1. Spezielle Relativitätstheorie 1.1. Die drei Newton’schen Axiome Erstes Newton’sches Axiom (Trägheitsprinzip) : Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit weiter, wenn keine resultierende äussere Kräfte auf ihn wirken. Zweites Newton’sches Axiom (Aktionsprinzip): Die Beschleunigung eines Körpers ist umgekehrt proportional zu seiner Masse und direkt proportional zur resultierenden Kraft r r F ∑ = m⋅a Drittes Newton’sches Axiom (Reaktionsprinzip): Kräfte treten immer paarweise auf. Wenn ein Körper A eine Kraft auf Körper B ausübt, so wirkt eine gleich grosse, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A. 1.2. Das Bezugssystem Ein Bezugssystem wird manchmal auch Beobachtersystem genannt. Beispiele: Klassenzimmer, Erdmittelpunkt, Sonne 1.3. Das Inertialsystem (ein besonderes Bezugssystem) Definition: Ein Bezugssystem, in dem die Newton’schen Axiome gelten, heisst Inertialsystem! • • • Jedes Bezugssystem, das sich relativ zu einem Inertialsystem mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, ist selbst ein Inertialsystem. Ein Bezugssystem, das relativ zu einem Inertialsystem beschleunigt wird, ist kein Inertialsystem. Ein Bezugssystem, das mit der Erde verbunden ist, kann näherungsweise als Inertialsystem angesehen werden. (Die Erde unterliegt einer Zentripetalbeschleunigung auf ihrer Kreisbahn um die Sonne.) 1.4. Die Einsteinschen Postulate Die spezielle Relativitätstheorie basiert auf nur zwei Postulaten, die Einstein bereits in seiner Arbeit 1905 formuliert hat. Vereinfacht lauten sie: Erstes Postulat: Es gibt kein physikalisch bevorzugtes Inertialsystem. Die Naturgesetze nehmen in allen Inertialsystemen dieselbe Form an. Zweites Postulat: Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist in jedem beliebigen Inertialsystem unabhängig vom Bewegungszustand der Lichtquelle. Zweites Postulat (alternativ): Jeder Beobachter misst für die Lichtgeschwindigkeit c im Vakuum denselben Wert. 1 1.5. Die Konsequenzen Die Einsteinschen Postulate besitzen wichtige Konsequenzen für die Messung von Zeit- und Längenintervalle. In diesem Abschnitt vergleichen wir Zeit- und Ortsmessungen von Ereignissen, die von verschiedenen, sich relativ zueinander bewegenden Beobachtern vorgenomen werden. Dazu verwenden wir zwei bezugssysteme S und S’ mit kartesischen koordinaten x,y,z und Ursprung O bzw. x’,y’,z’ und O’. Das Bezugssystem S’ bewegt sich mit der Geschwindigkeit v in Bezug auf das Bezugssystem S. (Beide sind Inertialsysteme). Wir denken uns in jedem Bezugssystem ein dichtes Netz von Beobachtern, die mit identischen Uhren und Maßstäben ausgestattet sind. Somit können die Beobachter Zeit- sowie Längenmessungen vornehmen. Jeder Beobachter kann den Zeitpunkt eines Ereignisses nur dann messen, wenn es sich in seiner unmittelbaren Umgebung ereignet. Liegen Startpunkt und Endpunkt eines Ereignisses räumlich voneinander getrennt, so müssen Startzeit und Endzeit des Ereignisses von zwei verschiedenen Beobachtern gemessen werden. Die Zeit zwischen Ereignissen, die in einem Bezugssystem am selben Ort stattfinden (also von einem einzigen Beobachter gemessen werden können), heißt Eigenzeit!! 