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VOLKSOPER WIEN
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BURGTHEATER
Traumreise eines
genialen Narren
CLAUS PEYMANN. Der Regiemeister inszeniert am
Burgtheater die Uraufführung von Peter Handkes
Schauspiel in vier Jahreszeiten „Die Unschuldigen,
ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“.
FOTO: IAN EHM/NEWS
E
in außergewöhnlicheres Stück für
ein Comeback mit einer Uraufführung am Burgtheater kann man sich
kaum vorstellen“, sagt ein vor Begeisterung strahlender Claus Peymann.
„Peter Handkes neues Schauspiel ist ein
großer poetischer Traum, und ich wünsche mir, dass etwas von dieser Neugier
überspringt, die man in Wien im Theater
vorfinden kann. Eine Neugier, die nicht
nur auf Sensation und Kick-off reagiert,
sondern auch auf Zauber, auf Musik, auf
Träume.“
Handkes Die Unschuldigen, ich und die
Unbekannte am Rand der Landstraße ist
tatsächlich nicht nur in seiner Struktur
verblüffend, sondern auch eine sensationelle Herausforderung. „Ein ‚Ich‘ im
Wechsel mit einem ‚Ich, Erzähler‘ und einem ‚Ich, der Dramatische‘ – (nicht immer unterschieden; zeitweise beide in einem)“, verheißt Handkes Personenliste
des Stückes. Dazu kursiv geschriebene,
durchaus spannende, seitenlange Anmerkungen, die auch gespielt werden
können. „Ich halte das für ein richtig großes, unerhörtes Drama“, erklärt der Regisseur. „Hoffentlich gelingt es uns, diese
seltsame Traumreise eines Dichters, eines Narren, eines Genialen, der in einen
Krieg mit seiner Umwelt gerät, auch entsprechend umzusetzen.“
Das Aufregende, so meint Peymann,
sei vor allem, dass der Dichter nicht ohne
Ironie „die Hauptfigur des Ich in zwei
Teile spaltet: den epischen und den dramatischen Peter Handke. Diese beiden
Figuren machen die Komplexität dieses
Ich aus. Das heißt, den epischen, betrachtenden, ruhigen Prosaschriftsteller und
den explosiven, manchmal auch neurotischen, wüsten Dramatiker: Zwei Seelen
wohnen in meiner Brust.“ Handke selbst
bezeichnet das Ich als „eine Mittelgestalt
zwischen Caliban und Prospero, ein
Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich
ein Zauberer“. So autobiografisch die Figur auch angelegt sein mag, sei doch,
wie Peymann betont, vor der Erwartung
zu warnen, es handle sich um ein „Schlüsselstück, das alles über den Autor erzählt“.
„Es wäre völlig falsch, die Lüsternheit
des Publikums auf Enthüllungen zu wecken“, sagt er. „Natürlich geht dieses Ich
sehr stark von dem Schriftsteller namens
Peter Handke aus, aber der Sprung in die
poetische Qualität ist so groß, dass das irrelevant erscheint. Die Verschlüsselung
ist extrem, es gibt keine SchlüssellochPerspektive. Es bleibt Phantasie, Fiktion,
ein poetischer Traum, eine autonome
Theatererfindung. Aber ist es nicht auch
ein großer romantisch-ironischer Jux, die
Hauptfigur ‚Ich‘ zu nennen? Bis hin zur
köstlichen Ironie des Endes, wo der Dramatische gesteht, es sei ihm noch nie ein
richtiger Theaterschluss geglückt. Der
leidenschaftliche Wettstreit zwischen
dem dramatischen und dem epischen
Ich, wer von den beiden den besseren
Schluss findet, wird hoffentlich eine wunderbare Szene.“
Peymann erzählt, dass er das Stück
schon lange kennt. „Ich hab’ Handke
über die Jahre hinweg immer wieder gebeten, schreib doch wieder etwas fürs
Theater. Als ich einmal bei ihm in Chaville
bei Paris war, hat er mir dieses noch unfertige Stück gegeben und gesagt: ‚Ich
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BURGTHEATER
DAS SPIEL VOM FRAGEN. Claus Peymanns erste große Handke-Uraufführung
am Burgtheater 1992.
