Im Weißen Rössl - Schlossfestspiele Sondershausen

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 Ralph Benatzky
Im Weißen Rössl
Schlossfestspiele Sondershausen 2009
Ralph Benatzky
Im Weißen Rössl
Singspiel in drei Akten
(frei nach dem Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg)
von Hans Müller und Erik Charell
Text der Gesänge von Robert Gilbert
Sechs musikalische Einlagen von Bruno Granichstaedten,
Robert Gilbert, Robert Stolz und Hans Frankowski
Musik von Ralph Benatzky
Uraufführung am 30. November 1930 in Berlin
Matthias Kupke, Marcos Liesenberg, Jessika Rieck, Mitglieder des Opernchores
„Ich glaube, man ringt sich nur mit großer Anstrengung zur Leichtigkeit durch.“
Ralph Benatzky, Tagebucheintrag vom 16. Mai 1930
Eine Veranstaltung der Theater Nordhausen / Loh-Orchester Sondershausen GmbH
im Auftrag der Stadt Sondershausen
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Nina Fallier, Helmut Kleinen, Ballettkompanie, Opernchor
Liebe Besucherinnen und Besucher der Schlossfestspiele Sondershausen,
sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Sommer gehen die Schlossfestspiele Sondershausen bereits in das vierte
Jahr. Ich freue mich sehr darüber, dass die Festspiele unserer Musikstadt bereits zu einer
festen Institution im Kulturleben Nordthüringens geworden sind.
Nach der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß vor zwei Jahren präsentieren
wir Ihnen in diesem Sommer erneut eine Operette: „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky. Dieses Werk, das Zuhörer seit der Berliner Uraufführung im November 1930 durch
seinen geistreichen Witz ebenso wie durch seine spritzige und ohrwurmtaugliche Musik
immer wieder von neuem begeistert, entführt Sie in die Urlaubswelt am berühmten
Wolfgangsee.
In diesem Jahr öffnen wir den Schlosshof für Sie bereits 90 Minuten vor der Vorstellung,
und auch im Anschluss an den Operettenabend sind Sie herzlich eingeladen, dort zu verweilen. Ein reiches gastronomisches Angebot wird Ihre kulinarischen Wünsche erfüllen.
An drei Abenden darf außerdem noch gefeiert werden; für musikalische Unterhaltung
sorgen die Sängerinnen und Sänger.
Fühlen auch Sie sich bei uns als Urlaubsgast und lassen Sie sich während Ihres Aufenthaltes rundum verwöhnen!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen schöne Stunden im historischen Schlosshof unserer
Musik- und Bergstadt Sondershausen.
Ihr
Joachim Kreyer
Bürgermeister der Stadt Sondershausen
Die Handlung
1. Teil
Es ist Urlaubszeit im Hotel Weißes Rössl. Eine
Reisegruppe besucht soeben das Hotel für einen kurzen Aufenthalt. Oberkellner Leopold
Brandmeyer hat alle Hände voll zu tun. Auch sonst hat er es nicht leicht: Er ist verliebt in
seine Chefin, die Wirtin Josepha Vogelhuber. Doch sie freut sich auf ihren Stammgast Dr.
Otto Siedler, einen Rechtsanwalt aus Berlin.
Wilhelm Giesecke und seine Tochter Ottilie aus Berlin reisen an. Der mürrische Fabrikant
wünscht ein Zimmer mit Balkon. Doch das einzige Balkonzimmer ist bereits an Siedler vergeben, jenen Rechtsanwalt, der in einem Rechtsstreit zwischen Giesecke und dessen Geschäftskonkurrenten Sülzheimer die Gegenseite vertritt. Leopold entscheidet eigenmächtig,
das für Siedler bestimmte Zimmer an Giesecke abzugeben. Der inzwischen eingetroffene
Gast aber besteht auf sein Zimmer Nr. 4, und es kommt zu einem Streit mit Giesecke. Für
die schöne Tochter Ottilie ist Siedler hingegen bereit, sein Zimmer abzutreten. Leopold freut
sich über dieses Interesse an Ottilie und ermuntert sie, sich auf Siedlers Avancen einzulassen. Dass er zugleich Josephas Bemühungen um den Rechtsanwalt vereiteln will, provoziert
schließlich Leopolds Rauswurf.
2. Teil
Gieseckes Plan, über eine Liaison zwischen seiner
Tochter und dem Sohn des Konkurrenten, Sigismund Sülzheimer, der auf Veranlassung Dr.
Siedlers ebenfalls in das Weiße Rössl gekommen ist, eine Beilegung seines Geschäftsstreits
zu erreichen, wird rasch durchkreuzt: Sigismund verliebt sich in das lispelnde Klärchen, und
Ottilie hat schnell nur noch Augen für Siedler.
