Sinfonieorchester der Universität Mozarteum Salzburg Musikalische Leitung: Dennis Russell Davies (21.10.) Studierende bei Dennis Russell Davies/Jorge Rotter (23.10.) Freitag, 21. Oktober 2011 19.30 Uhr Sonntag, 23. Oktober 2011 11.00 Uhr Großes Studio Universität Mozarteum Mirabellplatz 1 Programm Gustav Mahler (1860-1911) Sinfonie Nr. 6 in a-Moll 1. Allegro energico, ma non troppo. Heftig, aber markig 2. Scherzo: Wuchtig – Trio. Altväterisch, grazioso 3. Andante moderato 4. Finale. Sostenuto – Allegro moderato Dirigenten am 23. Oktober 2011: 1. Satz: 2. Satz: 3. Satz: 4. Satz: Paloma Brito-Domenech Hideto Nomura Christian Reif Alexandra Helldorff A wie Alm(a)-Thema B wie Besetzung Im Kopfsatz unterbricht eine Episode von 12 Takten die die Sinfonie dominierenden Marschrhythmen (→ siehe auch Marsch). Doch lange hält das schwungvolle Alma-Thema, das pralle, lebensbejahende durch strauss´schen Aufschwung charakterisierte Motiv, das selbstverständlich in A-Dur steht, nicht an. Auch Alma kann Gustav Mahler vermutlich nicht erlösen. Immerhin: ein Moment der Befreiung, heftige Musik wird kurzzeitig eliminiert. Neben dem Alma-Thema, das fragmentarisch im weiteren Verlauf mehrfach wiederkehrt, symbolisieren auch andere „Inseln“ im ersten Satz Entlastung: Vom Alma-Thema zur Almsituation: Die Glocken weisen den Weg weg vom Irdischen hin zur Abgeschiedenheit. Hier möchte man verweilen, die rasante und technophile Welt liegt weit unten zurück im Tal. Doch nur von kurzer Dauer sind diese Träume. Die Realität in Form der Marschrhythmen kehrt in den sinfonischen Verlauf rasch zurück. Violine 1 Danae Papamatthäou-Matschke / Johanna Zaunschirm / Clemens Flieder / Sandra Huber / Irina Rusu / Aloisia Dauer / Christiane Amereller / Bhoiravi Achenbach / Nina Popotnig/ Anna Godelmann / Liv Migdal / Bérengére Le Boulair / Victor Aguirre-Minarro / Màrta Lantos / Matej Haas / Lea Hausmann Das Alma-Thema Alma dazu: „Nachdem er den ersten Satz entworfen hatte, war Mahler aus dem Walde herunter gekommen und hatte gesagt: ‚Ich habe versucht, dich in einem Thema festzuhalten – ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht. Du musst dirs schon gefallen lassen.’“ Violine 2 Davide Gibellato / Csilla Pogány / Petra Varlan / Andrea Riedmann / Theresia Geier / Maria Holzer-Graf / Judith Fliedl / John Hwang / Haoyue Liao / Anna Lindenbaum / Manuel Dörsch / Celeste Williams / Ana Bajo-Duraševič / Hae-Jin Kang Viola Clara Trullén Sáez / Clemens Gordon / Janina Ibel / Arabella Bozic / Sara Marzadori / Mladen Somborac / Christoph Slenczka / Dušan Marković / Martha Windhagauer / Jovana Stojanovic / Victoria Witmer / Milica Savković Violoncello Ofer Canetti / Flurin Cuonz / Marie-Louise Wundling / Johanna Furrer / Un-Mi Han / Yeji Hwang / Ursina Braun / Beatrice Holzer-Graf / Timea Laczko-Toth / Gundula Leitner Kontrabass Andrew Lee / Andreas Müller / Stefan Milojicic / Margherita Naldini / Arisa Yoshida / Youn Hee Park / Michaela Kober / Maximilian Schmid / Thiago Paganelli Harfe Dolores Rauter / Mariam Fathy / Simon Förster / Elisabeth Eder Flöte + Piccolo Tamara Śutonja / David Gruber / Vita Benko / Andrea Mairhofer / Birgit Karoh (Piccolo) Oboe + Englischhorn Aliya Battalova / Matthias Azesberger / Mayu Wakaki / Jelisaveta Pešić / Vicente Montalt (Englischhorn) Klarinette + Bassklarinette Harald Fleißner / Minao Qu / Franziska Wallner / Susanne Schöch (Bass) / Thomas Huber (Es) Fagott Lucia Molina Pardo / Olga Garcia Martin / Yoko Fujimura / Miriam Kofler / Anita Furtner (Kontra) Horn Christian Hensel / Gabriel Cupsinar / Erik