Der Polarstern ( Nordstern)

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Nach: Hans-Ulrich Keller: Kosmos Himmelsjahr 2016
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2015
Monatsthema Oktober 2016
Der Nordstern im Visier
Bayer - erschienen 1603 in Augsburg - die Bezeichnung α Ursae
Minoris erhalten. Mit 2,0m scheinbarer Helligkeit ist Polaris der
hellste Stern im Kleinen Bär, ein Sternbild, das wegen der Aufhellung des Nachthimmels durch irdische Lichter nur noch mit Mühe
zu erkennen ist.
lrrtum im Spätmittelalter
Die Sterne beschreiben infolge der Erdrotation konzentrische Kreise
um den Himmelsnordpol. (Langzeitaufnahme)
Zu den in der Bevölkerung weithin bekannten Sternen zählt der
Nordstern. Er heißt so, weil er uns die Nordrichtung weist und
somit die Orientierung auf Land und Meer ermöglicht. Doch nicht
nur das: Seine Höhe über dem Horizont Iässt auch die geografische Breite des Beobachters1 abschätzen. Daraus folgt, dass der
Nordstern von der Südhalbkugel der Erde aus nicht zu sehen ist.
Denn dort sind seine Höhen negativ, er bleibt somit stets unter
dem Horizont. Da der Nordstern zur Orientierung dient, nennt man
ihn auch Lotsenstern (engl.: Lodestar).
Während im Lauf einer Nacht die Sterne infolge der Erdrotation
über den Himmel ziehen, scheint sich der Nordstern nicht vom
Fleck zu rühren - zumindest für das bloße Auge. Denn er steht
nahe jenem Punkt, an dem die nach Norden verlängert gedachte
Erdachse das Himmelsgewölbe durchstößt. Dieser Punkt stellt den
Himmelsnordpol dar, weshalb man den Nordstern auch Polarstern
nennt, lateinisch Stella Polaris, meist nur kurz als Polaris bezeichnet. Der Nordstern oder Polaris ist auch deshalb so bekannt, weil
diese Bezeichnung für alles Mögliche verwendet wird: Versicherungsgesellschaften, Forschungsschiffe, eine Industriefirma für
Transportfahrzeuge, eine Mittelstreckenrakete, ein Seekabel von
den Bermudas nach Kanada, einen Mikroprozessor, eine Armbanduhr u.v.m. werden „Polaris“ oder „Nordstern“ genannt.
Viele meinen, Polaris sei der hellste Stern am irdischen Firmament. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Diesen Rang nimmt
unstreitig Sirius im Großen Hund ein. Als Stern zweiter Größenklasse ist Polaris zwar gut mit bloßen Augen zu sehen, allerdings
ist er nicht besonders auffällig. Er steht an 45. Stelle in der Helligkeitsrangfolge der Sterne und bildet die Spitze vom Schwanz des
Kleinen Bären und das Ende der Deichsel des Kleinen Wagens.
Der Polarstern hat daher im Sternatlas Uranometria von Johannes
1
Im Katatog von John Flamsteed, königlicher Astronom und
Direktor der Sternwarte Greenwich bei London, erhielt Polaris die
Nummer 1 in UMi2. Ein arabischer Name für den Nordpolarstern
lautet Alrukaba, das Knie. Dies war und ist schwer verständlich.
Inzwischen hat man entdeckt, dass diese Bezeichnung ursprünglich für δ UMa gegolten hat - das Knie in dem rechten Vorderlauf
des Großen Bären. Irrtümlicherweise ging im Spätmittelalter diese
Bezeichnung auf den Polarstern über.
Im antiken Griechenland nannte man ihn Kynosura, den Hundeschwanz (griech.: Κυνόσουρα), eine Bezeichnung, die sich
ursprünglich auf die ganze Deichsel bezog und dann auf ihren
letzten Stern überging. Die Muslime benutzten den Polarstern, um
die Richtung nach Mekka zu bestimmen und gaben ihm den
Namen Al-Kiblah. Die Türken nennen ihn Yilduz, den Nordstern.
Die alten Chinesen bezeichneten Polaris als Tien Hwang Ta Ti,
der große kaiserliche Himmelsherrscher. Da alle Sterne ihre
Kreise um Polaris ziehen, bedeutete dies für den Kaiser von China
eine gewaltige Machtfülle. Die Inder sprachen von Grahadhara,
wenn sie den Polarstern erwähnten, was so viel wie „Drehpunkt
der kreisenden Sterne“ heißt.
Das Sternbild
Kleiner Bär
(Kleiner Wagen)
mit der Position
des Nordsterns
(Polaris).
Weitere, gelegentlich benutzte Bezeichnungen für den Polarstern
lauten: Mismar, Phönix, Stern von Arkadien und Tramontana. Die
Flagge des US-Bundesstaates Alaska3 zeigt den Polarstern samt
den sieben Sternen des Großen Wagens, der bei den Amerikanern allerdings Big Dipper (engl., Großer Schöpflöffel) heißt. Die
sieben Wagensterne helfen auch, den Polarstern zu finden. Ver2
3
UMi ist die dreibuchstabige Abkürzung des Sternbildes Ursa Minor (Kleiner Bär), das
den Kleinen Wagen enthält.
