Sonderdruck aus: Christian Meier (Hrsg. ) Die Okzidentale Stadt Max Weber nach Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter 3ýSS 0-/1 R. Oldenbourg Verlag München 1994 Der Verlust der Stadt von Jochen Martin I. Bestimmung des Themas Ich beschränke mich bei meinen Überlegungen wesentlich auf den Westen der Stadt" ist nicht gemeint, daß die des römischen Reiches. Mit Verlust Stadt als Siedlungsform überall untergegangen wäre, sondern vielmehr: ist die in ihrer des Stadt Reiches dem Untergang auch weströmischen mit spezifisch antiken Prägung im Westen untergegangen. Bei dieser Aussage befinde ich mich, wenn ich recht sehe, nicht in Differenz zu Max Weber. Warum also dieser Beitrag? Um Max Weber gegen Tendenzen der gegenwärtigen französischen Althistorie recht zu geben, die behauptet, es habe eine Kontinuität der Stadt bis weit ins Mittelalter hinein gegeben? ') Das würde nicht lohnen, denn das Feld, auf dem heute die Argumente ausgetauscht werden, ist von Weber nicht beackert worden. Mir geht es vielmehr um das Zentrum der Weberschen Konzeption, um den Typus Stadt", darum also, was eigentlich untergegangen ist. Und mir antike geht es darum zu zeigen, daß Webers Konstruktion dieses Typus in sich einen Verlust der Stadt" bedeutet, insofern nämlich, als Weber nicht nur ganze Epochen der Geschichte der antiken Stadt, sondern auch wesentliche Phänomene des städtischen Lebens aus seiner Betrachtung ausschließen muß. II. Max Webers Behandlung der Städte der frühen Kaiserzeit der antiken Stadt schon mit der Einordin in die hellenistischen Reiche, der Städte zum anderen einen zum nung beginnen. Durch diese Einordnung das römische Kaiserreich sei zwar der Max Weber läßt den Niedergang ') Vgl. vor allem Paul Albert Feti"rier, Permanence et heritage de I'antiquite dans la topographie des villes de l'occident durant le haut moyen äge, in: Topografia urbang e vita cittadina nell'alto medioevo in occidente (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo, vol. 21.). Spoleto 1974,41-138, und Paul Albert Ferrier/Christian GoudineaulVenceslas Kruta, La ville antique des origines au IX` siecle (Histoire de la France urbaine, tome 1.). Paris 1980. i 96 Jochen Martin Gemeinde'-Begriff in der Antike im Gegensatz zum Staat' " erst end, gültig entstanden, aber sie habe der antiken Polis auch ihre Selbständigkeit genommen (745). 2) Dies allein ist für Weber freilich noch nicht das entscheidende Kriterium des Niedergangs. Weber betont bekanntlich die Tatsache, daß die mittelalterliche Stadt viel stärker als jede antike auf Erwerb durch rationale Wirtschaft orientiert war. Mit dem der Untergang Stadtfreiheit in hellenistischer und spätrömischer Zeit" ist nun, so Weber, für die antike Stadt die Chance vernichtet worden, Verökonomischen dienst auf dem Wege der kriegerischen Politik der Stadt für die Bürger zu schaffen" (811). Man kann und muß m. E. diesen Satz auch so lesen, daß die Vernichtung der Chance, ökonomischen Verdienst über kriegerische Politik zu schaffen, zugleich den Gewinn einer Chance bedeutet: nämlich der, sich wie später im Mittelalter auf Erwerb durch rationales Wirtschaften zu konzentrieren. Weber erörtert dieses Problem nicht. Im Kapitel über Entstehung des rationalen Staates" gibt er einige kurze Hindie weise, wie er sich die Entwicklung denkt. Auch hier wird aber nur ausgeführt, daß durch und Untertanenfronden" Leiturgien" die politischen für den Kapitalismus beseitigt" worden seien Verdienstmöglichkeiten (818). Man muß wohl ergänzen, daß durch Leiturgien und Untertanenfronden auch die Chance für rationales Wirtschaften zunichte gemacht wurde. Hier ergibt sich nun ein ganz merkwürdiges Bild: das 1. und 2. Jahrhundert der römischen Kaiserzeit gilt gemeinhin als eine Zeit der Blüte der Städte. Bei Weber dagegen erscheint sie unter negativem Vorzeichen, nicht nur im Hinblick auf den Verlust der Stadtfreiheit, sondern auch im Hinblick auf die Möglichkeiten des Wirtschaftens. Schon die frühe Kaiserzeit wird eingeordnet in den in der modernen Forschung erst für die Spätantike behaupteten Trend, daß die städtische Wirtschaft durch die fiskalischen und liturgischen Anforderungen des Staates abgewürgt worden sei. Warum gelingt es Weber nicht, die frühkaiserzeitliche Stadt angemessen zu würdigen? Man könnte antworten: Weil sein Interesse - gerade beim Vergleich der antiken mit der mittelalterlichen Stadt auf dem PolisTyp der antiken Stadt lag. ') Wenn aber dadurch die gesamte hellenistische Zeit und die gesamte römische Kaiserzeit für die Bestimmung des Typus der antiken Stadt irrelevant werden, dann scheint es mir fraglich zu sein, ob dieser Typus angemessen konstruiert worden ist. Zahlenangaben in Klammern beziehen sich auf die Seiten in Max Weber, WuG. ') Vgl. Nippel, o. S. 47 f. Der Verlust der Stadt 97 III. Fragen an die Konzeption der antiken Stadt bei Max Weber Die antike Stadt ist nach Weber wesentlich Wehrverband zunächst von adligen Sippen, dann der voll wehrfähigen Hopliten. Stimmrecht in der Volksversammlung haben die sich selber equipierenden Grundbesitzer; in Athen werden erst zu dem Zeitpunkt, als die Bedeutung des Hoplitenheeres wegfällt, alle Bürger zur politischen Teilnahme zugelassen. Seit der ist die antike Polis eine Schaffung der Hoplitendisziplin Kriegerzunft" (809). Überall sind die Bürgerhopliten die ausschlaggebende Klasse der Vollbürger. Dieser militärische Gesichtspunkt ist für Weber so wichtig, daß er von hierher die Übergänge von der Geschlechter- zur Plebejerstadt bzw. zur Demokratie deutet, daß er von hierher auch die spezifische Disziplin in der antiken Polis (z. B. die Zensur in Rom) versteht (809). Implizit im Bisherigen enthalten ist schon, daß für Weber die antiken Städte solche von Grundbesitzern sind, wobei - das sei einzigartig - in Athen durch die Reformen des Kleisthenes, in Rom durch die Tribuseinteilung das platte Land in die Organisation der Städte miteinbezogen, ja ihm - d. h. den Bauern - sogar der Vorrang eingeräumt worden ist (799, 801). Die Interessen dieser Bauern richten sich auf Land- und auf Menschen-, d. h. Sklavenbesitz, der für die politische Abkömmlichkeit der Bauern wichtig gewesen ist. Die Mehrung von Land- und Sklavenbesitz sei auf politische Weise, d. h. durch Krieg, angestrebt worden. So kommt es zum Städtsässige Konzept der antiken Rentner- und Konsumentenstadt: Grundbesitzer konnten zwar auch unternehmerisch tätig sein, aber das Unternehmertum bestimmte nicht ihr Selbstverständnis (797 f., 803). Der antike Proletarier'war nach Weber ein politisch deklassierter, weil früherer Grundbesitzer (während der spezi-i gewordener grundbesitzlos fisch mittelalterliche Notleidende ein armer Handwerker, also ein gewerblicher Arbeitsloser war). Die Interessen der antiken Proletarier sind weKonsumenteninteressen. Auch von hierher ergibt Schuldnerund sentlich sich also ein politisches Interesse der Polis