Semyon Bychkov Montag, 15. Juni 2015, 20 Uhr Dienstag, 16. Juni 2015, 20 Uhr Mittwoch, 17. Juni 2015, 20 Uhr SOEBEN BEI JUWELIER FRIDRICH FRISCH EINGETROFFEN: TRAUMHAFTE JUWELEN DER MEERE AUS DEN ZUCHTPERLFARMEN ASIENS. Edle Zuchtperlen direkt importiert von unseren Partnern in Japan, China und der Südsee ...zu verführerischen Preisen! TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO. KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE Anton Bruckner Symphonie Nr. 8 c-Moll 1. Allegro moderato 2. Scherzo: Bewegt, lebhaft – Trio: Langsam 3. Adagio: Feierlich langsam, doch nicht schleppend 4. Finale: Feierlich, nicht schnell Zweite Fassung von 1889/90 Semyon Bychkov, Dirigent Montag, 15. Juni 2015, 20 Uhr 7. Abonnementkonzer t b Dienstag, 16. Juni 2015, 20 Uhr 5. Abonnementkonzer t k5 Mit t woch, 17. Juni 2015, 20 Uhr 8. Abonnementkonzer t a Spielzeit 2014/2015 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant 2 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll „Vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis“ Thomas Leibnitz Anton Bruckner (1824–1896) Symphonie Nr. 8 c-Moll WAB 108 1. Allegro moderato 2. Scherzo: Bewegt, lebhaft – Trio: Langsam 3. A dagio: Feierlich langsam, doch nicht schleppend 4. Finale: Feierlich, nicht schnell Zweite Fassung von 1889/90 Werk einer Revision zu unterziehen, bei der vor allem kräftige Kürzungen vorgenommen wurden; aber auch der Schluss des 1. Satzes und das Trio des Scherzos wurden neu gestaltet. Diese Zweitfassung entstand in der Zeit von Sommer 1889 bis März 1890 ebenfalls in Wien. Die Herstellungskosten der in den Verlagen Haslinger, Wien, und Schlesinger, Berlin, erschienenen Partitur, der die geglättete und verkürzte Zweitfassung zugrunde lag, übernahm Widmungsträger Kaiser Franz Joseph I. mit Geldern aus seiner Privatschatulle. Widmung Lebensdaten des Komponisten Geboren am 4. September 1824 in Ansfelden (Oberösterreich); gestorben am 11. Oktober 1896 in Wien. Entstehung Anton Bruckners 8. Symphonie entstand von September 1884 bis August 1887 in Wien. Zu seinem Leidwesen wurde der Komponist nach Fertigstellung der Partitur von seinen Freunden Hermann Levi und Josef Schalk bedrängt, das „Seiner K. u. K. Apostolischen Majestät Franz Josef I., Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn etc. etc., in tiefster Ehrfurcht“. Bruckner überreichte die Partitur dem amtierenden Kaiser Franz Joseph (1830– 1916) in einer persönlichen Audienz, in der er den Monarchen u. a. auch um Hilfe und Abwehr gegen die ihn verletzenden Anfeindungen des Wiener „Kritikerpapstes“ Eduard Hanslick bat. Uraufführung Zweitfassung von 1889/90: Am 18. Dezember 1892 in Wien im Großen („Goldenen“) Musikvereinssaal (Wiener Philharmoniker unter Leitung von Hans Richter). Erstfassung von 1887: Am 2. September 1973 in London (BBC Symphony Orchestra unter Leitung von Hans Hubert Schönzeler). Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll Klischees, nichts als Klischees Unter den Klischeebildern Anton Bruckners, die bis in die Gegenwart überlebten, nimmt der „Musikant Gottes“ nach wie vor die erste Stelle ein; weit verbreitet ist auch die Sicht Bruckners als die eines weltfremden Provinzlers, der in der Großstadt Wien einen veritablen Kreuzweg durchleiden musste. Die Vorliebe für diese Bilder, die nicht rundweg falsch sind, sondern bloß gewisse Charakteristika des Menschen Bruckner überzeichnen, gründet sich auf ein immer noch weiterwirkendes Künstlerbild, das einen wahrhaft kreativen Geist nur in Opposition zu den ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen, nur als Opfer einer kunstfremden und verständnislosen