Josepha muss erfahren, dass sie Leopold nicht entbehren kann, denn der Kaiser Franz Joseph
hat seinen Besuch ankündigt. Leopold ist bereit, ihr noch einmal zu helfen. Leopolds Begrüßungsrede vor dem Kaiser geht vor Aufregung gründlich daneben. Das Gespräch mit dem
Kaiser bringt Josepha zur Einsicht. Sie erkennt, dass Leopold sie aufrichtig liebt und stellt ihm
ein Zeugnis aus – das ihn als Ehemann auf Lebenszeit engagiert. Sigismund und Klärchen
finden zusammen, und auch Dr. Siedler hält erfolgreich bei Giesecke um die Hand Ottilies an.
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Operette
von Reiner Zimmermann
Ihr eigenes Gesicht erhielt die Operette
dadurch, dass nicht nur die Texte und
die dramatischen Situationen, sondern
auch die Musik Teil von Komik, Satire und
Parodie wurde. Dabei sollte es bleiben
bis ins 20. Jahrhundert. Denn zumeist
waren die Operettenautoren den Fragen
ihrer Zeit auf der Spur und reagierten
oft sehr rasch auf Modeerscheinungen
und gesellschaftliche Veränderungen
(...). Wenn man es genau besieht, wird
man finden, dass die Operette (nach
dem Ersten Weltkrieg; Anm. d. Red.)
in ihren „fortschrittlichsten“ Werken
(und das müssen nicht immer die
bekanntesten sein) nicht nur den
Anschluss an ihre Zeit gefunden, sondern
den Zeitgeist selbst mitbestimmt hat. (...)
Man sollte von den Komponisten und
Librettisten kein moralisch-politisches
Sendungsbewusstein verlangen,
das findet sich bei Autoren anderer
Gattungen, aber man kann ihnen nicht
vorwerfen, sie hätten an den Problemen
ihrer Zeit vorbeigetextet und musiziert.
(...) Dass durch die Unterhaltungsschicht
Wahrheiten über den Zustand der
Gesellschaft hindurchschimmern, ist aber
eine Erfahrung, die Operettenbesucher
schon immer machen konnten. Das
Operettenvolk stellt, anders als die
Charaktere im Schauspiel oder in der
Oper, die bürgerlichen Tugenden und
Untugenden stets durch ironische
Signale in Frage. Die herrschenden
Normen werden oft umgekehrt. Die
Happyends sind so einleuchtendunwahrscheinlich, wie sie nur in der
Operette sein können, wie sie durch
Selbstironie entstehen. Es ficht weder die
Figuren noch die Zuschauer an, dass ihre
Konfliktbewältigung Schein ist. (...)
Aus dem Tagebuch von Ralph Benatzky
1. Juli 1928
Wieder einmal im Schlafwagen, diesmal
auf der Fahrt nach Wien. Eben ist mir da
etwas Unglaubliches passiert. Der Schaffner kommt, um den Pass zu holen. Er
nimmt ihn, macht ihn auf, liest den Namen, schreit auf: „Das Glück!“, stürzt auf
die Knie, küsst meine Hände, stottert etwas von meinen Melodien, dass er mich
und meine Lieder kenne, dass sie für ihn
das Schönste auf der Welt seien, springt
auf, bittet um Verzeihung, dass er sich im
Dienste hinreißen ließ, und stürzt hinaus.
Heiliger oder Narr?
27. Juli 1930
Ich mache doch, obzwar ich zuerst große
Hemmungen dagegen hatte, die neue
Charell-Produktion das Weiße Rössl mit
Hans Müller. Da Charell alles um sich verheerend okkupiert, erklärt sich die lange
Pause der Eintragungen in diesem Buch
von selbst.
9. August 1930
Immer ist es so: An der lapidaren Kürze
der Eintragungen und an den Pausen
zwischen ihnen kann man herrlich die
Zeiten konstatieren, in denen ich in tiefer
Arbeit stecke.
Zur Zeit ist es das Weiße Rössl, zu dem
mir so viel einfällt wie schon lange nicht.
