Ralph Benatzky Im Weißen Rössl Schlossfestspiele Sondershausen 2009 Ralph Benatzky Im Weißen Rössl Singspiel in drei Akten (frei nach dem Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg) von Hans Müller und Erik Charell Text der Gesänge von Robert Gilbert Sechs musikalische Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Robert Stolz und Hans Frankowski Musik von Ralph Benatzky Uraufführung am 30. November 1930 in Berlin Matthias Kupke, Marcos Liesenberg, Jessika Rieck, Mitglieder des Opernchores „Ich glaube, man ringt sich nur mit großer Anstrengung zur Leichtigkeit durch.“ Ralph Benatzky, Tagebucheintrag vom 16. Mai 1930 Eine Veranstaltung der Theater Nordhausen / Loh-Orchester Sondershausen GmbH im Auftrag der Stadt Sondershausen 4 5 Nina Fallier, Helmut Kleinen, Ballettkompanie, Opernchor Liebe Besucherinnen und Besucher der Schlossfestspiele Sondershausen, sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Sommer gehen die Schlossfestspiele Sondershausen bereits in das vierte Jahr. Ich freue mich sehr darüber, dass die Festspiele unserer Musikstadt bereits zu einer festen Institution im Kulturleben Nordthüringens geworden sind. Nach der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß vor zwei Jahren präsentieren wir Ihnen in diesem Sommer erneut eine Operette: „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky. Dieses Werk, das Zuhörer seit der Berliner Uraufführung im November 1930 durch seinen geistreichen Witz ebenso wie durch seine spritzige und ohrwurmtaugliche Musik immer wieder von neuem begeistert, entführt Sie in die Urlaubswelt am berühmten Wolfgangsee. In diesem Jahr öffnen wir den Schlosshof für Sie bereits 90 Minuten vor der Vorstellung, und auch im Anschluss an den Operettenabend sind Sie herzlich eingeladen, dort zu verweilen. Ein reiches gastronomisches Angebot wird Ihre kulinarischen Wünsche erfüllen. An drei Abenden darf außerdem noch gefeiert werden; für musikalische Unterhaltung sorgen die Sängerinnen und Sänger. Fühlen auch Sie sich bei uns als Urlaubsgast und lassen Sie sich während Ihres Aufenthaltes rundum verwöhnen! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen schöne Stunden im historischen Schlosshof unserer Musik- und Bergstadt Sondershausen. Ihr Joachim Kreyer Bürgermeister der Stadt Sondershausen Die Handlung 1. Teil Es ist Urlaubszeit im Hotel Weißes Rössl. Eine Reisegruppe besucht soeben das Hotel für einen kurzen Aufenthalt. Oberkellner Leopold Brandmeyer hat alle Hände voll zu tun. Auch sonst hat er es nicht leicht: Er ist verliebt in seine Chefin, die Wirtin Josepha Vogelhuber. Doch sie freut sich auf ihren Stammgast Dr. Otto Siedler, einen Rechtsanwalt aus Berlin. Wilhelm Giesecke und seine Tochter Ottilie aus Berlin reisen an. Der mürrische Fabrikant wünscht ein Zimmer mit Balkon. Doch das einzige Balkonzimmer ist bereits an Siedler vergeben, jenen Rechtsanwalt, der in einem Rechtsstreit zwischen Giesecke und dessen Geschäftskonkurrenten Sülzheimer die Gegenseite vertritt. Leopold entscheidet eigenmächtig, das für Siedler bestimmte Zimmer an Giesecke abzugeben. Der inzwischen eingetroffene Gast aber besteht auf sein Zimmer Nr. 4, und es kommt zu einem Streit mit Giesecke. Für die schöne Tochter Ottilie ist Siedler hingegen bereit, sein Zimmer abzutreten. Leopold freut sich über dieses Interesse an Ottilie und ermuntert sie, sich auf Siedlers Avancen einzulassen. Dass er zugleich Josephas Bemühungen um den Rechtsanwalt vereiteln will, provoziert schließlich Leopolds Rauswurf. 