1.5.1. Die Zeitdilatation Bauen wir uns in Gedanken (Gedankenexperiment) eine Lichtuhr in eine Raumkapsel. (Abbildung a) zeigt einen Beobachter A’ und einen Spiegel im Abstand d zum Beobachter. Der Beobachter löst einen Blitz aus und misst die Zeit zwischen dem ursprünglichen Lichtblitz und dem vom Spiegel reflektrierten. Das sich das Licht mit der Geschwindigkeit c 2d . bewegt, ist diese Zeit Δt '= c Da ein einziger Beobachter die Zeitdauer zwischen beiden Ereignissen des ursprünglichen und des reflektierten Lichtblitzes messen konnte, enspricht Δt ' einer Eigenzeit. Betrachten wir nun die beiden Ereignisse des ursprünglichen und des reflektierten Lichtblitzes in dem Bezugssystem S, in dem sich der Beobachter A’ und der Spiegel mit Geschwindigkeit v bewegen (Abbildung b). 2 Im Bezugssystem S finden die Ereignisse an verschiedenen Orten x1 und x2 statt. Während des im Bezugssystem S gemessenen Zeitintervalls Δt zwischen urspünglichem und reflektiertem Lichtblitz legt der Beobachter A’ in seinem Raumschiff eine Distanz v ⋅ Δt zurück. Der Abbildung b entnehmen wir, dass der vom Licht zurückgelegte Weg in S grösser ist als in S’. Nach den Einsteinschen Postulaten ist die Lichtgeschwindigkeit c in beiden Bezugssystemen jedoch gleich. Da das Licht in S mit der gleichen Geschwindigkeit einen längeren Weg zurücklegt, braucht es länger um den Spiegel zu erreichen und zurückzukehren. Das Zeitintervall ist in S also länger als in S’. Dem Dreieck in Abbildung c entnehmen wir ⎛ v ⋅ Δt ⎞ ⎛ c ⋅ Δt ⎞ 2 ⎟ ⎜ ⎟ = d +⎜ ⎝ 2 ⎠ ⎝ 2 ⎠ 2 2 woraus Δt = 2d c −v 2 Benutzen wir noch Δt '= 2 = 2d ⋅ c 1 v2 1− 2 c folgt. 2d , so erhlaten wir c Δt = Δt ' v2 1− 2 c = γ ⋅ Δt ' (*) Die Zeit zwischen Ereignissen, die in einem Bezugssystem am selben Ort stattfinden, heisst Eigenzeit Δt E . Das Zeitintervall Δt ' = t 2' − t1' = Δt E gemessen im Bezugssystem S’ ist eine solche Eigenzeit. Das Zeitintervall Δt = t2 − t1 , gemessen in irgendeinem anderen Bezugssystem S, ist, wie die vorstehende Gleichung zeigt, immer um den Faktor γ grösser als die Eigenzeit. Diese Dehnung des Zeitintervalls Δt im Vergleich zu Δt E heisst Zeitdilatation: Δt = γ ⋅ Δt E (*) Relativistischer γ -Faktor Es ist für das weitere Vorgehen nützlich, den relativistischen γ -Faktor 1 γ = einzuführen v2 1− 2 c Man beachte, dass γ ≥ 1 gilt da v ≤ c . (v = Relativgeschwindigkeit zwischen den Bezugssystemen) 3 1.5.2. Die Längenkontraktion Ein eng mit der Zeitdilatation verknüpftes Phänomen ist die Längenkontraktion. Betrachten wir ein Raumschiff auf seinem Weg, mit konstanter Geschwindigkeit, von der Erde zum Jupiter. Nehmen wir zudem die Distanz Erde-Jupiter als konstant an. Aus zwei verschiedenen Bezugssystemen heraus wollen wir nun diese Enfernung zwischen Erde und Jupiter bestimmen. Kennt man die Geschwindigkeit des Raumschiffs, so genügt es die auf der Reise verstrichene Zeit zu messen. Es ist dies die Zeit zwischen den beiden Ereignissen „das Raumschiff fliegt an der Erde vorbei“ und dem Ereigniss „das Raumschiff fliegt an Jupiter vorbei“. Jupiter Erde • • Im Bezugssystem der Erde bzw. des Jupiters, stellt die Distanz Erde-Jupiter eine (Wird auch als Eigenlänge bezeichnet) „Länge in Ruhe“ dar => Ruhelänge lRuh Im Bezugssystem des Raumschiffes, stellt die Distanz Erde-Jupiter eine „Länge in Bewegung“ dar. Bewegte Länge