Vortrag Prof. Znoj

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Umgang mit Verlust: Trauer, Depression
und Angst
!
Hansjörg Znoj!
Universität Bern!
!
[email protected]!
!
!
Psychoonkologie, Januar 2015!
1!
Umgang mit Verlust!
>  Eingrenzung: Soziale Verluste als kritisches Lebensereignis
>  Zur Trauerreaktion: Vorstellungen darüber und Modelle
>  Wie grenzt sich eine “normale” Trauerreaktion von einer
“pathologischen” ab?
>  Diagnostik und Komorbidität
>  Resilienzfaktoren
>  Trauerbegleitung und Intervention
>  Institutionelle Fragen
Anmerkung: die letzten beiden Punkte werden im workshop vertieft
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
2!
Gefühlsäußerungen!
Der Verlust einer geliebten Person (eines geliebten Objektes) wird
emotional erlebt; das Weinen als typische Reaktion auf Verlust wurde
auch empirisch als häufigste Reaktion gefunden, aber Weinen und
traurig sein ist bei weitem nicht die einzige emotionale Reaktion.
Häufig sehen wir Angst, Ärger und Wut.
Nicht selten ist jemand in Trauer gar nicht fähig, sich emotional
auszudrücken oder Gefühle zu erleben: die trauernde Person fühlt
sich „abgeschnitten“ von der Welt, hat keinen Zugang mehr zu sich
selbst (oder anderen) oder ist emotional überschwemmt, so dass es
zu keiner klaren Gefühlsäusserung kommt.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
3!
Darwin: Suffering and weeping!
„Infants, when suffering even slight
pain, or discomfort, utter violent
and prolonged screams. Whilst
thus screaming their eyes are
firmly closed, so that the skin
round them is wrinkled, and the
forehead contracted into frown.
The mouth is widely opened with
the lips retracted in a peculiar
manner, which causes it to assume
a squarish form: the gums or teeth
being more or less exposed.“ (...)
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
4!
Gesellschaftliche „Normen“!
Nicht nur wie wir trauern, sondern auch wie lange oder wie intensiv ist
von der Gesellschaft und damit auch der Kultur und Sozialisation
abhängig.
Beispiele:
— Die Hopi, amerikanische Ureinwohner in der Gegend von Nevada,
trauern offiziell drei Tage, verbrennen die Hinterlassenschaft der
verstorbenen Personen und leben weiter
— In der westlich-europäischen Kultur dauert die Trauerreaktion
wesentlich länger, Trauerrituale sind teilweise an religiöse
Strukturen gebunden, teilweise „erfinden“ wir sie neu
— In anderen Kulturen finden wir: Abschiede von noch lebenden
Personen und mehrmalige Bestattungen (z.B. Indonesien) oder
ein Arrangement mit den verstorbenen Ahnen zu koexistieren
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
5!
Was macht der Verlust einer nahen Person?
Aussagen von Eltern eines verstorbenen Kindes!
> 
“Ein Teil in mir ist gestorben. Ich werde den Verlust das ganze Leben mit
mir herumtragen“;
> 
“Für mich ist es, als hätte man mir ein Stück aus meinem Herzen
herausgerissen“;
> 
“Andere (Bekannte) bekamen Kinder und ich brachte es nicht einmal fertig,
in einen Kinderwagen zu schauen “;
> 
“Es ist Wahnsinn”;
> 
“Erlebe vor allem Hass und keinen Glauben”;
> 
“Ich war erleichtert, als A. starb. Ich habe gewusst, dass sie beim Gott in
guten Händen ist”;
> 
“Trauer, Wut und Zorn auf mich, die Ärzte und alle Beteiligten, dass ihm
nicht mehr geholfen werden kann - - Erleichterung, dass seine Qualen,
Schmerzen und Leiden ein Ende haben“.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
6!
Mythen (“die richtige Art zu trauern”)!
>  Nach dem Verlust folgt unvermeidlich eine hohe emotionale
Belastung und eine Depression
>  Das Erleben einer intensiven emotionalen Belastung ist
Voraussetzung für den Heilungsprozess
>  Der Verlust muss durchgearbeitet werden, damit es zu einer
vollständigen Rehabilitation kommt
>  Der Verlust bekommt durch die erfolgreiche Trauerarbeit eine
Bedeutung fürs eigene Leben
>  Eine fehlende emotionale Krise oder mangelnde Trauer
(Weinen) ist ein Anzeichen einer pathologischen Entwicklung
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
7!
