Kant und Nagarjuna - Erkenntnistheoretische und ethische Grundlagen im Idealismus und Madhyamaka Arbeitsblatt 8 Kurze Zusammenfassung und Übergang zu Praktischen Philosophie 1. Transzendentale Ästhetik (vgl. Arbeitsblatt 4) 1.1. Raum 1.1.1 Metaphysische Erörterung 1. Der Raum ist eine Vorstellung a priori. Da jeder Gegenstand nicht anders als im Raum vorgestellt werden kann, kann der Raum den Gegenständen nicht wie eine empirische Eigenschaft zukommen, die von der Erfahrung dieser Gegenstände abgezogen werden kann. 2. Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori. Zwar können wir uns einen Raum ohne Gegenstände vorstellen, nicht aber, dass kein Raum sei. Die Vorstellung des Raumes liegt allen unseren äußeren Anschauungen ohne Ausnahme zugrunde. 3. Der Raum ist kein diskursiver Begriff, sondern eine reine Anschauung. Der Raum kann kein Begriff von Gegenständen sein, weil diskursive Begriffe sich auf Begriffe bzw. Vorstellungen von eigenständigen Dingen beziehen, die unter diesen Begriff subsumiert werden können. Die Vorstellung des Raumes enthält die Dinge nicht unter sich, sondern in sich. Auch die verschiedenen Räume, von denen wir sprechen, die wir uns denken oder vorstellen können sind nicht als selbständige Dinge voneinander getrennt, sondern es gibt nur das Ganze eines einzigen Raumes, welches alle Teilräume als unselbständige Teile in sich enthält. 4. Der Raum ist eine notwendige und reine Anschauung a priori. Da der Raum nicht anders gedacht werden kann, als dass er eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich enthält, kann die uns ursprünglich gegebene Vorstellung des Raumes kein Begriff, sondern nur eine Anschauung a priori sein. 1.1.2 Transzendentalen Erörterung In der transzendentalen Erörterung zeigt Kant, dass die Anschauungsform des Raumes selbst Prinzip für Erkenntnisse a priori ist, nämlich diejenigen der Geometrie im Rahmen der reinen Mathematik. 32 1.2. Zeit 1.2.1 Metaphysische Erörterung 1. Die Zeit ist eine Vorstellung a priori. Die Erfahrung kann nicht Quelle der Zeitanschauung sein, sondern die Zeit muss als Vorstellung a priori den Wahrnehmungen von gleichzeitigen oder nacheinander folgenden Ereignissen bereits zugrunde liegen. 2. Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung a priori. Zwar kann man sich eine Zeit vorstellen, aus der alle Erscheinungen weggenommen sind, nicht aber lässt sich die Zeit selbst aufheben. 3. Die Zeit ist kein diskursiver Begriff, sondern eine reine Anschauung. Die verschiedenen Zeiten, die wir uns denken können, sind nicht als selbständige Zeiten voneinander getrennt, d.h. es gibt nur das Ganze einer einzigen Zeit, die alle verschiedenen Zeiten als unselbständige Teile in sich enthält. 4. Die Zeit ist eine notwendige und reine Anschauung a priori Die Zeit ist kein Begriff, sondern als intuitiv gegebene Größe in Bezug auf ein mögliches Nacheinander eine notwenige und reine Anschauung a priori. 1.2.2 Transzendentalen Erörterung In der transzendentalen Erörterung zeigt Kant, dass die Anschauungsform des Raumes selbst Prinzip für Erkenntnisse a priori ist, nämlich diejenigen der reinen Mathematik und der allgemeinen Bewegungslehre oder Mechanik. 1.3 Folgerungen aus den Begriffen des Raumes und der Zeit Als Formen unseres äußeren Sinns überhaupt (Raum) und als Form aller Vorstellungen überhaupt (Zeit) besitzen Raum und Zeit Gültigkeit für alle Subjekte und gelten objektiv für alle Objekte, die im Bereich einer möglichen Erfahrung dieser Subjekte sinnlich zur Erscheinung gelangen, d.h. in Hinsicht auf mögliche Erfahrung besitzen Raum und Zeit empirische Realität. Da Raum und Zeit im Hinblick auf Dinge an sich nur ideale Bedeutung haben, sie aber notwendige Bedingungen für unsere sinnliche Erkenntnis überhaupt darstellen, besitzen Raum und Zeit transzendentale Idealität. 