Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 1: Zahlenbereiche und angeordnete Körper Zielstellung: Der Aufbau des Zahlensystems von den natürlichen Zahlen N über die ganzen Zahlen Z und die rationalen Zahlen Q hin zu den reellen Zahlen R durchzieht den gesamten Schulstoff und wird am Anfang des Studiums nocheinmal wiederholt sowie auf eine solide Basis gestellt. Der Fokus liegt dabei eher auf den strukturellen Eigenschaften, also den Eigenschaften der algebraischen Operationen + und · und der Ordnungsrelation ≤, denn diese Eigenschaften sind es, die sich auf weitaus mehr Mengen als die bekannten Zahlenbereiche übertragen lassen und im Laufe des Studiums eine große Rolle spielen. Insbesondere wird der angeordnete K örper R der reellen Zahlen axiomatisch eingeführt und dabei der Umgang mit Axiomen sowie der Beweis von Aussagen aus diesen Axiomen heraus geübt. Einige Tipps zum Studium: • Da die reellen Zahlen intuitiv leicht zugänglich sind (z.B. über die Zahlengerade, die augenscheinlich keine Löcher“ zwischen zwei Zahlen aufweist), ist beim Sprechen über reelle Zahlen ” häufig die Versuchung groß, auf Basis eines schwammigen Halbwissens zu argumentieren. Erliegen Sie dieser Versuchung nicht, im Studium müssen Sie in der Lage sein, auf der Grundlage von Axiomen zu argumentieren und dadurch Aussagen zu beweisen. • Taucht ein abstrakter mathematischer Begriff wie Gruppe, Körper, . . . auf, so sollte man sich einerseits seine Definition wie eine Vokabel einprägen (denn im ersten Teil ihres Studiums müssen Sie ersteinmal die in Hunderten von Jahren entwickelte Sprache der Mathematik erlernen), und andererseits sollte man ein konkretes Beispiel (und auch ein Gegenbeispiel) parat haben. So bilden beispielsweise die ganzen Zahlen mit der Addition eine Gruppe, aber die natürlichen Zahlen nicht. • Bei einem ersten Blick auf viele Aufgaben stellt sich manchmal die Frage, was man denn eigentlich zeigen soll, und selbst wenn einem dies klar geworden ist, weiß man oft nicht, wie man die behauptete Aussage zeigen soll. Ist die Aufgabe in natürlicher Sprache formuliert, so übersetzen Sie sie ersteinmal in die mathematische Sprache. Dann machen Sie sich klar, welche Eigenschaften Sie von den vorkommenden Objekten (Mengen, Funktionen, . . . ) aufgrund von Axiomen oder schon bewiesenen Aussagen wissen, und versuchen Sie, diese Eigenschaften zu benutzen, um haarklein zu begründen, warum die behauptete Aussage wirklich gilt. Bei schwierigen Aufgaben benötigt man zum Finden einer akkuraten Begründung natürlich eine große Portion Fleiß und auch einen Schuss Genialität, aber dies macht die Mathematik eben reizvoll, und das langwierige Knobeln an einem Problem wird schließlich oft durch einen kurzen glückseligen Moment der Erkenntnis belohnt. Ein kleines Beispiel für einen korrekten Beweis: Zu beweisende natürlich-sprachige Aussage: Jede affin-lineare Gleichung reeller Zahlen hat eine eindeutige Lösung. Mathematische Aussage: Für alle a, b ∈ R existiert genau ein x ∈ R, für das b = x + a gilt. Beweis: Sind a, b ∈ R gegeben, so existiert (da (R, +, ·) ein Körper und insbesondere (R, +) eine Gruppe ist) ein additives Inverses zu a, das man mit −a bezeichnet. Dann ist x := b + (−a) (= b − a) eine Lösung der Gleichung, denn es gilt x + a = (b + (−a)) + a = b + ((−a) + a) = b + 0 = b , wobei das Assoziativgesetz und die Definition des additiven Inversen genutzt wurde. Also existiert mindestens eine Lösung der untersuchten Gleichung. Die Eindeutigkeit wird abstrakt in Tutoriumsaufgabe 1.1(a) gezeigt. 1 Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Gruppe, Körper, neutrales Element, Inverses • Assoziativität, Kommutativität, Distributivität • Äquivalenzrelation, Ordnungsrelation, archimedisch angeordneter Körper, Absolutbetrag Gruppen und Körper • Ein Tupel (M, ∗) aus einer nichtleeren Menge M , auf der eine Abbildung ∗ : M × M −→ M , (m, n) 7→ m ∗ n, definiert ist, heißt Gruppe, falls die folgenden Axiome erfüllt sind: (i) ∀k, l, m ∈ M : k ∗ (l ∗ m) = (k ∗ l) ∗ m (Assoziativität) (ii) ∃m0 ∀m ∈ M : m ∗ m0 = m = m0 ∗ m (Existenz eines neutralen Elementes) (iii) ∀m ∈ M ∃n ∈ M : m ∗ n = m0 = n ∗ m (Existenz von Inversen) • Eine Gruppe (M, ∗) heißt kommutativ oder abelsch,1 falls ihre Verknüpfung ∗ zusätzlich (iv) ∀k, l ∈ M : k ∗ l = l ∗ k (Kommutativität) erfüllt. Beispiele: ◦ (N0 , +) ist KEINE Gruppe, denn es fehlen die Inversen. ◦ (Z, +) dagegen ist eine Gruppe, die sogar abelsch ist. ◦ (R, +) und (R \ {0}, ·) sind ebenso abelsche Gruppen.2 • Ein Körper ist ein Tripel (K, +, ·) bestehend aus einer nichtleeren Menge K, auf der zwei assoziative Verknüpfungen + : K × K −→ K, (k1 , k2 ) 7→ k1 + k2 und · : K × K −→ K, (k1 , k2 ) 7→ k1 · k2 so definiert sind, dass (1) (K, +) eine abelsche Gruppe mit neutralem Element e+ ist, (2) (K \ e+ , ·) eine abelsche Gruppe ist und zusätzlich (3) ∀a, b, c ∈ K : a · (b + c) = (a · b) + (a · c) (Distributivität)3 erfüllt wird. Beispiele: n mit n ∈ Z und m ∈ N (wobei man Brüche iden◦ Die rationalen Zahlen Q, d.h. die Brüche m tifiziert, die durch Kürzen bzw. Erweitern auseinander hervorgehen), bilden einen Körper, nm0 +n0 m n nn0 n n0 n0 indem man + durch m +m und · durch m ·m 0 := 0 := mm0 definiert. Das neutrale mm0 Element der Addition ist 0 = 01 , das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 11 . ◦ Auch die reellen Zahlen R bilden mit + und · einen Körper. ◦ Es gibt auch Körper mit nur endlich vielen Elementen (siehe weiter unten). 1 nach dem norwegischen Mathematiker Niels Henrik Abel (1802-1829) Die Eigenschaften (i)-(iv) entsprechen für (R, +) genau den im Forster angegebenen Axiomen (I.1)-(I.4). 3 Dies ist für die reellen Zahlen R genau das Axiom III im Forster. Da aus diesem x · 0 = 0 für alle x ∈ R folgt (siehe unten), sind (1),(2) und (3) für die reellen Zahlen äquivalent zu den Axiomen I,II und III im Forster. 2 2 Folgerungen aus den Körperaxiomen: (a) Das neutrale Element der Addition ist eindeutig. (b) Für jedes Körperelement gilt: Sein additives Inverse ist eindeutig. (c) Das neutrale Element der Addition ist zu sich selbst additiv invers. (d) Zu beliebigen Körperelementen a, b gibt es genau ein x, so dass a + x = b gilt. (e) Für jedes Körperelement a ∈ K gilt: −(−a) = a. (f) Für beliebige Körperelemente a, b ∈ K gilt: −(a + b) = (−a) + −(b) (g) Das neutrale Element der Multiplikation ist eindeutig. (h) Für jedes Körperelement 6= 0 gilt: Sein multiplikatives Inverse ist eindeutig. (i) Zu beliebigen Körperelementen a, b mit a 6= 0 gibt es genau ein x, so dass ax = b gilt. (j) Für alle Körperelemente a ∈ K gilt 0 · a = 0. (k) Ein Körper ist nullteilerfrei, d.h., ab = 0 =⇒ a = 0 ∨ b = 0. (l) Für alle a ∈ K gilt: (−1) · a = −a. (m) Für jedes Körperelement a ∈ K mit a 6= 0 gilt: (a−1 )−1 = a. (n) Für beliebige Körperelemente a, b ∈ K mit a 6= 0 und b 6= 0 gilt: (ab)−1 = a−1 b−1 . Äquivalenz- und Ordnungsrelationen, angeordnete Körper • Eine 2-stellige (oder binäre) Relation R auf einer nichtleeren Menge M ist eine Teilmenge des kartesischen Produkts von M mit sich selbst, d.h. R ⊂ M × M . Statt (x, y) ∈ R schreibt man auch häufig x ∼ y. • Eine binäre Relation R auf der Menge M heißt (a) reflexiv, falls ∀m ∈ M : (m, m) ∈ R. (b) symmetrisch, falls ∀m, n ∈ M : ((m, n) ∈ R ⇒ (n, m) ∈ R). (c) antisymmetrisch, falls ∀m, n ∈ M : ((m, n) ∈ R ∧ (n, m) ∈ R ⇒ m = n). (d) transitiv, falls ∀k, m, n ∈ M : ((k, m) ∈ R ∧ (m, n) ∈ R ⇒ (k, n) ∈ R). • Eine Äquivalenzrelation R auf einer Menge M 6= ∅ ist eine 2-stellige Relation auf M , welche reflexiv, symmetrisch und transitiv ist (d.h., die Eigenschaften (a),(b) und (d) erfüllt). Statt (x, y) ∈ R schreibt man in diesem Fall auch häufig x ≡ y. • Eine Ordnungsrelation R auf einer Menge M 6= ∅ ist eine 2-stellige Relation auf M , welche reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist (d.h., die Eigenschaften (a),(c) und (d) erfüllt). Statt (x, y) ∈ R schreibt man in diesem Fall auch häufig x y. • Ein angeordneter Körper ist ein Körper (K, +, ·) versehen mit einer Ordnungsrelation ≤, bzgl. der je zwei Elemente a, b ∈ K vergleichbar sind, (d.h. ∀a, b ∈ K : a ≤ b ∨ b ≤ a (totale Ordnung)), und die in folgender Weise mit Addition und Multiplikation verträglich ist:4 ◦ Aus a ≤ b folgt a + c ≤ b + c für beliebiges c ∈ K. ◦ Aus 0 ≤ a und 0 ≤ b folgt 0 ≤ ab. Wir führen die Schreibweisen ein a ≥ b :⇐⇒ b ≤ a und a < b :⇐⇒ a ≤ b ∧ a 6= b. 4 Dies ist äquivalent zu den Anordnungsaxiomen (O.1)-(O.3) im Forster, bei denen die Menge der positiven x vorgegeben wird, indem man x positiv nennt, wenn −x ≤ 0 und x 6= 0 gilt. Analog definiert man x < 0 und x ≥ 0. 