicht der von 1840:
die Ansprüche an Form und Inhalt sind überall
gestiegen.“
Instrumente werden zu Menschenstimmen
Auf dem Gebiet der Symphonik sah es aus Schumanns Sicht keineswegs besser aus: „Die neueren Symphonien verflachen sich zum größten
Teil in den Ouvertürenstil hinein, die ersten
Sätze namentlich; die langsamen sind nur da,
weil sie nicht fehlen dürfen; die Scherzos haben
nur den Namen davon; die letzten Sätze wissen
nicht mehr, was die vorigen enthalten.“ An
Beethoven, das unerreichte Vorbild, erinnerten
diese Werke aus jüngster Zeit allenfalls in „Anklängen“, nicht aber in der „Beherrschung der
großartigen Form, wo Schlag auf Schlag die
Ideen wechselnd erscheinen und doch durch
ein inneres geistiges Band verkettet“. Natürlich
verhielt sich Schumann nicht nur streng gegen
andere, sondern auch misstrauisch gegen sein
eigenes „symphonisches Talent“.
Dass es – nach mehreren vergeblichen Anläufen
in den 1820er Jahren und dem ernüchternden
Misserfolg seiner frühen g-Moll-Symphonie –
1841 dennoch zu dem überaus ertragreichen
„symphonischen Jahr“ kam, dafür lässt sich
neben anderen Gründen vor allem ein günstiger
Umstand anführen: Schumann hatte am Neujahrstag 1839 in Wien bei dem Schubert-Bruder
Ferdinand die „große“ C-Dur-Symphonie D 944
entdeckt, die auf seine Initiative hin bereits am
21. März in Leipzig von Mendelssohn dirigiert
wurde. Diese Komposition erbrachte den beflügelnden Beweis, dass es auch nach und trotz
Beethoven eine Symphonik eigenen Rechts geben konnte. „Clara, heute war ich selig. In der
Probe wurde eine Symphonie von Franz Schubert
gespielt“, schrieb Schumann am 11. Dezember
1839, als Mendelssohn das Werk zum zweiten
Mal einstudierte, an seine Braut. „Wärst Du da
gewesen ! Die ist Dir nicht zu beschreiben; das
sind Menschenstimmen, alle Instrumente, und
geistreich über die Maßen, und diese Instrumentation trotz Beethoven – auch diese Länge,
diese himmlische Länge, wie ein Roman in vier
Bänden, länger als die 9te Symphonie. Ich war
ganz glücklich, und wünschte nichts, als Du
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Jean-Joseph-Bonaventure Laurens: Johannes Brahms (um 1855)
10
Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll
wärest meine Frau, und ich könnte auch solche
Symphonien schreiben.“
Von der Klaviersonate zur
Symphonie...
Als am 4. November 1876, fast ein halbes Jahrhundert nach Beethovens Tod, in Karlsruhe die
1. Symphonie von Johannes Brahms uraufgeführt wurde, war dies nicht nur ein denkwürdiges Ereignis für die Musikgeschichte, sondern
zunächst einmal für den Komponisten selbst,
der mehr als zwanzig Jahre um die Eroberung
und Aneignung dieser durch Beethoven auf eine
wahrlich einschüchternde Höhe gelangten Gattung gerungen hatte. „Ich werde nie eine Symphonie komponieren !“, hatte sich Brahms noch mutund hoffnungslos gegenüber dem Dirigenten
Hermann Levi geäußert: „Du hast keinen Begriff
davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn
er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.“ Die Ursprünge der c-Moll-Symphonie
op. 68 reichen zurück bis in das Jahr 1862; doch
schon 1854 hatte Brahms versucht, den 1. Satz
einer d-Moll-Sonate für zwei Klaviere in den
Kopfsatz einer Symphonie umzuarbeiten.
Am 3. März 1854, einen Tag, bevor Robert Schumann in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz eingeliefert wurde, kam der 20-jährige Brahms in das
Haus der Schumanns nach Düsseldorf. Er komponierte hier die drei ersten Sätze einer d-MollSonate für zwei Klaviere – „unter dem Eindruck
der Katastrophe Schumanns“, wie Max Kalbeck,
Brahms’ Freund und Biograph, berichtet. Der
Komponist Albert Dietrich, der das Stück gemeinsam mit Clara Schumann spielte, erkannte später im Trauermarsch des „Deutschen Requiems“
(„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“) das „langsame Scherzo“ jener verschollenen Sonate
wieder.
...und von der Symphonie zum
Klavierkonzert
Im Sommer 1854 versuchte Brahms, den Kopfsatz der d-Moll-Sonate für Orchester zu bearbeiten und damit den Anfang einer Symphonie
zu wagen, doch scheiterte er an Problemen der
Form und vor allem der Instrumentation. 1855 erzählte er Clara Schumann: „Denken Sie, was ich
die Nacht träumte. Ich hätte meine verunglückte Symphonie zu einem Klavierkonzert benutzt
und spielte dieses. Vom ersten Satz und Scherzo und einem Finale, furchtbar schwer und groß.
Ich war ganz begeistert.“ Nach den Durchgangsstadien der Sonate und der Symphonie
entstand so bis zum Herbst 1856 tatsächlich
der 1. Satz des d-Moll-Klavierkonzerts, der allerdings in Gedankenaustausch und Korrespondenz
mit Clara Schumann und Joseph Joachim bis
ins Jahr 1859 hinein schier endlos überarbeitet
und revidiert wurde.
Die abermalige, von schwersten künstlerischen
Skrupeln belastete Umgestaltung des Einleitungssatzes, diesmal für Klavier und Orchester,
brachte den jungen Komponisten an den Rand
der Verzweiflung: Ende 1857 hielt er ihn für
„durch und durch verpfuscht“ und „vom Stempel des Dilettantismus“ gezeichnet. Im Falle
des langsamen Mittelsatzes und des RondoFinales seines Opus 15 entschied er sich wohlweislich für den Weg der Neukomposition. Am
30. Dezember 1856 ließ er Clara Schumann
wissen: „Ich schreibe dieser Tage den ersten
Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll
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Friedrich Schauer (nach einem Relief von Ernst Rietschel): Robert und Clara Schumann (um 1850)
Satz des Konzerts ins Reine, erwarte den letzten Satz begierig von J“, d. h. von Joseph Joachim, dem das Manuskript zur Prüfung vorlag.
„Auch male ich an einem sanften Portrait von
Dir, das denn Adagio werden soll.“
Katastrophischer Beginn
Das hochambitionierte symphonische Vorhaben
des Jahres 1854 prägt den großformatigen Kopf-
satz des d-Moll-Konzerts auch in seiner endgültigen Fassung. Und dessen „Maestoso“-Beginn
lässt überdeutlich erkennen, dass Brahms die
Urversion dieses Satzes in der besagten d-MollSonate unter dem überwältigenden Eindruck
der 9. Symphonie Ludwig van Beethovens konzipiert hatte. Robert Schumann gab ihm damals
den Rat, „die Anfänge der Beethoven’schen
Symphonien“ zu beachten und „etwas Ähnliches zu machen“. Der Anfang von Beethovens
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Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll
d-Moll-Symphonie – ein leerer Quintklang, niederzuckende Quart- und Quintmotive, aus denen
nach und nach das Hauptthema mit seinen typischen Merkmalen des heroischen und pathetischen Stils entsteht – sollte sich in der Tat als
schulbildendes Modell für kommende Komponistengenerationen bewähren, man denke an
Bruckner !