an der Fürsorge für die Getreidezufuhr, die Sicherung der Ernährung (797f. ). Weber begründet das Fehlen handwerklicher Interessen auch noch auf andere Weise. Das Nebeneinander von Sklavenarbeit und der Arbeit von I Freien im Handwerk habe die Bildung von Zünften unterdrückt. Freie und Sklaven hätten zwar Kultgemeinschaften, nicht aber politisch bedeutsame Gemeinschaften bilden können (798f. ). Insofern konnte es auch Verbrüderung" von Handwernicht zu einer schwurgemeinschaftlichen kern kommen. (j 98 Jochen Martin Dies ist der eine Strang der Weberschen Argumentation, der in der Unterscheidung zwischen dem antiken homo politic7us und dem mittelalterlichen homo oeconomicus gipfelt (805). Der zweite besteht darin, daß Weber die Herausbildung des Anstaltscharakters der antiken Polis betont. Weber sieht ihn al Ergebnis archaischer Ständekämpfe zwischen adligen Sippen und verschuldeten Bauern. Indizien für den Anstaltscharakter sind für Weber in Rom z. B. die Tribusgliederung durch die Polis sie sei aus einer Verbindung von Wehr- und Geschlechterverbänden zu einer anstaltsmäßigen Gebietskörperschaft" geworden ferner das Recht, das als rational -, gesetztes zu einem Anstaltsrecht geworden sei; Gesetz und Gesetzgebung hätten die charismatische Judikation der Könige bzw. der Patrizier abgelöst (782). Ich kann hier zunächst abbrechen. Wenn man unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit die Sache auf den Punkt bringen will, dann konstituiert nach Weber Grundbesitz, der zum Kriegsdienst berechtigt und verpflichtet, die Zugehörigkeit zur antiken Polis. Bevor ich kurz darauf eingehe, möchte ich noch auf die eigentümliche Spannung verweisen, die bei Weber zwischen dem Wirtschaften einerseits, der Rationalität irrationalen" des Anstaltscharakters andererseits besteht. Diese Spannung würde noch deutlicher, zöge man die Vergleiche Webers zwischen der antiken und mittelalterlichen Stadt hinzu: denn auf der Ebene der politischen Organisation gibt es in der Tat zwischen beiden viele Parallelen, bis hin zum von Weber so genannten Kreislauf von der Geschlechterherrschaft über die Stadtautonomie zur Eingliederung der Stadt in den patrimonialbürokratischen Staat. Weber kommt an einer Stelle selber auf die nach seiner Meinung frappante Ähnlichkeit zu sprechen: Es stehen eben nicht", sagt er, Formen für viele die Reguverschiedene verwaltungstechnische beliebig lierung von Ständekompromissen innerhalb einer Stadt zur Verfügung, und Gleichheiten der politischen Verwaltungsform dürfen daher nicht als Oberbauten über gleiche ökonomische Grundlagen gedeutet werden, sondern haben ihre Eigengesetzlichkeit" (780, vgl. 788). Ich versuche, die Webersche Konzeption von der Relation Wehrfähigkeit - politische Berechtigung" her aufzubrechen. Nach Weber kam die Verfassung der charakteristischen Polis dadurch zustande, daß die Gewalt des Königs oder der Sippenältesten zu einer der Honoratiorenherrschaft voll wehrfähigen ,Geschlechter`" umgebildet wurde (749). Die sich selber equipierenden Grundbesitzer hätten ein qualifiziertes Stimmrecht in der Volksversammlung erhalten (781 f. ); nach der Schaffung der TribusordÜbergewicht das der ländlichen Tribus und damit die Herrschaft nung sei der Grundbesitzer aufrechterhalten geblieben. ackerbürgerliche , Dieser des römischen Heeres ermöglichte", so sagt Weber wörtlich, Festhaltung der Herrschaft durch die großen stadtsässigen Senatodie Der Verlust der Stadt 99 der renfamilien" (802). Was aber ist dann die Honoratiorenherrschaft voll wehrfähigen ,Geschlechter"'? Voll wehrfähig ist in der römischen Republik derjenige, dessen Einkommen ein bestimmtes Minimum überschreitet. Und warum können die stadtsässigen Senatorenfamilien die Herrschaft beibehalten, wenn doch alle grundbesitzenden Ackerbürger j wehrfähig sind und politische Teilnahme an der Wehrfähigkeit hängt? Weber hat wohl selber das Ungenügen seiner Konzeption gespürt. Am Ende seines Beitrages über die Stadt spricht er über die Exklusivität der antiken Stadt, über die Exklusivität des Bürgerrechts also, und muß hier besondere(r) soziale(r) Bedinguneinräumen, daß aufgrund durchaus gen" die römische Gemeinde im Hinblick auf das Bürgerrecht eine vom antiken Typus sehr stark abweichende Politik" betrieb (812). Diese besonderen sozialen Bedingungen liegen darin, daß der römische Adel über Klientel - die innere und die äußere über Städte -, Freilassung die Freigelassenen in vielfacher Weise dem Herrn verpflichtet wobei blieben - und Kolonat - den Weber fälschlich schon für die Republik als Abhängigkeitssystem interpretiert -, daß der römische Adel also über halbfeudale Abhängigkeitsverhältnisse" (812) eine einzigarund feudale in der Welt ist eine derartige politische tige Stellung behielt. Nirgends Patronage in den Händen einzelner, formell rein privater Familien verei-1 nigt gewesen" (813). An eine Eingemeindung der Geschlechter in die Demen und die Erhebung dieser Verbände zum Zwecke der Zerbrechung der FMacht der Geschlechterverbände nach attischer Art ist in Rom gar nicht gedacht worden" (813). Hier wird der Leser nun vollends verwirrt. Denn mit diesen Sätzen wird ja widerrufen, was Weber vorher ausgeführt hat: die Stadt als anstaltsmäßige Gebietskörperschaft hat es also in Rom nicht gegeben, ebensowenig - das können wir ergänzen - den leichten Zugang zum Recht, denn er war immer über adlige Patrone vermittelt. Und rational im Weberschen Sinne kann es doch nicht sein, wenn formell rein priwie sie sonst nur Monarchen besitvate Familien" Herrschergewalten, zen", innehaben (813). Man muß radikal sein: nicht nur die kaiserzeitlichen Städte, sondern fallen Rom in für die Konzeption wesentlichen das republikanische auch Punkten aus dem von Weber konstruierten Typ der antiken Stadt heraus. Zu dieser Aussage komme ich nicht durch Argumente von außen, sondern dadurch, daß ich den Text auf Konsistenz hin lese. Die Gründe dafür könnten natürlich darin liegen, daß der Text unfertig ist. Aber dagegen spricht, daß sich die zitierten besonderen sozialen Verhältnisse Roms eben nicht in den Weberschen Typus einordnen lassen. Webers Konzept kann m. E. für Rom nur durch ein anderes ersetzt werden, in dem die Form der politischen Vergesellschaftung neu definiert wird. 100 Jochen Marlin IV. Skizze eines Gegenkonzepts. Ich versuche, die Situation vom Inhalt des Bürgerrechts her zu analysieren. 