Entwicklung von Expertenstandards zur Sicherung und

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Deutscher Schwerhörigenbund e.V.
Bundesverband der Schwerhörigen und Ertaubten
Referat „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“
Dipl.-Ing. Rolf Erdmann
Linzer Str. 4, 30519 Hannover
Tel./Fax: 0511/83 86 523
E-Mail: [email protected]
Entwicklung von Expertenstandards
zur Sicherung und Weiterentwicklung in der Pflege
Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V.
Vorbemerkungen
Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (im Folgenden kurz: DSB) verfolgt seit vielen Jahren das Ziel,
dass die Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen, die zusätzlich hörgeschädigt sind, angemessen
berücksichtigt werden. Dies ist bisher aus verschiedenen Gründen keineswegs gewährleistet.
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Pflegegutachter des MDK als auch Pflegepersonal und Betreiber von Pflegeeinrichtungen verfügen nur selten über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der Situation pflegebedürftiger Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung.
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Die Kommunikationsprobleme hörgeschädigter Pflegepatienten werden nicht erkannt, was zu fehlerhaften Entscheidungen bei Begutachtung und Durchführung der Pflege führt.
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Die vorliegende Hörschädigung wird in Pflegeheimen vielfach nicht erkannt, so dass mitunter völlig falsche Maßnahmen (z.B. falsche medikamentöse Behandlung in Annahme einer Demenzerkrankung) ergriffen werden.
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Noch weitaus gravierender ist die Situation für an Demenz erkrankte Patienten, deren Schwerhörigkeit nicht erkannt wird.
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Hörgeschädigte Pflegepatienten sind oft mit Hörgeräten unterversorgt bzw. tragen diese aus verschiedenen Gründen sehr selten oder gar nicht.
Auch wird die Zahl von pflegebedürftigem Menschen mit zusätzlicher Hörschädigung sehr unterschätzt. Pflegebedürftige Menschen sind in der Regel 60 Jahre und älter. Bei Menschen über 60 Jahren ist ein Anteil von 35% hörbeeinträchtigt, bei Menschen über 70 Jahren beträgt dieser Anteil bereits 54%1. Nach neuesten Angaben soll dieser Anteil bei über 80jährigen Menschen sogar 90% betragen2. Man kann somit davon ausgehen, dass zwischen 30 und 50 % der pflegebedürftigen Menschen in Pflegeheimen schwerhörig oder ertaubt sind. In konkreten Zahlen: Nach einer sehr vorsichtigen Schätzung auf Basis der SOHN-Untersuchung sind mindestens 390.000 pflegebedürftige Menschen in Deutschland zusätzlich hörgeschädigt.
Zwei vor wenigen Jahren veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen3 über die Situation hörgeschädigter Menschen in der Altenpflege sind zu ähnlichen Ergebnissen wie der DSB gekommen.
1
Quelle: Studie von Wolfgang SOHN (Universität Witten): Zahl der Hörgeschädigten in Deutschland, Bericht von 1999
2
Quelle: Studie der Fakultät für Medizin und Gesundheit von der Universität Wisconsin, Madison, veröffentlicht in: Hearit.org vom 01.08.11
3
Forschungsprojekt „Hörbeeinträchtigungen bei Bewohnern von Einrichtungen der stationären Altenpflege“, FriedrichAlexander Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Psychogerontologie, Abschlussbericht vom Mai 2006
DSB-Bundesgeschäftsstelle
Geschäftsführer Jens Steffens
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Telefon: (030) 47 54 11 14
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BIC: BFSWDE33BER
Berlin-Charlottenburg, VR 25501
Mitglied in der
BAG Selbsthilfe e.V.
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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Zur Verdeutlichung wird eine Ausarbeitung des Autors dieser Stellungnahme hinzugefügt, in der die
aus der UN-Behindertenrechtskonvention ableitbaren Forderungen enthalten sind. Diese Ausarbeitung ist Teil dieser Stellungnahme.
Die nachfolgenden Expertenstandards betreffen nicht nur Pflegeeinrichtungen, Seniorenheime, ambulante Pflegedienste, Pflegestützpunkte, Pflegebegleitdienste und Pflegeberatungseinrichtungen,
sondern auch die stationäre Palliativversorgung, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen. Auch
hier muss die sichergestellte Kommunikationsfähigkeit des Patienten mit Hörbehinderung durch geeignete Hilfsmittel oder Hilfsangebote gewährleistet sein.
Bei allen nachfolgend aufgeführten Maßnahmen und Vorschlägen hält es der DSB für erforderlich,
dass er als zuständiger anerkannter Behindertenverband bei deren Planung und Durchführung einbezogen wird, damit die Belange dieser Patientengruppe fachkompetent vertreten und im Endergebnis
angemessen berücksichtigt werden.
Der DSB hält zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflege die Berücksichtigung folgender Expertenstandards für zwingend erforderlich:
1. Expertenstandard Ausbildung
Ausbildung als Altenpfleger/ Pflegefachkraft
Sachverhalt
In der Ausbildung als Altenpfleger/ Pflegefachkraft wird das Thema Schwerhörigkeit und deren Folgen
in der Pflege nur unzureichend, nahezu am Rande behandelt. Besonders der Umgang mit hörgeschädigten Patienten und der von ihnen genutzten Technik wird kaum vermittelt. Ebenso wenig werden die psychosozialen und kommunikativen Bedürfnisse schwerhöriger Pflegepatienten in der Ausbildung angemessen behandelt.
Fehlerhafte Verhaltensweisen des Pflegepersonals gegenüber hörgeschädigten Pflegepatienten werden durch derartige Ausbildungsmängel verursacht.
Vorschlag des DSB
Der DSB sieht daher eine entsprechende Änderung der Altenpflege-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für dringend geboten an.
Folgende Ausbildungsinhalte werden als besonders notwendig angesehen:
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Schwerhörigkeit und Ertaubung: Anatomie, Ursachen, Anzahl, Arten, psychosoziale Auswirkungen, Bewältigungsformen,
Folgen von Schwerhörigkeit bzw. Ertaubung in der Pflege,
Abgrenzung der Schwerhörigkeit bzw. Ertaubung von einer Demenzerkrankung,
Bedingungen für eine erfolgreiche Kommunikation, richtiger Umgang mit hörgeschädigten Pflegepatienten, Vorstellung unterschiedlicher Kommunikationsformen
Medikamente, die das Gehör gefährden,
Technische Hilfen für Hörgeschädigte,
Barrierefreie Ausstattung von Pflegeeinrichtungen.
Der Gesetzgeber sollte nach Auffassung des DSB vorschreiben, dass diese Inhalte Pflichtteil der
Ausbildung zum Altenpfleger sind. Es wird bei der detaillierten Ausarbeitung dieser Inhalte eine Zusammenarbeit mit dem DSB angeboten, der über entsprechendes Know-How verfügt.
Der DSB hält es für erforderlich, dass auch die vorhandenen Altenpfleger eine derartige Schulung
zwingend zu absolvieren haben. Es sollte im Gesetz vorgeschrieben werden, dass eine solche Zusatz-Schulung innerhalb eines festgelegten Zeitraumes zu absolvieren ist.
Projekt „Die Versorgungssituation hörbehinderter alter Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe“, Universität
Dortmund, Institut für Gerontologie, Endbericht vom Mai 2006
Beide Arbeiten wurden durch die GEERS-Stiftung gefördert.
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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Hierbei kann ein vom DSB erarbeitetes Schulungsprogramm für das Pflegepersonal hörgeschädigter
Pflegepatienten verwendet werden.
Auch bei anderen Berufsgruppen, die mit hörgeschädigten Pflegepatienten zu tun haben, z,B. Sozialarbeiter, Ärzte einschl. Notärzte, Rettungssanitäter etc. sollten entsprechende Inhalte Pflichtteil der
Ausbildung oder nachträglicher Schulung sein.