Kosak / Hyoungil Kim / David Fliri / Ellen Rydelius / Mary Elisabeth Garza / Paul Kusen / Petter Lindahl Trompete Achim Knobelspies / Bertold Stecher / Thomas Schleicher / Michael Kuess / Noemi Makkos / Rudolf Matajs / Bernhard Plagg Posaune Georg Pranger / Markus Waldhart / Thomas Weiss / Benjamin Sathrum (Bass) Tuba (Bass) Thomas Mahlknecht Pauke + Schlagwerk Kiril Stojanov / Johannes Eder / Josef Senftl / Richard Putz / Vladislav Varbanov / Paopun Amnathan Celesta Paloma Brito-Domenech Orchesterbüro Theresia Wohlgemuth-Girstenbrey C wie Charakter Mahlers Haltungen sind vielfach durch seine ihn prägende, vielleicht stigmatisierende Herkunft charakterisiert. Sein Wesen kann unter anderem als dreifach heimatlos beschrieben werden: als Böhme in Österreich, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Daraus resultiert seine gewisse Neigung zur Ambivalenz oder Verstellung. Stichwort Religion: Gerade in Wien muss er sich latent antisemitischen Angriffen aussetzen, die er durch einen Kircheneintritt abzuwehren versucht. Stichwort Ton: Zwar hält Mahler strikt an der funktionellen Tonalität fest, doch er lädiert sie gleichermaßen: Durch den Ton. Er komponiert einen verfremdeten, manchmal traumatischen Ton. Wiederholt steht, auch in der Sechsten, „schrill, klagend“ oder Ähnliches über den Noten. Es ist ein revoltierender Ton, ein Ton gegen sich selbst. Und last not least ist die Ambivalenz seines Charakters auch in seiner Haltung zu seiner Zeit zu spüren: Er ahnt das Ende einer Epoche und verhält sich in seinen letzten Lebensjahren eher als „Nichtmitmacher“ denn als Mitmacher in seiner Welt. Wer im Unglück ist, hofft. Wer glücklich ist, hat Angst. D wie Dirigent Dennis Russell Davies Dennis Russell Davies wurde in Toledo (Ohio) geboren und studierte Klavier und Dirigieren an der New Yorker Juilliard School. Seine Tätigkeit als Dirigent in Oper und Konzert, als Pianist und Kammermusiker ist gekennzeichnet durch ein breit gefächertes Repertoire, das vom Barock bis zur jüngsten Moderne reicht, durch spannende und durchdachte Programmkonstellationen und durch eine enge Zusammenarbeit mit Komponisten wie Luciano Berio, William Bolcom, John Cage, Manfred Trojahn, Philip Glass, Heinz Winbeck, Laurie Anderson, Philippe Manoury, Aaron Copland, Hans Werner Henze, Michael Nyman und Kurt Schwertsik. Nach seinen ersten Positionen als Chefdirigent des Saint Paul Chamber Orchestra (1972-1980) und des American Composers Orchestra, New York (19772002) übersiedelte er 1980 nach Deutschland und Österreich. Es folgten GeneralmusikdirektorenPosten am Württembergischen Staatstheater Stuttgart (1980-1987) und beim Orchester der Beethovenhalle, dem Internationalen Beethoven-fest und der Oper Bonn (19871995). 1995-2006 war er Chefdirigent des Stuttgarter Kammerorchesters, mit dem er alle 107 Sinfonien Joseph Haydns auf CD aufnahm. Darüber hinaus leitete er 1997-2002 das RadioSymphonieorchester Wien. 1997 wurde Dennis Russell Davies als Professor an die Universität Mozarteum Salzburg berufen, wo er seit mehr als einem Jahrzehnt sein Wissen an die Dirigierstudenten weitergibt. Seit 1999 ist er Chefdirigent des Sinfonieorchesters der Universität Mozarteum Salzburg, das sich unter seiner Leitung zu einem Herzstück und Aushängeschild des Mozarteums entwickelt hat. Zu Beginn der Saison 2009/10 übernahm er die Leitung des Sinfonieorchesters Basel. Seit 2002 ist Dennis Russell Davies Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz und Opernchef am Landestheater Linz. In seinen Konzerten widmet er sich vor allem dem Schaffen