Daniel Englbauer Hermeneutik und Phänomenologie Zum Einfluß der Philosophie auf die Religionswissenschaften Einführung in das Denken von Dilthey und Husserl Referat im missionswissenschaftlichen Proseminar "Einführung in die Religionswissenschaften" Leitung: A. Nehring Augustana - Hochschule Neuendettelsau WS 97 / 98 22. 1. 1998 Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 2 Vorwort "Phänomenologie" ist laut Knaurs Rechtschreibung: "1 Beschreibung von sinnlich wahrnehmbaren Gegebenheiten; 2 Lehre von den Erscheinungen des Dinges "an sich" (bei Kant), von den Erscheinungen des sich dialektisch aufwärtsbewegenden Bewußtseins (bei Hegel), von der "Wesenheit" der Dinge (bei Husserl)"1. Jedoch mag man geneigt sein bei einer Untersuchung und Darstellung des Denkens von Wilhelm Dilthey und Edmund Husserl die Auffassung zu vertreten, Phänomenologie sei die Wissenschaft von ebendiesen beiden Phänomenen, die da Wissenschaftler waren. Während Dilthey über die Entwicklung und endgültige Niederschrift seiner Gedanken verstarb, so hat Husserl seine Gedanken entweder alle zwei Jahre verändert oder ganz aufgegeben, so daß zum Beispiel bei seinem Werk "Logische Untersuchungen" immer die Auflage mitzitiert werden sollte, da er sogar von Auflage zu Auflage extreme Gedankensprünge veranstaltet hat. Einen Artikel zum Thema "Verstehen" zu lesen, ein Referat zum Thema "Verstehen" zu halten oder gar eine Arbeit zum Thema "Verstehen" zu schreiben, gestaltet sich sehr schwierig, wenn man nichts versteht, aber nicht nur mir geht es so, auch die Kommentatoren ihrer Werke, ihre Zeitgenossen und Nachfolger hatten Probleme mit den Konzeptionen, mit der Terminologie, die besonders bei Husserl zwar relativ gleich blieb, aber dennoch ihren Inhalt von Werk zu Werk ändern konnte, und dergleichen. Dementsprechend kann dieses Referat hier auch nur den Versuch machen, diese zwei Herren Ihnen heranzubringen, erklären wird es sie wohl nicht können und zur Gänze verstehen, werden Sie es wohl auch nicht; doch ein Versuch mag gewagt sein ... 1 Knaurs Rechtschreibung, S. 627. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 3 1 Wilhelm Dilthey Wilhelm Dilthey wurde am 19.11.1833 in Bieberich als Sohn einer Beamtenund Pastorenfamilie geboren und widmete sich in seiner Jugend dem Studium der Theologie und der Philosophie. Für letzteres hatte er ab 1866 den Lehrstuhl in Basel inne, danach ab 1868 in Kiel, ab 1871 in Breslau und von 1882 bis zu seinem Tode am 3. 10. 1911 den in Berlin. Dieser weitgereiste Mann und seine Schüler haben letztendlich das Bild der Wissenschaften in der Gegenwart nachhaltig verändert, so daß auch die Theologie und die Religionswissenschaft nicht mehr ganz so das sind, was sie einmal waren, da sich beide auch mit der Geschichte beschäftigen. Geschichte ist der Ausdruck der menschlichen Freiheit und ihrer Werte2 und die Auseinandersetzung mit der Geschichte - der Kritik der historischen Vernunft - brachte Dilthey auf den Gedanken, daß es zwei Arten von Wissenschaften geben müsse: die Geistes- und die Naturwissenschaften. Während letzere sich mit universalen Naturgesetzen auseinandersetzen und versuchen "wertfreie" Phänomene kausal zu erklären, ist es die Aufgabe der Geisteswissenschaften, sich mit dem "Individuellen" zu befassen und rein deskriptiv zu bleiben, es sollen Lebensformen und die darin enthaltenen Werte, die geistige Symbolwelt durch "Verstehen" erfahrbar