"Inselkomödie": Ein Käfig voller Selbstentblößer

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http://www.tagesspiegel.de/kultur/inselkomoedie-ein-kaefig-voller-selbstentbloesser/1894696.html
01.08.2010 13:29 Uhr
"Inselkomödie"
Ein Käfig voller Selbstentblößer
von Andreas Schäfer
Dramatiker Rolf Hochhuth zeigt seine "Inselkomödie" am Schiffbauerdamm. Es gibt
Parallelen zu Claus Peymanns letzter Inszenierung am gleichen Ort.
Nichts geht, alles muss. Ist das etwa ein ClausPeymann-Zitat? Schon nach gefühlten zehn
Sekunden Spielzeit lässt der erste männliche
Schauspieler die Hosen herunter, um die erste
weibliche Schauspielerin zu begatten, die dabei
gen Publikum die Augen verdreht, als befände
sie sich beim Casting für einen Sexfilm. Bei
einer der letzten Inszenierungen von Claus
Peymann an gleichem Ort war das so ähnlich.
Bei Goldonis „Trilogie der Ferienzeit“ riss sich
nach gefühlten zehn Sekunden der erste
Das Treiben der Playboys und Bunnys. - FOTO: DAVID BALTZER
Schauspieler das Handtuch vom ansonsten
nackten Leib, während die weiblichen
Schauspielerinnen mit Brust und Popo wackelten, als befänden sie sich beim Casting für einen
Sexfilm.
Das wäre natürlich was, wenn der Theaterbesitzer Rolf Hochhuth – der bekanntlich jedes Jahr mit
dem BE-Intendanten (und seinem Untermieter) Claus Peymann um die ihm rechtmäßig zustehende
Sommerbespielung des Hauses streitet –, wenn Rolf Hochhuth bei eben dieser Sommerbespielung
als Allererstes Claus Peymann zitiert! Aus Rache? Als raffinierte Form der Peymann-Verhöhnung?
Oder doch als plumpe Anbiederei? Denn schließlich will Hochhuth nächstes Jahr wieder ins Haus.
Der Anfang beweist zumindest eines: Das Hochhuth-Theater kann es noch vulgärer. Denn während
sich die Schauspieler bei Peymann nur entblößen dürfen, müssen sie bei Hochhuth auch noch
unablässig ihre Unterleiber gegeneinander klatschen lassen. Zweieinhalb Stunden will dieser Abend
partout nicht aus der Rammelbude heraus. Zweieinhalb Stunden begleiten die Herren ihre
Kalauertexte mit stoßenden Hüftbewegungen. Zweieinhalb Stunden lüpfen die Frauen ihre Röcke,
reißen die Schenkel auseinander oder pressen ihre Brüste aus dem Ausschnitt hervor. Zweieinhalb
Stunden springt dieser Abend also unablässig dem Zuschauer mit blankem Arsch ins Gesicht. Ups,
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japst man. Und gleichzeitig: Wahnsinn, was für Altherrenfantasien man im verrückten Berlin so
erleben kann!
Gegeben wird Hochhuths Stück „Die Inselkomödie“, das Hochhuth schon in den siebziger Jahren
geschrieben hat, deren Wiederaufführung nun aber trotzdem Uraufführung genannt werden darf,
weil Komponist Florian Fries das Stück in ein Musical verwandelt hat. Die Handlung spielt auf
einer griechischen Insel, auf der die Amerikaner einen Nato-Stützpunkt einrichten wollen. Um den
Landverkauf zu verhindern, begeben sich die Inselfrauen, geführt von der resoluten Lysistrate, in
einen Sexstreik, nisten sich in der Taverne von Konstantinos ein und machen’s stattdessen mit den
Soldaten. Dem einerseits vorenthaltenen und gleichzeitig wahllos praktizierten Sex kommt dabei
eine – äh – doppelt aufklärerische Rolle zu. Die Frauen emanzipieren sich von ihren Männern.
Außerdem bringt die Rammelei in den Soldaten so etwas wie Vernunft zum Vorschein. Sie
realisieren, dass das mit dem Nato-Stützpunkt Quatsch ist und melden ihren Vorgesetzten, die Insel
sei untauglich. Das Stück kam übrigens auch in den hoch politisierten Siebzigern nicht gut an.
Aber wie im Hochhuth-Sommertheater üblich, ist die Inszenierung nur das i-Tüpfelchen, während
das Hauptdrama im Vorfeld stattfindet. Im letzten Jahr hat Peymann Hochhuth nicht ins Haus
gelassen, worauf dieser vor den Kameras der Boulevardpresse laut am Tor des Berliner Ensembles
gerüttelt und wüste Beschimpfungen ausgestoßen hat. Heuer durfte Hochhuth herein (das Haus
muss er aber Theater am Schiffbauerdamm nennen), musste notgedrungen auf anderem Wege
Aufmerksamkeit erregen und machte aus der Besetzung eine Farce. Lysistrate wird von der
Moderatorin und Kleinstfernsehrollendarstellerin Caroline Beil gegeben, deren angestrengtem
Dauerlächeln man ansieht, dass sie hauptsächlich damit beschäftigt ist, Text und Schritt-, also
Entblößungsfolgen nicht zu vergessen.
Der Lindenstraßen-Wirt Kostas Papanastasiou macht den griechischen Insel-Wirt, darf Ouzo
ausschenken und am Ende griechisch tanzen. Als absoluter Special-Guest-Knaller hat der älteste
Schauspieler der Welt, der 106-jährige Johannes Heesters, zwei kurze Auftritte als König. Zu
Beginn sitzt der fast erblindete Herr in einem riesigen Thron und hält einen Monolog über die
Dominanz der Frauen. Nach der Pause rezitiert er ein flämisches Gedicht aus seiner Kindheit, von
dem kein Wort zu verstehen ist. Angeblich hat Regisseur Heiko Stang ihm den Text gestrichen,
aber Heesters hat sich wohl nicht an die Vorgabe gehalten. Warum hätte er das in diesem Käfig
voller Selbstentblößer auch tun sollen?
Wieder heute und am 5., 6., 7., und 8.8.
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