Relikte, Religion & Rituale!
> 
Relikte oder Hinterlassenschaften der verstorbenen Person hinterlassen
Spuren im Leben der Angehörigen. Wie damit umgegangen wird, ist auch
eine kulturelle Frage; oft sind die Angehörigen aber überfordert und in
dieser Frage allein gelassen.
> 
Religion bietet vielen Hinterbliebenen einen Trost und bietet gleichzeitig
durch die Kirche oder andere Institutionen einen Rahmen, den Verlust ins
eigene Leben zu integrieren. Religiöse Einstellungen oder Angebote
können aber auch belasten.
> 
Rituale sind im Umgang mit Verlusten hilfreich; sie kanalisieren und
regulieren Emotionen und können helfen, den Verlust zu begreifen. Sie
sind auch in der Trauerbegleitung und in der Psychotherapie mit
kompliziert Trauernden von grosser Bedeutung.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
8!
Rituale in der Trauer, Beispiele!
> 
Bei einer Beerdigung haben wir einer Dame, die zeitlebens Sekt geliebt
hat, noch ein letztes Glas eingeschenkt und auf dem Grab stehen lassen.
> 
Wir haben Luftballons steigen lassen und ihnen nachgesehen, wie sie der
Seele den Weg zum Himmel weisen, bis sie ganz in den Wolken
verschwunden waren.
> 
Ich richte mir einen Ort ein in der Wohnung, wo ein Photo oder ein Symbol,
das uns verbindet, steht und ich regelmässig ein Teelicht entzünde, das
den Tag und/oder die Nacht hindurch brennt, um meinem Schmerz und
meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen.
> 
Ich besuche alleine oder mit anderen die Orte, die der verstorbenen Person
lieb waren.
> 
An einem Bach kann ich das Loslassen einüben, indem ich ein Blatt, eine
Feder ins Wasser lege und laut sage "Sarah, ich lasse dich...“.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
9!
Erklärungsmodelle a) Phasenmodelle!
Sie sind beliebt – aber empirisch-wissenschaftlich nicht belegt. Die
psychodynamische Auffassung besagt:
Trauer = Ablösung psychischer Energie vom geliebten Objekt
in drei Phasen:
1) Realisieren des Verlustes,
2) das eigentliche Trauern (siehe oben) und
3) die Wiederaufnahme des emotionalen Lebens - u.U. verbunden
mit neuer Beziehungsaufnahme
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
10!
Freud in Trauer & Melancholie (1917)!
Trauer: „Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust einer geliebten
Person oder einer an ihrer Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland,
Freiheit, ein Ideal usw. Unter den nämlichen Einwirkungen zeigt sich bei
manchen Personen, die wir darum unter den Verdacht einer krankhaften
Disposition setzen, an Stelle der Trauer eine Melancholie.
Was leistet die Trauer?: Die Realitätsprüfung hat gezeigt, dass das
geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erlässt nun die
Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen mit diesem
Objekt abzuziehen (= Trauerarbeit).
Schwierigkeiten dabei: Das Sträuben (dagegen) kann so intensiv sein, dass
eine Abwendung von der Realität und ein Festhalten des Objektes durch eine
halluzinatorische Wunschpsychose zustande kommt.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
11!
b) Bindungstheorie!
Die Bindungstheorie übernimmt psychodynamische Ansichten, erweitert
sie jedoch durch den biologischen Aspekt: Trauer ist ein universales
Produkt einer biologisch bestimmten Bindung. Belege sind das
Trauerverhalten von Primaten und anderen Säugern.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
12!
c) Biologische Perspektive!
> 
Trauer ist der Preis, den soziale Tiere dafür zahlen müssen, dass die
Bindung zu anderen auch dann aufrechterhalten bleibt, wenn diese
zeitweise aus dem Blickfeld verschwinden.
> 
Dieser Mechanismus erlaubt stabile Repräsentationen - ist also eine
höchst adaptive Eigenschaft.
> 
Trauer ist eine “Nebenwirkung” dieser Eigenschaft.
> 
--> die Intensität des Trauerns ergibt sich aus biologischer Sicht
durch den Verlust an Reproduktivität. Aus diesem Grund sind
Partnerverluste und der Verlust eigener Kinder besonders gravierend.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
13!
d) Trauerarbeit vs. Trauerverarbeitung: Das Copingmodell!
