Sinfonieorchester der Universität Mozarteum Salzburg Dennis

Werbung
Sinfonieorchester der
Universität Mozarteum Salzburg
Musikalische Leitung:
Dennis Russell Davies
(21.10.)
Studierende bei
Dennis Russell Davies/Jorge Rotter
(23.10.)
Freitag, 21. Oktober 2011
19.30 Uhr
Sonntag, 23. Oktober 2011
11.00 Uhr
Großes Studio
Universität Mozarteum
Mirabellplatz 1
Programm
Gustav Mahler
(1860-1911)
Sinfonie Nr. 6 in a-Moll
1. Allegro energico, ma non troppo. Heftig, aber markig
2. Scherzo: Wuchtig – Trio. Altväterisch, grazioso
3. Andante moderato
4. Finale. Sostenuto – Allegro moderato
Dirigenten am 23. Oktober 2011:
1. Satz:
2. Satz:
3. Satz:
4. Satz:
Paloma Brito-Domenech
Hideto Nomura
Christian Reif
Alexandra Helldorff
A wie Alm(a)-Thema
B wie Besetzung
Im Kopfsatz unterbricht eine Episode von
12 Takten die die Sinfonie dominierenden
Marschrhythmen (→ siehe auch Marsch). Doch
lange hält das schwungvolle Alma-Thema, das
pralle, lebensbejahende durch strauss´schen
Aufschwung charakterisierte Motiv, das selbstverständlich in A-Dur steht, nicht an. Auch Alma
kann Gustav Mahler vermutlich nicht erlösen.
Immerhin: ein Moment der Befreiung, heftige
Musik wird kurzzeitig eliminiert. Neben dem
Alma-Thema, das fragmentarisch im weiteren
Verlauf mehrfach wiederkehrt, symbolisieren
auch andere „Inseln“ im ersten Satz Entlastung:
Vom Alma-Thema zur Almsituation: Die Glocken
weisen den Weg weg vom Irdischen hin zur
Abgeschiedenheit. Hier möchte man verweilen,
die rasante und technophile Welt liegt weit
unten zurück im Tal. Doch nur von kurzer
Dauer sind diese Träume. Die Realität in Form
der Marschrhythmen kehrt in den sinfonischen
Verlauf rasch zurück.
Violine 1
Danae Papamatthäou-Matschke /
Johanna Zaunschirm / Clemens Flieder /
Sandra Huber / Irina Rusu / Aloisia Dauer /
Christiane Amereller / Bhoiravi Achenbach /
Nina Popotnig/ Anna Godelmann / Liv Migdal /
Bérengére Le Boulair / Victor Aguirre-Minarro /
Màrta Lantos / Matej Haas / Lea Hausmann
Das Alma-Thema
Alma dazu: „Nachdem er den ersten Satz
entworfen hatte, war Mahler aus dem Walde
herunter gekommen und hatte gesagt: ‚Ich habe
versucht, dich in einem Thema festzuhalten – ob
es mir gelungen ist, weiß ich nicht. Du musst dirs
schon gefallen lassen.’“
Violine 2
Davide Gibellato / Csilla Pogány / Petra Varlan /
Andrea Riedmann / Theresia Geier /
Maria Holzer-Graf / Judith Fliedl / John Hwang /
Haoyue Liao / Anna Lindenbaum /
Manuel Dörsch / Celeste Williams /
Ana Bajo-Duraševič / Hae-Jin Kang
Viola
Clara Trullén Sáez / Clemens Gordon /
Janina Ibel / Arabella Bozic / Sara Marzadori /
Mladen Somborac / Christoph Slenczka /
Dušan Marković / Martha Windhagauer /
Jovana Stojanovic / Victoria Witmer /
Milica Savković
Violoncello
Ofer Canetti / Flurin Cuonz /
Marie-Louise Wundling / Johanna Furrer /
Un-Mi Han / Yeji Hwang / Ursina Braun /
Beatrice Holzer-Graf / Timea Laczko-Toth /
Gundula Leitner
Kontrabass
Andrew Lee / Andreas Müller / Stefan Milojicic /
Margherita Naldini / Arisa Yoshida /
Youn Hee Park / Michaela Kober /
Maximilian Schmid / Thiago Paganelli
Harfe
Dolores Rauter / Mariam Fathy /
Simon Förster / Elisabeth Eder
Flöte + Piccolo
Tamara Śutonja / David Gruber / Vita Benko /
Andrea Mairhofer / Birgit Karoh (Piccolo)
Oboe + Englischhorn
Aliya Battalova / Matthias Azesberger /
Mayu Wakaki / Jelisaveta Pešić /
Vicente Montalt (Englischhorn)
Klarinette + Bassklarinette
Harald Fleißner / Minao Qu / Franziska Wallner /
Susanne Schöch (Bass) / Thomas Huber (Es)
Fagott
Lucia Molina Pardo / Olga Garcia Martin /
