Medizin aktuell Die Beweglichkeit erhalten Neuer Bandscheibenersatz kopiert die Natur fast perfekt Bandscheibenvorfälle an der Halswirbelsäule sind besonders unangenehm, und zwar für den Patienten wie auch den Arzt: In der Vergangenheit waren die Ergebnisse der „klassischen“ Bandscheibenoperation nicht immer gut – oft blieben die Schmerzen bestehen oder traten nach kurzer Besserung erneut auf. Mit dem Einsatz von Bandscheibenprothesen soll das nun der Vergangenheit angehören: ORTHOpress sprach im Münchner Wirbelsäulenzentrum am Stiglmaierplatz mit Dr. Ralph Medele und Dr. Marko Ständer über modernen Verfahren zum Ersatz der Bandscheibe. Herr Dr. Medele, warum ist eine Band­ scheibenoperation oft nicht erfolgreich? Dr. Medele: Das, was man normaler­ weise als Bandscheibenoperation be­ zeichnet, ist letztlich nichts anderes als das Entfernen des vorgefallenen Bandscheibenkerns. Damit soll der Druck auf den bedrängten Nerv verrin­ gert werden; etwaige neurologische Ausfallerscheinungen lassen nach. Die meisten Patienten sind auch nach ei­ nem solchen Eingriff beschwerdefrei, allerdings häufig nicht für lange. Was ist die Ursache für die wiederkeh­ renden Schmerzen? Dr. Ständer: Nach der Entfernung des Bandscheibengewebes bleibt zwi­ schen den Wirbeln nur der sogenannte äußere Faserring bestehen. Dieser wird jedoch mit der Zeit – schließlich muss 30 ORTHOpress 2 /2010 die Wirbelsäule ja den schweren Kopf tragen – zusammengepresst, sodass die Wirbel aufeinandersitzen. Die Folge ist eine Verengung (Stenose) der seit­ lichen Nervenaustrittslöcher (Neuro­ foramina) oder auch eine Arthrose des betroffenen Wirbelsäulensegmentes (Facettengelenksarthrose). Dies führt dazu, dass die verbleibende Restbe­ weglichkeit des Wirbelsegmentes im­ mer schmerzhafter wird. Neuartige Bandscheibenprothesen sol­ len diesen Zustand nun verhindern. Wa­ rum aber gab es diese nicht schon in der Vergangenheit? Dr. Medele: Die Idee ist nicht neu. Aber eine zuverlässige Bandscheiben­ prothese zu entwickeln, die einerseits Puffer zwischen den Wirbelkörpern ist, aber andererseits eine fast natürliche Bewegung zulässt, ist eine komplexe Aufgabe. Frühere Generationen von Bandscheibenprothesen hatten so­ wohl mit Designfehlern als auch mit Problemen wie Materialermüdung zu kämpfen. Glücklicherweise gibt es jetzt jedoch Lösungen, welche auch den besonderen anatomischen und funk­ tionellen Bedingungen der Halswirbel­ säule Rechnung tragen. Wie wird eine solche Prothese eingesetzt? Dr. Ständer: Für die Implantation be­ nötigt man nur einen kleinen Schnitt am Hals. Dabei muss kaum Muskelge­ webe durchtrennt werden und man ge­ langt ohne Gefahr für das Rückenmark zur Bandscheibe. Nach dem Abtragen störender Randzacken und dem voll­ ständigen Entfernen der Bandscheibe kann dann die Prothese in den Raum Medizin Aktuell Dr. Medele (links) und Dr. Ständer: „Wichtig ist, dass man mit dem Einsatz der Bandscheibenprothese nicht zu lange wartet, da sonst die degenerativen Veränderungen an den Wirbeln zu weit fortgeschritten sind.