2. Teil Gieseckes Plan, über eine Liaison zwischen seiner Tochter und dem Sohn des Konkurrenten, Sigismund Sülzheimer, der auf Veranlassung Dr. Siedlers ebenfalls in das Weiße Rössl gekommen ist, eine Beilegung seines Geschäftsstreits zu erreichen, wird rasch durchkreuzt: Sigismund verliebt sich in das lispelnde Klärchen, und Ottilie hat schnell nur noch Augen für Siedler. Josepha muss erfahren, dass sie Leopold nicht entbehren kann, denn der Kaiser Franz Joseph hat seinen Besuch ankündigt. Leopold ist bereit, ihr noch einmal zu helfen. Leopolds Begrüßungsrede vor dem Kaiser geht vor Aufregung gründlich daneben. Das Gespräch mit dem Kaiser bringt Josepha zur Einsicht. Sie erkennt, dass Leopold sie aufrichtig liebt und stellt ihm ein Zeugnis aus – das ihn als Ehemann auf Lebenszeit engagiert. Sigismund und Klärchen finden zusammen, und auch Dr. Siedler hält erfolgreich bei Giesecke um die Hand Ottilies an. 6 Operette von Reiner Zimmermann Ihr eigenes Gesicht erhielt die Operette dadurch, dass nicht nur die Texte und die dramatischen Situationen, sondern auch die Musik Teil von Komik, Satire und Parodie wurde. Dabei sollte es bleiben bis ins 20. Jahrhundert. Denn zumeist waren die Operettenautoren den Fragen ihrer Zeit auf der Spur und reagierten oft sehr rasch auf Modeerscheinungen und gesellschaftliche Veränderungen (...). Wenn man es genau besieht, wird man finden, dass die Operette (nach dem Ersten Weltkrieg; Anm. d. Red.) in ihren „fortschrittlichsten“ Werken (und das müssen nicht immer die bekanntesten sein) nicht nur den Anschluss an ihre Zeit gefunden, sondern den Zeitgeist selbst mitbestimmt hat. (...) Man sollte von den Komponisten und Librettisten kein moralisch-politisches Sendungsbewusstein verlangen, das findet sich bei Autoren anderer Gattungen, aber man kann ihnen nicht vorwerfen, sie hätten an den Problemen ihrer Zeit vorbeigetextet und musiziert. (...) Dass durch die Unterhaltungsschicht Wahrheiten über den Zustand der Gesellschaft hindurchschimmern, ist aber eine Erfahrung, die Operettenbesucher schon immer machen konnten. Das Operettenvolk stellt, anders als die Charaktere im Schauspiel oder in der Oper, die bürgerlichen Tugenden und Untugenden stets durch ironische Signale in Frage. Die herrschenden Normen werden oft umgekehrt. Die Happyends sind so einleuchtendunwahrscheinlich, wie sie nur in der Operette sein können, wie sie durch Selbstironie entstehen. Es ficht weder die Figuren noch die Zuschauer an, dass ihre Konfliktbewältigung Schein ist. (...) Aus dem Tagebuch von Ralph Benatzky 1. Juli 1928 Wieder einmal im Schlafwagen, diesmal auf der Fahrt nach Wien. Eben ist mir da etwas Unglaubliches passiert. Der Schaffner kommt, um den Pass zu holen. Er nimmt ihn, macht ihn auf, liest den Namen, schreit auf: „Das Glück!“, stürzt auf die Knie, küsst meine Hände, stottert etwas von meinen Melodien, dass er mich und meine Lieder kenne, dass sie für ihn das Schönste auf der Welt seien, springt auf, bittet um Verzeihung, dass er sich im Dienste hinreißen ließ, und stürzt hinaus. Heiliger oder Narr? 27. Juli 1930 Ich mache doch, obzwar ich zuerst große Hemmungen dagegen hatte, die neue Charell-Produktion das Weiße Rössl mit Hans Müller. Da Charell alles um sich verheerend okkupiert, erklärt sich die lange Pause der Eintragungen in diesem Buch von selbst. 