Yoko Fujimura / Miriam Kofler /
Anita Furtner (Kontra)
Horn
Christian Hensel / Gabriel Cupsinar / Erik Kosak /
Hyoungil Kim / David Fliri / Ellen Rydelius /
Mary Elisabeth Garza / Paul Kusen /
Petter Lindahl
Trompete
Achim Knobelspies / Bertold Stecher /
Thomas Schleicher / Michael Kuess /
Noemi Makkos / Rudolf Matajs / Bernhard Plagg
Posaune
Georg Pranger / Markus Waldhart /
Thomas Weiss / Benjamin Sathrum (Bass)
Tuba (Bass)
Thomas Mahlknecht
Pauke + Schlagwerk
Kiril Stojanov / Johannes Eder / Josef Senftl /
Richard Putz / Vladislav Varbanov / Paopun
Amnathan
Celesta
Paloma Brito-Domenech
Orchesterbüro
Theresia Wohlgemuth-Girstenbrey
C wie Charakter
Mahlers Haltungen sind vielfach durch seine ihn
prägende, vielleicht stigmatisierende Herkunft
charakterisiert. Sein Wesen kann unter anderem
als dreifach heimatlos beschrieben werden: als
Böhme in Österreich, als Österreicher unter den
Deutschen und als Jude in der ganzen Welt.
Daraus resultiert seine gewisse Neigung zur
Ambivalenz oder Verstellung.
Stichwort Religion: Gerade in Wien muss er
sich latent antisemitischen Angriffen aussetzen,
die er durch einen Kircheneintritt abzuwehren
versucht.
Stichwort Ton: Zwar hält Mahler strikt an der
funktionellen Tonalität fest, doch er lädiert sie
gleichermaßen: Durch den Ton. Er komponiert
einen verfremdeten, manchmal traumatischen
Ton. Wiederholt steht, auch in der Sechsten,
„schrill, klagend“ oder Ähnliches über den Noten.
Es ist ein revoltierender Ton, ein Ton gegen sich
selbst. Und last not least ist die Ambivalenz seines
Charakters auch in seiner Haltung zu seiner
Zeit zu spüren: Er ahnt das Ende einer Epoche
und verhält sich in seinen letzten Lebensjahren
eher als „Nichtmitmacher“ denn als Mitmacher
in seiner Welt. Wer im Unglück ist, hofft. Wer
glücklich ist, hat Angst.
D wie Dirigent Dennis Russell Davies
Dennis Russell Davies wurde in Toledo (Ohio)
geboren und studierte Klavier und Dirigieren an
der New Yorker Juilliard School. Seine Tätigkeit
als Dirigent in Oper und Konzert, als Pianist und
Kammermusiker ist gekennzeichnet durch ein
breit gefächertes Repertoire, das vom Barock bis
zur jüngsten Moderne reicht, durch spannende
und durchdachte Programmkonstellationen
und durch eine enge Zusammenarbeit mit
Komponisten wie Luciano Berio, William Bolcom,
John Cage, Manfred Trojahn, Philip Glass, Heinz
Winbeck, Laurie Anderson, Philippe Manoury,
Aaron Copland, Hans Werner Henze, Michael
Nyman und Kurt Schwertsik.
Nach seinen ersten Positionen als Chefdirigent des
Saint Paul Chamber Orchestra (1972-1980) und des
American Composers Orchestra, New York (19772002) übersiedelte er 1980 nach Deutschland und
Österreich. Es folgten GeneralmusikdirektorenPosten am Württembergischen Staatstheater
Stuttgart (1980-1987) und beim Orchester
der Beethovenhalle, dem Internationalen
Beethoven-fest und der Oper Bonn (19871995). 1995-2006 war er Chefdirigent des
Stuttgarter Kammerorchesters, mit dem er alle
107 Sinfonien Joseph Haydns auf CD aufnahm.
Darüber hinaus leitete er 1997-2002 das RadioSymphonieorchester Wien.
1997 wurde Dennis Russell Davies als Professor
an die Universität Mozarteum Salzburg berufen,
wo er seit mehr als einem Jahrzehnt sein Wissen
an die Dirigierstudenten weitergibt. Seit 1999
ist er Chefdirigent des Sinfonieorchesters der
Universität Mozarteum Salzburg, das sich unter
seiner Leitung zu einem Herzstück und Aushängeschild des Mozarteums entwickelt hat.
Zu Beginn der Saison 2009/10 übernahm er die
Leitung des Sinfonieorchesters Basel.
