Spielplan Staatstheater Oldenburg, 1929/30 Mareike Witkowski Das

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Spielplan
Staatstheater Oldenburg, 1929/30
Mareike Witkowski
Das Staatstheater Oldenburg feiert in diesem Jahr sein 175jähriges Bestehen und kann dabei
auf eine lange und überaus erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Zu den herausragenden
Spielzeiten gehörte sicherlich 1928/1929. Das Kunstwerk des Monats zeigt das Programmheft
1929/1930, in dem sich zahlreiche Abbildungen von Aufführungen der vorangegangen
Spielzeit fanden. Darunter auch ein Szenenbild aus der „Dreigroschenoper“ von Bertholt
Brecht, deren Erstaufführung in Oldenburg am 4. Februar 1929 stattfand. Erst ein halbes Jahr
zuvor am 31. August 1928 war das Stück im Berliner Theater am Schiffbauerdamm
uraufgeführt worden. Damit gehörte Oldenburg zu den wenigen Bühnen, die bereits in der
Spielzeit 1928/1929 das Stück zeigten.1 Von dem Intendanten Hellmut Götze und dem
Landesmusikdirektoren Johannes Schüler war es mutig, die „Dreigroschenoper“ so kurz nach
der Uraufführung auf den Spielplan zu setzen, wussten sie doch von den harten
Auseinandersetzungen, die es zuvor um das Stück gegeben hatte. Die Oper spielte zwar im
England des 19. Jahrhunderts, jedoch war für jeden Zuschauer klar, dass der Spott der
bürgerlich-kapitalistischen Welt der Weimarer Republik galt. Die derbe Sprache Brechts
allerdings glaubte der Intendant dem Oldenburger Publikum nicht ganz zumuten zu können,
und so kam hier das „Essen“ vor der Moral und nicht das „Fressen“. Dennoch war auch die
harmlosere Version für etliche Theaterbesucher eine Zumutung. Unter lautem Protest und mit
knallenden Türen verließen etwa 50 Zuschauer die Premierenaufführung. Die liberale
„Landeszeitung“ berichtete am 5. Februar 1929: „Das Theater ist in Gärung, die alten
Theaterinhalte ziehen nicht mehr, die Klassiker setzen Rost an, der nicht immer Edelrost ist.
Wagner können nur diejenigen noch hören, die gestern unter Protest das Theater verließen
und unter dem Schmerzensschrei ‚Schändung des Kulturtheaters’ zur Garderobe stürzten.
(Wobei in einer Loge eine würdige Dame, die in der vordersten Reihe saß, sämtliche
Stuhlreihen überrannte und mit einem giftigen Blick auf diejenigen, die es fertigbrachten,
noch zu bleiben, mit Vehemenz die Tür zuknallte.)“2 Mit ihrem wohlmeinenden Bericht stand
die „Landeszeitung“ allerdings alleine dar. In der „Volkszeitung“ schrieb der Theaterkritiker
Alfred Wien: „Ein unverhältnismäßig großes Aufsehen für eine Sache, die keine drei
1
Groschen wert und lediglich dazu angetan ist, am künstlerischen den kulturellen Niedergang
unserer Gegenwart zu erweisen.“3
Der Unmut über die Aufführung zog so weite Kreise, dass sich die Theaterleitung drei Tage
nach der Erstaufführung gezwungen sah, den Abonnenten den Tausch der Karten gegen ein
anderes Stück anzubieten. Fast ein Viertel machte davon zunächst Gebrauch, allerdings
wechselten etliche ihre Karten ein weiteres Mal zurück, um sich doch noch das Stück
anschauen zu können.4 Kurz nach der Aufführung der „Dreigroschenoper“ ging die Intendanz
ein weiteres Wagnis ein, indem sie „Wozzeck“ ins Programm aufnahm. Ein Foto davon findet
sich im Programmheft 1929/1930. Der Komponist Alban Berg war bei der Premiere am 5.
