Technische Universität Dortmund, Sommersemester 2008 Institut für Philosophie, C. Beisbart Kant, Kritik der reinen Vernunft Antworten auf die Vorbereitungsfragen zum 10.6.2008 Textgrundlage: Transzendentale Deduktion nach B, §§ 22, 23, 24 bis Querstrich B153/193, § 26 bis Strich B163/201. Fragen: 1. Wie schränkt Kant den legitimen Gebrauch der Kategorien ein? Wie begründet Kant seine Einschränkung? Kant schränkt den Gebrauch der Kategorien auf die Gegenstände möglicher Erfahrung ein (B145/188 und B147–8/189). Eine präzise Formulierung dieser Einschränkung findet sich zum Schluss von § 22: Folglich haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnis” se der Dinge, als nur so fern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung angenommen werden.“ (B147–8/189). Wenn Kant in der Überschrift zu § 20 den rechtmäßigen Gebrauch der Kategorien explizit nur auf die Gegenstände der Erfahrung“ (B145/188) einschränkt, dann meint er ” wohl auch genauer die Gegenstände möglicher Erfahrung. Kant begründet die Einschränkung, indem er sich fragt, unter welchen Bedingungen das Denken eines Gegenstands mithilfe der Kategorien eine Erkenntnis erzeugt (B146–9/188–9). Dabei greift er auf eine These zurück, die er bereits vorher vertreten hat (vgl. A51/B76/130) und der zufolge (Gegenstands)Erkenntnis nur durch das Zusammenspiel von Anschauung und Begriff zustandekommt (B146/188–9). Insbesondere – das betont Kant hier besonders – erfordere die Gegenstandserkenntnis wenigstens mögliche Anschauung (ib.). In einem zweiten Schritt verweist Kant dann darauf, dass Anschauung für uns immer sinnlich ist (vgl. A51/B76/130; hier B146/189). Drittens trifft Kant eine Fallunterscheidung und unterscheidet zwischen zwei Typen sinnlicher Anschauung, nämlich der reinen Anschauung und der empirischen Anschauung (B146– 7/189). Die empirische Anschauung hat klarerweise mit der Erfahrung zu tun; Gegenstandserkenntnis, die durch sinnliche Anschauung zustandekommt, ist daher offensichtlich auf Gegenstände möglicher Erfahrung beschränkt. Allerdings fragt sich, ob auch Gegenstandserkenntnis, die auf reiner Anschauung beruht, auf Gegenstände möglicher Erfahrung eingeschränkt ist. Nach Kant ist dem in der Tat so. Kant begründet das wie folgt (B147/189): Gegenstandserkenntnis, die auf reiner Anschauung beruht, ist mathematische Erkenntnis. Mathematische Erkenntnis bezieht sich auf die Form von Gegenständen, ohne sicherzustellen, dass es Objekte gibt, die dieser Form genügen und bestimmte räumliche und zeitliche Eigenschaften haben. Dass es wirklich solche Objekte gibt, lehrt uns lediglich die Erfahrung. Insofern liefert auch die Mathematik nur dann Gegenstandserkenntnis im vollen Sinne des Wortes, wenn wir Erfahrung haben. Der Kategoriengebrauch ist daher auch in der Mathematik und in Hinblick auf reine Anschauung nur insofern sinnvoll, als es um Gegenstände möglicher Erfahrung geht. 2. Was ist für Kant die Einbildungskraft und wie verhält sie sich zu Sinnlichkeit und Verstand? 1 Unter der Einbildungskraft (lat. imaginatio) versteht Kant die Fähigkeit eines Erkenntnissubjekts, die Vorstellung eines Gegenstands in der Anschauung“ (B151/192) zu ha” ben, ohne dass diese Vorstellung direkt in der Sinnlichkeit gegeben ist (ib.). Es muss also darum gehen, eine Vorstellung von einem Gegenstand zu haben, die einerseits sinnlichen Vorstellungen ähnelt, auf der anderen Seite aber nicht der Sinnlichkeit selbst entstammt. Heute würde man statt von Einbildungskraft vielleicht von bildlicher Vorstellungskraft sprechen. Es geht also etwa darum, sich einen blauen Hut bildlich vorzustellen. Da die resultierende Vorstellung die Vorstellung eines Gegenstands sein soll, bewirkt die Einbildungskraft eine Synthesis (ib.). Die Einbildungskraft ist zwischen Sinnlichkeit und Verstand angesiedelt (B151–2/192– 3). Denn zum einen erzeugt die Einbildungskraft ja sinnliche Vorstellungen – Vorstellungen, die jenen ähneln, die unsere Sinne erzeugen (B151/192). Auf der anderen ist das Erkenntnissubjekt aktiv, wenn es sich einen Gegenstand vorstellt (B151–2/192–3) – das Subjekt wird nicht bloß durch einen Gegenstand affiziert, vielmehr wirkt der Verstand auf die Sinnlichkeit ein. Daher lokalisiert man die Einbildungskraft am besten zwischen Sinnlichkeit und Verstand. Kant unterscheidet zwischen produktiver und reproduktiver Einbildungskraft (B152/ 193). Er diskutiert die Einbildungskraft in der transzendentalen Deduktion im Zusammenhang der figürlichen Synthesis (B151/192). 