4) Zunächst: Das römische Bürgerrecht bewirkt weder Gleichheit vor dem Recht noch auch nur Rechtssicherheit. Die Gleichheit vor dem Recht ist deshalb nicht gegeben, weil alle römischen Bürger eingeteilt sind in Hausväter und der hausväterlichen Gewalt Unterworfene. Nur die Hausväter sind sui iuris, können also voll über sich bestimmen, während alle anderen alieni iuris sind. ') In Griechenland endet die hausväterliche Gewalt mit der Mündigkeit der Söhne, in Rom dauert sie solange, wie ein Hausvater lebt. 30- oder 40-Jährige, die zum Kriegsdienst verpflichtet und in den Volksversammlungen abstimmungsberechtigt sind, bleiben also der hausväterlichen Gewalt untergeordnet, wenn ihre Väter oder Großväter noch leben. Das hat u. a. zur Folge, daß sie kein Eigentum haben können, nur beschränkt geschäftsfähig und der hausväterlichen Strafgewalt unterworfen sind. ) Ebenso wie die Hauskinder unterliegen Freigelassene bestimmten Einschränkungen im Hinblick auf ihren Rechtsstatus. Rechtssicherheit besteht zwar insoweit, als durch Gesetze und das prätorische Edikt die Regeln für das Strafverfahren und für Strafen festgelegt werden. Weil aber die Durchsetzung des Rechts wesentlich von der Initiative der Beteiligten abhängt - im Kriminalbereich gibt es keine staatliche Strafverfolgung -, sind in der Regel einfache Bauern oder Handwerker vor Gericht ohne einen mächtigen Patron chancenlos. Die Vertretung vor Gericht ist denn auch ein wesentlicher Inhalt des Instituts der Klientel, die neben der familia eine zweite wichtige soziale Institution Roms darstellt') Außer in Hausväter und Gewaltunterworfene °) Dieser Abschnitt wurde in größeren Partien gegenüber dem in Bochum Vorgetragenen umformuliert. Anlaß dafür waren Einwände vor allem von Christian Meier und Klaus Schreiner. Otto Gerhard Oexle danke ich für ein längeres Gespräch über die in Bochum verhandelten Probleme; seine Darstellung der Position Webers war mir äußerst hilfreich. Anregungen für die Formulierung bot mir auch ein bisher unveröffentlichtes Manuskript von Christian Meier mit dem Titel Der -griechische und der römische Bürger. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Ensemble gesellschaftlicher Bedingungen". 3) Auch die Frauen, die keinem Hausvater oder Ehemann unterworfen sind, sind sui iuris, stehen aber unter einem Tutor. 6) Vgl. dazu den Kriterienkatalog für die okzidentale Stadt bei Oexle, u. S. 136ff. ') Ich gehe hier auf die Entstehungsbedingungen, die bei Weber und auch in der modernen Forschung eine große Rolle spielen, nicht ein, weil ich keine Möglichkeit zu auch nur wahrscheinlichen Aussagen sehe. Nur soviel sei gesagt, daß ich das Konzept einer frühen Geschlechterstadt nicht akzeptieren kann (die Kurien können z. B. auch cognatische Verwandtschaftsverbände gewesen sein, aus denen sich die Der Verlust der Stadt 101 ist die römische Gesellschaft geteilt in Patrone und Klienten. Diese Teilung ist, anders als die in der familia, nicht rechtlich fixiert; ') die Römer haben die Klientel als ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit - als fides - begriffen. Weil aber überall der Adel den entscheidenden Einfluß hatte, war es für den Nicht-Adligen kaum möglich, nicht Klient eines adligen Patrons zu sein. Als allen Römern gemeinsame Merkmale bleiben im rechtlichen Bereich connubium und commercium, d. h. die Rechte, vollgültige Ehen einzu-f in konnten Diese Rechte Handel treiben. zu aber miteinander und gehen begrenztem Umfang auch an nichtrömische Gemeinden verliehen werden, so daß sie wenig charakteristisch für den Status des Bürgers sind. Eine Tischgemeinschaft9) als Kennzeichen des Bürgerstatus hat es meines Wissens in Rom nicht gegeben. Wohl war es in der Kaiserzeit üblich, daß Patrone Klienten zu Tisch baten. Ob das auch für die Republik gilt, wissen wir nicht. An politischen Rechten im engeren Sinn vermittelt der Bürgerstatus die Pflicht und das Recht zum Kriegsdienst, das Recht zur Teilnahme an Volksversammlungen sowie den Schutz gegenüber der magistratischen Gewalt (die Möglichkeit zur Bekleidung von Ämtern steht ebenfalls grundsätzlich allen Bürgern offen; sie kann aber hier vernachlässigt werden, da unabhängig von Abschließungstendenzen der Aristokratie schon Ämter Gründen die waren unbesoldet und erforderaus wirtschaftlichen Römer kein Amt ten einen hohen finanziellen Aufwand - der einfache" übernehmen konnte). Proletarier, d. h. Bürger ohne (Grund-)Besitz, brauchten bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. gar keinen Kriegsdienst zu leisten. In der nach Centurien, d. h. nach dem Vermögen gegliederten Volksversammlung war das Stimmrecht dieser Proletarier fast gar nichts wert, da sie in nur wein Stimmkörperschaften wie und nicht, waren zusammengefaßt nigen Athen, die Einzelstimmen, sondern die Ergebnisse der Stimmkörperschaften (Centurien) den Ausschlag gaben. In den nach Tribus, d. h. nach Wohnbezirken gegliederten Volksversammlungen war die Masse des Stadtvolkes auf nur 4 Tribus (von 35) verteilt. Bei den übrigen 31 Tribus scheint es ebenfalls bessere und schlechtere gegeben zu haben. Und vor allem: Das einfache Landvolk konnte nur in Ausnahmesituationen zu den Abstimmungen nach Rom kommen. 10) Organiim der der Zusammenhang Entstehung politischen mit agnatischen genies sation erst herausgebildethaben). `) Sie hat aber rechtliche Konsequenzen: Die Bestimmung VIII 21 der Zwölftafeln lautet: Patronussi clienti fraudem fecerit, sacer esto. ') Vgl. dazu Oexle,u. S. 140f. 155; Nippe4 o. S. 48.50ff. 10)Vgl. dazu bfeier, Der griechische und der römische Bürger (wie Anm. 4), 17. 102 Jochen Martin Noch entscheidender ist wohl, daß die römischen Volksversammlungen nicht als Entscheidungs-, sondern als Akzeptanzgremien konzipiert wafand vor den Abstimmungen zwiren. ") Die politische Kommunikation '2) (oder deren In den Beauftragten) Patronen Klienten statt. schen und Volksversammlungen gab es dann keine Diskussion mehr: über die magistratischen Vorlagen wurde mit Ja" oder Nein" abgestimmt. Wie sehr diese soziale Einbindung und Kontrolle des politischen Entscheids das Denken der römischen Aristokraten bestimmte, geht noch aus Ciceros Forderung in de legibus hervor: (suffragia) optimatibus nota, plebi libera sunto. ") Will man eine solche Forderung nicht von vornherein für paradox halten - in der späten Republik war sie es m. E. -, dann muß man davon ausgehen, daß sich die gemeinte Freiheit der römischen Bürger eben in der Mitwirkung am politischen Entwohl nicht primär allein und nicht scheid realisierte, sondern darin, daß die Adligen den im Rahmen sozialer Kommunikation eruierten Willen ihrer Klienten in ihrem politischen Handeln zur Geltung brachten. Dann freilich brauchten die Abstimmungen nicht geheim zu sein, und es ist ja auch bezeichnend, daß geheime Abstimmungen erst in den Jahrzehnten eingeführt wurden, in denen es auf verschiedenen Ebenen zu Konflikten zwischen der Senatsmehrheit (d. h. der Mehrheit der Patrone) und der Volksversammlung kam. Es bleibt als wichtige Komponente des Bürgerrechts, die nicht durch Status differenziert war und ohne das Dazwischenwirtschaftlich-sozialen treten von patres oder patroni wirksam werden konnte, der Schutz gegenüber der magistratischen Gewalt. Die plebs hat sich dafür die Volkstribune geschaffen, im Jahre 300 v. Chr. wurde die Provokation institutionalisiert und dann weiter ausgebaut. Auch wenn es später zu Mißbräuchen gekommen ist1°), liegt hier doch eine der Stärken des römischen Systems, die etwa noch in der Appellation des Apostels Paulus an den römischen Kai- 6 ser zum Ausdruck kommt. Bürger haben in der Regel nicht nur Rechte, die ihren Status betreffen, sondern sie erheben auch Ansprüche im Hinblick auf ihre Lebenschancen, ") Vgl. dazu, bezogen auf die Wahl von Magistraten, auch Weber,WuG, 771f. 12)Zur politischen Bedeutung der Klientel vgl. Christian Meier, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik. Wiesbaden 1966 (3. Aufl. Frankfurt am Main 1988), 24-34; Jochen Bleicken, Staatliche Ordnung und Freiheit in der römischen Republik (Frankfurter Althistorische Studien, H. 6). Kallmünz 1972,64-80. 