3 Folgerungen aus den Anordnungsaxiomen: (a) Für a, b ∈ K gilt: a ≤ b ⇐⇒ − b ≤ −a (b) Für beliebige a, b, c, d ∈ K gilt: 0 ≤ a ≤ b ∧ 0 ≤ c ≤ d =⇒ 0 ≤ ac ≤ bd (c) Für beliebige a, b, c ∈ K gilt: a ≤ b ∧ c ≤ 0 =⇒ ac ≥ bc (d) Für jedes a ∈ K gilt a2 ≥ 0, insbesondere gilt 1 > 0 (e) Für jedes a ∈ K gilt: a > 0 =⇒ a−1 > 0 (f) Für alle a, b ∈ K gilt: 0 < a < b =⇒ a−1 > b−1 . Das Archimedische Axiom, der Absolutbetrag und Abschneidefunktionen • Die Menge N0 = N ∪ {0} lässt sich durch n 7→ n · 1 in jeden angeordneten Körper einbetten. • Gilt in einem angeordneten Körper K das Archimedische Axiom5 ∀x, y ∈ K : (x > 0 ∧ y > 0) =⇒ ∃n ∈ N0 : nx > y , so sprechen wir von einem archimedisch angeordneten Körper. Beispiele dafür sind der angeordnete Körper der reellen Zahlen (R, +, ·), ≤ oder der angeordnete Körper der rationalen Zahlen (Q, +, ·), ≤ . In der Tat lassen sich angeordnete Körper angeben, die das Archimedische Axiom nicht erfüllen, so dass dieses wirklich unabhängig von den vorangegangenen Axiomen ist. • In einem angeordneten Körper K definiert man durch |x| := x, falls x ≥ 0 gilt, und |x| := −x, falls x < 0 gilt, eine Absolutbetrag genannte Abbildung | · | : K → K. Desweiteren definiert man die Abschneidefunktionen floor(x) := bxc := max{n ∈ Z : n ≤ x} und ceil(x) := dxe := min{m ∈ Z : x ≤ m}. 5 Wegen des Anordnungsaxioms ∀a, b, c : (a > b ∧ c > 0 =⇒ ac > bc) ist dies äquivalent zu ∀x ∈ K ∃n ∈ N0 : x < n. 4 Tutoriumsaufgabe 1.1: (a) Sei (K, +, ·) ein Körper. Zeigen Sie: (i) Für gegebene a, b ∈ K ist eine Lösung x der Gleichung b = x + a eindeutig. (iii) Es gilt −(−x) = x. (ii) Neutrale Elemente, Negative und Inverse sind eindeutig. (iv) Multiplikation mit dem neutralen Element der Addition ergibt stets das neutrale Element der Addition: 0 · x = 0. (v) K ist nullteilerfrei: Aus x · y = 0 folgt zwingend, dass x = 0 oder y = 0 ist. (b) Ist Fp := {0, 1, 2, . . . , p − 1} mit der Addition x ⊕ y := x + y mod p und der Multiplikation x ⊗ y := x · y mod p für eine Primzahl p ∈ N ein Körper? 1 (a) ab ≤ (a2 + b2 ) 2 Tutoriumsaufgabe 1.2: Sei K ein angeordneter Körper. Zeigen Sie: (b) Für alle a, b, c, d ∈ K mit b 6= 0, d 6= 0 ist die Ungleichung a b > c d äquivalent zu (ad−bc)·(bd) > 0. Tutoriumsaufgabe 1.3: (a) Geben Sie jeweils die Menge aller x ∈ R, welche die folgenden Ungleichungen erfüllen, als Vereinigung von Intervallen an: 5 − |5 − x| x + 4 |x| − 1 1 <x 2 + |4 − x| ≥ 5 , (i) 2 ≥ (ii) (iii) ≤ 1, (iv) x −1 2 x − 2 |x| (v) |x − |x − 1|| > −2x + 1 (vi) |x − a| + |x − b| ≤ b − a, wobei a ≤ b (b) Welche der folgenden Relationen ist reflexiv, symmetrisch bzw. transitiv auf R ? (i) x ∼ y :⇐⇒ x ≤ y (ii) x ∼ y :⇐⇒ x2 + x = y 2 + y (iii) x ∼ y :⇐⇒ x2 + y 2 = 1 (c) Sei X := N0 \ {0} ⊂ R und sei R die Relation auf X, für die (x, y) ∈ R genau dann gilt, wenn x ∈ X die Zahl y ∈ X teilt (d.h., falls ∃n ∈ X : nx = y gilt). Beweisen oder widerlegen Sie, dass R eine Ordnungsrelation auf X ist. 5 Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 2: Folgen und Grenzwerte Zielstellung: Die Konvergenz von Zahlenfolgen gegen einen Grenzwert ist einer√der√grundlegendsten Begriffe der Analysis. Beispielsweise kann man alle irrationalen Zahlen wie 2, 3, π oder e als Grenzwerte von konvergenten Folgen rationaler Zahlen ansehen und dadurch erst den Körper der reellen Zahlen vollständig erfassen. Auch Funktionen wie beispielsweise die Exponentialfunktion exp lassen sich mittels konvergenter Folgen präzise definieren. Zudem lässt sich die Existenz von Lösungen vieler Gleichungen häufig nur durch Grenzwertbetrachtungen garantieren, und zur näherungsweisen numerischen Berechnung von Lösungen benötigt man oft eine Folge, die gegen die gesuchte Lösung konvergiert und sich dabei schnell ausrechnen lässt. Einige Tipps zum Studium: • Eine schwammige Definition der Konvergenz einer Zahlenfolge ist für die Analysis auf Universitätsniveau nicht ausreichend. Wenden Sie die ε − N -Definition von Konvergenz zumindest auf drei Beispiele selbstständig an, und machen Sie sich anfangs immer klar, wie man eine behauptete Konvergenzaussage prinzipiell auf die Definition zurückführen kann. • Der symbolische Ausdruck lim an ist nur eine Abkürzung für den Grenzwert der Folge an . n→∞ Insbesondere macht es keinen Sinn, lim an zu schreiben, wenn an nicht konvergiert (oder zun→∞ mindest bestimmt divergiert), und lim an = a definiert auch nicht die Konvergenz von an gegen n→∞ a, sondern besagt nur symbolisch, dass der Grenzwert von an gleich a ist. • Auch die Regeln für das Rechnen mit Grenzwerten von Folgen haben (wie alle Sätze aus der Mathematik) Voraussetzungen, die Sie überprüfen müssen, bevor Sie die Regeln anwenden. • Machen Sie sich den Begriff der Vollständigkeit bzw. den Unterschied zwischen Cauchy-Folgen und konvergenten Folgen dadurch klar, dass Sie zu einer irrationalen Zahl eine Cauchy-Folge rationaler Zahlen angeben, die in Q nicht konvergiert, aber in R gegen die gegebene irrationale Zahl konvergiert. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Folge, explizit definierte Folge, rekursiv definierte Folge • Grenzwert, Konvergenz, Divergenz, bestimmte Divergenz (= uneigentliche Konvergenz) • Cauchy-Folge, Vollständigkeit von R, Monotonie, Beschränktheit 6 Folgen, Konvergenz, Divergenz, Vollständigkeit, Monotonie, Beschränktheit • Eine Abbildung a : N → M von der Menge der natürlichen Zahlen N in eine Menge M nennt man auch eine Folge in M . Man bezeichnet den Wert von a an der Stelle n ∈ N kurz mit an und die Folge kurz mit (an )n∈N oder (etwas ungenau) auch einfach mit an . Ist speziell M = R, so nennt man (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen oder auch kurz eine (reelle) Zahlenfolge. • Zahlenfolgen kann man beispielsweise explizit durch eine Rechenvorschrift definieren, die besagt, 1 , an := (−1)n oder wie man zu einem gegebenen n ∈ N den Wert an berechnet, z.B. an := n+1 an := (1 + n1 )n . Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine Folge (einstufig) rekursiv durch eine Rechenvorschrift zu definieren, die besagt, wie a1 definiert ist und wie man aus einem bereits berechneten Wert an den folgenden Wert an+1 berechnen kann, z.B. a1 := 1 und an+1 := 1 + a1n . Komplizierter sind mehrstufig rekursive oder implizite Definitionen von Zahlenfolgen. • Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt konvergent, falls es eine Zahl a ∈ R mit der folgenden Eigenschaft gibt: ∀ ε > 0 ∃ N = N (ε) ∈ N ∀ n ∈ N : n ≥ N (ε) =⇒ |an − a| < ε . In diesem Fall ist die Zahl a eindeutig, man nennt sie den Grenzwert der Folge (an )n∈N , bezeichnet n→∞ sie symbolisch mit lim an und schreibt auch an −→ a. Existiert dagegen keine solche Zahl a, n→∞ so heißt die Folge (an )n∈N divergent. • Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt bestimmt divergent (oder uneigentlich konvergent) gegen +∞, falls ∀ K ∈ R ∃ N = N (K) ∈ N ∀ n ∈ N : n ≥ N (K) =⇒ an > K . Analog nennen wir (an )n∈N bestimmt divergent gegen −∞, falls ∀ K ∈ R ∃ N = N (K) ∈ N ∀ n ∈ N : n ≥ N (K) =⇒ an < K , und schreiben symbolisch lim an = +∞ bzw. lim an = −∞. n→∞ n→∞ • Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt Cauchy-Folge, falls ∀ ε > 0 ∃ N = N (ε) ∈ N ∀ n, m ∈ N : (n, m ≥ N (ε) =⇒ |an − am | < ε) • Jede konvergente Folge rationaler oder reeller Zahlen ist eine Cauchy-Folge.6 Die Umkehrung dieses Satzes gilt