Ausbildung/ Ernennung von Beauftragten für Hörgeschädigte
Sachverhalt und Vorschlag des DSB
Nach Auffassung des DSB sollte jede Pflegeeinrichtung einen Beauftragten für Hörgeschädigte ernennen, dessen Aufgabe es u.a. ist, als Ansprechpartner bei Kommunikationsproblemen zu dienen.
Ein solcher Beauftragter – das könnte ein Pflegeassistent oder Audiotherapeut sein – soll dem Personal wie auch den Patienten Hilfestellung geben und Probleme bewältigen zu helfen.
Der Beauftragte für Hörgeschädigte muss die verschiedenen Kommunikationsformen der Hörgeschädigten (deutliche Sprache, lautsprachbegleitende Gebärden, Deutsche Gebärdensprache, notfalls
aufschreiben) beherrschen. Auf diese Weise kann er in der Lage sein, bei Kommunikationsproblemen
zwischen Patient und Pflegepersonal Hilfestellung zu geben. Des Weiteren muss er spezielle Kenntnisse aufweisen, z.B. Informationen geben über technische Hilfen, spezielle Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen für schwerhörige und ertaubte Menschen, Schwerbehindertenausweis sowie Hilfestellung zu deren Beantragung bieten.
Zur Durchführung dieses umfangreichen Tätigkeitsfeldes ist nach Auffassung des DSB eine besondere Ausbildung notwendig, an der Berater des DSB beteiligt sein sollten.
Ausbildung der MDK-Pflegegutachter
Sachverhalt
Auch in der Ausbildung der MDK-Pflegegutachter werden nach Wissen des DSB entsprechende
Kenntnisse über das Thema Schwerhörigkeit allenfalls am Rande vermittelt. Dementsprechend werden bislang die Belange von pflegebedürftigen Menschen mit zusätzlicher Hörschädigung kaum angemessen berücksichtigt und im schlimmsten Fall falsch beurteilt. Die pflegebedürftigen Menschen
mit zusätzlicher Hörschädigung haben ein Recht darauf, dass ihre Hörfähigkeit und die Folgen einer
Hörbeeinträchtigung von den MDK-Pflegegutachtern richtig eingeschätzt werden und die Empfehlungen für die weitere Behandlung zutreffend sind.
Vorschlag des DSB
Daher ist der DSB der Auffassung, dass das Thema Schwerhörigkeit in die Ausbildung für MDKPflegegutachter zwingend aufzunehmen ist.
Der DSB bietet seine kompetente Mitarbeit bei der Überarbeitung bzw. Erweiterung der Ausbildung
für die MDK-Pflegegutachter an.
2. Expertenstandard Erstuntersuchung durch den MDK-Gutachter
Sachverhalt
Bei der Erstuntersuchung durch den MDK-Gutachter wird nach Erfahrung des DSB nicht oder nicht
ausreichend der Hörstatus des Antragstellers festgestellt. Ursächlich hierfür sind zwei Faktoren:
Bekanntlich wollen ältere Schwerhörige ihre Kommunikationsprobleme nicht wahrhaben, leugnen sie
gegenüber ihrer Umgebung und verstecken sie aus falscher Scham. Daher führen Fragen nach dem
Hörstatus nicht selten zu falschen Antworten. Vielfach werden daher hörgeschädigte Pflegepatienten
von MDK-Gutachter fälschlich für demenzkrank gehalten und entsprechend eingestuft.
Grund für diese fehlerhafte Einstufung ist vor allem der Fragenkatalog zum Thema „Demenz“ im von
den Pflegegutachtern zu verwendenden Formulargutachten. Etliche Kriterien, die auf Demenz schließen lassen, wie z.B. „auffällige Antriebslosigkeit“, „auffällige Stimmung“, „auffällige Kommunikation
Stellungnahme des DSB
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und Sprache“, „Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren“ oder „therapieresistente Depression“ u. dgl. treten auch bei Vorliegen einer hochgradigen Hörbehinderung bzw. Ertaubung
auf. Beispiele: Angst vor quälenden Ohrgeräuschen, die zu Schlafstörungen führen, Angst vor einem
Morbus-Menière-Anfall oder Furcht vor lauten Geräuschen bei Hyperakusis, Angst vor Isolation, Depressionen wegen bestehender Isolation. Eine verwaschen klingende Sprache kann durch eine Hörschädigung verursacht sein.
Vorschlag des DSB: Hinzuziehung eines HNO-Facharztes
Wegen der Verwechselungsgefahr einer Hörbehinderung mit einer Demenzerkrankung müssen die
Gründe für die aufgeführten Verhaltensweisen exakt ermittelt werden. Dies ist nur durch Hinzuziehung eines HNO-Facharztes möglich. Die Folgen im Verhalten bei Vorliegen einer Hörbehinderung
müssen strikt und sehr sorgfältig von den Verhaltensweisen beim bei Vorliegen einer „Demenzerkrankung“ auseinander gehalten und getrennt voneinander geprüft werden.
Beim Erstbesuch ist grundsätzlich mit einem transportablen Schnell-Hörtestgerät ein grober Hörtest
durchzuführen. Bei Auffälligkeiten und jedem Verdacht auf eine Höreinschränkung ist grundsätzlich
ein HNO-Arzt ggf. auch ein Hörgeräteakustiker oder ein Audiotherapeuten hinzuziehen, der eine objektive Hörprüfung vornimmt.
Derartige Hörteste sind auch bei bereits anerkannten Pflegebedürftigen in Pflegeheimen durchzuführen und regelmäßig zu wiederholen, damit neu hinzutretende Hörprobleme oder Verschlechterungen
bekannter Hörschäden erfasst werden. Denn der einmal festgestellte Hörstatus ist keine Konstante,
er kann sich verändern, und zwar in Regel zum Schlechteren. Derartige Hörteste sind aus Sicht des
DSB zwingend vorzuschreiben, um Fehldiagnosen und Falschbehandlungen zu vermeiden.
In der Pflegerichtlinie sind Kriterien aufgeführt, die auf eine Demenzerkrankung hinweisen, aber auch
bei einer Hörschädigung auftreten können. Zur eindeutigen Abgrenzung und um falsche Zuordnungen
zu verhindern ist in solchen Fällen Einbeziehung von HNO-Ärzten vorzuschreiben.
Begründungen des DSB
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Schwerhörige ältere Menschen geben ihre Hörprobleme selten zu und sind oft wahre Meister im
Kaschieren ihrer Schwerhörigkeit, was in der kurzen Erstuntersuchung unbemerkt bleiben kann.
Fehlerhafte Diagnosen wie „Demenzerkrankung“ und entsprechend falsche medikamentöse Behandlungen (z.B. Verabreichung von Psychopharmaka) oder gar eine stationäre Unterbringung
können die Folge sein.
Neben den desaströsen Folgen für den Betroffenen werden erhebliche und völlig unnötige Kosten
verursacht! Den pflegebedürftigen Menschen mit zusätzlicher Hörbehinderung wird die Möglichkeit genommen, selbstbestimmt zu leben und an den gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzuhaben.
Anmerkungen zur Dauer des Erstgespräches
Dem DSB sind Überlegungen bekannt, die Begutachtungsdauer im Erstgespräch auf eine Stunde zu
begrenzen.
Nach Auffassung des DSB kann innerhalb dieser kurzen Begutachtungsdauer eine Hörschädigung
nicht zweifelsfrei erkannt werden. Da schwerhörige Senioren ihre Kommunikationsprobleme meist
leugnen, führen Fragen nach dem Hörstatus nicht selten zu falschen Antworten. Eine Begutachtungszeit von 60 Minuten ist insbesondere als irreal anzusehen im Falle von ertaubten und gehörlosen Patienten, da die Kompensation der Behinderung (Aufschreiben, Nutzung eines Schrift- oder Gebärdensprachdolmetschers) sehr zeitaufwändig ist.
Der DSB lehnt daher eine Begrenzung der Begutachtungsdauer im Erstgespräch pauschal auf eine
Stunde ab. Statt dessen ist die Dauer abhängig vom Einzelfall abhängig zu regeln.
