Die Bedeutung der napoleonischen Kriege - ge

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Die Bedeutung der napoleonischen Kriege
für die Entstehung des Nationalgedankens in Europa
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Die Kriege und Eroberungen Napoleons veränderten das Machtgefüge in ganz Europa - und
dies nicht nur in machtpolitisch-territorialer, sondern auch in ideologischer Hinsicht. Der
französischen Revolutionsarmee gelang es, in vier "Koalitionskriegen" mit revolutionärem
Sendungsbewusstsein und nationalem Selbstbewusstsein bis 1812 sämtlichen Gegnern zu
trotzen und weite Teile Europas zu kontrollieren.
Die Bedeutung der napoleonischen Ära für die Ausbreitung und Entwicklung des
Nationalismus in Europa kann kaum unterschätzt werden. Wenn die Französische Revolution
die moderne Idee der Nation "erfand", so war es Napoleon, der sie - direkt oder indirekt - in
ganz Europa verbreitete. Dieser Prozess fand auf verschiedenen Wegen statt.
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Zunächst war das Image der französischen Volksarmee von großer Bedeutung. In den Armeen
der Koalition dienten - wie bis dahin weithin üblich - bezahlte Söldner, die durch keine
gemeinsamen Wertvorstellungen oder Ideologien motiviert oder miteinander verbunden
waren. Dagegen war das Selbstbewusstsein der französischen Revolutionsarmee von
revolutionär-nationalem Stolz geprägt. Schon die Zeitgenossen erkannten, dass die
militärischen Erfolge Napoleons nicht nur auf dessen strategischem Geschick, sondern eben
auch auf dem revolutionären Elan der Volksarmee beruhten. Die Menschen in Europa
begegneten deshalb der napoleonischen Armee mit gemischten Gefühlen: Man fürchtete sie,
zugleich aber stellte sie allein aufgrund ihrer Schlagkräftigkeit die Überlegenheit einer
modernen Nationalarmee unter Beweis.
Zweitens veränderten die Eroberungen Napoleons die europäische Landkarte und führten zu
territorialen Um- und Neugestaltungen, die vor allem für die deutschen Staaten von großer
Bedeutung waren. Das Ende des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" (1806)
schloss ein neun Jahrhunderte altes Kapitel deutscher Herrschaftsgeschichte endgültig ab und
machte damit grundsätzlich den Weg für politische Neue rungen frei - auch wenn dieses
Konstrukt schon lange kaum noch von tagespolitischer Bedeutung war und sein Ende aus
diesem Grunde die Zeitgenossen nur wenig bekümmerte. Der Reichsdeputationshauptschluss
(1803) und die Gründung des Rheinbundes (1806) beendeten die von vielen beklagte"
Kleinstaaterei" und führten zu neuen geschlossenen Flächenstaaten - eine der wesentlichen
Voraussetzungen zur Herausbildung moderner Nationalstaatlichkeit.
Drittens wurden in vielen europäischen Staaten innenpolitische Reformen durchgeführt, die
insgesamt eine nachhaltige Modernisierung zur Folge hatten und auch in der seit 1815
einsetzenden Phase der Restauration nie vollständig zurückgenommen werden konnten.
Allerdings erfolgten diese Reformen mit unterschiedlicher Intensität und aus
unterschiedlichen Motiven - je nachdem welcher der vielen, etwas unübersichtlichen
Kategorien diese Staaten in der Ära Napoleons zuzuordnen waren. Zunächst sind hier die
Regionen zu nennen, die Napoleon dem französischen Reich zuschlug, wie z. B. die
linksrheinischen Gebiete oder weite Teile der deutschen Nordseeküste. Die Bevölkerung
dieser Gebiete kam - wie die Franzosen selbst - in den Genuss der in der französischen
Revolution erreichten Fort schritte, so wie sie sich unter Napoleons Herrschaft darstellten: Die
demokratischen Partizipationsmöglichkeiten waren zwar weitgehend beschnitten, aber es gab
ein modernes und effektives Verwaltungssystem, rechtsstaatliche Strukturen (Code
Napoleon) sowie ein die Leistungsfähigkeit des Einzelnen berücksichtigendes Steuersystem.