> 
Der Gegensatz zur psychodynamisch orientierten Auffassung ist das
Coping-Modell (Bewältigungsmodell).
> 
Unterschieden wird dabei zwischen emotionaler Bewältigung und
Aufgabenorientierung
—  Im Gegensatz zu den psychodynamisch orientierten
Phasenmodellen, welche die Auflösung der Trauer fordern, damit
wieder neue Bindungen und Beziehungen eingegangen werden
können, hat die Vorstellung, dass die Beziehung zur verstorbenen
Person fortbestehen kann, eine gleichwertige Berechtigung.
> 
Das Regulieren von Gefühlen als Bewältigungsstrategie von
Verlusten schließt dabei ausdrücklich das Zulassen von positiven
Emotionen ein
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
14!
Das duale Prozess-Modell der Trauerbewältigung!
Alltagserfahrungen
Verlust-orientiert
Trauerarbeit
Intrusionen
Auflösung der
Bindungen
Verstorbene Person
als solche
wahrnehmen
Verleugnung/
Vermeiden von
Realitätsveränderung
Wiederherstellungsorientiert
Lebensänderungen
aufmerksam
verfolgen
Neue Dinge
unternehmen
sich von Trauer
ablenken
Verleugnen, Trauer
vermeiden
neue Rollen,
Identitäten,
Beziehungen
aufnehmen
nach Stroebe & Shut (2001)
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
15!
e) Inkonsistenz - das Modell des psychischen
Funktionierens nach Grawe (1998)!
Das Erleben und Verhalten wird von motivationalen Attraktoren gesteuert,
welche bestimmten Grundbedürfnissen unterliegen.
Auf der Systemebene gilt ein weiteres allgemeines Prinzip – das Streben
nach Konsistenz. Jeder „mismatch“ zwischen realen Wahrnehmungen und
Erwartungswerten kann potentiell eine emotionale Alarmreaktion auslösen
und erhöht die Inkonsistenz (Horowitz & Znoj, 1999; Znoj & Grawe, 2000).
Je nach Bewältigungspotenzial wird dann ein Annäherungs- oder
Vermeidungsverhalten ausgelöst.
Trauer (als Verlustreaktion) kann als ein Prozess betrachtet werden, welcher
dann auftritt, wenn das Bedürfnis nach Bindung verletzt ist und
entsprechende motivationale Schemata (Attraktoren) als neuronale
Erregungsbereitschaften (NEMs) aktiviert werden.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
16!
Systemebene!
Hierarchische Organisation!
Streben nach Konsistenz!
Rückmeldung über Inkonsistenz!
Grundbedürfnisse!
Lustgewinn/
Unlustvermeidung!
Kontroll-bedürfnis!
Bindungsbedürfnis!
Rückmeldung über Bedürfnisbefriedigung!
Selbstwerterhöhung!
Streben nach Bedürfnisbefriedigung!
Motivationale Attraktoren!
Annäherungsattraktoren!
Vermeidungsattraktoren!
Rückmeldung über
Realisierung!
Aktivierung motivationaler
Attraktoren!
Erleben und Verhalten!
17!
Inkonsistenz (Verlust als Stressor)!
Trauer als Inkonsistenzquelle
Erwartete
Wahrnehmung
Aktuelle
Wahrnehmung
Idealisierung oder
„zuviel“ Trauerarbeit
Zeit
Verstärkung
der Inkongruenz
Diskrepanz = Inkongruenz
Komplizierung
des Trauerprozesses
gesteigerte neuronale
Aktivität
Verminderung
der Diskrepanz
Reduktion der
Inkongruenz
Allmähliche
Adaption
Aktivierung weiterer
problematischer Schemata
Inkonsistenz ----> Destabilisierung
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
18!
Dauer von Symptomen des Verlusterlebens!
Die Trauer dauert länger, als dies allgemein unter Laien und
Fachpersonen angenommen wird. Im Gegensatz zur
Auffassung, dass eine Trauer “aufgelöst“ werden muss, bevor
man sich wieder neuen Aufgaben oder Bindungen zuwenden
kann, wird heute vertreten, dass das Erleben eines Verlustes in
die persönliche Welt “eingebaut“ werden soll. Der Verlust soll
akzeptiert werden und es kann dem oder der Trauernden selbst
überlassen werden, wie stark die Beziehung zur verstorbenen
Person aufrechterhalten bleibt.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
19!
