Einheit 7 Die Grundstruktur der absoluten Vernunft (Logos) * Der

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Einheit 7
Die Grundstruktur der absoluten Vernunft (Logos)
*
Der zentrale Aspekt, dem wir bisher hinsichtlich einer Definition der Philosophie als Wissenschaft der Weisheit nachgegangen sind, ist das Konzept des Logos, d.h. der absoluten Vernunft, die objektiv und zur gleichen Zeit subjektiv ist
und die je nach Bewusstseins- und Freiheitsgrad im gesamten Sein präsent ist.
Nach dieser wichtigen Präzisierung versuchen wir nun, das Absolute, die absolute Vernunft, das Logos, welches sich sowohl in der Natur als auch im Geiste
findet, zu verstehen.
Es ist offensichtlich, dass man von diesem Absoluten ausgehen muss, um die
objektive Natur und den subjektiven Geist zu erfassen, in denen es sich zuerst
als notwendig und dann als frei erweist.
Wie gelangt man zum Absoluten? (Die Schnittmenge von Logik und Metaphysik)
Die erste Frage, die sich diesbezüglich aufdrängt, ist folgende: Wie können wir
das Absolute erfassen, wie können wir es erkennen? In der Religion geschieht
dies durch den Glauben, aber wie wir gesehen haben, wendet die Philosophie eine gänzlich verschiedene Methode an, obwohl sie im Grunde dasselbe Ziel verfolgt wie die Religion. Diese Methode besteht in der Argumentation: Sie muss
ihre Grundlagen beweisen, und dies vermag kein Akt des Glaubens, kein Dogma.
Der philosophische Zugang zum Absoluten erweist sich, wenn man dem bisherigen Gedanken folgt, als sehr viel einfacher und verständlicher, als es scheint:
Da nämlich das Absolute im Grunde die absolute Vernunft ist und diese wiederum die Essenz unseres Geistes darstellt, also unser ununterbrochenes Denken,
das Formulieren von Konzepten und Ideen usw., d.h. unsere gesamte logische
Aktivität, können wir Gesetze und Funktionsweisen usw. verstehen, indem wir
unsere Gedanken analysieren: ergo mithilfe der Wissenschaft der Logik. Da uns
aber unser logischer Gedanke, unser “universelles Ich”, bekannt ist, d.h. das Absolute in Form von Bewusstsein und Freiheit, so werden wir dieses mithilfe einer ernsthaft und wissenschaftlich verfolgten Logik (bereits) kennen. Kurzum,
die logische Erkenntnis des menschlichen Denkens und die Erkenntnis des Absoluten überschneiden sich.
Diese Überschneidung führt offenkundig zu den Disziplinen der Logik und der
Metaphysik, die bereits in den Anfängen der griechischen Philosophie als iden-
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tisch erachtet wurden, denken wir an Parmenides und Heraklit. (Man vergleiche
des Letztgenannten z.B. die Fragmente zum Logos, heute wie damals aktuell).
Diese beiden Vorbedingungen vorausgeschickt bzw. vorausgesetzt, dass der Zugang ausschließlich über die Logik erfolgen kann und diese daher mit der Metaphysik zusammenfällt (und so auch mit der Rationalen Theologie), stellen sich
zwei weitere Probleme: erstens das einer präzisen Definition des Phänomens,
oder die Frage, in was genau die Vernunft besteht, und zweitens die richtige Methode zu finden, um es auf ernsthafte und wissenschaftliche Weise zu untersuchen.
Was genau ist das Absolute, bzw. der Untersuchungsgegenstand der LogikMetaphysik?
Wenn wir unsere Sprache untersuchen, bemerken wir, dass es sicher Begriffe
gibt, die Erfahrung voraussetzen, um existieren zu können (Der Mensch hätte
nie das Konzept und das Wort für “Baum” gehabt, wenn er diesen nie gesehen
hätte. Das gilt für alle konkreten und abstrakten Nomen, aber auch für Verben
und die Handlungen, die diese designieren); andere Begriffe, die dazu dienen,
die Syntax der Sprache zu formulieren, (Präpositionen, Konjunktionen usw.);
wieder weitere, welche die Bedeutungen von Nomen und Verben präzisieren
(verstärken, abschwächen usw.) wie Adjektive und Adverbien usw.
Dieser Teil der Sprache ist also zurückzuführen auf die konkrete, aber auch abstrakte Erfahrung (der Fantasie) und auf die Syntax, mithilfe derer wir Sätzen einen Sinn geben. Ein anderer Teil der Sprache ist jedoch nicht auf eine interne
oder externe Erfahrung zurückzuführen, sondern existiert bereits vor dieser und
ist sogar eine notwendige Bedingung, um alle Assoziationen einer konzeptuellen
Einheit und somit das Wort, das diese Einheit bezeichnet, einzuordnen.