Doch Brahms hielt sich nicht an diese Einleitungstakte, er orientierte sich vielmehr an deren Wiederkehr, den Eintritt der Reprise, der
bei Beethoven den dramatischen und emotionalen Höhepunkt des 1. Satzes markiert. Dieser
atemberaubende Moment, ein gewaltiger Ausbruch, der mit Begriffen wie „Katastrophe“,
„Vernichtung“ oder „Zerschmetterung“ charakterisiert worden ist, setzt sich, nüchtern betrachtet, aus einem Orchestertutti im Fortissimo,
einem orgelpunktartigen „Donnergrollen“ in den
Pauken und kurzen, abgerissenen Motiven zusammen, die schließlich imitatorisch verarbeitet werden. Jede dieser Komponenten von
Beethovens „Neunter“ findet sich in Brahms’
frühem d-Moll-Konzert wieder.
Vom Verlust der Unschuld
Lang und beschwerlich blieb der Weg des jungen Beethoven-Adepten zu seiner ersten offiziellen und dann auch so und nicht anders bezeichneten „Symphonie“. Die ganze Problematik seines Komponierens „nach Beethoven“ wird einem
schlagartig bewusst, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Mozart ein Werk wie die „Linzer
Symphonie“ KV 425 binnen weniger Tage schrieb,
während 14 Jahre ins Land gehen mussten, ehe
Brahms seine „Erste“ zu einem Ende brachte.
Über den musikhistorischen Rang der genannten Kompositionen sagt die Entstehungsfrist
natürlich nicht das Geringste aus, denn Mozarts
„über hals und kopf“ entstandene C-Dur-Symphonie braucht keinen Vergleich mit späteren
Gattungsbeiträgen zu scheuen.
Trotzdem lässt sich nicht verkennen, dass mit
Beethoven, der ja selbst die relativ geringe
Zahl von „nur“ neun Symphonien, fünf Klavierkonzerten und einem Violinkonzert hinterlassen
hat, ein Bruch in der „zählbaren“ Produktivität
der Komponisten einsetzt, eine Art Verlust der
Unschuld, der Unbefangenheit. Mit jeder seiner
Symphonien hatte Beethoven das Problem der
Form und der Gattung einer ungewöhnlichen
und einzigartigen, von ihm kein zweites Mal
gewählten Lösung zugeführt – und schließlich
sogar die Grenzen der Instrumentalmusik gesprengt. Wer nach ihm Symphonien oder Sonaten komponierte, musste sich höchsten Maßstäben stellen und überdies einem schier erdrückenden Anspruch an Originalität gerecht
werden. Darin besteht der epochale Unterschied
zur Situation Mozarts, der nicht mit jeder Symphonie, die er bedarfsgerecht für eine kurzfristig
anberaumte Akademie fertigstellte, gewissermaßen das Rad neu erfinden musste. Und noch
etwas sei nicht vergessen: Im 19. Jahrhundert
erhöhte sich mit der zunehmend musealen Ausrichtung des Musiklebens an den Meisterwerken
der Vergangenheit auch der Traditionsdruck,
der auf den zeitgenössischen Komponisten lastete. Brahms hielt ihm stand, obwohl und weil
er ihn erkannte und bejahte.
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
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Psychogramm als symphonische Idee
Regina Back
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij
Entstehung
(1840–1893)
Am 4. Februar 1893 begann der Komponist während einer Reise nach Odessa (Ukraine) eine Symphonie in h-Moll zu skizzieren, der er zunächst
den Titel „Programm-Symphonie“ geben wollte,
ohne Details des „Programms“ je zu verraten;
am 24. März hatte Tschaikowskij die Particellskizze in seinem Haus in Klin bei Moskau beendet,
am 12. August 1893 war die Instrumentation fertig­
gestellt; der Drucktitel „Symphonie pathétique“
geht auf einen Einfall von Modest Tschaikowskij,
den Bruder des Komponisten zurück, dessen ersten
Vorschlag „Symphonie tragique“ Tschaikowskij
abgelehnt hatte.
Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74
„Symphonie pathétique“
1. Adagio – Allegro non troppo
2. Allegro con grazia
3. Allegro molto vivace
4. Finale: Adagio lamentoso
Widmung
„A Monsieur Wladimir Davidoff“ (auf dem Manu­
skript); Wladimir Lwowitsch Davidow (1871–1906),
genannt „Bobyk“, war der Neffe des Komponisten
und in seinen letzten Lebensjahren neben Tschaikowskijs Bruder Modest sein engster Vertrauter.
Uraufführung
Lebensdaten des Komponisten
Geboren am 25. April (7. Mai) 1840 in Wotkinsk
(Wjatka / Ural); gestorben am 25. Oktober (6. November) 1893 in St. Petersburg.
Nach einer Voraufführung durch die Orchesterklasse des Moskauer Konservatoriums unter
Leitung seines Direktors Wassilij Iljitsch Safonow erfolgte die erste öffentliche Aufführung
am 16. (28.) Oktober 1893 in St. Petersburg
(Orchester der „Russischen Musikgesellschaft“
unter Leitung von Pjotr Iljitsch Tschaikowskij).
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Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
„Wie eine Botschaft aus dem
Reich der Toten“
Im Mai 1893, wenige Monate vor der Uraufführung seiner 6. Symphonie, reiste Pjotr Iljitsch
Tschaikowskij anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Cambridge
nach England. Der Dirigent Walter Damrosch
berichtete in seinen Memoiren, die 1923 erschienen, von den Feierlichkeiten: „Am Abend wurde
im Speisesaal des College ein großes Bankett
gegeben, und durch einen glücklichen Zufall wurde ich neben Tschaikowskij platziert. Er erzählte
mir bei Tisch, dass er soeben eine neue Symphonie vollendet habe, die sich ihrer Form nach von
allen, die er je geschrieben habe, unterscheide.
Ich fragte ihn, worin denn dieser Unterschied
bestehe, und er antwortete: ,Der letzte Satz ist
ein Adagio, und das gesamte Werk hat ein Programm.‘ ,Erzählen Sie mir doch das Programm‘,
drang ich in ihn. ,Nein‘, sagte er, ,das werde ich
niemals erzählen. Aber ich werde Ihnen die erste Partitur und die Orchesterstimmen schicken,
sobald Jürgenson, mein Verleger, sie fertig­
gestellt hat.‘ Wir trennten uns in der Erwartung,
uns schon im kommenden Winter in Amerika
wiederzusehen. Doch, ach, im Oktober traf das
Kabel ein, das seinen Tod durch Cholera verkündete, und nur wenige Tage darauf kam ein Paket
aus Moskau an, das die Partitur und die Orchesterstimmen seiner Symphonie Nr. 6, der ,Pathétique‘, enthielt. Es war wie eine Botschaft aus
dem Reich der Toten.“
Die Rezeptionsgeschichte von Tschaikowskijs
6. Symphonie ist denn auch von Anfang an mit
dem Tod des Komponisten verknüpft gewesen,
da nur wenige Tage zwischen der Uraufführung
des Werks und dem überraschenden Ableben
Tschaikowskijs lagen. Doch nicht nur die äußeren Umstände legen eine solche Interpretation
nahe, auch die innere Dimension und der musikalische Charakter der Symphonie bringen eine
gewisse Todesnähe und Todessehnsucht zum
Ausdruck, die für sich selbst sprechen.