Anmerkungen zur Kooperationen mit HNO-Ärzten
In Senioren- und Pflegeheimen gibt es bislang nur in seltenen Ausnahmefällen dauerhafte Kooperationen mit HNO-Ärzten. In Anbetracht der Tatsache, dass bei einem großen Teil der Pflegepatienten
eine Hörschädigung vorliegen dürfte sowie die erhöhte Möglichkeit von plötzlich auftretender Schwer-
Stellungnahme des DSB
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hörigkeit (z.B. Hörstürze) besteht, ist eine ständige Zusammenarbeit der Senioren- und Pflegeheime
mit HNO-Ärzten zur Beobachtung bzw. rasch einsetzender Behandlung notwendig.
3. Expertenstandard Begutachtung von pflegebedürftigen Kindern und
Jugendlichen mit zusätzlicher Hörschädigung
Sachverhalt
Bei pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen mit zusätzlicher Hörbehinderung besteht ein besonderer Bedarf an pflegerischer Zuwendung, besonders in kommunikativer Hinsicht. Das Pflegepersonal muss z.B. in der Lage sein, sich bei Erfordernis mit den pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen mit lautsprachbegleitenden Gebärden, Deutscher Gebärdensprache oder anderen Kommunikationsformen zu verständigen.
Vorschlag des DSB
Nach Auffassung des DSB ist für das Pflegepersonal von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen mit zusätzlicher Hörschädigung eine spezielle Ausbildung mit dem Ziel „richtiger Umgang im
Gespräch“ unerlässlich. Derartige Ausbildungsgänge sollten in Zusammenarbeit mit dem DSB erarbeitet und angeboten werden. Besonderer Wert ist auf das Erlernen von lautsprachbegleitenden Gebärden, Deutscher Gebärdensprache oder anderen Kommunikationsformen zu legen, da diese eine
wichtige Funktion bei der Kommunikation mit hörgeschädigten Kindern einnehmen können.
Dem DSB sind keine Zahlen über das Aufkommen von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen
mit zusätzlicher Hörbehinderung bekannt. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Zahl - ebenso wie
das Aufkommen pflegebedürftiger Kinder und Jugendlicher generell - relativ niedrig sein dürfte. Die
geringe Zahl Betroffener darf jedoch nicht dazu führen, dass der besondere Bedarf junger hörbehinderter Pflegepatienten an pflegerischer Zuwendung unterschätzt oder gar vernachlässigt wird. Aufgrund der kommunikativen Einschränkungen ist im Gegenteil eine erhöhte Zuwendung erforderlich.
Bei der Begutachtung von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen mit zusätzlicher Hörbehinderung müssen daher wesentlich längere Pflegezeiten festgelegt werden als bei gleichartig pflegebedürftigen, aber guthörenden Kindern und Jugendlichen.
4. Expertenstandard Bemessung Pflegezeit
Sachverhalt
Bisher wird der zusätzlich für die Kommunikation zwischen Pflegepersonal und Pflegepatient erforderliche Zeitaufwand nicht angemessen berücksichtigt. Die gravierenden Auswirkungen einer Hörminderung auf den Zeitbedarf werden nicht erkannt.
Zwar ist in der Richtlinie festgelegt, dass „Blindheit oder Taubheit allein noch nicht die Pflegebedürftigkeit begründet“. Gleichwohl müssen die Auswirkungen einer Schwerhörigkeit oder Taubheit sowie
von Tinnitus oder Morbus Menière bei der Pflegezeitbemessung berücksichtigt werden, die in Form
von pflege-erschwerenden Faktoren einkalkuliert werden können.
Hinweis: Mit dem Besitz von Hörgeräten ist keineswegs ein Merkmal für eine Erleichterung der Pflege
gegeben. Auch mit richtig eingestellten Hörgeräten ist ein fehlerfreies Verstehen keineswegs immer
gegeben, besonders bei hochgradiger Schwerhörigkeit. Allzu oft besteht eine Unterversorgung mit
Hörgeräten, mit denen das Sprachverstehen problematisch ist.
Vorschlag des DSB
Eine Erhöhung der Pflegezeiten bei Vorliegen einer zusätzlichen Hörbehinderung ist aus Sicht des
DSB unbedingt geboten. Eine pauschale Zeitfestlegung kann zu erheblichen Ungerechtigkeiten führen, daher sind auf den Einzelfall bezogene Pflegezeiten festzulegen.
In der Pflegerichtlinie ist festgelegt, dass „Blindheit oder Taubheit noch nicht die Pflegebedürftigkeit
begründet“. Diese Aussage bedarf aus Sicht des DSB folgender Ergänzung: „Treten jedoch zu einer
festgestellten Pflegebedürftigkeit eine hochgradige, die Kommunikation beeinträchtigende Schwerhörigkeit oder Ertaubung hinzu, so muss der bei allen Verrichtungen der Grundpflege zusätzliche, für
Stellungnahme des DSB
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eine angemessene Kommunikation zwischen Pflegepersonal und Pflegepatient erforderliche Zeitaufwand gesondert individuell festgestellt und berücksichtigt werden.“
Begründungen des DSB
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Anders als bei gut hörenden Pflege-Patienten sind bei Hörgeschädigten Anweisungen und Gespräche „nebenher” nicht möglich. Um verstehen zu können, sind Schwerhörige meist und Ertaubte grundsätzlich immer auf das Absehen vom Mund angewiesen. Das bedeutet: Sichtkontakt ist
Grundvoraussetzung für eine funktionierende Kommunikation.
Mundabsehen ist sehr schwer, erfordert eine hohe Konzentration und eine gute Kombinationsgabe. Menschen im höheren Lebensalter können Mundabsehen meist nur sehr begrenzt erlernen.
Viele Wörter sehen ähnlich aus (Beispiel: Mutter - Butter), viele Konsonanten werden im Mund
gebildet oder sind gar nicht abzusehen. Es kann höchstens 30% des Gesprochenen durch Absehen verstanden werden, der Rest muss kombiniert werden.
Bei Nichtverstehen ist zeitaufwändiges Aufschreiben die einzige Möglichkeit zur Kommunikation.
Zusammenhänge oder Vorgänge müssen oft mit großer Geduld, mitunter mehrfach, erklärt werden. Bei Ungeduld des Pflegers wird der Hörgeschädigte selbst nervös, unsicher und versteht
dann erfahrungsgemäß noch weniger.
Wenn schwerhörige Pflegepatienten ihre Hörgeräte nicht tragen können, z.B. beim Waschen oder
beim Röntgen, können sie nichts verstehen. Es sind besondere, zeitaufwändige Vorkehrungen zur
Kommunikation erforderlich.
Zu bedenken ist, dass das Hörvermögen im Tagesverlauf oder wetterabhängig unterschiedlich
sein kann. Die Einstellung der Hörgeräte muss verändert werden, es ist zu prüfen, ob Sprachverstehen möglich ist. Dieser Vorgang kostet ebenfalls zu berücksichtigende Zeit!
Nach einer Modellrechnung des DSB-Referats „Hörgeschädigte Senioren und Patienten“ werden
für die Morgentoilette doppelt so viele Pflegeminuten bei hörgeschädigten Patienten benötigt wie
bei gut hörenden, gleichartig pflegebedürftigen Patienten. Darin sind Pflegetätigkeiten enthalten,
die bisher kaum berücksichtigt wurden: Reinigung und Anlegen der Hörgeräte, fach- und situationsgerechtes Einstellen der Lautstärke, Funktionsprüfung von Geräten/ Schallschlauch/ Batterien.
Bleiben diese zusätzlichen Zeiten unberücksichtigt, so kommt die Pflege oder die erforderliche
menschenwürdige Kommunikation zu kurz.