Und nur, wenn ich das (Tage-)Buch da in
der Lade liegen sehe, ergreift mich Reue
und beißen mich Gewissensflöhe, und
dann kritzel ich rasch was herein und tue
damit so als ob. Und wieder fliegt die
Lade zu und das Tagebuch schlummert
bis zum nächsten Gewissensflohbiss!
durch den Sieg der Nationalsozialisten,
ein Sieg, der mir viel weniger sonderbar
und überraschend erscheint, als man
allgemein hört. (…) Diese Nazis nun gravitieren nach rechts, ohne sich eigentlich
klar zu sein, wie weit nach rechts, ob bis
zur Wiedereinsetzung der Hohenzollern
oder nur zur Schaffung eines Diktators
aus ihren Reihen. Wahrscheinlich werden
sie, zur Regierung gelangt, 75% ihrer
Forschheit abstreifen und Kompromisse
schließen, wie es die Sozialdemokraten
taten und auch die Kommunisten in
Russland tun. Nur die Übergänge, bis
sie ans Ruder kommen, werden kosten.
Und da scheint mir die Gefahr zu liegen.
Weswegen ich vorsichtshalber noch für
3000 Dollar Mark verkaufte. Es wird mit
dem Steuergeld so irrsinnig leichtsinnig
und dumm gewirtschaftet, es wird soviel
unterschlagen, vergeudet, bestochen,
dass es wirklich auf mein Tröpflein, das
ich mit soviel Mühe, Aufopferung, Selbstverleugnung, Demütigung verdiene, nicht
mehr ankommt.
16. Oktober 1930
Schon um viertel 11 h niedergelegt gestern. Heute gegen 8 h früh sonderbaren
Traum: In Wien, irgendwo, vielleicht
Heiligenkreuz oder Grinzing. Wir wohnen
in einem schmalen Haus, senkrecht ein
kleiner Platz, eine sonnenbeschienene
Hausfront. Vor dieser großen Menschenmenge, Polizeiaufgebot, namentlich drei
Reihen Berittener, deutlich vor mir dicke,
braune Pferdeärsche. Ich renne herunter,
nachzusehen, was los sei. „Kaiser Franz
Joseph soll hingerichtet werden“. Ich
sehe nicht viel, nur plötzlich ein großes Eisen, mattgrau, wie eine matte Pflugschar,
in mitten ein kreisrunder roter Fleck, – die
Guillotine, dann später, einen Moment
nur, den weißen Kopf des Kaisers mit
blutigem Hals in der Faust eines Kerls –
erwache tieferschüttert, denn ich träume
sehr selten, sehr selten so plastisch. (…)
9. November 1930
Wieder eine Premiere vorbei, die vom
Weißen Rössl im Großen Schauspielhaus.
Ich habe so das Gefühl, es war meine
letzte dort. Zu berichten wird über die
Kritiken sein, die sich nach den Montagsblättern nicht sehr günstig anlassen. – So
Wurst! – Meine künstlerische Position
wird eine schlechte Presse nicht erschüttern, eine gute nicht fördern, und
ich bleibe der, von der Presse nicht im
entferntesten seiner wahren Begabung
nach anerkannte, Ralph Benatzky, so oder
so. Also nur: Mittel zum Zweck. Mittel =
Komponieren, Zweck = ein auskömmliches Bürgerleben. (…)
17. September 1930
Die erste Probe bei Charell mit Weißes
Rössl, ich müsste mit Cocktail anfangen,
es will sich mir so gar nicht. (…)
30. September 1930
Die Situation in Deutschland ist schwierig
Matthias Kupke, Marcos Liesenberg, Opernchor, Extrachor
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Kleines „Rössl“-Wörterbuch Österreichisch – Deutsch
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Beuschel
Ragout von Kalbsinnereien (Herz, Lunge, Zunge)
BusserlKuss
ErdäpfelKartoffel
G’frettMühsal, Plage, Ärger
GspusiLiaison, Flirt
Kaiserschmarrn in kleine Stücke gerissener Eierkuchen
Kaisersemmel
Brötchen mit 5 bogenförmigen Einschnitten
KarfiolBlumenkohl
Mehlspeis
Oberbegriff für diverse Speisen, die als Nachspeise
serviert werden (Süßspeisen, Gebäcke, Kuchen)
MilliMilch
MusiMusik
narrischverrückt
NierndlNiere
RisibisiReis mit Erbsen
SchmarrnBlödsinn
SchlagobersSchlagsahne
es regnet Schnürl
es regnet Bindfäden
SemmelBrötchen
a tulli g’stelltes Maderl
eine fesche junge Frau
Ui Jegerl
Ausruf des Bedauerns oder Erschreckens
verrückte Mucken im Kopf haben
verrückte Idee haben
Watschen
Ohrfeige
Jens Wassermann, Vanessa Rose
Die wechselvolle Geschichte eines Erfolgsstückes
von Juliane Hirschmann
Alec Otto, Helmut Kleinen
„Berlin hat eine neue Attraktion, die
man gesehen haben muss, ein heiteres
Spiel, eine große Schau, die den Prunk
der früheren Revuen des Großen Schauspielhauses übertrifft, einer Ueber-Schau,
die das Publikum entzückt.“ Die RevueOperette Im Weißen Rössl, von der der
Rezensent der Berliner Uraufführung vom
30. November 1930 hier spricht, war ein
Riesenerfolg für die vielen Autoren des
Stücks: den Textdichter Hans Müller und
den Autor der Liedtexte Robert Gilbert
sowie den Komponisten Ralph Benatzky,
für Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Robert Stolz und Hans Frankowski,
die weitere Musiknummern komponiert
hatten, für Eduard Künneke, der die Instrumentierung besorgte, und nicht zuletzt
und vor allem für Erik Charell, den Produzenten der ganzen Show und Chef des
Großen Berliner Schauspielhauses.