„Meine beste Komposition“
Dass Tschaikowskij schon seit vielen Jahren immer wieder unter großen Selbstzweifeln und
Depressionen gelitten hatte und ihn der Gedanke an das Ende seiner Tage zeitweise nicht mehr
schrecken konnte, geht aus zahlreichen Briefen
an Freunde hervor. So schrieb er am 30. Januar
1890 an den mit ihm befreundeten und hoch­
bedeutenden Komponisten Aleksandr Glasunow:
„Ich befinde mich in einem sehr rätselhaften
Stadium auf dem Wege zum Grabe. Es geht etwas Merkwürdiges, Unbegreifliches in mir vor.
Etwas wie Lebensüberdruss hat mich ergriffen;
ich fühle zeitweise wahnsinnigen Kummer, aber
nicht jenen Kummer, in welchem ein neuer Aufschwung der Liebe zum Leben keimt, sondern
etwas Hoffnungsloses, Finales und – wie immer
in einem Finale – auch etwas Banales; zugleich
aber eine furchtbare Lust zum Schreiben. Einerseits merke ich, dass mein Lied ausgesungen ist,
andererseits drängt es mich unüberwindlich,
dasselbe Leben fortzusetzen oder ein neues Lied
zu beginnen.“
Aus einer ähnlich widersprüchlichen Motivation
heraus entstand drei Jahre später die 6. Symphonie, wie Tschaikowskij in einem Brief vom
11. (23.) Februar 1893 seinem Neffen Wladimir
Dawidow berichtete, der später auch zum Wid-
15
Eine der letzten Photographien des Komponisten, aufgenommen im Frühjahr 1893 in Charkow (Ukraine)
16
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
mungsträger des Werkes wurde: „Während der
Reise kam mir die Idee zu einer neuen Symphonie, diesmal einer programmatischen, allerdings
mit einem solchen Programm, dass es für alle
ein Rätsel bleiben wird – mögen sie raten. Die
Symphonie wird schlicht ,Programm-Symphonie‘
(Nr. 6) heißen. Das Programm ist durch und durch
subjektiv, und nicht selten habe ich während
meiner Wanderungen, als ich sie in Gedanken
komponierte, bitterlich geweint. Jetzt nach der
Rückkehr habe ich mit den Skizzen begonnen.
Die Arbeit geht so feurig, so schnell voran, dass
der erste Satz in weniger als vier Tagen ganz fertig war und die übrigen Sätze in meinem Kopf
schon klar ausgeprägt sind. Die Hälfte des dritten Satzes ist auch schon fertig. Der Form nach
wird diese Symphonie viel Neues bieten, unter
anderem wird das Finale kein lärmendes Allegro,
sondern im Gegenteil ein sehr lang gedehntes
Adagio sein. Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Dankbarkeit ich empfinde, seit ich mich
überzeugt habe, dass meine Zeit noch nicht abgelaufen ist und ich noch arbeiten kann.“
Der Elan des Beginns ließ indessen bald nach,
und am 20. Juli (1. August) 1893 heißt es an
Tschaikowskijs Bruder Modest: „Je weiter ich
mit der Instrumentierung komme, desto mehr
Schwierigkeiten habe ich mit ihr. Vor zwanzig
Jahren habe ich das mit höchster Geschwindigkeit hinter mich gebracht, ohne irgendetwas dabei zu denken, und es kam gut heraus. Nun bin
ich ängstlich geworden, mir meiner Sache nicht
mehr sicher. Heute saß ich den ganzen Tag über
(nur) zwei Seiten; nichts kommt tatsächlich so
heraus, wie ich es gern hätte. Doch natürlich
macht die Arbeit Fortschritte.“ Nur wenige Wochen später hatte Tschaikowskij das Werk voll-
endet, und mit dem Kompositionsabschluss war
in ihm auch die künstlerische Überzeugung gereift, etwas besonders Gutes geschaffen zu haben; folglich schrieb er im August 1893 an seinen
Bruder Anatol: „Ich bin sehr stolz auf diese Symphonie und glaube, es ist meine beste Komposition.“
Ein Requiem ?
Von besonderem Interesse ist freilich der Briefwechsel, den Tschaikowskij während der Komposition an seiner 6. (und letzten) Symphonie mit
dem Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch
führte, weil er ein besonderes Licht auf den Charakter des Werks wirft. Der Großfürst hatte bei
Tschaikowskij angefragt, ob er nicht die Bühnenmusik zu Alexej Apuchtins Schauspiel „Requiem“
schreiben wolle. Tschaikowskij lehnte den Auftrag in einem Brief vom 21. September 1893 mit
der Begründung ab: „Mich verwirrt ein wenig
der Umstand, dass meine letzte Symphonie, die
soeben fertig geworden ist, besonders das Finale, von einer Stimmung durchdrungen ist, die
derjenigen eines Requiems sehr nahe kommt.“
Bis heute ist immer wieder die Frage nach Tschaikowskijs plötzlichem Tod nur einen Monat später
und in direkter Folge der Uraufführung seiner Symphonie laut geworden. Modest Tschaikowskij hatte bereits wenige Tage nach dem Ableben seines
Bruders die Nachricht verbreitet, dieser sei an
Cholera verstorben. Doch erst in den letzten Jahren haben sich die Hinweise vermehrt, dass es
sich dabei um ein Ablenkungsmanöver gehandelt
habe, das die wahren Gründe verschleiern und
vor allem den Ruf der Familie schützen sollte:
1981 konnte die russische Musikwissenschaft-
17
Nikolaj Kusnezow: Pjotr Iljitsch Tschaikowskij im Jahr seines Todes (1893)
18
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
lerin Alexandra Orlowa dokumentieren, dass ein
„Femegericht“ Tschaikowskij aufgrund seiner homosexuellen Neigungen zum Selbstmord verurteilt
hatte. Daraufhin habe Tschaikowskij seinem Leben mit Gift ein Ende gesetzt. Das Bekanntwerden der (damals ehrenrührigen) Vorwürfe hätte
ohne Zweifel den Ruf und das künstlerische Ansehen des Komponisten ruiniert.
Glanzvolle Karriere
Seit der Premiere des b-Moll-Klavierkonzerts im
Oktober 1875 war Tschaikowskij im In- und Ausland rasch bekannt geworden. Nicht zuletzt seine
Orientierung an westeuropäischen Vorbildern, die
im Hinblick auf das kompositorische Handwerk
für ihn wegweisend geworden waren, hatte wesentlich dazu beigetragen. Damit grenzte sich
der Komponist deutlich von seinen Kollegen ab,
denn im Gegensatz zu den Mitgliedern des sogenannten „Mächtigen Häufleins“ – Milij Balakirew, Cesar Cui, Modest Mussorgskij, Alexander Borodin und Nikolaj Rimskij-Korsakow –, die
eine akademische Musiklehre ablehnten und sich
stärker an russischen Vorbildern orientierten,
vertrat Tschaikowskij die Ansicht, dass eine fundierte akademische Ausbildung und die Kenntnis
der Musikgeschichte grundlegende Voraussetzungen für einen guten Komponisten bilden.
Seine musikalische Ausbildung verfolgte Tschaikowskij infolgedessen mit großer Konsequenz:
Ursprünglich hatte er auf Wunsch seines Vaters
Jura studiert und 1859 eine Stelle als Verwaltungssekretär im Justizministerium von St. Petersburg angetreten. Als Anton Rubinstein 1862
in derselben Stadt das erste russische Konservatorium gründete, entschied sich Tschaikows-
kij endgültig für die musikalische Laufbahn und
schrieb sich in die Kompositionsklasse ein. Auf
Empfehlung Rubinsteins wurde Tschaikowskij,
der sein Studium gerade beendet hatte, 1866
sogleich als Professor für Harmonielehre nach
Moskau berufen, wo Rubinsteins Bruder Nikolaj
ebenfalls ein Konservatorium ins Leben gerufen
hatte. Seine ersten unter Opuszahlen verzeichneten Werke – nahezu ausschließlich kleinere
Stücke für Klavier – entstanden in dieser Zeit.