geh’ jetzt in den Wald spazieren und du
kannst das Manuskript lesen.‘ Er ist weggegangen und ich bin beim Lesen kurz
eingeschlafen, weil ich so erschrocken
war. Dann hab’ ich sofort weitergelesen
und vor Aufregung überhaupt nichts
verstanden. Ich hab’ ihm gegenüber nur
gefaselt. So hat er es mir auch trotz meiner Bitte nicht mitgegeben. Als ich später
wieder einmal bei ihm war, hab’ ich gefragt: ‚Wie weit bist du denn inzwischen
mit dem Stück?‘ Da hat er es mir wieder
zum Lesen gegeben und ist wieder weggegangen. Und ich hab’ wieder geschlafen. Zugleich hab’ ich allerdings natürlich
auch gespürt, dass es wirklich etwas
ganz Großes ist. Aber ich war zu einem
richtigen Gespräch darüber einfach noch
nicht fähig.“
Nach diesem erstaunlichen Geständnis bekennt er grundsätzlich: „Ich wirke
vielleicht schnell und gescheit, bin es
aber nicht wirklich! Meine Suada, meine
scheinbare Geschwindigkeit sind nur
Überlebensstrategien. Letztlich bin ich
ein langsamer, mühsamer Mensch. Es ist
wohl meiner Begeisterung für die Literatur zu verdanken, dass ich das Glück
hatte, so viele Autoren gut zu kennen.
Möglicherweise verbindet uns auch, dass
ich wahnsinnig gern Schriftsteller geworden wäre. Aber ich habe erkannt, dass ich
den erforderlichen Preis für die Konsequenz, diese Art der Isoliertheit und Konzentration auf das Schreiben, nicht zu
zahlen bereit war. Ich arbeite eben gern
aus der Gruppe, aus der Familie heraus.
Ich bin ungern einsam. Aber die Einsamkeit ist der Preis für die unheimlichen
DIE STUNDE DA WIR NICHTS VONEINANDER WUSSTEN. Peymanns zweite
Handke-Uraufführung in Wien 1992.
Exerzitien, die Schriftsteller wie Bernhard, Handke, Turrini und natürlich auch
Elfriede Jelinek auf sich nehmen. Diese
Isolation war ich nicht bereit zu tragen.“
Ob sich Peter Handke seinen langjährigen Weggefährten, der bisher immerhin zehn seiner Stücke uraufgeführt hat,
nach den Erlebnissen in Chaville auch als
Regisseur seines jüngsten Stückes gewünscht hat, kann Peymann nicht sagen.
„Wir sind so unterschiedlich“, meint er,
„hier der katholische Mystiker und großartige Dramatiker, dieser stille und zugleich aggressive Aufklärer aus Österreich, und auf der anderen Seite dieser
protestantische Dickkopf aus Bremen,
größere Kontraste gibt es kaum. Aber ich
glaube, darin liegt auch der Reiz. Ich
habe im Grunde weder mit der Jelinek
noch mit Turrini, Bernhard oder Handke
etwas gemein – außer, dass ich sie liebe.
Fremd sind wir uns immer geblieben.“
Immerhin überdauerte ja die Beziehung zwischen dem Autor und dem
langjährigen Burgtheater-Direktor und
Regisseur nun schon mehrere Jahrzehnte. „Da hat es viele ganz unterschiedliche Gespräche und Diskussionen
über das jeweils neue Stück gegeben“,
erzählt Peymann. „In den ersten Jahren
war das immer sehr offen und bereitwillig. Später, in meiner Wiener Direktionszeit, in die ja vier Handke-Uraufführungen gefallen sind, habe ich manchmal
eine Woche lang bei ihm in Chaville gewohnt und ihn gelöchert mit Fragen. Da
war er ständig auf der Flucht vor mir, das
hat ihn, glaube ich, wahnsinnig gemacht.