Umwelt sehen will. Andere Bruckner-Klischees, insbesondere die seiner eigenen Zeit, sind der Vergessenheit anheim gefallen. Zu ihnen zählt vor allem der Vorwurf der „Formlosigkeit“, der gegen den Symphoniker Bruckner von einem maßgeblichen Teil der zeitgenössischen Wiener Musikkritik erhoben wurde. Man täte Eduard Hanslick oder auch Max Kalbeck – um nur die prominentesten BrucknerKritiker zu nennen – allerdings unrecht, wollte man ihnen unterstellen, sie hätten die bei Bruckner zugrundegelegten klassischen Formschemata – die Sonatenform, die Liedform etc. – nicht erkennen können. Was diesen hochgebildeten, der Richtung Johannes Brahms’ nahestehenden Autoren prinzipiell missfiel und bedenklich erschien, war die immense formale und harmonische Ausweitung von Bruckners Musiksprache, das oftmals blockhafte und unvermittelte Nebeneinanderstehen einzelner Abschnitte, die Breite der großangelegten symphonischen „Stei- 3 gerungswellen“ und die damit verbundene, gewaltige Ausdehnung der zeitlichen Struktur. Immerhin dauert in Bruckners „Achter“, die alle Merkmale des voll ausgereiften „BrucknerStils“ trägt, ein einzelner Satz – das Adagio – länger als eine gesamte Haydn-Symphonie. Die Neuartigkeit, der suggestive Anspruch von Bruckners Musik, war der Stein des Anstoßes; er spaltete die zeitgenössische Musikszene in zwei Lager. So sprach etwa Johannes Brahms abschätzig von „symphonischen Riesenschlangen“, von denen „kein Mensch etwas verstehe“, doch vertrat er damit nur einen Teil des Publikums. Am Ende von Bruckners Komponistenlaufbahn existierte bereits eine beachtliche und engagierte Bruckner-Anhängerschaft, darunter Hugo Wolf, der über die „Achte“ schrieb: „Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien des Meisters.“ Ablehnung durch die Freunde Die Arbeit an der 8. Symphonie fällt in den Zeitraum, in dem der bereits über 60-jährige Komponist den lang ersehnten Durchbruch zu internationaler Bekanntheit erlebte. Von 1884 bis 1887 schrieb Bruckner an der „Achten“; im Dezember 1884 fand die Uraufführung der „Siebten“ in Leipzig statt, über deren Wirkung wider­ sprüchliche Berichte vorliegen, der aber bald darauf – im März 1885 – eine höchst erfolgreiche Aufführung in München unter Hermann Levi folgte. Levi, der Uraufführungsdirigent von Wagners „Parsifal“, galt Bruckner fortan als höchste musikalische Instanz, als „künstleri- 4 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll scher Vater“, dessen Urteil für ihn eine unumstößliche und nicht weiter anfechtbare Bedeutung besaß. Am 4. September 1887 konnte Bruckner Levi die Beendigung der Partiturniederschrift des neuen Werks – der 8. Symphonie – melden, von der er sich eine endgültige Konsolidierung seiner Position als Komponist versprach: „Halleluja ! Endlich ist die ‚Achte‘ fertig und mein künstlerischer Vater muss der erste sein, dem diese Kunde wird.“ Er schickte Levi die Partitur zur Durchsicht und mit der Bitte um ein Urteil; etwas furchtsam setzte er hinzu: „Möge sie Gnade finden !“ Levi machte sich an das Studium des Werks – und war enttäuscht. Die Symphonie entsprach keineswegs seinen Erwartungen. Es zeugt für die Feinfühligkeit und Noblesse des Dirigenten, dass er diese Beurteilung, deren niederschmetternde Wirkung auf Bruckner er voraussah, nicht unvermittelt kundtun wollte. Josef Schalk, ein Schüler und begeisterter Anhänger Bruckners, der sich in Wien mit Klavieraufführungen und Zeitungsartikeln für den Komponisten eingesetzt hatte, musste als Überbringer der Hiobsbotschaft fungieren. „Ich weiß mir nicht anders zu helfen, ich muss Ihren Rath, Ihre Hülfe anrufen“, schrieb ihm Levi am 30. September 1887. „Kurz gesagt: Ich kann mich in die 8te Sinfonie nicht finden, und habe nicht den Muth, sie aufzuführen. Orchester und Publikum würden, dessen bin ich sicher, den größten Widerstand leisten.