Das Stück war nicht neu erfunden: Die
Geschichte um die Rösselwirtin und ihren
verliebten Kellner, die auf eine wahre
Begebenheit zurückgehen soll, hatte mit
dem gleichnamigen Lustspiel von Oscar
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Thomas Kohl, Nina Fallier
Blumenthal und Gustav Kadelburg bereits
seit Dezember 1897 deutsche Bühnen
erobert und war sogar schon verfilmt
worden. Ganz ohne Änderungen kam die
Übertragung in die Operette jedoch nicht
aus. Ergänzt hatten die Operettenautoren
Anspielungen auf zeitaktuelle (teilweise
auch von der damaligen Weltwirtschaftskrise inspirierte) Gegebenheiten um 1930.
Der mürrische Giesecke etwa ist anders als
im Lustspiel kein Produzent von Petroleumlampen, denn die waren um 1930 längst
aus der Mode gekommen, sondern von
Trikotagen, insbesondere damals modernen
Hemdhosen. Leopold kündigt seine Arbeit
nicht mehr eigenhändig, sondern wird
– so wie es 1930 während gravierender
Arbeitslosigkeit auch im wirklichen Leben
Realität geworden war – von der Wirtin
gekündigt. Große Reisegruppen stürmen
im Zeitalter des beginnenden Massentourismus hektisch das Rössl, schon auf
dem Sprung zum nächsten Reiseziel. Am
gewichtigsten ist jedoch die Einführung
des alten Kaisers Franz Joseph, als Deus
ex machina alle Probleme lösend, er tritt
im Lustspiel nicht auf. Eine Figur aus einer
anderen, vergangenen Welt, die scheinbar
besser ist als die gegenwärtige.
Die Operette riss das Berliner Publikum
Anfang der 1930er Jahre mit: Eine enorm
aufwendige Ausstattung, die ein ganzes
Alpenpanorama auf die Bühne brachte, bot
für das Auge viel zu schauen; die launige
Musik aus modernen Tanzrhythmen wie
Foxtrott und Tango und reichlich Jazzklängen sorgte für Stimmung. Und schließlich
war das Werk witzig und durchsetzt von
jeder Menge ironischer Doppelbödigkeit.
Im Weißen Rössl, dem Geist der damaligen
Berliner Revue-Operette entsprungen,
bejahte nicht die Wirklichkeit, sondern
begegnete ihr mit reichlich (humoriger)
Distanz. Nicht weniger als Verhöhnung des
boomenden Reisetourismus etwa spricht
aus Sätzen wie „Das ist der Zauber der
Saison! Da trägt die Landschaft Zinsen.“
Die touristische Suche nach Erholung in
„gesunder Natur“ hat fast zwanghafte
Züge. Auch an Frivolitäten spart das Stück
nicht, freilich hinter intelligenter Doppelbödigkeit versteckt wie im Tango-Duett zwischen Sigismund und Klärchen, wenn es
im Refrain heißt: „Und als der Herrgott Mai
gemacht, da hab’ ich es ihr beigebracht!
Ein Vöglein hat gepfiffen, da hat sie es begriffen! Der Frühling hat ihr Mut gemacht,
und deshalb hat sie’s gut gemacht! Und
heute, ja, man wundert sich, kann sie’s
besser noch als ich.“
Das Stück machte Furore, nicht zuletzt
dank der Darsteller, die Erik Charell für
Berlin bestimmt hatte. Es waren renommierte Parodiekünstler wie Max Hansen
und Siegfried Arno, Kabarett- und Kleinkunststars. Als einziger Opernsänger war
Walter Jankuhn in der Rolle des Dr. Siedler engagiert worden. Auch in London,
Wien, Paris und New York eroberte das
Stück innerhalb kurzer Zeit die Bühnen.