13)Cicero de leg. 11138, vgl. 33. ") Abgesehen davon, daß Magistrate wie Verses das Provokationsrecht nicht respektierten, bedeuten auch die Versuche des Senats, in Krisensituationen quaestiones extraordinariae einzurichten oder das senatus consultum ultimum zu fassen, zwar nicht einen Verstoß gegen den Buchstaben, wohl aber gegen den Sinn des Provokationsrechts. Der Verlust der Stadt 103 ihr materielles Wohlergehen. Soweit es dabei um den Schutz nach außen ging, haben die Bürger selber ihn unter Führung der Aristokratie geleistet. Für die Sicherheit des Lebens in Rom oder im römischen Gebiet tat die römische Führung wenig") - schon hier war der Schutz von Patronen unfür die des Bedingungen Lebens: erDas materiellen gleiche gilt erläßlich. obertes Gebiet wurde zwar partiell unter Bauern und deren Söhne verteilt, aber weder wurden Kriege um solcher Ackerverteilungen willen geführt, noch sind die Bauern, aufs Ganze gesehen, die Hauptnutznießer der Kriege gewesen; ") die Aristokratie bereicherte sich dabei kräftig, auch mit Land. Was schließlich die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln angeht, so war das römische Gebiet außerhalb Roms sich selber überlassen; für die Stadt Rom wurde erst seit Gaius Gracchus die Getreideversorung angemessen organisiert. Man darf annehmen, daß auch hier vorher die Patrone eingesprungen sind. des Systems nach außen waren stark, die Die Handlungskapazitäten nach innen gering ausgeprägt. Hier ging es vor allem darum, den Konsens der Aristokratie, die Einheitlichkeit der Machtausübung in sozialen Verbänden (familia, Klientel) und die Solidarität innerhalb der Bürgerschaft zu sichern. Dazu dienten sowohl politische Institutionen (Senat, Zensur) als auch die sozialen Verbände selber (vor allem die patria potestas). Als im 2. Jahrhundert der Konsens innerhalb der Aristokratie zerbrach, konnten die Ritter und die Volksversammlungen größeres Gewicht gewinnen, freilich ohne daß sich das in Richtung auf eine Demokratisierung oder eine selbständige politische Führungsposition der Ritter ausgewirkt hätte. Den geringen Handlungskapazitäten nach innen und der oben hervorgehobenen sozialen Einbindung der meisten politischen Rechte entsprachen die Gehorsamsmodalitäten in Rom. Der römische Bürger gehorchte zunächst dem paterfanzilias, dann dem Patron. Und dieser Gehorsam war die Basis des Gehorsams gegenüber den Magistraten. Die römischen Historiker führen eine Reihe von Exempla dafür an, daß militärischer Gehorsam und politische Verfehlungen nicht aufgrund der magistratischen Gewalt, sondern durch die patria potestas geahndet wurden. ") Ich sehe ") Zu nennen sind die häufigen Brände (erst Augustus hat eine Feuerwehr eingeganz zu schweigen von Raub, richtet), die jährlichen Tiberüberschwemmungen, Überfall etc. ") Damit soll nicht bestritten werden, daß Ackerverteilungen lange Zeit eine wichhatten; aber seit dem 3. Jahrhundert entrichteten tige soziale Entlastungsfunktion die Bauern einen ungeheuren Blutzoll und wurden oft jahrelang von der Bewirtschaftung ihrer Höfe abgehalten. ") bfaurizio Bettini, Familie und Verwandtschaft im antiken Rom (Historische Studien, Bd. 8). Frankfurt am Main 1992,17-21. 104 Jochen Afartin hier den Grund dafür, daß die römische Republik ohne einen organisierten Erzwingungsstab, also ohne Polizei, auskommen konnte. 18) Es gab also kein Gewaltmonopol der Magistrate, oder anders ausgedrückt: die patria potestas war Bestandteil des politischen Systems. Im Jahre 300 v. Chr. wurde die Zwangsgewalt der Magistrate sogar eingeschränkt (durch das Provokationsrecht), während das Tötungsrecht der Hausväter gegenüber ihren Haussöhnen (ius vitae necisque) voll erhalten blieb. Das politische System stützte die patria potestas, wie es auch schon früh die Klientelbeziehungen stützte. ") Die römische familia war eine rechtliche Institution, die nicht primär auf verwandtschaftlichen Bindungen beruhte20), und sie war im strikten Sinn die Grundlage nicht nur des gesellschaftlichen, sondern auch des politischen Systems. Die Macht der Hausväter hing ebenso von diesem System ab wie dessen Funktionieren von der hausväterlichen Disziplinargewalt. Deshalb ist es nicht korrekt, wenn Familien" spricht. Die UnterscheiWeber von rein private(n) formell im Sinne des 19. Jahrhunderts wird dung von und privat" öffentlich" den römischen Verhältnissen nicht gerecht. Es gibt zwar auch in Rom die Familie im modernen Sinn, aber sie ist nicht identisch mit der strikt definierten familia. 21) Nun hat O. G. Oexle in seinem Beitrag darauf hingewiesen, daß Weber den von Tönnies konstituierten Gegensatz zwischen Gemeinschaft und Mehrzahl sozialer BeziehunGesellschaft auflöst; große die aspektiv" gen" habe sowohl den Charakter der Vergemeinschaftung als auch den der Vergesellschaftung". ) Könnte man nicht von hierher die römischen Verhältnisse analysieren? Ich halte das deshalb für problematisch, weil es zwar auch in der römischen Gesellschaft Vergemeinschaftung", also (affektuelle oder traditionelle) Zusammengehörigkeit" gefühlte subjektiv gibt, diese aber nach dem Selbstverständnis der Römer nicht das Band ist, das die familia oder die Klientel zusammenhält. Beide bestehen vielmehr, 1e)Wilfried Nippel, Aufruhr und Polizei" 1988. 19)Zur Klientel vgl. Anm. 8 und 12. in der römischen Republik. Stuttgart 20)Vgl. nur die Tatsache, daß im Falle einer manusfreien Ehe die Ehefrau nicht zur familia gehörte. 21)Darin liegt das Problem jeder für Rom, weil der GegenFamiliengeschichte" stand erst konstituiert werden muß. Neue Dimensionen dafür hat jüngst Bettini, Familie (wie Anm. 17) eröffnet. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten haben sich anvergelsächsische, französische und italienische Historiker und Anthropologen stärkt mit der römischen Familie beschäftigt; in Deutschland ist sie noch immer eine Domäne der Rechtshistoriker. 22)Oexle, u. S. 133f. Der Verlust der Stadt 105 wie die res publica, iuris consensu et utilitatis communione. 