“ beinahe ohne Einschrän­ kungen. Auf bestimmte Ex­tremsportarten, wie Fallschirmspringen oder Bungee-Jumping, sollte man vielleicht eine Zeit lang verzichten. zwischen den Wirbeln eingesetzt wer­ den. Eine spezielle Rehabilitation ist nicht nötig, der Patient bleibt jedoch wenige Tage in stationärer Betreuung. Eine Beschränkung im Hinblick auf die Funktion besteht aber nicht: Die Halswirbelsäule mit der implantierten Bandscheibenprothese kann sofort bewegt werden. Falls es notwendig sein sollte, können wir in einer Opera­ tion auch mehrere Etagen gleichzeitig mit einem Implantat versorgen. Ein großer Pluspunkt der neuen Prothesen ist die Verlässlichkeit der Verankerung – so müssen gegenüber früheren Im­ plantaten wesentlich weniger Vorar­ beiten an den Wirbeln vorgenommen werden, was den Eingriff insgesamt einfacher und für den Patienten weni­ ger belastend macht. Darüber hinaus ist die Haltbarkeit heute so gut, dass man wirklich von einer lebenslangen Versorgung ausgehen kann – die Test­ verfahren versprechen umgerechnet mindestens etwa 35 bis 40 Jahre. Damit ermöglicht die Prothese auch langfristig ein völlig normales Leben Kann im Prinzip jeder Pati­ ent eine Bandscheibenpro­ these erhalten, oder gibt es dabei Einschränkungen? Dr. Medele: Wichtig ist, dass man nicht zu lange mit der Entscheidung für einen Eingriff wartet, denn mit der Zeit nutzen sich die zur Bandscheibe benachbarten Strukturen aufgrund der gestörten Biomechanik stark ab. Dann sind die degenerativen Verände­ rungen so weit fortgeschritten, dass der Einsatz einer Bandscheibenpro­ these nicht mehr sinnvoll ist. Auch bei starken Arthroseveränderungen der Zwischenwirbelgelenke bringt eine Prothese häufig nicht mehr die gewünschte Schmerzlinderung; hier sind die Patienten in aller Regel mit einer minimalinvasiven Versteifung besser bedient. Aber wie funktioniert das? Wird man dann nicht unbeweglich? Dr. Ständer: Bei einer Versteifung werden die betroffenen Wirbelkörper mit sogenanten Cages fest miteinan­ der verbunden, sodass sie innerhalb kurzer Zeit auf natürlichem Wege ver­ wachsen. Schrauben und Platten wer­ den hier nur sehr selten erforderlich, Das Wirbelsäulenzentrum am Stiglmaierplatz Das Wirbelsäulenzentrum am Stiglmaierplatz (www.WZAS.de) bietet ein breites Spektrum an modernsten Diagnose- und Therapieverfahren. In an­ genehmer Atmosphäre wird gemeinsam mit den Patienten ein individuelles Behandlungskonzept erarbeitet. Ein interdisziplinäres Expertenteam klärt zunächst ab, ob eine Behandlung auch ohne Operation erfolgversprechend sein kann. Sollte eine Operation unumgänglich sein, so stehen im WZAS Neurochirurgen mit langjähriger Erfahrung und modernsten minimalinvasi­ ven Operationsmethoden bereit. Mit einer Bandscheibenprothese kann die Wirbelsäule beweglich und gleichzeitig die Höhe des Zwischenwirbelraumes erhalten bleiben. wodurch der Umfang des Eingriffes überschaubar bleibt. Der Vorteil ist, dass man die natürliche Höhe des Zwischenwirbelraumes erhält und gleichzeitig die schmerzhafte Restbe­ weglichkeit unterbunden hat. Eine Ein­ schränkung in der Beweglichkeit wird vom Patienten meist nicht oder kaum wahrgenommen. So ist es nicht etwa so, dass man nach einem solchen Ein­ griff den Kopf nicht mehr wie gewohnt drehen kann: Vielmehr übernehmen die benachbarten Wirbelgelenke die Aufgabe der versteiften Segmente mit. Dies kann – muss aber nicht – zu Überlastungserscheinungen an den anderen Wirbelgelenken führen. Gera­ de deshalb ist es wichtig, dass solche Eingriffe von Spezialisten ausgeführt werden, die über eine große diesbe­ zügliche Erfahrung verfügen. Herr Dr. Medele, Herr Dr. Ständer, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch! Weitere Informationen Tel.: 089 - 54 34 30 30 www.WZAS.de ORTHOpress 2 /2010 31