Aber später bei den zwei Uraufführun-
ZURÜSTUNGEN FÜR
DIE UNSTERBLICHKEIT. Peymanns dritter Streich 1997
gen im Berliner Ensemble gab es wieder
freundschaftliche Treffen bei ihm zu
Hause. Das hat er nun bei seinem neuen
Stück allerdings rigoros verweigert, mir
praktisch nichts dazu gesagt. Wir haben
nur über den einen oder anderen Schauspieler gesprochen, aber kaum über das
Stück selber. So gilt es jetzt für uns, den
eigenen Weg zu suchen und zu finden.
Leicht war das nie bei seinen Stücken.“
Dennoch ist Peymann nach wie vor
hundertprozentig überzeugt von Handkes Begabung als Dramatiker: „Er selbst
äußert da ja gewisse Zweifel, aber ich
habe seine dramatische Kraft in all den
Jahren immer wieder voll Begeisterung
erkannt. Seine Stücke greifen auch oft
weit voraus und sind auf eine ganz besondere Art mit der politischen Situation
der Zeit verbunden. Darüber hinaus hat
er nahezu mit jedem seiner Stücke das
Theater neu erfunden. Die Publikumsbeschimpfung ist nichts anderes als die
Theater gewordene Revolte der 68erJahre, Kaspar nichts anderes als das ungehörige Objekt, das domestiziert werden sollte, Das Mündel will Vormund sein,
das wir in der Zeit der großen Schlachten
in Frankfurt uraufgeführt haben, ist
nichts anderes als das, was damals die
Studenten wollten: das Mündel Student
wollte Vormund sein, wollte die Macht.
Das lässt sich bei den meisten seiner Stücke entsprechend weiterführen.“
So erregten Autor und Regisseur bereits vor 50 Jahren mit der heiß diskutierten Publikumsbeschimpfung das erste
große Aufsehen. „Handke kam mit langen Haaren und den neuesten Platten
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FOTOS: BÜHNE-ARCHIV (2), MONIKA RITTERSHAUS, RUTH WALZ (2)
IMMER NOCH STURM. Die vierte HandkeUraufführung 2011 am Burgtheater, diesmal inszeniert von Dimiter Gotscheff.
der Rolling Stones nach Frankfurt und
fuhr von dort zu seinem spektakulären
Auftritt vor der Gruppe 47 nach Princeton
weiter. Vorher hat er mir auch Briefe über
seine Vorstellungen zur Inszenierung geschrieben, unter anderem mit dem Satz
‚Rolling Stones anhören und die Speichen eines Fahrrades beobachten‘, und
zum ersten dramaturgischen Gespräch
trafen wir uns auf einem Tretboot auf
dem Main. Nach der Uraufführung standen wir inmitten des Gebrülls der Begeisterung auf der Bühne und er flüsterte mir
zu: ‚Quatsch inszeniert.‘ Das war unsere
einzige Begegnung auf der Bühne. Im
Prinzip ist es bis heute so geblieben.“
Von dieser frühen, aufregenden und
sensationell erfolgreichen Zeit gelingt es
Peymann auch immer wieder den Bogen
ins Heute zu schlagen und Glücksmomente zu erleben. „Ich liebe es, mich zusammen mit meinen Schauspielern auf
die Expedition in Handkes neuestes
Werk zu begeben. Etwas von dem Konflikt, dass dieses ‚Ich‘ gegen die Massengesellschaft, die ‚Unschuldigen‘, einen
Kampf beginnt, erinnert mich auch an
den vor unzähligen Jahren von mir uraufgeführten Kaspar Handkes, diesen seltsamen Parsifal, der in eine Welt hineingerät, die ihn nicht aufnimmt. Es ist der klassische Konflikt des kreativen, träumenden, glaubenden Individuums gegen
eine Massengesellschaft, nun die ‚Unschuldigen‘, die sich gegen das ‚Ich‘, den
seltsamen Narren, verbünden, ihn nicht