gemacht werden3. So ist es zentral für ihn, das Leben durch das Leben zu erfassen. Dilthey sagt: "Alle Geisteswissenschaften beruhen auf dem Studium der abgelaufenen Geschichte bis zu dem in der Gegenwart Bestehenden als Grenze dessen, was über den Gegenstand Menschheit in unsere Erfahrung fällt. Was erlebt, verstanden und aus der Vergangenheit emporgehoben werden kann in das Bewußtsein, ist darin begriffen. In all dem suchen wir den Menschen, und so ist auch die Psychologie nur ein Suchen des Menschen im Erlebten und Verstandenen, in den Ausdrücken und Wirkungen, die von ihm da sind. (...) die erste Bedingung für die Möglichkeit der Geschichtswissenschaft liegt darin, daß ich selbst ein geschichtliches Wesen bin, daß der, welcher die Geschichte erforscht, derselbe ist, der die Geschichte macht."4 Nachdem es in unserer Sparte der Wissenschaft keine kleinsten selbständige Einheiten, wie die Atome gibt, die zu erklären sind, muß es hier etwas anderes sein, das es zu verstehen gilt: und dies ist das "Erlebnis". Dies ist 2 3 4 Vgl. GIRTLER, S, 194. Vgl. GIRTLER, S. 194 f. DILTHEY, S. 278. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 4 das Erlebnis, das in sich gegliederte Strukturen hat, das einen schöpferischen Ausdruck hat, da es aus den Tiefen der Psyche etwas vollkommen Neues hervorbringen kann, das dem reflexiven Verstehen zugänglich wird. Weil dies aber von jedem Menschen gilt, gilt dies auch für alle Völker und Kulturen. Geisteswissenschaft ist also etwas Inneres, und welche Wissenschaft liegt der Seele im Allgemeinen am Nächsten? - Dies ist die Psychologie, die nun ein neues Gesicht bekommen sollte, damit sie in sein neues Bild passt. Bisher war die Psychologie eine erklärende Psychologie, sie versuchte rein kausal psychische Phänomene zu erläutern und "(...) das Seelenleben auf eine begrenzte Zahl von eindeutig bestimmten Elemente zurückzuführen (...)"5. Sie konstruierte die Hypothese, daß diese einfachen seelischen Funktionen zusammenwirken, jedoch bemängelt Dilthey, daß dies nie wirklich nachweisbar sein dürfte, es wäre besser eine verstehende Psychologie einzusetzen, "(...) die von dem Ganzen des Lebenszusammenhanges, wie er im Erlebnis gegeben ist, ihren Ausgang nimmt. (...) [Und] das Seelenleben in seinem ursprünglichen Strukturzusammenhang zu beschreiben oder, da hier das Einzelne aus dem Ganzen begriffen werden soll, zu "verstehen". "Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir", so lautet Diltheys Leitidee."6 Doch wie ist dieses Verstehen nun zu bewerkstelligen? - Man muß sich zunächst einmal selbst besinnen, den Rückwärtsgang vom Äußersten auf das Innerste wagen und das Modell der Hermeneutik von Schleiermacher anwenden, die bei Dilthey geradezu zur historischen Methode wird7, jedoch nur auf Schriftdenkmäler angewendet werden soll. "Von der Hermeneutik erwartet Dilthey nunmehr die Lösung der Frage nach der "wissenschaftlichen Erkenntnis" des Individuellen, also allgemeingültige Regeln, um das Verstehen vor subjektiver Beliebigkeit zu sichern."8 - An dieser Stelle ist es nun aber besser abzubrechen, denn wir verlassen endgültig festen Boden und bewegen uns in freier Spekulation - Dilthey hat dies nie so veröffentlicht, auch läßt sich dies zum großen Teil nur rekonstruieren; wie gesagt, er verstarb, bevor er sich festlegen konnte. Die fehlende Methodologie haben seine Schüler und vor allem die Psychologen versucht auszuarbeiten, da sie am meisten angegriffen wurden. Die klassischen Standardkriterien erfahrungswissenschaftlicher Theorien sind: 5 6 7 8 GRONDIN, S. 112. GRONDIN, S. 112 f. Vgl. GIRTLER, S. 196. GRONDIN, S. 116 f. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 5 1) Logische Konsistenz bzw. Widerspruchsfreiheit 2) Empirische Überprüfbarkeit 3) Grad der Verflechtung von Konzeptebene und empirischer Ebene, d.h., wie durchlässig ist eine Theorie 4) Sparsamkeit bzw. Ökonomie des Aufbaus 5) Problemspezifische Nützlichkeit 6) Bandbreite 7) Relevanz für den Fortgang der Forschung9. Nachdem Theologie mehr oder minder in den Bereich der Geistes- oder Kulturwissenschaften eingeordnet werden kann, müßte auch sie sich an diese Kriterien halten, wenn sie mit anderen (Geistes-) Wissenschaften in Gespräche treten will, aber dies steht auf einem anderen, eher systematischen und dogmatischen Blatt. 9 nach WITTKOWSKI, S. 16 f. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 6 2. Edmund Husserl Edmund Husserl, geboren 1859, war 1887 Privatdozent in Halle, ab 1901 außerordentlicher und fünf Jahre später ordentlicher Professor in Göttingen, wechselte 1916 nach Freiburg, wo er 1928 emeriert wurde. Gestorben ist er 1938. Ursprünglich war er Mathematiker, kam aber letztendlich über die Arithmetik zu prinzipiellen logischen und erkenntnistheoretischen Fragestellungen. Wie bereits zu Beginn gesagt, gestaltet sich eine Beschreibung der Phänomenologie Husserls sehr schwierig, da er auch schon in den Grundvoraussetzungen seiner Lehre wechselte. Schrieb er noch in der ersten Auflage seiner Logischen Untersuchungen, Phänomenologie sei eine deskriptive Psychologie, so schrieb er in der dritten Auflage 1903: "Behält das Wort Psychologie seinen [erfahrungswissenschaftlichen] Sinn, so ist Phänomenologie eben nicht deskriptive Psychologie"10. So revidierte er immer wieder auch die Methode der Phänomenologie, "(...) die nicht nur kausal erklärende, sondern gar keine Erfahrungswissenschaft ist, lassen diese Methoden so "akrobatisch" erscheinen, daß man den Stoßseufzer des Göttinger Studenten Norbert Wiener verstehen kann, der 1914 an Russell schrieb: "Was die geistigen Verrenkungen (...) angeht, denen man sich unterziehen muß, um die wahre phänomenologische Einstellung zu erwerben, so muß ich zugeben, daß sie gänzlich außerhalb meiner Reichweite liegen" (...)"11. Wenn man erst einmal weiß, was der Inhalt, das Thema der Phänomenologie ist, so kann man erkennen, was das Schwierige ausmacht: Phänomene sind etwas, das erscheint, und diese Erscheinungen werden mit dem Begriff "Erlebnis" gleichgesetzt. Ein Erlebnis ist ein Vorkommnis, ein Ereignis, etwas, das irgendwann stattfindet, jedoch sind viele Ereignisse umgekehrt keine Erlebnisse, denn ein Erlebnis ist das bei einem Ereignis Wahrgenommene. Genauer definiert: "Ein Ereignis ist genau dann eines meiner Erlebnisse, wenn es Eigenschaften hat, von denen gilt: ich kann introspektiv mit Evidenz urteilen ( ich kann "adäquat wahrnehmen"), daß sie ihm zukommen."12 HUSSERL: Logische Untersuchungen, Bd 1 (?), 3.Aufl., S. 18; hier KÜNNE, S. 176. 11 KÜNNE, S. 176. 10 12 KÜNNE, S. 174. