Ein paar Anmerkungen zur Greenschen Funktion

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Universität Stuttgart
1. Institut für Theoretische Physik
Dr. Holger Cartarius
Ein paar Anmerkungen zur Greenschen Funktion
Die Greensche Funktion wurde in der Vorlesung als Methode zum Lösen linearer, inhomogener
Differentialgleichungen vorgestellt. Auf diesem Blatt sollen ein paar Ergänzungen gegeben und ein
paar Fragen aus der Vorlesung aufgegriffen werden. Wie bei vorherigen Blättern dieser Art gilt:
Wer sich tiefergehend informieren oder mehr zu physikalischen Anwendungen wissen möchte, greife
zu einem mathematischen oder physikalischen Lehrbuch. Beispielsweise bietet das Buch „Mathematical Methods for Physics and Engineering“ von Riley, Hobson und Bence aus der Literaturliste
der Vorlesung eine gute Einführung. Mehr zu Anwendungen in der Mechanik findet man im Buch
„Klassische Mechanik“ von F. Kuypers, Wiley-VCH.
Was ist die Greensche Funktion? Die Greensche Funktion ist die Lösung einer linearen Differentialgleichung (DGL) N -ter Ordnung
N
X
i=0
ai (x)
di
G(x, z) = δ(x − z)
dxi
(A)
bei der die Inhomogenität aus der δ-Funktion besteht. Sie gilt aber nur für vorher gewählte
Rand- oder Anfangsbedingungen, die das Problem eindeutig definieren – bei einer DGL N -ter
Ordnung sind das genau N Bedingungen – und in einem vorgegebenen Intervall.
Was gewinnt man aus der Greenschen Funktion? Haben wir die Greensche Funktion für die gewählten Rand- oder Anfangsbedingungen im gewünschten Intervall [a, b] aufgestellt, erhalten
wir für jede Inhomogenität b(x) die gesuchte Lösung yl (x) der DGL aus dem Integral
yl (x) =
Z
b
G(x, z)b(z) dz ,
(B)
a
d.h. wir haben – etwas euphorisch ausgedrückt – eine „universelle“ Lösung gefunden. Wir
müssen die DGL nicht für verschiedene Inhomogenitäten lösen, sondern müssen „nur noch“
das Integral (B) berechnen.
Es soll noch angemerkt werden, dass die Greensche Funktion ihre vollen Fähigkeiten erst
beim Lösen partieller Differentialgleichungen entfaltet, die wir in der Vorlesung nicht behandeln können. Hier bieten sich weitaus mehr Gründe, die Greensche Funktion einer anderen
Lösungsmethode vorzuziehen. Dafür benötigt man dann aber auch weitere Werkzeuge, die
uns noch nicht zur Verfügung stehen. Das Prinzip und die Idee der Greenschen Funktion
bleiben aber immer die gleichen, und genau das sollte in der Vorlesung vermittelt werden.
Wie kommt man auf diesen Ansatz? Die Differentialgleichung (A) erhält man, wenn man den
Ansatz (B) in die ursprüngliche inhomogene Differentialgleichung einsetzt. In der Vorlesung
haben wir das für den Fall konstanter Koeffizienten,
N
X
ai y (i) (x) = b(x)
i=0
1
(5.19)
betrachtet. Wie kommt man aber darauf, das Integral (B) anzusetzen? Dies darf auf dem
Stand unserer Vorlesung als Versuch betrachtet werden, der funktioniert hat. Die Lösung (B)
war unser Wunsch und wir hatten Erfolg damit, ihn uns zu erfüllen. Etwas plausibler wird der
Ansatz erst, wenn man über das hinausgeht, was wir in der Vorlesung behandelt haben und
was auch mit diesem Blatt abgedeckt werden kann. Ein wenig mehr Einblick sollte jedoch
bereits mit den folgenden Fragen gewährt werden können.