Flage von Alaska (aus: Eckhar Slawik, Uwe
Reichert: Atlas der Sternbilder; Heidelberg, Berlin: Spektrum Akad. Verlag, 1998
- 2 längert man die Strecke zwischen den beiden von der Deichsel
abgelegenen Sternen (also α und β UMa4) etwa fünfmal in die
Richtung, in die der Knick der Deichsel zeigt, so stößt man auf den
Polarstern. Auch das Himmels-W, das Sternbild Kassiopeia, eignet
sich zum Auffinden des Polarsterns. Die mittlere Spitze des W
deutet in etwa auf Polaris. Großer Wagen und Himmels-W sind in
unseren Breiten zirkumpolar, das heißt, sie gehen nie unter und
sind somit in jeder klaren Nacht beobachtbar.
Die Höhe des Polarsterns über dem Nordpunkt am Horizont entspricht, wie erwähnt, der geografischen Breite des Beobachters.
Steht der Beobachter am Nordpol, so sieht er den Polarstern im
Zenit. Für einen Beobachter am Äquator der Erde beflndet er sich
im mathematischen Horizont, wo ihn der Horizontdunst unsichtbar
werden lässt, auch wenn ihn die Refraktion (atmosphärische
Strahlenbrechung) etwa ein halbes Grad anhebt.
Die polnahe Position des Nordsterns ermöglicht auch die (grobe)
Justierung eines parallaktisch5 montierten Teleskops. Die Stundenachse ist auf Polaris auszurichten, damit man durch Drehen
des Teleskops um diese Achse die Erdrotation kompensieren
kann.
Ein glücklicher Umstand
Es ist ein Zufall, dass wir im 20. und 21. Jahrhundert einen relativ
hellen Stern nahe dem Himmelsnordpol stehen haben. In der
Antike war Polaris noch 12°, dies entspricht 24 Vol lmonddurchmessern, vom Himmelsnordpol entfernt. Damals konnte man ihn
noch nicht als Polar stern bezeichnen. Vor 4700 Jahren, als die
Agypter schon eifrig Himmelskunde betrieben, spielte Thuban (α
Draconis) die Rolle des Nordsterns. Mit nur 3,7m scheinbarer Helligkeit ist Thuban aber erheblich lichtschwächer als α UMi, unser
gegenwärtiger Nordstern. Im Jahre 14.000 wird Wega (α Lyr) die
Funktion als Polarstern übernehmen. Sie ist mit 0,0m der hellste
Stern des Nordhimmels. In 13.000 Jahren wird dann unser heutiger Polarstern mit knapp 47° die maximale Entfernun g vom Himmelsnordpol erreichen. Und in 26.000 Jahren werden ihn unsere
fernen Nachkommen wieder als Polarstern zur Orientierung nutzen können. Ursache für die stets wechselnden Polarsterne ist die
Präzessionsbewegung der Erdachse. Diese Kreiselbewegung
bewirkt, dass die Erdachse nicht immer auf dieselbe Stelle am
Firmament deutet. Sie beschreibt vielmehr in 26.000 Jahren einen
Kreis am Firmament mit einem Durchmesser von 47°.
messer. Gegenwärtig nähert sich der Nordstern dem Himmelsnordpol. Die geringste Distanz wird er im Februar 2102 mit nur
27'36" einnehmen. Damit wird Polaris weniger als ein Vollmonddurchmesser vom Himmelsnordpol entfernt sein. Danach nehmen
die Entfernungen vom Pol wieder zu (siehe Tabelle „Poldistanzen
des Nordsterns“).
Der nächste Cepheïde
Die Entfernung von Polaris wurde zu 132 Parsec bestimmt, dies
entspricht 430 Lichtjahren. Da er am irdischen Firmament als ein
vergleichsweise recht heller Stern erscheint, muss er ein wahrer
Leuchtkraftriese sein. Tatsächlich ist er ein heller Überriesenstern
mit sechsfacher Sonnenmasse. Er ist knapp 2400-mal heller als
unsere Sonne. Stünde er an ihrer Stelle, so würde er die Erde
rösten. Mit 6.730°C Oberflächentemperatur ist er au ch deutlich
heißer als unsere Sonne, deren Oberflächentemperatur nur
5.510°C beträgt. Mit 32-fachem Sonnendurchmesser, d ies sind 45
Millionen Kilometer, ist Polaris ein wahrer Riesenstern, der ein
weißes Licht aussendet, wobei sich seine Helligkeit periodisch
ändert. Der Nordstern wurde als Veränderlicher vom Typ Delta
Cepheï erkannt. Tatsächlich nachgewiesen wurde seine Variabilität erst 1911 von Ejnar Hertzsprung. Die Delta-Cepheïsterne,
kurz auch als Cepheïden bezeichnet, gehören zu den hellsten und
leuchtkräftigsten Sternen im Universum. Aus ihrer Blinkperiode
lässt sich auf ihre wahre Leuchtkraft schließen (die sogenannte
Perioden-Leuchtkraft -Beziehung). Je länger die Periode (von
einem Helligkeitsmaximum bis zum folgenden), desto leuchtkräftiger ist eine Cepheïden-Sonne.