9. August 1930 Immer ist es so: An der lapidaren Kürze der Eintragungen und an den Pausen zwischen ihnen kann man herrlich die Zeiten konstatieren, in denen ich in tiefer Arbeit stecke. Zur Zeit ist es das Weiße Rössl, zu dem mir so viel einfällt wie schon lange nicht. Und nur, wenn ich das (Tage-)Buch da in der Lade liegen sehe, ergreift mich Reue und beißen mich Gewissensflöhe, und dann kritzel ich rasch was herein und tue damit so als ob. Und wieder fliegt die Lade zu und das Tagebuch schlummert bis zum nächsten Gewissensflohbiss! durch den Sieg der Nationalsozialisten, ein Sieg, der mir viel weniger sonderbar und überraschend erscheint, als man allgemein hört. (…) Diese Nazis nun gravitieren nach rechts, ohne sich eigentlich klar zu sein, wie weit nach rechts, ob bis zur Wiedereinsetzung der Hohenzollern oder nur zur Schaffung eines Diktators aus ihren Reihen. Wahrscheinlich werden sie, zur Regierung gelangt, 75% ihrer Forschheit abstreifen und Kompromisse schließen, wie es die Sozialdemokraten taten und auch die Kommunisten in Russland tun. Nur die Übergänge, bis sie ans Ruder kommen, werden kosten. Und da scheint mir die Gefahr zu liegen. Weswegen ich vorsichtshalber noch für 3000 Dollar Mark verkaufte. Es wird mit dem Steuergeld so irrsinnig leichtsinnig und dumm gewirtschaftet, es wird soviel unterschlagen, vergeudet, bestochen, dass es wirklich auf mein Tröpflein, das ich mit soviel Mühe, Aufopferung, Selbstverleugnung, Demütigung verdiene, nicht mehr ankommt. 16. Oktober 1930 Schon um viertel 11 h niedergelegt gestern. Heute gegen 8 h früh sonderbaren Traum: In Wien, irgendwo, vielleicht Heiligenkreuz oder Grinzing. Wir wohnen in einem schmalen Haus, senkrecht ein kleiner Platz, eine sonnenbeschienene Hausfront. Vor dieser großen Menschenmenge, Polizeiaufgebot, namentlich drei Reihen Berittener, deutlich vor mir dicke, braune Pferdeärsche. Ich renne herunter, nachzusehen, was los sei. „Kaiser Franz Joseph soll hingerichtet werden“. Ich sehe nicht viel, nur plötzlich ein großes Eisen, mattgrau, wie eine matte Pflugschar, in mitten ein kreisrunder roter Fleck, – die Guillotine, dann später, einen Moment nur, den weißen Kopf des Kaisers mit blutigem Hals in der Faust eines Kerls – erwache tieferschüttert, denn ich träume sehr selten, sehr selten so plastisch. (…) 9. November 1930 Wieder eine Premiere vorbei, die vom Weißen Rössl im Großen Schauspielhaus. Ich habe so das Gefühl, es war meine letzte dort. Zu berichten wird über die Kritiken sein, die sich nach den Montagsblättern nicht sehr günstig anlassen. – So Wurst! – Meine künstlerische Position wird eine schlechte Presse nicht erschüttern, eine gute nicht fördern, und ich bleibe der, von der Presse nicht im entferntesten seiner wahren Begabung nach anerkannte, Ralph Benatzky, so oder so. Also nur: Mittel zum Zweck. Mittel = Komponieren, Zweck = ein auskömmliches Bürgerleben. (…) 17. September 1930 Die erste Probe bei Charell mit Weißes Rössl, ich müsste mit Cocktail anfangen, es will sich mir so gar nicht. (…) 30. September 1930 Die Situation in Deutschland ist schwierig Matthias Kupke, Marcos Liesenberg, Opernchor, Extrachor 7 8 Kleines „Rössl“-Wörterbuch Österreichisch – Deutsch 9 Beuschel Ragout von Kalbsinnereien (Herz, Lunge, Zunge) BusserlKuss ErdäpfelKartoffel G’frettMühsal, Plage, Ärger GspusiLiaison, Flirt Kaiserschmarrn in kleine Stücke gerissener Eierkuchen Kaisersemmel Brötchen mit 5 bogenförmigen Einschnitten KarfiolBlumenkohl Mehlspeis Oberbegriff für diverse Speisen, die als Nachspeise serviert werden (Süßspeisen, Gebäcke, Kuchen) MilliMilch MusiMusik narrischverrückt NierndlNiere RisibisiReis mit Erbsen SchmarrnBlödsinn SchlagobersSchlagsahne es regnet Schnürl es regnet Bindfäden SemmelBrötchen a tulli g’stelltes Maderl eine fesche junge Frau Ui Jegerl Ausruf des Bedauerns oder Erschreckens verrückte Mucken im Kopf haben verrückte Idee haben Watschen Ohrfeige Jens Wassermann, Vanessa Rose Die wechselvolle Geschichte eines Erfolgsstückes von Juliane Hirschmann Alec Otto, Helmut Kleinen „Berlin hat eine neue Attraktion, die man gesehen haben muss, ein heiteres Spiel, eine große Schau, die den Prunk der früheren Revuen des Großen Schauspielhauses übertrifft, einer Ueber-Schau, die das Publikum entzückt.