März 1929 anwesend und zeigte sich in seinem Dankesbrief an das Oldenburgische
Landestheater begeistert über deren Leistung.5 Die Aufruhr um die Aufführung dieser
modernen Stückte ging sogar soweit, dass der Oldenburgische Landtag darüber diskutierte.
Die NSDAP trieb ihre Kritik auf die Spitze, indem sie forderte, dass „das Theater eine Woche
für Schweine und eine für anständige Leute öffnen“ sollte.6 Brechts Stücke und atonale
Musik, wie sie in „Wozzeck“ zu hören war, gehörten für sie selbstverständlich in „die Woche
für Schweine“. Der Intendant Hellmut Götze sah sich aufgefordert, den Vorwürfen öffentlich
entgegenzutreten und verteidigte die Auswahl moderner Bühnenwerke. Trotz aller Kritik,
oder vielleicht gerade deswegen, entwickelten sich beide Stücke zu Kassenschlagern. Die
„Dreigroschenoper“ war in der Spielzeit 1928/1929 die erfolgreichste Darbietung. Die
Leitung des Landestheaters hatte sich Ende der 20er Jahre mit Erfolg an mehrere Opern und
Stücke der Avantgarde gewagt und galt als „provinzielles Zentrum für Neue Musik“.7 Das
Programmheft zeugt von diesem Aufbruch und macht zugleich deutlich, dass auch zahlreiche
Klassiker das Programm füllten und dafür sorgen sollten, das konservative Publikum nicht zu
vergraulen. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurden alle avantgardistischen
Strömungen abgebrochen, seit 1933 durfte die „Dreigroschenoper“ nicht mehr aufgeführt
werden. Die anti-modernistische Kulturpolitik der Nationalsozialisten konnte dem Erfolgsweg
der „Dreigroschenoper“ jedoch keinen Abbruch tun, sie wurde zum erfolgreichsten
Bühnenstück des 20. Jahrhunderts. In Oldenburg konnte sich das Theater nach 1945 auch
deswegen so schnell wieder erholen, da es an die erfolgreichen Ära Ende der 20er Jahre
anknüpfte.8
1
Karl-Heinz Neumann schreibt, dass das Oldenburgische Landestheater nach Nürnberg das dritte Haus gewesen sei, das die
„Dreigroschenoper“ aufführte. (Karl-Heinz Neumann: Theater in Oldenburg. Wesen und Werden einer nordwestdeutschen
Bühne, Oldenburg 1982, S. 126.) Bei Heinrich Schmidt heißt es sogar, dass es die erste Aufführung in Deutschland nach der
Uraufführung gewesen sei. (Heinrich Schmidt: Zum Verhältnis von Theater, Gesellschaft und Politik in Oldenburg 19191944, in: Heinrich Schmidt (Hg.): Hoftheater, Landestheater, Staatstheater. Beiträge zur Geschichte des Oldenburgischen
2
Theaters 1933-1983, Oldenburg 1983, S. 123). Wahrscheinlich wurde die „Dreigroschenoper“ im Frühjahr 1929 in mehreren
Theatern ins Programm aufgenommen.
2
Landeszeitung vom 5. Februar 1929.
3
Nachrichten für Stadt und Land vom 5. Februar 1929.
4
Susanne Bosch-Abele: Das Theater während der Weimarer Republik, in: Oldenburg. Kulturgeschichte einer Landschaft, hg.
vom Landesmuseum Oldenburg, Oldenburg 1998, S. 475f.
5
Staatsarchiv Oldenburg Best. 172-1 Nr. 609.
6
Schirmer, Lothar: Ein Theater der Republik wird braun: Das Landestheater Oldenburg in den Jahren 1927 bis 1933, in:
Schmidt 1983, S. 155.
7
Christiane Maaß: Das Oldenburg der zwanziger Jahre: ein „provinzielles Zentrum“ für Neue Musik, in: Das Land
Oldenburg. Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft 1997, Nr. 97, S. 18-21.
8
Gunilla Budde, Mareike Witkowski: Das Oldenburgische Staatstheater während des Nationalsozialismus, Oldenburg 2007,
S. 113.
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