Quadrimed 2011 PD Dr med Kaspar Berneis Leiten der Arzt Klinik für Endokrinologie Diabetologie und Klinische Ernährung Universitätsspital Zürich 8091 Zürich [email protected] Rev Med Suisse 2011 ; 7 : 258-9 beispiel «zucker» : unterschied zwischen haushaltszucker, traubenzucker und fruchtzucker ? Beim Begriff «Zucker» denken wir meist an den Haushaltszucker, also Saccharose, ein Disaccharid, das aus Glukose und Fruk­tose zusammengesetzt ist und aus Zuckerrohr oder Rüben hergestellt wird. Während Tau­ senden von Jahren haben wir Fruktose in kleineren Mengen in Form frischer Früchte konsumiert. In den letzten Jahrzehnten ist es vor allem in den USA zu einem drasti­ schen Anstieg des Konsums von Fruktose gekommen. Diese wird aus Mais gewonnen und zu einem Sirup namens HFCS (high fructose corn syrup) verarbeitet. Wurden 1970 in den USA total pro Kopf und Jahr nur 0,23 kg HFCS konsumiert, so ist in der Zwischenzeit der Konsum um mehr als das Hundertfache angestiegen. Zuneh­ mend weisen an Tieren und Menschen er­ hobene Daten auf eine ungünstige Wirkung eines hohen Fruktosekonsums auf Gewicht, Lipidstoffwechsel, Gicht und Bluthoch­druck hin – Veränderungen, die für eine Zunahme des metabolischen Syndroms sprechen. Den­noch wird mit «Fruchtzucker» immer noch Werbung gemacht, und viele Konsu­ menten glauben, dass dieses Monosaccha­ rid gesünder sei. Der Name «Frucht» ist wahr­ scheinlich die Ursache dafür und sicher auch die Werbung der Nahrungsmittelher­ steller. Diese suggeriert, dass Fruktose na­ türlicher und gesünder sei als Traubenzu­ cker oder Haushaltszucker. Heutzutage macht die Fruktose aus HFCS in den USA etwa die Hälfte der beim Essen und Trinken zugeführten Zuckerarten aus. HFCS findet sich in Backwaren, Konfitüren, Softdrinks und selbst im Ketchup ! Besteht ein Zusammenhang zwischen dem metabolischen Syndrom und dem dra­ matisch gestiegenen Fruktosekonsum ? Wir haben am Universitätsspital Zürich zwischen 2007 und 2010 eine randomisierte, cross­ 258 over Studie durchgeführt, welche das Ziel hatte möglichst realitätsnahe die Wirkun­ gen von Softdrinks, welche mit Fruktose, Glu­kose oder Saccharose gesüsst waren bei jungen gesunden Männern zu untersu­ chen. Die Probanden bekamen zwischen 40-80 g Zucker in Form von Softdrinks über 3 Wochen. Eben eine Menge die uns ver­ sprach «real life» Daten zu gewinnen. Es zeigte sich erstaunlicherweise dass bei al­ len Zuckerarten (Glukose, Saccharose und Fruktose) der nüchtern Blutzucker nach 3 Wochen angestiegen ist. Ebenso kam es zu einem Anstieg des hs-CRP (Abbildung 1) und Verschiebung der LDL Subklassen zu kleineren und damit atherogeneren Parti­ keln. Dies ist insofern überraschend, dass schon bei relativ geringen Mengen Zucker in Form von Softdrinks ein markanter Effekt auf Lipid- und Zuckerstoffwechsel nach­ gewiesen werden konnte – Effekte, die als Vorboten des metabolischen Syndroms be­ zeichnet werden könnten. Diese «süssen» Erkenntnisse sind nicht nur relevant für Ärzte, sondern auch für die jungen Konsumenten. beispiel «functional food und bio food» Zu den meisten «Funktional Foods» ist meines Erachtens ein Nutzen nicht belegt. Ich erwarte weder einen Nutzen noch einen Schaden auf die menschliche Gesundheit. Die Zugabe gewisser Makronährstoffe kann 120 100 % change from baseline K. Berneis Sinn und Unsinn in der heutigen Ernährung 80 ** 96 * 88 * 68 60 40 20 0 MF MG HF HG HS Abbildung 1. Anstieg des hs-CRP bei Konsum von Softdrinks % Anstieg des hs-CRP bei Konsum von Soft­drinks mit 40 oder 80 g Fruktose (MF, HF), 40 oder 80 g Glukose (MG, HG) oder 80 g Saccharose (HS) während 3 Wochen (n = 24 ; * p l 0,01, ** p l 0,002). Revue Médicale Suisse – www.revmed.ch – 26 janvier 2011 82_83_35392.indd 1 * 82 ** 95 beispielsweise Sinn machen bei Menschen, die sich ansonsten sehr einseitig ernähren. Für mich ist die beste Ernährung, diejenige, die industriell nicht mehr als notwendig ver­ arbeitet wurde, dies heisst die natürliche Ernährung «frisch vom Acker, oder Bauern­ hof». Die Natur