allerdings in Q nicht, es gibt Cauchy-Folgen rationaler Zahlen, die in Q nicht konvergieren. Diese unschöne Eigenschaft ist einer der Gründe, warum man Q zu den reellen Zahlen R erweitert. • Vollständigkeitsaxiom (vgl. Forster, §5, S. 44): In R konvergiert jede Cauchy-Folge reeller Zahlen. • Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt monoton wachsend, falls ∀n ∈ N : an ≤ an+1 . • Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt nach oben (bzw. nach unten) beschränkt, falls bzw. ∃K ∈ R ∀n ∈ N : an > K . ∃K ∈ R ∀n ∈ N : an < K Eine Zahlenfolge (an )n∈N heißt beschränkt, wenn sie nach oben und nach unten beschränkt ist. 6 vgl. Forster, §5, Satz 1 7 Rechenregeln für konvergente Folgen (vgl. Forster, §4, Sätze 3,4,5 sowie 8,9) • Seien an , bn konvergente Folgen reeller Zahlen mit lim an = a und lim bn = b. Dann gelten n→∞ lim (an + bn ) = a + b, n→∞ lim (an − bn ) = a − b, n→∞ n→∞ lim (an bn ) = ab . n→∞ Im Fall b 6= 0 gilt außerdem: es gibt ein N ∈ N mit bn 6= 0 für n ≥ N , und es gilt lim n→∞ an bn = a . b • Seien an , bn konvergente Folgen in R mit lim an = a und lim bn = b. Existiert ein N , so dass n→∞ n→∞ an ≥ bn für alle n ≥ N , so gilt a ≥ b. Insbesondere folgt aus A ≤ an ≤ B für alle n ≥ N auch A ≤ lim an ≤ B. n→∞ • Gilt an > 0 für alle n ∈ N (bzw. an < 0 für alle n ∈ N) und ist an eine Nullfolge, so divergiert die Folge a1n bestimmt gegen +∞ (bzw. gegen −∞). • Divergiert an bestimmt gegen +∞ (bzw. gegen −∞), dann gibt es ein N , so dass an 6= 0 für alle n ≥ N , und die für n ≥ N definierte Folge a1n ist dann eine Nullfolge. 8 Tutoriumsaufgabe 2.1: n2 + 2n + 1 n→∞ 1 −→ a := . 2 2n + 2 2 (a) Zeigen Sie nur mittels der ε-N -Definition des Grenzwertes, dass an := (b) Berechnen Sie den Grenzwert der Folge bn := (n−2)4 . (n+2)2 (4n2 −3) (c) Zu gegebenen festen a0 , a1 , . . . , ak ∈ R betrachten wir die durch pn := k X aj nj , qn := nk + 1, j=0 definierten Folgen (pn )n∈N und (qn )n∈N . Bestimmen Sie lim pn . n→∞ qn Tutoriumsaufgabe 2.2: Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte: n2 + 9n − 1 (a) lim n→∞ 2n3 − 4n + 1 (n + 1)! (e) lim n→∞ (n + 2)! − n! (3 − n)3 (b) lim n→∞ 3n3 − 1 (f) lim n→∞ 4n2 − 3n + 1 (c) lim n→∞ 5n2 − 6n + 2 4n 4 · 8n−1 − 2(3n + 1) 6n − 2 (d) lim n→∞ " (g) lim n→∞ 2n3 + 1 n2 + 1 − 4n2 − 2 2n + 3 2 3− n 4 # 5n − 1 −3 9n + 7 (unbestimmte Ausdrücke der Form 0 · ∞“): ” n→∞ n→∞ Sind (an )n∈N und (bn )n∈N reelle Zahlenfolgen mit an → 0 und bn → ∞, dann existiert keine allgemeine Aussage über das Konvergenzverhalten von (an bn )n∈N . Geben Sie je ein Beispiel an mit n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ an → 0 ∧ bn → +∞ und (a) an bn → +∞ (e) an bn → c, c ∈ R \ {0} beliebig, Tutoriumsaufgabe 2.3: n→∞ (b) an bn → −∞ n→∞ (c) an bn → 0 (f) an bn unbestimmt divergent, beschränkt (g) an bn unbestimmt divergent, unbeschr. (unbestimmte Ausdrücke der Form ∞ − ∞“): ” n→∞ n→∞ Sind (an )n∈N und (bn )n∈N reelle Zahlenfolgen mit an → +∞ und bn → −∞, dann existiert keine allgemeine Aussage über das Konvergenzverhalten von (an +bn )n∈N . Geben Sie je ein Beispiel an mit n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ an → +∞ ∧ bn → −∞ und (a) an + bn → +∞ (e) an + bn → c, c ∈ R \ {0} bel. Tutoriumsaufgabe 2.4: n→∞ (b) an + bn → −∞ n→∞ (c) an + bn → 0 (f) an + bn unbest. divergent, beschr. (g) an + bn unbest. divergent, unbeschr. Tutoriumsaufgabe 2.5: (a) Geben Sie ein Beispiel für eine unbeschränkte Folge (an )n∈N an, so dass an > 0 für alle n gilt, die jedoch nicht bestimmt divergent ist. (b) Sei (an )n∈N eine konvergente Folge mit Grenzwert a > 0. Zeigen Sie, dass es ein K ∈ N gibt, so dass an 6= 0 für alle n ≥ K. (c) Zeigen Sie: Falls (an ) den Grenzwert a ∈ R mit a > 0 besitzt und (bn ) bestimmt divergent gegen ∞ ist, dann ist auch die Folge (an bn ) bestimmt divergent gegen ∞. 9 Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 3: Reihen Zielstellung: Reihen sind spezielle Folgen – nämlich die Partialsummen zu einer gegebenen Folge –, daher ist es insbesondere interessant zu wissen, ob eine gegebene Reihe konvergiert oder nicht. Aus der Schule kennt man vielleicht schon die geometrische Reihe, die ein nützliches Hilfsmittel zur Berechnung von Zinsen ist, und den als Paradoxon von Achilles und der Schildkröte bezeichneten Trugschluss des Philosophen Zenon von Elea, bei dem hinterfragt wird, ob eine Reihe eine endliche Summe haben kann (ja, kann sie, nämlich bei Konvergenz ihren Grenzwert). Aber mit Reihen kann man noch viel mehr anfangen, beispielsweise kann man mit Hilfe spezieller Reihen – der sogenannten b-adischen Brüche – jede reelle Zahl als Grenzwert einer Folger rationaler Zahlen ansehen (im Fall b = 10 ist dies nichts anderes als die tag tägliche gebrauchte Dezimalbruchentwicklung einer reellen Zahl), und Potenzreihen erlauben eine präzise Definition elementarer Funktionen wie der Exponentialfunktion exp und den trigonometrischen Funktionen sin oder cos. Daher wollen wir uns in diesem Abschnitt mit Reihen, Konvergenzkriterien und Potenzreihen beschäftigen. Einige Tipps zum Studium: • Verwechseln Sie nicht die Folge an und die Reihe ∞ X an , sondern machen Sie sich die Unterschiede n=1 an Beispielen klar. • Der Umgang mit dem symbolischen Ausdruck ∞ X an ist nicht ganz leicht, da er auch innerhalb n=1 der Mathematik doppeldeutig verwendet wird, einerseits als Symbol für die Reihe zur Folge an (auch wenn diese nicht konvergiert) und andererseits (bei Konvergenz der Reihe) als Abkürzung für den Grenzwert. Seien Sie also vorsichtig im Umgang mit diesem Symbol und hinterfragen Sie, was Sie selbst oder andere eigentlich meinen. • Machen Sie sich die b-adische Darstellung einer reellen Zahl nicht nur im Fall b = 10, sondern auch in anderen Fällen anhand von Beispielen klar. • Überprüfen Sie bei der Anwendung von Konvergenzkriterien für Reihen (wie bei der Anwendung jedes mathematischen Satzes) alle Voraussetzungen, und verwechseln Sie insbesondere nicht notwendige und hinreichende Bedingungen für die Konvergenz einer Reihe. • Potenzreihen sind einerseits für jedes feste x ∈ R spezielle Reihen, andererseits für variables x Funktionen, die dort definiert sind, wo die Potenzreihe konvergiert. Hinterfragen Sie, welche Sichtweise Sie gerade verwenden. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Partialsummen, Reihe, Konvergenz einer Reihe • geometrische Reihe, harmonische Reihe, b-adischer Bruch, Potenzreihe • notwendige und hinreichende Konvergenzkriterien für Reihen 10 Reihen und b-adische Brüche (vgl. Forster, §4 und §5) • Ist (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen, dann nennt man die durch sk := k P an definierte Folge n=1 (sk )k∈N der Partialsummen die Reihe zur Folge (an )n∈N , und man verwendet das Symbol ∞ P ak k=1 einerseits für die Folge (sk )k∈N und andererseits auch – falls die Partialsummenfolge (sk )k∈N konvergiert – für den Grenzwert lim sk , den man auch als Summe der Reihe bezeichnet. k→∞ • Ein wichtiges Beispiel für eine Reihe ist die geometrische Reihe ∞ P xn zu einer Zahl x ∈ R. Diese n=0 konvergiert genau dann, wenn |x| < 1 gilt, und ihr Grenzwert ist in diesem Fall • Ein anderes wichtiges Beispiel ist die harmonische Reihe ∞ P n=1 1 , n 1 . 