Seit 2002 ist Dennis Russell Davies Chefdirigent
des Bruckner Orchester Linz und Opernchef am
Landestheater Linz. In seinen Konzerten widmet
er sich vor allem dem Schaffen Anton Bruckners
und erweitert das Repertoire des Orchesters mit
Werken von internationalen Komponisten mit
Schwerpunkt auf Neuer Musik. Als Gast dirigierte
Davies u.a. das Cleveland und Philadelphia
Orchestra, das Chicago und Boston Symphony
sowie das New York Philharmonic Orchestra,
während er in Europa derzeit mit Orchestern wie
dem Gewandhausorchester Leipzig, der Dresdner
Philharmonie, dem Orchestra Filarmonica della
Scala Milano, den Münchner Philharmonikern und
dem Concertgebouworkest Amsterdam arbeitet.
Nach seinem Debüt bei den Bayreuther Festspielen
(1978-1980) dirigierte er u.a. bei den Salzburger
Festspielen, dem Lincoln Center Festival New York,
der Houston Grand Opera, der Hamburger und
der Bayerischen Staatsoper – mit Regisseuren wie
Harry Kupfer, Götz Friedrich, Achim Freyer, Peter
Zadek, Robert Altmann, Juri Ljubimov, Olivier
Tambosi, Robert Wilson und Ken Russell – während
er derzeit hauptsächlich mit der Lyric Opera of
Chicago, der Metropolitan Opera New York und
der Opéra National de Paris zusammenarbeitet.
E wie Entstehung
Die 6. Sinfonie komponierte Gustav Mahler in
den jeweiligen Sommermonaten der Jahre 1903
und 1904. Die Instrumentation erfolgte ein
Jahr später. Es sind seine glücklichen Jahre: an
der Wiener Hofoper ist er als Direktor, Dirigent
und Regisseur erfolgreich (sieht man von den
üblichen Schwierigkeiten eines Theaterleiters
einmal ab), seine Finanzen sind gefestigt, die
Ehe und die Kinder sorgen für viel Lebensfreude.
Das auserkorene Ziel seiner Sommerfrische ist zu
dieser Zeit das Örtchen Maiernigg am Wörthersee.
Dort erholten sich der Komponist und seine
Familie und Mahler konnte sein Schöpfertum,
das er während der Spielzeiten nicht ausleben
kann, in Noten setzen. Während der jeweiligen
Theaterferien entstehen so in Kärnten (19011907) und danach in Toblach, Südtirol, die
Sinfonien Nr. 5 bis 9 sowie das Fragment zur
10. Sinfonie und das „Lied von der Erde“. Eigene
Bekenntnisse Mahlers zur 6. Sinfonie sind nur
wenige vorhanden, das meistzitierte aus dem
Jahre 1904: Die Sechste „wird Rätsel aufgeben,
an die sich nur eine Generation heranwagen
darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen
und verdaut hat“. Zwei Jahre später sagte Mahler
noch einmal dazu, dass die Sinfonie „dem Hörer…
dunkle Rätsel“ aufgäbe.
F wie Fotografien
G wie Großes Studio
Jede Mahlersinfonie braucht einen voluminösen
Raum, damit sich die Musik entfalten kann.
Das große Studio ist bedauerlicherweise kein
Glücksfall für groß besetzte Orchesterwerke
wie sie in der Spätromantik oder (klassischen)
Moderne verlangt werden. Fragen der Balance
werden hier für jeden Dirigenten eminent und
eklatant, denn die Musik und ihre Ausdehnung
hat hier so gut wie keinen Platz, sie kommt viel
zu schnell von den Decken und den Wänden
zurück. Haben beispielsweise die Geigen etwas
Wichtiges zu sagen, muss man das gesamte
Orchester bewusst dämpfen. Der Klang des
Orchesters wird zu einem Großteil auch von den
Reflexionen abhängen. Gerne hätten wir dieses
Sinfoniekonzert ins Große Festspielhaus oder in
die Felsenreitschule verlegt. Leider war das aus
dispositorischen Gründen nicht möglich.
H wie Hammerschläge
Warum Mahler die Anzahl der Hammerschläge
zum Schluss der Sinfonie von 3 auf 2 reduziert
hat, diese Frage beschäftigt bis heute Dirigenten
und Musikwissenschafter.
Je heftiger der Schlag, umso besser, es ist als ob
das Schicksal zuschlägt. So oder ähnlich wird
es jeder Dirigent seinen Schlagzeugern auf den
Proben kommunizieren. Die Reduzierung von 3
auf 2 Schläge hängt möglicherweise mit Mahlers
Welt- bzw. Todessicht am Ende seines Lebens
zusammen. Er glaubt nun, in Hinwendung
zur Theosophie und Anthroposophie, dass
es ein Leben nach dem Tode gibt. Ein dritter
Hammerschlag würde alles besiegeln, zwei eben
nicht. Der Tod gilt ihm nicht mehr als Exitus,
sondern als Einstieg in neue Sphären.