Doch dann war, zumindest auf den
deutschsprachigen Bühnen, erst einmal
Schluss, denn die Nationalsozialisten
verboten das Werk; es galt ihnen als
„entartet“. „Selbstverständlich hat das
Dritte Reich die typisch jüdische und stark
verjazzte Operette allmählich ausschalten
müssen“ hieß es 1939 in der Neuausgabe
von Reclams Operettenführer. Ein großer
Teil der Autoren des Weißen Rössl – Erik
Charell, Bruno Granichstaedten, Robert
Gilbert und Hans Müller – waren jüdisch;
doch auch die Machart des Stückes erregte Anstoß: die Musik mit ihren modernen amerikanischen Tanzrhythmen oder
der besondere Humor, der die Wirklichkeit
eben nicht bejaht und keine ungebrochen
heile Welt anbietet.
Nach 1945 kehrte es zurück, doch in völlig
anderer Gestalt: Die Wiederbelebung
erfolgte aus dem Geist des Operettenideals, wie es die NS-Zeit geprägt hatte.
Im Weißen Rössl wurde zu einer seichten
Heimatoperette, in der der frech-spritzige
Charakter nahezu verloren gegangen war.
Wie auch in der berühmtesten Rössl-Verfilmung nach 1945 mit Peter Alexander
und Waltraut Haas aus dem Jahr 1960.
Eine Uminstrumentierung in den 1950er
Jahren gab dem Werk schließlich einen
anderen Klangcharakter.
Eine Wende brachte eine Aufführung 1994
in der Berliner Bar jeder Vernunft u. a.
mit Max Raabe und Otto Sander. Sie besann sich auf das Ideal der Uraufführung
und prägt seither die Beschäftigung mit
dieser Erfolgsoperette.
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Interview mit einem Kellner:
28 Jahre (Ober-)Kellner im Wiener Kaffeehaus Landtmann
Interview von Peter Roos in der ZEIT vom 22. Dezember 2003 (Auszüge)
Herr Robert, Sie haben 28 Jahre – also
fast ein halbes Leben – im berühmten
Wiener Kaffeehaus Landtmann verbracht.
Es gibt in ganz Österreich keinen Kellner,
der so bekannt ist wie Sie. Jetzt geht der
legendäre „Herr Robert“ in Pension.
Auch eine Legende hat ihren Pensionsanspruch!
Was muss ein guter Ober können?
Grüßen. Ein Ober muss grüßen können!
Den Menschen im Gast erkennen. Den
Stammgast erkennen, denn das Kaffeehaus lebt vom Stammgast, und aus
jedem Gast kann ein Stammgast werden.
Und der will mit Namen begrüßt sein.
Und mit Titel!
Recht ham S’. Jeder Nudeldrucker will
doch ein „Herr Doktor“ sein – also wird er
promoviert oder gleich zum „Herrn Professor“ befördert. Ein Kaffeehaus-Gesetz
ist naturgemäß, dass der Ober den wahren Titel seines Gastes kennt. Ich habe
sogar noch einen echten „Rittmeister“ zu
bedienen.
Der Ober muss naturgemäß das Tablett
jonglieren können.
Besser, der jongliert nicht. Ein Ober
trägt das Plateau! Körperbeherrschung.
Geschicklichkeit. Geschwindigkeit. Flink
muss er sein, der Herr Ober. Im Service hab ich mühelos 13 Dessert-Teller
mit Wiener Würstl am Arm – das ist
Voraussetzung. Man hat ja schließlich
nicht umsonst drei Jahre gelernt. Aber
das Wichtigste ist: Diesen Beruf muss
man lieben, unbedingt lieben: wissen S’
eh, was ich mein. Wer nicht zum Dienen
bereit ist, der soll sich die Fers’n geb’n.
Dienen, bitte, ist nicht devot! Bedienung
heißt nicht Bückling. Der Gast ist ein
Partner, dem der Ober etwas bieten will.
Der Gast ist der König – doch der Chef
bin ich!
Was ist ein „Weltgast“?
Ein Gast, der sich zu benehmen weiß. Der
nicht in den Saal stürmt wü ein Wülder.
Der sich aus der Garderobe helfen lässt,
der platziert werden will – der einfach
seinen Benimm hat. Einen Benimm haben
meine älteren Gäste eh auch noch. Noch.
Was ist Ihnen der liebste Gast?
Der zufriedene Gast. Der Gast, der wiederkommt. Der eine Kultur hat. Der weiß,
was sich gehört. Oder, wenn er’s nicht
weiß, dass er sich erziehen lässt – nicht
mit dem Stecken. Charmant erziehen lassen, sich verwöhnen lassen, was lernen.