33 2. Transzendentale Analytik (vgl. Arbeitsblatt 5) 2.1 Analytik der Begriffe des reinen Verstandes 2.1.1 Metaphysische Deduktion Um die Kategorien des reinen Verstandes aufzufinden, nimmt Kant zunächst den Weg über die logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen, die er in einer Urteilstafel nach ihren Titeln und Momenten vollständig darstellt. 1. 2. 3. 4. Quantität der Urteile (Allgemeine, Besondere, Einzelne [ein S ist P]) Qualität der Urteile (Bejahende [S ist P], Verneinende, Unendliche) Relation der Urteile (Kategorische [S ist P], Hypothetische, Disjunktive) Modalität der Urteile (Problematische, Assertorische [es ist in der Tat so, dass S P ist], Apodiktische) Gemäß der Urteilstafel (Schaubild I) drückt jedes Erkenntnisurteil eine bestimmte Qualität, eine bestimmte Quantität, eine bestimmte Relation und eine bestimmte Modalität aus. (Beispiel: Entsprechens ist das Urteil: „Die Rose ist rot“ ein einzelnes (Quantität), bejahendes (Qualität), kategorisches (Relation) und assertorisches (Modalität) Urteil.) Also ergeben sich die Kategorien als apriorische Momente des Urteilens, weil der Verstand nichts anderes tut, als durch Urteile Einheit herzustellen. Die Kategorien (Schaubild II) lassen sich entsprechend aus der Urteilstafel ableiten: 1. Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit) 2. Kategorien der Qualität (Realität, Negation, Limitation) 3. Kategorien der Relation (Inhärenz und Subsistenz, Kausalität und Dependenz, der Gemeinschaft) 4. Kategorien der Modalität (Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Notwendigkeit und Zufälligkeit) 2.1.2 Transzendentale Deduktion In der transzendentalen Deduktion zeigt Kant, dass Vorstellungen nur mit Hilfe von Kategorien auf Gegenstände bezogen werden können. (Stichworte: transzendentale Apperzeption, transzendentale Einbildungskraft). 34 2.2 Analytik der Grundsätze des reinen Verstandes 2.2.1 Schematismus der reinen Verstandesbegriffe Hier stellt Kant die Weisen fest, in denen Kategorien auf Aspekte der (zeitlichen) Anschauung bezogen (schematisiert) werden. (Stichworte: Schemata der Einbildungskraft, bestimmende Urteilskraft) 2.2.2 Grundsätze des reinen Verstandes Die Darlegung der synthetischen Urteile a priori bzw. der Grundsätze des reinen Verstandes besteht in nichts anderem, als in der Auslegung der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, d.h. die Grundsätze des reinen Verstandes sind nichts anderes, als die Regeln des objektiven Gebrauchs der Kategorien bzw. die Regeln der Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen. Beispiel: Entsprechend führt Kant das Prinzip der Kausalität auf den reinen Verstandesbegriff einer Relation der Kausalität und Dependenz zurück, der – gemäß der geleisteten Deduktion – in strengem Bezug auf das in Raum und Zeit Gegebene die Zweite Analogie der Erfahrung als ein – im Rahmen einer uns möglichen Erfahrung – objektiv gültiges synthetisches Urteil a priori begründet: »Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von Ursache und Wirkung«. 3. Transzendentale Dialektik Begriffe der reinen Vernunft Die Transzendentale Dialektik ist, nach der Transzendentalen Analytik, der zweite Teil der Transzendentalen Logik. Vom Aufbau der transzendentalen Dialektik her werden, nach einer Einleitung, die vom transzendentalen Schein und der Vernunft als dem Sitz des transzendentalen Scheins handelt, in einem ersten Buch die Begriffe der reinen Vernunft und die transzendentalen Ideen behandelt. Das zweite Buch legt anschließend die dialektischen Schlüsse der reinen Vernunft dar. Diese Darstellung erfolgt in drei Hauptstücken unter der Titeln: Von den Paralogismen der reinen Vernunft (die Idee „Seele“ betreffend), die Antinomien der reinen Vernunft (die Idee „Welt“ als Totalität aller Erscheinungen betreffend) und das Ideal der reinen Vernunft (die Idee „Gott“ betreffend). Hatte die transzendentale Logik nur den reinen Verstand zum Gegenstand ihrer Untersuchungen, so nimmt Kant nun in der Transzendentalen Dialektik eine terminologisch-sachliche Unterscheidung der Vernunft im weiteren und engeren Sinne vor. Die