“ Weiter heißt es: „Tagelang habe ich studirt, aber ich kann mir das Werk nicht zu eigen machen. Fern sei es von mir, ein Urtheil aussprechen zu wollen – es ist zu sehr möglich, dass ich mich täusche, dass ich zu dumm oder zu alt bin – also ich finde die Instrumentation unmöglich, und was mich besonders erschreckt hat, ist die große Ähnlichkeit mit der 7ten, das fast Schablonenmäßige der Form.“ Die Ehrlichkeit der Ratlosigkeit Levis geht vor allem aus seinen Schlussworten hervor: „Kennen Sie denn die Sinfonie genau ? Und kommen Sie da noch mit ? Helfen Sie mir ! Ich bin ganz rathlos !“ Bruckner nahm diese Nachricht mit Verzweiflung auf. Wochenlang war er niedergeschlagen und, wie Schalk am 18. Oktober 1887 an Levi schrieb, keinem Trostwort zugänglich. Immerhin war es ja keiner der „Feinde“, der hier geurteilt hatte, sondern ein Mann, der ihn schätzte und förderte, sein „künstlerischer Vater“. Dass etwa Levis Fassungsvermögen und nicht Mängel des neuen Werks die Schuld an der Ablehnung tragen könnten, zog Bruckner offensichtlich nicht in Betracht. Bemerkenswerterweise teilte jedoch auch Schalk Levis Urteil: „Wie ich ihn so beobachte, komme ich mir grausam vor; es ist aber auf eine andere Weise nicht zu helfen, und man muß ihn mit sich austoben lassen. Auf alle Fälle bleibt er Ihnen zum Dank verpflichtet für Ihr aufrichtiges Urtheil, welches ihn vor gerechtem Mißerfolg bewahrt hat, und wenn er dies auch jetzt noch nicht einsehen kann, so wird die Zeit dafür kommen.“ Selbstzweifel und Umarbeitung Unter dem Druck seiner Umgebung, der Bruckners ständig präsente Selbstzweifel bestätigte, nahm er die Umarbeitung der Symphonie in Angriff. Es gibt Hinweise darauf, dass er mit der Revision bereits im Oktober 1887, also unmittelbar nach der Ablehnung durch Levi begann; insgesamt zog sich die Arbeit bis März 1890 5 Anton Bruckner mit dem Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens (1886), für den er sich beim Kaiser mit der Widmung seiner 8. Symphonie bedankte 6 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll hin, unterbrochen von Korrekturarbeiten im Rahmen der Drucklegung der 4. Symphonie und von der tiefgreifenden Umarbeitung der „Dritten“. An Levi schrieb er am 27. Februar 1888: „Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen – für dieses Mal – wegen der ‚Achten‘. Ich Esel ! Jetzt sieht sie schon anders aus.“ Das Finale, das Levi wie ein „verschlossenes Buch“ erschienen war, wurde radikal gekürzt, ein großer Abschnitt des ersten Satzes (Durchführung, Coda) neu komponiert, ein neues Trio in das Scherzo eingefügt und der erste Satz in seinem abschließenden Gestus radikal verändert: Statt des Fortissimo-Schlusses der ersten Fassung endet er nunmehr resignativ im Pianissimo. Die Uraufführung der „Achten“ in der Zweitfassung von 1890 erfolgte am 18. Dezember 1892 in Wien; Hans Richter dirigierte im Großen Musikvereinssaal die Wiener Philharmoniker. Das Werk stand – ungewöhnlich für die damalige Zeit – wegen seiner riesigen Dimensionen allein auf dem Programm. Trotz mancher Bedenken von Seiten des Orchesters noch während der Proben wurde der Uraufführungsabend zu einem großen, allgemein bestätigten Triumph für Bruckner. „Per aspera ad astra“ Der Einfluss Ludwig van Beethovens auf die Symphonik des 19. Jahrhunderts kann kaum überschätzt werden. Beethovens Symphonien beherrschten als „exempla classica“ der Gattung die Konzertsäle, an ihnen hatte sich