WS 2009/10 Institut für Theoretische Astrophysik, Heidelberg H.-P. Gail, W. M. Tscharnuter Aufbau und Entwicklung rotierender Sterne Vorlesung 2. Sternrotation: Grundlegende Fakten Seite: 2.1 Der dritte und vierte Effekt können nur bei einer bescheidenen Zahl von Sternen zu einer Analyse ihrer Rotation verwendet werden. bare Fläche durch Rotation variiert. • Durch Helligkeitsvariationen nicht-sphärischer Sterne, deren schein- Im Sonderfall der Sonne kann die Wanderung der Sonnenflecken über die Sternscheibe direkt verfolgt werden (Galilei 1612, Scheiner 1612). • Störung der Radialgeschwindigkeitskurve bei Doppelsternen. • Durch Helligkeitsvariationen auf Grund einer fleckigen Oberfläche. beobachteten Sternscheibe bewegen sich auf den Beobachter zu, andere Teile von ihm weg. Durch Dopplerverschiebung wird das Linienprofil verbreitert. • Durch eine Deformation des Profils von Spektrallinien. Teile der Die Tatsache, daß ein Stern rotiert, kann im Prinzip auf vier verschiedenen Wegen festgestellt werden: Sternrotation Konvektion Pulsation Rotation Sternwind Masseneinfall Oberflächenwellen Starkeffekt Strahlungsdämpfung Stoßdämpfung Thermische Bewegung Mikroturbulenz Zeemaneffekt Seite: 2.1 Dazu kommen noch instrumentelle Effekte. Die schwierige Aufgabe bei der Bestimmung der Rotation der Sterne besteht darin, die einzelnen Effekte auseinanderzuhalten und den Beitrag der Rotation für sich allein zu bestimmen. Makrophysikalische Ursachen Mikrophysikalische Ursachen Das allermeiste Beobachtungsmaterial stammt aus der Analyse der Verzerrung des Profils von Spektrallinien durch den Dopplereffekt. Folgende Effekte können zu einer Verbreiterung einer Spektrallinie und/oder zu einer Verzerrung des Linienprofils führen Sternrotation Seite: 2.3 Zur damaligen Zeit war das aber noch nicht realisierbar und es folgte zunächst für mehrere Jahrzehnte lang nichts. Die Idee, die Rotation von Sternen aus einer Verbreiterung der Spektrallinien zu bestimmen, ist fast so alt wie die Beobachtung von Sternspektren. Bereits 1877 wurde von William de Wivesleslie Abney darauf hingewiesen, daß die Rotationsgeschwindigkeit der Sterne aus der Breite der Spektrallinien bestimmt werden kann. 2.1 Erste Beobachtungen der Sternrotation Abney, W. de W. 1877, Monthly Notices RAS , 37, 278 1877MNRAS..37..278A Erste Beobachtungen der Sternrotation 1877MNRAS..37..279K Seite: 2.4 Seite: 2.5 Schlesinger hat 1909 und 1913 eine kleine Störung der Radialgeschwindigkeitskurve beim Doppelsten λ Tauri bei Beginn und Ende der Bedeckung gefunden und diese als Konsequenz einer Rotation der Sterne interpretiert. Adams und Joy haben 1919 haben erstmals die Breite der Linien bei W Ursae verwendet, um die Rotationsgeschwindigkeiten der beiden Komponenten in dem Doppelsternsystem abzuschätzen. Die Rotationsgeschwindigkeiten von µ1 Scorpii und V Puppis wurden 1919 von Miss Maury ebenfalls aus der Breite der Absorptionslinien bestimmt und Hellerich hat dann 1922 bereits die Rotationsgeschwindigkeit einer Reihe von Sternen bestimmt. Ein direkter Nachweis einer Rotation eines Sterns gelang 1924 Rossiter für β Lyrae und McLaughlin für für β Persei durch exakte Bestimmung der Radialgeschwindigkeit bei der Bedeckung. Nachdem durch diese frühen Beobachtungen gesichert war, daß Sterne rotieren und dies auch einer Messung zugänglich ist, begann ab 1929 eine Flut von Beobachtungen. Die ersten massenweisen Studien wurden von Shajn, Struve, Elvey Swings durchgeführt. Erste Beobachtungen der Sternrotation Seite: 2.6 Abbildung 2.1: Schematische Darstellung der Verbreiterung einer Linie durch Rotation Sternrotation Seite: 2.7 Abbildung 2.2: Verbreiterte Linie eines rasch rotierenden Sterns. Das theoretische Rotationsprofil hat