Anton Bruckners und erweitert das Repertoire des Orchesters mit Werken von internationalen Komponisten mit Schwerpunkt auf Neuer Musik. Als Gast dirigierte Davies u.a. das Cleveland und Philadelphia Orchestra, das Chicago und Boston Symphony sowie das New York Philharmonic Orchestra, während er in Europa derzeit mit Orchestern wie dem Gewandhausorchester Leipzig, der Dresdner Philharmonie, dem Orchestra Filarmonica della Scala Milano, den Münchner Philharmonikern und dem Concertgebouworkest Amsterdam arbeitet. Nach seinem Debüt bei den Bayreuther Festspielen (1978-1980) dirigierte er u.a. bei den Salzburger Festspielen, dem Lincoln Center Festival New York, der Houston Grand Opera, der Hamburger und der Bayerischen Staatsoper – mit Regisseuren wie Harry Kupfer, Götz Friedrich, Achim Freyer, Peter Zadek, Robert Altmann, Juri Ljubimov, Olivier Tambosi, Robert Wilson und Ken Russell – während er derzeit hauptsächlich mit der Lyric Opera of Chicago, der Metropolitan Opera New York und der Opéra National de Paris zusammenarbeitet. E wie Entstehung Die 6. Sinfonie komponierte Gustav Mahler in den jeweiligen Sommermonaten der Jahre 1903 und 1904. Die Instrumentation erfolgte ein Jahr später. Es sind seine glücklichen Jahre: an der Wiener Hofoper ist er als Direktor, Dirigent und Regisseur erfolgreich (sieht man von den üblichen Schwierigkeiten eines Theaterleiters einmal ab), seine Finanzen sind gefestigt, die Ehe und die Kinder sorgen für viel Lebensfreude. Das auserkorene Ziel seiner Sommerfrische ist zu dieser Zeit das Örtchen Maiernigg am Wörthersee. Dort erholten sich der Komponist und seine Familie und Mahler konnte sein Schöpfertum, das er während der Spielzeiten nicht ausleben kann, in Noten setzen. Während der jeweiligen Theaterferien entstehen so in Kärnten (19011907) und danach in Toblach, Südtirol, die Sinfonien Nr. 5 bis 9 sowie das Fragment zur 10. Sinfonie und das „Lied von der Erde“. Eigene Bekenntnisse Mahlers zur 6. Sinfonie sind nur wenige vorhanden, das meistzitierte aus dem Jahre 1904: Die Sechste „wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat“. Zwei Jahre später sagte Mahler noch einmal dazu, dass die Sinfonie „dem Hörer… dunkle Rätsel“ aufgäbe. F wie Fotografien G wie Großes Studio Jede Mahlersinfonie braucht einen voluminösen Raum, damit sich die Musik entfalten kann. Das große Studio ist bedauerlicherweise kein Glücksfall für groß besetzte Orchesterwerke wie sie in der Spätromantik oder (klassischen) Moderne verlangt werden. Fragen der Balance werden hier für jeden Dirigenten eminent und eklatant, denn die Musik und ihre Ausdehnung hat hier so gut wie keinen Platz, sie kommt viel zu schnell von den Decken und den Wänden zurück. Haben beispielsweise die Geigen etwas Wichtiges zu sagen, muss man das gesamte Orchester bewusst dämpfen. Der Klang des Orchesters wird zu einem Großteil auch von den Reflexionen abhängen. Gerne hätten wir dieses Sinfoniekonzert ins Große Festspielhaus oder in die Felsenreitschule verlegt. Leider war das aus dispositorischen Gründen nicht möglich. H wie Hammerschläge Warum Mahler die Anzahl der Hammerschläge zum Schluss der Sinfonie von 3 auf 2 reduziert hat, diese Frage beschäftigt bis heute Dirigenten und Musikwissenschafter. Je heftiger der Schlag, umso besser, es ist als ob das Schicksal zuschlägt. So oder ähnlich wird es jeder Dirigent seinen Schlagzeugern auf den Proben kommunizieren. Die Reduzierung von 3 auf 2 Schläge hängt möglicherweise mit Mahlers Welt- bzw. Todessicht am Ende seines Lebens zusammen. Er glaubt nun, in Hinwendung zur