Fall 14 Lösung

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PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT I
WINTERSEMESTER 2015/16
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 14 – L ÖSUNG
D AS M ISSVERSTÄNDNIS
A. Anspruch entstanden ....................................................................................................... 2
I.
Einigung ................................................................................................................... 2
1.
Angebot ............................................................................................................... 3
a)
Angebot des M ............................................................................................... 3
b) Angebot des B ................................................................................................ 3
aa) Tatbestand einer Willenserklärung – Erklärungsinhalt ................................ 3
bb) Wirksamwerden ........................................................................................ 4
(1) Abgabe ............................................................................................... 4
(2) Zugang ............................................................................................... 4
(a) „Strenge Vernehmungstheorie“ ...................................................... 4
(b) „Eingeschränkte Vernehmungstheorie“ .......................................... 4
(c) Streitentscheidung ........................................................................ 5
(d) Zwischenergebnis ......................................................................... 5
cc) Zwischenergebnis ..................................................................................... 5
2.
Annahme des M ................................................................................................... 6
a)
Tatbestand einer Willenserklärung – Erklärungsinhalt ...................................... 6
aa) Objektiver Tatbestand ............................................................................... 6
bb) Subjektiver Tatbestand .............................................................................. 6
cc) Zwischenergebnis ..................................................................................... 6
b) Wirksamwerden .............................................................................................. 6
c)
3.
Zwischenergebnis........................................................................................... 6
Zwischenergebnis ................................................................................................ 6
II. Zwischenergebnis ...................................................................................................... 7
B. Anspruch erloschen ......................................................................................................... 7
I.
Erlöschen durch Teilleistung gem. § 362 Abs. 1 BGB ................................................... 7
1.
Bewirken der geschuldeten Leistung gem. § 929 S. 1 BGB ..................................... 7
2.
an den Gläubiger B .............................................................................................. 7
3.
Zwischenergebnis ................................................................................................ 8
II. Nichtigkeit gem. § 142 Abs. 1 BGB ............................................................................. 8
1.
Anfechtungserklärung .......................................................................................... 8
a)
VERONIKA EICHHORN
Tatbestand ..................................................................................................... 8
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FALL 14 – LÖSUN G
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b) Wirksamwerden .............................................................................................. 8
c)
Adressat ........................................................................................................ 8
d) Zwischenergebnis........................................................................................... 8
2.
Anfechtungsgrund ................................................................................................ 9
a)
Irrtum ............................................................................................................ 9
aa) Erklärungsirrtum ...................................................................................... 9
bb) Inhaltsirrtum ............................................................................................ 9
b) objektive und subjektive Kausalität/Erheblichkeit des Irrtums ........................... 9
c)
Zwischenergebnis......................................................................................... 10
3.
Anfechtungsfrist................................................................................................. 10
4.
Zwischenergebnis .............................................................................................. 10
III. Zwischenergebnis .................................................................................................... 10
C. Anspruch durchsetzbar .................................................................................................. 10
I.
Gegenseitiger Vertrag .............................................................................................. 10
II. Keine Vorleistungspflicht ......................................................................................... 11
III. Nicht-Bewirken der Gegenleistungspflicht ................................................................. 11
IV. Ausschluss gem. § 320 Abs. 2 BGB ........................................................................... 11
V. Geltendmachung der Einrede .................................................................................... 11
VI. Zwischenergebnis .................................................................................................... 11
D. Ergebnis ....................................................................................................................... 11
Bastian (B) könnte gegen Manuel (M) einen Anspruch auf Übergabe und
Übereignung von weiteren 100 kg Weizenmehl des Typs 550 Zug-um-Zug
gegen Bezahlung von € 100,–haben. Ein solcher könnte sich aus Kaufvertrag
gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ergeben.
Voraussetzung hierfür ist, dass ein Anspruch des B gegen M auf Übergabe
und Übereignung von ursprünglich 200 kg Weizenmehl des Typs 500 zum
Preis von € 0,50/kg entstanden, nur in Höhe von 100 kg wieder erloschen
und auch durchsetzbar ist.
A.
Anspruch entstanden
Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB müsste zunächst entstanden sein.
Ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
entsteht mit Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags.
I.
Einigung
B und M müssten einen Kaufvertrag über 200 kg Weizenmehl des Typs 500
zum Preis von € 0,50/kg geschlossen haben.
Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die in Form zweier auf
Abschluss eines Kaufvertrags gerichteter, übereinstimmender und gültiger
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FALL 14 – LÖSUN G
Willenserklärungen vorliegen könnte, nämlich in Form eines Angebots und
einer Annahme (vgl. §§ 145, 147 BGB).
1.
Angebot
Es müsste ein Angebot vorliegen. Ein auf den Abschluss eines Kaufvertrags
gerichtetes Angebot muss als notwendigen Inhalt (sog. essentialia negotii)
die Parteien des Kaufvertrags, den Kaufgegenstand und den Kaufpreis
enthalten, vom Erklärenden willentlich abgegeben wurde und dem
Vertragspartner zugegangen sein.
a)
Angebot des M
Fraglich ist, ob in den Angaben auf der Homepage des M bereits ein
rechtsverbindliches Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags zu sehen ist.
Auf der Homepage des M sind zwar der Mehltyp 550 und Preis von € 0,50/kg
genannt. Jedoch könnte es bei Auslegung nach dem objektiven
Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB am Rechtsbindungswillen des M
fehlen.
Rechtsbindungswille meint, dass die Erklärung objektiv, d.h. aus Sicht des
Empfängers, auf die Bewirkung von Rechtsfolgen gerichtet ist.
Würde man die bloße Beschreibung als Angebot begreifen, würde mit jedem,
der das „Angebot“ annimmt, ein Kaufvertrag zustande kommen. Dies stellt
aber ein für den Rechtsverkehr nicht sachgerechtes Ergebnis dar, da der
Verkäufer hiermit stets dem Risiko ausgesetzt wäre, eine Vielzahl von
Verträgen erfüllen zu müssen, obwohl er nicht über ausreichend Waren
verfügt. Weiter kann er die Zahlungsfähigkeit seines Vertragspartners nicht
im Vorfeld überprüfen. Es handelt sich bei der Beschreibung auf der
Internetseite daher vielmehr nur um eine invitatio ad offerendum. Damit fehlt
es am Rechtsbindungswillen des M.
In der Beschreibung auf der Homepage des M ist daher kein
rechtsverbindliches Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags zu sehen.
b)
Angebot des B
Jedoch könnte B mit seinem Telefonanruf bei M ein derartiges Angebot
gemacht haben
aa) Tatbestand einer Willenserklärung – Erklärungsinhalt
B äußert während des Telefonats, er benötige am nächsten Tag 200 kg
Weizenmehl des Typs 550 zu dem von M auf seiner Homepage angegebenen
Preis, was auch seinem wirklichen Willen entspricht. M hat diese Äußerung
jedoch nicht so verstanden; er geht von 100 kg aus. Da folglich der Wille des
B sowie das Verständnis des M tatsächlich nicht übereinstimmen, ist die
Erklärung des B auszulegen.
Nachdem es sich bei einem Vertragsangebot um eine empfangsbedürftige
Willenserklärung handelt ist diese gem. §§ 133, 157 BGB nach dem objektivnormativen Empfängerhorizont auszulegen. Die Erklärung gilt so, wie sie der
Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte
verstehen durfte.
Ein ordentlicher Kaufmann (§ 1 HGB) ist bei Vertragsverhandlungen
aufmerksam und lässt sich nicht durch Fußballübertragungen ablenken. Ein
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normalverständiger Empfänger in der Situation des M hätte die Erklärung des
B so verstehen müssen, wie dieser sie intendiert und geäußert hatte.
Folglich liegt normativ eine Erklärung des B vor, 200 kg Mehl zum Preis von
€ 0,50/kg kaufen zu wollen. Damit liegen alle essentialia negotii vor.
bb) Wirksamwerden
Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Es wird daher nur
wirksam, wenn es von dem Erklärenden abgegeben wurde und dem
Erklärungsempfänger zugegangen ist.
(1) Abgabe
Mit dem Aussprechen am Telefon hat B alles seinerseits Erforderliche getan,
damit seine Erklärung wirksam werden kann. Er hat die Erklärung mithin
abgegeben.
(2) Zugang
Nachdem M die Erklärung falsch verstanden hat, ist fraglich, ob ihm die
Erklärung dies B zugegangen ist.
Eine telefonische Willenserklärung gilt gem. § 147 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1
BGB
als
Willenserklärung
unter
Anwesenden.