scharfe Ecken. Diese sind durch andere Mechanismen geglättet, insbesondere durch Makroturbulenz Sternrotation Seite: 2.8 Abbildung 2.3: Störung der Radialgeschwindigkeit bei Doppelsternen durch die Rotation der Sterne Sternrotation bei Bedeckungsveränderlichen Rossiter, R.A. 1924, Astrophysical J., 60, 15 Seite: 2.9 Abbildung 2.4: Radialgeschwindigkeitskurve für β Lyrae. Die großen Punkte entsprechen Daten von jeweils sechs bis fünfzehn Spektren. Die Übereinstimmung zwischen den Beobachtungsdaten und der Radialgeschwindigkeitskurve der berechneten Bahnellipse sind hier besonders gut. Die auffälligen Abweichungen in den durch kleine Punkte markierten Phasen rühren vom Effekt der Rotation her. Sternrotation bei Bedeckungsveränderlichen Seite: 2.10 Abbildung 2.5: In der Abbildung ist das Zentrum der Bedeckung als Nullpunkt der Abszisse gewählt und für jede Phase in der Abbildung 2.4 die Abweichungen zur Radialgeschwindigkeitskurve der Bahn als Ordinate eingetragen. Der Rotationseffekt ist unübersehbar und gut zu messen. Die Rotationsgeschwindigkeit beträgt v sin I = 13 km s−1 Sternrotation bei Bedeckungsveränderlichen Seite: 2.11 Es folgt eine Zusammenstellung einiger wesentlicher Ergebnisse für die Rotation der Sterne. Die Daten stammen ganz überwiegend aus der Analyse der rotationsverzerrten Profile der Spektrallinien. Gemessen wird die Komponente v sin i der Projektion der Äquatorgeschwindigkeit auf die Sichtline. Diese Information reicht zur Untersuchung der Sternrotation aus zwei Gründen völlig aus: 1. Die Richtungen der Rotationsachsen sind im Raum regellos verteilt. Dies wurde getestet, indem Sternhaufen unterschiedlicher Position in der Galaxis untersucht wurden. Die gefundenen Verteilungsfunktionen der Rotation waren davon unabhängig. Die Rotation der Sterne hat demnach nichts mit dem Drehimpuls der Molekülwolken auf Grund der galaktischen Rotation zu tun. Man findet auch, daß die Bahnebenen von Doppelsternen willkürlich orientiert sind. 2. Bei einer Zufallsverteilung der Rotationsachsen ist in 87% aller Fälle die gemessene Rotationsgeschwindigkeit mindestens gleich der halben tatsächlichen Äquatorgeschwindigkeit. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Rotationsachse fast in die Sehrichtung fällt. Man findet also die meisten der rotieren Sterne mit dieser Methode. 2.2 Sternrotation Seite: 2.12 Abbildung 2.6: Schematische Verteilung der Winkelgeschwindigkeit der Sternrotation an der Oberfläche von Hauptreihensternen in Abhängigkeit von ihrer Masse Sternrotation Seite: 2.13 Die skizzierte Verteilung beruht auf Beobachtungsdaten für v sin i für Sterne mit unterschiedlichem Spektraltyp, für die entsprechende Massen und Radien aus Modellrechnungen verwendet wurden. Die Umrechnung in Winkelgeschwindigkeiten Ω erfolgte unter der Annahme einer statistischen Gleichverteilung der Rotationsachsen. Normale Hauptreihensterne findet man im Bereich dem breiten, dunklen Band. Unterhalb von 0.5 M sind die Winkelgeschwindigkeiten so langsam, daß ihre Messung kaum möglich ist, sodaß hier nur wenig sicheres bekannt ist. Die Winkelgeschwindigkeit nimmt bei den massereichsten Sternen ab, weil diese weniger stark zum Zentrum kondensiert sind und deswegen große Trägheitsmomente haben. Die Be Sterne rotieren doppelt so rasch wie Hauptreihensterne gleicher Masse. Sterne vom Spektraltyp Ap und Am rotieren sehr viel langsamer als normale A Sterne. Sternrotation Seite: 2.14 Abbildung 2.7: Winkelgeschwindigkeit der Rotation sonnenähnlicher Sterne in Abhängigkeit von der Farbe B - V Sternrotation Seite: 2.15 Die Abbildung 2.7 zeigt für Sterne kleiner Masse eine Reihe von Winkelgeschwindigkeiten Ω an der Sternoberfläche. Die Farbe B - V ist hier als Unterscheidungsmerkmal