Schauen wir uns den folgenden Beispielsatz an: “Der Tisch ist hoch.” Darin gibt
es einige konzeptuelle Begriffe, die über die einfache Bedeutung jenes Satzes
hinausgehen. Bereits im Wort “Tisch” steckt die Formulierung eines einzigen
Konzepts für ein Zusammenspiel mehrerer Einzelteile, die Einheit einer Vielzahl, über die hier bereits gesprochen wurde, (Tischplatte, Tischbeine und gegebenenfalls weitere vorhandene Teile), die zu einer Funktion zusammengesetzt
sind, die bereits weit über das einfache Wort hinausgeht. (die Funktion, beispielsweise Bücher oder Lampen zu tragen usw.), welches die Reduktion der
Vielzahl auf eine konzeptuelle und funktionelle Einheit darstellt. Diese Art der
Reduktion findet sich noch deutlicher im Begriff “Aula” wieder, in dem die Teile, die das Gesamte darstellen, voneinander getrennt und nicht physisch miteinander verbunden sind. (während sie im Tisch physisch miteinander verbunden
sind).
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Im selben Satz “Der Tisch ist hoch” haben wir außerdem eine konjugierte Form
des Verbs “sein”, welches offensichtlich komplexer ist als das Substantiv
“Tisch” und das Adjektiv “hoch”. Das Verb drückt ein Urteil aus, indem einem
Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen wird. Dieser Akt entspringt offensichtlich unserer Logik, da der Tisch per se weder niedrig noch
hoch ist.
Werfen wir nun einen flüchtigen Blick auf die bisher im Beispielsatz ermittelten
Konzepte, die wir analysiert haben, um den Aufbau des Satzes zu erläutern:
Konzept (der Tisch ist ein Konzept, ein Gattungsname);
Einheit-Vielzahl, Gesamtes-Einzelteile (die Struktur des Konzepts);
Urteil (dass der Tisch für uns hoch ist);
Sein (die Verknüpfung einer Eigenschaft mit einem Gegenstand);
Qualität und Quantität (die Höhe, das Hoch sein).
Alle diese Wörter, die notwendig sind, um diesen einfachen Satz zu formulieren,
sind offenkundig weder reale Gegenstände (Nomen), noch Handlungen (Verben) noch syntaktische Diskursstrukturen (Präpositionen, Konjunktionen), sondern “Kategorien” bzw. Gedankenstrukturen, mithilfe derer wir die Realität, unsere Gedanken und Ideen und alles, über was wir nachdenken, sprachlich abbilden können. Diese Kategorien sind das echte und eigentliche Herzstück des Gedankens, das Netz, über das der Gedanke die Vielzahl auf logische Weise vereinen und ausdrücken kann. Sie bilden daher den echten und eigentlichen Inhalt
des Gedankens, seine Essenz, sein Sein. Der Gedanke besteht aus Kategorien,
welche dann – angewandt auf die innere und äußere Erfahrung - zur Kenntnis
der Welt führen.
Aufgrund unseres bisher ausgeführten Verständnisses der Konzepte von Gedanken und Absolutem scheint es naheliegend, dass die Kategorien, also die Grundstrukturen des Gedankens, ebenfalls die Struktur des Absoluten darstellen. Die
absolute Vernunft, das Logos, besteht demnach aus Kategorien.
Die Logik ist die Wissenschaft der Kategorien, vor allem im subjektiven Sinne
als Wissenschaft des menschlichen Gedankens (so etwa bei Aristoteles und
Kant); folgt man Hegel hingegen, der, wie wir gesehen haben, eine tiefere Auffassung der Logik als Kenntnis des Absoluten ausarbeitet, so ist diese Wissenschaft auch Metaphysik.
Wir haben schließlich auf der einen Seite die sogenannte formale Logik (Aristoteles, Kant, die zeitgenössische Logik) und auf der anderen Seite die substantielle Logik (Hegel, dialektische Auffassung).
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Die formale Logik, welche die unauflösbare Verknüpfung des menschlichen
Gedankens, also der subjektiven Vernunft mit der rationalen Struktur der Welt,
d.h. der objektiven Vernunft verbindet, entsagt sich für immer der Möglichkeit,
die tieferen Gründe einer Erkenntniserweiterung zu verstehen.
