Untersuchungsgang (UG) Die Befunderhebung bzw. Untersuchung des Patienten dient zielgerichtet der Diagnosefindung und Prognosestellung. An Hand des davon abgeleiteten Therapieplanes wird auch dessen Intensität (Dosis) festgelegt. Dieser Vorgang ist nicht starr, sondern kann und muss im Verlaufe der Therapie dem Fortschritt des Patienten angepasst werden. Daraus ersichtlich ergeben sich Probleme, die ein starres Behandlungsprotokoll nicht zulassen. Jeder Therapieplan ist als individuelles „Einzelstück“ zu betrachten ist. Die Erfahrung des Therapeuten gewährt natürlich Parallelitäten und Einsichten aus ähnlich gelagerten Fällen. Es ist deshalb mit einem Stillstand im Fortschritt der Schmerztherapie nicht so bald zu rechnen. Exkurs: Die Behandlungszeiten wurden und werden aber im Laufe der Zeiten kürzer, da die möglichen Methoden und deren Kombinationen ein immer effektiveres Vorgehen ermöglichen. Diese Effektivität wird aber auch durch den Besitzerdruck und durch die relativ kurze Lebenszeit unserer Patienten geschürt. Es sind deshalb die Behandlungsregimes in der Kleintiermedizin prinzipiell zu überdenken und anders gelagert als in der Humanmedizin, die zwar wiederum anderen Zwängen unterliegt, aber grundsätzlich mit einem größeren „Geduldsfaktor“ rechnen kann. So wird vor allem im Hinblick auf chirurgische Eingriffe ein Umdenken notwendig sein, derart, dass der Schmerztherapeut die Indikation erstellt und einen Eingriff vorschreibt und Vorsorge und Nach- und Weiterbehandlung übernimmt. Dies wiederum verlangt von ihm ein Höchstmaß an Fort- und Weiterbildungswillen und erweitert seine Tätigkeit in Richtung therapeutisches Management. Der UG ist letztlich, wie eine verkehrte Pyramide, zielgerichtet. Es geht nicht darum, wie in der modernen Medizin üblich, unter Ausnützung aller zur Verfügung stehender Ressourcen, eine Vielzahl von Befunden zu erheben um daraus eine „diagnostische Schnittfläche“ (im Sinne der Mengenlehre) zu entwickeln. Die Teile des Untersuchungsganges sollen vielmehr in logischer Abfolge zu einander stehen, sich (zumindest teilweise) bedingen und nach Absolvierung eines Abschnittes, die Intensität der folgenden Untersuchungen bestimmen (Gangbildanalyse Adspektion in der Ruhe Palpation ...). Hilfsuntersuchungen wie die bildgebende Diagnostik, Laborbefundungen etc. werden nicht im Sinne eines „Scannings“ sondern auf Grund einer speziellen Fragestellung eingesetzt. Dies bedeutet letztlich eine qualitative und quantitative Verbesserung der Befundausbeute aus dem angestrebten Verfahren. Ein kleines Beispiel zur Erläuterung: Der UG beginnt mit dem Nationale (Signalement): Die Frage nach der Rasse einer Katze oder eines Hundes, soll den Sinn (Spürsinn, Aufmerksamkeit) des Untersuchers für spezifische Problematiken dieser Rassen schärfen: So sind bei einer Perserkatze z. B. Probleme im thorakolumbalen und lumbosakralen Übergangen, bzw. Hüftprobleme oder Herzerkrankungen zu erwarten, wo hingegen Boxer sehr oft und weitreichende Ankylosierungen der Wirbelsäule und Labradore und viele andere Rassen eine Prädisposition für Hüftleiden aufweisen neigen. Das soll nicht dazu führen, andere Problematiken außer Acht zu lassen, aber den Untersucher eindringlich auf rassespezifische Eigenheiten aufmerksam hinweisen, die auch einer Vielzahl von Sekundärproblemen nach sich ziehen können. Auch die Feststellung des Alters muss zu einer Fokussierung auf spezielle Probleme der betreffenden Altersgruppe, wie z. B. Jungtier oder geriatrische Tiere, führen. Die Teile des UG sind Befunderhebungen und keine Diagnosen. So lassen sich von der subjektiven Gangbildanalyse viele Befunde und Schlussfolgerungen ableiten, aber prinzipiell sollten daraus Untersuchungskonsequenzen erwachsen, die die Beobachtungen untermauern und/oder relativieren. Der im nachfolgenden erläuterte UG stellt eine Erweiterung der klinischen Untersuchung dar, weil nur das eine ganzheitliche Sicht des Patienten gestattet, seine Befindlichkeiten quantifizieren lässt, um den Leidensdruck zu ermessen. Dieser Leidensdruck, der sich u. a. durch die Unterlassung positiver Lebensäußerungen (Spielverhalten, Sexualverhalten, Leistungswille, Appetit,...) äußert, ist ein (mit)bestimmender Faktor für den Therapieplan. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, ein Formular im Sinne einer check-Liste für den Untersuchungsgang abzuarbeiten (Abb. XXX), um unter keinen Umständen etwas zu vergessen und um eine gute Patientendokumentation davon abzuleiten. Der Untersuchungsgang gliedert sich in: - Nationale (Signalement) - Vorbericht (Anamnese) - Klinische Untersuchung (inkl. Palpation Thorax und Abdomen) - Gangbildanalyse (Adspektion in der Bewegung) - Adspektion in der Ruhe - Palpationen o Kiblersche Hautfaltenpalpation - o Druckpunktpalpation (Rumpfsegmente) o Triggerpunktuntersuchungen (Extremitäten) o Gelenksfunktionsprüfungen Hilfsuntersuchungen o Bildgebende Diagnostik o Laboruntersuchungen o Videoanalyse - Zusammenfassung der Befunde - Dynamische Diagnose (Diagnose[n], Bewertung, Prognose) - Therapie Man könnte annehmen, dass es sich um einen orthopädischen Untersuchungsgang handelt. Bei näherem Studium der Abschnitte des UG wird man aber bemerken, dass es sich um einen Austausch von „äußeren“ und „inneren“ Symptomen, Befunden und Auffälligkeiten handelt. Es bleibt dem „Äußeren“ (Haut, Muskeln und deren neuralen Strukturen) nichts verborgen. So reagieren diese Schichten immer mit, wenn eine viszerale Störung bzw. Erkrankung vorliegt und (selbstverständlich) auch umgekehrt. Wie im Kapitel „Segmentalreflektorik“ näher beschrieben – gibt es im Körper (und auch in den Abläufen der Natur) nach Bergsmann „keine Einbahnen sondern nur Kreisverkehre“! Der UG ist so konzipiert, dass auf Grund der Anamnese und klinischen Untersuchung die segmentalen Symptomatiken besser verstanden und eingeordnet werden können. In fortgeschrittenen Stadien wird dies immer schwieriger, weil sich entweder Symptome, Störung oder Krankheiten überlagern oder letztlich jede längerwährende Erkrankung auffällig dem orthopädischen Anteil des Organismus mitteilt und zu Schonhaltungen und -bewegungen führt.