Opern wie „Eugen Onegin“ oder „Pique Dame“,
die Ouvertüre „Romeo und Julia“, das Ballett
„Der Nussknacker“, das Streichsextett „Souvenirs de Florence“ und die Reihe der sechs Symphonien begründeten schon zu Lebzeiten des
Komponisten Tschaikowskijs internationalen
Ruhm, und zahlreiche Reisen führten ihn in der
Folge in die USA, nach Frankreich, Italien und
Deutschland.
„Bravo, pathétique !“
Nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch
die Universität Cambridge war Tschaikowskij im
Juni 1893 wieder nach Russland zurückgekehrt,
um die Vorbereitungen zur Uraufführung seiner
6. Symphonie am 16. (28.) Oktober in St. Petersburg zu treffen. Zwei Tage nach der Premiere des
Werks, das eher verhalten aufgenommen wurde,
schrieb er an seinen Verleger Jürgenson, die Symphonie sei „nicht abgelehnt worden, aber sie hat
etwas Bestürzung hervorgerufen. Ich bin auf dieses Stück so stolz, wie ich noch nie auf irgendeine andere Komposition stolz gewesen bin.“
Der große Erfolg der Symphonie setzte freilich
erst mit der zweiten Aufführung am 6. (18.) No-
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Programmzettel der Uraufführung vom Oktober 1893
20
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
vember 1893 ein, wenige Tage nach der Beisetzung Tschaikowskijs. „Das Publikum verstand das
Werk nicht gleich“ – so der Komponist Nikolaj
Rimskij-Korsakow – , „weil es ihm nicht genügend
Aufmerksamkeit schenkte, wie das einige Jahre
vorher auch mit der 5. Symphonie Tschaikowskijs
der Fall gewesen war. Mir scheint, dass erst der
plötzliche Tod des Komponisten und das Gerede,
welches im Anschluss daran entstand, unter anderem die Berichte angeblicher schlimmer Vorahnungen, zu denen die Menschheit so leicht neigt
und die man mit der düsteren Stimmung des letzten Satzes der Symphonie in Verbindung brachte,
die Aufmerksamkeit und die Sympathien des
Publikums auf das schöne Werk lenkten.“
Für den Beinamen „Pathétique“ indes hatte nicht
der Komponist selbst, sondern sein Bruder Modest verantwortlich gezeichnet, der dem wenig
überzeugten Komponisten zunächst den Titel
„Symphonie tragique“ vorgeschlagen hatte. „Ich
verließ das Zimmer und ließ Pjotr Iljitsch unentschlossen zurück“ – so sein Bericht vom 17. (29.)
Oktober, dem Tag nach der Uraufführung. „Dann
schoss mir der Titel ,pathétique‘ durch den Kopf.
Ich ging zu ihm zurück – ich erinnere mich daran,
als sei es erst gestern gewesen – , stand im Türrahmen und stieß das eine Wort aus: ‚Pathétique‘.
,Exzellent, Modja, bravo, pathétique !‘ “
„Tragik“ als Motto
Den Hinweis auf das ausgewiesen „Pathetische“
der Komposition konzedierte Tschaikowskij gern;
das „Programm“ freilich, von dem er während des
Entstehungsprozesses immer wieder gesprochen
hatte, blieb sein Geheimnis. Doch auch ohne
Kenntnis eines detaillierten Programms ist es
nicht schwer, die hier zum Ausdruck gebrachte
Weltanschauung nachzuempfinden. Schon mit der
düsteren Schwere der „Adagio“-Einleitung zum
ersten Satz wird der Charakter des Werks festgelegt: Sowohl das h-Moll-Sekundmotiv im Fagott, das als Motto des ganzen Satzes fungiert,
als auch der chromatisch absteigende LamentoBass in den tiefen Streichern stehen als klassische Topoi für „Trauer“ und „Klage“.
Im folgenden „Allegro non troppo“ wird das düstere, verzweiflungsvolle Motto der Einleitung
zum Kopfmotiv des Hauptthemas eines Sonatenhauptsatzes umgedeutet. Zahlreiche starke Temposchwankungen legen bereits in der Exposition
den dramatischen, innerlich zerrissenen Charakter des Satzes fest. Das zweite Thema, das durch
ein Bläsersignal angekündigt wird, ist als weit
ausgreifende Kantilene der Streicher formuliert,
die mit großer, expressiver Geste alle Merkmale
des Sehnsüchtigen und Erhabenen in sich trägt.
Der Seitensatz, der das Thema über der charakteristischen Hornbegleitung mehrmals wiederholt, grenzt sich dabei als eigenständige, mit
großer Kadenz abgeschlossene Episode vom
Vorangegangenen ab.
Die dramatische Durchführung, die mit einem
Fortissimo-Schlag abrupt einsetzt, ist von aufwühlenden Streicherfigurationen und absteigenden Blechbläserskalen geprägt. Der tröstliche HDur-Posaunenchoral, ein Zitat aus der orthodoxen
Totenliturgie, bleibt jedoch episodisch begrenzt
und führt nur zu einer Scheinreprise, die mit chromatisch absteigenden Skalen und Klagesekunden
den Topos der Trauer erneut heraufbeschwört.
Eine versöhnliche, tröstliche Coda bringt mit aufsteigenden Kadenzfloskeln in den Holzbläsern
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: 6. Symphonie h-Moll
Frieden und Ruhe und damit die musikalische Antwort auf die vorangegangenen Verzweiflungen.
Ausflüchte
Der zweite Satz, „Allegro con grazia“, ist als dreiteilige Liedform angelegt. Die einschmeichelnde
Streichermelodie aus aufsteigenden Skalen ist
einem Walzer nachempfunden, der aber im 5/4-Takt
notiert ist. Mit großer Würde und Grazie überspielt die Kantilene dabei den aus den Fugen geratenen Takt. Im Mittelteil allerdings klingt wieder
die verzweifelte Stimmung aus der Durchführung
des ersten Satzes an; der pochende Viertelpuls in
der Pauke gemahnt an das drohende Schicksal,
dem selbst der fröhliche Tanzreigen nicht ent­gehen
kann.
Der dritte Satz, „Allegro molto vivace“, gibt sich
zunächst als flüchtiges Scherzo. Mit seinen flirrenden Streicherfigurationen erinnert er unzweifelhaft an die „Ronde de Sabbat“ aus Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“. Das staccato vorgetragene, hüpfende Thema in Form eines aufgelösten Akkords in den Oboen und Klarinetten
wird mehrmals variiert und erfährt dabei eine
Steigerung, die durch zwischengeschaltete kürzere Episoden zusätzlich kontrastiert wird. Trompetensignale und ein Trommelwirbel kündigen den
Höhepunkt des Satzes an, auf dem das „pathetisch“
ausgeformte Thema schließlich in der Apotheose
erscheint.