Der
Zugang
empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Anwesenden ist im Gesetz
nicht geregelt. Nach einhelliger Auffassung ist diese Lücke unter
Heranziehung des in § 130 Abs. 1. S. 1 BGB zum Ausdruck kommenden
Grundgedankens zu schließen und dabei danach zu unterscheiden, ob es sich
um den Zugang einer verkörperten (i.d.R. schriftlichen) oder einer nicht
verkörperten (i.d.R. mündlichen) Erklärung handelt.
Nota bene: Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine verkörperte
Willenserklärung unter Anwesenden nach den gleichen Kriterien zugeht wie eine
verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden, also dann, wenn sie so in den
Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser bei Zugrundelegung
gewöhnlicher Verhältnisse von ihr Kenntnis nehmen kann. 1
Vorliegend handelt es sich um eine nicht verkörperte Willenserklärung. Der
Zeitpunkt ihres Zugangs ist umstritten.
(a) „Strenge Vernehmungstheorie“
Einerseits könnte eine unter Anwesenden abgegebene Willenserklärung – mit
ihrem gem. §§ 133, 157 BGB ermittelten Inhalt – dann zugehen, wenn der
Erklärungsempfänger sie akustisch richtig verstanden hat. Dies bedeutet die
tatsächliche Kenntniserlangung des Empfängers. Damit hat der Erklärende
dafür Sorge zu tragen, dass der Adressat die Erklärung vernimmt. Etwas
anderes solle nur gelten, wenn der Erklärungsempfänger das richtige
Verständnis absichtlich verhindert.
Nach dieser Auffassung wäre das Angebot des B dem M nicht zugegangen, da
dieser es falsch verstanden hat.
(b) „Eingeschränkte Vernehmungstheorie“
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass damit alle Vernehmungsrisiken dem
Erklärenden
aufgebürdet
werden,
obwohl
dem
Empfänger
eine
1
Vgl. dazu RGZ 61, 415.
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Mitverantwortung für den Verständigungsvorgang zukommt. Daher wird
diese strenge Vernehmungstheorie dahingehend eingeschränkt, dass nicht
verkörperte Willenserklärung dann als zugegangen gelten, wenn der
Erklärende nach den für ihn erkennbaren Umständen davon ausgehen durfte,
der Erklärungsempfänger habe die Erklärung richtig und vollständig
verstanden. Die Erklärung wird also wirksam, wenn für den Erklärenden
vernünftigerweise kein Zweifel besteht, dass der Empfänger die Erklärung
zutreffend vernommen hat. Folglich hat der Empfänger auf etwaige, für ihn
erkennbare Verständigungsprobleme hinzuweisen. 2
Für B war nicht erkennbar, dass M abgelenkt war und daher seine Erklärung
nicht verstanden hatte. Nachdem M auf das Angebot des B so reagierte, als
habe er den Wortlaut richtig verstanden, durfte B davon ausgehen, dass M
die Erklärung richtig und vollständig verstanden hatte. Damit ist die
Willenserklärung nach dieser Auffassung zugegangen.
(c) Streitentscheidung
Da die beiden Auffassungen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen,
ist zu entscheiden, welche Auffassung vorzuziehen ist.
Die strenge Vernehmungstheorie trägt dem Risiko Rechnung, dass das
gesprochene Wort flüchtig ist und dem Empfänger die Möglichkeit fehlt, den
Inhalt der Erklärung später nochmals abzurufen. Derjenige, der von der
Möglichkeit der mündlichen Willenserklärung Gebrauch macht muss auch das
damit verbundene Risiko vertragen, dass sie nicht richtig verstanden wird.
Für die eingeschränkte Vernehmungstheorie spricht hingegen, dass sie den
Gleichlauf mit den an den Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden
gestellten Anforderungen schafft. Die strenge Vernehmungstheorie liefert
kein überzeugendes Argument dafür, weshalb bei einer verkörperten
Willenserklärung unter An- oder Abwesenden die Möglichkeit der
Kenntnisnahme für den Zugang ausreichend, für den Zugang einer nicht
verkörperten Erklärung aber die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers
erforderlich sein soll. Darüber hinaus hat die strenge Vernehmungstheorie
zur Folge, dass für die nicht verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden
die normative Auslegung der Erklärung gem. §§ 133, 157 BGB faktisch
leerläuft. Weiterhin würde diese zu unüberwindlichen Beweisschwierigkeiten
führen.