Wie lang dauert die Trauer?!
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
20!
Wie lange dauert die Trauer?!
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
21!
Was bleibt zurück?!
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
22!
Trauerreaktionen!
> 
Junge Leute zeigen mehr körperliche Symptome als ältere
> 
Alte Leute trauern nicht weniger, aber anders
> 
Ältere Leute zeigen zu Beginn eine weniger starke
Trauerreaktion, brauchen aber danach mehr Zeit:
– 
– 
– 
Verleugnung des Verlustes
physische Symptome
Einsamkeit und Angst
> 
Wichtig ist der Zeitpunkt des Todes und Alter des Verstorbenen.
> 
Nur eine Minderheit entwickelt manifeste Depression.
– 
– 
> 
Symptome bei Trauernden sind unterschiedlich von Depressiven
klinisch auffällige in der Regel nur kurz nach Todesfall
Prädiktoren für Entwicklung von depressiven Symptomen
– 
eigene Todeswünsche
– 
Konfusion der Gefühle und Selbstzweifel
exzessives Weinen
keine neuen Beschäftigungen
– 
– 
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
23!
Wie verarbeiten Jugendliche?!
Befragung von N = 39 Jugendlichen (Durchschnittsalter ca. 14 Jahre), die alle einen
Elternteil verloren hatten (im Rahmen von Masterarbeiten, unveröffentlicht).
Als wichtigstes Ergebnis konnte ein Zusammenhang zwischen Depressivität und
sozialer Unterstützung festgestellt werden, wobei sich vor allem die Unterstützung
naher Angehöriger und Freunden als wirkungsvoll erwiesen hat.
Vermeidung als überdauernder Bewältigungsstil, vor allem Ablenkung
zusammen mit Konzentrationsstörungen, war der wichtigste Prädiktor von
Depressivität – mit diesen beiden Variablen konnten über 50% der Varianz von
Depressivität aufgeklärt werden.
Sieben der 39 Jugendlichen wiesen erhöhte Depressionswerte auf.
Persönlichkeitsvoraussetzungen wie die spirituelle oder religiöse Erfahrung und
entwicklungsabhängige Bedürfnisse wie die Übernahme von Verantwortung stellten
sich als wichtige (positive) Komponenten im Verarbeitungsprozess heraus.
Interessant: Viele Jugendliche berichteten, dass sie mit ihren verstorbenen
Angehörigen eine Art „lebendigen“ Kontakt aufrecht halten.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
24!
Emotionale und physiologische Folgen von
Verlust!
>  Die emotionale Belastung, die durch den Verlust einer nahe stehenden
Person ausgelöst wird, kann sich verschiedenartig äußern. Es kommen
intensive Emotionen von Angst, Wut, Schuld und Trauer, aber auch Gefühle
der emotionalen Leere, Kälte und Zustände von Erleichterung oder
Einsamkeit vor.
>  Auf der Verhaltensebene lassen sich Apathie, Hysterie,
Betäubungsverhalten (Medikamente, Alkohol, Drogen), extensives
Reizsuchen (auch sexuell), Selbstverletzungen (bis zum Suizid), Ess- und
Schlafstörungen beobachten.
>  Auf der kognitiven Ebene zeigen sich Verleugnung (nicht wahrhaben
wollen), Gedankenleere und Gedankenrasen.
>  Somatisch kann sich eine Trauer in Schmerzen, in motorischer Unruhe und
Herz-Kreislaufstörungen äußern. Bei sehr intensiver Trauer können
emotionale Regulationsvorgänge nachhaltig gestört werden.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
25!
Emotionsregulation und positive Gefühle!
Eine nähere Betrachtung des verbalen Vermeidens zeigt, dass
das Zulassen positiver Gefühle (Bonanno & Keltner, 1997)
wichtig für eine gute Entwicklung ist. Das inhaltliche (thematische) Vermeiden selbst war kein Prädiktor.
26!
27!
Risiko- und Resilienzfaktoren!
• 
Art des Verlustes (Kind > Partner > übrige Angehörige)
• 
traumatisierende Umstände
• 
sekundäre Verluste (soziales Netz, ökonomische Ressourcen)
• 
Persönliche Ressourcen (Kohärenzsinn, Selbst-Komplexität,
optimistische Lebenseinstellung etc.)