jeder Komponist zu messen. Gerade Bruckners „Achte“ beweist, dass sich der Komponist intensiv mit Beethoven befasst hatte, dass er den „Klassi- ker der Symphonie“ als Vorbild wie als Herausforderung begriff. Die „Achte“ entspricht nach Beethovens Vorläuferschaft – man denke an seine 5. und 9. Symphonie – dem Typus der so genannten „Finalsymphonie“; das symphonische Geschehen überspannt in einem großen Bogen sämtliche Sätze und mündet in einen Abschluss, der sich als Synthese des Voran­ gegangenen begreift. Latent steht hinter diesem Formverlauf die Devise „Per aspera ad astra“ (Durch Nacht zum Licht); die Sphäre des Tragischen, scheinbar Ausweglosen im Kopfsatz wird gewandelt zu Jubel und Triumph im Finalsatz. Dem korrespondiert – wieder in Analogie zu Beethovens „Fünfter“ – die tonale Entwicklung vom c-Moll des Beginns zum C-Dur des Schlusses. In Beethovens „Neunter“ wiederum ist ein Element vorgebildet, das bei Bruckner zum Charakteristikum für „Entstehung“ und „Beginn“ werden sollte: die Eröffnung eines „Klangraums“ vor dem Einsatz des Hauptthemas. Zweifellos auf das Vorbild der „Neunten“ geht bei Bruckner auch die Satzdisposition seiner „Achten“ zurück: die Positionierung des Scherzos an der zweiten Stelle der Satzabfolge. Auf dem Weg zur allumfassenden Synthese Der erste Satz – auch Levi hatte ihn als „grandios“ bezeichnet – beginnt nach einleitendem Streichertremolo mit dem düsteren Hauptthema in den tiefen Streichern, das durch scharfe Punktierungen und chromatische Sekundschritte charakterisiert ist. Es handelt sich nicht um ein „Thema“ im klassischen, abgeschlossenen Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll Sinne, sondern um ein Entwicklungsmotiv, das sogleich in eine Steigerung übergeht, in der alsbald der typische „Bruckner-Rhythmus“, die Kombination von Zweier- und Dreier-Metrum, hervortritt. Nach dem Abebben der ersten Steigerungswellen setzt die „Gesangsgruppe“ ein, auch sie vom „Bruckner-Rhythmus“ geprägt – ein friedliches Gegenstück zum Hauptthema, das abrupt von den markant absteigenden Triolenfiguren der Schlussgruppe abgelöst wird. Mit diesem überschaubaren thematischen Material gestaltet Bruckner den gesamten Satz, dessen dramatische Konstellationen man als Folgen von „sich aufraffen“ und „hinsinken“ empfinden kann. Der markante Rhythmus des Hauptthemas verselbstständigt sich am Schluss der Reprise und erklingt auf einem einzigen Ton in den Hörnern und Trompeten. Bruckner bezeichnete diese Stelle als „Todesverkündigung“; ihr folgt in der Coda ein resigniertes Absinken und Verlöschen, kompositorisch dargestellt durch das leise, doch insistierende Wieder­h olen eines chromatisch absteigenden Motivpartikels: die „Totenuhr“ sei es, die hier schlägt. Den tragischen Konflikten des Kopfsatzes folgt im Scherzo des zweiten Satzes die Grundhaltung friedlichen Kraftgefühls. Als „deutscher Michel“ bezeichnete Bruckner das Motiv, das in den Bratschen und Celli nach einleitenden, flirrenden Tremolopassagen der hohen Streicher erklingt. In Wiederholungen, Sequenzen, Umkehrungen und verschiedenen instrumentalen Beleuchtungen beherrscht dieses Motiv den gesamten Rahmenteil, dem die Tremolopassagen der Streicher den charakteristischen Klanghintergrund verleihen. Zu den Entwicklungen des „Michel“-Motivs gab Bruckner folgende 7 Erläuterung: „In der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, und träumerisch findet er sein Liedchen nicht...