2J) Dagegen spricht nicht, daß sich Klientelen vererben oder daß emotionale Bindungen, etwa zwischen Vätern und Söhnen, entstehen können. `) Politische Beziehungen bestimmen demnach nicht nur die res publica und ihre Institutionen, sondern auch die familia und die Klientel (mit Carl Schmitt könnte man sagen: das Politische ist nicht allein in den politischen Institutionen lokalisiert, sondern ebenso in den familiae, den Beziehungen zwischen adligen familiae sowie den Beziehungen zwischen Patro') Das Bürgerrecht konstituiert zwar die Zugehörigkeit Klienten). und nen zur politischen Gemeinde Roms, aber es realisiert sich nur partiell in der Teilnahme am politischen Entscheid und in einem bestimmten Rechtsstatus. Voll wirksam wird es erst dadurch, daß Bürger als solche in die römischen sozialen Beziehungsnetze eingeordnet werden? ) In diesem Sinne ist die römische politisch-gesellschaftliche Organisation statusorientiert. Die römischen Magistrate und mit ihnen die den Senat bildenden Adligen sichern die Handlungsfähigkeit Roms nach außen und nehmen Ordnungsfunktionen im Inneren wahr. Zugleich werden die Magistraturen, die ja in der Regel auch die Voraussetzungen für einen Sitz im Senat sind, mit den Vorstellungen eines Gabentausches begriffen27): alle Magistraturen sind honores, Ehren, die das 27)Cicero de rep. 1 39. Der Satz ist hier auf die res publica hin formuliert. 24)Das Verhältnis des paterfamilias zu seinen jugendlichen und erwachsenen Söhdurch Distanz gekennzeichnen ist, eben wegen der Disziplinierungsfunktionen, net; vgl. Bettini, Familie (wie Anm. 17), 21-25. 2') Hier ergibt sich ein konzeptionelles Problem: Meier, Der griechische und der röLeben, Zeit, Kraft, mische Bürger (wie Anm. 4), 23 f., spricht davon, daß tägliches im allgemeinen unpolitischen AngelegenheiInteresse [Sc. der römischen Bürger] ... ten gegolten haben [müsse, ] [sofern sie das Gemeinwesen nicht militärisch in Anspruch nahm. ) ... Die meisten römischen Bürger blieben also politisch Vereinzelte in einem aristokratisch dominierten Gemeinwesen. " Ich frage mich, ob hier nicht eine Engführung des Begriffs des Politischen vorliegt. Wenn man die familia und die Klientel zur politischen Organisation rechnet, dann lassen sich m. E. die Aussagen Meiers nicht halten. 26)Ich erinnere nochmals an die Position des eigentumslosen erwachsenen Haussohnes oder an die des Klienten, der sein Recht nur mit Hilfe des Patrons durchsetzen kann. 27)Ich verwende den Begriff in einem strikt sozialen Sinn: Wenn Gabentausch" materielle Gaben ausgetauscht werden, dann liegt deren Bedeutung in der Ehre und in dem Respekt, die man sich dadurch gegenseitig (oder den jeweiligen Empfängern) erweist. Für das Verhalten der principes gegenüber der plebs urbana in Rom und gegenüber dem Heer hat das eindringlich analysiert Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich (Historische Studien, Bd. 7). Frankfurt am Main/New York 1992, I. Abschnitt. - Im übrigen werden aber nicht nur materielle Gaben ausgetauscht, sondern Leistungen und Ehrerweise verschiedenster Art. Entscheidend dafür, hier von Gabentausch zu sprechen, ist die Form 106 Jochen Martin Volk den Adligen erweist, und eine Adelsfamilie verliert ihren Status, Ämter bekleiden. ") Die adlilängere Zeit keine ihre Mitglieder über wenn gen Amtsträger kompensieren den Ehrerweis nicht nur durch politische Leistung, sondern auch durch finanziellen Aufwand: für die Amtsführung, für Bauten, für Spiele und Speisungen. Die gleiche Form des Gabentausches ist auch für die Klientel charakteristisch: der Patron erbringt Leistungen für die Klienten, ohne die diese ihren Status als Bürger, z. B. vor Gericht, gar nicht realisieren könnten; und umgekehrt erbringt der Klient Leistungen für den Patron, ohne die der Patron seinen Status weder halten noch symbolisch darstellen könnte: das eine dadurch, daß die Klienten die Patrone in den Volksversammlungen unterstützen, das andere dadurch, daß sie zum Morgenempfang kommen, die Patrone bei Ausgängen in die Stadt begleiten, ihnen Geschenke machen etc. In einer depravierten Form gehören auch die riesigen Bestechungen der späten Republik in diesen Zusammenhang. Schließlich hat der Gabentausch auch in der der Kommunikation Adligen unterFunktion eine entscheidende der des des Mitadligen Status die Anerkennung erfolgt seit mitteinander: leren Republik zunehmend auch dadurch, daß andere Adlige in den Tedaß Usus bedacht Dieser Legate durch weit, so geht werden. stamenten verschiedene Gesetze verabschiedet werden müssen, um den oder die Haupterben zu schützen 29) Dieses ganze System erforderte - und darauf kommt Weber überhaupt die ich Konsum: adlige etwa erheblichen nenne nicht zu sprechen - einen Repräsentation, z. B. Begräbnisse mit einem riesigen demonstrativen Aufwand, ferner Spiele und Bewirtungen, die Ausrichtung religiöser Feste, den Aufwand für Ämter, die Legate. Kurz: ein erheblicher Teil der Einnahmen floß in diesen Konsum. Da an ihm der Status sowohl der Adligen als auch der Bürger hing, konnte auf ihn nicht verzichtet werden. Selbst der ärmste Bürger in einer römischen Stadt hatte Anspruch auf bestimmte Leistungen, die nicht etwa aus sozialen Gründen zugestanden wurden, funkAdligen Bürgern die Beziehungen und weil zwischen nur so sondern der politisch-gesellschaftlichen Ordnung: nämlich daß es sich um ein auf Akzeptanz, nicht auf politischer Teilnahme beruhendesSystem handelt. 28)Das wird besonders deutlich (und humorvoll) von Cicero in pro MMurena16 ausgeführt. 29)Es handelt sich um die lex Furia von 204/169, die lex Voconia von 169 und die lex Falcidia von 40 v. Chr. In der letzten wurde festgesetzt, daß den Haupterben mindestens ein Viertel des Gesamterbes bleiben müsse. Daraus wird ersichtlich, wie umfangreich der Gabentausch geworden war. - Das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen in der familia kann man als zeitverschobenen Gabentausch interpretieren: der Haussohn unterwirft sich der patria potestas, um in der Zukunft die Funkwahrnehmen zu können; vgl. dazu Bettini, Familie (wie tion des paterfamilias Anm. 17), 17-21. Der Verlust der Stadt 107 tionierten und der Status der Bürger zum Ausdruck gebracht werden konnte. Evelyne Patlagean spricht deshalb von der Armut des antiken Stadtbürgers als einer pauvrete sociale, d. h. es handelte sich um eine Armut, die gleichsam überlagert wurde vom Bürgerstatus. Erst in der spätantiken Stadt erscheine die pauvrete economique, die nackte ökonomische Armut? ') Gesellschaft stellt Um zusammenzufassen: die römisch-republikanische einen Zusammenschluß nicht von Einzelnen, sondern von familiae und Klientelen dar. ") Spezifisch an diesem Zusammenschluß ist, daß zwar politische Institutionen für das Gemeinschaftshandeln bestehen, den familiae und Klientelen aber aufgegeben ist, die innere Ordnung aufrechtzuerhalten. Diese besteht wesentlich in einem auf Integration und Unterordnung zielenden Wertsystem und in einer klaren Abstufung verschiedener Status, die nur dadurch erhalten und zur Geltung gebracht werden können, daß die familiae und Klientelen