Für was benötigt man die Stetigkeits- und Sprungbedingungen aus der Vorlesung? Zur Beantwortung der Frage wiederholen wir, wie die Greensche Funktion aussehen muss. Sie ist Lösung
der Differentialgleichung (A) und muss somit für alle x 6= z mit der Lösung der zugehörigen
homogenen DGL übereinstimmen. Sie muss also die in der Vorlesung angegebene Form
G(x, z) =
(P
N
i=1 ci (z)yi (x)
PN
i=1 di (z)yi (x)
für x < z
für x > z
(C)
mit den N Lösungen yi (x) der homogenen DGL haben. Dabei ist es wichtig, die Lösung in
den Bereichen links und rechts von der δ-Funktion getrennt anzusetzen, denn bei x = z wird
die Lösung der DGL durch die δ-Funktion in einer Art beeinflusst, wie sie von der Lösung der
homogenen DGL nicht erfasst werden kann, dort ist die DGL ja gerade nicht mehr homogen,
sondern muss dem (unendlich hohen) Ausschlag der δ-Funktion gerecht werden.
Trotzdem sind die beiden Bereiche nicht unabhängig. In der Vorlesung haben wir ausführlich
besprochen, wie der Einfluss aussieht. Für die DGL N -ter Ordnung (A) haben wir gesehen,
dass die N -te Ableitung bei x = z einen unendlich hohen Sprung haben muss, damit sie (A)
erfüllen kann. Daraus konnten wir einen endlichen, eindeutig berechenbaren Sprung für die
Ableitung y (N −1) folgern und, dass alle niedrigeren Ableitungen, also y (N −2) bis y (0) (x) =
y(x), an dieser Stelle stetig sind. Das sind zusammen N Bedingungen, die exakt festlegen,
wie die beiden Lösungen für x < z und x > z miteinander verknüpft sind.
Damit ist der ganze Einfluss der δ-Funktion abgedeckt. Wir wissen nun, was mit der Lösung
einer DGL passiert, wenn die δ-Funktion als Inhomogenität vorkommt. Der Sprung in der
Ableitung y (N −1) ist genau diese Auswirkung. Die ganze Information über die Inhomogenität
δ(x − z) steckt in der „Höhe“ des Sprungs. Einen anderen Einfluss hat die δ-Funktion nicht,
kann sie auch nicht haben, denn für x 6= z verschwindet sie.
Zum Abschluss dieser Frage können wir noch abzählen, ob wir wirklich alle Freiheiten aus
dem Ansatz (C) abgedeckt haben. Dieser enthält N freie Integrationskonstanten ci sowie
ebenfalls N freie Integrationskonstanten di . Andererseits haben wir die N erwähnten Sprungund Stetigkeitsbedingungen sowie die N bei der ersten Frage erwähnten Anfangs- oder Randbedingungen, für die wir die Lösung der DGL suchen. Den 2N wählbaren Konstanten stehen
also genau 2N Bedingungen gegenüber. Damit ist die Greensche Funktion eindeutig bestimmt.
Es gibt keine Freiheiten mehr.
Wie war das nun mit der physikalischen Interpretation? Die physikalische Interpretation hängt
sehr von der Anwendung ab. Am anschaulichsten ist ein Beispiel aus der Mechanik, wie es
schon in der Vorlesung erwähnt wurde und das auch hier aufgegriffen werden soll. Betrachten
wir z.B. eine (Schwingungs-)DGL der Form
ẍ(t) + 2γ ẋ(t) + ω02 x(t) = f (t)
2
mit einer Kraftfunktion f (t) (physikalisch ist dies eine Kraft pro Masse), die eine äußere
Anregung beschreibt, also z.B. die Kraft eines Motors, der ein Pendel bewegt. Die Kraft soll
etwa die folgende Form haben:
f(t)
tA
t1
t2
tE
t
Das Aufstellen der Greenschen Funktion bedeutet nun, dass wir die DGL nicht für die Inhomogenität f (t) lösen, sondern, dass wir uns erst für einen unendlich kurzen, auf 1 normierten
Stoß zur Zeit τ interessieren. Wir fragen uns, wie reagiert das Pendel auf diesen Stoß. Diese
Frage beantworten wir mit dem Lösen der DGL
G̈(t, τ ) + 2γ Ġ(t, τ ) + ω02 G(t, τ ) = δ(t − τ ) ,
die δ-Funktion ist die mathematische Beschreibung dieses Stoßes. Die so gefundene Lösung,
die wir G(t, τ ) nennen (Das ist unsere Greensche Funktion!), beschreibt also die Reaktion des
Pendels für den Fall, dass es zur Zeit τ angestoßen wird, nichts weiter.