Wenn aus Zeitmangel die Kommunikation vernachlässigt wird, entsteht ein nicht hinnehmbares
pflegerisches Defizit mit erheblichen Auswirkungen auf den psychischen Zustand des Patienten,
der sich unverstanden, ausgeliefert, unglücklich und abgeschoben fühlt. Dadurch können sich
Verschlechterungen der Gesundheit ergeben, die Pflegesituation wird erschwert, was zu höheren
Kosten führen kann. Die heilende oder zumindest therapieunterstützende Wirkung der kommunikativen Zuwendung darf nicht außer Acht gelassen werden.
Eine funktionierende Kommunikation zwischen Pfleger und Pflegepatient ist Grundvoraussetzung
für das Erreichen verschiedener Pflegeziele wie Unterstützung, Beaufsichtigung und Anleitung.
Bei gestörter Kommunikation ist mehr Zeit erforderlich, um einem hörgeschädigten Pflegepatienten Sachverhalte mündlich oder ggf. schriftlich zu erläutern. Ohne ggf. mehrfaches Wiederholen
des Gesagten wären alle Bemühungen für mehr Selbständigkeit vergebens.
Bei gleichzeitigem Vorliegen von Schwerhörigkeit und Demenz muss ein weiterer erhöhter zeitlicher Mehraufwand berücksichtigt werden.
5. Expertenstandard Hörgeräteversorgung
Sachverhalt
Nach Erfahrung des DSB und auch aus Angaben in der Literatur muss konstatiert werden, dass nur
wenige hörgeschädigte Pflegepatienten angemessene Hörgeräte besitzen und diese auch regelmäßig benutzen. Ein großer Teil dieses Personenkreises ist unversorgt oder - mit nicht ausreichenden
Hörgeräten - unterversorgt.
Bei der Untersuchung durch den MDK wird derzeit lediglich festgestellt, ob Pflegehilfsmittel (z.B. Hörgeräte) vorhanden sind. Nicht geprüft wird, ob die Hörgeräte dem Bedarf entsprechen, ob sie regelmäßig genutzt werden und warum dies ggf. nicht der Fall ist. Die Beseitigung einer evtl. vorhandenen
Stellungnahme des DSB
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Unterversorgung kann nur erfolgen, indem ein HNO-Arzt nach Untersuchung neue Hörgeräte verordnet, die durch einen Hörgeräteakustiker angepasst werden. Bei beidseitig vorhandener Schwerhörigkeit sind zwei Hörgeräte zu verordnen und müssen auch getragen werden können.
Gleichfalls muss geprüft werden, ob der Pflegepatient überhaupt in der Lage ist, die Geräte selbständig einzusetzen und zu bedienen, Batteriewechsel vorzunehmen und die notwendige Pflege und Wartung durchzuführen. Sollte der Patient hierzu nicht mehr fähig sein, müsste das Pflegepersonal diese
Aufgaben übernehmen und die hierfür notwendige Zeit zur Verfügung gestellt werden.
Grund für eine Unterversorgung kann der von den Patienten zu tragende Eigenanteil sein, der nach
Ermittlungen des DSB durchschnittlich für zwei Hörgeräte bei 1.600 € liegt, im Einzelfall sogar ca.
5.000 € betragen kann. Da der Pflegepatient diese Kosten gewöhnlich nicht bezahlen kann, müssen
sie von einem Kostenträger übernommen werden.
Eine Unterversorgung mit Hörgeräten hat zur Folge, dass kein ausreichendes Sprachverstehen erzielt
wird, die Hörgeräte deshalb nicht getragen werden und in der Schublade landen. Dies hält der DSB
für gesundheitspolitisch unverantwortlich, zumal mangelndes Sprachverstehen den angestrebten
Pflege-Therapiezielen zuwiderläuft und darüber hinaus aufgrund der entstehenden Isolation zusätzliche psychische und physische Erkrankungen hervorrufen kann.
Vorschlag des DSB
Die Prüfungsvorgaben für den MDK müssen bei vorhandenen Hörgeräten überarbeitet und ergänzt
werden.
Der DSB empfiehlt eine Härtefallregelung für hörgeschädigte Pflegepatienten bei der Hörgeräteversorgungen vorzusehen, die eine Befreiung bzw. Verringerung von den Eigenleistungen enthält.
Nach der Erfahrung des DSB sind mitunter - über die Hörgeräte hinaus - weitere Kommunikationshilfen wie z.B. FM-Anlagen oder Induktionsanlagen notwendig. Auch hier bestehen Probleme mit der
Finanzierung, da die Krankenkassen oft Anträge auf Kostenübernahme ablehnen.
6. Expertenstandard Rehabilitationsmaßnahmen bei Hörschädigung
Sachverhalt
Im Rahmen der Erst- oder Nachuntersuchung sind seitens des MDK-Pflegegutachters Vorschläge zur
Rehabilitation zu erarbeiten.
In den Formularen der Pflegegutachter sind die neurologischen, orthopädischen oder kardiologischen
Rehabilitationen namentlich aufgeführt. Als Rehabilitationsmaßnahmen werden u.a. Physikalische
Therapie, Ergotherapie und Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie genannt.
Es fehlen jegliche Hinweise darauf, dass auch bei pflegebedürftigen Menschen mit zusätzlichen Hörbehinderungen Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich sein können, z.B. Kommunikationstraining im
Nachgang einer Hörgeräteversorgung, Audiotherapie oder Tinnitustherapie.
Vorschläge des DSB
Kommunikationstraining
Nach einer Hörgeräteversorgung, besonders wenn es sich um eine Erst-Versorgung handelte, muss
gewährleistet sein, dass die erforderlichen Hilfsmittel tatsächlich regelmäßig benutzt werden. Dies ist
nur dann der Fall, wenn das neue Hören mit Hörgeräten richtig gelernt und geübt wird. Es ist zu bedenken, dass das hörentwöhnte Ohr mit den vielen neu gehörten Geräuschen nicht zurecht kommt.
Leider ist es nicht möglich, Hörgeräte einfach anzulegen und dann sofort besser zu hören (wie etwa
eine Brille sofort besseres Sehen ermöglicht). Vielmehr handelt es sich oft um einen langen Gewöhnungsprozess, der nur durch entsprechendes Training verkürzt und optimiert werden kann.
Durch ein „Kommunikationstraining mit Hörgeräten“ wird vermieden, dass die Hörgeräte unbenutzt in
Schubladen landen. Gleichzeitig wird durch das Training die Kommunikation zwischen Pflegepersonal
Stellungnahme des DSB
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und Patient erleichtert und so eine Verbesserung der Pflegesituation bewirkt. Das Kommunikationstraining kann von Audiotherapeuten oder Hörgeräteakustikern durchgeführt werden.
Audiotherapie und Tinnitustherapie
Es ist wichtig, dass die mit Schwerhörigkeit, Ertaubung und Tinnitus typischerweise einhergehenden,
oft sehr erheblichen psychischen Begleiterscheinungen und deren gesundheitlichen Auswirkungen
erkannt und berücksichtigt werden sowie die zutreffenden Rehabilitationsmaßnahmen vorgeschlagen
werden. Hierbei handelt es sich vor allem um Audiotherapie und Tinnitustherapie.
Unter Audiotherapie versteht man die erforderlichen Rehabilitationsmaßnahmen nach einer akuten
Schwerhörigkeit, nach einem Hörsturz und nach erfolgter Hörgeräteversorgung. Audiotherapie führt
zu einem optimalen Verstehen mit den Hörgeräten. Wird dies nicht erreicht, ist die Investition in Hörgeräte vergebens, es werden „Schubladengeräte“.
Eine Tinnitustherapie ist bei einem dekompensierten Tinnitus quälenden Ausmaßes erforderlich, bei
der dem Tinnitusbetroffenen beigebracht wird, den Tinnitus zu ertragen und mit ihm zu leben.
Entsprechende Maßnahmen können im Einzelfall notwendig sein, daher müssen die MDKPflegegutachter diese Angebote kennen.