Die zweite Staatengruppe bildeten die von Napoleon auf eroberten Territorien neu
geschaffenen Satelliten staaten ("Napoleoniden"), wie das von dem Bruder Napoleons,
Jerôme, regierte Königreich Westfalen oder die Großherzogtümer Berg, Frankfurt und
Würzburg. In diesen Staaten ließ Napoleon eine fortschrittliche Rechts-, Verwaltungs- und
Verfassungsordnung nach dem Vorbild Frankreichs einführen. Damit verfolgte er vor allem
das Ziel, der ansässigen Bevölkerung die Identifikation mit den neuen Staaten zu erleichtern
und sie im gesamteuropäischen Konflikt auf die Seite Frankreichs zu ziehen. Die dritte Gruppe
bildeten die formal unabhängigen, aber unter französischem Einfluss stehenden Staaten, wie
vor allem die Staaten des Rheinbundes. Während in den kleineren Staaten des Nordens und
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Osten die Veränderungen gering waren und die alten ständischen Strukturen im
Wesentlichen erhal ten blieben, waren die Reformen in den süddeutschen Flächenstaaten
Bayern, Württem berg und Baden weitreichend ("Deutscher Frühkonstitutionalismus"),
Bayern erhielt 1808 eine Verfassung, in Baden wurde der Code Napoleon in leicht
modifizierter Form übernommen. Die drei Staaten verkündeten in Edikten das Prinzip der
religiösen Toleranz, führten Verwaltungsreformen durch und beseitigten ständische
Privilegien. Diese Reformen waren vor allem auf drei Motive zurückzuführen: auf den mehr
oder weniger mittelbaren Druck des französischen Protektorats, auf die Notwendigkeit der
Eingliederung der säkularisierten oder mediatisierten Herrschaften und vor allem auf die
Einsicht der Herrschaftshäuser und der Regierungen, dass die überkommenen Sozial-, Rechtsund Verwaltungsstrukturen an gesichts des moderneren französischen Vorbilds ohnehin nicht
zu halten waren. Die vierte Staatengruppe bildeten solche Staaten, die von Napoleon (noch)
nicht erobert waren, sich aber politisch und vor allem militärisch bedroht fühlen mussten.
Dazu zählten vor allem Österreich-Ungarn sowie das nach dem Frieden von Tilsit (1806) auf
einen östlichen Rumpfstaat reduzierte Preußen. Während in Österreich-Ungarn in dieser
Situation eher konserva tive Kräfte Auftrieb erhielten, gewannen in Preußen Reformer, wie
die Freiherren von Stein und von Hardenberg, politischen Einfluss. Mit den "preußischen
Reformen" setzten sie ihr Programm zur Modernisierung des Staates um, das Bürger und
Bauern an den eigenen Staat binden und von Napoleon entfremden sollte. Nicht zuletzt
verfolgte es das Ziel, die wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen für die
kommenden militärischen Aus einandersetzungen mit den französischen Truppen zu schaffen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die napoleonische Hegemonialpolitik bis 1811 die
alten europäischen Ordnungssysteme nachhaltig erschüttert und zu einer Vielzahl von
Modernisierungsprozessen in der Staatlichkeit der europäischen Territorien geführt hatte.
Dennoch ergab sich der entscheidende Schub für die Ausbreitung des nationalen Gedankens
in Europa erst in den "Befreiungskriegen" gegen Napoleon. Der von Frankreich aus gehende
Nationalstaatsgedanke wurde von den europäischen Völkern adaptiert und gegen Frankreich
gerichtet. Antifranzösische Ressentiments hatten während der gesamten napoleonischen Ära
bestanden; am geringsten waren sie noch in den am Rhein gelegenen Gebieten und den
norddeutschen Städten. Aber auch in diesen Territorien nahm die Abneigung gegen die
französische Hegemonie zu. Dazu trugen auch die negativen wirt schaftlichen Folgen der
Kontinentalsperre bei. Mit diesem Embargo wollte Napoleon sei nen Hauptgegner England
wirtschaftlich in die Knie zwingen, schädigte damit aber auch die kontinentaleuropäische
Wirtschaft.
Unter dem Druck der militärischen und politischen Expansionspolitik Napoleons entstanden
zunehmend Solidarisierungs- und Zusammengehörigkeitsgefühle in den beherrschten
Völkern, verbanden sich antifranzösische mit nationalistischen Gefühlen. Der zeitgenössische
Schriftsteller Ernst Moritz Arndt schrieb: "Ich hasse alle Franzosen ohne Ausnahme im Namen
Gottes und meines Volkes". Diese Stimmungen wurden von den gegen Napoleon kämpfenden
Regenten, wie etwa dem preußischen König Friedrich Wilhelm 111., bewusst gefördert und
zur Mobilisierung der Bevölkerung im "Befreiungs kampf" gegen die verhasste
"Franzosenherrschaft" genutzt. Nach dem Sieg über Napo-leon hätten viele Monarchen diese
Ideen gerne wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Aber die Appelle an die
patriotischen Leidenschaften hatten nicht nur die Kriegsbereitschaft gegen Napoleon,
sondern in weiten Teilen der Bevölkerung auch die Hoff nung auf einen eigenen Nationalstaat
gefördert. Auf Umwegen tauchte der in der Französischen Revolution entwickelte Gedanke
der "Nation" in den europäischen Völkern wieder auf: Den enthusiastischen Kampf gegen
Frankreich hatte man nicht für seine Monarchen, sondern für sein Vaterland aufgenommen.
Dieser Gedanke ließ sich nicht mehr vertreiben.
Aus: Zeiten und Menschen Bd.1, S.327-330
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