ernst nehmen, ihn lächerlich machen,
verspotten. Wesentlich ist dabei die
Straße, eine abgelegene Straße, wie eine
Insel des Prospero, auf der sich das Ich
eingenistet hat. Da wohnt er, das ist seine
Welt, und die verteidigt er gegen den
Anspruch der Unschuldigen. Es geht um
einen letzten Zufluchtsort des Ich.“
Wenn Handke, wie Peymann erzählt,
selbst sagt, dass das Ich auch eine Figur
von Raimund sein könnte, so ist die „Unbekannte“, die große Liebe, die ihn mehrfach zu retten versucht, „eine erlösende
Zauberfee, ein Luftgeist, ein Ariel“. „Es
gibt eine Szene, wo diese Zauberfee wie
aus einer musikalischen Traumwelt von
Raimund entsprungen die ganze Unschuldigen-Gesellschaft verzaubert, dass
sie alle zu Kindern werden. Ich vergleiche
die Straße deshalb mit der Insel des Prospero, weil eben auch die Welt der Kindheit, der Träume, der Märchen wieder
zum Vorschein kommt, diese Zauberwelt, die wahrscheinlich in jedem Schriftsteller in einer bestimmten Weise lebt.
Dieses letzte Refugium, das dem Ich genommen werden soll, ist eben das große
Thema dieses Stückes. Da sind wir gar
nicht mehr so weit weg vom Heute – dieser Auseinandersetzung des kreativen,
besonderen, seine Kindheit noch lebendig erhaltenden Individuums gegen eine
Massengesellschaft.“
Zugleich sei aber auch etwas von einer Farce dabei. „Handke hat mich einmal am Telefon gefragt: ‚Habt ihr bei der
Leseprobe auch viel gelacht?‘ Und ich
konnte sagen: ‚Ja! Wir waren eingeschüchtert, aber haben uns zugleich
auch amüsiert.‘ Ich hoffe, dass uns das
über die Schauspieler, insbesondere
über dieses wunderbare Quartett der
DIE SCHÖNEN TAGE VON ARANJUEZ. Luc
Bondy besorgt die fünfte Handke-Uraufführung 2012 im Akademietheater.
Hauptfiguren, nämlich Christopher Nell,
Regina Fritsch, Maria Happel und Martin
Schwab auch alles zu vermitteln gelingt.
Es ist ja wirklich sehr schön, dass ich mit
alten Weggefährten wieder Theater machen kann, aber auch, dass ich, da es eine
Koproduktion mit dem Berliner Ensemble ist, einige Schauspieler aus Berlin mitbringen konnte. Da möchte ich als Allerersten Christopher Nell nennen, unser
episches wie dramatisches Ich, sowie der
Berliner Hamlet, Peter Pan und Mephisto,
der dort Triumphe feiert. Es ist eine sehr
schöne Begegnung von Berliner und
Wiener Schauspielern. Ich bin Karin Bergmann, die den Mut hatte, mich ans Burgtheater einzuladen, dankbar dafür und
hoffe, ich kann ihr etwas von meiner
Dankbarkeit in der Inszenierung zurückgeben.“
Und wie wird’s, wenn der Berliner Vertrag Peymanns in eineinhalb Jahren ausläuft? „Ich bin dann 80 Jahre alt, mit 80
muss Schluss sein! Ich empfinde mich ja
selber schon als anachronistische Figur.
Vielleicht kann ich noch da oder dort das
eine oder andere Stück inszenieren, noch
fühl’ ich mich frisch und neugierig. Und
Wien baut mich jetzt auf, weil man mir
hier so häufig eine offenkundig starke
und leidenschaftliche Erinnerung zeigt.
Es heißt ja, man muss gestorben sein, um
in Österreich geliebt zu werden. Ich hab’
es jetzt vielleicht im letzten Moment
noch ohne Todesfall geschafft, dass ich,
überspitzt gesagt, zur Legende werde.
Hoffentlich auch noch nach der PremiB
ere.“
KARIN KATHREIN
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