lBew Was mißt der Astonaut? (Bezugssystem Raumschiff) Für den Astonauten ereignen sich beide Ereignisse ganz nahe an seinem Raumschiff. Er kann als einzelner Beobachter mit einer Uhr die Zeit messen. Er misst somit eine Eigenzeit Δt E . In dem Bezugssystem des Astonauten (Raumschiff) stellt die Strecke zwischen Erde und Jupiter eine „Länge in Bewegung lBew “ dar. Es gilt: lBew = v ⋅ Δt E (1) Was messen wir? (Bezugssystem Erde) Aus dem Bezugssystem der Erde heraus, passieren beide Ereignisse „Raumschiff fliegt an Erde vorbei“ und „Raumschiff fliegt an Jupiter vorbei“ nicht am gleichen Ort. Wir benötigen eine Uhr am Ort der Erde und eine weitere uhr am Ort des Jupiters um die Zeit zwischen beiden Ereignissen bestimmen zu können. Wir bestimmen somit keine Eigenzeit sondern die Zeit Δt . Zudem ist die Srecke Erde-Jupiter in unserem Bezugssystem eine „Länge in Ruhe lRuh “. Es gilt: lRuh = v ⋅ Δt (2) 4 Zusammenhang zwischen lBew und lRuh !! Stellen wir (1) sowie (2) nach v um und setzten dann beide gleich, so erhalten wir: lBew lRuh = Δt E Δt mit Δt = γ ⋅ Δt E erhält man l lBew = Ruh γ oder lBew v2 = lRuh ⋅ 1 − 2 c Hat eine Strecke in einem zu ihr ruhenden System die Länge lRuh , so hat die gegen einen Beobachter in Längrichtung bewegte Strecke eine kleinere Länge lBew . Die Längen senkrecht zur Bewegungsrichtung bleiben unverändert! Was sind die bisher festgestellten Konsequenzen von Einsteins Postulaten? 1) Zeitdilatation In unterschiedlichen Inertialsystemen werden unterschiedliche Zeiten gemessen. Es gilt: Δt = γ ⋅ Δt E mit γ = 1 v2 1− 2 c 2) Längenkontraktion In unterschiedlichen Inertialsystemen werden unterschiedliche Längen gemessen. Es gilt: lBew = lRuh γ bzw lBew = lRuh ⋅ 1 − v2 c2 Nett schlecht!!!!! ☺ Wann een sech schnell bewegt gett Zeit auserneengezunn an d’Längten gestaucht!! 5 1.5.3. Experimentelle Bestätigung Myonenzerfall (Die Myonen enstehen als Sekundärteilchen aus der kosmischen Strahlung. Die Protonen aus der kosmischen Strahlung wechselwirken mit Protonen und Neutronen aus der Atmosphäre und es entstehen Pionen Die Pionen zerfallen wiederum zu Myonen.) Die Myonen gleichen in vielen Eigenschaften den Elektronen; sie sind jedoch schwerer und Sie zerfallen schon nach kurzer Zeit nach ihrer Entstehung in andere Zeilchen: man sagt Sie sind instabil. Dieser Zerfall erfolgt nach einem exponentiellen Zeitgesetzt. Kennt man die Anzahl der Myonen N0 zu einem Gewissen Zeitpunkt, so kann lässt dich die Anzahl der noch vorhandenen Myonen nach der Zeit t wie folgt berechenen. N (t ) = N 0 ⋅ e N(t) N0 t T − ln 2 t T die Anzahl der vorhandenen Myonen zum Zeitpunkt t die Anzahl an vorhandenen Myonen zum Zeitpunkt t=0 (Anfangswert) die verstrichene Zeit die Halbwertszeit der Myonen (Die Halbwertszeit gemessen in einem Bezugssystem in welchem die Myonen sich in Ruhe befinden beträgt T=1,5μs) (Erklärung Halbwertszeit: Nach der Zeit T ist die Hälfte der vorhandenen Myonen zerfallen) Die Messungen von B.Rossi und D.B. Hall 1941 Mit einem Detektor wurden oben am Mount Washington (New Hampshire, Höhe 1910m) pro Stunde die Anzahl N 1 = 563 ± 10 an vorhandenen Myonen nachgewiesen. In der gleichen Zeit wurden mit einem Baugleichen Detektro auf Meresniveau (Höhe 3m) die Anzahl N 2 = 