1−x die divergiert, obwohl die auf- summierten Terme immer kleiner werden und gegen Null konvergieren. • Da Reihen nichts anderes als spezielle Folgen sind, gelten entprechende Rechenregeln für kon∞ ∞ P P vergente Reihen: Konvergieren an und bn und sind λ, µ ∈ R beliebig, dann konvergiert die Reihe ∞ P n=0 n=0 (λan + µbn ) und es gilt n=0 ∞ X (λan + µbn ) = λ ∞ X an + µ bn . n=0 n=0 n=0 ∞ X • Sei b ∈ N, b ≥ 2. Unter einem b-adischen Bruch verstehen wir eine spezielle Reihe der Gestalt ∞ P aν b−ν mit aν ∈ {0, 1, . . . , b − 1}. ν=−k • Jeder b-adische Bruch stellt eine Cauchy-Folge in Q dar, d.h. er konvergiert gegen eine Zahl x ∈ R, und umgekehrt lässt sich auch jede reelle Zahl in einen b-adischen Bruch entwickeln. Konvergenzkriterien für Reihen/absolute Konvergenz/Umordnungen (vgl. Forster, §7) • Äquivalent zur Konvergenz der Reihe ∞ P ak ist aufgrund der Vollständigkeit von R die Aussage, k=1 dass die zugehörige Folge der Partialsummen eine Cauchy-Folge ist, d.h. dass gilt ! n X ∀ε > 0 ∃N ∈ N ∀n, m ∈ N : n ≥ m ≥ N =⇒ ak < ε k=m • Konvergiert die Reihe ∞ P k→∞ ak , so gilt notwendigerweise ak −→ 0, Diese Bedingung ist aber nicht k=1 hinreichend. Bsp.: lim 1 k→∞ k = 0, aber ∞ X 1 k=1 k = + ∞ . . . harmonische Reihe. • Das Leibniz-Kriterium ist ein hinreichendes Konvergenzkriterium für alternierende Reihen: ∞ X n→∞ (an )n∈N monoton ∧ an −→ 0 =⇒ (−1)k ak konvergent. k=1 • Eine Reihe ∞ X ak heißt absolut konvergent, falls die Reihe k=1 ∞ X |ak | konvergiert. Insbesondere k=1 konvergiert jede absolut konvergente Reihe, aber: umgekehrt ist nicht jede konvergente Reihe auch absolut konvergent. 11 ∞ X 1 (−1)k ist konvergent nach dem Leibniz-Kriterium, jedoch nicht absolut konverk k=1 ∞ X 1 gent, denn wie eben erwähnt ist bestimmt divergent gegen ∞. k k=1 Beispiel: • Hinreichende Kriterien für die absolute Konvergenz einer Reihe sind das Majorantenkriterium ! ∞ ∞ X X ck konvergent ∧ ∀k ∈ N : |ak | ≤ ck =⇒ ak absolut konvergent , k=1 k=1 das Quotientenkriterium k ≥ k0 ∞ X ak+1 ≤ θ =⇒ ak absolut konvergent =⇒ ak = 6 0∧ ak k=1 ∞ X p k |ak | ≤ θ =⇒ =⇒ ak absolut konvergent . ∃θ ∈ ]0, 1[ ∃k0 ∈ N ∀k ∈ N : und das Wurzelkriterium ∃θ ∈ ]0, 1[ ∃k0 ∈ N ∀k ∈ N : k ≥ k0 k=1 • Absolute Reihen kann man umordnen, ohne dass sich ihr Grenzwert ändert: ∞ X ak absolut konvergent =⇒ ∀τ : N → N bijektiv : ∞ X aτ (k) = ak k=1 k=1 k=1 ∞ X Für nur konvergente Reihen ist diese Aussage falsch. Potenzreihen • Eine Reihe der Form ∞ P ck (x − a)k mit Koeffizienten ck ∈ R, Entwicklungspunkt a ∈ R und k=0 variablem x wird Potenzreihe genannt. • Konvergiert eine Potenzreihe ∞ P ck (x − a)k für ein x∗ 6= a, dann konvergiert die Potenzreihe k=0 auch für jedes x ∈ R mit |x − a| < |x∗ − a|. • Zu einer Potenzreihe ∞ P ck (x − a)k heißt die durch k=0 R := sup |r − a| : x∈R ∞ X k ck (x − a) konvergiert k=0 definierte Zahl R ∈ [0, ∞[∪{+∞} der Konvergenzradius der Potenzreihe. Man kann R durch 1 p R = bestimmen. Damit konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ R mit |x−a| < R lim sup k |ck | k→∞ und divergiert für alle x ∈ R mit |x − a| > R (während über die Konvergenz in den Punkten x mit |x − a| = R keine allgemeingültige Konvergenzaussage gemacht werden kann). Insbesondere ∞ P definiert eine Potenzreihe durch f : x 7→ ck (x − a)k eine Funktion auf der Menge der x mit k=0 |x − a| < R. 12 Tutoriumsaufgabe 3.1: n 1X (a) Sei (an )n∈N konvergent mit Grenzwert a. Zeigen Sie, dass die durch bn := ak gegebene n k=1 Folge (bn )n∈N konvergent ist und bestimmen Sie ihren Grenzwert (beachten Sie, dass (bn )n∈N keine Reihe ist). Kann man aus der Konvergenz von (bn ) auf die Konvergenz von (an ) schließen? (b) Begründen Sie, warum die Reihe ∞ P ak 8−k für jede Wahl von ak ∈ {0, 1, . . . , 7} gegen eine Zahl k=1 a ∈ [0, 1] konvergiert. ( 5, := 3, Bestimmen Sie speziell den Grenzwert, falls ak falls k ungerade, falls k gerade, Tutoriumsaufgabe 3.2: Untersuchen Sie die folgenden Reihen auf Konvergenz: (a) ∞ X r 3 n=1 (b) ∞ X n=1 (n!)2 (2n)! (c) ∞ X n=1 ∞ X 1 (f) n2 n=1 (−1)n n (n + 1)(n + 2) (d) ∞ X n=1 n ∞ X n + 22 (g) 2n + 62 n=1 ∞ X (h) √ n=1 n n 1+2 2n+1 (e) ∞ X n=1 n−1 n 2n − 6 + 4) 3n (3n ∞ X (−1)n (n + 1) √ (i) 2n n n=1 1 n2 + 1 Tutoriumsaufgabe 3.3: Beweisen Sie oder widerlegen Sie mit einem Gegenbeispiel: ∞ ∞ P P (a) Ist die Reihe a2k konvergent, dann konvergiert die Reihe ak absolut. k=1 k=1 ∞ P (b) Konvergiert die Reihe ak absolut, dann ist die Reihe k=1 ∞ P (c) Gegeben sei eine Reihe Dann ist die Reihe ∞ P ∞ P a2k konvergent. k=1 ak mit ak > 0 für alle k ∈ N und k=1 ak+1 ak ≥ 1 für unendlich viele k ∈ N. ak nicht konvergent. k=1 Tutoriumsaufgabe 3.4: Gegeben sei die Reihe ∞ P 2(−1) n −n . n=1 (a) Ist hier das Quotientenkriterium anwendbar ? (b) Ist hier das Wurzelkriterium anwendbar ? (c) Ist die Reihe nun konvergent ? Tutoriumsaufgabe 3.5: Konvergiert die Reihe 1 − 21 + 13 − 41 + . . . gegen denselben Grenzwert wie die Reihe 1− 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 − + − − + − − ± ··· + − − ± ... ? 2 4 3 6 8 5 10 12 2n + 1 4n + 2 4n + 4 Tutoriumsaufgabe 3.6: (a) Bestimmen Sie den Konvergenzradius der Potenzreihen (i) ∞ X n=0 3 n (n +2n−1)x , (ii) ∞ X −n 2 n (x+7) , (iii) n=0 ∞ X (x − 3)n n=0 n! , ∞ X (x − 1)n √ (iv) n n=1 und geben Sie an, für welche x die jeweilige Potenzreihe konvergiert und für welche sie divergiert. (b) Bestimmen Sie alle x ∈ R, für welche die Potenzreihe ∞ X 2n (x + 5)n n=1 13 n2 konvergiert. Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 4: Elementare Funktionen Zielstellung: Polynomfunktionen, Exponentialfunktionen, trigonometrische Funktionen, deren Umkehrfunktionen und die aus solchen Funktionen durch Anwendung der vier elementaren Operationen +, −, ·, gebildeten Funktionen sind aus der Schule schon bekannt und spielen in der Analysis eine solch herausragende Rolle, dass man sie als elementare Funktionen bezeichnet. Während Polynomfunktionen und rationale Funktionen noch recht einfach definiert werden können, erfordert eine präzise Definition von Exponentialfunktionen, trigonometrischen Funktionen und deren Umkehrfunktionen schon einigen Aufwand. Die dazu nötigen Techniken sollen in diesem Abschnitt im Mittelpunkt stehen. Einige Tipps zum Studium: • Eine unpräzise Definition der Exponentialfunktionen, der trigononometrischen Funktionen und deren Umkehrfunktionen ist für die Analysis nicht ausreichend. Machen Sie sich klar, dass es zwar leicht ist 2m für ganze Zahlen m ∈ Z zu definieren, dass es aber nicht offensichtlich ist, ob es zu jedem y > 0 und k ∈ N wirklich eine reelle Zahl x > 0 mit xk = y gibt, und daher auch die m schon nicht ganz einfach ist. Noch schwieriger ist es, Definition von 2( k ) für rationale Zahlen m k x x 2 oder noch allgemeiner y für beliebige reelle Zahlen x ∈ R (insbesondere irrationale x) und y > 0 zu definieren. • Prägen Sie sich die Funktionalgleichungen für exp und ln sowie die Additionstheoreme für sin und cos ein, denn diese werden immer wieder verwendet. • Den Umgang mit elementaren Funktionen erlernen Sie nur, indem Sie selbstständig genügend Rechnungen durchführen. Machen Sie sich dabei klar, welche bewiesenen Aussagen über diese Funktionen Sie benutzen, auch wenn dies manchmal mühselig ist. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Definition von √ k ·, exp, ln, sin, cos, tan, arccos, arcsin, arctan • Rechnen mit Potenzen und Wurzeln, Funktionalgleichungen für exp und ln, Additionstheoreme für sin und cos 14 Polynomfunktionen und Wurzelfunktionen • Sind c0 , c1 , . . . , ck reelle Zahlen mit ck 6= 0, so nennt man die durch f (x) := ck xk + · · · + c1 x + c0 definierte Funktion f : R → R eine Polynomfunktion vom Grad k. Quotienten zweier Polynomfunktionen heißen rationale Funktionen. • Für k ∈ N, k ≥ 2, und a ∈ R,√a > 0, gibt es genau eine positive Lösung x ∈ R der Gleichung xk = a. Diese bezeichnen wir mit k a√und nennen sie die (positive) k-te Wurzel von a. Insbesondere wird für k ∈ N durch f (x) := k x (und f (0) := 0) eine Funktion f : [0, ∞[→ R definiert, diese ist auf [0, ∞[ die Umkehrfunktion der Polynomfunktion x 7→ xk . Exponentialfunktion, Logarithmus und allgemeine Potenzen • Für jedes x ∈ R konvergiert die Exponentialreihe genannte Potenzreihe ∞ P k=0 xk . k! Ihren Grenz- wert für x ∈ R bezeichnen wir mit exp(x), und insbesondere definiert x 7→ exp(x) eine Funk∞ X 1 tion exp : R → R, die Exponentialfunktion genannt wird. Die Zahl e := exp(1) = k! k=0 heißt Eulersche Alternativ kann man die Exponentialfunktion auch über den Grenzwert Zahl. x n exp(x) = lim 1 + einführen. n→∞ n • Sind ∞ P ak und k=0 genannte Reihe ∞ P k=0 ∞ P bk absolut konvergente Reihen, dann konvergiert auch die Cauchy-Produkt ∞ ∞ ∞ n P P P P bk . ak ak bn−k und es gilt cn = cn , mit cn := n=0 n=0 k=0 k=0 