Zerklüftetes Ende
Die ungeheure Schlusswirkung, die das Ende der
Symphonie gleichsam vorwegnimmt, bleibt nicht
ohne Folgen für das Kommende und auch für das
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Werk als Ganzes. Denn streng genommen tauscht
Tschaikowskij die beiden letzten Sätze in der
Abfolge aus, und so folgt nun das üblicherweise
an dritter Stelle figurierende Adagio als „Finale“ der Symphonie – ein Verfahren, das später
bei Werken mit ähnlich ausgeprägter Thematik
beredte Nachfolger gefunden hat, so etwa in
Gustav Mahlers 9. Symphonie von 1910, Béla
Bartóks 2. Streichquartett von 1917 und Alban
Bergs „Lyrischer Suite“ von 1926.
Die Streicher eröffnen dieses „Adagio lamentoso“ mit einer ausgreifenden, hochexpressiven
Geste. Das diatonisch absteigende Thema, dessen einzelne Töne auf verschiedene Streichergruppen aufgeteilt sind, steht symbolisch für die
Sinnlosigkeit von „Kraftanstrengungen“ – denn
der satztechnische Kunstgriff ist ohne Mitlesen
der Partitur gar nicht wahrnehmbar. Das Thema,
auf dem das Finale im wesentlichen beruht, wird
mehrfach variiert – die synkopische Begleitung
der Hörner steigert sich dabei bis hin zu bedrohlichen „Schicksalsschlägen“ der Bläser. Die zahlreichen Generalpausen und extremen Tempowechsel, die die ohnehin immer kraftloser werdenden Aufschwünge noch mehr bremsen, bewirken eine „Zerklüftetheit“, die dem Psychogramm eines Sterbenden entnommen sein könnte. Dem Signal der gestopften Posaunen nebst
Tuba – dem klassischen Topos zur Darstellung
des „Letzten Gerichts“ – folgt nochmal ein Bläserchoral, bevor der Satz mit einem tiefen Orgelpunkt der Kontrabässe, dem Sinnbild für Ausweglosigkeit, im vierfachen Pianissimo verklingt.
22
Die Künstler
Zubin Mehta
Dirigent
Angeles Philharmonic Orchestra (1962–1978).
1977 wurde Zubin Mehta Chefdirigent des Israel
Philharmonic Orchestra, das ihn 1981 zum Music
Director auf Lebenszeit ernannte, 1978 des New
York Philharmonic Orchestra, dem er insgesamt
13 Jahre als Music Director vorstand, und 1985
des Musikfestivals „Maggio Musicale Fioren­
tino“, wo er regelmäßig Opernproduktionen und
Konzerte dirigiert.
Sein Debüt als Operndirigent hatte Zubin Mehta
bereits 1964 in Montreal gegeben; seitdem dirigierte er u. a. an der Metropolitan Opera New
York, an der Wiener Staatsoper, am Londoner
Royal Opera House Covent Garden, am Mailänder Teatro alla Scala und bei den Salzburger
Festspielen. 1998 bis 2006 war Zubin Mehta
Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, deren Ehrenmitglied er heute ist.
Zubin Mehta wurde 1936 in Bombay / Indien ge­
boren und wuchs in einer musikalischen Familie
auf. Nach zwei Semestern Medizinstudium konzentrierte er sich ganz auf die Musik und nahm
bei Hans Swarowsky an der Wiener Musikhochschule Dirigierunterricht; in der Folge gewann er
den Dirigierwettbewerb von Liverpool und den
Sergej Koussewitzky-Wettbewerb in Tanglewood.
Im Alter von 25 Jahren hatte Zubin Mehta bereits
die Wiener und Berliner Philharmoniker dirigiert;
außerdem war er Music Director des Montreal
Symphony Orchestra (1961–1967) und des Los
Zubin Mehta trägt den „Arthur Nikisch-Ring“
und den Ehrenring der Wiener Philharmoniker;
in Würdigung seiner außerordentlichen Verdienste um die Münchner Philharmoniker ernannte ihn das Orchester 2004 zum ersten
Ehrendirigenten seiner Geschichte.
Die Künstler
23
Rudolf Buchbinder
Klavier
fentlichung wurde Rudolf Buchbinder mit dem
„ECHO Klassik 2012“ in der Kategorie „Instrumentalist des Jahres“ ausgezeichnet und erhielt den
„Choc de l’année 2012“.
Der Wiener Pianist Rudolf Buchbinder zählt zu den
legendären Interpreten unserer Zeit. Seit über 50
Jahren konzertiert er mit den bedeutendsten Orchestern und Dirigenten weltweit. Sein vielfältiges
Repertoire umschließt das gesamte Spektrum von
Bach bis zu zeitgenössischen Werken, welches er
in über 100 Aufnahmen, viele von ihnen preisgekrönt, dokumentierte. Besonderes Aufsehen erregten u. a. seine Einspielung des Klavier-Gesamtwerkes von Joseph Haydn, die mit dem „Grand
Prix du Disque“ ausgezeichnet wurde, sowie der
Live-Mitschnitt des Beethoven-Sonaten-Zyklus
aus der Dresdner Semperoper. Für diese Veröf-
Als maßstabsetzend gelten insbesondere Buchbinders Interpretationen der Werke Ludwig van
Beethovens. Mit seinen zyklischen Aufführungen
der 32 Beethoven Sonaten entwickelte er die Interpretationsgeschichte dieser Werke über Jahrzehnte weiter. In über 45 Städten führte er den
Zyklus bereits auf – darunter in Wien, Berlin, Peking, Buenos Aires, St. Petersburg, Mailand, München, Dresden, Istanbul und Zürich. Als erster
Pianist in der Geschichte des Festivals führte er
bei den Salzburger Festspielen 2014 sämtliche
Beethoven Sonaten an sieben Abenden auf. Dieser Salzburger Zyklus wurde in voller Länge von
Unitel gefilmt. Zeitgleich erschien auch das zweite Buch von Rudolf Buchbinder, „Mein Beethoven
– Leben mit dem Meister“, im Residenz Verlag.
Seit 2007 ist Rudolf Buchbinder Künstlerischer
Leiter des Grafenegg Festival, das sich unter seiner Leitung innerhalb kurzer Zeit zu einem der bedeutendsten Orchesterfestivals in Europa entwickelt hat. In seiner Biographie „Da Capo“, mit einem
Vorwort von Joachim Kaiser, gibt Rudolf Buchbinder Einblicke in sein Leben und seine mannigfaltigen künstlerischen Erfahrungen.