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 7 Der Mensch an sich besteht nicht nur aus seinen Erlebnissen, sein "seelisches Ich" aber, das in ihm wohnt, es ist ein Bündel von Erlebnissen, die zusammengehören, es ist ein Erlebnisstrom. In eben diesem Erlebnisstrom konstituiert sich das intentionale Bewußtsein. Intentionalität bedeutet in diesem Zusammenhang das besondere Gerichtetsein des Bewußtseins und die sinnkonstituierende Leistung13. Das Thema der Phänomenologie ist also das Bewußtsein und seine Intentionalität, doch wie sieht nun das Methodenkonzept hierzu aus? In seinen Ideen, Band I, schreibt Husserl, daß Phänomenologie die "Wesenslehre des transzendental gereinigten Bewußtseins"14 sei, aber was bedeutet transzendentale Reinigung? - Erlebnisse werden so beschrieben, "daß die Beschreibungen auch dann wahr sein könnten, wenn es nur Erlebnisse gäbe (und all das, wovon man sich a priori klarmachen kann, daß es eine conditio sine qua non des Stattfindens von Erlebnissen ist)."15 Eine solche Beschreibung erfolgt mittels der sog. Epoché. Husserl schreibt hierzu: "Wer Phänomenologe werden will, muß sich systematisch von der natürlichen Weltkindschaft befreien und an allen Typen weltkindlichen Erfahrens, Vorstellens, Denkens und Lebens überhaupt und allen korrelativen Typen weltlich-natürlichen Daseins die phänomenologische Reduktion üben; also jene systematische Epoché, durch die alles Weltliche in die reine Subjektivität hinaufgehoben, transzendental vergeistigt wird."16 Um sich klarzumachen, welche Züge jedes Erlebnis, das so beschrieben werden kann, haben muß, übt man die eidetische Reduktion. Sie erfolgt in freier Variation eines wahrgenommenen oder erdachten Falles der Anwendung der Beschreibung, damit man zu "einem unveränderlichen Kern [kommt], über den hinauszugehen die Zerstörung der Washeit und Intentionalität der Phänomene bedeuten würde. Das Resultat wird meist als Wesensschau bezeichnet."17 So kommen wir denn nun auf den Akt und den Gegenstand der Intentionalität zu sprechen. Intentionalität ist die Eigenschaft, Bewußtsein von etwas zu sein; wir haben also die Ebene der Psyche und der Erlebnisse nicht verlassen. Der Gegenstand ist das, auf was das Bewußtsein gerichtet ist, so läßt sich hierüber sagen: "1. Einige Erlebnisse sind in dem Sinne intentional, daß sie auf eine Gegenständlichkeit gerichtet sind. 13 14 15 16 17 Vgl. GIRTLER, S. 200. HUSSERL: Ideen, Bd. I, S. 114; hier KÜNNE, S. 176 KÜNNE, S. 177. Husserliana VIII, S. 123; hier COLPE, S. 136 COLPE, S. 138. f. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 8 2. Nicht alle intentionalen Erlebnisse sind in gleicher Weise auf etwas gerichtet 3. Nicht jedes intentionale Erlebnis ist auf eine Realität gerichtet".18 Es gibt also reale und irreale Gegenstände des Denkens, was aber nicht heißen mag, das es die nicht-realen nicht gibt, da sie in der Intention ja bestehen. Aber wiederum kann man andersherum fragen, ob alle Gegenstände intentional sind. Dies ist zu negieren, da die existierenden ja auch existieren, und daß nicht nur im Gedanken also nicht "bloß intentional" sind. Aber nicht nur die Gegenstände können diese Gespaltenheit aufweisen, sondern auch die Erlebnisse, sprich b sie jetzt intentional sind, oder aber nicht. "Ein Erlebnis ist genau dann intentional, wenn es mit einem Satz der Bauart "Ich (Verb) (Bezeichnung einer Gegenständlichkeit)" so beschrieben werden kann, daß gilt: es ist möglich, daß die Beschreibung zwar zutrifft, die bezeichnete Gegenständlichkeit aber nicht existiert (stattfindet, besteht)."19 So kann zum Beispiel der Satz "Ich empfinde einen heftigen Schmerz" nicht intentional sein, da der