408 ± 9 gemessen. Die Detektoren wurden so eingestellt, dass Myonen mit einer Geschwindigkeit 0,995 c. hohe Atmosphäre Entstehung der Myonen Zerfall der Myonen 6 Auswertung der Messwerte von Hall & Rossi Klassische Betrachtung Die Myonen legen eine Strecke von 1907m zurück. Sie besitzen eine Geschwindigkeit von 0,995 c. Dem entsprechend benötigen sie eine Zeit von 6,4μs. Die Anzahl der im oberen Detektor gemessenen Myonen pro Stunde entspricht N0=563. Am unteren Detektor müssten dann 6,4μs später die − ln 2 t T − ln 2⋅ 6, 4 1, 5 N (t = 6,4 μs ) = N 0 ⋅ e = 563 ⋅ e = 29 Nach der klassischen Betrachtung müssten am unteren Detektor lediglich 29Myonen pro Stunde gezählt werden. Gemessen wurden aber 408. Die klassische Betrachtung ist hier nicht angebracht. Die Geschwindigkeit der Myonen liegt weit über 10% der Lichtgeschwindigkeit und somit ist eine relativistische Betrachtung erforderlich. Relativistische Betrachtung Stellen wir zunächst fest, dass die Halbwertszeit von 1,5μs in einem Bezugssystem ermittelt wurden, in welchem sich die Myonen in Ruhe befinden. Ein Beobachter hat mit einer Uhr eine Zeitdauer gemessen. Die Halbwertszeit TE = 1,5μs entspricht einer Eigenzeit. Wir wählen zunächst einmal als Bezugssystem das der Experimentatoren. In diesem Bezugssystem ist die Strecke welche die Myonen zurücklegen eine „Länge in Ruhe“. Es gilt also: l Ruh = 1907m Die Halbwertszeit hingegen ist in diesem Bezugssystem keine Eigenzeit. Die Ereignisse „Entstehung der Myonen“ und „das Zerfallen der Hälfte der Myonen“ passiert an zwei verschiedenen Orten. Die „Eigenhalbwertszeit“ ist in diesem Bezugssystem dilatiert. Sie muss also umgerechnet werden. Es gilt: Δt = γ ⋅ Δt E Dementsprechent gilt für die Halbwertszeit 1 T= ⋅ TE = 14,9 μs v2 1− 2 c (Die Halbwertszeit wird gedehnt) Die Geschwindigkeit der Myonen beträgt nach wie vor 0,995c und sie benötigen in nach wie vor 6,4μs für die Strecke 1907m. Mit der dilatierten Halbwertszeit müssten nach der relativistischen Betrachtung am unteren − ln 2 t T 6, 4 − ln 2⋅ 14 , 9 N (t = 6,4 μs ) = N 0 ⋅ e = 563 ⋅ e = 418 Myonen pro Stunde Detektor nach nachgewiesen werden. Die relativistische Betrachtung bestätigen das Experiment! Einsteins Postulate haben sich bisher bewährt ☺. 7 Wählen wir nun als Bezugssystem das der Myonen. In deren Bezugssystem entspricht die Strecke zwischen beiden Detektoren eine „Länge in bewegung“. Die Strecke von 1907m scheint gestaucht. Es gilt: l Bew = l Ruh ⋅ 1 − v2 = 190,5m c2 Die Strecke aus dem Bezugssystem der Myonen heraus betrachtet beträgt lediglich 190,5m. Sie haben nach wie vor die Geschwindigkeit 0,995c und benötigen in deren Bezugssystem 0,64μs um diese Strecke zurückzulegen. Die Halbwertszeit der Myonen in deren Bezugssystem entspricht einer Eigenzeit und beträgt 1,5μs. Am unteren Detektor müssten dementsprechend − ln 2 t N (t = 0,64 μs ) = N 0 ⋅ e T = 563 ⋅ e Dies entspricht den Messungen. − ln 2⋅ 0 , 64 1, 5 = 419 Myonen pro Stunde gezählt werden. • Die Messungen sind unabhängig vom gewählten Inertialsystem. Das Bezugssystem der Experimentatoren ist äquivalent zu dem der Myonen. • Die klassische Betrachtung musste scheitern, da sich bei Geschwindigkeiten über 10% der Lichtgeschwindigkeit bemerkbar machen!! 8