Auf diese Weise öffnet sie eine unüberwindbare Kluft, auch auf ethischem Niveau, zwischen Mensch und Welt, Vernunft und Materie. So schafft man einen
Dualismus zwischen Mensch und Natur, Vernunft und Welt, der eine Reihe
ernster Probleme aufwirft, sowohl für die theoretische Philosophie als auch –
oder vor allem – auf dem Gebiet der ethischen Philosophie. Im ersten Fall geht
es um Phänomene wie den zeitgenössischen Relativismus bzw. den Mangel an
Vertrauen in eine absolute und objektive Wahrheit, die unabhängig vom einzelnen Mensch ist; im zweiten Fall haben wir das Phänomen der Ausbeutung des
Menschen und der Natur seitens des Menschen mit den uns gut bekannten Auswirkungen. All dies hat als erste philosophische Ursache den Dualismus, durch
den das Andere, sei es Mensch oder Materie, vom Subjekt als anders als das
Selbst angesehen wird, nicht als Seinesgleichen und daher des Respekts würdig
und vielleicht auch der Sorge und der Liebe, genauso, wie man sich selbst sieht.
Über die mäeutische Methode der Logik-Metaphysik
Den Gegenstand der Logik verdeutlicht, kommen wir nun zu ihrer Methodik,
d.h. wie wir die Kategorien am besten erkennen können.
Hier gibt es zwei Möglichkeiten, die auch in diesem Falle auf radikale Weise die
formale und die substantielle Logik unterscheiden. Im ersten Fall werden die
Kategorien über die Analyse der Sprache ermittelt, anhand einer Überlegung des
Philosophen, der die Kategorien ermittelt und auflistet und ihre verschiedenen
Bedeutungen erläutert; Im zweiten Falle hingegen muss der Denker, der Philosoph, fast verschwinden, und die Kategorien müssen sich von selbst erkennen,
nach einer eigenen Methode, bei welcher der Philosoph zwar physisch präsent
ist, aber der Methode nur seine Stimme leiht und nur minimal auf die Selbsterklärung der Kategorien einwirkt. Dies erinnert stark an die mäeutischsokratische Methode, der zufolge die Wahrheit per se im Subjekt existiert, aber
unabhängig von diesem, und bei der die Aufgabe des Philosophen nicht darin
besteht, die Wahrheit zu erschaffen und sie dem Schüler aufzudiktieren, was eine willkürliche Aktion darstellen würde, sondern ihm zu helfen, die Wahrheit,
die er in sich trägt, hervorzubringen. So verhält es sich auch in der substantiellen
Logik: Die Kategorien, die ja den Gedanken und somit das Absolute darstellen,
sind selbst die Wahrheit, die sich in uns allen findet. Wir alle sind das Absolute
in unserem Logos. Der Philosoph ist derjenige, der diesen Logos verstehen
kann, der sich dessen bewusst werden kann und der deswegen seinesgleichen
helfen kann, dieselbe Bewusstwerdung zu vollziehen, die Selbstbewusstwer-
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dung, die er zuerst vollzogen hat, weswegen er jedoch nicht mehr Logos besitzt
als die Anderen. Er ist sich dessen lediglich bewusster.
Der substantiellen Logik nach darf sich der Philosoph nicht das Recht anmaßen,
die Kategorien auszuwählen und aufzulisten, weil er sich so das Recht zuspräche, als ein individuelles Ich das Absolute zu kennen; Er darf der Logik, welche
die Kategorien in sich tragen, weil sie das Logos sind, lediglich Stimme verleihen, indem er als Akt vollster Genügsamkeit und Bescheidenheit seine eigene
subjektive Persönlichkeit vollständig ausblendet. Es ist also nicht der Denker, ob
es Hegel oder wer auch immer ist, der den Kategorien seine eigene Logik aufzwingen muss. Die Kategorien benötigen keinen solchen Akt, weil sie die Logik
bereits in sich tragen. Sie selbst sind nämlich die Logik, wie könnte also ein
Mensch, auch wenn er ein Philosoph oder Wissenschaftler ist, die logische Ordnung der Erklärung der Kategorien festlegen? Der Philosoph muss jene innere
Logik der Kategorien bescheiden anerkennen und sie dann zum Ausdruck bringen. Dabei muss er sich an sie halten und seine eigenen Beiträge auf das Nötigste beschränken. So wird er eine mäeutische Funktion hinsichtlich des Logos einnehmen, er wird diesem helfen, sich selbst zu erkennen und sich zum Ausdruck
zu bringen.
Die Grundidee der substantiellen Logik ist also, dass die Kategorien eine eigene
Logik besitzen, die der Philosoph daher nur ermitteln soll, damit diese Logik
sich selbst entwickelt, ohne äußere Einwirkungen. Der Knackpunkt, das eigentliche Hindernis ist dabei, den Anfang zu finden, die erste Kategorie, auf die,
wenn sie erst einmal gefunden ist, die anderen automatisch folgen, weil sie sich
aus der Logik und inneren Notwendigkeiten aus dieser ergeben.