Bestandteile des politischen Systems sind oder - anders ausgedrückt - die patres und patroni gegenüber ihren Das Gewaltunterworfenen und Klienten die res publica repräsentieren'') Mittel, durch das die Beziehungen sowohl zwischen den Patronen als auch ist der dargestellt Patronen Klienten werden, reguliert und zwischen und Gabentausch. Insgesamt sind also in der römischen Republik archai-sche" Formen der Sozialisation nicht, wie in Griechenland, zerschlagen, ") in Zusammenhang worden. einen politischen sondern eingeordnet In der Stadt der Kaiserzeit finden gewisse Modifikationen statt, die Rahmen nicht sprengen. Zuaber den beschriebenen konzeptionellen nächst zum Sonderfall der Residenzstadt Rom. Hier besteht die wichtigste Veränderung darin, daß es nun ein eindeutiges Machtzentrum gibt. Insofern verlieren die fanziliae und die Klienten ihren alten politischen ChaKlientelverhältnisse rakter. ") Entpolitisierte" zwischen Adligen und Nicht-Adligen bleiben bestehen: Patrone vertreten weiterhin ihre Klienten vor Gericht oder sichern ihnen Verbindungen, laden sie zum Essen, wähmachen, Patrone auf Ausgängen rend Klienten ihre Morgenaufwartung begleiten, sie in Gedichten besingen. ") 30)Ecelyae Patlagean, Pauvrete economique et pauvrete sociale a Byzance 4=7* siecles (Civilisations et Societes, vol. 48). Paris/Den Haag 1977. *3I) Vgl. dagegen Webers Position, WuG, 744f.; dazu Nippel, o. S. 42, und Oexle, u. S. 139f. 32)In Athen gibt es diese Funktion von Oiken nicht. ") Dies ist als funktionale, nicht als genetische Aussage gemeint. 31)Norbert Rouland, Pouvoir politique et dependance personnelle dans I'Antiquite romaine. Genese et role des rapports de clientele (Collection Latomus, vol. 166.). Bruxelles 1979. 33)Die Hauptquelle für diese Klientelverhältnisse sind die Satiren Juvenals und Martials; vgl. z. B. Martial XII 68, X 10, X 87; Juvenal V1 ff. I 108 ý Jochen Martin Wichtiger aber ist: ebenso wie der Adel der Republik ist der Prinzeps auf Akzeptanz angewiesen, die nun wiederum im Modus des Gabentausches zustandekommt. Der Prinzeps ehrt die plebs urbana durch Geschenke, Spiele (und die Anwesenheit bei Spielen), Versorgung mit Getreide. Das Volk ehrt den Prinzeps durch Akklamationen und Wohlverhalten 36) Was den Adel angeht, so vermittelt wesentlich der Prinzeps Status. ") Kaisernähe wird zum Ausdruck der höchsten Ehre. Die Gegengaben der Adligen sind Dienst und Loyalität, die Initiative zu Ehrenbeschlüssen für den Prinzeps, schließlich auch hier Legate. Dieses ganze System kann nicht vom Gesichtspunkt der Legitimität noch von dem einer Beteiligung an der Herrschaft her aufgeschlüsselt werden. Der römische Prinzeps ist aber auch kein Militärdiktator oder absoluter Herrscher; ebensowenig ist der römische Adel eine höfische Gesellschaft". Wir haben es mit einem Akzeptanzsystem zu tun, das sich in den traditionellen Formen des Gabentausches darstellt 38) In den Städten des römischen Reiches ist zwar das Verhältnis zum Prinzeps nicht unwichtig, aber es bestimmt nicht unmittelbar den Bürgeralltag. Es gibt verschiedene Kategorien von Städten - Bürger-, Latiner- und Peregrinen-Städte, wobei innerhalb der einzelnen Kategorien noch erhebliche Unterschiede bestehen -, aber dennoch lassen sich bestimmte Strukturen verallgemeinern. Alle Städte verwalten sich im wesentlichen selber. Ihre Ordnung kann entweder von Rom gesetzt oder eine übernommene OrdÜber die Beteiligung des Stadtvolkes an politischen Entscheinung sein. dungen wissen wir nur wenig; wahrscheinlich ist, daß zwar die städtischen Magistrate gewählt wurden, im übrigen aber kaum eine institutionelle Mitwirkung an politischen Entscheidungen bestand 39) Überall aber war 36)Vgl. dazu Paul Veyne, Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike (Theorie und Geschichte, Bd. 11). Frankfurt am Main/ New York 1988, bes. 83-92 und 577 ff., ferner Flaig, Usurpation (wie Anm. 27). Der Modus des Gabentausches wird besonders deutlich dort, wo es um die Bewältigung von Krisen (z. B. Kornknappheit) geht: Die plebs urbana ist bei Principes, die die Nähe zum Volk suchen (z. B. Augustus), bereit, Krisen zu ertragen, bei anderen nicht (z. B. Tiberius). ") Damit ist nicht gemeint, daß Dinge wie Reichtum oder Herkunft keine Rolle Ämtern den Aber Princeps also zu zugelassen, spielten. wer vom nicht akzeptiert mit Kommanden betraut, in den Patriziat aufgenommen oder (im Bedarfsfall) mit Geldmitteln ausgestattet - wurde, konnte auch nicht auf Dauer Ehre erlangen. 36)Das gilt auch für das Verhältnis eines anderen wichtigen Sektors der römischen Gesellschaft, nämlich des Heeres, zum Prinzeps; vgl. dazu Flaig, Usurpation (wie Anm. 27), III. Abschnitt. 39)Zur Einrichtung von Provinzen und zum Schicksal der Städte dabei vgl. Joachim Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd. 1. Leipzig 1884 (Nachdruck 1957), 69-92 und 500-502; Wilhelm Liebenam, Städteverwaltung im römischen Kaiserreiche. Leipzig 1900 (Nachdruck 1967), 463-476; zu den innerstädtischen Organen Der Verlust der Stadt 109 die Zugehörigkeit zum Reich über die Zugehörigkeit zu einer Stadt vermittelt. Und das Verhältnis zwischen städtischen Honoratioren - also Dekudem dem Stadtvolk ähnlich Amtsträgern zwischen war und rionen und Patronen und Klienten: die Honoratioren bauten Aquädukte, Bäder und Tempel, richteten religiöse und andere Feste aus, bewirteten das Stadtin dies die Getreideversorgung für teilweise alles eiund volk, sorgten ihrer finanziellen Existenz bis den Rand der Einzelne Ausmaß, an nem führte. Das Stadtvolk ehrte auch hier die Honoratioren durch Wahl zu Ämtern, durch Akklamationen bei Spielen, durch die Beteiligung an Fedie fühlte, der Stadt daß dadurch, stolz auf zugehörig sich es sten und Stadt war. `0) In Bürger- und Latinerstädten konnte, wer in der Stadt Ehre dort des Reiches in Führungsschicht die aufsteigen und von erlangte, auch her wieder als Patron für die Stadt wirken. Die Parallelen zwischen dem republikanischen Rom und den kaiserzeitlichen Städten scheinen mir offensichtlich zu sein. Zwar verändern sich die Partner der sozialen Beziehungen, nicht aber deren Formen. Der Stain Teilhier politischer des primär Bürgers nicht tus verwirklicht sich auch in jeder Einzelne daß darin, ein politisch-soziales, auf nahme, sondern Gabentausch beruhendes Beziehungssystem einbezogen ist. Außer für die Kontinuität der Stadt hat das vorgeschlagene Konzept Schichten die nicht Vorteile: nicht-besitzenden es schließt erstens weitere 41) Webers denn Stadt sie nicht der gehören zu aus, aus Kriegerzunft" Legt man Webers Stadtbegriff zugrunde, dann hätte Rom in der späten röZweiBürger in der Kaiserzeit Republik weniger gehabt. viel und mischen die im her Weberschen Gabentausches des Modus kann auch vom tens Sinn irrationale Form des Wirtschaftens erklärt werden. Die Aristokratie[(_, h. ihren Stableiben, d. Aristokratie konsumorientiert wenn sie sein, mußte für kein Statusgewinn Mittel Unternehmertum war tus wahren wollte. die erfolgreich Dekurionen, kennen Wir spätantike noch oder -erhaltung. im Handel und Gewerbe tätig waren, ihre Grabinschriften aber so abfaßbis `) Unternehmertum des Jahrhunderts. 