Alma Mahler sieht in den drei Hammerschlägen
die Schicksalsschläge im Leben ihres Mannes:
Mit prophetischem Blick würde Gustav den
Tod seiner ältesten Tochter, sein Ausscheiden
aus der Wiener Hofoper sowie die Diagnose
seines schweren Herzleidens in der 6. Sinfonie
vorwegnehmen (→ siehe auch Interpretation).
Mahler selbst strich den dritten Hammerschlag
innerhalb einer umfangreichen Retusche der
gesamten Instrumentation an dieser Stelle, womit
er die Dynamik dieser Sequenz verminderte.
Übrigens sah der Komponist zunächst sogar 5
Hammerschläge vor, doch die schlussendliche
Reduzierung auf zwei Hiebe könnte bedeuten,
was die Musik in Gang setzt, beendet sie auch.
Immerhin: Mahler hat mit dem Hammer ein
neues Orchesterinstrument implementiert.
I wie Interpretation
Die Sechste, ein tragisches Intermezzo, eine
finstere Träumerei der Aussichtslosigkeit oder
doch die Konfrontation von zwingender Urkraft
und energischem Dasein? Vielleicht ist sie die
tragische Widergabe eines Heldenlebens, das in
Vernichtung endet? Ist die Deutung persönlicher
Natur, sieht Mahler die doppelte familiäre
Katastrophe voraus und verweist auf den Tod
seiner geliebten Tochter Maria-Anna und sein
ihn in Todesnähe bringendes Herzleiden? Oder
beinhaltet die Sinfonie einen düsteren Blick auf
die Zukunft und prophezeit den herannahenden
Weltkrieg, gar den Holocaust? Verbrieft ist
jedenfalls dank Alma Mahler: „Im letzten Satz
beschreibt er sich und seinen Untergang, oder,
wie er später sagte, den seines Helden: ‚Der Held,
der drei Schicksalsschläge bekommt, von denen
ihn der dritte fällt, wie ein Baum.’ Dies Mahlers
Worte. Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus
dem Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten
damals beide. So tief fühlten wir diese Musik
und was sie vorahnend verriet.“ Und für die
Deuter in „biographistischer Manier“: für das
Scherzo beschreibt die Mutter in einem Brief das
arhythmische Spielen der Kinder.
Jens Malte Vischer fasst seine Sicht der Dinge
auf das Werk in „Der fremde Vertraute“ aus dem
Jahre 2003 folgendermaßen zusammen: „Völlig
klar ist, dass das Finale der Sechsten von Ende,
Tod und Vernichtung ‚handelt’, ohne Ausblick,
ohne Trost, ohne Verheißung.“ Der renommierte
Musikkritiker Wolfgang Schreiber sieht das
ähnlich: „Sie [die sechste Symphonie] drückt
den Kampf des Menschen gegen die starre
Materie, seine Resignation in der Einsamkeit.“
Die Aufzählungen zu Deutung und Gehalt des
Werkes ließe sich beliebig verlängern.
J wie Jubiläumsjahr
Über Abgründen – Dieses Jahr klingt nach Gustav
Mahler
Wenn es eine Musik gibt, die heuer nicht zu
überhören sein wird, dann ist es die von Gustav
Mahler. Überall in den Philharmonien finden
jetzt Aufführungszyklen seiner Sinfonien statt.
Das vergangene Jahr war ein Gustav-MahlerJubiläumsjahr (150. Geburtstag), und das jetzige
ist schon wieder eins (100. Todestag). Mahler
liefert den Soundtrack für 2011. Man spürt den
Stolz und die Selbstergriffenheit, mit der die
Orchester Mahlers Werke auf die Programme
setzen, denn in ihnen erstrahlt noch einmal
die ganze Großartigkeit des spätromantischen
sinfonischen Apparats. Sie erscheinen wie
luxuriöse Kreuzfahrtschiffe des Repertoires: Die
instrumentale Ausstattung ist verschwenderisch,
alle Decks sind beleuchtet, angetrieben von
imposanten Schiffsschrauben, brechen sie zur
großen Weltumrundung auf. Da ist der Abonnent
gerne dabei. Wird aber jenseits des Festlichen
überhaupt noch wahrgenommen, wie sehr
diese Ozeanriesen über Katastrophengrund
knirschen? Das würde man gerne einmal
genauer wissen: Strömen die Leute eigentlich aus
Eventlust in die Mahler-Zyklen oder können sie
nicht genug kriegen von den katastrophischen
Hammerschlägen im Finale der Sechsten Sinfonie,
der verzweifelten Lebenssinnsuche der Zweiten,
der sarkastisch verstimmten Totentanz-Fiedel in
der Vierten, dem »Gebrochenen« und dem »Alsob«, den Mahlerschen Scheinidyllen und den
himmelblauen Jenseitsvisionen, schließlich dem
erschütternden Verstummen im Adagio der
Neunten? Suchen die Konzertgänger in einem
Mahler-Sinfonien-Zyklus das oberflächliche
Spektakel, das Hochpreisige und klassisch
Gerahmte, muss man sich (einmal mehr) um den
Zustand des klassischen Musikbetriebs sorgen.