Daher ist die von der
Differenzierung abzulehnen.
strengen
Vernehmungstheorie
propagierte
(d) Zwischenergebnis
Das Angebot des B ist dem M folglich zugegangen.
cc) Zwischenergebnis
Ein wirksames Angebot des B gegenüber M zum Kauf von 200 kg Mehl zum
Preis von € 0,50/kg liegt also vor.
2
Nach a.A. tritt keine Zugang ein, da in dem fehlenden Hinweis auf Verständigungsprobleme allenfalls
ein vorvertragliches Verschulden liege, welches zum Schadensersatz aus c.i.c. berechtigten würde.
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FALL 14 – LÖSUN G
2.
Annahme des M
Dieses Angebot müsste M angenommen haben. Annahme ist die Erklärung
des vorbehaltlosen Einverständnisses mit dem Angebot.
a)
Tatbestand einer Willenserklärung – Erklärungsinhalt
Eine Annahmeerklärung des M könnte in seiner Erwiderung auf das Angebot
des B liegen, „die Angelegenheit gehe in Ordnung.“
aa) Objektiver Tatbestand
Auch die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und daher
anhand des objektivem Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB) auszulegen.
Der Rechtsverkehr begreift M‘s Aussage „die Angelegenheit gehe in
Ordnung“ i.d.R. als Übereinstimmung mit der vom Vertragspartner
gemachten Erklärung. Aus den Gesamtumständen ergibt sich auch kein
Hinweis auf eine andere Verständnismöglichkeit. Daher durfte und musste B
die Erklärung des M so verstehen.
Bei objektiver Betrachtung, d.h. aus der Sicht eines an die Stelle des B
gedachten („in den Schuhen des B stehenden“) objektiven Beobachters,
kommt der Erwiderung des M damit der Erklärungswert einer vorbehaltlosen
Annahme des von B unterbreiteten Angebots zum Kauf von 200 kg
Weizenmehl des Typs 550 zum Preis von € 0,50/kg zu.
bb) Subjektiver Tatbestand
M wollte auch sprechen, also handeln. Zudem war ihm bewusst, dass er eine
rechtsgeschäftliche Erklärung abgab. Somit lagen Handlungs- und
Erklärungswille vor.
Lediglich der Geschäftswille könnte vom objektiv Erklärten abweichen.
Aufgrund des falschen Verständnisses des Angebots des B war der
Geschäftswille des M bei der Abgabe seiner Erklärung auf den Verkauf von
nur 100 kg – nicht 200 kg – Weizenmehl gerichtet.
Der Geschäftswille stellt jedoch aufgrund der §§ 119 ff. BGB kein
konstitutives Merkmal einer Willenserklärung dar. Sein Fehlen bzw.
Abweichen ist damit unbeachtlich.
cc) Zwischenergebnis
M hat damit sein vorbehaltloses Einverständnis mit dem Angebot des B
erklärt.
b)
Wirksamwerden
Indem B die von M abgegebene Annahmeerklärung auch korrekt vernommen
hat, ist sie diesem – nach allen Auffassungen –zugegangen.
c)
Zwischenergebnis
M hat das Angebot des B zum Abschluss eines Kaufvertrags über 200 kg Mehl
zum Preis von € 0,50/kg wirksam angenommen.
3.
Zwischenergebnis
B und M haben sich daher wirksam über einen Kaufvertrag über 200 kg Mehl
zum Preis von € 0,50/kg geeinigt.
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FALL 14 – LÖSUN G
II. Zwischenergebnis
Mangels rechtshindernder Einwendungen ist ein Anspruch des B gegen M auf
Übergabe und Übereignung von 200 kg Weizenmehl des Typs 550 zum Preis
von € 0,50/kg entstanden.
Aufbauhinweis:
Die Anfechtung kann im Aufbau entweder bei der angefochtenen
Willenserklärung selbst, oder – wie hier – nach Feststellung des Zustandekommens
eines Vertrags als rechtsvernichtende Einwendung geprüft werden. Beides führt zum
selben Ergebnis und ist logisch vertretbar.
Für Ersteres spricht, dass Gegenstand der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB nicht das
Rechtsgeschäft (hier also: der Vertrag) ist, sondern die Willenserklärung.