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Auftakt
Auftakt
„Tiefer Trost und Rechtfertigung“
Die Kolumne von Elke Heidenreich
Neulich habe ich Hermann Hesses „Steppenwolf“ noch mal gelesen – sollte man
in meinem Alter nicht tun, da gehen ein
paar schöne Erinnerungen und Eindrücke
verloren, die mit siebzehn, achtzehn,
wenn man das Buch zum ersten Mal
liest, lesen sollte, stark waren. Die Welt
ist uns, wenn wir älter werden, nicht
mehr ganz so zerrissen, wir haben unseren Platz darin gefunden und suchen nicht mehr so wie Harry
Haller alias Hermann Hesse. Aber was mich wieder
fasziniert hat, war das Kapitel, in dem Harry Haller
im Drogenrausch in seinem imaginären Theater eine Musik hört, schön und schrecklich, die Musik,
die in Mozarts „Don Giovanni“ das Auftreten des
Steinernen Gastes begleitet. Und plötzlich erklingt
„ein helles und eiskaltes Gelächter, aus einem den
Menschen unerhörten Jenseits von Gelittenhaben,
von Götterhumor geboren.“ Haller wendet sich um
und sieht Mozart, lachend, und Mozart zeigt hinunter in die Tiefe des Zaubertheaters, wo sich eine
wüstenähnliche Ebene ausdehnt. „In dieser Ebene
sahen wir einen ehrwürdig aussehenden alten Herrn
mit langem Barte, der mit wehmütigem Gesicht einen gewaltigen Zug von einigen zehntausend schwarzgekleideten Männern anführte. Es sah betrübt und
hoffnungslos aus, und Mozart sagte: ‚Sehen Sie,
das ist Brahms. Er strebt nach Erlösung, aber damit
hat es noch eine gute Weile.‘ Ich erfuhr, dass die
schwarzen Tausende alle die Spieler jener Stimmen
und Noten waren, welche nach göttlichem Urteil in
seinen Partituren überflüssig gewesen wären.“
Der arme Brahms bleibt nicht allein
verspottet, auch Wagner taucht noch
auf und schleppt seine überflüssigen
Noten hinter sich her, sehr, sehr viele. Als ich jung war, bedeutete mir der
Steppenwolf viel, Brahms und Wagner
wenig. Jetzt ist es umgekehrt, aber
alles gehört zusammen: dass man sich
ändert, dass man sich entwickelt, dass man Musik
anders hört und versteht als früher, da man jung
war. Jeder hört anders, jeder, der im Konzert direkt
neben mir sitzt. Manche sehen Bilder beim Hören,
manche erinnern sich an frühere Konzerte mit den
Stücken, die gerade gespielt werden – das meiste
kennt man ja und will es doch wieder und wieder
hören, weil es immer anders ist – je nachdem, wer
spielt, wer dirigiert, wie mir an dem Abend zumute ist. Aber eines ist immer gewiss, und das wusste auch Hermann Hesse, dem die Musik zeitlebens
sehr viel bedeutete: „So begierig ich auf manchen
anderen Wegen nach Erlösung, nach Vergessen
und Befreiung suchte, so sehr ich nach Gott, nach
Erkenntnis und Frieden dürstete, gefunden habe
ich das alles immer nur in der Musik. Es brauchte
nicht Beethoven oder Bach zu sein: – dass überhaupt
Musik in der Welt ist, dass ein Mensch zuzeiten bis
ins Herz von Takten bewegt und von Harmonien
durchblutet werden kann, das hat für mich immer
wieder einen tiefen Trost und eine Rechtfertigung
alles Lebens bedeutet.“*
*Aus dem Musikerroman „Gertrud“, 1909
Herzlich Willkommen
Wir bekommen eine neue stellvertretende Konzertmeisterin und einen neuen Solo-Hornisten:
Lucja Madziar (Violine) und Matias Piñeira (Horn)
treten ab September ihren Dienst und damit ihr
Probejahr an.
Abschied
Karel Eberle verabschiedet sich ab Juni in den
wohlverdienten Ruhestand. Er war seit 1972
Mitglied der 1. Geigen und stellvertretender
Konzertmeister.
Orchesterakademie
Unsere Fagott-Akademistin Ryo Yoshimura hat
die Stelle als 2. Fagottistin bei den Wiener
Symphonikern gewonnen. Als Akademistin bleibt
sie uns aber noch bis zum Sommer erhalten.
Wir gratulieren und wünschen alles Gute!
MPhil vor Ort bei „Klassik & Klub“
Hochkultur trifft Clubkultur: nach dem Motto
„MPhil vor Ort“ spielen Ensembles der Münchner Philharmoniker im Club. Am 13. Mai war‘s
wieder soweit im „Harry Klein“. Kai Rapsch
(Oboe und Englischhorn), Clément Courtin (Violine), Beate Springorum (Viola) und David Haus-
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Philharmonische Notizen
Philharmonische Notizen
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dorf (Violoncello) spielten Mozarts Oboen-Quartett und Jean Françaix Quartett für Englischhorn,
Violine, Viola und Violoncello. Johannes Öllinger
(Gitarre) war ebenso zu Gast.
MPhil vor Ort mit Holleschek+Schlick in den
Postgaragen
Seit magischen sieben Jahren feiern Holleschek+Schlick
in den Postgaragen. Jetzt werden sie abgerissen. Grund genug, jemanden zu holen, der davon
was versteht: Martin Grubinger und die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker! Ein „letztes Konzert + Abrißfest“ fand statt am Samstag,
25. April (siehe übernächste Seite).
Livestream
Unsere Livestream-Saison geht in die nächste
Runde. Das Konzert am Freitag, 29. Mai, wird
als Livestream im Internet übertragen (www.
mphil.de; Konzertbeginn: 20 Uhr).
Sie finden den Link zum Live-Stream auf unserer
Homepage unter www.mphil.de. Klicken Sie sich
rein und genießen Sie das Konzert, egal wo auf
dieser Welt Sie sich gerade befinden.
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Im Instrumentenlager belauscht
Der Neue ist da
Monika Laxgang
Triangel: Da ist er, unser neues Pracht-Stück, der
langersehnte neue D-Flügel von Steinway & Sons!
Schick sieht er aus, so heraus
geputzt und schwarz poliert.
Mögen die ersten Kratzer und
Dellen noch möglichst lange
auf sich warten lassen...
Glocke: Hoffentlich weiß der
neue Mr. Steinway zu schätzen, wie gastfreundlich wir
ihn begrüßt haben. Ich wurde
damals ja von den Freunden
und Förderern der Münchner
Philharmoniker finanziert und
fand es beeindruckend, wie
schnell ich in die Instrumenten-Familie der Philharmoniker aufgenommen wurde.
Große Trommel: Ich habe
mich ein wenig mit unserem
neuen Kollegen unterhalten:
der wiegt 480 kg! Und ist mit seinen 274 cm Länge
und 157 cm Breite noch größer als ich.
Glockenspiel: Mir hat er erzählt, dass er aus ca.
12 000 Einzelteilen gebaut wurde und das in 80%
Handarbeit in einem Zeitraum von rund 1 Jahr.
Harfe: Und seine Saitenspannung beträgt 20 Tonnen – ein wahrer Kraft-Kerl ist er, unser Neu-Zugang. Nur allerbestes Material wie Ahorn und Sitka
Fichte aus Nordamerika
werden nach 2 jähriger Trocknungszeit für das Gehäuse
und den Resonanzboden
verwendet.
Leider werde ich bei seinem
großen Auftritt nicht mit
auf der Bühne stehen, da
weder Brahms‘ 1. Klavierkonzert noch Tschaikowskys
„Pathétique“ mit Harfe besetzt sind.
Becken: Die Windmaschine hat erzählt, dass Rudolf
Buchbinder höchstpersönlich diesen Flügel im Steinway-Haus in Hamburg für
die Münchner Philharmoniker ausgewählt hat. Und jetzt präsentiert Buchbinder ihn zum ersten Mal dem Münchner Publikum.
Toi toi toi an unseren neuen Kollegen!
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vor Ort mit Fest
MPhil vor MPhil
Ort – Konzert
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Konzert mit Fest
Simone Siwek
Am 25. April 2015 waren die Schlagzeuger der
Münchner Philharmoniker mit Martin Grubinger in
einem reinen Percussionkonzert in den Postgaragen zu erleben. Ein MPhil vor Ort-“Spezial“ zu einem besonderen Anlass: das letzte Fest von
holleschek&schlick an diesem Ort, denn die Postgaragen werden abgerissen.