Das Problem des Anfangs der Logik-Metaphysik bzw. die erste Kategorie, das
Sein (das Absolute ist; Affirmation)
Welche kann die erste Kategorie sein? Denken wir einen Moment gemeinsam
darüber nach. Wir wissen nun, dass die Vernunft das Absolute ist und dass sie
unsere Essenz darstellt, die wir auf objektive Weise (er)kennen können, weil die
Möglichkeit der Wahrheitskenntnis einerseits eine logische Wahrheit und andererseits eine empirische Tatsache darstellt, so wie wir es zuvor in der Theorie
des “Ich verstehe” verdeutlicht haben.
In der Logik sind Subjekt und Objekt eins. Das Subjekt, die individuelle Vernunft, möchte das Objekt, das Logos oder die universelle Vernunft, (er)kennen,
die jedoch im Grunde sie selbst ist. Der Gedanke kennt sich selbst, das ist der
erste logische Schritt, der Ausgangspunkt. Was weiß der Gedanke zunächst über
sich selbst, was weiß die Vernunft über sich? Haben wir bereits eine Wahrheit,
wissen wir bereits etwas in diesem ersten Moment? Wir wissen tatsächlich, dass
sie ist: Die Existenz der Vernunft, die wir kennen und somit die Tatsache, dass
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sie existiert, können also nicht bezweifelt werden (das kartesianische cogito ergo sum). Daher ist ihr “Sein” das Allererste, die erste Feststellung, die erste Bestimmung, die wir ihr zusprechen können. Deswegen ist das Sein auch die erste
Kategorie.
Die erste Kategorie des Gedankens, die erste Bestimmung der Vernunft, ist folglich das Sein. Und jenes ist in der Tat, wie wir von Parmenides wissen, auch die
Grundkategorie der Metaphysik: Alles ist, bevor es etwas Spezifisches ist. Das
ist die allgemeinste, wenig spezifische Bestimmung, die dafür jedoch universeller ist. Man kann sie allem zuschreiben, jedem materiellen oder auch abstrakten
Objekt, in dem Moment, in dem wir an es denken.
Das Nichts als zweite Kategorie (das Absolute ist Nichts; erste Negation)
Es ist jedoch klar, dass das Wissen über die Existenz der Absoluten Vernunft
nicht bedeutet, diese auch zu kennen. Wir haben ihren Inhalt noch nicht bestimmt. Das, was wir in diesem Schritt der logischen Erkenntnis darüber wissen,
ist noch nichts. Und genau dieses Nichts stellt die zweite Kategorie der Vernunft
dar, zu der wir - wie man sehen kann – durch unsere eigene passive Überlegung
über die Kategorie des Seins gelangt sind. Wir haben der Kategorie des Seins
nicht durch unsere subjektive Willkür die des Nichts hinzugefügt, sondern jene
hat sich unserer Überlegung als die notwendigerweise auf die des Seins folgende
aufgedrängt. Wir müssen diese logische Reihenfolge erkennen, nicht erschaffen.
Darin besteht die mäeutische Kennzeichnung der angewandten Methodik.
“Sein” und “Nichts” sind daher die ersten zwei Bestimmungen des Logos, die
ersten beiden Kategorien der Logik. Es ist nicht an uns, diese zu bestimmen, sie
bestimmen sich selbst, die eine entwickelt sich aus der anderen. Das Nichts geht
aus dem Sein hervor, aber man kann auch das Gegenteil behaupten bzw. dass
der Ausgangspunkt der Logik die Vernunft ist, über die wir noch nichts wissen,
außer dass sie ist. Aus dieser Perspektive gesehen, kommt also zuerst das Nichts
und dann das Sein als dessen Negation.
Wie man sieht, sind also die Kategorien, die wir in diesem ersten Schritt der Erkenntnis der Vernunft derselben zuschreiben, die einfacheren Kategorien, welche auch ohne unser Zutun zu diesem ersten Erkenntnisstadium gehören. Sie gehören zum selben anfänglichen Konzept der Vernunft, die sich selbst kennt. Am
Anfang kann sie nicht mehr von sich wissen, als dass sie ist, aber das heißt, dass
sie noch nichts weiß. Diese Selbstkenntnis ist objektiv, sie gehört zum selben
gedanklichen Konzept, das sich selbst kennt, nicht zum Philosophen, der jene
Wahrheit nur ausspricht, sie aber nicht erschafft.