k=0 • Wendet man das Cauchy-Produkt von Reihen auf die Exponentialreihe an, so ergibt sich die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion ∀x, y ∈ R : exp(x + y) = exp(x) exp(y) . Aus dieser ergeben sich auch die Eigenschaften (a) ∀x ∈ R : exp(x) > 0 . (c) ∀p ∈ Z ∀q ∈ N, q ≥ 2 : exp p q = √ q (b) ∀x ∈ R : exp(−x) = 1 exp(x) . ep . • Die Exponentialfunktion exp : R → R ist streng monoton wachsend und bildet R bijektiv auf ]0, ∞[ ab. Ihre Umkehrfunktion ln :]0, ∞[→ R heißt (natürlicher) Logarithmus, ist ebenso streng monoton wachsend und genügt der Funktionalgleichung ∀x, y ∈]0, ∞[ : ln(xy) = ln(x) + ln(y). • Allgemeine Potzenzen für a > 0 definiert man durch ax := exp(x · ln(a)). , und aus der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion ergeben sich die folgenden Rechenregeln für Potenzen: Für alle a, b, x, y ∈ R mit a > 0, b > 0 gilt x (i) ax ay = ax+y (ii) (ax )y = axy (iii) ax bx = (ab)x (iv) a1 = a−x 15 Trigonometrische Funktionen • Die reellen Zahlen R kann man zum Körper der komplexen Zahlen C erweitern, in dem die polynomiale Gleichung z 2 + 1 = 0 zwei Lösungen ±i hat. Analog zu reellen Folgen und Reihen kann man auch die Konvergenz komplexer Folgen und Reihen definieren, wobei man für eine komplexe Zahl z =px + iy ∈ C mit Realteil x = Re(z) und Imaginärteil y = Im(z) den Betrag durch |z| := x2 + y 2 definiert. Insbesondere kann man komplexe Zahlen in Potenzreihen einsetzen. Aufgrund der absoluten Konvergenz der Exponentialreihe ist dadurch exp(z) auch für alle z ∈ C definiert. • Für jede reelle Zahl sind durch cos(x) := Re(exp(ix)) und sin(x) := Im(exp(ix)) die trigonometrischen Funktionen Sinus sin : R → R und Cosinus cos : R → R definiert, Insbesondere gilt die Eulersche Formel: exp(ix) = cos(x) + i sin(x) und wegen | exp(ix)| auch (cos(x))2 + (sin(x))2 = 1. • Aus der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion und der Eulerschen Formel ergeben sich die Additionstheoreme: Für alle x, y ∈ R gelten x−y x+y sin sin(x + y) = sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y) , sin(x) − sin(y) = 2 cos 2 2 x+y x−y cos(x + y) = cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y) , cos(x) − cos(y) = −2 sin sin 2 2 • Explizit kann man (reelle) Potenzreihenentwicklungen von Sinus und Cosinus für alle x ∈ R gewinnen: cos(x) = sin(x) = ∞ X x2k x2 x4 x 6 x8 (−1)k = 1− + − + ∓ ... (2k)! 2! 4! 6! 8! k=0 ∞ X k=0 (−1)k x2k+1 x3 x5 x7 x9 = x− + − + ∓ ... (2k + 1)! 3! 5! 7! 9! • Auf dem Intervall [0, 2] ist cos streng monoton fallend und besitzt dort eine Nullstelle, welche wir π 3π mit π2 bezeichnen. Somit erhalten wir die speziellen Werte ei 2 = i, eiπ = −1, ei 2 = −i, ei2π = 1. • Auf R\ π 2 + kπ : k ∈ Z wird durch tan(x) := durch cot(x) := cos(x) sin(x) sin(x) cos(x) der Tangens von x, auf R\{kπ : k ∈ Z} der Cotangens von x definiert. • Umkehrfunktionen arccos(x), arcsin(x), arctan(x) (a) Der Cosinus bildet das Intervall [0, π] bijektiv und stetig auf [−1, 1] ab und besitzt dort eine Umkehrfunktion arccos : [−1, 1] → [0, π], die wir den Arcus Cosinus nennen. (b) Der Sinus bildet das Intervall − π2 , π2 bijektiv π π und stetig auf [−1, 1] ab und besitzt dort eine Umkehrfunktion arcsin : [−1, 1] → − 2 , 2 , die wir den Arcus Sinus nennen. π π (c) Ebenso bildet der Tangens das offene Intervall π π − 2 , 2 bijektiv und stetig auf R ab und besitzt die Umkehrfunktion arctan : R → − 2 , 2 , die wir den Arcus Tangens nennen. Bemerkung: Die hier definierten Umkehrfunktionen nennt man auch die Hauptzweige. Ebenso kann man sich die entsprechenden Funktionen für die Nebenzweige überlegen. 16 Tutoriumsaufgabe 4.1: (k-te Wurzeln) (a) Sei a > 0 eine reelle und k ≥ 2 eine natürliche Zahl. Beweisen Sie, dass für jeden Startwert x0 > 0 die rekursiv durch 1 a xn+1 := (k − 1)xn + k−1 k xn definierte Folge gegen eine positive Lösung der Gleichung xk = a konvergiert und diese eindeutig ist. (b) Zeigen Sie, dass die k-te Wurzel streng monoton wachsend ist. (c) Sei k ≥ 2 eine beliebige natürliche Zahl und an eine konvergente Folge nicht-negativer reeller √ Zahlen mit Grenzwert a ≥ 0. Zeigen Sie, dass dann die durch bn := k an gegebene Folge gegen √ den Grenzwert b := k a konvergiert. Tutoriumsaufgabe 4.2: Sei |x| < 1. Berechnen Sie die Cauchy-Produkte ∞ P x k ∞ P k k (−1) x k=0 k=0 und ∞ P k k (−1) x k=0 ∞ P (−1) x . k k k=0 Tutoriumsaufgabe 4.3: (a) Zeigen Sie: Eine streng monotone Funktion ist injektiv. (b) Zeigen Sie (iii) und (iv) der Rechenregeln für Potenzen. Tutoriumsaufgabe 4.4: π Berechnen Sie die exakten Werte von cos(x), sin(x), tan(x) an den Stellen π3 , π4 , π6 , 12 . Verwenden Sie dabei Additionstheoreme. 17 Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 5: Stetigkeit Zielstellung: In der Schule wird die Stetigkeit einer Funktion häufig damit begründet, dass man sie zeichnen kann, ohne den Stift abzusetzen. Für das Studium der Analysis auf Universitätsniveau ist solch eine Begründung zu ungenau, denn tatsächlich gibt es stetige Funktionen, die sich sehr wild verhalten. Wir wollen verschiedene Charakterisierungen von Stetigkeit bzw. des Grenzwertes bei Funktionen kennenlernen und dabei Techniken erarbeiten, die es erlauben, bedeutende Eigenschaften stetiger Funktionen zu beweisen. So besitzt beispielsweise jede stetige Funktionen auf einem kompakten Intervall ein Maximum und Minimum oder bildet Intervalle auf Intervalle ab. Einige Tipps zum Studium: , x1 und sin( x1 ) den Unterschied zwischen nach • Machen Sie sich anhand von Beispielen wie sin(x) x x = 0 stetig fortsetzbaren Funktionen und unstetigen Funktionen klar. Beachten Sie insbesondere, dass in einer Unstetigkeitsstelle kein Pol und kein Sprung vorzuliegen braucht. • Lernen Sie die -δ-Definition von Stetigkeit und das Folgenkriterium wie Vokabeln auswendig, und üben Sie deren Anwendung an genügend Beispielen. Begründen Sie anfangs ganz präzise, warum eine Funktion stetig ist, und behaupten Sie dies nicht nur ohne Begründung. • Vollziehen Sie die Aussagen des Satzes vom Maximum/Minimum bzw. des Zwischenwertsatzes genau nach, und achten Sie bei deren Anwendung wie immer darauf, dass Sie die Voraussetzungen dieser Sätze überprüfen. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Stetigkeit, ε-δ-Definition, Folgenkriterium • Grenzwert einer Funktion, die Bedeutung des Symbols lim f (x) = b, stetige Fortsetzbarkeit von x→a Funktionen • Maximum, Minimum, Zwischenwert • gleichmäßige Stetigkeit, Lipschitz-Stetigkeit 18 Stetigkeit von Funktionen/Stetige Fortsetzbarkeit • Den Begriff der Stetigkeit einer Funktion können wir einerseits mit Hilfe des Begriffes der Konvergenz reeller Zahlenfolgen einführen (das sogenannte Folgenkriterium) oder äquivalent dazu mit Hilfe von Umgebungsbegriffen (die sogenannte ε-δ-Charakterisierung): (a) Folgenkriterium: Eine Funktion f : D → R heißt stetig im Punkt a ∈ D, wenn für jede Folge (xn )n∈N aus D mit Grenzwert a die entsprechende Folge der Funktionswerte (f (xn ))n∈N konvergiert und der Grenzwert mit dem Funktionswert übereinstimmt, d.h., wenn: n→∞ n→∞ ∀ Folge (xn )n∈N aus D : xn → a =⇒ f (xn ) → f (a) (5.1) (b) ε-δ-Charakterisierung: Eine Funktion f : D → R heißt stetig im Punkt a ∈ D, wenn wir zu jedem ε > 0 ein (im Allgemeinen vom Punkt a und von ε abhängiges) δ > 0 finden können, so dass die Funktionswerte aller x ∈ D aus der sogenannten δ-Umgebung von a in der sogenannten ε-Umgebung von f (a) liegen, in mathematischen Zeichen lautet dies: ∀ε > 0 ∃δ = δε,a > 0 ∀x ∈ D : |x − a| < δ =⇒ |f (x) − f (a)| < ε (5.2) • Eine Funktion f : D → R heißt stetig in D, wenn f (x) stetig in jedem a ∈ D ist. • Manchmal (beispielsweise bei Quotienten stetiger Funktionen) enthält der Definitionsbereich Lücken bzw. sind Funktionen an einzelnen Stellen nicht stetig (d.h., erfüllen nicht eines und damit beide der obigen Eigenschaften), so dass man sich die Frage stellen kann, ob wir diesen Mangel irgendwie beheben können. Die Antwort lautet ja, wenn der sogenannte Grenzwert der Funktion