Theosophie und Anthroposophie, dass es ein Leben nach dem Tode gibt. Ein dritter Hammerschlag würde alles besiegeln, zwei eben nicht. Der Tod gilt ihm nicht mehr als Exitus, sondern als Einstieg in neue Sphären. Alma Mahler sieht in den drei Hammerschlägen die Schicksalsschläge im Leben ihres Mannes: Mit prophetischem Blick würde Gustav den Tod seiner ältesten Tochter, sein Ausscheiden aus der Wiener Hofoper sowie die Diagnose seines schweren Herzleidens in der 6. Sinfonie vorwegnehmen (→ siehe auch Interpretation). Mahler selbst strich den dritten Hammerschlag innerhalb einer umfangreichen Retusche der gesamten Instrumentation an dieser Stelle, womit er die Dynamik dieser Sequenz verminderte. Übrigens sah der Komponist zunächst sogar 5 Hammerschläge vor, doch die schlussendliche Reduzierung auf zwei Hiebe könnte bedeuten, was die Musik in Gang setzt, beendet sie auch. Immerhin: Mahler hat mit dem Hammer ein neues Orchesterinstrument implementiert. I wie Interpretation Die Sechste, ein tragisches Intermezzo, eine finstere Träumerei der Aussichtslosigkeit oder doch die Konfrontation von zwingender Urkraft und energischem Dasein? Vielleicht ist sie die tragische Widergabe eines Heldenlebens, das in Vernichtung endet? Ist die Deutung persönlicher Natur, sieht Mahler die doppelte familiäre Katastrophe voraus und verweist auf den Tod seiner geliebten Tochter Maria-Anna und sein ihn in Todesnähe bringendes Herzleiden? Oder beinhaltet die Sinfonie einen düsteren Blick auf die Zukunft und prophezeit den herannahenden Weltkrieg, gar den Holocaust? Verbrieft ist jedenfalls dank Alma Mahler: „Im letzten Satz beschreibt er sich und seinen Untergang, oder, wie er später sagte, den seines Helden: ‚Der Held, der drei Schicksalsschläge bekommt, von denen ihn der dritte fällt, wie ein Baum.’ Dies Mahlers Worte. Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten damals beide. So tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend verriet.“ Und für die Deuter in „biographistischer Manier“: für das Scherzo beschreibt die Mutter in einem Brief das arhythmische Spielen der Kinder. Jens Malte Vischer fasst seine Sicht der Dinge auf das Werk in „Der fremde Vertraute“ aus dem Jahre 2003 folgendermaßen zusammen: „Völlig klar ist, dass das Finale der Sechsten von Ende, Tod und Vernichtung ‚handelt’, ohne Ausblick, ohne Trost, ohne Verheißung.“ Der renommierte Musikkritiker Wolfgang Schreiber sieht das ähnlich: „Sie [die sechste Symphonie] drückt den Kampf des Menschen gegen die starre Materie, seine Resignation in der Einsamkeit.“ Die Aufzählungen zu Deutung und Gehalt des Werkes ließe sich beliebig verlängern. J wie Jubiläumsjahr Über Abgründen – Dieses Jahr klingt nach Gustav Mahler Wenn es eine Musik gibt, die heuer nicht zu überhören sein wird, dann ist es die von Gustav Mahler. Überall in den Philharmonien finden jetzt Aufführungszyklen seiner Sinfonien statt. Das vergangene Jahr war ein Gustav-MahlerJubiläumsjahr (150. Geburtstag), und das jetzige ist schon wieder eins (100. Todestag). Mahler liefert den Soundtrack für 2011. Man spürt den Stolz und die Selbstergriffenheit, mit der die Orchester Mahlers Werke auf die Programme setzen, denn in ihnen erstrahlt noch einmal die ganze Großartigkeit des spätromantischen sinfonischen Apparats. Sie erscheinen wie luxuriöse Kreuzfahrtschiffe des Repertoires: Die instrumentale Ausstattung ist verschwenderisch, alle Decks sind beleuchtet, angetrieben von imposanten Schiffsschrauben, brechen sie zur großen Weltumrundung auf. Da ist der Abonnent gerne dabei. Wird aber jenseits