Das Werden als dritte Kategorie (das Absolute ist Werden; zweite Negation oder Negation der Negation)
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Im aktuellen Erkenntnisstadium, zu dem wir nun gelangt sind, haben wir also
das Sein und das Nichts; Der Gedanke weiß, dass er ist, aber er weiß noch nicht,
was er ist. Dieses “noch” leitet einen weiteren logischen Schritt ein und mit diesem eine neue Kategorie: das Werden. Wir wissen nämlich jetzt, dass das Logos, die absolute Vernunft, wird. Sie erscheint. Wir sind dabei, sie zu erkennen,
sie ist auf dem Weg zu werden, sie entsteht. Die Kategorien sind sozusagen dabei, sich zu entwickeln.
Daher ist das Werden die nächste Kategorie, die dieses erste Erkenntnisstadium
abschließt, weil das Werden die Verbindung, die Einheit zwischen dem Sein und
dem Nichts ausdrückt. Wenn etwas wird, bedeutet das, dass es vom Sein zum
Nichts oder vom Nichts zum Sein übergeht (die Geburt und der Tod, der Anfang
und das Ende usw.). Das Werden markiert daher die Beziehung zwischen den
ersten beiden Kategorien, zwischen Sein und Nichts.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: das Konzept des “Moments”
Das Sein und das Nichts als solche sind Momente (dies ist ein sehr wichtiges
Konzept der substantiellen Logik) des Werdens, welches jetzt die einzige wahre
(wahrhaftige?) Sache ist. Sein und Nichts sind einseitige, partielle Momente. Alles, was wahrhaftig existiert auf dieser Stufe der logischen Entwicklung, ist das
Werden der Vernunft, die sich selbst kennt. Das ist die Wahrheit, die wir jetzt
haben, die Vernunft ist dabei, sich selbst zu erkennen, sie wird, sie besteht in
dieser Selbstwerdung.
Betrachten wir das Ganze von einem metaphysischen Standpunkt aus, nachdem
wir bemerkt haben, dass es sich dabei um eine substantielle und objektive und
nicht formale und subjektive Logik handelt, so können wir die bisher erreichte
Wahrheit mit dem folgenden Satz ausdrücken: Das Absolute ist Werden, der
Übergang vom Sein zum Nichts und vom Nichts zum Sein. Dieser Gedanke
führt uns vor allem zurück zum anderen großen griechischen Denker, der zusammen mit Parmenides die Metaphysik begründet hat: Heraklit; außerdem
handelt es sich um einen Gedanken, der auf außerordentliche Weise mit der kontemporären wissenschaftlichen Weltanschauung konform geht, der zufolge alles
Evolution, werden, Zeit darstellt. Wir werden sehen, dass die logischsubstantielle Auffassung, obwohl sie deutlich flexibler und komplexer ist, unbestreitbar die Vorstellung der Realität als Prozess in sich trägt, die Vorstellung
des Realität als werden, die in völligem Einklang mit dem heutigen wissenschaftlichen Weltverständnis ist.
Ist dieser erste logische Gedankengang vollzogen, der uns dahingeführt hat, im
Werden die erste synthetische Kategorie zu erkennen, die in sich die Momente
des Seins und des Werdens enthält, können wir noch einmal über die Methode,
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die wir anwenden, nachdenken und so die weiteren allgemeinen Prinzipien der
absoluten Vernunft und somit der Welt ermitteln.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: die vollkommene Immanenz der Entwicklung
Zunächst muss man klarstellen, dass es sich dabei nicht direkt um eine Methode
in der Form handelt, dass diese von der Sache selbst trennbar ist, sondern dass es
die Bewegung, die Entwicklung, welche den Kategorien inhärent ist, selbst ist,
die die Methode hervorbringt. Deshalb stellen wir unsere Überlegungen zur Methode von außen an, wir gewinnen die allgemeinen Prinzipien aus ihr, aber es
muss unmissverständlich klar sein, dass wir den Kategorien keine Methode aufzwingen, sondern dass diese sich nach einem inneren Ablauf herausbilden, der
nicht von außen beeinflusst wird, eine aus der anderen.
Demnach haben wir bereits die Prinzipien der vollkommenen Immanenz der
Entwicklung, der Sache selbst, also der Selbstentwicklung (Eigenentwicklung?).