Andererseits spricht § 142 Abs. 1 BGB als die maßgebliche Wirknorm in ihrer
Rechtsfolge von einem "anfechtbaren Rechtsgeschäft" und nicht von der Nichtigkeit
einer Willenserklärung. Für den hier gewählten Aufbau spricht weiter, dass die
Anfechtung durch die Gestaltungserklärung zwar ex tunc wirkt, jedoch ist bis zu
dieser Erklärung ein wirksamer Vertrag vorhanden. Zudem würde die Einordnung als
rechtshindernde Einwendung bei der jeweiligen Willenserklärung zu einer sehr
verschachtelten Prüfung führen.
Wie immer gilt jedoch, Sie können den von Ihnen präferierten Aufbau wählen.
Beachten Sie aber stets: Der Aufbau ist nie zu begründen!
B.
Anspruch erloschen
Der aus dem Kaufvertrag resultierende Anspruch auf Übergabe und
Übereignung von 200 kg Mehl dürfte nicht, bzw. nur teilweise wieder
erloschen sein.
I.
Erlöschen durch Teilleistung gem. § 362 Abs. 1 BGB
Zunächst könnte der Anspruch auf Übergabe und Übereignung der 200 kg
Mehl durch Lieferung von 100 kg Mehl teilweise erloschen sein. Ein
Anspruch erlischt durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB,
Die Erfüllung eines schuldrechtlichen Anspruchs setzt nach § 362 Abs. 1 BGB
voraus, dass die geschuldete Leistung – auch teilweise (§ 266 BGB) – an den
Gläubiger bewirkt wird.
1.
Bewirken der geschuldeten Leistung gem. § 929 S. 1 BGB
Die geschuldete Leistung müsste teilweise bewirkt worden sein.
Die nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB geschuldete Leistung wird durch eine
wirksame Übergabe und Übereignung des geschuldeten Gegenstands
bewirkt.
M hat als verfügungsberechtigter Eigentümer (§ 1006 S. 1 BGB) dem B
100 kg Mehl übergeben und beide waren zumindest konkludent darüber
einig, dass das Eigentum von M auf B übergehen soll. Die Voraussetzung
einer Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB liegen damit vor.
Die gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB zudem erforderliche Übergabe liegt in der
Verschaffung des unmittelbaren Besitzes (§ 854 Abs. 1 BGB) durch Lieferung.
Damit wurde die geschuldete Leistung teilweise – im Umfang von 100 kg –
bewirkt.
2.
an den Gläubiger B
Die Leistung wurde auch an den Gläubiger B bewirkt.
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3.
Zwischenergebnis
Folglich ist der Anspruch des B gegen M auf Übergabe und Übereignung von
200 kg Mehl des Typs 550 im Umfang von 100 kg teilweise erloschen. Im
Umfang von 100 kg besteht der Anspruch fort.
II. Nichtigkeit gem. § 142 Abs. 1 BGB
Der Vertrag könnte jedoch gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig
anzusehen und damit erloschen sein. Das setzt eine wirksame Anfechtung des
Vertrags,
mithin
einen
Anfechtungsgrund
und
eine
fristgerechte
Anfechtungserklärung gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner voraus.
Aufbauhinweise: zusätzlich zu diesen drei Punkten sind bei Hinweisen im Sachverhalt
noch die Zulässigkeit der Anfechtung (Konkurrenzen) und der Ausschluss der
Anfechtung (§ 144 BGB) anzusprechen.
1.
Anfechtungserklärung 3
M müsste die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner erklärt haben,
§ 143 Abs. 1 BGB.
a)
Tatbestand
Eine Anfechtungserklärung ist jede Erklärung, die eindeutig erkennen lässt,
dass das Rechtsgeschäft wegen eines Willensmangels nicht gelten soll. Das
Wort "anfechten" braucht dabei nicht verwendet werden.
M hat hier nicht ausdrücklich eine „Anfechtung“ erklärt. Aus der Erklärung,
er habe 100 kg – statt der von B behaupteten 200 kg – verstanden und wolle
weitere 100 kg Mehl nur für € 0,60/kg liefern, geht jedoch hervor, dass er
einen Kaufvertrag über 200 kg zum Preis von € 100,– wegen dieses
Missverständnisses nicht gelten lassen wolle. Damit bringt er unzweideutig
zum Ausdruck, er wolle den Vertrag gerade wegen des Willensmangels nicht
bestehen lassen.