von Hauptreihensternen unterschiedlicher Masse verwendet (die Farbe läßt sich direkt messen). Ein Wert von B - V = 0.5 entspricht einer Sternmasse von 1.2 M und einem Spektraltyp F7 V. Ein Wert von B - V = 1.0 entspricht einer Sternmasse von 0.7 M und einem Spektraltyp K2 V. Für die Sonne ist B V = 0.656. Die Winkelgeschwindigkeit ist aus gemessenen Aktivitäten in den in Ca II H und K Linien bestimmt unter Verwendung einer RotationsAktivitäts-Relation, die an Sternen mit direkt bestimmter Rotationsgeschwindigkeit geeicht ist. Die Rotationsperiode der Sonne ist P = 27 Tage und die Rotationsgeschwindigkeit am Äquator beträgt 1.8 km s−1. Die Winkelgeschwindigkeit der Sonne ist Ω = 2π/P = 2.7 × 10−6 s−1. Sternrotation Seite: 2.16 Die Winkelgeschwindigkeit der Sterne folgt überwiegend der Verteilung der typischen Hauptreihensterne, ein beträchtlicher Teil aber rotiert deutlich rascher. Dies sind jüngere Sterne, die ihren anfänglichen Drehimpuls noch nicht verloren haben. Diese Interpretation ergibt sich aus der Tatsache, daß in jungen Sternhaufen die Sterne meistens rasch rotieren. Der Drehimpuls eines Sterns ist keine feste Größe sondern nimmt im Verlaufe seiner Lebenszeit ab. Die Verteilung der Drehimpulse wird für B - V > 0.8 flacher. Die untere Enveloppe der Verteilung ist dort flach. Das liegt zum Teil daran, daß die Lebensdauer der Sterne größer als das Alter der galaktischen Scheibe ist, sodaß die untere Enveloppe nur zeigt, wieweit der Drehimpuls in dieser Zeit abnehmen, aber nicht, wieviel Drehimpuls bis zum Ende der Lebensdauer des Stern verloren werden kann Sternrotation Seite: 2.17 Abbildung 2.8: Durchschnittliche Rotationsgeschwindigkeit als Funktion des Spektraltyps für Hauptreihensterne Sternrotation Gray, D.F. 1982, Astrophysical J., 261, 259 Seite: 2.18 Abbildung 2.9: Durchschnittliche Rotationsgeschwindigkeit als Funktion des Spektraltyps für späte Sterntypen auf der Hauptreihe Sternrotation Seite: 2.19 Die Sternrotation zeigt eine drastische Änderung bei mittlerem Spektraltyp F (Abb. 2.8). Für frühere Spektraltypen — also frühe F, A, B und O — rotieren die Sterne sehr schnell mit hohen äquatorialen Rotationsgeschwindigkeiten bis 300 km s−1. Für spätere Spektraltypen — also späte F, G, K (und M?) — rotieren die Sterne langsam (Abb. 2.9) mit äquatorialen Rotationsgeschwindigkeiten unter 10 km s−1. Dieser Übergang fällt zusammen mit der Existenz einer oberflächennahen Konvektionszone. Bei Spektraltypen von späten F bis L besitzen die Sterne dicke äußere Konvektionszonen, in denen die Energie transportiert wird. Frühe Spektraltypen von frühen F bis O besitzen zentrumsnahe Konvektionszonen, die äußeren Bereiche sind dann radiativ geschichtet. Die Wechselwirkung einer äußeren Konvektionszone mit stellarer Rotation ist entscheidend für die stellare Rotation und stellare Magnetfelder. Sternrotation Seite: 2.20 Abbildung 2.10: Variation des mittleren pseudo-Drehimpulses L = M · R · V für Hauptreihensterne als Funktion der Sternmasse. Der Bereich schneller und langsamer Abbremsung sind angedeutet. Bei späteren Spektraltypen sind die meisten Sterne im Bereich langsamer Abbremsung zu finden. Späte Mitglieder der Plejaden (+) und im α Per Sternhaufen (◦) (junge Sterne) sind im Bereich schneller Abbremsung zu finden. 