Übungen zur Mathematik für Physiker I Folgen, Konvergenz, abgeschlossene, offene und kompakte Mengen Kai Gehrs [email protected] 30. Oktober 2003 Cauchy-Folgen und Vollständigkeit Eine Folge komplexer Zahlen (zn )n∈N heißt eine Cauchy-Folge, wenn es zu jedem ε > 0 ein N (ε) gibt, so dass für alle m, n ≥ N (ε) gilt: |zn − zm | ≤ ε. Es gilt: Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge, aber nicht jede Cauchy-Folge konvergiert. Der Beweis der Richtung “⇒” von Satz 2.28 zeigt die erste Aussage (der Beweis lässt sich analog führen, auch wenn man sich auf die rationalen Zahlen oder die reellen Zahlen beschränkt). Für die reellen Zahlen und die komplexen Zahlen ist auch die Umkehrung richtig, d.h. eine Folge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist. Gilt in einem “Rechenbereich” diese Äquivalenz, so spricht man gemeinhin von “Vollständigkeit”. Die reellen und die komplexen Zahlen sind vollständig. Dies gilt jedoch nicht für die rationalen Zahlen, denn die Folge (1 + n1 )n , n ∈ N ist eine Cauchy-Folge (sie konvergiert in R gegen die Eulersche Zahl e und muss folglich auch eine Cauchy-Folge in Q sein), aber ihr Grenzwert e ist irrational. Offene, abgeschlossene und kompakte Mengen In der Vorlesung wurde der Begriff des Häufungspunktes einer Menge eingeführt. Zur Erinnerung: z ∗ ∈ C heißt ein Häufungspunkt der Menge A ⊆ C, wenn für jedes ε > 0 die abgeschlossene Umgebung Ūε (z ∗ ) = {z ∈ C | |z − z ∗ | ≤ ε} 1 nicht leeren Durchschnitt mit der Menge A hat (also mit A stets mindestens einen Punkt gemeinsam hat. Eine abgeschlossene Menge A ⊆ C ist dann eine Teilmenge der komplexen Zahlen, die all ihre Häufungspunkte enthält. Komplemente abgeschlossener Mengen nennen wir offene Mengen. Diese Art und Weise offene und abgeschlossene Mengen zu definieren unterscheidet sich ein wenig von der in der Standardliteratur üblichen Vorgehensweise. Gemeinhin geht man wie folgt vor: Man definiert zunächst offene Mengen und dann abgeschlossene Mengen als Komplemente von offenen Mengen. Definition: Eine Menge O ⊆ C heißt offen, wenn es zu jedem Punkt z ∗ ∈ O ein ε > 0 gibt, so dass die offene Umgebung Uε (z ∗ ) = {z ∈ C | |z − z ∗ | < ε} ganz in der Menge O enthalten ist. Eine Menge A ⊆ C heißt abgeschlossen, wenn ihr Komplement C \ A eine offene Menge ist. Die Definition von abgeschlossenen Mengen aus der Vorlesung als Mengen, die all ihre Häufungspunkte enthalten, kann man nun als “Satz” oder “Korollar” aus der obigen Definition herleiten (darauf wollen wir hier aber verzichten). Abgeschlossene Mengen lassen sich auch mit Hilfe von Konvergenz charakterisieren. Zur Erinnerung hier die Definition der Konvergenz einer Folge: Definition: Wir sagen, dass eine Folge (zn )n∈N komplexer Zahlen gegen die komplexe Zahl z ∗ konvergiert, wenn es zu jedem ε > 0 eine abgeschlossene Umgebung Ūε (z ∗ ) = {z ∈ C | |z − z ∗ | ≤ ε} gibt derart, dass alle bis auf endlich viele Folgenglieder in Ūε (z ∗ ) liegen. Diese Definition liest sich ein wenig anders, als die ursprüngliche Definition von Konvergenz aus der Vorlesung. Sie soll als kleine Motivation dienen, sich ein wenig mehr mit abgeschlossenen Mengen zu beschäftigen. Es gilt nun: Ist A ⊆ C eine abgeschlossene Menge und (zn )n∈N eine Folge mit zn → z ∗ ∈ C, so folgt bereits z ∗ ∈ A. Die Eigenschaft, dass eine abgeschlossene Menge sich dadurch auszeichnet, dass sie all ihre Häufungspunkte enthält, entspricht also andererseits der Tatsache, dass die Grenzwerte von konvergenten Folgen, deren Folgenglieder sämtlich in der entsprechenden abgeschlossenen Menge enthalten sind, ebenfalls in dieser Menge liegen müssen. Abgeschlossenheit ist keine “selbstverständliche” Eigenschaft: Betrachte das Intervall (0, 1] ⊆ R und die Folge ( n1 )n∈N . Es gilt nach Volesung n1 → 0 für n → ∞, aber 0 ∈ / (0, 1]. 2 Die Menge (0, 1] ist also nicht abgeschlossen, denn alle Folgengleider der Folge ( n1 )n∈N liegen in (0, 1], die Folge ist konvergent (in R), aber ihr Grenzwert ist nicht in (0, 1] enthalten. Dagegen sind alle abgeschlossenen Intervalle [a, b] mit a, b ∈ R, a ≤ b, abgeschlossene Mengen. Nimmt man zur Eigenschaft der Abgeschlossenheit einer Menge noch die Beschränkheit hinzu, so erhält man (wir beschränken uns hier auf den reellen Fall): Ist A ⊆ R eine abgeschlossene und beschränkte Menge, so besitzt jede Folge (an )n∈N , deren Folgenglieder sämtlich in A enthalten sind, eine konvergente Teilfolge mit Limes in A. Diese Aussage können wir sogar sehr schnell mit den theoretischen Hilfmitteln der Vorlesung beweisen. Beweis. Sei A ⊆ R eine abgeschlossene und beschränkte Menge und (an )n∈N eine beliebige Folge in A. Dann ist (an )n∈N eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Nach dem Satz von Bolzano und Weierstrass 2.39 bzw. nach Bemerkung 2.40 besitzt (an )n∈N eine konvergente Teilfolge (anj )j∈N . Dann ist (anj )j∈N eine konvergente Folge, deren Folgenglieder sämtlich in der abgeschlossenen Menge A enthalten sind. Da A abgeschlossen ist, folgt, dass ihr Grenzwert bereits in A enthalten sein muss. Dies zeigt die Behauptung. 3