“ Die RevueOperette Im Weißen Rössl, von der der Rezensent der Berliner Uraufführung vom 30. November 1930 hier spricht, war ein Riesenerfolg für die vielen Autoren des Stücks: den Textdichter Hans Müller und den Autor der Liedtexte Robert Gilbert sowie den Komponisten Ralph Benatzky, für Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Robert Stolz und Hans Frankowski, die weitere Musiknummern komponiert hatten, für Eduard Künneke, der die Instrumentierung besorgte, und nicht zuletzt und vor allem für Erik Charell, den Produzenten der ganzen Show und Chef des Großen Berliner Schauspielhauses. Das Stück war nicht neu erfunden: Die Geschichte um die Rösselwirtin und ihren verliebten Kellner, die auf eine wahre Begebenheit zurückgehen soll, hatte mit dem gleichnamigen Lustspiel von Oscar 10 11 Thomas Kohl, Nina Fallier Blumenthal und Gustav Kadelburg bereits seit Dezember 1897 deutsche Bühnen erobert und war sogar schon verfilmt worden. Ganz ohne Änderungen kam die Übertragung in die Operette jedoch nicht aus. Ergänzt hatten die Operettenautoren Anspielungen auf zeitaktuelle (teilweise auch von der damaligen Weltwirtschaftskrise inspirierte) Gegebenheiten um 1930. Der mürrische Giesecke etwa ist anders als im Lustspiel kein Produzent von Petroleumlampen, denn die waren um 1930 längst aus der Mode gekommen, sondern von Trikotagen, insbesondere damals modernen Hemdhosen. Leopold kündigt seine Arbeit nicht mehr eigenhändig, sondern wird – so wie es 1930 während gravierender Arbeitslosigkeit auch im wirklichen Leben Realität geworden war – von der Wirtin gekündigt. Große Reisegruppen stürmen im Zeitalter des beginnenden Massentourismus hektisch das Rössl, schon auf dem Sprung zum nächsten Reiseziel. Am gewichtigsten ist jedoch die Einführung des alten Kaisers Franz Joseph, als Deus ex machina alle Probleme lösend, er tritt im Lustspiel nicht auf. Eine Figur aus einer anderen, vergangenen Welt, die scheinbar besser ist als die gegenwärtige. Die Operette riss das Berliner Publikum Anfang der 1930er Jahre mit: Eine enorm aufwendige Ausstattung, die ein ganzes Alpenpanorama auf die Bühne brachte, bot für das Auge viel zu schauen; die launige Musik aus modernen Tanzrhythmen wie Foxtrott und Tango und reichlich Jazzklängen sorgte für Stimmung. Und schließlich war das Werk witzig und durchsetzt von jeder Menge ironischer Doppelbödigkeit. Im Weißen Rössl, dem Geist der damaligen Berliner Revue-Operette entsprungen, bejahte nicht die Wirklichkeit, sondern begegnete ihr mit reichlich (humoriger) Distanz. Nicht weniger als Verhöhnung des boomenden Reisetourismus etwa spricht aus Sätzen wie „Das ist der Zauber der Saison! Da trägt die Landschaft Zinsen.“ Die touristische Suche nach Erholung in „gesunder Natur“ hat fast zwanghafte Züge. Auch an Frivolitäten spart das Stück nicht, freilich hinter intelligenter Doppelbödigkeit versteckt wie im Tango-Duett zwischen Sigismund und Klärchen, wenn es im Refrain heißt: „Und als der Herrgott Mai gemacht, da hab’ ich es ihr beigebracht! Ein Vöglein hat gepfiffen, da hat sie es begriffen! Der Frühling hat ihr Mut gemacht, und deshalb hat sie’s gut gemacht! Und heute, ja, man wundert sich, kann sie’s besser noch als ich.