Aber das sind die vergangenen Zeiten. Da
war das Wort „Zeit“ noch kein Begriff.
Die Gäste, die schon weg sind, bevor sie
überhaupt eintreffen, die vermehren sich
wie die Hasen. Die wollen ihren Tafelspitz
schon vor der Bestellung verspeist haben. Na, na – so geht’s ned. Das ist kein
Leben, das ist eine Hetz. Ein Druck. Eine
Hektik, und die kommt aus Deutschland.
gemäß. Ohne die Höflichkeit geht schon
gar nichts. Und mit Wiener Charme rennt
eh alles.
Sie tragen auch bei 40 Grad im Schatten
einen Smoking. Kann man da noch
charmant sein?
Ein Ober schwitzt nicht! Auch im Sommer
schwitzt ein Ober nicht! Auch wenn ich
45 Kilometer laufen tu am Tag, wenn
draußen der Schanigarten (Garten des
Lokals, Anm. d. Red.) offen ist. 15 Kilometer sind’s im Winter. Da brauch ich
natürlich Maßschuh mit eigener Federung. Zwei warme Smokings für die Kälte,
zwei leichte für die Hitzen, die korrekte
Kleidung dient ja auch der Darstellung –
ein Ober hat immer Auftritt.
Dem weiblichen Gast gegenüber legen Sie
Ihren Kopf immer so hübsch leicht schräg
zur Seite – und zum Schluss werden Sie
Und was kommt noch aus Deutschland?
Das kleine Trinkgeld. Aber, andere Länder
sind auch nicht besser. Das richtige Trinkgeld zahlt eh nur der Wiener. Der weiß
zu schätzen, was ein guter Service ist.
Der weiß auch, wie schlecht wir bezahlt
werden. Obwohl das soziale Ansehen
unseres Berufes in Österreich höher ist
als anderswo.
Verhalten sich Frauen im Café anders als
Männer?
O jö. Also, mein Herr – die Damen, die
wollen Länge mal Breite! Die wollen betreut werden mit ihren 100 Sonderwünschen, und alles wollen sie haben, die
Damen. Müsli ohne Müsli, den Kleinen
Braunen in der großen Melange-Tassen,
mit Schaum, ohne Obers, sehr wählerisch. Die Damen müssen betreut werden,
die Herren werden einfach nur bedient,
wissen S’ eh, was ich mein. Höflich natur-
Marcos Liesenberg, Nina Fallier
auch schon mal geküsst!
Busseln täten die mich schon gerne alle.
Gab es auch eine unschöne Situation in
Ihrer 46-jährigen Service-Zeit?
Einmal kam der Opernsänger Rudolf
Schock mit seinen Freunden ins Haus,
setzt sich, bestellt, steht auf, um eine
Ansprache zu halten mit großer Stimme;
als er bühnenreif seinen rechten Arm in
die Luft schmeißt, gibt er mir eine Mordswatschn, ich geh zu Boden, die sieben
Kaffee und die Stamperl mit dem Cognac
segeln durch die Loge.
Was war Ihr schönstes Erlebnis?
Wie ich meine liebe Gattin Gerda geheiratet habe.
Und der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Dass sie zu Ende ist.
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Die industrialisierte Idylle
von Gerd Rienäcker
Abgeschiedene Landschaft, See, Berge
ringsum, ein Gasthof mit Stallungen, die
Wirtin holdlächelnd vor der Türe, die Gäste zu empfangen. Und kommen die Gäste,
so ist es mit der Idylle vorbei – hastig
lassen sie sich die Gegend zeigen, hastig
setzen sie sich zu Tische. Kaum ist ihnen
zu essen, zu trinken gebracht worden, so
mahnt der Reiseführer zur Weiterfahrt,
verlangen sie nach dem Zahlkellner, als
ob keine Zeit zu verlieren sei: In der Tat,
es ist keine Zeit zu verlieren; es gibt Zeit,
Muße nicht mehr. Wer die Landschaft
am Wolfgangsee besucht, trägt alle jene
Veränderungen der Raum- und Zeitstruktur im Gepäck, die die große Industrie
nicht erst der zwanziger Jahre mit sich
gebracht hat: Erreichbar muss alles sein,
nach Möglichkeit im Handumdrehen; jede
Minute, erst recht Stunde dafür aufzubringen ist schon zu viel (…).
Und so bringen die Reisenden jene Großstadt, aus der sie zu entfliehen glauben,
die große Industrie, in der sie zuhause
sind, geradewegs in die Idylle, um sie
stracks ins Gewohnte, in die Großstadt,
in die große Industrie zu verwandeln.