• 
Unterstützung durch Angehörige, Freunde und weitere
Nahestehende
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
28!
Verlust als Trauma!
>  Trauer kann als „Modell“ eines psychischen Traumas begriffen
werden
>  In Analogie zu einem Trauma werden in der Trauer um eine
geliebte Person Annahmen über eine gute, gerechte Welt
erschüttert (Janoff-Bulman „shattered world“)
>  Diese Erfahrung wird normalerweise ins Leben integriert
(„Trauerarbeit“)
>  In manchen Fällen gelingt dies nicht: dann wird die Trauer zum
Trauma
>  Dabei kommt der Vermeidung von schmerzhaften Emotionen
eine wichtige Rolle zu
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
29!
einfache vs. komplizierte Trauer!
Einfache Trauerreaktion
Komplizierte Trauerreaktion
Starke, impulsive emotionale
Allmähliche Anpassung an die
neue Realität, vergleichsweise
Verlauf
abnehmende Intensität der
gefühlten Trauer. Anpassung an
neue Wirklich-keit ohne die
verstorbene Person gelingt
Reaktionen wie Wut, Schuldgefühle und Angst. Manchmal
verzögerte Trauerreaktion.
Keine kontinuierliche Abnahme
der Trauerintensität. Die Trauer
wird oft nicht als Traurigkeit
erlebt. Anpassung an neue
Wirklichkeit gelingt nicht
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
30!
Fortsetzung!
Einfache Trauerreaktion
Trauerreaktion mit Rückzug
und häufigem Weinen. Der
Symptomatik Ausdruck der Trauerreaktion
ist stark von kulturellen
Normen geprägt
Gesundheit
soziale
Folgen
Einleitung
Komplizierte Trauerreaktion
Selbst schädigendes Verhalten,
Panikattacken, depressive Reaktion,
exzessive Reizbarkeit, anhaltende und
häufige Intrusionen, Gefühl innerlicher
Leere und allgemeiner Sinnlosigkeit
langfristig keine
gesundheitlichen Folgen
Schlaf- und Essstörungen, erhöhte
Anfälligkeit für Infektionserkrankungen
Kurzfristig Rückzug aus dem
gewohnten sozialen Umfeld,
langfristig keine negativen
Folgen
Vernachlässigung des sozialen
Netzes, Einbussen im Bereich des
beruflichen Funktionierens,
Vereinsamung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
31!
Emotionsspezifische und emotionsunspezifische Komponenten!
Gemeinsamkeiten von PTSD
und komplizierter Trauer:
! Wiedererleben einzelner
Bestandteile des Verlustes in
Form von intrusiven Gedanken
und Bildern (bis halluzinatorisch)
! Vermeidungsverhalten,
insbesondere das Verdrängen von
Gefühlen und Gedanken, welche
mit der verlorenen Person
assoziiert sind
! Verminderter Affekt
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
Unterschiede:
! Keine übertriebenen
Schreckreaktionen bei
komplizierter Trauer
! Weniger Schlafprobleme bei
komplizierter Trauer
Obwohl es zwischen beiden
Störungen Überlappungen
gibt, sind sie nicht isomorph
Aus einer Studie von Prigerson et al, 1999
32!
Die Anhaltende Komplexe Trauerreaktion
(DSM 5)!
33!
Störung durch eine Anhaltende Komplexe Trauerreaktion
DSM 5!
34!
Störung durch eine Anhaltende Komplexe Trauerreaktion
DSM 5!
35!
Epidemiologie/ Komorbidität!
Simon et al., 2007: The prevalence and correlates of psychiatric
comorbidity in individuals with complicated grief. Comprehensive
Psychiatry 48, 395-399.!
Komorbide Störung
Aktuell %
Lifetime %
Majore Depression MDD
55.3
71.8
Posttraumatische Belastungsstörung PTB
48.5
52.9
Panikstörung
13.6
21.8
Agoraphobie ohne Panik
1.0
1.0
Generalisierte Angststörung GAD
18.5
N/A
Soziale Phobie
7.8
13.1
Zwangsstörung OCD
6.3
6.8
Irgendeine Angststörung
62.6
69.4
Irgendeine Störung
75.2
84.5
Keine komorbide Störung
24.8
15.5
N = 206, nach Simon et al., 2007!
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
36!
Wie wird die Trauer zum Trauma?!