des Festlichen überhaupt noch wahrgenommen, wie sehr diese Ozeanriesen über Katastrophengrund knirschen? Das würde man gerne einmal genauer wissen: Strömen die Leute eigentlich aus Eventlust in die Mahler-Zyklen oder können sie nicht genug kriegen von den katastrophischen Hammerschlägen im Finale der Sechsten Sinfonie, der verzweifelten Lebenssinnsuche der Zweiten, der sarkastisch verstimmten Totentanz-Fiedel in der Vierten, dem »Gebrochenen« und dem »Alsob«, den Mahlerschen Scheinidyllen und den himmelblauen Jenseitsvisionen, schließlich dem erschütternden Verstummen im Adagio der Neunten? Suchen die Konzertgänger in einem Mahler-Sinfonien-Zyklus das oberflächliche Spektakel, das Hochpreisige und klassisch Gerahmte, muss man sich (einmal mehr) um den Zustand des klassischen Musikbetriebs sorgen. Dann ist die Sinfonien-Schwemme nur Ausdruck einer voranschreitenden Normalisierung und inhaltlichen Aushöhlung von Mahlers Kunst. Gehen die Leute allerdings ins Konzert, weil sie den vor 100 Jahren gestorbenen Komponisten noch immer als einen »Zeitgenossen der Zukunft« empfinden, muss man sich eher um den Zustand der Welt sorgen. Dann nämlich nehmen die Mahler-Fans das Albtraumhafte, Gärende, Zerrissene, latent Katastrophische in den Sinfonien als etwas Gegenwärtiges wahr. Sollte 2011 nicht ein konsolidiertes, freundliches Postkrisenjahr werden? Mahlers Musik klingt nicht danach. Aber die werden wir nun Monat für Monat, Sinfonie für Sinfonie hören. [Claus Spahn] K wie Karikatur Erschienen ist folgende Zeichnung nach der Wiener Premiere der 6. Sinfonie. Der Spott richtet sich gegen das bis dato noch nicht in einer Sinfonie verwendete Instrumentarium wie Herdenglocken, tiefe Glocken, Rute und natürlich der Hammer. Interessant dabei sind die dezidierten Spielanweisungen Gustav Mahlers: Die Herdenglocken sollen zur realistischen „Nachahmung von bald vereinigt, bald vereinzelnd aus der Ferne herüber klingenden Glöckchen einer weidenden Herde“ dienen. Oder für die Ausführung mit dem Hammer: „Kurzer, mächtig, aber dumpf hallender Schlag von nicht metallischem Charakter (wie ein Axthieb)“. O wie Orchester Quelle Wikipedia. Erschienen in der humoristischen Wochenzeitschrift „Die Muskete“ Und fast eigenartig mutet Mahlers Anweisung an, dass im Falle der Hammer nicht ausreichend besetzt ist, beim zweiten bzw. in der revidierten Fassung auch letzten Hammerschlag Becken und Tamtam zusätzlich zum Einsatz kommen. Aber: Der Komponist wollte mit Sicherheit keinen unbegründeten Effekt an das Ende seiner Sechsten stellen, vielmehr (s)eine bestimmte Klangvorstellung in tönende Realität umsetzen. M wie Marsch Der Marsch prägt in ganz besonderem Maße den Charakter der 6. Sinfonie. Im Scherzo ist die Musik grundsätzlich wie im Kopfsatz. Deshalb gehören die Sätze auch zusammen (→ Reihenfolge der Sätze). Das Scherzo wirkt als Variante (nicht Variation!) des 1. Satzes. Das Finale gilt überhaupt als Riesenmarsch. Er kann möglicherweise als die Vorwegnahme des 10 Jahre später komponierten Marsches aus den Orchesterstücken von Alban Berg betrachtet werden, der „Marsch in den Abgrund“ (Kriegsvorahnung) genannt wird. Das Sinfonieorchester spielt(e) als integrativer Klangkörper eine wichtige Rolle der Universität Mozarteum Salzburg. Viele namhafte Orchestermusiker konnten hier erste Podiumserfahrung sammeln und erhielten unter der Leitung großer Persönlichkeiten wie Bernhard Paumgartner, Nikolaus Harnoncourt, André Previn, Gerd Albrecht sowie Trevor Pinnock wesentliche Impulse für ihre künstlerische Entwicklung. Seitdem im Jahr 1987 