“ Das Stück machte Furore, nicht zuletzt dank der Darsteller, die Erik Charell für Berlin bestimmt hatte. Es waren renommierte Parodiekünstler wie Max Hansen und Siegfried Arno, Kabarett- und Kleinkunststars. Als einziger Opernsänger war Walter Jankuhn in der Rolle des Dr. Siedler engagiert worden. Auch in London, Wien, Paris und New York eroberte das Stück innerhalb kurzer Zeit die Bühnen. Doch dann war, zumindest auf den deutschsprachigen Bühnen, erst einmal Schluss, denn die Nationalsozialisten verboten das Werk; es galt ihnen als „entartet“. „Selbstverständlich hat das Dritte Reich die typisch jüdische und stark verjazzte Operette allmählich ausschalten müssen“ hieß es 1939 in der Neuausgabe von Reclams Operettenführer. Ein großer Teil der Autoren des Weißen Rössl – Erik Charell, Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Hans Müller – waren jüdisch; doch auch die Machart des Stückes erregte Anstoß: die Musik mit ihren modernen amerikanischen Tanzrhythmen oder der besondere Humor, der die Wirklichkeit eben nicht bejaht und keine ungebrochen heile Welt anbietet. Nach 1945 kehrte es zurück, doch in völlig anderer Gestalt: Die Wiederbelebung erfolgte aus dem Geist des Operettenideals, wie es die NS-Zeit geprägt hatte. Im Weißen Rössl wurde zu einer seichten Heimatoperette, in der der frech-spritzige Charakter nahezu verloren gegangen war. Wie auch in der berühmtesten Rössl-Verfilmung nach 1945 mit Peter Alexander und Waltraut Haas aus dem Jahr 1960. Eine Uminstrumentierung in den 1950er Jahren gab dem Werk schließlich einen anderen Klangcharakter. Eine Wende brachte eine Aufführung 1994 in der Berliner Bar jeder Vernunft u. a. mit Max Raabe und Otto Sander. Sie besann sich auf das Ideal der Uraufführung und prägt seither die Beschäftigung mit dieser Erfolgsoperette. 12 Interview mit einem Kellner: 28 Jahre (Ober-)Kellner im Wiener Kaffeehaus Landtmann Interview von Peter Roos in der ZEIT vom 22. Dezember 2003 (Auszüge) Herr Robert, Sie haben 28 Jahre – also fast ein halbes Leben – im berühmten Wiener Kaffeehaus Landtmann verbracht. Es gibt in ganz Österreich keinen Kellner, der so bekannt ist wie Sie. Jetzt geht der legendäre „Herr Robert“ in Pension. Auch eine Legende hat ihren Pensionsanspruch! Was muss ein guter Ober können? Grüßen. Ein Ober muss grüßen können! Den Menschen im Gast erkennen. Den Stammgast erkennen, denn das Kaffeehaus lebt vom Stammgast, und aus jedem Gast kann ein Stammgast werden. Und der will mit Namen begrüßt sein. Und mit Titel! Recht ham S’. Jeder Nudeldrucker will doch ein „Herr Doktor“ sein – also wird er promoviert oder gleich zum „Herrn Professor“ befördert. Ein Kaffeehaus-Gesetz ist naturgemäß, dass der Ober den wahren Titel seines Gastes kennt. Ich habe sogar noch einen echten „Rittmeister“ zu bedienen. Der Ober muss naturgemäß das Tablett jonglieren können. Besser, der jongliert nicht. Ein Ober trägt das Plateau! Körperbeherrschung. Geschicklichkeit. Geschwindigkeit. Flink muss er sein, der Herr Ober. Im Service hab ich mühelos 13 Dessert-Teller mit Wiener Würstl am Arm – das ist Voraussetzung. Man hat ja schließlich nicht umsonst drei Jahre gelernt. Aber das Wichtigste ist: Diesen Beruf muss man lieben, unbedingt lieben: wissen S’ eh, was ich mein. Wer nicht zum Dienen bereit ist, der soll sich die Fers’n geb’n. Dienen, bitte, ist nicht devot! Bedienung heißt nicht Bückling. Der Gast ist ein Partner, dem der Ober etwas bieten will. Der Gast ist der König – doch der Chef bin ich! Was ist ein „Weltgast“? Ein Gast, der sich zu benehmen weiß. Der nicht in den Saal stürmt wü ein Wülder. Der sich aus der Garderobe helfen lässt, der platziert werden will – der einfach seinen Benimm hat. Einen Benimm haben meine älteren Gäste eh auch noch. Noch. Was ist Ihnen der liebste Gast? Der zufriedene Gast. Der Gast, der wiederkommt. Der eine Kultur hat. Der weiß, was sich gehört. Oder, wenn er’s nicht weiß, dass er sich erziehen lässt – nicht mit dem Stecken. Charmant erziehen lassen, sich verwöhnen lassen, was lernen. Aber das sind die vergangenen Zeiten. Da war das Wort „Zeit“ noch kein Begriff. Die Gäste, die schon