Dies wiederum ist ebenfalls ein Grundaspekt der Welt: Die Welt entwickelt sich
auf immanente Weise weiter, ohne von außen beeinflusst zu werden, auch die
ihre ist eine Selbstentwicklung.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: die Aufhebung
Ein weiteres Grundprinzip stellt das Prinzip der Aufhebung dar. (Der deutsche
Ausdruck ist schwer mit einem einzigen Begriff in die romanischen Sprachen zu
übersetzen, weil er gleichzeitig die Konzepte des Hinter-sich-lassens und des
Bewahrens in sich vereint.) Das Werden übersteigt sowohl das Nichts als auch
das Sein, aber es bewahrt sie in sich als sein Konzept, weil es letztlich nur den
Übergang vom Sein zum Nichts und vom Nichts zum Sein ist. Deshalb geht das,
was in der Entwicklung überwunden wird, nicht komplett verloren, sondern
bleibt idealerweise, zwar nicht mehr real, aber es bleibt. Die Entwicklung ist also das Wachstum, ein Fortschritt, der selbstverständlich keinerlei Bewertung
impliziert, kein Urteil.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: die Affirmation (Behauptung?), die erste
Negation und die zweite Negation oder die Negation der Negation
Innerhalb des Entwicklungsprozesses, der von der Aufhebung gekennzeichnet
ist, muss man auf drei Grundmomente hinweisen: die Affirmation, die erste Negation und die Negation der Negation oder auch zweite Negation.
Die Affirmation ist der erste Moment, der Beginn (im Falle des Beginns der Logik, das Sein). Sie ist die Position, das, was unmittelbar ist, das Ausgangskonzept.
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Die erste Negation hingegen besteht im Zurücknehmen jener Affirmation bzw.
dessen Negation (in unserem Falle das Nichts). Dieser Moment ist absolut essentiell, er ist der eigentliche Motor der Entwicklung. Wenn es ihn nicht gäbe,
gäbe es keine Entwicklung. Die Negativität ist eine Grundeigenschaft des Seins,
auch von uns selbst. Wir negieren unaufhörlich das, was ist, so gehen wir weiter,
so schreiten wir fort in unserem Leben. Manchmal sind wir müde und wir wünschen uns, zu entspannen, anzuhalten, positiv zu sein, angekommen und unbeweglich, affirmativ; aber nach einer Weile langweilt uns dies, und die Hektik,
wenn wir sie so nennen möchten, der Negativität beginnt von vorn. Wir verlassen die Position des Stillstands und beginnen eine neue Aktivität, neue Projekte.
Man könnte sagen, dass je nachdenklicher eine Person ist, desto negativer sie
hinsichtlich der Stabilität, also dessen, was ist, gegenübersteht. Sie will darüber
hinausgehen, es ändern. Der Moment der Negation ist der wahre dialektische
Moment bzw. der des Widerspruchs dessen, was ist. Deshalb stellt er den Moment der Suche nach seiner Überwindung dar.
Der dritte Moment ist schließlich der der zweiten Negation oder der Negation
der Negation, bzw. das Erreichen einer neuen Position, einer neuen Affirmation,
die der Ausgangsposition übergeordnet ist, weil sie in sich alles das trägt, was
ihr der negative Moment eingebracht hat. Diese Position ist also synthetisch. Sie
birgt in sich den gesamten Prozess der Negation, aber hat jetzt eine neue Stabilität erreicht.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: Die Unterscheidung des unendlichen
Richtig und Falsch, die Dialektik als reale Struktur
Diese neue Affirmation wird wiederum eine eigene Negation erfahren und so
wird der Prozess fortgeführt werden, aber nicht unendlich. In der Sequenz der
Kategorie werden nämlich auch die Kategorien des Endlichen und Unendlichen
erläutert. Das Endliche wird dabei vom affirmativen und negativen Teilmoment
der Entwicklung repräsentiert (im Falle der ersten Triade das Sein und das
Nichts). Das Unendliche ist hingegen der dritte Moment, der synthetische (in
unserem Falle das Werden). Daher muss man das Unendliche so verstehen, dass
es vollendet ist. Es ist das Resultat der Entwicklung, das die Momente enthält,
aus denen es resultiert, sowohl als überwundene als auch als bewahrte Momente.
Von diesem Konzept des Unendlichen, welches die wahre Unendlichkeit ist,
muss man die falsche Unendlichkeit unterscheiden. Die falsche Unendlichkeit
ist das, was wir allgemeinsprachlich als Unendlichkeit verstehen (die unendlichen Weiterentwicklung). Jene ist pure Wiederholung, ohne jemals zu einem
vollendeten Resultat zu gelangen, das der Entwicklung einen Sinn gibt.