Dann ist die Sinfonien-Schwemme nur Ausdruck
einer voranschreitenden Normalisierung und
inhaltlichen Aushöhlung von Mahlers Kunst.
Gehen die Leute allerdings ins Konzert, weil sie
den vor 100 Jahren gestorbenen Komponisten
noch immer als einen »Zeitgenossen der
Zukunft« empfinden, muss man sich eher um
den Zustand der Welt sorgen. Dann nämlich
nehmen die Mahler-Fans das Albtraumhafte,
Gärende, Zerrissene, latent Katastrophische in
den Sinfonien als etwas Gegenwärtiges wahr.
Sollte 2011 nicht ein konsolidiertes, freundliches
Postkrisenjahr werden? Mahlers Musik klingt
nicht danach. Aber die werden wir nun Monat für
Monat, Sinfonie für Sinfonie hören.
[Claus Spahn]
K wie Karikatur
Erschienen ist folgende Zeichnung nach der
Wiener Premiere der 6. Sinfonie. Der Spott
richtet sich gegen das bis dato noch nicht in
einer Sinfonie verwendete Instrumentarium wie
Herdenglocken, tiefe Glocken, Rute und natürlich
der Hammer.
Interessant dabei sind die dezidierten
Spielanweisungen Gustav Mahlers: Die
Herdenglocken
sollen
zur
realistischen
„Nachahmung von bald vereinigt, bald
vereinzelnd aus der Ferne herüber klingenden
Glöckchen einer weidenden Herde“ dienen. Oder
für die Ausführung mit dem Hammer: „Kurzer,
mächtig, aber dumpf hallender Schlag von nicht
metallischem Charakter (wie ein Axthieb)“.
O wie Orchester
Quelle Wikipedia. Erschienen in der humoristischen
Wochenzeitschrift „Die Muskete“
Und fast eigenartig mutet Mahlers Anweisung
an, dass im Falle der Hammer nicht ausreichend
besetzt ist, beim zweiten bzw. in der revidierten
Fassung auch letzten Hammerschlag Becken und
Tamtam zusätzlich zum Einsatz kommen.
Aber: Der Komponist wollte mit Sicherheit
keinen unbegründeten Effekt an das Ende seiner
Sechsten stellen, vielmehr (s)eine bestimmte
Klangvorstellung in tönende Realität umsetzen.
M wie Marsch
Der Marsch prägt in ganz besonderem Maße den
Charakter der 6. Sinfonie. Im Scherzo ist die Musik
grundsätzlich wie im Kopfsatz. Deshalb gehören
die Sätze auch zusammen (→ Reihenfolge der
Sätze). Das Scherzo wirkt als Variante (nicht
Variation!) des 1. Satzes. Das Finale gilt überhaupt
als Riesenmarsch. Er kann möglicherweise als die
Vorwegnahme des 10 Jahre später komponierten
Marsches aus den Orchesterstücken von Alban
Berg betrachtet werden, der „Marsch in den
Abgrund“ (Kriegsvorahnung) genannt wird.
Das Sinfonieorchester spielt(e) als integrativer Klangkörper eine wichtige Rolle der
Universität
Mozarteum
Salzburg.
Viele
namhafte Orchestermusiker konnten hier erste
Podiumserfahrung sammeln und erhielten
unter der Leitung großer Persönlichkeiten
wie
Bernhard
Paumgartner,
Nikolaus
Harnoncourt, André Previn, Gerd Albrecht
sowie Trevor Pinnock wesentliche Impulse für
ihre künstlerische Entwicklung. Seitdem im
Jahr 1987 Michael Gielen die künstlerische
Leitung übernahm, widmet sich das Orchester
nicht nur dem klassischen Repertoire, sondern
studiert auch in besonderem Maße Werke des
20. Jahrhunderts (u.a. von Strawinsky, Webern
und Berg) ein. Die große Niveausteigerung
unter Gielens Leitung zog Einladungen zu
wichtigen Konzertveranstaltungen nach sich
(u.a. Salzburger Kulturtage, Wiener Konzerthaus,
Konzerte in Italien, Spanien usw.). Seit 1999 ist
Dennis Russell Davies Leiter dieses Orchesters
und verhilft ihm zu weiterer künstlerischer Reife.