Rehabilitationsmaßnahme nach CI-Versorgung
Nach einer erfolgreichen Versorgung mit einem oder zwei Cochlea Implantaten (kurz: CI) müssen die
Betroffenen das neue Hören mit dem CI erlernen. Nicht immer sind die der Operation folgenden stationären Maßnahmen der operierenden Kliniken hierzu ausreichend. Dementsprechend sind Rehabilitationsmaßnahmen in speziellen Kliniken angezeigt.
Anmerkung: Bei Pflegepatienten mit Hörbehinderung ist eine solche Maßnahme bisher wohl selten
gegeben, wird aber der Vollständigkeit halber aufgeführt und sollte den MDK-Pflegegutachtern bekannt sein.
7. Expertenstandard Barrierefreie Ausstattung von stationären Pflegeeinrichtungen
Sachverhalt
In der Richtlinie wird nach Technischen Hilfen und baulichen Maßnahmen gefragt. Bei Maßnahmen
zur Barrierefreiheit in Pflegeeinrichtungen wird fast ausschließlich an die Belange von Menschen mit
Gehbehinderungen gedacht. Dagegen werden die Bedürfnisse pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung gewöhnlich weder erkannt noch berücksichtigt. Weder während der Planung noch in der Praxis wird daran gedacht, dass bei ca. 30 bis 50% der pflegebedürftigen Patienten
in Pflegeeinrichtungen Kommunikationsprobleme bestehen.
In Pflegeheimen gibt es meist keinerlei technische Hilfen für Hörgeschädigte, weder im Wohnbereich
oder Gemeinschaftsräumen, noch in Arbeits- oder Therapieräumen. Die Situation in Heimen ist auf
guthörende Menschen zugeschnitten und für die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Hörbehinderungen nicht geeignet.
Zur Erleichterung der Pflegesituation und auch zur verbesserten Einbindung dieser Patienten sollte
eine nachträgliche barrierefreie Ausstattung durchgeführt werden. Die neue DIN 18 040 enthält entsprechende weiterführende Hinweise.
Vorschläge des DSB
Optische Anzeigen statt Lautsprecheraufrufe
Patientenaufrufe über Lautsprecher in einer Pflegeeinrichtung sollten durch optische Anzeigen, z.B.
mit Nummernaufruf ergänzt werden.
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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Optische Warnanlagen
Überall dort, wo in einer Pflegeeinrichtung akustische Warnanlagen, z.B. für Feuer- oder Terroralarm,
vorhanden sind, müssen zusätzlich optische Warnanlagen installiert werden.
Barrierefreie Telekommunikation
Mit normalen Telefonen in den Patientenzimmern können pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher
Hörbeeinträchtigung meist nichts anfangen. Es müssen daher schwerhörigengerechte Telefone angeboten werden. Hiermit sind einesteils besondere Telefone gemeint, andererseits auch anschließbare Telefonverstärker gemeint.
Eine zusätzliche Telefon-Lichtklingel muss vorhanden sein, da der hohe Klang der Telefonklingeln oft
nicht wahrgenommen werden kann.
Nur so können hörgeschädigte Pflegepatienten ihr Recht auf Kommunikation mit der Außenwelt ausüben.
Für ertaubte und gehörlose Patienten sollte ein Faxgerät vorhanden und nutzbar sein. Ebenso sind
Internetanschluss und e-Mail im Einzelfall als Kommunikationsform wünschenswert.
Barrierefreie Unterhaltungselektronik
Fernsehgeräte in Zimmern und insbesondere in Gemeinschaftsräumen sind nur dann für Hörgeschädigte barrierefrei, wenn sie mit Videotext-Decoder ausgestattet, um den Empfang von Untertiteln zu
ermöglichen. Weiterhin ist eine Übertragungseinrichtung für den Tonempfang notwendig.
Wenn für den Rundfunkempfang Telefonhörer angeboten werden, muss auch die Möglichkeit bestehen, eine Übertragungseinrichtung anzuschließen.
Tür-Lichtklingeln
Pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung können das Anklopfen an die Tür
meist nicht wahrnehmen. Wenn plötzlich jemand unvermutet im Bettenzimmer steht, kann dies beim
pflegebedürftigen Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung ein sehr erhebliches Erschrecken
auslösen. Ebenso wird auch die Privat- und Intimsphäre beeinträchtigt, und dies kann großen Einfluss
auf die psychische Gesundheit eines Menschen haben. Zu bedenken ist außerdem, dass ein Hörgeschädigter erheblich unter Druck steht, wenn er ständig auf erhöhte, Kräfte bindende Reaktionsbereitschaft eingestellt sein muss.
Durch Einbau einer Tür-Lichtklingel können diese Probleme vermieden werden. Dies betrifft grundsätzlich alle Senioren- und Pflegeheime wie auch Privatwohnungen.
Vortragssäle
Sollte es in Pflegeeinrichtungen Vortragssäle geben, müssen Maßnahmen vorgesehen werden, damit
pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung auch an Veranstaltungen teilnehmen
können.
Folgende Maßnahmen können sinnvoll sein: Verwendung von FM-Anlagen (FunkÜbertragungsanlagen), Induktionsanlagen oder Infrarot-Anlagen, Dolmetscherangebote (Mitschrift
durch Schriftdolmetscher und Laptop/ Beamer, Einsatz eines Gebärdendolmetschers LBG/ DGS).
Schallschutzmaßnahmen
Arzt- und Untersuchungsräume dürfen nicht schallhart sein, d.h. die Raume sollten eine gute Schallabsorption (z.B. Teppichböden, abgehängte Decken, Vorhänge, Mobiliar) zur Vermeidung einer
schlechten Raumakustik erhalten.
Menschen mit Hyperakusis haben besondere Probleme mit Lautstärken, die für guthörende Menschen ohne weiteres zu ertragen sind. Daher sind für diesen Personenkreis geeignete Lärmschutz-
Stellungnahme des DSB
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maßnahmen durchzuführen. Es muss darauf geachtet werden, dass sie nicht in der Nähe von Lärmquellen (z.B. An- und Abfahrbereich von Rettungsfahrzeugen) platziert werden.
An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass Menschen mit hochgradiger Schwerhörigkeit bei
Störgeräuschen nur sehr schwer verstehen können. Auch für sie sind daher Lärmschutzmaßnahmen
sinnvoll. Auch das guthörende Personal wird durch Lärmschutzmaßnahmen entlastet.
Safes mit Zahlencode
Diebstähle in Patientenzimmern sind eine schwer zu steuernde Problematik. Besonders gefährdet
sind pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung, die in das Zimmer sich einschleichende Diebe nicht hören können.
In die Schränke der Bettenzimmer sind Safes mit Zahlencode aufzustellen, in denen Geld, Wertsachen, Schlüssel, Ausweise usw. sicher hinterlegt werden können.
Sichtscheiben im Eingangs- und Anmeldebereich
Noch heute sind im Eingangs- und Anmeldebereich von Pflegeeinrichtungen Sichtscheiben anzutreffen, die eine Kommunikation besonders für hörgeschädigte Menschen stark erschweren.
Auf diese Sichtscheiben sollte aus Gründen einer leichteren Verständigung, auch mit guthörenden
Patienten, verzichtet werden, zumal sie auch architektonisch nicht mehr in die heutige Zeit passen.
8. Expertenstandard Qualitätsprüfung in der Pflege
Qualität aus Sicht pflegebedürftiger Patienten in Pflegeheimen
Sachverhalt
Die Themenbereiche Pflegequalität und Qualitätskontrolle werden in den Pflegerichtlinien bisher nicht
ausreichend behandelt.
Bei pflegebedürftigen Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung sind falsche Annahmen des
Hörstatus und daraus folgende falsche Behandlungen und Maßnahmen keine Seltenheit. Noch seltener sind technische Hilfen vorhanden bzw. werden richtig und regelmäßig genutzt. Auch besitzen
hörgeschädigte Pflegepatienten nur selten angemessene Hörgeräte und benutzen diese auch regelmäßig. Ein großer Teil dieses Personenkreises ist unversorgt oder - mit nicht ausreichenden Hörgeräten - unterversorgt. Dies erschwert die Kommunikation und hemmt die Pflegeleistungen.