2.3 Drehimpuls (2) (1) Seite: 2.21 mit Exponent p = 35 . Dies scheint der spezifische Drehimpuls pro Einheitsmasse zu sein, den Sterne bei ihrer Entstehung im Mittel mitbekommen, auch späte Sterne. Der Abfall von L für Typen später als F5 ist auf späteren Drehimpulsverlust zurückzuführen. L = 100L(M∗/M)p bestimmen. Für Sterne früher als F2 gilt annähernd ein ein Potenzgesetz L = M∗ · R∗ · vrot Der gesamte Drehimpuls eines Sterns kann nicht festgestellt werden. Die Beobachtung liefert nur Information über die Rotation an der Oberfläche, aber keinerlei Information über die Rotation des Sterninneren, das möglicherweise anders rotiert (schneller, wegen der Abbremsung). Man kann einen pseudo-Drehimpuls durch Drehimpuls Gray, D.F. 1982, Astrophysical J., 261, 259 Abbildung 2.11: Verteilung des pseudo-Drehimpulses mit der Sternmasse Drehimpuls Seite: 2.22 Seite: 2.23 Junge Sterne werden in offenen Sternhaufen studiert weil für diese ein Alter bestimmt werden kann und weil die meisten Mitglieder noch auf der Nullaltershauptreihe sind. Am besten studiert sind die nächst gelegenen Haufen: Plejaden, Hyaden, α Persei, Praesepe, M34, M64. Pleiaden: Diese haben ein Alter von 100 Ma. Der Haufen enthält Sterne mit Rotationsperioden von P = 14 d. Das ist das 100-fache der Winkelgeschwindigkeit der Sonne. Die schnellsten Feldsterne vom Typ G in der Galaxis rotieren mit der 10-fachen Winkelgeschwindigkeit der Sonne. Die schnellen Rotatoren mit v sin i machen in den Plejaden etwa 20% der G und K Hauptreihensterne aus, der Rest hat v sin i < 10 km s−1 α Persei: Diese haben ein Alter von 50 Ma. Die Daten zeigen ein ähnliches Bild wie die Hyaden. 2.4 Offene Sternhaufen Seite: 2.24 Diese Feststellungen zeigen: Währen der erste Milliarde Jahre nach erreichen der Hauptreihe verlieren sonnenähnliche Sterne sehr viel Drehimpuls. Dadurch entwickelt sich eine starke Massenabhängigkeit der mittleren Rotationsraten und eine starke Konvergenz der Rotationsraten zu einem einheitlichen Wert. Hyaden: Diese haben ein Alter von 600 Ma. Rotationsperioden sind für viele Haufenmitglieder bekannt. Die Streuung um eine mittlere Rotationsperiode ist hier nur etwa 10%. Hier findet man auch eine starke Massenabhängigkeit der Rotationsperioden, mit einem scharfen Abfall der Perioden von späten F zu G Sternen. Im Gegensatz dazu ist bei den Plejaden keine solche Abhängigkeit in diesem Spektralbereich festzustellen. Offene Sternhaufen Rajamoha, R. 1978, Monthly Notices RAS , 184, 743 Seite: 2.25 Tabelle 2.1: Enveloppe der höchsten Rotationsgeschwindigkeiten in fünf jungen Sternhaufen Offene Sternhaufen Rajamoha, R. 1978, Monthly Notices RAS , 184, 743 Seite: 2.26 Abbildung 2.12: Rotationsgeschwindigkeit auf der Nullaltershauptreihe als Funktion des Spektraltyps für die fünf Sternhaufen aus der Tabelle 2.1 Offene Sternhaufen Seite: 2.27 Abbildung 2.13: Rotationsgeschwindigkeit als Funktion des Spektraltyps für die fünf Sternhaufen aus der Tabelle 2.1 Offene Sternhaufen Seite: 2.28 Abbildung 2.14: Rotationsgeschwindigkeit als Funktion des Alters von Sternhaufen. Gestrichelte Linie: Die von Skumanich (ApJ 171, 556 (1972)) vorgeschlagene Abnahme der Rotationsgeschwindigkeit mit dem Alter gemäß ∝ t−1/2. Offene Sternhaufen Seite: 2.29 Wenn sich die Sterne von der Hauptreihe weg entwickeln, dann dehnen sie sich aus und die innere Struktur ändert sich. Dadurch nimmt das Trägheitsmoment zu und die Rotationsgeschwindigkeit nimmt ab. Bei der Entwicklung zu Unterriesen der Leuchtkraftklasse IV bleibt die Rotationsgeschwindigkeit bei frühen Spekraltypen bis spätes F hoch, weil sich die Sterne noch nicht stark ausdehnen, bei späteren Typen kommt es dann zu einem starken Abfall (Abb. 2.15), weil die Ausdehnung viel stärker ist (Abb. 2.16) Bei der Entwicklung zu Riesen der Leuchtkraftklasse III ist dann bei Sternen später als G2 die Rotationsgeschwindigkeit niedrig und sehr einheitlich 2.5 Weit entwickelte Sterne Abbildung 2.15: Rotationsgeschwindigkeiten entwickelter Sterne Weit entwickelte Sterne Seite: 2.30 Abbildung 2.16: Grenze zwischen Hertzsprung-Russell Diagramm schnellen und Weit entwickelte Sterne langsamen im Seite: 2.31 Rotatoren