KLASSIKKENNENLERNEN Eine musikalische Zeitreise von Bach bis Lutoslawski 8.520039 Dr. Stefan Schaub KLASSIKKENNENLERNEN Faszination Klavierkonzert 1 In der Reihe KLASSIKKENNENLERNEN sind bereits folgende Titel erschienen: NX 8.520040: Die Sonatenform bei Mozart und Beethoven NX 8.520041: Das Genie Bachs in der Matthäus-Passion Die für die CD „Faszination Klavierkonzert“ verwendeten Musikbeispiele finden Sie auf folgenden NAXOS-CDs: Bach, 5. Brandenburgisches Konzert: 8.550048 Mozart, KK Nr. 1 KV 37: 8.550212 Mozart, KK Nr. 20 KV 466 + Nr. 21 KV 467 : 8.550434D Beethoven, KK Nr. 2+5 8.550121 Beethoven, KK Nr. 1: 8.550190 Beethoven, KK Nr. 3+4: 8.550122 Chopin, KK e-Moll: 8.550369 Brahms, KK d-Moll: 8.5504675 Rachmaninow, KK Nr. 2: 8.550117 Prokofjew: KK Nr. 5: 8.550565 Lutoslawski: 8.553169 2 8.520039 Faszination Klavierkonzert Track 1: Die Geburtsstunde der Gattung Klavierkonzert 11:06 Track 2: Mozart vollendet im Klavierkonzert seinen persönlichen Stil und den der Wiener Klassik 11:08 Track 3: Beethoven erweitert Form und Ausdruck zur Romantik hin 11:50 Track 4: Der „Langsame Satz“ bei Mozart und Beethoven 18:10 Track 5: Beispiel für das „Virtuosenkonzert“: Chopin 3:09 Track 6: Brahms übernimmt das Erbe Beethovens und vollendet die „Sinfonie mit Klavier“ 5:17 Track 7: Rachmaninoff und Tschaikowski führen die virtuose und die sinfonische Linie zusammen 3:22 Track 8: Humor und Neoklassizismus bei Prokofieff 5:05 Track 9: Die Gattung lebt weiter: Lutoslawski 6:16 75:25 8.520039 3 Faszination Klavierkonzert Unter den Solo-Konzerten, also den Konzerten für Violine und Orchester, Cello und Orchester, Oboe und Orchester oder welcher Besetzung auch immer, ragen die Klavierkonzerte aus mehreren Gründen besonders heraus: Bei keiner Gegenüberstellung zwischen dem Solisten und dem Orchester ist der Klangkontrast so groß wie bei einem Klavierkonzert: Bei einem Violinkonzert kommt ja der Klang der Violine auch im Orchester selbst vor (auch wenn sie dort in der großen Besetzung etwas anders klingt), ebenso das Cello oder die Oboe. Das Klavier hingegen bringt schon durch seine physikalische Beschaffenheit einen intensiveren Kontrast: Eigentlich handelt es sich nämlich um ein Schlaginstrument. So spricht man ja auch zu Recht vom "Anschlag". Dementsprechend ist die Tonerzeugung markanter, bisweilen auch aggressiver als bei einem Streich- oder Blasinstrument. All dies schafft einen unvergleichlich größeren Kontrast zu dem Orchester, mit dem es sich messen muss. Gleichwohl kann es aber auch zu wunderbaren Klangverschmelzungen kommen: Wenn das Klavier "rauschende" Passagen spielt und das Orchester dazu einen "Klangteppich" ausbreitet, dann entsteht in unserem Ohr ein Zauber, den wir als ganz besonders reizvoll erleben. Ein weiterer wesentlicher Unterschied gegenüber anderen Solo-Instrumenten liegt in der banalen Tatsache, dass das Klavier durch seine Vielstimmigkeit, die nur in der Anzahl der Finger des Pianisten ihre Begrenzung findet, fast so etwas wie ein "Orchester in sich" darstellt. Es ist somit kein Zufall, dass es J. S. Bach war, der mit seiner Vorliebe für Mehrstimmigkeit das Klavier als erster dem Orchester in einem SoloKonzert gegenübergestellt hat. Und der Radius der Entwicklung, der sich dann bis in die Moderne des 20. Jahrhundert ergeben hat, ist gewaltig: Die Spieltechnik wird immer grandioser, der Klang des Konzertflügels immer voller. 