an dieser Stelle existiert. (a) Dabei heißt c Grenzwert der Funktion f : D → R an der Stelle a (wobei nicht notwendigerweise a ∈ D gelten muss), wenn mindestens eine Folge (xn )n∈N aus dem Definitionsbereich gegen a konvergiert und für jede solche Folge (xn )n∈N gilt, dass die entsprechende Folge der Funktionswerte (f (xn ))n∈N stets gegen c konvergiert. (b) Eine Funktion f : D → R heißt stetig fortsetzbar in einem Punkt a 6∈ D, wenn der Grenzwert von f : D → R an der Stelle a existiert. (c) Eine Funktion f : D → R heißt stetig abänderbar in einem Punkt a ∈ D, wenn der Grenzwert von f : D \ {a} → R an der Stelle a existiert. Rechenregeln für stetige Funktionen • Summen, Produkte und Quotienten (sofern definiert) stetiger Funktionen bilden wiederum stetige Funktionen, genauer: Ist a ∈ D ⊂ R und sind (a) f, g : D → R stetig in a, dann ist auch f + g : D → R stetig in a. (b) f : D → R stetig in a und λ ∈ R, dann ist auch λf : D → R stetig in a. (c) f, g : D → R stetig in a, dann ist auch f g : D → R stetig in a. f (d) f, g : D → R stetig in a und g(a) 6= 0, dann ist : {x ∈ D | g(x) 6= 0} → R stetig in a. g Folglich sind alle rationalen Funktionen in ihrem Definitionsbereich (!!!) stetig. • Kompositionen (sofern definiert) stetiger Funktionen sind wiederum stetige Funktionen, d.h.: Ist f : D → R stetig in a ∈ D sowie g : E → R mit f (D) ⊂ E stetig in b := f (a), dann ist auch g ◦ f : D → R stetig in a. 19 Sätze über stetige Funktionen • Einer der wichtigesten Sätze über stetige Funktionen ist der Zwischenwertsatz: Ist f : [a, b] → R eine stetige Funktion und gilt f (a) · f (b) < 0, dann existiert ein ξ im Intervall ]a, b[ mit f (ξ) = 0. (Die Bedingung f (a) · f (b) < 0 stellt sicher, dass die Funktionswerte f (a) und f (b) unterschiedliches Vorzeichen besitzen.) ◦ Als Folgerung aus dem Zwischenwertsatz (die den Namen Zwischenwertsatz erst erklärt) erhalten wir, dass eine stetige f : [a, b] → R auf dem Intervall [a, b] jeden beliebigen Funktionswert η ∈]f (a), f (b)[ (bzw. η ∈]f (b), f (a)[ im Fall f (b) < f (a)) annimmt, d.h.: Ist f : [a, b] → R stetig, dann finden wir zu jedem Zwischenwert η ∈]f (a), f (b)[ (bzw. η ∈]f (b), f (a)[ im Fall f (b) < f (a)) ein ξ ∈]a, b[ mit f (ξ) = η. ◦ Eine weitere Folgerung aus dem Zwischenwertsatz ist, dass stetige Funktionen Intervalle wieder auf Intervalle abbilden, d.h.: Ist I ⊂ R ein (eigentliches oder uneigentliches) Intervall und f : I → R stetig, dann ist f (I) := {y ∈ R ∃x ∈ I mit f (x) = y} ebenso ein Intervall. • Eine weitere Eigenschaften stetiger Funktionen finden wir im Satz vom Minimum/Maximum: Sei f : [a, b] → R stetig. Dann ist das Bild f ([a, b]) beschränkt und f nimmt sein Minimum und sein Maximum an, d.h., es gibt ξ, η ∈ [a, b] mit f (ξ) ≤ f (x) ≤ f (η) für alle x ∈ [a, b]. Bemerkung: Wir werden später sehen, dass der Satz bereits gilt, wenn der Definitionsbereich von f beschränkt und abgeschlossen (d.h., kompakt) ist (also beispielsweise auch aus einer Vereinigung endlich vieler ggf. auch entarteter abgeschlossener Intervalle bestehen darf). Gleichmäßige und Lipschitz-Stetigkeit: • Eine Funktion f : D → R heißt gleichmäßig stetig auf D, wenn wir zu jedem ε > 0 ein (im Allgemeinen von ε abhängiges) δ > 0 finden können, so dass die Funktionswerte beliebiger x, y ∈ D mit |x − y| < δ weniger als ε voneinander abweichen, genauer wenn: ∀ε > 0 ∃δ = δε ∀x, y ∈ D : |x − y| < δ =⇒ |f (x) − f (y)| < ε (5.3) • Die Gleichmäßigkeit“ dieses Stetigkeitsbegriff liegt darin begründet, dass das δ aus der ε-δ” Charakterisierung der Stetigkeit nun für alle a gleich (also nur noch in Abhängigkeit von ε) gewählt werden kann. • Insbesondere sind also gleichmäßig stetige Funktionen auch stetig. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen jedoch nicht. Im Sonderfall, dass der Definitionsbereich von f jedoch ein abgeschlossenes und beschränktes Intervall ist, folgt auch aus der Stetigkeit die gleichmäßige Stetigkeit. • Eine Funktion f : D → R heißt Lipschitz-stetig auf D, wenn es eine positive Konstante L < ∞ gibt, so dass für alle x, y ∈ D die Ungleichung |f (x) − f (y)| ≤ L · |x − y| gilt. • Beispiele: (a) f : ]0, 1] → R, x 7→ x1 , ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. (b) f : [0, ∞[→ R, x 7→ x2 , ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. (c) f : [0, b] → R, x 7→ xk , für k ∈ N, k ≥ 2, und b > 0 ist gleichmäßig stetig. √ (d) f : [0, ∞[→ R, x 7→ k x, für k ∈ N, k ≥ 2, ist gleichmäßig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig. (e) f : R → R, x 7→ |x|, ist Lipschitz- und damit auch gleichmäßig stetig, also auch stetig. (f) f : R → R, x 7→ cx, für ein c ∈ R ist Lipschitz- und damit auch gleichmäßig stetig. 20 Tutoriumsaufgabe 5.1: (a) Beweisen Sie mittels der Definition des Grenzwertes von Funktionen lim x2 = 4. x→2 (b) Aus der Definition des Grenzwertes einer Funktion folgt lim |x − 7| = 0. x→7 (c) Rechenregeln für Grenzwerte von Folgen vererben sich sinngemäß für Grenzwerte von Funktionen. Tutoriumsaufgabe 5.2: Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte: 6x2 − 4x − 2 (a) lim x→1 2x2 + x − 3 x3 + x2 − x − 1 (b) lim 3 x→−1 x − x2 − x + 1 r (c) lim x→2 x2 + 2x − 8 x2 − x − 2 Tutoriumsaufgabe 5.3: (a) Zeigen Sie, dass jede monotone Funktion höchstens abzählbar viele Unstetigkeitsstellen besitzt. (b) Seien f (x) = 2x + 3 und g(x) = x2 − 2x − 24 Funktionen auf R. Ermitteln Sie die Funktionen (f ◦ g)(x) sowie (g ◦ f )(x) und bestimmen Sie den Wertebereich von f, g, f ◦ g und g ◦ f . (c) Beweisen Sie, dass die durch sinh(x) := 12 (exp(x) − exp(−x)) definierte Funktion sinh : R → R eine stetige Umkehrabbildung arsinh : R → R besitzt. Tutoriumsaufgabe 5.4: Zeigen Sie: (a) Jede Polynomfunktion von ungeradem Grad besitzt mindestens eine Nullstelle in R. (b) Die Funktion f (x) = x6 − x3 + x − 2 besitzt mindestens zwei Nullstellen in R. (c) Eine Lipschitz-stetige Funktion f : D → R ist auch gleichmäßig stetig. ( 1 für x ∈ Q , (d) Nirgends stetig ist die Funktion f : R → R, welche definiert ist durch f (x) := 0 für x ∈ R \ Q . 21 Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 6: Differentialrechnung Zielstellung: Die Differentialrechnung ist einer der bedeutendsten und für die Anwendungen nützlichsten Teilbereiche der Analysis, denn die Ableitung einer Funktion erlaubt es, mathematisch präzise über die Steigung einer Funktion und damit z.B. über physikalische Begriffe wie die Geschwindigkeit eines Teilchens zu sprechen. Einige Tipps zum Studium: ∆y für infinitesi• Machen Sie sich klar, dass die Ableitung einer Funktion y(x) nicht als Quotient ∆x mal kleine Zahlen ∆x sondern als Grenzwert bzw. stetige Fortsetzung des Differenzenquotienten definiert ist. • Haben Sie Beispiele für stetige, aber nicht differenzierbare, und differenzierbare, aber nicht stetig differenzierbare Funktionen parat. • Lernen Sie die wichtigsten Sätze der Differentialrechnung samt eines Anwendungsbeispiels auswendig. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Differenzierbarkeit, Ableitung, Differenzenquotient • algebraische Ableitungsregeln, Kettenregel, Ableitung der Umkehrfunktion • Mittelwertsatz, Schrankensatz • notwendige und hinreichende Bedingungen für Extrema Differenzierbarkeit • Eine Funktion f : D → R (D ⊂ R) heißt im Punkt a ∈ D differenzierbar, falls der Limes des Differenzenquotienten existiert, d.h., der Grenzwert f 0 (a) := lim x→a x∈D\{a} f (a) − f (x) a−x bzw. f 0 (a) = lim h→0 h6=0 f (a + h) − f (a) . h (6.4) Der Grenzwert f 0 (a) heißt die Ableitung von f im Punkt a. Bemerkung: Der Wert f 0 (a) gibt genau die Steigung m der Geraden t(x) := mx + b an, welche den Graphen {(x, f (x)) | x ∈ D} im Punkt (a, f (a)) berührt (tangiert). Die entsprechende Gerade y = t(x) wird Tangente an den Graphen im Punkt (a, f (a)) genannt. • Eine Funktion f : D → R (D ⊂ R) heißt in D differenzierbar, falls f in jedem x ∈ D differenzierbar ist. Bemerkung: Aus der Differenzierbarkeit folgt die Stetigkeit, die Umkehrung ist i. A. aber falsch ! (ÜA) • Falls f in jedem x ∈ D differenzierbar ist, erhalten wir, indem wir jedem x ∈ D den Wert der entsprechenden Ableitung von f in x zuordnen, eine neue Funktion f 0 : D → R. Falls diese neue Funktion f 0 : D → R sogar eine stetige Funktion ist, dann nennt man f stetig differenzierbar. 