> 
Nach dem allgemeinen Stressmodell kann die traumatische Trauer als eine
Intensivierung der mit der Trauer verbundenen Reaktionen (emotional,
kognitiv, somatisch) betrachtet werden.
> 
Der “normale” Verlauf der Trauer erfolgt über die “Phasen”: Schock - nicht
wahrhaben wollen, emotionaler Aufschrei (Dysregulation), klares
Schmerzempfinden und Trauer --> “Verarbeitung, Trauerarbeit”
> 
Die Komplizierung der Trauer findet über weitere Stufen statt: mit dem
Schmerz kommt es zu dysfunktionalen Kognitionen, die wiederum
schmerzhafte emotionale Reaktionen auslösen --> es resultiert eine
Verstärkung des Verlusterlebens
> 
Die Verarbeitung gelingt nicht adaptiv, sondern über problematische
Bewältigungsstrategien (Vermeidung/Verleugnung), was paradoxerweise
vermehrte Intrusionen zur Folge hat.
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
37!
Das Aufschaukelungsmodell der Komplizierten Trauer (aus Znoj, 2004)!
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
38!
Psychische und somatische Folgen der
Komplizierten oder Traumatischen Trauer!
>  Psychisch: wie in der einfachen Trauer, jedoch oft
überlagert von Angstsymptomatik und affektiven
Störungen
>  beinhaltet wie PTB ein “aktives Gedächtnis”
>  Dysregulation emotionaler Befindlichkeit wie
unkontrolliertes, ständiges Weinen oder Wut, Panik
>  Somatisch: Schmerz (Herzschmerz), Störung des Schlaf-
Wachzyklus, Appetitlosigkeit, verminderte Abwehrkräfte
(Immunsystem)
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
39!
Therapie !
40!
Daily Telegraph
Juni, 2005!
Worauf stützen sich die
!
Aussagen so namhafter
!
Forscher
wie Maggie
Stroebe oder Colin
Murray Parkes?!
Wann ist eine
Intervention aber sinnvoll
und notwendig?!
Gibt es dafür empirische
Evidenz? !
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Wirksamkeit nach Trauergruppen Schut et al., 2001
Primäre Intervention
Sekundäre Intervention
Tertiäre Intervention
Einleitung
Einleitung
Erklärungsmodelle
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Diagnostik
Therapie !
Alle Trauernde
Risikogruppen
Komplizierte Trauer
41!
Therapie !
Effect of Psychological Interventions on Targeted
Populations (Currier, Neimeyer & Bermann, 2008)
42!
Therapie der komplizierten Trauer!
>  In den letzten beiden Jahren wurden mehrere kognitiv-verhaltens-
therapeutische Therapien für komplizierte Trauer entwickelt (Boelen et al.,
2007; Shear et al., 2005; Wagner et al., 2006)
>  Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken für Trauma-ähnliche
Symptome wie z.B. ängstlich-depressives Vermeidungsverhalten
>  Kognitive klärende Elemente für Schuldgefühle, „unfinished business“ etc.
>  Wirksamkeit für komplizierte Trauer (in kontrollierten Studien)
nachgewiesen
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
43!
Das duale Prozessmodell: Implikationen für
die Psychotherapie!
Eine Komplizierte Trauer hat verschiedenen Ursachen, die sich aber in zwei
grundlegende Aufgaben – Tolerieren und Adaptation - unterteilen lassen:
1)  Das Aushalten des Trauerschmerzes; Das Lernen, mit diesen „rohen“
Gefühlen umzugehen und den Schmerz zu dosieren, damit er allmählich
in ein Gefühl der Traurigkeit und des Verlustes übergehen kann. Damit
diese Arbeit geschehen kann, muss der Verlust als Verlust akzeptiert und
Ressourcen bereit gestellt werden.
2)  Wiederherstellung: „das Leben geht weiter“... In welcher Wese sind
Lebensziele durch den Verlust bedroht? Was „braucht es“, damit das
Leben weitergehen kann? Welche Aufgaben stehen an (z.B. Kinder,
Beruf, Selbstfürsorge etc.)? Welche Erinnerungen möchte ich behalten?
Worden (1986) unterscheidet vier Aufgaben, die der oder die Trauernde zu erfüllen hat:
a) Akzeptanz, b) den Schmerz zulassen, c) Anpassen und
d) die Beziehung zur verstorbenen Person neu definieren.
44!