liefert übrigens «functional food» in Hülle und Fülle. Bestes Beispiel ist die Milch : Wahrscheinlich das ausgewo­ genste und eines der besten Nahrungsmit­ tel überhaupt. Wird im Körper von Säuge­ tieren synthetisiert. Die Zusammensetzung ist so ideal, dass Menschenkinder, und auch die Jungen von Säugetieren sich zu 100% mit Milch ernähren können. Stellen Sie sich das vor : keine Beilagen, nicht mal ein Glas Wasser – alles vorhanden ! Die Krone des «functional foods» direkt von der Brust, bzw. Euter ! Functional food macht für mich jedoch in gewissen Nischen Sinn. Auch bei gesunden Personen kann es durchaus zu Vitamin D Mangel, Eisen Mangel oder unzureichen­de Einnahme von Kalzium kommen aus ver­ schiedenen Gründen (beispielsweise Nacht­ arbeiter). Hier macht eine selektive Anrei­ cherung von Vitamin D beispielsweise Sinn. Anreicherung mit Eisen kann ebenso Sinn machen bei Personen die unter chroni­ schem Mangel leiden oder auch Zugabe von Kalzium. Bei gewissen Erkrankungen wie beispielsweise einem Kurzdarmsyndrom oder bei St.n. Magenbypass ist die Supple­ mentierung von Vitaminen und anderen Mi­ kronährstoffen sehr wichtig, dies geschieht aber am besten mit einer definierten Menge – enthalten in einem Multivitaminpräparat Ebenso ist in der Schwangerschaft eine se­ lektive Supplementation mit Folsäure medi­ zinisch indiziert ; jedoch nicht in Form von «functional food», sondern in einer gut defi­ nierten Mengel 1 x tgl. als Supplement. Zu­ sammenfassend : «functional Food» sind Nischenprodukt, medizinisch gibt es kei­ nen Gründe diese zu bevorzugen. Menschen essen «functional food» zum einen weil einige in der hektischen Zeit nicht mehr genügend Zeit zu einem ausgewoge­ nen guten Essen aufbringen, was eigentlich schade ist. Es geht wohl schneller eine Por­ tion «functional food» zu essen als herkömm­ liches gutes Essen mit gutem Gemüse und Obst zum Mittag und vielleicht einem Glas Milch zu Frühstück. Einige kaufen «fufo» Revue Médicale Suisse – www.revmed.ch – 26 janvier 2011 0 20.01.11 08:13 auch aus Neugier : «Functional» tönt verspre­ chend : es scheint etwas in Bewegung ge­ setzt zu werden. Ich kenne jedoch wenige, welche sich über längere Zeit so ernähren und sich dies auch leisten wollen oder könnten. Bio Food und «functional food» schlies­ sen sich sicherlich nicht aus : Meines Er­ messens ist Bio Food hinsichtlich Zusam­ mensetzung und Ausgewogenheit deutlich überlegen. Das Problem beim Bio Food ist lediglich dass diese Etikette zu wenig res­ triktiv gehandhabt wird. Sehr viele Konsu­ menten sind beispielsweise bereit für Eier und Fleisch aus artgerechter Haltung und ohne Aufzucht mit Anabolika mehr zu bezah­ len ; dies befürworte ich medizinisch aus­ drücklich. Es macht ökologisch und gesund­ heitlich nun wirklich keinen Sinn Poulet aus dem Fernosten hier in der Schweiz zu ver­ zehren. Auch ist nachvollziehbar, dass Ge­ müse aus biologischem Anbau besser schmeckt und wir lieber einen «normalen» Apfel essen, also einen hochgezüchteten, behandelten Riesenapfel, welcher ernäh­ 0 rungstechnisch dem herkömmlichen Apfel auch nicht überlegen ist. Die Konsumenten werden noch manche ernsthaftere und wenig ernsthaftere neuen «Produkte» sehen. Wenn er interessiert ist und weiss, was er isst, habe ich keine Be­ denken. Der Konsument soll jedoch nicht glauben, dass «Zaubernahrung» auf den Markt kommen wird, die ihn leistungsfähi­ ger und glücklicher macht – dies kommt aus anderen Quellen. Schlussendlich sollen all diejenigen, die vielleicht verunsichert sind, Bibliographie • Aeberli I, Gerber PA, Hochuli M, et al. Adverse effects of sugar sweetened beverages on carbohydrate and lipid metabolism : A randomized controlled trial in healthy young men. Submitted for publication. • Badimon L, Vilahur G, Padro T. Nutraceuticals and atherosclerosis : Human trials. Cardiovasc Ther 2010;28: 202-15. Review. • Basciano H, Federico L, Adeli K. Fructose, insulin resistance, and metabolic dyslipidemia. 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