22 Eigenschaften differenzierbarer Funktionen • Ist die Funktion f : D → R in a ∈ D differenzierbar, so ist sie auch stetig in a. • Lineare Approximierbarkeit: Eine Funktion f : D → R (D ⊂ R) ist genau dann in a ∈ D differenzierbar, wenn eine Konstante c ∈ R existiert, so dass lim x→a x∈D\{a} f (x) − f (a) − c(x − a) = 0 x−a (6.5) gilt. Insbesondere strebt der Restterm ζ(x) in f (x) = f (a) + c(x − a) + ζ(x) für x → a auch dann noch gegen 0, wenn er durch x − a geteilt wird. Demnach können wir c als eine lineare Abbildung c : R → R, x 7→ c · x auffassen, welche die Funktion f in der Nähe des Punktes a approximiert. • Algebraische Differentiationsregeln: Falls f, g : D → R differenzierbare Funktionen sind und λ, µ ∈ R, dann sind auch die (punktweise definierten) Funktionen f + g, λf, f g : D → R differenzierbar und für alle x ∈ D gelten (λf + µg)0 (x) = λf 0 (x) + µg 0 (x) (f g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) (Linearität) (Produktregel) (6.6) (6.7) Ist g(x) 6= 0 für alle x ∈ D, so ist auch fg : D → R differenzierbar und für alle x ∈ D gilt 0 f g(x)f 0 (x) − g 0 (x)f (x) (x) = (Quotientenregel) (6.8) 2 g g(x) Weitere Differentiationsregeln: • Ableitung der Umkehrfunktion: Ist f : D → R differenzierbar in a mit f 0 (a) 6= 0 und besitzt f in der Umgebung von f (a) die Umkehrfunktion f −1 , dann gilt 0 f −1 (f (x)) = 1 f 0 (x) = f0 1 , (f (x))) (f −1 also 0 f −1 (y) = 1 f0 (f −1 (y)) . (6.9) • Kettenregel: Sind f : D → R und g : E → R Funktionen mit f (D) ⊂ E und ist f differenzierbar in a ∈ D und g differenzierbar in b := f (a) ∈ E, dann ist die Komposition g ◦ f : D → R (sprich: g nach f“) ebenfalls in a differenzierbar und es gilt ” (g ◦ f )0 (a) = g 0 (f (a)) · f 0 (a) (6.10) Sätze über differenzierbare Funktionen: • Satz von Rolle: Für a < b sei f : [a, b] → R eine in jedem Punkt x ∈ ]a, b[ differenzierbare Funktion mit f (a) = f (b), welche stetig in den Randpunkten ist. Dann existiert ein ξ ∈ ]a, b[ mit f 0 (ξ) = 0. • Mittelwertsatz der Differentialrechnung: Für a < b sei f : [a, b] → R differenzierbar in allen x ∈ ]a, b[ und stetig in den Randpunkten. Dann existiert ein ξ ∈ ]a, b[ mit f 0 (ξ) = f (b) − f (a) . b−a (6.11) Bemerkung: (a) (x − a) + f (a), welche den Graphen {(x, f (x)) | x ∈ D} in den Die Gerade s(x) = f (b)−f b−a Punkten (a, f (a)) und (b, f (b)) schneidet, wird Sekante genannt. Der Mittelwertsatz besagt somit, dass es im Inneren des Intervalls [a, b] mindestens einen Wert ξ gibt, so dass der Anstieg der Tangente im Punkt (ξ, f (ξ)) gleich dem Anstieg der Sekante durch die Randpunkte ist. Aus dem Mittelwertsatz folgt zusammen mit dem Satz vom Minimum/Maximum sofort der 23 • Schrankensatz: Sei f : R → R stetig differenzierbar und a < b. Dann gibt es ein M < ∞, so dass |f (x) − f (y)| ≤ M |x − y| für alle x, y ∈ [a, b] gilt. Bemerkung: Dieser Sachverhalt ist ein wichtiges Werkzeug in der Analysis und kommt oft in Beweisen vor. Werkzeuge zur Kurvendiskussion differenzierbarer Funktionen: Mit Hilfe der Differenzierbarkeit können wir Aussagen über (zumindest lokale) Extremstellen aber auch über das Monotonie- und Krümmungsverhalten von Funktionen treffen. • Notwendiges Kriterium für lokale Extrema: Besitzt die Funktion f : ]a, b[→ R in x ∈ ]a, b[ ein lokales Extremum und ist f in x differenzierbar, so muss zwingend f 0 (x) = 0 gelten. Bemerkung: Die Nullstellen der ersten Ableitung sind also Kandidaten für lokale Extrema. • Monotonieintervalle: Sei f : R → R differenzierbar und a < b. ◦ Genau dann ist f monoton fallend im Intervall [a, b], wenn die erste Ableitung im Inneren von [a, b] überall nichtpositiv ist. Entsprechend ist f genau dann monoton wachsend im Intervall [a, b], wenn die erste Ableitung im Inneren von [a, b] überall nichtnegativ ist. ◦ Falls die erste Ableitung im Inneren von [a, b] überall echt negativ ist, dann ist f sogar streng monoton fallend im Intervall [a, b]. Vorsicht: Die Umkehrung gilt i. A. nicht ! (ÜA) • Krümmungsverhalten: Ist D ein Intervall, so heißt eine Funktion f : R → R konvex im Intervall D, falls für alle x, y ∈ D und λ ∈ [0, 1] die Ungleichung f (λx + (1 − λ)y) ≤ λf (x) + (1 − λ)f (y) gilt (und konkav im Intervall D, wenn g = −f im Intervall D konvex ist). Bemerkung: Die Ungleichung für die Konvexität besagt, dass die Strecke durch die Punkte (x, f (x)) und (y, f (y)) oberhalb des Graphen der Funktion f verläuft. • Hinreichendes und notwendiges Kriterium für Konvexität: Genau dann ist eine zweimal differenzierbare Funktion f : R → R auf dem Intervall D konvex, wenn dort in allen Punkten die zweite Ableitung nichtnegativ ist. • Hinreichende Kriterien für lokale Extrema: ◦ Sei f : ]a, b[→ R eine differenzierbare Funktion und ε > 0. (a) Erfüllt f gleichzeitig die Bedingungen f 0 (x) = 0 sowie f 0 (ξ) < 0 für alle ξ ∈ ]x − ε, x[ und f 0 (ξ) > 0 für alle ξ ∈ ]x, x + ε[, dann besitzt f in x ein strenges lokales Minimum. (b) Erfüllt f gleichzeitig die Bedingungen f 0 (x) = 0 sowie f 0 (ξ) > 0 für alle ξ ∈ ]x − ε, x[ und f 0 (ξ) < 0 für alle ξ ∈ ]x, x + ε[, dann besitzt f in x ein strenges lokales Maximum. ◦ Sei f : ]a, b[→ R eine differenzierbare Funktion, welche in einem Punkt x ∈ ]a, b[ sogar zweimal differenzierbar ist. (a) Erfüllt f gleichzeitig die Bedingungen f 0 (x) = 0 und f 00 (x) > 0, dann besitzt f in x ein strenges lokales Minimum. (b) Erfüllt f gleichzeitig die Bedingungen f 0 (x) = 0 und f 00 (x) < 0, dann besitzt f in x ein strenges lokales Maximum. 24 Tutoriumsaufgabe 6.1: (a) In welchen x ∈ R sind f : x 7→ x2 sinh(x) und g : x 7→ tan(x) differenzierbar? (b) Bestimmen Sie für alle x ∈ R die Ableitung von h : x 7→ x2 − 1 . x2 + 1 Tutoriumsaufgabe 6.2: Bestimmen Sie die Ableitung (dort, wo möglich) von (a) u(x) = arctan(x3 + 2x2 − 1) (b) v(x) = exp(tan(x))(sin(x))3 (c) w(x) = ax (a > 0) Tutoriumsaufgabe 6.3: f (x) = c. x→∞ x (a) Zeigen Sie: Ist f : ]a, ∞[ → R differenzierbar mit lim f 0 (x) =: c ∈ R, dann gilt lim x→∞ (b) Seien f, g : ]a, ∞[ → R differenzierbar und g 0 (x) = 6 0 für alle x ∈ ]a, ∞[. Desweiteren existiere f 0 (x) lim 0 =: c ∈ R. Zeigen Sie die Implikation x→∞ g (x) f (x) lim g(x) = ±∞ =⇒ ∃ξ ∈]a, ∞[ ∀x ∈]a, ∞[ : (x ≥ ξ =⇒ g(x) 6= 0) ∧ lim = c . x→∞ x→∞ g(x) Tutoriumsaufgabe 6.4: (a) Bestimmen Sie die lokalen und globalen Extrema von (b) Bestimmen Sie die lokalen und globalen Extrema von (c) Gegeben seien f (x) = ln(x) x f (x) = 2x3 −15x2 +24x+5 in [−3, 3]. g(x) = x2 · e−x . und die stetige Fortsetzung g(x) von g̃(x) = x2 − 1 . x2 + x − 2 (i) Bestimmen Sie jeweils den maximalen Definitionsbereich und die Intervalle, in denen die Funktion positiv/negativ, monoton wachsend/fallend, konvex/konkav ist. (ii) Berechnen Sie die Grenzwerte in den Randpunkten (gegebenenfalls auch ±∞) des jeweiligen Definitionsbereiches, die nicht mehr zu demselben gehören. (iii) Bestimmen Sie die lokalen/globalen Extrema sowie Wendepunkte, falls diese existieren. (d) Diskutieren Sie die durch (h(x))3 = 2x2 − x3 eindeutig bestimmte Funktion h(x) auf R, indem Sie sie auf Nullstellen, Monotonie, Extrema, Konvexität und Wendepunkte hin untersuchen. 