“ Klar abgesetzt ist das Trio, in dem Bruckner – erstmals in seiner Symphonik – die Harfe einsetzt. Der unverändert wiederholte Scherzo-Hauptteil schließt den Rahmen. Das an dritter Stelle stehende Adagio nimmt auch innerhalb von Bruckners Gesamtwerk eine exzeptionelle Stellung ein. Als das „längste und prachtvollste aller Adagios“ bezeichnete es der Bruckner-Biograph Max Auer. Ausschließlich formal-rationale Wahrnehmung wird dieser Musik mit Sicherheit nicht gerecht; hier ist der Hörer aufgefordert, sich vorbehaltlos der Mystik und Ekstatik Bruckners zu überlassen, die – wohl kaum zufällig – von den meisten seiner Exegeten im Religiösen geortet wurden. Nimmt man freilich Anton Bruckner selbst beim Wort, so vermengt sich hier religiöse mit erotischer Inbrunst; über das weitgespannte, von synkopierten Streicherfiguren unterbaute Eingangs­ thema etwa sagte er: „Da hab’ ich zu tief in ein Mädchenaug’ g’schaut.“ Zieht man die strengen, skrupulösen Moralvorstellungen in Betracht, die Bruckner sich auferlegte, so liegt es durchaus nahe, in der ideellen Haltung dieses Adagios die Sublimierung von erotischer zu religiöser Emotion zu vermuten. Noch ausgeprägter als in den vorangegangenen Sätzen dominiert das Prinzip breit angelegter Steigerungswellen, wobei stets reicher werdende Figuration für konsequente Intensivierung des Klangbilds sorgt. Die Verlaufsstruktur ist tatsächlich dem Adagio der „Siebten“ ähnlich, doch mündet in der „Achten“ die Klimax statt in den C-DurAkkord in das entlegene Ces-Dur. Auch in diesem Satz verwendet Bruckner – wie zuvor schon 8 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll im Scherzo – an Stellen mit „mystischer“ Klangwirkung die Harfe. Vom breit angelegten Finale entwarf Bruckner in einem Brief an den Dirigenten Felix Weingartner ein etwas merkwürdig anmutendes Portrait: „Finale. Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; (komisch), wie bei ‚Tannhäuser‘ im 2. Akt der König kommt, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist alles schon in Glanz. Im Finale ist auch der Todtenmarsch und dann (Blech) Verklärung.“ Abgesehen von sachlichen Irrtümern – die „DreiKaiser-Zusammenkunft“ fand 1884 in Skierniewice statt, in Wagners „Tannhäuser“ tritt gar kein König auf – scheint diese Erklärung mehr Rätsel aufzugeben als zur Erhellung der Musik beizutragen. Sollte der düster-großartige Beginn des Finales tatsächlich das Fresko eines militärischen Repräsentationsaktes malen, oder entwarf Bruckner, dem allgemeinen Bedürfnis nach programmatischen Erklärungen entsprechend, eine Szenerie, die er erst im nachhinein seiner zunächst rein musikalischen Inspiration unterlegte ? Diese Frage muss wohl für immer unbeantwortet bleiben; den weiteren Erklärungen Bruckners lassen sich jedoch – trotz ihrer sprachlich unzulänglichen „Einkleidung“ – die eigentlichen Absichten des Komponisten in diesem Schluss-Satz entnehmen. Das kompositorische Geschehen läuft auf eine Integration der wichtigsten Themen aus den drei vorangegangenen Sätzen hinaus; das „Michel“-Thema des Scherzos und das rhythmische Modell des Hauptthemas des ersten Satzes werden ausdrücklich zitiert, auch das Adagio-Hauptthema wird wieder aufgegriffen, und im C-Dur-Schluss des Satzes („Verklärung“) stellt Bruckner die Themen aller Sätze übereinander – im Sinne einer allumfassenden musikalischen Synthese. Literarische Deutungsversuche... Bereits die Zeitgenossen Bruckners, auch und vor allem seine Freunde und Verehrer, kamen mit den deutenden Erklärungen des Komponisten nicht zurecht. Zu konfus, zu weit entfernt von der immanenten musikalischen Architektonik der Werke muteten diese Aussagen an, und so fassten einige der Bruckner-Apostel – allen voran der bereits erwähnte Josef Schalk – den Entschluss, helfend einzugreifen. Schalk verfasste zu Bruckners Symphonien umfängliche