weg sind, bevor sie überhaupt eintreffen, die vermehren sich wie die Hasen. Die wollen ihren Tafelspitz schon vor der Bestellung verspeist haben. Na, na – so geht’s ned. Das ist kein Leben, das ist eine Hetz. Ein Druck. Eine Hektik, und die kommt aus Deutschland. gemäß. Ohne die Höflichkeit geht schon gar nichts. Und mit Wiener Charme rennt eh alles. Sie tragen auch bei 40 Grad im Schatten einen Smoking. Kann man da noch charmant sein? Ein Ober schwitzt nicht! Auch im Sommer schwitzt ein Ober nicht! Auch wenn ich 45 Kilometer laufen tu am Tag, wenn draußen der Schanigarten (Garten des Lokals, Anm. d. Red.) offen ist. 15 Kilometer sind’s im Winter. Da brauch ich natürlich Maßschuh mit eigener Federung. Zwei warme Smokings für die Kälte, zwei leichte für die Hitzen, die korrekte Kleidung dient ja auch der Darstellung – ein Ober hat immer Auftritt. Dem weiblichen Gast gegenüber legen Sie Ihren Kopf immer so hübsch leicht schräg zur Seite – und zum Schluss werden Sie Und was kommt noch aus Deutschland? Das kleine Trinkgeld. Aber, andere Länder sind auch nicht besser. Das richtige Trinkgeld zahlt eh nur der Wiener. Der weiß zu schätzen, was ein guter Service ist. Der weiß auch, wie schlecht wir bezahlt werden. Obwohl das soziale Ansehen unseres Berufes in Österreich höher ist als anderswo. Verhalten sich Frauen im Café anders als Männer? O jö. Also, mein Herr – die Damen, die wollen Länge mal Breite! Die wollen betreut werden mit ihren 100 Sonderwünschen, und alles wollen sie haben, die Damen. Müsli ohne Müsli, den Kleinen Braunen in der großen Melange-Tassen, mit Schaum, ohne Obers, sehr wählerisch. Die Damen müssen betreut werden, die Herren werden einfach nur bedient, wissen S’ eh, was ich mein. Höflich natur- Marcos Liesenberg, Nina Fallier auch schon mal geküsst! Busseln täten die mich schon gerne alle. Gab es auch eine unschöne Situation in Ihrer 46-jährigen Service-Zeit? Einmal kam der Opernsänger Rudolf Schock mit seinen Freunden ins Haus, setzt sich, bestellt, steht auf, um eine Ansprache zu halten mit großer Stimme; als er bühnenreif seinen rechten Arm in die Luft schmeißt, gibt er mir eine Mordswatschn, ich geh zu Boden, die sieben Kaffee und die Stamperl mit dem Cognac segeln durch die Loge. Was war Ihr schönstes Erlebnis? Wie ich meine liebe Gattin Gerda geheiratet habe. Und der Höhepunkt Ihrer Karriere? Dass sie zu Ende ist. 13 14 Die industrialisierte Idylle von Gerd Rienäcker Abgeschiedene Landschaft, See, Berge ringsum, ein Gasthof mit Stallungen, die Wirtin holdlächelnd vor der Türe, die Gäste zu empfangen. Und kommen die Gäste, so ist es mit der Idylle vorbei – hastig lassen sie sich die Gegend zeigen, hastig setzen sie sich zu Tische. Kaum ist ihnen zu essen, zu trinken gebracht worden, so mahnt der Reiseführer zur Weiterfahrt, verlangen sie nach dem Zahlkellner, als ob keine Zeit zu verlieren sei: In der Tat, es ist keine Zeit zu verlieren; es gibt Zeit, Muße nicht mehr. Wer die Landschaft am Wolfgangsee besucht, trägt alle jene Veränderungen der Raum- und Zeitstruktur im Gepäck, die die große Industrie nicht erst der zwanziger Jahre mit sich gebracht hat: Erreichbar muss alles sein, nach Möglichkeit im Handumdrehen; jede Minute, erst recht Stunde dafür aufzubringen ist schon zu viel (…). Und so bringen die Reisenden jene Großstadt, aus der sie zu entfliehen glauben, die große Industrie, in der sie zuhause sind, geradewegs in die Idylle, um sie stracks ins Gewohnte, in die Großstadt, in die große Industrie zu verwandeln. Nicht nur dies: Die Hastigkeit, mit der die Landschaft wahrgenommen wird, die 15 Ungeduld, mit der die Gäste nach dem Zahlkellner rufen, kaum dass sie bedient wurden, entpuppt sich