3. In § 26 findet sich Kants eigenen Worten zufolge die transzendentale Deduktion der Kategorien. Zeichnen Sie den entscheidenden Gedankengang in § 26 in Ihren eigenen Worten nach. In der transzendentalen Deduktion, von der Kant hier spricht, geht es um die Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unse” ren Sinnen vorkommen mögen, und zwar nicht der Form ihrer Anschauung, sondern den Gesetzen ihrer Verbindung nach, a priori zu erkennen“ (B159– 60/199). Kants entscheidender Gedankengang findet sich in B160–1/199–200 und kann wie folgt nachgezeichnet werden: (1) Unsere Sinnlichkeit ist durch die Anschauungsformen Raum und Zeit geprägt – was immer wir von den Gegenständen sinnlich erfahren, erfahren wir in Raum und Zeit. (2) Daher muss auch die Gegenstandskonstitution die Anschauungsformen von Raum und Zeit berücksichtigen. (3) Auf der anderen Seite sind Raum und Zeit nach Kant aber auch Anschauungen, d.h. einzelne Vorstellungen. (4) Sie beruhen daher auf einer Verbindung durch den Verstand, also einer Synthesis (eine einzelne Vorstellung entsteht nach Kant durch ein aktives Handeln des Verstandes, s. § 15). (5) Daraus folgt, dass uns alle unseren Anschauungen nicht einfach bloß gegeben sind, sondern auf einer fundamentalen Synthesis beruhen – nämlich der Synthesis, die die Raum- und die Zeitvorstellung herstellt (wegen 4) – und mit dieser Synthesis müssen (wegen 2) alle einzelnen Anschauungen übereinstimmen. Nun stellt sich die Frage: Wie können wir die Synthesis, die die Raum- und die Zeitvorstellung herstellt, charakterisieren? Die Antwort lautet offenbar: Es handelt sich dabei um jene Synthesis, die aller Anschauung überhaupt (also auch der Anschauung anderer Wesen) zugrundeliegt, insofern diese auf unsere Anschauung (die durch die Anschauungsformen Raum und Zeit gekennzeichnet ist) angewandt wird. Nach Kants Ergebnis in § 20 ist aber bereits jede Anschauung überhaupt an die Kategorien gebunden. Also ist auch die fundamentale Synthesis in Argumentationsschritt (4) an die Kategorien gebunden. Wegen (5) folgt auch, dass auch alle unsere sinnlichen Vorstellungen von Gegenständen an die Kategorien gebunden sind – sie müssen sich einem Formprinzip unterordnen, das durch die Kategorien definiert wird. 2 4. Wie rechtfertigt Kant den Gebrauch, den wir vom Begriff der Kausalität machen (Beispiel B162–3/201)? Kants Beispiel soll die Deduktion in § 26, die in der Antwort auf Frage 3 wiedergegeben wurde, illustrieren. Man kann den Gedankengang in etwa wie folgt zusammenfassen (B162–3/201): Kant geht davon aus, dass ein Erkenntnissubjekt (im folgenden: ich) sieht, wie Wasser gefriert. Ich habe also zwei Vorstellungen unterschiedlicher Zustände (flüssiges vs. hartes Wasser); dabei schreibe ich den Zuständen unterschiedliche Zeiten zu. Offenbar ist das nur möglich, wenn ich von der Vorstellung der Zeit ausgehe. Nun ist die Zeit eine einheitliche Vorstellung, die auf einer Synthesis beruht und daher Einheit besitzt. Diese Einheit beruht auf dem Gebrauch der Kategorien. Wenn ich einmal von allem Anschaulichen, was ich mit der Zeit verbinde, absehe, dann ist die zuständige Kategorie die Kausalität. Diese Kategorie erlaubt es uns, die Gegenstände unsere unterschiedlichen Vorstellungen zeitlich zu ordnen. Dabei ordnen wir der Ursache einen frühren Zeitpunkt zu als der Wirkung. Kant schließt allgemein, dass sich alle unsere Vorstellungen mithilfe der Kategorie der Kausalität erfassen lassen. 3