Schmerz ja existiert, was jedoch wiederum nicht der Fall ist, wenn es sich um Phantomschmerzen handelt, weil das Bein, in dem der Schmerz empfunden wird, gar nicht mehr existiert, sondern amputiert wurde. Diesen Sachverhalt nennt man das sog. Kriterium der Existenz Indifferenz. Mit dem Begriff "Akt" kürzt Husserl den Begriff "intentionales Erlebnis" ab, so daß man zusammenfassend sagen kann, daß "phänomenologisch (...) jedenfalls die Akte, nicht immer die Gegenstände"20 existieren. Wie sehen nun diese Akte innerlich aus? Wie sehen ihre Form, ihre Materie und ihre Qualität aus? Um dies zu untersuchen muß man allerdings die Formulierung aufstellen: "Akte, die dasselbe Thema haben, können es in verschiedenem Stil, unter anderen Aspekten und mit diversen Mitteln darstellen."21 Zunächst sei die Frage der Qualität zu untersuchen. "Was einen bestimmten Sachverhalt, daß p, angeht, so ist es unter anderem möglich, (A) zu urteilen (glauben), daß p, (A') den Gedanken, daß p, zu denken (etwa wenn man den Satz 'p' mit Verständnis liest), ohne dabei zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es wahr ist, daß p, 18 19 20 21 KÜNNE, S. 181. KÜNNE, S. 185. KÜNNE, S. 188. KÜNNE, S. 190. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 9 (B) sich zu fragen, ob p, (C) sich darüber freuen, daß p. Alle diese (...) Akte, die auf denselben Sachverhalt gerichtet sind, unterscheiden sich in ihrer Qualität."22 So handelt es sich im ersten Fall "zu urteilen (glauben), daß p" um einen setzenden Akt, da man sich durch das Urteilen festlegt, während der Fall "den Gedanken, daß p, zu denken, ohne dabei zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es wahr ist, daß p," die qualitative Modifikation von (A) ist, da der Setzungscharakter fehlt. Ebenso können die Akte in der Materie, dem Aspekt, unter denen sie ihr Thema darstellen variieren, worauf ich jetzt aber nicht näher eingehen möchte. "Die Verknüpfung der Materie eines Urteilsaktes mit seiner Qualität ist das "Urteil im ideal logischen Sinne". (...) Jemand urteilt richtig genau dann, wenn die Bedeutung seines Aktes ein wahrer Satz ist (...). Während Satz (genauso wie Begriff) eine reine Bedeutungskategorie ist, ist Sachverhalt (wie Gegenstand, Art, Gattung, Teil, Ganzes, Beschaffenheit, Beziehung) eine rein gegenständliche oder formal-ontologische Kategorie (...) Sachverhalte sind weder wahr noch falsch - sie bestehen oder bestehen nicht."23 Letztendlich können sich noch die Mittel der Darstellung unterscheiden, diese sind der "repräsentierende Inhalt" eines Aktes, die, wenn sich um äußere Wahrnehmungen handelt, auch Empfindungen genannt werden. Selbst wenn der Akt nicht intuitiv, sondern symbolisch auf einen Gegenstand richtet hat er einen repräsentierenden Inhalt; zwar nicht für den Gegenstand, aber für ein Zeichen dessen. Zusammenfassend kann man von Husserls Phänomenologie sagen: (I) Phänomenologisch betrachtet ist die Wahrnehmung existenz - indifferent. (...) (II) In der Wahrnehmung erfahren die Empfindungen objektivierende "Auffassung". (III) Empfindungen können immer nur einen Teil des wahrgenommenen Gegenstandes repräsentieren."24 Doch was mag dies für die Religion und die Religionswissenschaften bedeuten? KÜNNE, S. 191. KÜNNE, S. 199. 