In besonderer Erinnerung bleibt sein LeonardBernstein-Zyklus aus dem Jahre 2008. Im letzten
Jahr wurde das Orchester nach Katowice und
Stuttgart eingeladen. Regelmäßige Auftritte
absolvierte das Ensemble jährlich bei der
Salzburger Mozartwoche und biennal bei den
Welser Abonnementkonzerten sowie bei der
Salzburg Biennale.
P wie Platten- und CD-Aufnahmen
Die erste Platteneinspielung erfolgte unter
Charles Adler 1952 mit den Wiener Symphonikern.
Über 30 verschiedene Einspielungen kann sich der
Liebhaber in den CD- oder Plattenschrank stellen,
nicht mitgerechnet die Gesamtaufnahmen der
Mahler Sinfonien.
Aktuellste CDs:
Michael Gielen, RSO Berlin, veröffentlicht am
15.10.11 bei Altus
Kirill Kondrashin,
SWR Sinfonieorchester,
veröffentlicht am 12.09.11 bei Hänssler
Antal Dorati, Israel Philharmonic Orchestra,
veröffentlicht am 19.08.11 bei Helicon
Pierre Boulez, Lucerne Festival Academy Orchestra,
veröffentlicht am 31.05.11 bei Accentus
R wie Reihenfolge der Mittelsätze
Bis ins Heute wird die Frage von wagemutigen
Forschern und wissenden Dirigenten teils
polemisch diskutiert, wie die Mittelsätze
gereiht werden. In der ersten Partiturausgabe
im März 1906 jedenfalls steht das Scherzo an
zweiter Stelle. Für die Generalprobe der Essener
Uraufführung ist dieser Umstand auch durch eine
Rezension belegt. Für die Uraufführung tauscht
Mahler sodann die Abfolge und behält diese dann
für die zwei folgenden Konzertaufführungen
bei. 1920 stellte der Dirigent und Mahlerfreund
Willem Mengelberg dann für ein Mahler-Fest
die Mittelsätze um. Anlass war ein (bis heute
nicht aufgefundenes) lapidares Telegramm Alma
Mahlers: „Erst scherzo, dann andante – herzlichst
alma mahler“. Mengelberg nahm damit Mahlers
letzten Willen an. Mahlers eigene Aufführungen
liegen zu diesem Zeitpunkt ein Jahrzehnt zurück.
Hat sich Alma Mahler also geirrt?
Beide Reihenfolgen ergeben jeweils einen eigenen
Sinn! Der eingeschlagene Weg des Kopfsatzes
führt in jedem Falle zum Finalsatz und wird dort
ins Ziel geführt. Dazwischen, mit zahlreichen
Verweisen und motivischen Beziehungen zu
den Rahmensätzen die beiden Inseln: ein Tanz(Scherzo) und ein Liedsatz (Andante).
S wie Spieldauer der 6. Sinfonie bei
ausgewählten Aufnahmen
Dirigent 1.Satz
Abravanel:17.45
Bernstein:21.29
Bertini: 24.11
Gielen: 25.04 Karajan: 22.20
Kubelik: 21.11
Levine: 22.38 Maazel: 23.41 Mitropoulos:17.52
Sinopoli: 25.10 Solti:
21.06
Tennstedt:23.36
2.Satz
11. 46
12.27 13.39
14.36 13.24 11.45
13.40 12.49 11.24 13.40 12.33 13.04 3.Satz
13.52
15.19
16.16
14.48 17.10 14.42 15.05 16.06 15.01
19.53 15.30 17.21 4.Satz
27.26
28.45
29.30
30.40
30.13
26.36
30.10
30.01
28.36
34.29
27.40
32.57
Die Aufführungsdauer beträgt durchschnittlich
80 Minuten.
Die Extreme:
1. Giuseppe Sinopoli; Philharmonie Orchestra,
1986: 92:57 min
2. Kirill Kondraschin; Leningrader Philharmoniker,
1978: 65:45 min
T wie Tragische Sinfonie (und andere
Beinamen)
Gustav Mahlers 6. Sinfonie erhielt den Beinamen
„Tragische“. Wer der Urheber dieses Untertitels
ist, lässt sich bisher nicht wirklich feststellen.
Erstmals scheint Mahler selbst das Etikett „Die
Tragische“ für die Aufführung der Sinfonie in
Wien im Jahre 1907 zu gebrauchen.