1. die war Dekurionen ten wie in the Administration Municipal Johnson, Chester Frank Frost Abbott/Allan vgl. Roman Empire. Princeton 1926 (Nachdruck 1968), 56-83. Zum Ganzen auch Friedrich l'ittinghoff, §3 Gesellschaft, in: Europäische Wirtschafts- und Sozialgeder (Handbuch Vittinghoff Friedrich in der Hrsg. Kaiserzeit. v. römischen schichte 1990,196-204. Stuttgart 1). Bd. WirtschaftsSozialgeschichte, und europäischen 40)Vgl. dazu Veyne, Brot und Spiele (wie Anm. 36), und Vittinghoff, Gesellschaft (wie Anm. 39), 201. ") Auch wenn man bedenkt, daß Weber einen Typus konstituieren, nicht die Realiberechtigt Handwerker der der Ausschluß nicht etwa tät abbilden will, scheint mir in Zeiten, frühesten den im sogar Rom waren sie Handwerker seit gab es zu sein. Bauern. depossedierte da handelt Es um nicht sicher sich collegia organisiert. 42)Henri Willy Pleket, Urban elites and businessin the Greek part of the Roman & i C- 110 Jochen Martin in die Spätantike hinein nicht etwas, das Ehre vermittelte. Drittens schließlich ist das hier vorgeschlagene Konzept besser als das Webersche geeignet, das Schicksal der Stadt in den letzten Jahrhunderten des weströmischen Reiches zu erklären - damit komme ich zu meinem letzten Punkt. V. Der Verlust der Stadt Ich habe schon darauf hingewiesen, daß für Weber die Möglichkeiten städtischen Wirtschaftens in der Kaiserzeit durch fiskalische und liturgische Anforderungen des Staates gleichsam abgewürgt wurden. Dieses Bild stimmt, wie ebenfalls schon angedeutet, für die frühe Kaiserzeit nicht. Es ist aber auch für die Spätantike schwer zu halten. Früher nahm man an, die städtischen Ratsherren seien generell haftbar gemacht worden für Steuerausfälle und dadurch in den finanziellen Ruin `) darf heute Wenn imDieses Bild widerlegt als gelten. getrieben worden. mer wieder auf das Wachsen der staatlich angeforderten Liturgien hingewiesen wird, dann ist das zwar richtig, muß aber konfrontiert werden mit der Tatsache, daß vorher die Führungsschichten freiwillige Leistungen in erheblichem Umfang erbrachten. Viele dieser Leistungen fielen nun weg ich erinnere nur an den Bau und die Erhaltung von Tempeln, die Priestertümer und die Ausrichtung religiöser Feste. Primär im Finanziellen und Wirtschaftlichen können die Probleme nicht gelegen haben. Das gilt auch im Dekurionenstand oder in beruflichen für die Zwangsmitgliedschaft Korporationen. Einerseits war der Übergang von Tätigkeiten vom Vater auf den Sohn durchaus das Normale auch vor den spätantiken Gesetzen, andererseits gab es trotz dieser Gesetze eine hohe horizontale Mobilität 44) Wenn sich aber hier wenig veränderte - wo dann? Meine These ist: innerhalb des überdehnten bürokratischen Staates der Spätantike wird die Stadt zu einem Annex des Reiches, in dem die auf Gabentausch beruhenden Beziehungen zwischen den städtischen Führungsschichten und den Staatsbürgern nicht mehr funktionieren können. Ich erläutere das kurz. Empire, in: Trade in the Ancient Economy. Hrsg v. Peter Garnsey/Keith Hopkins/ Charles Richard Whittaker, London 1983,131-144. ") Hermann-Josef Horslkotle, Die Theorie vom spätrömischen und Zwangsstaat" (Beiträge zur klassischen Philologie, H. 159). Ködas Problem der Steuerhaftung" nigstein i. T. 1984. ") M. K. Hopkins, Social Mobility in the Later Roman Empire. The Evidence of Ausonius, in: Classical Quarterly 11,1961,239-249; Ramsey MacMullen, Soziale Mobilität und der Codex Theodosianus' (1964), in: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der römischen Kaiserzeit. Hrsg. von Helmuth Schneider (Wege der Forschung, Bd. 552). Darmstadt 1981,155-167. Der Verlust der Stadt 111 Die Leistungen, welche die Dekurionen erbringen müssen, verlieren imund - was vielleicht noch mer mehr den Charakter der Freiwilligkeit, wichtiger ist - sie beziehen sich immer weniger auf die Bürger der Stadt, sondern auf den Staat. Die Dekurionen werden aus einer städtischen FühI Gruppe Erfüllungsgehilfen hervon rungsschicht zu einer mediatisierten abgedrückt, und dies äußert sich auch darin, daß die rechtlichen Privilegien, die sie im Strafprozeß genießen, nicht mehr durchgehend beachtet werden. Dazu verlieren sie Möglichkeiten des demonstrativen Konsums in Bereichen, die für die Beziehungen zu den städtischen Schichten außeror- I dentlich wichtig waren, wie z. B. die Bekleidung von Priestertümern, die Ausrichtung religiöser Feste und weltlicher Spiele. Der legale Aufstieg in die Führungsschichten des Reiches wird ihnen verschlossen; da immer den Dekurionen landsässig Senatoren werden, zudem erwächst als mehr Patronen eine ungleich mächtigere Konkurrenz in den Gebieten, die ihren Städten benachbart sind. `S) Kurz: die Honoratioren sind keine Honoratiodie Stadt die können Bürger diesem mit einer umgekehrt und ren mehr, Status verbundene Ehre kaum noch real erfahren: sie werden zu Objekten des mittelbaren oder unmittelbaren Zugriffs des Staates, die Zuweisung 46) Das Ergebnis ist den Gabentausch Ehre über greift nicht mehr. ein von in den je der Bürgerbegriff Paradox: spätantiken abstrakter merkwürdiges formuliert wird - und gerade wegen dieser Abstraktion Kodifikationen desto bedeutete für für Rezeption ja die weniger er spätere eignet er sich -, den Einzelnen. Unter sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten bedeutet dies: der Arme wurde zum Armen im Sinne der pauvrete econontidurch den Bürgerstatus gedeckPatlageans, mehr nicht zum nackten, que ten Armen und als solcher zum Objekt der christlichen caritas. Damit komme ich noch zu einem weiteren Bereich, von dem her der dargestellte Prozeß beleuchtet werden kann. An die Stelle der Beziehunin der Spätantike Stadtbürgern tritt Führungsschichten und gen zwischen dem BiGemeindemitglied der und christlichem zwischen zunehmend I 4S)JochenMfartin, Spätantike und Völkerwanderung (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 4). 2. Aufl. München 1990,93-95,190f. (mit weiterer Literatur). 