poetische Erläuterungen, die er freilich nicht als „Programme“ im Sinne musikalisch illustrierter Handlungsabläufe verstanden wissen wollte, sondern als literarische Umsetzung der hochgestimmten Geisteshaltung, in der Bruckners Werke seiner Ansicht nach aufzunehmen seien. Schalks Erläuterung der 8. Symphonie, die er dem Programmzettel der Uraufführung beigab, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Mentalität, mit der Bruckners Werk zur Zeit seiner Entstehung rezipiert wurde, aber auch auf die Selbstherrlichkeit, mit der Schüler und Freunde das Bild des Komponisten in der Öffentlichkeit steuerten: „1. Satz: Die Gestalt des aischyleischen Prometheus. – Dumpf grollender Trotz, in der Vermessenheit titanischen Kraftgefühles über Götter und Schicksal sich emporhebend. – Leiden und Ringen. – Dem Trostspruche der Oke- 9 Viktor Tilgner: Büste Anton Bruckners (1891), modelliert zwischen Vollendung und Urauf­f ührung der Zweitfassung seiner 8. Symphonie 10 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll aniden gleich, sanft und in die Ferne hinaus deutend, erhebt sich der Gesang des zweiten Themas. – Ungeheuerste Einsamkeit und Stille.“ Für die Vermutung, Bruckner habe in der Thematik des ersten Satzes den „aischyleischen Prometheus“ darstellen wollen, liegen keinerlei Hinweise vor; mit ziemlicher Sicherheit stammt dieses Bild von Josef Schalk. Mehr Authentizität besitzt hingegen seine Deutung des darauffolgenden Scherzo-Satzes: Der Autor greift Bruckners Hinweis auf den „deutschen Michel“ auf und stellt ihn in einen ideellen Gegensatz zum „Prometheus“ des Kopfsatzes: „Die idealen Elemente des ersten Satzes treten uns hier gleichsam in realistischer Spiegelung – als derbes Kraftgefühl und naive Phantastik – entgegen. Thaten und Leiden eines Prometheus erscheinen parodistisch auf ein geringstes Maass reducirt.“ Als fundamentale, religiös inspirierte Alternative zur antik-tragischen Sphäre des ersten Satzes deutet Schalk das großangelegte Adagio; hier werde ein plastisches Bildnis von der Gnade des christlichen Gottes entworfen: „Der 3. Satz (Adagio) führt in die dem ersten direct entgegengesetzte Sphäre feierlich ruhiger Erhabenheit. Wie das stille Walten der Gottheit, weit oben thronend über allem Erdenweh und aller Erdenlust, die zu ihm gleich Wolken qualmenden Opferrauches ununterscheidbar emporsteigen, so breitet sich die Fülle seiner Klänge dahin. Nicht Zeus-Kronion, den unerbittlichen, nein – den all-liebenden Vater der Menschen werden wir in seiner ganzen, unermesslichen Gnadenfülle gewahr.“ In der Interpretation des Finalsatzes hatte Schalk offensichtlich Probleme mit den von Bruckner formulierten Bildern wie „Kosakenritt“ und „Kaisertreffen“. Sie entsprachen nicht der Stilhöhe der ideellen Konzeption, die Schalk für angemessen hielt; er ließ sie daher unerwähnt und verharrte im Bereich seiner eigenen, freilich unauthentischen Metaphorik: „4. Satz (Finale): Der Heroismus im Dienste des Göttlichen. – Nicht mehr als Träger nur der eigenen Kraftfülle kämpfend, leidend und erliegend, sondern als Verkünder ewiger Heilswahrheit, Herold der Gottesidee ! Diese letztere hat sich als religiöses Empfinden verengt, vermenschlicht und kommt in den vielen choralhaften Theilen des Satzes immer wieder zum Ausdruck.