Wanderung des Nordsterns am Himmelsnordpol vorbei. Die geringste
Distanz vom Pol wird er im Jahre 2102 erreichen (siehe auch obige
Tabelle).
Im Jahre 2016 ist Polaris immerhin noch 40'06" vom exakten Himmelsnordpol entfernt, das ist deutlich mehr als ein Vollmonddurch4
UMa ist die Kurzbezeichnung für das Sternbild Ursa Major (Großer Bär), das den
Großen Wagen enthält.
Fest installierte Aussichtsfernrohre lassen es zu, dass man sie auf beliebige Punkte in
der Ferne richten kann: Dies ermöglicht die gleichzeitg Drehung um zwei Achsen. Die
eine liegt lotrecht zur Horizontalebene, die zweite ist zu dieser senkrecht angeordnet.
Will man mit dieser Anordnung Fixsterne nicht nur kurzfristig beobachten, so müsste
man wegen der Drehung der Erde um ihre Achse das Fernrohr um beide Achsen laufend
nachjustieren. Neigt man nun die lotrechte Achse so weit, bis diese auf Polaris (genauer:
den Himmelsnordpol) zeigt (man spricht dann von „Stundenachse“) und nimmt nun einen
Fixstern ins Visier, so braucht zur längeren Beobachtung dieses Fixsterns die Apparatur
lediglich um diese Stundenachse nachjustiert zu werden.
5
Die meisten Cepheïden weisen Amplituden von einer Größenklasse und mehr auf. Nicht so beim Polarstern: Seine Amplitude
beträgt gegenwärtig lediglich 0,02m. Eine Helligkeitsänderung von
nur zwei Hundertstel Größenklasse ist visuell nicht zu bemerken,
lediglich lichtelektrische Messungen lassen dies erkennen. Zudem
nimmt die Amplitude noch weiter ab.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwankte die Helligkeit des
Polarsterns innerhalb von vier Tagen um 0,15m. Die Periode nimmt
zurzeit zu und wird nach Modellrechnungen eines Tages 5,7 Tage
erreichen. Für die Astronomen ist Polaris so interessant, weil er
der uns nächste und hellste Cepheïde ist. Möglicherweise stellt er
seine Pulsationen vollständlg ein, bis er nach längerer Pause
wieder zu schwingen beginnt.
Ein Dreifachstern
Polaris ist kein Einzelstern, sondern ein Dreifachstern. In einer
Distanz von 18,5’’ findet sich in südwestlicher Richtung (P = 218°)
ein weißer Begleitstern 9. Größenklasse. Mit einem Teleskop ist er
zu sehen.
Der Begleiter, UMi B, ist ein weiß leuchtender Stern, der rund
100.000 Jahre benötigt, um mit Polaris einmal um den gemeinsamen Schwerpunkt zu kreisen. Die große Halbachse der Bahn
- 3 misst dabei 0,065 Lichtjahre, das sind 41.000 AE oder 6.133
Milliarden Kilometer, also über sechs Billionen!
Der Nordstern besitzt zwei Begleiter.
Entdeckt hat den Begleiter Wilhelm Herschel im Jahre 1780. Seit
1929 weiß man, dass der Nordstern ein spektroskopischer Doppelstern ist. Die Komponente Ab ist nur 0,172’’ von der hellen
Hauptkomponente Aa entfernt, so dass man auch in großen
Teleskopen den nur 9,2m hellen engen Begleiter optisch nicht
trennen kann. Erst 2006 gelang es dem Hubble-Weltraumteleskop,
das Sternenpaar aufzulösen. Nur 18,8 AE, das sind 2.812 Millionen Kilometer, sind die beiden Polaris-Sonnen voneinander im
Mittel entfernt, dies entspricht ziemlich genau der Distanz Sonne Uranus. Mit einer numerischen Exzentrizität von e = 0.608 ist die
Bahn recht lang gestreckt. Im Periastron6 nähern sich beide bis auf
7,4 AE an, im Apastron7 beträgt der maximale Abstand 30,2 AE.
Beide Komponenten umkreisen einander in knapp 30 Jahren.
6
7
kürzester Abstand
größter Abstand
Der spektroskopische Begleiter Ab hat eine Masse von 1,26 Sonnenmassen und einem Durchmesser von 1,04 Sonnendurchmesser. Seine Leuchtkraft beträgt das Dreifache unserer Sonne.
Zurzeit misst sein Positionswinkel P =231°. Er steh t damit fast ln
der gleichen südwestlichen Richtung wie die von Herschel entdeckte visuelle Komponente α UMi B.
Polaris hilft dem Laien, die Nordrichtung zu finden, dem Seefahrer,
die geograflsche Breite zu bestimmen, dem Sternfreund, sein
Teleskop auszurichten und den Astronomen, mehr über die Eigenschaften und das Verhalten von Cepheïden zu erfahren.
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