46)Was hier dargestellt wird, vollzieht sich in einem Prozeß, der im Westen etwa bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts reicht. Die Städte im Osten unterliegen anderen Alfoldi, Die Kontorniat-Medaillons Bedingungen. - Bei Andreas Alfoldi/Elisabeth (Antike Münzen und geschnittene Steine, Bd. 6). Berlin/New York 1990, Teil 2: Text, 21, werden die alten Verhältnisse sehr schön zum Ausdruck gebracht: So hat Ammian auch darin recht, daß die Bürger Roms nur durch das Organ ihrer Sprechchöre bei den Spielen ihrer politischen Leidenschaft und Meinung Ausdruck verleihen konnten und ihr altes Prestige nur dort durch die achtungsvollen Gebärden der Herrscher und ihrer Würdenträger dem Volk gegenüber zur Geltung kam. " Entdenen der Adel Kontorniaten, der den Rückseiten mit nehmen auf sprechend Roms alte Traditionen beschwören wollte, Darstellungen aus dem Zirkusleben einen breiten Raum ein. 112 Jochen Martin schof, der seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts zunehmend sich selber und seine Gemeinde unter den Schutz von Heiligen stellt, in deren Namen er handelt. Ich brauche hier nicht auszuführen, welche beherrschende Stellung die Bischöfe in vielen Städten des Westens erlangten. Sie hat nicht nur mit den Leistungen der Bischöfe zu tun, sondern auch damit, daß für die Reichsbewohner Macht aus einem Phänomen der Beziehungen zwischen Menschen zu einem solchen der Beziehungen zwischen Gott Über ") den Menschen das Christentum, insbesondere und geworden war. die Heiligen, konnten sich neue Formen der Zugehörigkeit zur Stadt bilden, aber diese waren diametral verschieden von den alten. Die trotz aller Bedeutung des Kultes für antike Vergesellschaftung wesentlich säkulare Kommunikation zwischen Stadtbewohnern macht der Predigt des Bischofs Platz, die durch Gaben zugewiesene Ehre der caritas, die pauvrete sociale der pauvrele economique. Man kann hier nur von einem Verlust der antiken Stadt sprechen, und ich meine, daß die Bedingungen für den Neuanfang der mittelalterlichen Stadt besser verständlich werden, wenn man die Radikalität des Endes der antiken Stadt im Westen akzeptiert. VI. SchluBüberlegung Das Verhältnis der antiken zur mittelalterlichen Stadt bleibt ein offenes Problem, schon deshalb, weil nicht nur in den althistorischen, sondern auch in den mediävistischen Beiträgen dieses Bandes unterschiedlich akzentuiert wurde. Klaus Schreiner hat in der Diskussion gesagt, vieles von dem, was ich zur antiken Stadt ausgeführt hätte, gelte auch für die mittelalterliche Stadt. Bei Otto Gerhard Oexle werden die Unterschiede stärker herausgestellt bzw. sie ergeben sich dann, wenn man Oexles Analyse des Weberschen Typus Stadt" an der antiken Stadt zu verifizieokzidentale ren versucht. Offen bleibt auch, wie sich Weber ein Weiterwirken der antiken Stadt gedacht hat. Eine unmittelbare Kontinuität von der antiken zur mittelalterlichen Stadt hat ja auch er nicht angenommen. Bliebe eine vermittelte Kontinuität: sie könnte begründet sein entweder in der Eigengesetzlichkeit" politischer Verwaltungsformen (vgl. oben S. 98) und/oder darin, daß man sich im Mittelalter auf Exempla bzw. auf das politische und Rechtsdenken der Antike zurückbezog. Einwände Die vorgetragenen gegen Webers Analyse der antiken Stadt hatten nicht primär den Sinn, diese als falsch zu erweisen (auch wenn man den Text so lesen kann). Wichtiger scheint mir die Frage danach zu sein, ") Jochen Martin, Zum Selbstverständnis, zur Repräsentation sers in der Spätantike, in: Saeculum 35,1984,115-131. und Macht des Kai- Der Verlust der Stadt 113 der ist. bedingt Sieht Konzept \Vebers von originäman einmal wodurch Zeit dem Wissensstand \Vebers Leistung ab, seiner und theoretischen ren dann scheint mir sicher zu sein, daß Weber im Rahmen bestimmter Grundanschauungen des 19. Jahrhunderts argumentierte: dazu gehörte die Zuordnung der öffentlich Unterscheidung die B. von und privat und z. Familie zum privaten Bereich, dazu gehörte die Unterscheidung von Gebedazu Gesellschaft, auch eine schließlich gehörte und meinschaft Was des Begriffs Füllung inhaltliche anaeinmal stimmte Rationalität". lytisch geschieden war, war schwer wieder zusammenzufügen: von daher die Familien", den E. die Rede von rein privaten sm. erklärt sich formell die Tatsahätten, Monarchen Macht auch erklärt sich ausgeübt wie eine che, daß Weber der patria potestas und den durch die Familienordnung im bürgerlichen Rechtsstatus keine Bebedingten Unterschiedlichkeiten ja der Rubrik diese Dinge heute (bis unter werden schenkt achtung Pri") dargestellt). Lebens" des in Geschichten vatrecht" oder privaten Elias im Blick so hat Norbert für den berufsRationalität formuliert: Weber Max nur nicht auf Daß ist, hat Max des Abendlandes Menschen bürgerlichen charakteristisch Noch Religionssoziologie Weber in seinen Aufsätzen nicht gezeigt. zur im daß hervorgehoben, bisher hat deutlich auch es man genug aber Rationalider berufsbürgerlich-kapitalistischen Abendlande neben selbst aus anderen gesellschaftlichen tät noch andere Rationalisierungstypen, "49) Elias hat Notwendigkeiten auch noch gibt. wohl und gegeben geboren, Rationalitätstyp. Gesellschaft" die einen solchen als versteht höfische Gesellschaft könnte man als einen RaAuch die römisch-republikanische \Vas den Inhalt der Rationalität betrifft, für die Anhätte Konsequenzen Das begreifen. Art tionalitätstyp eigener ist ja immer bestimmt Weber die bei das Phänomen, auch näherung an ist, die ist. M. E. auch wenn man dem, nicht" oder noch was schon" von Überlegungen die römische Stadt weiterhin hier vorgetragenen akzeptiert, Stadt zuzuweisen, dem Typus der okzidentalen und zwar vor allem desFormen sozialer Beziehungen Klientel, und Normen halb, weil farrrilia, überlagert Verhaltens politisch-rechtlich - oder unterlegt - sind. sozialen ") Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es gibt auch vor dem 19. Jahrhundert dem im 19. Jahrhundaß darin, liegt Problem Das Phänomene. aber analoge Privaten" konzeptionell ausgeformt worden ist. Die dert das Begriffspaar öffentlich-privat" Zuordnungen, die bei dieser Konzeptualisierung vorgenommen wurden, treffen auf in die Problematik Einführung Gesellschaften Eine keineswegs gute zu. vergangene KonGesellschaftspolitische Privatheit. bietet Karin Hausen. Öffentlichkeit und für Gein: Journal die Geschichte der Geschlechterbeziehungen, struktionen und H. 1,16-25. 1989, schichte 49) Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des KöGeSoziologie höfischen der Aristokratie. Mit der Einleitung: und nigtums und 168. Frankfurt 1990), Main 1983 (Nachdruck am schichtswissenschaft. 114 JochenMartin Geht man von Rationalitätstypen aus, dann stellt sich freilich das Prodas Klaus Schreiner angesprochen hat, SO)noch blem der Kontinuität, Ähnlichkeiten in VerMax Weber Es kann, hat, wie ausgeführt schärfer. waltungsformen der antiken und der mittelalterlichen Stadt geben; oder, der Affekte" um das Beispiel von Elias aufzugreifen, die Bändigung kann in der christlichen Askese, in der höfischen Gesellschaft und beim römischen Adel vergleichbare Formen haben; unterschiedlich - und konstitutiv für den jeweiligen Typ - ist aber das Woraufhin der Bändigung und das Ensemble dessen, was auf die Erreichung des Zieles hingeordnet wird. Der Verlust an Kontinuität, der entsteht, wenn man nach dem Bedingungsgrund von Rationalitätstypen fragt, wird aber kompensiert durch eivergangener Gesellschaften wird deutlicher, nen Gewinn: das Andere" und Historie entgeht vielleicht eher der Gefahr, ein Gespräch mit sich selber zu führen. sodSchreiner, u. S. 195 ff.