Nicht nur dies: Die Hastigkeit, mit der
die Landschaft wahrgenommen wird, die
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Ungeduld, mit der die Gäste nach dem
Zahlkellner rufen, kaum dass sie bedient
wurden, entpuppt sich als Kainsmerkmal
ihrer Besitzermentalität: Nicht teilhaben
möchten sie an den Wundern der Natur,
sondern was das Auge und Ohr reizt,
soll unterworfen, in Besitz genommen
werden (…). Sie nun, die Hast und Besitzermentalität, gehorchen einem wahrhaft
allmächtigen Diktat: Dem des Geldes, des
Kapitals, und dies zu Zeiten, da es in unheilvolle Bewegung gekommen ist. Ganz
nebenher ist von Börsenspekulationen die
Rede, auch von zweideutigen Geschäften
oder vom Ruin kleiner und mittlerer Betriebe. Dergestalt halten die krisenhaften
Wirren der endzwanziger Jahre Einzug ins,
ach, so ehern Abgeschiedene. (…)
Tatsächlich ist das schöne Wirtshaus am
Wolfgangsee auf Kundenfang, die schöne
Wirtin Josepha Vogelhuber könnte sonst
nicht leben, nicht überleben; sie ist auf
diese Hast, auf diese Besitzermentalität
angewiesen, eingerichtet, ja, sie fordert
sie heraus – aufgetragen ist die ländliche
Idylle, aufgetragen ihr holdselig gewinnendes Lächeln, Warenmarke all dies,
und keiner schelte sie darob.
Mitglieder der Ballettkompanie und des Opernchores
Ballettkompanie
Gesellschaftlicher Wegweiser für alle Lebenslagen
von Gottfried Andreas (1930)
Auf Reisen
Das Reisen dient den verschiedensten
Zwecken. Der eine reist, um die Schönheiten der Natur zur genießen, der andere,
um fremde Länder, Städte und Völker zu
sehen und zu studieren, der dritte aus
gesundheitlichen Gründen, der vierte will
sich unterhalten und die Zeit möglichst
angenehm verbringen; der eine will auf der
Reise einen erlebten Schmerz überwinden,
der andere einen passenden Lebensgefährten finden, dieser will Geschäfte machen und jener reisen, weil es nun einmal
Mode ist. Fast alle aber reisen deswegen,
um sich ferne von ihrem Heimatort einer
gewissen Zwanglosigkeit hinzugeben.
Der werbende Mann
Sommeraufenthalt und Reisen bieten gute
Gelegenheiten, das fremde Element kennenzulernen. Ein freundlicher Gruß wird in
der Fremde leichter erwidert; man sieht
einander täglich einige Male, überreicht
bereitwillig die gewünschte Zeitung, (…)
ist beim An- und Ablegen einer Umhülle
behilflich – ein paar Worte dazu sind rasch
gesprochen, und der erste gemeinsame
Spaziergang wird nicht mehr lange auf
sich warten lassen. Gleich aus den ersten
Worten der jungen Dame muss der Mann
zu erkennen suchen, welcher Wesensart
sie ist, um sich danach einstellen und ihr
gefallen zu können. Ist sie romantisch
veranlagt, wird sie für abenteuerliche Helden- und komplizierte Liebesgeschichten
schwärmen. Sie hat viel Einbildungskraft
und erwartet von der Liebe Außergewöhnliches. Ihr männliches Ideal muss
mutig und im Sport sehr tüchtig sein, er
darf keinen zu nüchternen Beruf haben
oder muss denselben mit einem gewissen
Nimbus zu umgeben verstehen.
(...) Ist die Dame schüchtern, so gewöhne
man sie erst im Kreise der ihr gewohnten
Gesellschaft an längere Zwiegespräche
und warte mit Geduld, bis die Neigung
allmählich aufkeimt. (...)
Die Werbung suchende Frau
Das junge Mädchen von heute verschmäht
es, als Haustöchterchen geduldig auf den
Freier zu warten (…). Es ist daher der
gesellschaftliche Verkehr ebenso freier
geworden, wie der Konkurrenzkampf der
Mädchen um den heiratsfähigen Mann
sich schärfer und offener gestaltet hat.
Jedes Mädchen hüte sich davor, in jedem
Blick, in jedem Wort des Mannes schon
eine Werbung zu sehen! Hat der Mann auf
ein kleines Entgegenkommen nicht reagiert, dann spiele sie nicht die Beleidigte,
sondern gehe darüber hinweg, unterdrücke die eigenen Wünsche und wende
sich neuen Zielen zu! (...)
Ralph Benatzky über „Das Geheimnis des Schlagers“
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Was ist ein Schlager?