Michael Gielen die künstlerische Leitung übernahm, widmet sich das Orchester nicht nur dem klassischen Repertoire, sondern studiert auch in besonderem Maße Werke des 20. Jahrhunderts (u.a. von Strawinsky, Webern und Berg) ein. Die große Niveausteigerung unter Gielens Leitung zog Einladungen zu wichtigen Konzertveranstaltungen nach sich (u.a. Salzburger Kulturtage, Wiener Konzerthaus, Konzerte in Italien, Spanien usw.). Seit 1999 ist Dennis Russell Davies Leiter dieses Orchesters und verhilft ihm zu weiterer künstlerischer Reife. In besonderer Erinnerung bleibt sein LeonardBernstein-Zyklus aus dem Jahre 2008. Im letzten Jahr wurde das Orchester nach Katowice und Stuttgart eingeladen. Regelmäßige Auftritte absolvierte das Ensemble jährlich bei der Salzburger Mozartwoche und biennal bei den Welser Abonnementkonzerten sowie bei der Salzburg Biennale. P wie Platten- und CD-Aufnahmen Die erste Platteneinspielung erfolgte unter Charles Adler 1952 mit den Wiener Symphonikern. Über 30 verschiedene Einspielungen kann sich der Liebhaber in den CD- oder Plattenschrank stellen, nicht mitgerechnet die Gesamtaufnahmen der Mahler Sinfonien. Aktuellste CDs: Michael Gielen, RSO Berlin, veröffentlicht am 15.10.11 bei Altus Kirill Kondrashin, SWR Sinfonieorchester, veröffentlicht am 12.09.11 bei Hänssler Antal Dorati, Israel Philharmonic Orchestra, veröffentlicht am 19.08.11 bei Helicon Pierre Boulez, Lucerne Festival Academy Orchestra, veröffentlicht am 31.05.11 bei Accentus R wie Reihenfolge der Mittelsätze Bis ins Heute wird die Frage von wagemutigen Forschern und wissenden Dirigenten teils polemisch diskutiert, wie die Mittelsätze gereiht werden. In der ersten Partiturausgabe im März 1906 jedenfalls steht das Scherzo an zweiter Stelle. Für die Generalprobe der Essener Uraufführung ist dieser Umstand auch durch eine Rezension belegt. Für die Uraufführung tauscht Mahler sodann die Abfolge und behält diese dann für die zwei folgenden Konzertaufführungen bei. 1920 stellte der Dirigent und Mahlerfreund Willem Mengelberg dann für ein Mahler-Fest die Mittelsätze um. Anlass war ein (bis heute nicht aufgefundenes) lapidares Telegramm Alma Mahlers: „Erst scherzo, dann andante – herzlichst alma mahler“. Mengelberg nahm damit Mahlers letzten Willen an. Mahlers eigene Aufführungen liegen zu diesem Zeitpunkt ein Jahrzehnt zurück. Hat sich Alma Mahler also geirrt? Beide Reihenfolgen ergeben jeweils einen eigenen Sinn! Der eingeschlagene Weg des Kopfsatzes führt in jedem Falle zum Finalsatz und wird dort ins Ziel geführt. Dazwischen, mit zahlreichen Verweisen und motivischen Beziehungen zu den Rahmensätzen die beiden Inseln: ein Tanz(Scherzo) und ein Liedsatz (Andante). S wie Spieldauer der 6. Sinfonie bei ausgewählten Aufnahmen Dirigent 1.Satz Abravanel:17.45 Bernstein:21.29 Bertini: 24.11 Gielen: 25.04 Karajan: 22.20 Kubelik: 21.11 Levine: 22.38 Maazel: 23.41 Mitropoulos:17.52 Sinopoli: 25.10 Solti: 21.06 Tennstedt:23.36 2.Satz 11. 46 12.27 13.39 14.36 13.24 11.45 13.40 12.49 11.24 13.40 12.33 13.04 3.Satz 13.52 15.19 16.16 14.48 17.10 14.42 15.05 16.06 15.01 19.53 15.30 17.21 4.Satz 27.26 28.45 29.30 30.40 30.13 26.36 30.10 30.01 28.36 34.29 27.40 32.57 Die Aufführungsdauer beträgt durchschnittlich 80 Minuten. Die Extreme: 1. Giuseppe Sinopoli; Philharmonie Orchestra, 1986: 92:57 min 2. Kirill Kondraschin; Leningrader Philharmoniker, 1978: 65:45 min T wie Tragische Sinfonie (und andere Beinamen) Gustav Mahlers 6. Sinfonie erhielt den Beinamen „Tragische“. Wer der Urheber dieses Untertitels ist, lässt sich bisher nicht wirklich