4 8.520039 Das Klavierkonzert: Merkmale der Gattung Die wichtigsten Gattungen haben drei oder vier Sätze. Als Faustregel gilt: Sinfonie / Streichquartett: 4 Sätze I. Satz: Sonatenform II. Satz: Andante / Adagio III. Satz: Menuett / Scherzo IV. Satz: Finale Sonaten / Solo-Konzerte: 3 Sätze I. Satz: (veränderte) Sonatenform II. Satz: Andante / Adagio (kein Menuett / Scherzo) III. Satz: Finale Der "erste Satz" oder: Warum lässt der Pianist so lange auf sich warten? Mit dieser Frage berühren wir einen wesentlichen Unterschied der jeweiligen I. Sätze, die in den meisten Gattungen in der sogenannten Sonatenform stehen. (Details auf der CD: KLASSIKKENNENLERNEN 2 "Die Sonatenform bei Mozart und Beethoven"). Das übliche Schema dieses Form-Modells ist: Exposition - (Wiederholung der Exposition) Durchführung - Reprise. Bei Solo-Konzerten der Klassik hatte es sich eingebürgert, die Exposition nicht durch die wörtliche Wiederholung zweimal zu spielen, sondern in zweierlei Varianten: zuerst ohne den Solisten, als ob es sich um eine Sinfonie handeln würde (man spricht deshalb von der "Orchester-Exposition"), dann mit dem Solisten (die Solo-Exposition). Dies ergibt dann das modifizierte Schema für die Sonatenform in Solo-Konzerten: Orchester-Exposition - Solo- Exposition - Durchführung - Reprise. Dass der Pianist also zu Beginn eines Klavierkonzertes so lange "warten" muss, hat seinen Grund in der Logik der Architektur der Sonatenform. 8.520039 5 Ausnahmen, die uns nicht verwirren sollen Keine Regel ohne Ausnahme! Doch selbst die Ausnahmen haben in diesem Falle System, es gibt nämlich zwei Typen davon. Der erste behält die eben beschriebene doppelte Exposition bei, zieht jedoch das Klavier aus Gründen des Klanges oder der formalen Überraschung nach vorn: Von den 27 Mozart-Klavierkonzerten ist dies bei einem der Fall, dem Es-Dur-Konzert KV 271. Hier wechseln sich Orchester und Soloinstrument schon bei der Vorstellung des Hauptthemas in der OrchesterExposition ab. Danach allerdings wird die Exposition "normal" weitergespielt, also ohne den Solisten, der dann erst bei der Solo-Exposition dabei ist. Beethoven verfährt in ähnlicher Weise bei den beiden letzten seiner fünf Klavierkonzerte: im G-DurKonzert eröffnet das Klavier in romantischer Zartheit, im Es-Dur-Konzert mit einer großen Virtuosen-Einleitung. Vergleicht man die beiden Brahms-Klavierkonzerte, so folgt das erste dem Regelfall, das zweite zieht das Klavier an den Anfang vor, um dann erst "normal" fortzufahren. Die andere Variante wäre, dass es nur noch eine einzige Exposition gibt und damit der Solist von vornherein der gleichberechtigte Partner im Geschehen ist. Bei den großen Violinkonzerten könnte man dabei an das Mendelssohn-Konzert denken, bei den Klavierkonzerten an das von Schumann oder Rachmaninow. Die "Langsamen Sätze" in den Klavierkonzerten Neben allem, was uns diese Gattungen an beglückenden ästhetischen Erlebnissen schenkt: Die Langsamen Sätze gehören zum Herzstück dessen, was die Musik des klassisch-romantischen Zeitalters aufweisen kann. Bedenkt man, dass von den anderen Gattungen die Sinfonie vielleicht die am nächsten verwandte wäre (schon durch die 6 8.520039 Größe der Besetzung), so kann man gerade bei Mozart und Beethoven erkennen, dass es deutliche Unterschiede gibt gerade in der Haltung gegenüber dem Langsamen Satz. Das höchste Maß an Schönheit und Innigkeit, das zeigen die Beispiele auf dieser CD sehr deutlich, erreichen diese Komponisten in den Klavierkonzerten: Inspiriert durch die Möglichkeit, Kontraste zu bilden oder aber Klangverschmelzungen in der Weise wie eingangs beschrieben, kommt es zu wahren Wundern musikalischer Ausdruckskraft! Das Finale als "Rausschmeißer" Im Gegensatz zu den jeweiligen ersten Sätzen, die sich um die Lösung architektonischer Probleme im Sinne der Sonatenform bemühen, haben die Schlusssätze eher einen lockeren Charakter: Hier kommt das Spielerische, Virtuose mehr zum Tragen. Bei Mozart gibt es oft eine erkennbare Nähe zur Heiterkeit der Opera buffa. Die Mehrzahl dieser Sätze steht in der Rondo-Form (A-B-A-C-A-B-A). 8.520039 7