als Kainsmerkmal ihrer Besitzermentalität: Nicht teilhaben möchten sie an den Wundern der Natur, sondern was das Auge und Ohr reizt, soll unterworfen, in Besitz genommen werden (…). Sie nun, die Hast und Besitzermentalität, gehorchen einem wahrhaft allmächtigen Diktat: Dem des Geldes, des Kapitals, und dies zu Zeiten, da es in unheilvolle Bewegung gekommen ist. Ganz nebenher ist von Börsenspekulationen die Rede, auch von zweideutigen Geschäften oder vom Ruin kleiner und mittlerer Betriebe. Dergestalt halten die krisenhaften Wirren der endzwanziger Jahre Einzug ins, ach, so ehern Abgeschiedene. (…) Tatsächlich ist das schöne Wirtshaus am Wolfgangsee auf Kundenfang, die schöne Wirtin Josepha Vogelhuber könnte sonst nicht leben, nicht überleben; sie ist auf diese Hast, auf diese Besitzermentalität angewiesen, eingerichtet, ja, sie fordert sie heraus – aufgetragen ist die ländliche Idylle, aufgetragen ihr holdselig gewinnendes Lächeln, Warenmarke all dies, und keiner schelte sie darob. Mitglieder der Ballettkompanie und des Opernchores Ballettkompanie Gesellschaftlicher Wegweiser für alle Lebenslagen von Gottfried Andreas (1930) Auf Reisen Das Reisen dient den verschiedensten Zwecken. Der eine reist, um die Schönheiten der Natur zur genießen, der andere, um fremde Länder, Städte und Völker zu sehen und zu studieren, der dritte aus gesundheitlichen Gründen, der vierte will sich unterhalten und die Zeit möglichst angenehm verbringen; der eine will auf der Reise einen erlebten Schmerz überwinden, der andere einen passenden Lebensgefährten finden, dieser will Geschäfte machen und jener reisen, weil es nun einmal Mode ist. Fast alle aber reisen deswegen, um sich ferne von ihrem Heimatort einer gewissen Zwanglosigkeit hinzugeben. Der werbende Mann Sommeraufenthalt und Reisen bieten gute Gelegenheiten, das fremde Element kennenzulernen. Ein freundlicher Gruß wird in der Fremde leichter erwidert; man sieht einander täglich einige Male, überreicht bereitwillig die gewünschte Zeitung, (…) ist beim An- und Ablegen einer Umhülle behilflich – ein paar Worte dazu sind rasch gesprochen, und der erste gemeinsame Spaziergang wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Gleich aus den ersten Worten der jungen Dame muss der Mann zu erkennen suchen, welcher Wesensart sie ist, um sich danach einstellen und ihr gefallen zu können. Ist sie romantisch veranlagt, wird sie für abenteuerliche Helden- und komplizierte Liebesgeschichten schwärmen. Sie hat viel Einbildungskraft und erwartet von der Liebe Außergewöhnliches. Ihr männliches Ideal muss mutig und im Sport sehr tüchtig sein, er darf keinen zu nüchternen Beruf haben oder muss denselben mit einem gewissen Nimbus zu umgeben verstehen. (...) Ist die Dame schüchtern, so gewöhne man sie erst im Kreise der ihr gewohnten Gesellschaft an längere Zwiegespräche und warte mit Geduld, bis die Neigung allmählich aufkeimt. (...) Die Werbung suchende Frau Das junge Mädchen von heute verschmäht es, als Haustöchterchen geduldig auf den Freier zu warten (…). Es ist daher der gesellschaftliche Verkehr ebenso freier geworden, wie der Konkurrenzkampf der Mädchen um den heiratsfähigen Mann sich schärfer und offener gestaltet hat. Jedes Mädchen hüte sich davor, in jedem Blick, in jedem Wort des Mannes schon eine Werbung zu sehen! Hat der Mann auf ein kleines Entgegenkommen nicht reagiert, dann spiele sie nicht die Beleidigte, sondern gehe darüber hinweg, unterdrücke die eigenen Wünsche und wende sich neuen Zielen zu! (...) Ralph Benatzky über „Das Geheimnis des Schlagers“ 16 Was ist ein Schlager? Der mehr oder minder originelle, mehr oder minder witzige, aber immer dich fast brutal anspringende Refrain – oder auch bloß die Anfangstakte – eines Liedchens, das sich dir nach kurzem Hören unbewusst einprägt, das dich, weil es andern ebenso geht wie dir, überall und überallhin verfolgt, das dich erst achselzuckend, dann lächelnd, dann summend, dann nervös und schließlich rasend macht, das sich dir ungewollt auf die Lippen drängt und das du verächtlich fallen lässt, sobald du seiner gewahr wirst, das du nie rufst und das doch da ist, um dich, in dir, täglich, stündlich, einen, zwei, drei Monate lang, bis es eines Tages ebenso plötzlich verschwindet wie es aufleuchtete ... la chanson est morte, vive la chanson, denn: Ein neuer König ist aufgetaucht, ein neuer Appell, ein neuer Schlager! Alle meine Berufskollegen kennen die typische Wendung des guten Bekannten aus dem Theaterfoyer: „Sie schütteln das doch nur so aus dem Ärmel.“ Die guten Bekannten! Sie ahnen nicht, dass nichts schwerer ist, als einen Schlager zu schreiben! Alec Otto, Juliane Flemming Mitglieder des Opernchores Denn es gehört dazu: a) die absolute, selbstverständliche, ungekünstelte, vollkommen natürliche Übereinstimmung von Text und Musik; b) ein möglichst geringer Tonumfang und eine leicht singbare Tonlage; c) ein Ins-Ohr-Gehen, aber auch ein Nichtzu-sehr-ins-Ohr-Gehen; d) irgendeine aparte, überraschende oder zumindest unerwartete harmonische oder rhythmische, aber ja nicht melodische Wendung, der Angelhaken, mit dem die Aufmerksamkeit des Hörers gefangen wird; e) eine gute und logisch vorbereitende, kurze Vorstrophe; f) die richtige Länge oder Kürze des ganzen Opus; g) der psychologisch richtige Moment des Erscheinens; h) Aufnahmefähigkeit des Marktes, verursacht durch Aktualität des Opus, und i) etwas Chance und tausend andere Imponderabilien, die sich nicht erklären lassen. 17 Textnachweise: Reiner Zimmermann, Operette, in: Von heute auf übermorgen. Operette und künstlerische Avantgarde in den 1920er-Jahren, in: Wolfgang Schaller (Hrsg.), Operette unterm Hakenkreuz. Zwischen hoffähiger Kunst und „Entartung“. Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden, Berlin 2007, S. 17-19; Aus dem Tagebuch von Ralph Benatzky, in: Ralph Benatzky. Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1949, hrsg. von Inge Jens und Christiane Niklew, Berlin 2002; Interview mit einem Kellner: 28 Jahre (Ober-)Kellner im Wiener Kaffeehaus Landtmann. Interview von Peter Roos in der ZEIT vom 22. Dezember 2003, in: http://www.zeit.de/2004/01/Interview _ 2fRobert?page=1; Gerd Rienäcker, Die industrialisierte Idylle, in: http://edoc.hu-berlin.de/oa/reports/reT0woDXtFJ/PDF/28STnRvBjaVSA.pdf; Gottfried Andreas, Gesellschaftlicher Wegweiser für alle Lebenslagen, Wiedlingau-Wien 1930; Ralph Benatzky über „Das Geheimnis des Schlagers“, in: Fritz Henneberg, Es muss was Wunderbares sein… Ralph Benatzky. Zwischen Weißem Rössl und Hollywood, Wien o.J., S. 98/99. Die Inhaltsangabe auf S. 5 und der Artikel Die wechselvolle Geschichte eines Erfolgsstückes S. 9-11 sind Originalbeiträge von Juliane Hirschmann für dieses Programmheft. Die Probenbilder von Tilmann Graner entstanden neun Tage vor der Premiere auf der Klavierhauptprobe. (www.foto-tilmann-graner.de) Impressum Herausgeber: Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH Spielzeit 2008/2009, Intendant: Lars Tietje, Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann, Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, Nordhausen Programmheft Nr. 4 der Schlossfestspiele Sondershausen Jens Wassermann, Mitglieder der Ballettkompanie Schlossfestspiele Sondershausen Postfach 11 20 | 99701 Sondershausen Telefon (0 36 32) 6 22-7 02 Telefax (0 36 32) 6 22-4 04 [email protected] www.schlossfestspiele-sondershausen.de