24 KÜNNE, S. 204 f. 22 23 Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 10 Die herkömmliche Einteilung der Religionsphänomenologie sieht normalerweise so aus: 1. Beschreibung und Klassifikation religiöser Phänomene (einschließlich Objekten und Akten) als einzelner 2. Ermittlung von Zusammengehörigkeitsmomenten in solchen Phänomenengruppen, die ganze Religionen konstituieren 3. Aufweisen von Wesens-, Struktur- und Bedeutungselementen religiöser Phänomene mittels einer bestimmten diagnostischen Methode25 Husserl läßt sich eher der dritten Kategorie zuordnen, was ihm von vielen scharfe Kritik eingebracht hat, da ja natürliche Denkhaltung eher deskriptivtheoretisch ist, also der 1. Gruppe zuzuordnen ist. Zu den Gegnern gehören, um nur einige zu nennen, Chantepie de la Saussaye, Gerardus van der Leeuw, C. Jouco Bleeker, Geo Widengren, Rudolph Otto und Friedrich Heiler; ihnen waren diese Gedanken einfach zu philosophisch und nicht empirisch, wie es sich gehöre26. Ihnen war mehr daran gelegen bei Manifestationen oder Formen von Religion oder Religiösen, wie heiligen Steinen, Symbolen, Fetischen usw. haltzumachen und diese zu katalogisieren. Die Abgrenzung ist eine Möglichkeit, andererseits sehen aber auch einige Forscher gerade darin neue Möglichkeiten für die Religionswissenschaft, so sagt zum Beispiel Carsten COLPE: "In die Religion übertragen, wäre es äußerst aufschlußreich, mittels der Epoché herauszufinden, ob sich das Heilige immer und überall zeigen kann - wie es ohne Epoché gern behauptet wird -, oder nur in bestimmten Zeiten und Räumen."27 Und desweiteren heißt es von ihm: "Genauso muß man jedem religiösen Phänomen seine ihm ureigene Intentionalität zuschreiben, und zwar umso eher, als hier die Fremdheit des Phänomens noch stärker betont werden muß, als wenn es nur "ein appräsentisches Ich, das ich selbst nicht bin, sondern mein Modifikat, anderes Ich" (Husserliana I, S. 145) wäre. Denn es kommt für den Wissenschaftler viel darauf an, das Fremde an "der Religion" und das Eigenartige an "fremden Religionen" als das, was es ist, stehen zu lassen."28 Danke. 25 26 27 28 Vgl. COLPE, S. 132. Vgl. COLPE, S. 134. COLPE, S. 137. COLPE, S. 138. Dilthey und Husserl - Referat im missionstheologischen Proseminar - Daniel Englbauer Seite 11 3 Literatur 3.1 Zu Dilthey DILTHEY, Wilhelm: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, in: ders: Gesammelte Schriften, Bd. VII, Göttingen 51968. GIRTLER, R.: Kulturantrhopologie, München 1979, S. 194 - 199. GRONDIN, Jean: Einführung in die philosophische Hermeneutik, Darmstadt 1991, S. 110 - 118. JOHACH, Helmut: Wilhelm Dilthey: Die Struktur der geschichtlichen Erfahrung, in: Speck, Josef: Grundprobleme der großen Philosophen, in: ders. (Hrsg.): Philosophie der Neuzeit. Bd. IV. Lotze, Dilthey, Meinong, Troeltsch, Husserl, Simmel, Göttingen 1986, S. 52 - 90. 3.2 Zu Husserl COLPE, Carsten: Zur Neubegründung einer Phänomenologie der Religionen und der Religion. Dietrich Braun zum 60. Geburtstag gewidmet, in: ZINSER, Hartmut (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einführung, Berlin 1988, bes. S. 131 - 139. GIRTLER, R.: Kulturantrhopologie, München 1979, S. 200 - 203. KÜNNE, Wolfgang: Edmund Husserl: Intentionalität, in: SPECK, Josef: Grundprobleme der großen Philosophen, in: ders. (Hrsg.): Philosophie der Neuzeit. Bd. IV. Lotze, Dilthey, Meinong, Troeltsch, Husserl, Simmel, Göttingen 1986, S. 165 - 215. 3.3 Sonstiges Knaurs Rechtschreibung. Rechtschreibung, Fremdwörter. Grammatik, München 1981. WITTKOWSKI, Joachim: Psychologie des Todes, Darmstadt 1990.