Nach der Richtlinie entspricht eine Unterversorgung in der Pflege nicht dem Maß des Notwendigen.
Nach Auffassung des DSB liegt dann eine solche Unterversorgung vor, wenn nicht die erforderliche
Zeit für eine menschenwürdige Kommunikation vorgehalten wird. Es ist ein nicht hinnehmbares pflegerisches Defizit, wenn sich aus Zeitmangel eine Vernachlässigung der Kommunikation mit dem hörgeschädigten Pflegepatienten ergibt.
Dies kann zu Sekundärschäden führen, die zunächst psychischer Natur sind. Ausgrenzung, Einsamkeit und Isolation können zu schweren psychischen Problemen und daraus folgend auch zu physischen Erkrankungen führen.
Vorschläge des DSB
Die Pflege ist qualitativ darauf abzustimmen, dass die vorbeschriebenen psychischen Sekundärschäden vermieden werden.
Es ist zu kontrollieren, ob mit den pflegebedürftigen Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung
eine angemessene Kommunikation durchgeführt wird. Zur besseren Kontrolle schlägt der DSB die
Entwicklung von Fragebögen vor, mit denen die Zufriedenheit der Leistungsberechtigten mit der Pflegequalität zu ermitteln ist.
Bei Qualitätsprüfungen ist nicht nur der gesundheitliche und pflegerische Zustand des Pflegebedürftigen zu prüfen, sondern auch der psychische Zustand. Eine mangelhafte Kommunikation hat erhebli-
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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che Auswirkungen auf den psychischen Zustand, der zu einer Verschlechterung der Gesundheit führen kann, die Pflegesituation erschwert und somit höhere Kosten bewirkt.
Antragsberechtigt für die Durchführung von Qualitätsprüfungen sollten neben dem Pflegebedürftigen
bzw. dessen Vertreter als auch die maßgeblichen Selbsthilfe-Organisationen der pflegebedürftigen
und behinderten Menschen sein.
Bei der Festlegung von Qualitätsstandards sind die zugehörigen Selbsthilfeverbände einzubeziehen.
Qualitätsprüfungen durch den MDK
Sachverhalt
Vor einiger Zeit wurden Kriterien für die Qualität der Pflege in Seniorenheimen und Krankenhäusern
entwickelt, die vom MDK geprüft werden. Diese Kriterien enthalten keine Fragen nach der Kommunikation mit den Pflegepatienten und ihrer Zufriedenheit hinsichtlich Zuwendung und Gespräch seitens
des Pflegepersonals. Eine angemessene Kommunikation mit den pflegebedürftigen Menschen gehört
grundsätzlich zu den zentralen Pflegeaufgaben eines Pflegeheims und darf nicht vernachlässigt werden. Dies gilt in ganz besonderem Maße für pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbehinderung, die sich bei mangelnder Kommunikation nicht als vollwertiger Mensch angenommen, die sich als
unverstanden, ausgeliefert, unglücklich und abgeschoben empfinden – mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen.
Vorschlag des DSB
Die Kriterien für Qualitätsprüfungen in Seniorenheimen und Krankenhäusern müssen durch entsprechende Fragen ergänzt werden, in denen nach der Zufriedenheit der pflegebedürftigen Patienten mit
zusätzlicher Hörbeeinträchtigung mit Dauer und Intensität der Kommunikation des Pflegepersonals
gefragt wird. Als einer zentralen Pflegeaufgabe ist diesem Thema ein hoher Bewertungsgrad zuzuordnen. Träger von Pflegeleistungen haben dem MDK nachzuweisen, dass sie für die Pflege hörgeschädigter Pflegepatienten fachlich kompetent sind.
9. Expertenstandard Formulargutachten
Sachverhalt
In den bisher verwendeten Formulargutachten wird das Thema Hörbehinderung kaum direkt angeschnitten. Es ist anzunehmen, dass auch aus diesem Grunde fehlerhafte Bewertungen seitens der
MDK-Gutachter festzustellen sind.
Vorschläge des DSB
Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln
Im Formulargutachten sollten unter Punkt 1.2 folgende Kästchen hinzugefügt werden:
Audiotherapie
Tinnitustherapie
Rehabilitation nach einer CI-Versorgung
Diese Maßnahmen müssen direkt aufgeführt werden, sonst werden sie mit Sicherheit vergessen.
Feststellung von Hilfsmittel/ Nutzung
Im Formulargutachten sollten unter Punkt 1.3 folgende Kästchen hinzugefügt werden:
Hörgerät ist linksseitig vorhanden
Hörgerät ist rechtsseitig vorhanden
Hörgerät wird rechtsseitig genutzt: kaum
stundenweise
ständig
Hörgerät wird linksseitig genutzt:
stundenweise
ständig
kaum
Cochlea Implantat ist rechtsseitig vorhanden
Cochlea Implantat ist linksseitig vorhanden
Cochlea Implantat wird rechtsseitig genutzt:
kaum
stundenweise
ständig
Stellungnahme des DSB
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Cochlea Implantat wird linksseitig genutzt:
kaum
stundenweise
ständig
Auf diese Weise wird nicht nur festgestellt, welche Hörhilfen [Hörgeräte, Cochlea Implantat (CI)] der
Antragsteller für welches Ohr besitzt, sondern auch, ob und wie häufig er sie nutzt.
Bei Nichtnutzung bzw. seltener Nutzung muss der Grund hierfür festgestellt werden und entsprechende Abhilfe veranlasst werden (z.B. liegt eine Unterversorgung vor? Sind die Geräte optimal eingestellt? Drücken die Ohrpassstücke?) Der zuständige Hörgeräteakustiker zwecks Überprüfung und
ggf. neuer Einstellung der Hörgeräte angesprochen werden. Es ist darauf zu achten, dass bei beidseitig vorhandener Schwerhörigkeit auch zwei Hörgeräte verordnet und auch getragen werden.
Bei nicht ausreichender Hörfähigkeit mit einem CI ist die zuständige CI-Klinik zu informieren.
Screening und Assessment bei eingeschränkter Alltagskompetenz
In Punkt 3.5 werden in zwei Tabellen Auffälligkeiten aufgeführt, mit denen festgestellt werden soll, ob
bei dem Antragsteller eine Demenzerkrankung vorliegt. Mehrere dieser Beschreibungen können auch
Begleiterscheinungen verschiedener Ausprägungsformen von Hörschädigungen sein (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit, Ertaubung, quälende Ohrgeräusche, Hyperakusis, Recruitment, Gleichgewichtsprobleme oder Morbus Menière).
Die aufgeführten psychischen Auswirkungen können auch auf die mangelhafte Kommunikationsfähigkeit, die Verzweiflung über die Isolation, den Stress mit Ohrgeräuschen, die Angst vor Ertaubung
oder vor einem Menière-Anfall zurückgeführt werden.
Da diese Ähnlichkeiten sorgfältig voneinander abgegrenzt werden müssen, sind im Formulargutachten entsprechende Hinweise hinzuzufügen.
Die Pflege erschwerende oder erleichternde Faktoren
Anscheinend ist es in das Ermessen des MDK-Pflegegutachters gestellt, ob und wie die Pflege erschwerenden oder erleichternden Faktoren ermittelt und in ihrer Höhe bestimmt werden. Bei dieser
Festlegung sollte Transparenz und Nachvollziehbarkeit hergestellt werden.
Im Zusammenhang mit der Beurteilung von pflegebedürftigen Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung stellt eine Hörbehinderung grundsätzlich einen die Pflege erschwerenden Faktor dar.
Seitens der Pflegegutachter darf nicht unterstellt werden, dass mit dem Besitz von Hörgeräten das
Merkmal für eine Erleichterung der Pflege gegeben ist. Auch mit Hörgeräten ist das Sprachverstehen
problematisch. Zudem liegt oft eine Unterversorgung mit Hörgeräten vor. Nach Erstversorgung mit
Hörgeräten bedarf es einer längeren Zeit der Gewöhnung an das „neue Hören“.