feststellen. Erstmals scheint Mahler selbst das Etikett „Die Tragische“ für die Aufführung der Sinfonie in Wien im Jahre 1907 zu gebrauchen. Selbst wenn der Beiname nicht Bestandteil eines CD-Covers oder einer Überschrift ist, wird beim Hören des Werkes trotzdem deutlich, dass Mahler nur wenig Frohsinn in diese Sinfonie gelegt hat. Komponistenkollege Alexander von Zemlinsky nannte das Werk übrigens Mahlers „Eigentliche“. Aufgrund der Assoziationen Hammer und Eisen gab Friedrich Brandes der Sechsten den Beinamen „Krupp-Sinfonie“. Oder Wolf Rosenberg: „Die Sechste ist gewiß die aggressivste seiner Symphonien“, sie „sollte […] die >böse< genannt werden.“ U wie Uraufführung Bei den Kritikern Unverständnis, Ressentiments und zweifelnde Deutungen, im Publikum ein großer Erfolg - so lässt sich die Uraufführung der 6. Sinfonie während des 42. Tonkünstlerfestes in Essen im Jahre 1906 zusammenfassen. Mahlers virtuose Instrumentation wurde besonders gelobt, sein fehlendes Programm zum Werk getadelt. Das Scherzo wurde als der gelungenste Satz genannt. Die Wiener Erstaufführung ein dreiviertel Jahr später, wiederum ein Publikumserfolg, wurde seitens der polemisierenden Kunstrichter übler ausgeschlachtet. Mahler musste persönliche Beleidigungen einstecken. „Die 6. Symphonie ist einfacher in ihren Themen wie im Bau ihrer Sätze als die zweite, dritte und fünfte, und wird trotz der außerordentlichen Anforderungen ihren Weg vielleicht schneller machen, als manche ihrer Vorgängerinnen, eben um ihres leichtern Inhalts willen. Ein Gutes wird das nebenher im Gefolge haben: die Sorge um ausgezeichnetes Schlagzeug, das Stiefkind unserer Orchester. Richard Strauss hatte so unrecht nicht, als er in der Hauptversammlung unter Hinweis auf Mahlers Symphonie launig die Errichtung von Schlagzeug-Professuren auf unseren Konservatorien vorschlug…“ {Aus der Uraufführungsrezension der „Neuen Zeitschrift für Musik“} Ü wie Übersicht der Aufführungen zu Mahlers Lebzeiten ... Datum Ort Orchester 27.05.1906 08.10.1906 08.11.1906 14.11.1906 04.01.1907 11.03.1907 05.04.1907 Essen Essen/Utrecht Berlin Berliner Philharmoniker München Kaim-Orchester München Kaim-Orchester Wien Wiener Konzert-Verein Leipzig Winderstein-Orchester Dresden Staatskapelle Dresden Dirigent Hammerschläge Gustav Mahler Oskar Fried Gustav Mahler Bernhard Stavenhagen Gustav Mahler Hans Winderstein Ernst von Schuch 3 2 2 2 2 ? -* * In diesem Konzert zu Anlass des 10. Todestages wurden nur die beiden Binnensätze gespielt. ... und im ersten Halbjahr 2011 Datum Ort Orchester Dirigent 22.01. 24.01. 29./30.01. 18.02. 19./20.02. 20.02. 22.02. 17./18.03. 18.03. 04./05.05. 05./06.05. 08./09.05. 11./12.05. 21.05. 26.05. 29.05. 01.06. 03.06. 04.06. Santa Cruz (ES) Las Palmas (ES) Wien (AT) Frankfurt (DE) Wien (AT) Kaiserslautern (DE) Köln (DE) Innsbruck (AT) Bonn (DE) Chemnitz (DE) München (DE) Weimar (DE) Istanbul (TK) Zürich (CH) Turin (IT) San Francisco (US) Berlin (DE) Dresden (DE) Prag (CZ) Wiener Symphoniker Wiener Symphoniker Wiener Symphoniker hr-Sinfonieorchester Wiener Philharmoniker Orchester des Pfalztheaters Wiener Philharmoniker Tiroler Symphonieorchester Beethoven Orchester Bonn R.