Trauerbegleitung in Institutionen!
> 
Wie sieht die Abschiedskultur aus in meiner Institution? Gibt es
gemeinsame Werte und Normen?
> 
Existieren Strukturen, die Mitarbeitern ermöglichen, sich auf Sterbende
und ihre Angehörigen einzulassen, sie zu begleiten?
> 
Gibt es Kommunikationsstrukturen oder müssen diese noch entwickelt
werden?
> 
Wie und von wem werden welche Entscheidungen getroffen?
> 
Kann der Prozess des Abschiednehmens und Verlustes reflektiert werden
im Team, mit den Angehörigen?
> 
Gibt es spezifische Weiterbildungsangebote?
> 
Kann der Abschied gestaltet werden, gibt es dafür Ressourcen?
> 
Gibt es Rituale und passen diese in die Institution, entsprechen sie den
Bedürfnissen der Angehörigen, des Teams, (des Sterbenden)?
> 
Was erlebt das Team, erleben die Angehörigen als hilfreich, was als
belastend?
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
45!
Schlussfolgerung!
" 
Allgemeine Interventionen (Medikamente, Psychotherapie) sind unwirksam oder können sogar negative
Effekte bewirken
" 
Trauerbegleitung ist keine Intervention, sondern ein
Prozess, der (teilweise) geteilt wird
" 
Interventionen zu früh können möglicherweise sogar
schaden
" 
Risikogruppen oder Personen, die an komplizierter
Trauer leiden, können von einer Intervention dagegen
stark profitieren
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
46!
Do’s & Dont’s!
gut
nicht so gut
- Trauer als gefährlichen Zustand
beenden
- Normalisieren der Trauerreaktion
- Normatives Vorgehen (”Weinen ist
- Individuelles Vorgehen
gut”...)
- Emotionen als Ressource nutzen
- Ausschliesslich individuelle
und aktivieren
Sichtweise der Trauer
- Tod als Erfahrung akzeptieren
- Emotionen problematisieren
- Tod tabuisieren
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
47!
Take Home!
>  Trauernde machen oft die Erfahrung, dass sie durch das Ereignis
persönlich reifer geworden sind
>  Aber: das psychische Funktionsniveau ist vom letzten Punkt
weitgehend unabhängig
>  Psychotherapeutische Interventionen sind nur bei Komplizierter
Trauer indiziert
>  Trauerbegleitung in Institutionen erfordert eine Abschiedskultur,
die sowohl das Team, den Sterbenden als auch die Angehörigen
vor und nach dem endgültigen Verlust in ihren Bedürfnissen
unterstützt
>  Das aktive Aufsuchen positiver Emotionen unterstützt die
emotionale Verarbeitung des Verlustes
Einleitung
Erklärungsmodelle
Diagnostik
Therapie !
48!
Literaturhinweise!
> 
Schärer-Santschi, E. (Ed.). (2012). Trauern. Trauernde Menschen in Palliative
Care und Pflege begleiten. Bern: Hans Huber, Hogrefe AG.
> 
Stroebe, M. S., Hannson, R. O., Stroebe, W., & Schut, H. (Eds.). (2001).
Handbook of bereavement research. Consequences, coping, and care (1 ed.).
Washington, DC: American Psychological Association.
> 
Worden, J. W. (1986). Beratung und Therapie in Trauerfällen. Bern: Huber.
> 
Wolf, D. D. (1992). Einen geliebten Menschen verlieren - vom schmerzlichen
Umgang mit der Trauer (2. ed.). Neustadt: PAL Verlagsgesellschaft mbH
Mannheim.
> 
Znoj, H. J. (2009). Trauer. Psychiatrie und Psychotherapie up2date (3), 317-331.
> 
Znoj, H. J. (2004). Komplizierte Trauer. Leitfaden für Therapeuten. Göttingen:
Hogrefe.
49!
Dank!
Die vorliegenden Aussagen und Schlussfolgerungen wären nicht möglich
gewesen ohne die Mithilfe zahlreicher Mitarbeiter, Studierender und auch
persönlicher Erfahrungen. Besonders erwähnen möchte ich:
Agnes Plaschy
Dominique Keller
Marieke Kruit-Lauener
Catherine Wüthrich
Lawrence Calhoun
Rich Tedeschi
Andreas Maercker
Mardi Horowitz
meinen verstorbenen Chef Klaus Grawe
50!
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