Beschreibung der Schädigungen
Von den MDK-Gutachtern wird eine Beschreibung der Schädigungen erwartet. In der Richtlinie werden unter D 3 die Schädigungen der Sinnesorgane dargestellt. Bei der Beschreibung der Schädigungen am Gehör werden lediglich „Schwerhörigkeit/ Taubheit“ aufgeführt.
Die nicht minder geringen Schädigungen Tinnitus, Morbus Menière, Hyperakusis, Recruitment und
Gleichgewichtsprobleme bleiben unerwähnt. Auch auf die psychischen und physischen Auswirkungen
aller Gehörschädigungen wird nicht hingewiesen. Aus diesem Grunde werden diese Punkte in der
Regel vernachlässigt. Der DSB sieht es als notwendig an, dass die entsprechenden Ergänzungen in
die Richtlinie aufgenommen werden.
Einsatz von Assistenzhilfen
Im Formulargutachten gibt es keine Hinweise auf ggf. notwendige Hilfen wie den Einsatz von Assistenzhilfen (Dolmetscherdienste, Kommunikationsassistenten, technische Kommunikationshilfen).
Derartige Hilfen sind nicht ständig erforderlich, aber doch in bestimmten Situationen zwingend notwendige Hilfen für pflegebedürftige und zusätzlich schwerhörige, ertaubte oder gehörlose Menschen.
Aus Sicht des DSB müssen diese Assistenzhilfen im Formulargutachten direkt aufgeführt werden.
Stellungnahme des DSB
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Technische Hilfen und bauliche Maßnahmen (Wohnumfeld)
Im Formulargutachten werden in Punkt 6 Technische Hilfen und bauliche Maßnahmen (Wohnumfeld)
behandelt. In den Erläuterungen zu den Gutachten in Punkt D6 wird deutlich, das hierunter hauptsächlich Maßnahmen für Menschen mit Mobilitätsbehinderungen verstanden werden.
Aus Sicht des DSB sind hier auch Maßnahmen zur Vermeidung von Kommunikationsbarrieren für
hörgeschädigte Pflegepatienten aufzuführen, z.B. Einbau von Tür-Lichtklingeln, Maßnahmen zur Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen, Ermöglichung Sprachverstehens beim Fernsehen und
beim Rundfunk durch Übertragungsanlagen, Maßnahmen zur Verbesserung der Raumakustik oder
Lärmverminderung durch Schalldämmung. Ein hörgeschädigter Pflegepatient kann mit dem „Einbau
einer Gegensprechanlage“ nichts anfangen, hier ist eine Video-Überwachungsanlage angezeigt.
10.
Expertenstandard Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger
Menschen
Sachverhalt
Vor mehreren Jahren wurde eine Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen diskutiert,
woran sich der DSB mit etlichen Empfehlungen beteiligte. Inzwischen wurde die Charta abgeschlossen und veröffentlicht. Das Recht auf Kommunikation ist in Artikel 6 nur sehr allgemein berücksichtigt.
Die Empfehlungen des DSB wurden nicht berücksichtigt.
Bei Formulierung der Charta war die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland noch nicht ratifiziert. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben damit einen neuen, weitergehenden Status erhalten.
Vorschlag des DSB
Nach Meinung des DSB ist insbesondere wegen der UN-Behindertenrechtskonvention eine Neufassung der Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen notwendig. Das Recht pflegebedürftiger Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung auf Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse (Freiheit von Kommunikationsbarrieren) ist festzuschreiben.
In der Charta ist somit aufzunehmen:
-
ist das Recht pflegebedürftiger Patienten mit zusätzlicher Hörbeeinträchtigung auf angemessene Kommunikation mit Ärzten und Pflegepersonal in allen Bereichen der Pflege,
-
die Verpflichtung des genannten Personals, entsprechende Kenntnisse für den richtigen Umgang mit diesem Patientenkollektiv zu erwerben,
-
ebenso müssen Pflegeanbieter und Personal Kenntnisse und Nutzung von technischen Zusatzgeräten aufweisen, die es pflegebedürftigen Menschen mit Hörbehinderung ermöglichen,
zu kommunizieren, telefonieren, fernzusehen oder an Veranstaltungen teilzuhaben,
-
die Verpflichtung der Pflegeeinrichtungen, in allen Bereichen der Pflege eine angemessene
Kommunikation zu ermöglichen und die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen.
Hannover, 26.10.11/ RE
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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Literaturverzeichnis
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Gurr, Andrea: Altersschwerhörigkeit als besondere Herausforderung der sozialen Arbeit. Books on
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Tesch-Römer, C.: Schwerhörigkeit im Alter, Belastung, Bewältigung, Rehabilitation. In: Schnabel, Dr.
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Universität Dortmund. 2006.
Stellungnahme des DSB
Entwicklung von Expertenstandards in der Pflege
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Anlage
Die UN-Behindertenrechtskonvention und
Menschen mit zusätzlicher Hörbehinderung
pflegebedürftige
ältere
Von Rolf Erdmann
Bei älteren pflegebedürftigen Menschen ist ein hoher Anteil schwerhörig oder ertaubt. Welche
Maßnahmen sind nun für pflegebedürftige Menschen mit Hörbehinderung in Seniorenheimen und
Krankenhäusern erforderlich, damit die Zielsetzungen der Behindertenrechtskonvention erfüllt
werden?
Im Folgenden sollen verschiedene Bereiche beispielhaft dargestellt werden, in denen Maßnahmen zur
Verbesserung der Situation von kranken oder pflegebedürftigen Senioren mit zusätzlicher
Hörbehinderung – bei Bedarf – erforderlich sind.
Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass in der Pflegecharta festgeschrieben wird, in allen Bereichen der Pflege
angemessen zu kommunizieren und die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen!
Vor mehreren Jahren wurde eine Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen diskutiert,
woran sich der DSB mit etlichen Empfehlungen beteiligte. Inzwischen wurde die Charta
abgeschlossen und veröffentlicht. Das Recht auf Kommunikation ist in Artikel 6 nur sehr allgemein
berücksichtigt.
Notwendige Maßnahmen: Es fehlen Hinweise, dass das Recht auf angemessene Kommunikation mit
Ärzten und Pflegepersonal in allen Bereichen der Pflege zu berücksichtigen ist und dem Personal
entsprechende Kenntnisse zu vermitteln sind. Ebenso bleiben technische Zusatzgeräte unerwähnt, die
es pflegebedürftigen Menschen mit Hörbehinderung ermöglichen, zu kommunizieren, telefonieren,
fernzusehen oder an Veranstaltungen teilzuhaben.
Pflegestützpunkte
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass Pflegestützpunkte barrierefrei sind und die Berater angemessen
kommunizieren können!
In Pflegestützpunkten können sich pflegebedürftige Menschen umfassend beraten lassen. Besondere
Maßnahmen hinsichtlich kommunikativer Barrierefreiheit sind bisher nicht vorgesehen.
Notwendige Maßnahmen: Das Beraterpersonal muss im Umgang mit pflegebedürftigen Menschen
mit Hörbehinderung geschult sein. Weiterhin müssen Pflegestützpunkte barrierefrei für Hörbehinderte
sein – das bedeutet: keine schallharten Räume, kein großer Abstand zwischen der beratenden und
der ratsuchenden Person. Bei Erfordernis Verwendung von technischen Hilfen (Übertragungsanlagen)
oder Einsatz von Schriftdolmetschern.
Begutachtung durch den MDK-Pflegegutachter
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass die MDK-Pflegegutachter eine Schulung über Hörschädigung durchlaufen,
um bestmöglich ihre Bedürfnisse erkennen und berücksichtigen zu können!
MDK-Pflegegutachter tragen für ihre Gutachten eine sehr hohe Verantwortung, sie müssen über einen
enorm hohen Wissensstand verfügen. Nach der Erfahrung des DSB bestehen hier mitunter Mängel bei
der Beurteilung von hörgeschädigten Senioren und Patienten. Nicht selten werden Hörbehinderungen
nicht erkannt oder fälschlich als Demenzerkrankung eingeordnet.