Vernunft im engeren Sinne als „Vermögen der Prinzipien“ unterscheidet Kant nun von dem Verstand als dem „Vermögen der Regeln“. Im Unterschied zu der Vernunft im weiteren Sinne, die das ganze obere Erkenntnisvermögen umfasst (Verstand, Urteilskraft und Vernunft), meint der Begriff „Vernunft“ in der transzendentalen Dialektik immer die Vernunft im engeren Sinne, nämlich die Vernunft als das Vermögen, ausgehend von der Erfahrung des Bedingten auf das Unbedingte zu schließen. Andererseits wird der Vernunft 35 aber auch die kritische Funktion zugestanden, den Schein, der durch die Hypostasierung von Vernunftideen entsteht, durchschaubar zu machen und zu überwinden. Insofern tritt die Dialektik dem Anspruch entgegen, den Ideen von Unbedingtem (Seele, Welt, Gott) wirklich unbedingte Wesen zuzuordenen und eine jenseitige Wirklichkeit in theoretischer Hinsicht erkennen zu können. Die Vernunftideen bzw. die Begriffe der reinen Vernunft leitet Kant in ähnlicher Weise ab wie die Kategorien. Während sich Kant bei den Kategorien von der Einteilung der Urteile bzw. der Urteilsformen leiten ließ, stützt er sich bei der Auffindung der Vernunftideen allerdings auf die Einteilung der Schlüsse in kategorische, hypothetische und disjunktive Schlüsse. 1. Die Idee „Seele“ In einem kategorischen Schluss wird vom Bedingten als innerer Erscheinung bzw. als Bewusstseinsphänomen auf ein Unbedingtes geschlossen. Hier werden wir also auf die »Totalität der Bedingungen« der »kategorischen Synthesis in einem Subject« bzw. ein Unbedingtes als Subjekt (zurück)geführt, »welches selbst nicht mehr Prädicat ist«. Diese Klasse fordert als Prinzip die »absolute (unbedingte) Einheit des denkenden Subjects« (die Idee „Seele“), wobei das denkende Subjekt Gegenstand der »Psychologie« ist. Hier gibt also die »reine Vernunft die Idee zu einer transscendentalen Seelenlehre (psychologia rationalis)«. 2. Die Idee „Welt“ In einem hypothetischen Schluss, wird, ausgehend von bedingten Erscheinungen, auf ein Unbedingtes außer uns zurückgeschlossen. Hier werden wir also auf die »Totalität der Bedingungen« der »hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe« bzw. ein Unbedingtes als erste »Voraussetzung, die nichts weiter voraussetzt« zurückgeführt. Diese Klasse fordert als Prinzip die »absolute Einheit der Reihe der Erscheinung« (die Idee „Welt“), wobei der »Inbegriff aller Erscheinungen (die Welt) der Gegenstand der Kosmologie« ist. Die reine Vernunft gibt hier also die Idee zu einer »transscendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis)«. 3. Die Idee „Gott“ In einem disjunktiven Schluss wird vom Bedingten als Gegenstand überhaupt die Idee des Inbegriffs aller möglichen Realitäten erreicht. Hier werden wir also auf die »Totalität der Bedingungen« der »disjunctiven Synthesis der Theile in einem System« bzw. ein Unbedingtes als Inbegriff der Bestimmungen der Realität überhaupt geführt. Diese Klasse fordert also als Prinzip die »absolute Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt« (die Idee „Gott“), wobei dasjenige, welches die »oberste Bedingung der Möglichkeit von allem, was gedacht werden kann«, als das »Wesen aller Wesen«, »Gegenstand der Theologie« ist. Somit gibt also die reine Vernunft hier die Idee zu einer »transscendentalen Gotteserkenntniß (theologia rationalis)« (Kr.d.r.V., B 379–380/A 322–323; B 391–392/A 334–335) 36 Damit haben diese drei Klassen ihre Entsprechung zwar in der Einteilung der Metaphysica specialis (Seelenlehre, Kosmologie, philosophische Theologie), doch entspricht diese Einteilung für Kant letztlich nicht der Metaphysik, sondern vielmehr »dem logischen Fortgange der Vernunft« (Kr.d.r.V., B 394/A 337). Was die Vernunft in ihrem (spekulativen) Streben, vom Bedingten auf ein Unbedingtes zurückzuschließen und dieses Unbedingte als Gegenstand zu erkennen, beirrt, ist das transzendentale Prinzip der Vernunft selbst: „Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben“ (Kr.d.r.V., B 364). 37