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Diese kategorische Unterscheidung ist in der substantiellen Logik grundlegend,
weil sie weitreichende Folgen für den Menschen hat, beispielsweise in der
Ethik. Geht man von der falschen Unendlichkeit aus, so kann man sagen, dass
unser Leben ein positiver und negativer Prozess ist, mit dem wir am Ende nichts
erreichen: Viel Mühe kostet uns das Leben, am Ende für nichts. Wir bauen auf,
kämpfen, freuen uns und leiden, am Ende für nichts. Aber vom Standpunkt der
wahren Unendlichkeit aus ist das nicht so. Diesem zufolge ist es nämlich nicht
die Häufigkeit der Wiederholung, die zählt, sondern die Qualität ihres Resultates. Wir studieren, lernen und bestehen Prüfungen in einem kontinuierlichen
Prozess, der scheinbar zu nichts führt und repetitiv ist. Aber in diesem Prozess
verändern wir uns selbst, lernen einen Beruf, formen unseren Geist und werden
zum Resultat dieses Lernprozesses. Daher scheint es, dass wir eine unnütze Sequenz von positiven und negativen Momenten durchlaufen haben, eine Dialektik, aber das, was zählt, ist das Endergebnis, nicht die Note der Abschlussarbeit,
sondern unsere Vorbereitung, wir selbst als Resultat des dialektischen Lernprozesses. Wir selbst sind die wahre Unendlichkeit der Folge von endlichen Momenten (Unterrichtsstunden, Prüfungen, Seminare) usw. Der mit Schweiß verdiente Universitätsabschluss und die Opfer, die wir für die Prüfungen gebracht
haben, besiegeln den dialektischen Prozess und geben den endlichen Momenten
seiner Entwicklung einen Sinn. Sie sind das Zeugnis dessen, dass wir etwas gelernt haben, dass wir jemand anderes sind als, als wir uns an der Universität eingeschrieben haben. Wir haben uns qualifiziert, Fähigkeiten erarbeitet, die uns
dazu befähigen, einen Beruf innerhalb der Gemeinschaft, in der wir leben, auszuführen. Ein gekaufter Abschluss, ohne Lernprozess, hat keinerlei Wert, und
das nicht für die Gesellschaft, für die sie ihn sogar haben könnte, sondern für
uns und die Logik, weil der gesamte dialektische Lernprozess und der gesamte
Veränderungsprozess des Ichs ausbleiben (bzw. der Aufnahme von Wissen als
Früchte der von Anderen, von anderen Generationen geleisteten Arbeit usw.).
Auch eine Liebesbeziehung ist so: Die gesamte Reihe von Treffen, Gesprächen,
Küssen, Zärtlichkeiten und vielleicht auch Streitereien usw. ist so ein Prozess,
der als solcher zu einem Ergebnis, zu einer Unendlichkeit in Form des Liebespaares bzw. der Familie führen muss, um Sinn zu haben und wertvoll zu werden.
Die Familie enthält in sich den Prozess, d.h. die beiden Einzelpersonen, das Positive und das Negative, aber als eine Einheit, das Paar, in dem jeder sich im
Anderen wiedererkennt. In jenem Resultat existiert das Ich nur als Moment des
Paares, es ist aufgehoben, ist somit überschritten aber auch auf einem übergeordneten Level bewahrt. Es ist dank des Anderen nicht mehr alleine in der Gesamtheit des Paares, und jetzt kann es Ehemann, Ehefrau, Mutter, Vater werden.
Das solide Liebespaar ist wahrhaft unendlich, als Resultat des dialektischen Liebesprozesses. Das Paar generiert wiederum einen weiteren Prozess, nämlich den
der natürlichen und geistigen Zeugung (Erziehung) ihrer Kinder, in dem das
wahrhaft Unendliche im Ergebnis bzw. im gut erzogenen Kind besteht, welches
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seinerseits die Fähigkeit besitzt, in einer weiteren Liebesbeziehung weitere gut
erzogene Menschen zu hervorzubringen usw.
Schlussendlich liefert uns die substantielle Logik einen Schlüssel zur Interpretation der Realität, weil sie voraussetzt, dass die logischen Kategorien nach der
parmenidischen Auffassung von Gedanken und Sein nicht nur dem Gedanken,
sondern dem gesamten Sein eigen sind. Diese Auffassung ist das Fundament der
gesamten Geschichte der Metaphysik, und wir haben gesehen, dass sie von einem gnoseologischen und wahrheitstheoretischen Standpunkt aus dank der Theorie des “Ich verstehe” stets Gültigkeit besitzt.
Das Resultat (das wahrhaft Unendliche) als inneres Ende der Entwicklung
Diesen Grundprinzipien muss man ein weiteres hinzufügen, das des Resultats
als innerem Ende. Das Resultat ist nämlich nicht zufällig bzw. aus der Beziehung zwischen Affirmation und Negation geht nicht zufällig irgendeine Negation der Negation als Resultat hervor, sondern sie ist bereits von Beginn an als
Potenz vorhanden. Unsere erste Wahrnehmung des Seins als Affirmation beispielsweise und dann die des Nichts als dessen Negation, ist schon in sich Werden, welches dann am Ende als Resultat expliziert wird. Die Negation der Negation ist daher die Explizierung dessen, was im Übergangsprozess von der Affirmation zur ersten Negation bereits implizit enthalten ist. Daher arbeitet das
wahrhaft Unendliche bereits in seinen endlichen Momente und gibt ihnen einen
Sinn, der eben in ihrer Entwicklung besteht.