Selbst wenn der Beiname nicht Bestandteil
eines CD-Covers oder einer Überschrift ist, wird
beim Hören des Werkes trotzdem deutlich, dass
Mahler nur wenig Frohsinn in diese Sinfonie
gelegt hat. Komponistenkollege Alexander von
Zemlinsky nannte das Werk übrigens Mahlers
„Eigentliche“. Aufgrund der Assoziationen
Hammer und Eisen gab Friedrich Brandes der
Sechsten den Beinamen „Krupp-Sinfonie“. Oder
Wolf Rosenberg: „Die Sechste ist gewiß die
aggressivste seiner Symphonien“, sie „sollte […]
die >böse< genannt werden.“
U wie Uraufführung
Bei den Kritikern Unverständnis, Ressentiments
und zweifelnde Deutungen, im Publikum ein
großer Erfolg - so lässt sich die Uraufführung der
6. Sinfonie während des 42. Tonkünstlerfestes in
Essen im Jahre 1906 zusammenfassen. Mahlers
virtuose Instrumentation wurde besonders gelobt,
sein fehlendes Programm zum Werk getadelt. Das
Scherzo wurde als der gelungenste Satz genannt.
Die Wiener Erstaufführung ein dreiviertel Jahr
später, wiederum ein Publikumserfolg, wurde
seitens der polemisierenden Kunstrichter übler
ausgeschlachtet. Mahler musste persönliche
Beleidigungen einstecken.
„Die 6. Symphonie ist einfacher in ihren Themen
wie im Bau ihrer Sätze als die zweite, dritte und
fünfte, und wird trotz der außerordentlichen
Anforderungen ihren Weg vielleicht schneller
machen, als manche ihrer Vorgängerinnen,
eben um ihres leichtern Inhalts willen. Ein Gutes
wird das nebenher im Gefolge haben: die Sorge
um ausgezeichnetes Schlagzeug, das Stiefkind
unserer Orchester. Richard Strauss hatte so
unrecht nicht, als er in der Hauptversammlung
unter Hinweis auf Mahlers Symphonie launig
die Errichtung von Schlagzeug-Professuren auf
unseren Konservatorien vorschlug…“ {Aus der
Uraufführungsrezension der „Neuen Zeitschrift
für Musik“}
Ü wie Übersicht der Aufführungen zu Mahlers Lebzeiten ...
Datum
Ort
Orchester
27.05.1906
08.10.1906
08.11.1906
14.11.1906
04.01.1907
11.03.1907
05.04.1907
Essen
Essen/Utrecht
Berlin
Berliner Philharmoniker
München Kaim-Orchester
München Kaim-Orchester
Wien
Wiener Konzert-Verein
Leipzig Winderstein-Orchester
Dresden Staatskapelle Dresden
Dirigent Hammerschläge
Gustav Mahler
Oskar Fried
Gustav Mahler
Bernhard Stavenhagen Gustav Mahler
Hans Winderstein
Ernst von Schuch
3
2
2
2
2
?
-*
* In diesem Konzert zu Anlass des 10. Todestages wurden nur die beiden Binnensätze gespielt.
... und im ersten Halbjahr 2011
Datum
Ort
Orchester
Dirigent
22.01.
24.01.
29./30.01. 18.02.
19./20.02. 20.02.
22.02.
17./18.03. 18.03.
04./05.05. 05./06.05. 08./09.05. 11./12.05.
21.05.
26.05.
29.05.
01.06.
03.06.
04.06.
Santa Cruz (ES)
Las Palmas (ES)
Wien (AT)
Frankfurt (DE)
Wien (AT)
Kaiserslautern (DE)
Köln (DE)
Innsbruck (AT)
Bonn (DE)
Chemnitz (DE)
München (DE)
Weimar (DE)
Istanbul (TK)
Zürich (CH)
Turin (IT)
San Francisco (US)
Berlin (DE)
Dresden (DE)
Prag (CZ)
Wiener Symphoniker
Wiener Symphoniker
Wiener Symphoniker
hr-Sinfonieorchester
Wiener Philharmoniker
Orchester des Pfalztheaters
Wiener Philharmoniker
Tiroler Symphonieorchester
Beethoven Orchester Bonn
R.-Schumann-Philharmonie
Symphonieorchester des BR
Staatskapelle Weimar
Istanbul Philharmonic Tonhalle Orchester
Orchestra RAI
San Francisco Symphony
Berliner Philharmoniker
Berliner Philharmoniker
Berliner Philharmoniker
Fabio Luisi
Fabio Luisi
Fabio Luisi
David Zinman
Semyon Bychkov
Uwe Sander
Semyon Bychkov
Georg Fritzsch
Osmo Vänskä
Frank Beermann
Mariss Jansons
Stefan Solvom
Sascha Goetzel
David Zinman
Semyon Bychkov
Michael Tilson Thomas
Simon Rattle
Simon Rattle
Simon Rattle
V wie Videoaufnahmen
Aktuellste DVDs:
Hartmut Haenchen, Orchester La Monnaie, veröffentlicht am 24.01.11 bei Ica
Bernsteins Mahler, verschiedene Orchester, veröffentlicht am 27.5.10 bei DG
Going against Fate. David Zinman, Tonhalle Orchester, veröffentlicht am 26.01.09 bei OpusKura
Claudio Abbado, Lucerne Festival Orchestra, veröffentlicht am 25.6.07 bei EuroArts
Z wie Zitate
Impressum:
Gustav Mahler zu seiner Sechsten & ein
Gastkommentar von Alban Berg
Idee und Text: Henning Pankow M.A.