25 Tutorium zur Analysis Wintersemester 2015/2016, Universität Rostock Prof. Dr. K. P. Rybakowski PD Dr. habil. J. Merker Thema 7: Integralrechnung Zielstellung: Die Integralrechnung ist ebenso bedeutend für die Anwendungen wie die Differentialrechnung und wird häufig als ihr Gegenstück bezeichnet. Dies stimmt allerdings nur für den Newtonschen Integralbegriff, bei dem zu f eine Funktion F mit F 0 = f gesucht wird. Der Riemannsche Integralbegriff ist allerdings davon verschieden und basiert direkt auf der Berechnung von Flächen. Einige Tipps zum Studium: • Machen Sie sich die Unterschiede zwischen dem Newtonschen und dem Riemannschen Integralbegriff klar, die durch eine präzise und genügend allgemeine Formulierung des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung verdeutlicht werden. • Sie sollten wissen, welche Klassen von Funktionen Riemann-integrierbar sind, und Beispiele für nicht Riemann-integrierbare Funktionen parat haben. • Vermeiden Sie schwammigen Aussagen zur Grenzwertbildung bei der Definition des RiemannIntegrals. • Üben Sie partielle Integration, Substitution und die Integration rationaler bzw. anderer elementarer Funktionen anhand von vielen Beispielen ein. • Machen Sie sich den Unterschied zwischen dem (eigentlichen) Riemann-Integral und uneigentlicher Integration klar. Man sollte mit folgenden Begriffen sicher umgehen können: • Integrierbarkeit, Treppenfunktion, Ober-/Unterintegral, Riemannsche Summe • Stammfunktion (= unbestimmtes Integral), partielle Integration, Substitution • Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, uneigentliche Integrale Das Riemann-Integral • Eine Funktion ϕ : [a, b] → R heißt Treppenfunktion, falls es für das Intervall [a, b] eine Unterteilung a = x0 < x1 < . . . < xn = b gibt, so dass ϕ auf jedem offenen Teilintervall ]xk−1 , xk [ für k = 1, . . . , n konstant ist, d.h., falls ∀k = {1, . . . , n} ∃ck ∈ R : ϕ ≡ ck . ]xk−1 ,xk [ (7.12) Das Integral einer derartigen Funktion definieren wir als Z b ϕ(x)dx := a n X ck (xk − xk−1 ) . (7.13) k=1 Achtung: (a) Das Integral einer Treppenfunktion ist wohldefiniert, d.h., unabhängig von der gewählten Unterteilung, solange die Eigenschaft (7.12) erfüllt ist. (ÜA) 26 (b) Das Integral stimmt nur mit der vorzeichenbehafteten Fläche zwischen dem Graphen der Treppenfunktion und der x-Achse überein, (da ck negativ sein kann). • Für eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R definieren wir das Oberintegral durch Z b∗ Z f (x) dx := ψ Treppen-Fkt. auf [a,b] ψ≥f a und das Unterintegral durch Z b f (x) dx := sup ϕ(x) dx . ϕ∈T [a,b] ϕ≤f (7.14) a b Z a∗ b ψ(x) dx inf (7.15) a • Definition [Riemann-integrierbar]: Eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R heißt RiemannZ b∗ Z b integrierbar, falls f (x) dx = f (x) dx a a∗ Rb R b∗ gilt. In diesem Fall definieren wir das Riemann-Integral durch a f (x) dx := a f (x) dx. Insbesondere kann das (eigentliche) Riemann-Integral nur für beschränkte Funktionen existieren. • [Einschließung zwischen Treppenfunktionen]: Eine Funktion f : [a, b] → R ist genau dann Riemann-integrierbar, wenn zu jedem > 0 Treppenfunktionen ϕ, ψ auf [a, b] mit ϕ ≤ f ≤ ψ existieren, so dass Z Z b b ψ(x) dx − ϕ(x) dx < ε . (7.16) a a • Stetige oder monotone f : [a, b] → R sind Riemann-integrierbar. • [Linearität und Monotonie]: Das Riemann-Integral (und das Integral für Treppenfunktionen) Z b Z b Z b sind linear und monoton, d.h. es gelten (λf + µg) (x) dx = λ f (x) dx + µ g(x) dx und a a a Z b Z b g(x) dx für Riemann-integrierbare Funktionen f, g auf [a, b]. f (x) dx ≤ f ≤ g =⇒ a a • Definition [Riemann-Summe]: Eine Unterteilung a = x0 < x1 < . . . < xn = b des Intervalls [a, b] zusammen mit Stützstellen ξk ∈ [xk−1 , xk ], k = 1, . . . , n nennen wir eine Zerlegung Z := {(xk )0≤k≤n , (ξk )1≤k≤n } (7.17) der Feinheit µ(Z) := max (xk − xk−1 ). Die Riemann-Summe von f bzgl. Z ist dann k=1,...,n S(Z, f ) := n X f (ξk )(xk − xk−1 ) . (7.18) k=1 Bem.: Eine spezielle Riemann-Summe ist die Obersumme, welche definiert ist als OS ({(xk )0≤k≤n } , f ) := n X k=1 sup f (x) (xk − xk−1 ) . (7.19) x∈ ]xk−1 ,xk [ Analog ist die Untersumme definiert. Um die Existenz des Integrals zu beweisen, genügt es, eine Folge von Obersummen und eine Folge von Untersummen zu finden, die gegen denselben Grenzwert konvergieren. • Satz 18.7 [Mittelwertsatz der Integralrechnung]: Sind f, g : [a, b] → R stetig mit g ≥ 0, so Rb Rb Rb existiert ein ξ ∈]a, b[ mit a f (x)g(x)dx = f (ξ) a g(x)dx. Für g ≡ 1 gilt a f (x) dx = f (ξ)(b−a). 27 Hauptsatz der Differentiation & Integration, Integrationsregeln, Uneigentliche Integrale • Eine differenzierbare Funktion F : I → R auf einem Intervall I ⊂ R heißt Stammfunktion oder primitive Funktion von f : I → R (auf I), falls F 0 = f auf I gilt. • Sind F, G : I → R Stammfunktionen von f : I → R, so ist F − G konstant. • Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung: Sei I ⊂ R ein Intervall, c ∈ I. Rx (1) Ist f : I → R stetig, so besitzt f eine Stammfunktion, z.B., x 7→ Fc (x) := c f (t)dt. (2) Ist f : I → R Riemann-integrierbar und F eine Stammfunktion von f auf I, so gilt Z b b (7.20) f (x) dx = F (x) := F (b) − F (a) . ∀a, b ∈ I : a a Bemerkung: Häufig schreibt man auch einfach nur f. R f (x) dx für eine Stammfunktion F von • [Substitutionsregel]: Sei f : I → R stetig und ϕ : [a, b] → R stetig differenzierbar mit Z ϕ(b) Z b ϕ([a, b]) ⊂ I, so gilt 0 f (x)dx (7.21) f (ϕ(t))ϕ (t)dt = ϕ(a) a • [Partielle Integration]: Sind f, g : [a, b] → R stetig differenzierbar, so gilt Z b b Z b 0 f 0 (x)g(x)dx f (x)g (x)dx = f (x)g(x) − a a (7.22) a • Definition [Uneigentliches Integral]: (a) Ist f : [a, +∞[→ R für jedes u > a über [a, u] Riemann-integrierbar und existiert Z u f (t) dt lim u→∞ (7.23) a (und ist endlich), so definieren wir Z ∞ Z f (x) dx := lim u→∞ a u f (t) dt (7.24) a und sagen, dass das uneigentliche Riemann-Integral existiert. (b) Ist f : ]a, b] → R über jedes Intervall [u, b] mit a < u < b Riemann-integrierbar und existiert Z b lim f (t)dt (7.25) u&a u (und ist endlich), so definieren wir Z b Z b f (t)dt f (x) dx := lim u&a a (7.26) u und sprechen auch hier von der Existenz des uneigentlichen Riemann-Integrals. (c) Analog sind uneigentliche Integrale für auf ]−∞, b] und [a, b[ gegebene Funktionen definiert. (d) Den Fall einer auf ]a, b[ definierten Funktion führt man auf die Fälle ]a, c] und [c, b[ zurück, wobei die entsprechenden uneigentlichen Integrale für jedes c ∈]a, b[ existieren müssen. • [Integralvergleichskriterium für Reihen]: Sei f : [1, ∞[→ [0, ∞[ eine monoton fallende Funktion. Dann gilt: Z ∞ ∞ X f (n) < ∞ ⇐⇒ f (x) dx < ∞ . (7.27) 1 n=1 28 Tutoriumsaufgabe 7.1: (a) Beweisen Sie, dass jede Treppenfunktion ϕ auf [a, b] Riemann-integrierbar ist, d.h., zeigen Sie, Z b Z b∗ ϕ(x) dx gilt. ϕ(x) dx = dass a∗ a Z b Z b∗ f (x) dx ≤ (b) Beweisen Sie: Ist f : [a, b] → R beschränkt, dann gilt a∗ f (x) dx. a Tutoriumsaufgabe 7.2: (a) Beweisen Sie Teil (2) des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung. (b) Zeigen Sie: Potenzen |f |p , 1 ≤ p < ∞, Riemann-integrierbarer Funktionen f : [a, b] → R sind Riemann-integrierbar. (c) Zeigen Sie: Produkte Riemann-integrierbarer Funktionen sind wieder Riemann-integrierbar. (d) Zeigen Sie: Es gibt nicht Riemann-integrierbare Funktionen f : I → R, welche eine Stammfunktion besitzen. Tutoriumsaufgabe 7.3: Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale und führen Sie ggf. die Probe durch: R R R R R (a) x sin(x2 ) dx, (b) tan(x) dx (c) x sin(x) dx, (d) ex sin(x) dx, (e) (sin(x))2 dx. Tutoriumsaufgabe 7.4: Z (a) Berechnen Sie (i) √ x 1 − x dx Z und (ii) e2x cos(4x − 3) dx. (b) Ermitteln Sie den Definitionsbereich und eine Stammfunktion von Hinweis: Der Nenner besitzt die doppelte Nullstelle −2. 4x2 + 8x + 10 . x4 + 4x3 + 5x2 + 4x + 4 Tutoriumsaufgabe 7.5: Z (a) Bestimmen Sie – falls existent – den Wert der uneigentlichen Integrale 0 9 1 √ dx und x Z 1 ∞ 1 dx. x2 (b) Beweisen Sie die bestimmte Divergenz der harmonischen Reihe alternativ mittels Satz 20.1. (c) Beweisen Sie das folgende Majorantenkriterium für uneigentliche Integrale: Sind die Funktionen f, g : [a, b[ → R für jedes a < u < b über [a, u] Riemann-integrierbar, gilt |f | ≤ g und existiert Rb Rb das uneigentliche Integral a g(x) dx, so existiert auch das uneigentliche Integral a f (x) dx. Z ∞ Z ∞ sin(x) sin(x) (d) Das uneigentliche Integral dx konvergiert, jedoch divergiert x dx. x 0 0 Z ∞ (e) Aus der Existenz des uneigentlichen Integrals f (x) dx folgt nicht lim f (x) = 0. 1 Hinweis: Betrachte f (x) := cos(x2 ). 29 x%∞