Der mehr oder minder originelle, mehr
oder minder witzige, aber immer dich fast
brutal anspringende Refrain – oder auch
bloß die Anfangstakte – eines Liedchens,
das sich dir nach kurzem Hören unbewusst einprägt, das dich, weil es andern
ebenso geht wie dir, überall und überallhin verfolgt, das dich erst achselzuckend,
dann lächelnd, dann summend, dann
nervös und schließlich rasend macht, das
sich dir ungewollt auf die Lippen drängt
und das du verächtlich fallen lässt, sobald
du seiner gewahr wirst, das du nie rufst
und das doch da ist, um dich, in dir, täglich, stündlich, einen, zwei, drei Monate
lang, bis es eines Tages ebenso plötzlich
verschwindet wie es aufleuchtete ... la
chanson est morte, vive la chanson, denn:
Ein neuer König ist aufgetaucht, ein neuer
Appell, ein neuer Schlager!
Alle meine Berufskollegen kennen die
typische Wendung des guten Bekannten
aus dem Theaterfoyer: „Sie schütteln das
doch nur so aus dem Ärmel.“
Die guten Bekannten! Sie ahnen nicht,
dass nichts schwerer ist, als einen Schlager zu schreiben!
Alec Otto, Juliane Flemming
Mitglieder des Opernchores
Denn es gehört dazu:
a) die absolute, selbstverständliche,
ungekünstelte, vollkommen natürliche
Übereinstimmung von Text und Musik;
b) ein möglichst geringer Tonumfang und
eine leicht singbare Tonlage;
c) ein Ins-Ohr-Gehen, aber auch ein Nichtzu-sehr-ins-Ohr-Gehen;
d) irgendeine aparte, überraschende oder
zumindest unerwartete harmonische oder
rhythmische, aber ja nicht melodische
Wendung, der Angelhaken, mit dem die
Aufmerksamkeit des Hörers gefangen
wird;
e) eine gute und logisch vorbereitende,
kurze Vorstrophe;
f) die richtige Länge oder Kürze des
ganzen Opus;
g) der psychologisch richtige Moment des
Erscheinens;
h) Aufnahmefähigkeit des Marktes, verursacht durch Aktualität des Opus, und
i) etwas Chance und tausend andere
Imponderabilien, die sich nicht erklären
lassen.
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Textnachweise:
Reiner Zimmermann, Operette, in: Von heute auf übermorgen. Operette und künstlerische Avantgarde
in den 1920er-Jahren, in: Wolfgang Schaller (Hrsg.), Operette unterm Hakenkreuz. Zwischen hoffähiger
Kunst und „Entartung“. Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden, Berlin 2007, S. 17-19; Aus dem
Tagebuch von Ralph Benatzky, in: Ralph Benatzky. Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919
bis 1949, hrsg. von Inge Jens und Christiane Niklew, Berlin 2002; Interview mit einem Kellner: 28 Jahre
(Ober-)Kellner im Wiener Kaffeehaus Landtmann. Interview von Peter Roos in der ZEIT vom 22. Dezember
2003, in: http://www.zeit.de/2004/01/Interview _ 2fRobert?page=1; Gerd Rienäcker, Die industrialisierte
Idylle, in: http://edoc.hu-berlin.de/oa/reports/reT0woDXtFJ/PDF/28STnRvBjaVSA.pdf; Gottfried Andreas,
Gesellschaftlicher Wegweiser für alle Lebenslagen, Wiedlingau-Wien 1930; Ralph Benatzky über „Das
Geheimnis des Schlagers“, in: Fritz Henneberg, Es muss was Wunderbares sein… Ralph Benatzky. Zwischen Weißem Rössl und Hollywood, Wien o.J., S. 98/99. Die Inhaltsangabe auf S. 5 und der Artikel Die
wechselvolle Geschichte eines Erfolgsstückes S. 9-11 sind Originalbeiträge von Juliane Hirschmann für
dieses Programmheft.
Die Probenbilder von Tilmann Graner entstanden neun Tage vor der Premiere auf der Klavierhauptprobe.
(www.foto-tilmann-graner.de)
Impressum
Herausgeber: Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH
Spielzeit 2008/2009, Intendant: Lars Tietje,
Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann,
Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, Nordhausen
Programmheft Nr. 4 der Schlossfestspiele Sondershausen
Jens Wassermann, Mitglieder der Ballettkompanie
Schlossfestspiele Sondershausen
Postfach 11 20 | 99701 Sondershausen
Telefon (0 36 32) 6 22-7 02
Telefax (0 36 32) 6 22-4 04
[email protected]
www.schlossfestspiele-sondershausen.de
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