Kehren wir zurück zu unseren vorherigen Beispielen, so führen die Prüfungen
nicht zufällig zum Abschluss, sondern der Abschluss wird Stück für Stück mit
jeder Prüfung vorangebracht. Er ist dabei in jedem einzelnen Moment des Weges, der zum Endresultat führt, bereits präsent.
Im Fall des Liebespaares geschieht dasselbe: Der Mann und die Frau, die mit der
Zeit verstehen, dass sie sich lieben und zusammenleben wollen, leben dies nicht
nur an einem entscheidenden Tag, wie etwa dem ihrer Hochzeit, sondern in jedem einzelnen Moment ihres gemeinsamen Weges, der zu diesem Resultat führt.
Die wahre Unendlichkeit erscheint als solche erst am Ende des Prozesses, aber
sie ist im gesamten Prozess präsent, wenn auch still und versteckt.
Allgemeine Prinzipien des Absoluten: der Kreis als geometrische Figur, die den
dialektischen Prozess abbildet
Ein weiteres Grundprinzip der substantiellen Logik ist das des Kreises. Dieses
resultiert direkt aus dem, was wir gerade gesagt haben. Die passende geometrische Figur, die jene Logik visuell abbildet, ist nämlich keine Gerade oder Halbgerade, sondern der Kreis. Der Prozess zielt auf ein Resultat ab, das als solches
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in Idealform bereits vorher existierte. In diesem Sinne ist die Verwirklichung
des Resultats, das wahrhaft Unendliche also, die Verwirklichung des Ideals, eines Projektes, das von Beginn an in Idealform existiert. Im Falle der ersten Triade Sein, Nichts, Werden ist das Resultat das Werden, aber unsere anfängliche
Idee war es bereits, die Kenntnis der absoluten Vernunft zu erlangen, daher
wirkt sein Werden bereits als Objekt der Erkenntnis. Der Prozess ist also nicht
zufällig, sondern strebt danach, etwas Ideales zu verwirklichen, das der Entwicklung vorausgesetzt ist. Diese Entwicklung führt dann zurück zu jenem Ausgangspunkt des Kreises, mit dem Unterschied, dass am Anfang lediglich das
nicht realisierte Ideal war, das Konzept des Baumes im Samen, der Familie im
Liebespaar, das ein gemeinsames Leben beginnt, während das Endresultat im
verwirklichten Ideal besteht, d.h. im entstandenen Baum, der entstandenen Familie usw.
Grundprinzipien des Absoluten: die Kreativität
Das letzte Prinzip, das es noch zu nennen gibt, das aber zusammen mit dem der
Aufhebung die beiden wichtigsten darstellt, ist schließlich das der Kreativität.
Der gesamte logisch-dialektische Prozess ist kreative Schöpfung, in der Logik
die der Kategorien, in der Realität die des konkreten Seins. Die absolute Vernunft ist Schöpferin, sie gibt allem, was ist, Leben: dem Monos, über das wir gesprochen haben, dem Eins-Alles, das existiert und in seinem Inneren all jenes
hat, was geboren wird und stirbt.
Auch dieses Prinzip hat einen maßgeblichen Einfluss auf unser praktisches Leben: Es bedeutet nämlich, dass unser rationales Wesen nicht darin besteht, dass
wir fähig sind, zu verstehen, sondern vor allem, dass wir fähig sind, zu erschaffen. Unser Wesen ist das eines Schöpfers. Unser Glück und unsere Selbstverwirklichung bestehen in nichts anderem als in der Schöpfung, im Leben als
schöpferisches Wesen.
Etwas zu schaffen bedeutet zunächst, etwas zu konzeptualisieren (eine Reise, ein
Kunstwerk, eine Familie, ein Gesetz, ein handwerkliches Objekt usw.) und es
dann mittels verschiedener Momente, d.h. Entwicklungsphasen oder -stadien,
zu realisieren. Am Ende wird das vollendete Werk die wahre Unendlichkeit des
Prozesses vieler endlicher Momente sein (z.B. die Geburt der Kinder und die
Momente ihres Lebens, sind die endlichen Momente des Lebens einer Familie;
die Prüfungen sind die endlichen Momente eines Universitätsabschlusses; der
Bau des Fundaments und der verschiedenen Stockwerke sind die endlichen
Momente des Unendlichen in Form eines fertigen Hauses usw.).
Wir werden dieses Grundkonzept der Kreativität im ethischen Teil vertiefen. An
dieser Stelle war es wichtig, um eine Brücke zwischen Logik-Metaphysik und
Ethik zu schlagen.
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