-Schumann-Philharmonie Symphonieorchester des BR Staatskapelle Weimar Istanbul Philharmonic Tonhalle Orchester Orchestra RAI San Francisco Symphony Berliner Philharmoniker Berliner Philharmoniker Berliner Philharmoniker Fabio Luisi Fabio Luisi Fabio Luisi David Zinman Semyon Bychkov Uwe Sander Semyon Bychkov Georg Fritzsch Osmo Vänskä Frank Beermann Mariss Jansons Stefan Solvom Sascha Goetzel David Zinman Semyon Bychkov Michael Tilson Thomas Simon Rattle Simon Rattle Simon Rattle V wie Videoaufnahmen Aktuellste DVDs: Hartmut Haenchen, Orchester La Monnaie, veröffentlicht am 24.01.11 bei Ica Bernsteins Mahler, verschiedene Orchester, veröffentlicht am 27.5.10 bei DG Going against Fate. David Zinman, Tonhalle Orchester, veröffentlicht am 26.01.09 bei OpusKura Claudio Abbado, Lucerne Festival Orchestra, veröffentlicht am 25.6.07 bei EuroArts Z wie Zitate Impressum: Gustav Mahler zu seiner Sechsten & ein Gastkommentar von Alban Berg Idee und Text: Henning Pankow M.A. Gestaltung: Mag. Elisabeth Nutzenberger Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen. Heil dem Dirigenten, der in meinen Partituren Änderungen anbringt, wenn der Raum und die Qualität des Orchesters es erfordern, um die Intention herauszubringen. Meine 6. scheint wieder eine harte Nuss zu sein, welche von den schwachen Zähnchen unserer Kritik nicht geknackt werden kann. „Wie gepeitscht“, „Wie wütend dreinfahren“, „Wie ein Axthieb“ [Spielanleitungen zur 6. Sinfonie] Alban Berg bekannte in einem Brief an Anton Webern, dass „doch nur eine VI. trotz der Pastorale existiere“. 4 wie 4-Sätzigkeit Mahler greift die Viersätzigkeit wie in der 1. Sinfonie erstmals in der Sechsten wieder auf. Die Ecksätze sind durch ihre Sonatenform mit überladenen Durchführungspassagen charakterisiert, es gibt ein Scherzo und einen langsamen Satz. Wir finden uns also im Aufbau einer klassischen Sinfonie wieder. Lediglich der überdimensionierte Schlusssatz ist ein besonderes Merkmal. Wenn auch formal die Sinfonie als klassisch bezeichnet werden kann, ist sie doch inhaltlich am weitesten davon entfernt. Sowohl kompositionstechnisch (beispielsweise Mahlers beständiger Einsatz der Variantentechnik) als auch die enorme und teilweise ausgefallene Instrumentierung lassen das Werk alles andere als traditionell oder konventionell wirken. Hinzu kommt das „dicke Ende“, das Finale, welches – als einzige Mahler-Sinfonie – apokalyptisch und damit gegen die Gattungstradition schließt. Unter der strengen aber auch abstrakten Vorgabe des klassischen Formentypus erzählt der Komponist sein eigenes, visionäres Epos. Literatur- und Fotonachweis: Albrecht, George Alexander: „Was uns mit mystischer Gewalt hinanzieht…“, Kassel 1992 Gielen, Michael: Mahler im Gespräch. Die zehn Sinfonien. Metzler Stuttgart 2002 Gustav Mahlers Sinfonien. Entstehung, Deutung, Wirkung. Hrsg. von Renate Ulm, Bärenreiter München 2001 Jülg, Hans-Peter: Gustav Mahlers Sechste Symphonie. Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 17, 1986 Kretschmer, Wolfgang: Einhören in Mahler. Veröffentlichungen zur Musikforschung, Bd. 22, 2010 Mahler, Alma: Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Wien 1949 Revers, Peter und Korte, Oliver (Hrsg.): Gustav Mahler. Interpretationen seiner Werke. Laaber, 2011 Silbermann, Alphons: Lübbes Mahler Lexikon. Lübbe, Bergisch-Gladbach, 1986 Den Artikel von Claus Spahn „Über Abgründen“ entnehmen wir der homepage www.zeit.de Der Bürstenabzug der Dirigierpartitur stammt aus der Neuen Kritischen Gesamtausgabe, hrsg. von Reinhold Kubik, Internationale Gustav Mahler Gesellschaft Wien, 2010. Rechts oben befinden sich Mahlers handschriftliche Durata. Das Foto Gustav Mahlers ebenso aus dieser Quelle. Die Aufnahme vom Schriftsteller William Ritter zeigt Mahler in einer Pause während der Proben zur Münchner Aufführung. Das Foto von Dennis Russell Davies ist von Paul Kolnik. Alle Angaben basieren auf den im Veranstaltungsreferat eingegangenen Programmvorlagen!