Martin Grubinger war Ende April als Solist zu Gast
bei den Münchner Philharmonikern. Als die Anfrage
kam, ein weiteres Konzert mit unseren Schlagzeugern zu geben, sagte er schnell zu und reiste extra
mehrere Tage früher an, um das ehrgeizige Programm
parallel zu seinem Auftritt als Solist einzustudieren.
Für ihn wie für unsere Schlagzeuger hieß das: intensive Vorbereitung und in vier Tagen über 30 Stunden extra Proben inklusive Nebenwirkungen (siehe
unten). Aber es hat sich gelohnt: Standing Ovations!
„Die Zusammenarbeit mit Martin war wahnsinnig
intensiv. Sie hat mich bereichert und inspiriert. Klar
kosteten die Proben zusätzlich zum Konzertprogramm
in der Philharmonie viel Kraft, setzten aber ungleich
viel mehr positive Energie frei!“ (Jörg Hannabach,
Schlagzeuger)
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MPhil vorMPhil
Ort – vor
Konzert
Ort mit Fest
„Anfangs war ich ein wenig skeptisch, als Simone Siwek mir vorgeschlagen hat, ein klassisches Schlagzeugkonzert für ein junges Publikum aufzuführen. ‚Anstrengend‘ war die erste Assoziation. Was Grubinger
und die Münchner Philharmoniker dann in den Postgaragen aufgeführt haben, hat nicht nur das Publikum
aus den Stühlen gerissen. Ich bin bekehrt. Und das
nächste Schlagzeugkonzert ist schon ausgemacht –
stehend dann.“ (Otger Holleschek, Kooperationspartner)
„Wir kennen Martin als Solist mit dem Orchester. Nun
durften wir ihn auch als Teamplayer kennen lernen,
der sich ganz selbstverständlich in unsere Gruppe integrierte. In den Proben legte er großen Wert auf die
Meinung aller Spieler und erwartete von jedem, dass
er sich einbrachte.“ (Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger)
„Martin spielt gerade ein Stück wie Pléiades sonst
mit seinem festen Ensemble. Dass er ein komplettes
Programm mit uns zusagte ist eine große Ehre für jeden von uns! Dieses Projekt hat mich begeistert und
persönlich stark motiviert. Ich denke ich kann für alle
Schlagzeug-Kollegen sprechen, wenn ich sage, dass
uns diese Woche auch als Gruppe nachhaltig zusammengeschweißt hat.“ (Stefan Gagelmann, SoloPauker)
„Martin Grubinger forderte von allen vollen Einsatz.
Das bedeutet: immer 100% – und der Schritt von
99% zu 100% kann groß sein! Er perfektioniert
rhythmische Genauigkeit, Lautstärke, Klang und
Dynamik und verliert dabei nie die Freude am Spielen. Das ist unheimlich ansteckend und fordert einen
mental und körperlich. In meinem Fall bedeutet das:
Muskelkater, zwei blutige Finger und nach diesem
Projekt eine gute Kondition: ich merke, dass ich
mich weniger Einspielen muss.“ (Guido Rückel, SoloPauker)
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MPhil vorMPhil
Ort – vor
Konzert
Ort mit Fest
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„Wir hatten nahezu unser komplettes Schlagwerk
im Einsatz. Mit über 60 Instrumenten war der Aufund Umbau sehr komplex und musste auf jeden
Musiker abgestimmt sein. Martin war sehr engagiert und verlangte Musikern und Instrumenten
einiges ab. Erste ‚Opfer‘ waren mehrere Bongos,
deren Felle binnen kürzester Zeit durchschlagen
waren. Zur Sicherheit wurden Ersatzinstrumente
angemietet. Nach dem Konzert mussten 6 Paukenfelle und 18 TomTom-Felle ausgetauscht werden.
Also: bei Werken wie dem Xenakis ist es durchaus
ratsam nicht mit Naturfellpauken zu spielen.“ (Kilian Geppert, stellvertretender Orchesterinspizient)
Das Programm:
Sollima: Millennium Bug, Miki: Marimba Spiritual,
Xenakis: Pléiades (daraus den Fellsatz), Jobim:
Chega de Saudade, Engel: Ragtime und Grubinger:
Planet Rudiment
Es spielten:
Sebastian Förschl, Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach, Michael Leopold, Guido Rückel, Walter
Schwarz, Linda-Philomène Tsoungui
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Orchestergeschichte
Die Tonhalle, Heimstatt der Münchner Philharmoniker
von 1893 bis 1944
Gabriele E. Meyer
Bis zur Eröffnung des Kaim-Saales (der späteren
Tonhalle) im Jahre 1895 gab es in München – sieht
man von den akustisch unbefriedigenden CentralSälen in der Neuturmstraße ab – als einzigen großen
Konzertsaal nur das Kgl. Odeon. Allerdings wurde
dieser repräsentative Raum dem 1893 von Franz Kaim
gegründeten Vorgänger der Münchner Philharmoniker nur widerwillig zur Verfügung gestellt; für den
vorausschauenden Unternehmer Grund genug, ein
weiteres Großprojekt in Angriff zu nehmen. Nach
mehreren vergeblichen, weil nicht finanzierbaren
Anläufen, entschloss sich Kaim schweren Herzens,
seinen Saal selbst zu erbauen, und zwar auf dem
Eckgrundstück Türkenstraße 5 zur inzwischen neu
angelegten Prinz-Ludwig-Straße. Die Bauleitung
hatte er Martin Dülfer anvertraut. Die Fassaden
gestaltete der renommierte Architekt im LouisSeize-Stil, wegen der typischen Lorbeer- oder Fruchtgirlanden auch „Zopfstil“ genannt. Schon ein halbes
Jahr nach der Grundsteinlegung im April 1895 wurde der „Kaim-Saal“ mit einem dreitägigen Musikfest
„unter dem Protektorat des Prinzen Ludwig Ferdinand
von Bayern“ eingeweiht (19.–21. Oktober). Die Orchestergründung trat in Anlehnung an den Konzertort nun unter dem Namen „Kaim-Orchester“ auf. Die
ursprünglich veranschlagte Kostenpauschale von
500.000 Mark überschritt Dülfer allerdings „um die
horrende Summe von 380.000 Mark“. Kaim gelang
es nur mit Hilfe „mäcenatischer Gönner, zu denen
maßgeblich Frau Marie Barlow gehörte“, den finanziellen Ruin abzuwenden. Ab Oktober 1905 gingen
die Konzertbesucher in die „Tonhalle“; eine Begründung für diesen Namenswechsel gab es merkwürdigerweise nicht. – Im Laufe der Jahre waren an
dem Saal immer wieder bauliche und akustische
Veränderungen vorgenommen worden, um den Ansprüchen von Musikern und Zuhörern zu genügen.
Viele historisch und künstlerisch bedeutsame Konzertereignisse verzeichnen die Annalen – bis hin zu
jener Nacht des 24./25. April 1944, als ein vor allem
für die Innenstadt verheerender Bombenangriff auch
die philharmonische Heimstatt und den Odeonssaal
in Schutt und Asche legte. Der schmerzliche Nachruf in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ nur
zwei Tage später erinnerte nochmals an das, was
da vernichtet worden war. „Diese Räume waren Individualitäten, jeder hatte seinen besonderen Charakter, dem man als Konzertierender gerecht werden mußte. Jeder hatte auch seine spezifische
Atmosphäre, die den Hörer mit ihrer ganz eigenartigen Stimmung empfing und die sich gewissermaßen aus dem langjährigen künstlerischen Geschehen ergab.“ Noch aber ging der Konzertbetrieb
weiter. Eilends suchte die Stadt nach Ausweichquartieren und fand sie im Prinzregententheater,
im Löwenbräukeller, im Deutschen Museum, in der
Aula der Universität. Nach Kriegsende befanden
sich die Philharmoniker weiterhin auf Wanderschaft.