Eine Erklärung des M, dass er den Vertrag wegen eines Willensmangels nicht
gelten lassen will, liegt daher vor.
b)
Wirksamwerden
Für M bestanden keine vernünftigen Zweifel, dass seine gegenüber B
telefonisch abgegebene Willenserklärung von diesem nicht zutreffend
vernommen wurde. Nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie ist die
Anfechtungserklärung dem B zugegangen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog
i.V.m. § 147 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 BGB).
c)
Adressat
Richtiger Anfechtungsgegner bei einem Vertrag ist gem. § 143 Abs. 2 Alt. 1
BGB der andere Teil. Die Erklärung erfolgte gegenüber B, dem
Vertragspartner des M, mithin gegenüber dem richtigen Adressaten.
d)
Zwischenergebnis
M hat die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner B erklärt.
3
Die Anfechtungserklärung (Inhalt) und der Erklärungsadressat können auch auf gleichrangiger Ebene
geprüft werden.
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2.
Anfechtungsgrund
Weiter müsste ein Anfechtungsgrund vorliegen.
a)
Irrtum
In Betracht kommt hier ein Irrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB, der in dem
unbewussten Auseinanderfallen des objektiv Erklärten und des subjektiv
Gewollten im maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung
liegen könnte. M hat objektiv die Annahme des Angebots des B über den Kauf
von 200 kg zum Preis von € 0,50/kg erklärt, obwohl er subjektiv von lediglich
100 kg ausging. Er hat sich also geirrt.
Fraglich ist, ob dieser Irrtum beachtlich ist iSd § 119 Abs. 1 BGB.
aa) Erklärungsirrtum
Ein Erklärungsirrtum iSd § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB liegt vor, wenn der äußere
Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. M hat
sich bei seiner Äußerung, dass in Angelegenheit in Ordnung gehe, jedoch
nicht versprochen, sondern wollte genau dies sagen. Folglich entspricht der
äußere Erklärungstatbestand auch dem Willen des M. Ein Erklärungsirrtum
iSd § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB liegt damit nicht vor.
bb) Inhaltsirrtum
Weiter kommt ein Inhaltsirrtum iSd § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB in Betracht. Ein
Inhaltsirrtum liegt dann vor, wenn der äußere Erklärungstatbestand zwar mit
dem Willen des Erklärenden übereinstimmt, er aber dessen (rechtliche)
Bedeutung verkennt.
M wusste zwar was er sagte, als er B erklärte, dass die Angelegenheit in
Ordnung gehe; aber er war sich über den objektiven Erklärungsinhalt seiner
Äußerung nicht im Klaren. Vielmehr ging er subjektiv davon aus, eine andere
als die objektiv gemachte Erklärung von sich zu geben (namentlich: Annahme
eines Angebots zum Kauf von 100 kg). M irrte daher über die objektive
Bedeutung seiner Erklärung, so dass ein nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
beachtlicher Inhaltsirrtum vorliegt.
b)
objektive und subjektive Kausalität/Erheblichkeit des Irrtums
M kann seine Willenserklärung gem. § 119 Abs. 1 a.E. BGB jedoch nur
wirksam anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der
Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben
würde.
In subjektiver Hinsicht ist schon nicht ersichtlich, dass M bei Kenntnis der
Sachlage im Zeitpunkt seiner Erklärung unter allen Umständen nur 100 kg –
und nicht auch 200 kg – Mehl an B hätte verkaufen wollen.
Fraglich ist, ob M auch in objektiver Hinsicht bei verständiger Würdigung
des Falles die Erklärung so nicht abgegeben haben würde. Hierbei ist auf den
Standpunkt eines vernünftigen Menschen abzustellen, der frei von Eigensinn
und Unverstand entscheidet. M ist Müller. Ein Müller und damit
Gewerbetreibender ist grundsätzlich daran interessiert, möglichst viele
seiner Waren abzusetzen. Nachdem er weitere 100 kg Mehl zu einem höheren
Preis „anbietet“ ist er auch in der Lage, diese zu liefern. Somit ist bei
verständiger Würdigung des Falles vielmehr davon auszugehen, dass M einen
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Kaufvertrag über insgesamt 200 kg zum Preis von € 0,50/kg geschlossen
hätte.
Somit ist sowohl die subjektive als auch objektive Erheblichkeit des Irrtums
des M zu verneinen.
c)
Zwischenergebnis
Folglich liegt kein erheblicher Irrtum des M gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
vor. Nachdem auch ein eventueller Irrtum des M im Zeitpunkt seiner
Annahmeerklärung über seine Gewinnaussichten als bloßer Motivirrtum von
§ 119 Abs. 1 BGB nicht erfasst ist, ist somit kein Anfechtungsgrund
ersichtlich.