Nun aber zurück zu unserer Kraftfunktion f (t). Diese können wir uns zerlegt vorstellen als eine
Summe unendlich vieler Stöße, die alle für sich unendlich kurz sind. In der Abbildung oben
ist z.B. die Zeit t1 herausgegriffen. Der zugehörige Stoß (Linie bei t1 ) wird mathematisch
beschrieben durch f (t1 )δ(t − t1 ), da der δ-Stoß auf 1 normiert ist und f (t1 ) die Kraft zu
diesem Zeitpunkt beschreibt. Gäbe es nur diesen einen Stoß, lautete die gesuchte Lösung
x1 (t) = G(t, t1 )f (t1 ). Wir müssen also die Greensche Funktion für τ = t1 auswerten, weil der
Stoß zu diesem Zeitpunkt stattfinden soll und mit f (t1 ) multiplizieren (Die DGL ist linear!).
Nehmen wir noch den Stoß bei t2 hinzu, ist sofort einsichtig (Linearität!), dass die Lösung
x1+2 (t) = G(t, t1 )f (t1 ) + G(t, t2 )f (t2 ) lautet.
Die gesamte Kraft f (t) erhalten wir, indem wir alle Stöße aufaddieren. Ganz analog erhalten wir die Lösung der DGL für f (t) als die Summe der Reaktionen auf alle Stöße, die im
Grenzwert zum Integral
Z
xf (t) =
tE
G(t, τ )f (τ )dτ
tA
wird. Man interpretiert diese Gleichung folgendermaßen: G(t, τ ) sagt uns, wie das Pendel auf
den Stoß der Stärke 1 zur Zeit τ reagiert, während f (τ ) uns sagt, wie stark der Stoß zu diesem
Zeitpunkt tatsächlich ist. Weil die Differentialgleichung linear ist, können wir nun alle diese
Stöße zur Reaktion des Pendels auf die kontinuierliche Kraft f (t) zusammenaddieren. Aus
dieser Betrachtung ergibt sich dann auch eine physikalische Motivation für den Ansatz (B).
Warum sind homogene Rand- oder Anfangsbedingungen so wichtig? In der Vorlesung wurde erwähnt, dass der dort vorgestellte Weg nur mit homogenen Rand- oder Anfangsbedingungen,
d.h. Bedingungen der Form y (i) (xj ) = 0 (Null auf der rechten Seite!), funktioniert. Warum ist
das so? Betrachten wir dazu das Beispiel von oben mit den zwei Stößen zu den Zeiten t1 und
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t2 . Die Greensche Funktion soll so festgelegt werden, dass jede Lösung für jede Inhomogenität die Rand- oder Anfangsbedingungen erfüllt. Erfüllen die Lösungen x1 (t) = G(t, t1 )f (t1 )
und x2 (t) = G(t, t2 )f (t2 ) zum Beispiel einzeln die Anfangsbedingung x(0) = 0, so ist sofort
ersichtlich, dass auch die Lösung x1+2 (t) = G(t, t1 )f (t1 ) + G(t, t2 )f (t2 ) die selbe Anfangsbedingung erfüllt, weil sie sich gerade aus der Summe der beiden Lösungen x1 (t) und x2 (t)
ergibt. Fordern wir stattdessen zum Beispiel x(0) = 2 wird ebenfalls sofort klar, dass diese
Bedingung sich nicht mit der gleichen Greenschen Funktion für sowohl x1 (t) und x2 (t) einzeln
als auch x1+2 (t) erfüllen lässt. Wie wir ganz elegant mit inhomogenen Rand- oder Anfangsbedingungen umgehen können, wird in Übungsaufgabe 27 behandelt. Die gleiche Betrachtung
gilt natürlich auch für die Lösung (B).
Und wie bestimmt man nun die Greensche Funktion für eine gegebene Differentialgleichung?
Das wurde so ausführlich in der Vorlesung besprochen, dass dem nichts mehr hinzuzufügen
ist.
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