Zwar probierte Hans Rosbaud, GMD von 1945 bis
1948, zunächst noch in den notdürftig hergerichteten Kellerräumen an der Türkenstraße, die Konzerte aber fanden an anderen Orten statt. Zu einem
durchaus möglichen Wiederaufbau des Saales, in
dem einst Thomas Mann Katja Pringsheim, seine
spätere Frau, entdeckte, konnte man sich nicht
durchringen. Erst 1985 erhielten die Münchner Philharmoniker mit der Philharmonie im Gasteig wieder
ein eigenes Zuhause.
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Das Festival mphil 360°
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„Mein Ziel ist es, dass jeder Münchner die Chance hat,
die Münchner Philharmoniker live zu erleben.“
Dieses ehrgeizige Ziel hat Valery Gergiev zur Antrittspressekonferenz am 31. Januar 2013 formuliert.
Zum Saisonstart 2015/16 rufen die Münchner Philharmoniker und ihr zukünftiger Chefdirigent Valery
Gergiev ein neues Festival in München ins Leben:
mphil 360°. Es wird vom 13. bis 15. November in allen fünf Sälen des Münchner Gasteigs stattfinden.
Freitag, 13.11.2015, 20 Uhr
Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« |
Skrjabin: »Promethée. Le Poème du feu.« | Wagner:
»Die Walküre« 1. Aufzug
Valery Gergiev, Denis Matsuev, Anja Kampe, Johan
Botha, René Pape, Philharmonischer Chor München
Samstag, 14.11.2015, 12 Uhr – 24 Uhr
Musikfest für alle – Eintritt frei
Till Brönner, Hauschka, Andreas Martin Hofmeir,
Miloš Karadaglić, Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, Valery Gergiev, Tin Men and the Telephone, Mariinsky Strawinsky Ensemble, Deutsch-Russisches Ensemble, Odeon Jugendorchester, Kammerorchester der Münchner Philharmoniker, Community Music
Sonntag, 15.11.2015
Kern der Programme am Sonntag sind die fünf Klavierkonzerte Prokofjews. Jedes Klavierkonzert wird
kombiniert mit Werken aus der deutschen bzw.
Münchner Musikgeschichte. Die Münchner Philharmoniker werden dabei zwei Konzerte, das Mariinsky-Orchester drei Konzerte bestreiten.
11 Uhr
Prokofjew: »Symphonie classique« & Klavierkonzert Nr. 1 (Solist: Herbert Schuch) | Haydn: Symphonie Nr. 82 »Der Bär«
13 Uhr
von Weber: Ouvertüre zu »Der Freischütz« | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 2 (Solist: Denis Matsuev) |
von Weber: »Aufforderung zum Tanz«
15 Uhr
Reger: Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin |
Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 3 (Solist: Behzod Abduraimov)
17 Uhr
Hartmann: Suite aus »Simplicius Simplicissimus« |
Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 4 (Solist: Alexei Volodin)
19 Uhr
Widmann: »Con brio« | Mozart: Klarinettenkonzert
A-Dur (Solist: Jörg Widmann) | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 5 (Solist: Olli Mustonen)
Karteninformationen
Karten zu allen Veranstaltungen des Festivals gibt
es ab 11.08.2015 im Webshop der Münchner Philharmoniker unter mphil.de und bei München Ticket
(089/54 81 81 400).
Der Eintritt zu allen Veranstaltungen am Samstag,
14.11.2015, ist frei, jedoch nicht ohne Eintrittskarte möglich.
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So. 18.06.2015, 11:00 Uhr 8. KaKo
Vorschau
„Meisterwerke II“
Mo. 15.06.2015, 20:00 Uhr 7. Abo b
Di. 16.06.2015, 20:00 Uhr 5. Abo k5
Mi. 17.06.2015, 20:00 Uhr 8. Abo a
Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett d-Moll KV 421
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 8 c-Moll
Dmitrij Schostakowitsch
Streichquartett Nr. 7 fis-Moll
op. 108
Semyon Bychkov, Dirigent
Claude Debussy
„La Mer“
Philharmonisches
Streichquartett München:
Clément Courtin, Violine
Bernhard Metz, Violine
Konstantin Sellheim, Viola
Manuel von der Nahmer,
Violoncello
Graphik: dm druckmedien gmbh,
München
Druck: Color Offset GmbH,
Geretsrieder Str. 10,
81379 München
Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix
zertifiziertem Papier der Sorte
LuxoArt Samt.
Johannes Brahms
Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Maurice Ravel
Konzert für Klavier und Orchester
G-Dur
Robert Schumann
Streichquartett A-Dur op. 41 Nr. 3
Impressum
Herausgeber
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4,
81667 München
Lektorat: Stephan Kohler
Corporate Design:
Sa. 20.06.2015, 13:30 Uhr 6. ÖGP
So. 21.06.2015, 11:00 Uhr 8. Abo m
Mo. 22.06.2015, 20:00 Uhr 8. Abo f
Di. 23.06.2015, 20:00 Uhr
Uni-Konzert
Semyon Bychkov, Dirigent
Jean-Yves Thibaudet, Klavier
Textnachweise
Nicole Restle, Wolfgang Stähr,
Regina Back, Elke Heidenreich,
Monika Laxgang, Simone Siwek
und Gabriele E. Meyer schrieben
ihre Texte als Originalbeiträge für
die Programmhefte der Münchner
Philharmoniker. Die lexikalischen
Werkangaben und Kurzkommentare
zu den aufgeführten Werken verfasste Stephan Kohler. Künstlerbiogra­p hien (Mehta, Buchbinder):
Nach Agenturvorlagen. Alle Rechte
bei den Autorinnen und Autoren;
jeder Nachdruck ist seitens der
Urheber genehmigungs- und
kostenpflichtig.
Bildnachweise
Abbildungen zu Felix Mendelssohn
Bartholdy: Hans-Günter Klein (Hrsg.),
Felix Mendelssohn Bartholdy – Ein
Almanach, Leipzig 2008. Abbildungen
zu Johannes Brahms: Christian Martin
Schmidt, Johannes Brahms und seine
Zeit, Laaber 1998; Christiane Jacobsen (Hrsg.), Johannes Brahms – Leben
und Werk, Wiesbaden – Hamburg
1983. Abbildungen zu Pjotr Iljitsch
Tschaikowskij: Alexander Poznansky,
Tschaikowskijs Tod: Geschichte und
Revision einer Legende Mainz – Zürich
1998; Herbert Weinstock, Peter Iljitsch
Tschaikowskij, Adliswil / Lottstetten
1993. Künstlerphotographien: Wilfried
Hösl (Mehta); Marco Borggreve (Buchbinder); Leonie von Kleist (Heidenreich); Monika Laxgang (Flügel),
Denise Vernillo und Guido Rückel
(MPhil vor Ort).
GRAFENEGG 2015
18. JUNI — 06. SEPTEMBER
Andris Nelsons · Sir Simon Rattle · Diana Damrau · Zubin Mehta
Tonkünstler-Orchester · Boston Symphony Orchestra · Berliner Philharmoniker
Wiener Philharmoniker · u.v.m.
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Künstlerische Leitung: Rudolf Buchbinder
grafenegg.com
Wir danken unseren Hauptsponsoren:
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
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