Gestaltung: Mag. Elisabeth Nutzenberger
Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der
vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.
Heil dem Dirigenten, der in meinen Partituren
Änderungen anbringt, wenn der Raum und die
Qualität des Orchesters es erfordern, um die
Intention herauszubringen.
Meine 6. scheint wieder eine harte Nuss zu sein,
welche von den schwachen Zähnchen unserer
Kritik nicht geknackt werden kann.
„Wie gepeitscht“, „Wie wütend dreinfahren“, „Wie
ein Axthieb“ [Spielanleitungen zur 6. Sinfonie]
Alban Berg bekannte in einem Brief an Anton
Webern, dass „doch nur eine VI. trotz der
Pastorale existiere“.
4 wie 4-Sätzigkeit
Mahler greift die Viersätzigkeit wie in der 1.
Sinfonie erstmals in der Sechsten wieder auf.
Die Ecksätze sind durch ihre Sonatenform
mit
überladenen
Durchführungspassagen
charakterisiert, es gibt ein Scherzo und einen
langsamen Satz. Wir finden uns also im Aufbau
einer klassischen Sinfonie wieder. Lediglich der
überdimensionierte Schlusssatz ist ein besonderes Merkmal. Wenn auch formal die Sinfonie
als klassisch bezeichnet werden kann, ist sie doch
inhaltlich am weitesten davon entfernt. Sowohl
kompositionstechnisch (beispielsweise Mahlers
beständiger Einsatz der Variantentechnik) als
auch die enorme und teilweise ausgefallene
Instrumentierung lassen das Werk alles andere
als traditionell oder konventionell wirken. Hinzu
kommt das „dicke Ende“, das Finale, welches –
als einzige Mahler-Sinfonie – apokalyptisch und
damit gegen die Gattungstradition schließt. Unter
der strengen aber auch abstrakten Vorgabe des
klassischen Formentypus erzählt der Komponist
sein eigenes, visionäres Epos.
Literatur- und Fotonachweis:
Albrecht, George Alexander: „Was uns mit mystischer
Gewalt hinanzieht…“, Kassel 1992
Gielen, Michael: Mahler im Gespräch. Die zehn Sinfonien. Metzler Stuttgart 2002
Gustav Mahlers Sinfonien. Entstehung, Deutung,
Wirkung. Hrsg. von Renate Ulm, Bärenreiter München
2001
Jülg, Hans-Peter: Gustav Mahlers Sechste Symphonie.
Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft, Bd. 17, 1986
Kretschmer, Wolfgang: Einhören in Mahler. Veröffentlichungen zur Musikforschung, Bd. 22, 2010
Mahler, Alma: Gustav Mahler. Erinnerungen und
Briefe. Wien 1949
Revers, Peter und Korte, Oliver (Hrsg.): Gustav Mahler.
Interpretationen seiner Werke. Laaber, 2011
Silbermann, Alphons: Lübbes Mahler Lexikon. Lübbe,
Bergisch-Gladbach, 1986
Den Artikel von Claus Spahn „Über Abgründen“
entnehmen wir der homepage www.zeit.de
Der Bürstenabzug der Dirigierpartitur stammt aus der
Neuen Kritischen Gesamtausgabe, hrsg. von Reinhold
Kubik, Internationale Gustav Mahler Gesellschaft
Wien, 2010. Rechts oben befinden sich Mahlers
handschriftliche Durata.
Das Foto Gustav Mahlers ebenso aus dieser Quelle.
Die Aufnahme vom Schriftsteller William Ritter
zeigt Mahler in einer Pause während der Proben zur
Münchner Aufführung.
Das Foto von Dennis Russell Davies ist von Paul Kolnik.
Alle Angaben basieren auf den im Veranstaltungsreferat eingegangenen Programmvorlagen!
Herunterladen