Innerhalb des kurzen Erstgespräches müssen MDK-Pflegegutachter in der Lage sein, Sachverhalte
korrekt zu erkennen, um u. a. folgende Entscheidungen zu fällen:
-
Zutreffende Einstufung im Einzelfall
Sorgfältige Abgrenzung einer Hörbehinderung von einer Demenzerkrankung
Zeitliche Festlegungen der Pflege (Mehraufwand für die behinderte Kommunikation)
Feststellung der Pflegehilfsmittel (Liegt z. B. bei vorhandenen Hörhilfen Unterversorgung vor?)
Maßnahmen zur Rehabilitation und zur Barrierefreiheit in Wohnungen der Pflegepatienten
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Notwendige Maßnahmen MDK-Pflegegutachter müssen sehr gründlich zum Thema Hörschädigung
und den Folgen im Pflegealltag geschult sein, was bisher anscheinend nur unzureichend der Fall ist.
An den erforderlichen Schulungsveranstaltungen für MDK-Pflegegutachter sollte der DSB mit seinen
Kenntnissen zwingend beteiligt sein. Bei Verdacht auf eine Hörschädigung ist ein HNO-Arzt zwingend
einzubeziehen, damit eine korrekte Feststellung des Hörstatus erfolgt und falsche Zuordnungen
vermieden werden. Falschverstehen muss ausgeschlossen werden, da es beim Erstbesuch zu
erheblichen und folgenschweren Fehlbeurteilungen führen kann. Aus diesem Grunde muss die
Verpflichtung bestehen, beim Erstgespräch einen Schriftdolmetscher bereitzustellen, wenn dies vom
Antragsteller beantragt wurde. Bei der Festlegung der Pflegezeiten muss berücksichtigt werden, dass
kommunikative Zuwendung eine heilende oder zumindest die Therapie unterstützende Wirkung hat
und den Verlauf der gesundheitlichen Entwicklung und den Grad der Pflegebedürftigkeit positiv
beeinflusst.
Das Pflegepersonal in Senioren- und Pflegeheimen und Krankenhäusern
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass das Pflegepersonal bestmöglich ausgebildet wird, damit die besonderen
Bedürfnisse dieser Patientengruppe berücksichtigt werden!
In der Ausbildung des Pflegepersonals (hier sind Ärzte/Ärztinnen, Sozialarbeiter/-innen und ähnliche
Berufe eingeschlossen) wird das Thema „Hörschädigung und deren Folgen in der Pflege“ allenfalls am
Rande – wenn überhaupt – behandelt. Die Themen „Umgang mit hörgeschädigten Pflegepatienten im
Gespräch“, „Maßnahmen zur Barrierefreiheit“, „Kenntnisse über Hörgeschädigtentechnik“ werden
kaum vermittelt. So fehlen dem Pflegepersonal durch unzureichende Ausbildungspläne wichtige
Kenntnisse bei der Arbeit mit hörgeschädigten Pflegepatienten.
Notwendige Maßnahmen: Die Ausbildungspläne für alle Berufe, die in Senioren- und Pflegeheimen
und Krankenhäusern Kontakte zu hörgeschädigten Pflegepatienten haben, müssen überprüft und
ergänzt werden. Die Überarbeitung der Ausbildungspläne sollte zwingend unter Einbeziehung der
Erfahrungen des DSB erfolgen.
Barrierefreie Ausstattung von stationären Einrichtungen
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass Maßnahmen zur Erreichung der Barrierefreiheit durchgeführt werden!
In Heimen und Krankenhäusern gibt es meist keinerlei technische Hilfen für Hörgeschädigte, weder im
Wohnbereich oder in Gemeinschaftsräumen noch in Arbeits- oder Therapieräumen. Die Situation in
Heimen ist auf Guthörende zugeschnitten und für die besonderen Bedürfnisse hörgeschädigter
Menschen nicht geeignet. Barrierefreiheit für hörgeschädigte Patienten ist nur sehr selten vorzufinden.
Dieser Zustand entspricht nicht Art. 9 der Behindertenrechtskonvention.
Notwendige Maßnahmen: Die in der neuen DIN 18040 genannten Maßnahmen zur Barrierefreiheit
müssen durchgeführt werden. Freiheit von Kommunikationsbarrieren kann durch folgende
Maßnahmen erreicht werden, einige Beispiele:
-
Bei Lautsprecheraufrufen (z. B. vor Röntgenkabinen) müssen zusätzlich optische Anzeigen nach
dem Zwei-Sinne-Prinzip erfolgen
Hörgeschädigtengerechte Telekommunikation und Unterhaltungselektronik sind zu ermöglichen
Lichtklingeln an den Türen von Patientenzimmern sind vorzusehen
In Arzt- und Untersuchungsräumen ist eine schlechte Raumakustik durch Schallschutzmaßnahmen
zu vermeiden
Qualitätsprüfungen in Seniorenheimen und Krankenhäusern
Hörgeschädigte Senioren und Patienten haben nach der Behindertenrechtskonvention ein
Recht darauf, dass bei der Überprüfung der Qualität ihres Seniorenheims die Frage nach der
Kommunikation in die Benotung einbezogen wird!
Vor einiger Zeit wurden Kriterien für
entwickelt. Diese Kriterien enthalten
und ihrer Zufriedenheit hinsichtlich
angemessene Kommunikation mit
die Qualität der Pflege in Seniorenheimen und Krankenhäusern
keine Fragen nach der Kommunikation mit den Pflegepatienten
Zuwendung und Gespräch seitens des Pflegepersonals. Eine
den pflegebedürftigen Menschen gehört zu den zentralen
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Pflegeaufgaben eines Pflegeheims und darf nicht vernachlässigt werden. Dies gilt in ganz besonderem
Maße für pflegebedürftige Patienten mit zusätzlicher Hörbehinderung, die sich bei mangelnder
Kommunikation nicht als vollwertiger Mensch angenommen, die sich als unverstanden, ausgeliefert,
unglücklich und abgeschoben empfinden – mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen.
Notwendige Maßnahmen: Die Kriterien für Qualitätsprüfungen in Seniorenheimen und
Krankenhäusern müssen durch entsprechende Fragen ergänzt werden. Als zentrale Pflegeaufgabe ist
diesem Thema ein hoher Bewertungsgrad zuzuordnen.
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass durch die oben genannten Maßnahmen die Arbeit des
Pflegepersonals erleichtert und die Therapie verbessert wird: mithin allen Beteiligten nützt.
Bemühungen zur Verbesserung der Rechte von kranken, alten oder pflegebedürftigen Menschen mit
Hörbehinderung zahlen sich daher aus. Die Behindertenverbände müssen, um für eine umfassende
Umsetzung der verbesserten Rechtsstellung in der Gesellschaft zu sorgen, vor allem politisch aktiv
werden und bei den Regierungen in Bund, Ländern und auf örtlicher Ebene auf Beachtung der
Behindertenrechtskonvention in allen Bereichen der Gesellschaft drängen. Betreiber von
Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, Pflegeverbände sowie zuständige Sozialpolitiker und
sonstige Beteiligte sind aufgerufen, die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auch in diesem
Bereich voranzutreiben.
Über den Autor:
Dipl.-Ing. Rolf Erdmann
ist im Alter von knapp einem Jahr linksseitig ertaubt. Seit 1982 ist er in der Arbeit für Hörgeschädigte in
Hannover und Niedersachsen aktiv und seit 1998 als Landesverbandsvorsitzender des Deutschen
Schwerhörigenbundes (DSB) tätig. Er ist Mitglied des DSB-Referats „Hörgeschädigte Senioren und
Patienten“ und Leiter des DSB-Referats TECHNIK. Für sein Engagement wurde Erdmann 2005 mit
dem Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens ausgezeichnet.
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