3.
Anfechtungsfrist
Hilfsgutachtlich ist anzumerken, dass bei Vorliegen eines beachtlichen
Irrtums M seine Anfechtungserklärung unverzüglich iSv § 121 Abs. 1 S. 1
BGB nach Erkennen des Missverständnisses erklärt hätte.
Aufbauhinweis:
I.d.R. wird der Anfechtungsgrund vor der Erklärung geprüft, da
sich diese darauf bezieht. Nachdem hier der Anfechtungsgrund jedoch verneint wird,
ist er aus klausurtaktischen Gründen sinnvollerweise am Ende zu prüfen. Andernfalls
müsste man auch diese Frage in einem Hilfsgutachten behandeln, was man möglichst
vermeiden sollte. Nachdem sich die Anfechtungsfrist jedoch nach dem einschlägigem
Anfechtungsgrund richtet (§§ 121, 124 BGB), kann diese erst nach Feststehen des
maßgeblichen Anfechtungsgrundes geprüft werden, hier somit nur hilfsgutachtlich.
4.
Zwischenergebnis
Der Vertrag im Ganzen ist damit nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang
an nichtig anzusehen. Der Anspruch des B gegen M auf Lieferung von
weiteren 100 kg Mehl zum Preis von € 0,50/kg ist nicht durch Anfechtung
erloschen.
III. Zwischenergebnis
Der Anspruch des B gegen M auf Übergabe und Übereignung von 200 kg
Mehl des Typs 550 ist nur im Umfang von 100 kg durch Erfüllung erloschen.
C.
Anspruch durchsetzbar
Diesen Anspruch müsste B jedoch durchsetzen können. Das ist dann der Fall,
wenn M keine rechtshemmende Einwendung (Einrede) geltend machen kann.
Hier könnte M dazu berechtigt sein, seine Leistung nach § 320 Abs. 1 S. 1
BGB zu verweigern.
Die dilatorische (= aufschiebende) Einrede des nichterfüllten Vertrags gem.
§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Kaufvertrag ein gegenseitiger
Vertrag, M nicht vorleistungspflichtig und die Gegenleistung noch nicht
bewirkt worden ist. Zudem muss die Einrede geltend gemacht werden.
I.
Gegenseitiger Vertrag
Kaufpreiszahlungspflicht und die Pflicht zur Übergabe und Übereignung der
Kaufsache stehen in einem Synallagma iSd § 320 Abs. 1 S. 1 BGB.
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FALL 14 – LÖSUN G
II. Keine Vorleistungspflicht
Da B und M weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Abrede
getroffen haben, ist M nicht vorleistungspflichtig gem. § 320 Abs. 1 S. 1
BGB.
III. Nicht-Bewirken der Gegenleistungspflicht
Weder B noch ein Dritter haben bisher den Kaufpreis bezahlt. Somit ist die
Gegenleistung i.S.d. § 433 Abs. 2 BGB noch nicht bewirkt.
IV. Ausschluss gem. § 320 Abs. 2 BGB
M hat bereits eine Teilleistung iHv 100 kg erbracht. § 320 Abs. 2 BGB ist hier
nicht einschlägig, da hier nicht die Verweigerung der Gegenleistung – des
Kaufpreises iHv € 100,– in Rede steht – sondern die Möglichkeit der
Verweigerung der bereits teilweise erbrachten Hauptleistung. 4
V. Geltendmachung der Einrede
M müsste die Einrede ferner noch geltend machen.
VI. Zwischenergebnis
M kann folglich noch die Einrede des nichterfüllten Vertrags gem. § 320
Abs. 1 S. 1 BGB erheben. Diese hat dann jedoch nur die Wirkung, dass B die
Leistung nur Zug-um-Zug gegen Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 100,–
verlangen kann (vgl. § 322 Abs. 1 BGB entspr.).
D. Ergebnis
B hat gegen M einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung weiterer
100 kg Mehl des Typs 550 Zug-um-Zug gegen Bezahlung von € 100,–.
Weiterführende Literatur:
Weiler, Frank
4
Der Zugang von Willenserklärungen, JuS 2005, 788–
793
Hätte B bereits eine Teilleistung auf den Kaufpreis erbracht, wäre die Norm einschlägig.
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