“ ...und deren bissige Persiflagen Als problematisch erwies sich diese zweifellos gut gemeinte, aber zutiefst subjektiv gefärbte Interpretation in mehrfacher Hinsicht. Zum einen entwarf sie ein Bild Bruckners und der 8. Symphonie, das der Sicht des Komponisten mit Sicherheit nicht voll entsprach. Zum anderen lieferte sie den Bruckner-Gegnern in der Presse, allen voran Eduard Hanslick, eine ideale Angriffsfläche. Tatsächlich beschränkte sich Hanslick in seiner Rezension der Uraufführung in der „Neuen Freien Presse“ (23. Dezember 1892) größtenteils auf eine bissige Persiflage von Schalks „Programm“: „Von der außerordentlichen ‚Tiefe‘ der Bruckner’schen c-Moll-Symphonie liefen schon vorher so aufregende Gerüchte, dass ich nicht unterließ, mich durch das Studium der Partitur und den Besuch der Generalprobe gehörig vorzubereiten. Gestehen muß ich dennoch, dass das Mysterium dieser weltumfassenden Composition sich mir erst entschleierte, als das Verständniß mir in Gestalt Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll eines erklärenden Programms in die Hand gedrückt ward. Der Verfasser desselben ist nicht genannt, doch errathen wir leicht den Schalk, der seinem Herrn am wenigsten verhaßt ist. Durch ihn erfahren wir denn, dass das verdrießlich aufbrummende Hauptmotiv des ersten Satzes ‚die Gestalt des aischyläischen Prometheus‘ sei ! Eine besonders langweilige Partie dieses Satzes erhält den verschönernden Namen ‚Ungeheuerste Einsamkeit und Stille‘ “. In diesem polemischen Ton fährt Hanslick fort und fühlt sich vor allem durch Schalks „religiöse“ Interpretation zum Spott herausgefordert: „Umso erhabener ist alles Folgende. Im Adagio bekommen wir nichts Geringeres zu schauen als ‚den all-liebenden Vater der Menschheit in seiner ganzen unermeßlichen Gnadenfülle‘ ! Da das Adagio genau achtundzwanzig Minuten dauert, also ungefähr so lang wie eine ganze Beethoven’sche Symphonie, so wird uns für diesen seltenen Anblick gehörig Zeit gelassen.“ Ebenso wenig Gnade findet vor Hanslicks Augen das Finale, das ihm „mit seinen barocken Themen, seinem konfusen Aufbau und unmenschlichen Getöse nur als ein Muster von Geschmacklosigkeit erschien“. Nur „herumschmetternde Trompetensignale“ habe er wahrgenommen, die der Verfasser des „Programms“ freilich als „Verkünder der ewigen Heilswahrheit“ gerühmt habe. Fazit: „Der kindliche Hymnenton dieses Programms charakterisirt unsere Bruckner-Gemeinde, welche bekanntlich aus den Wagnerianern und einigen Hinzukömmlingen besteht, denen Wagner schon zu einfach und selbstverständlich ist. Man sieht, wie der Wagnerianismus nicht nur musikalisch, sondern auch literarisch Schule macht.“ 11 Wie Bruckner selbst den literarischen Deutungshilfen seiner Schüler und Freunde gegenüberstand, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Sphäre des Sprachlichen lag ihm fern, wie nicht zuletzt der unbeholfen-devote Tonfall seiner Briefe bezeugt. Je nach der Öffentlichkeitswirkung, die die Auslegungen seiner Schüler erzielten, schwankte er zwischen enthusiastischen Dankadressen und gelegentlich unverblümter Ablehnung. In Hinblick auf eine ähnlich poetische Interpretation seiner 7. Symphonie aus der Feder Josef Schalks, die in Stil und Gestus mit der Auslegung der „Achten“ einige Ähnlichkeit aufweist, soll Bruckner bemerkt haben: „Warum er si’ g’rad mei’ Sinfonie ausg’sucht hat zum Dichten ! Dös Locherl woas g’wiß, was i’ mir dabei denkt hab’: höchstens an a paar hundert Gulden, die mir a Verleger dafür zahlen könnt’.“ Unter dem Druck der „Fach­auto­ri­ täten“ Die Entstehungsgeschichte der 8. Symphonie, ihre Ablehnung durch Hermann Levi und die darauffolgende Umarbeitung machten es bereits deutlich: Bruckner stand seinem eigenen Werk mit ständigen Selbstzweifeln gegenüber, das Urteil – und insbesondere das negative – von sogenannten „Fachautoritäten“ hatte für ihn Gewicht. Kein anderer Komponist fand so spät wie er zu schöpferischer Eigenart, kein anderer war derart interessiert an offiziellen Bewertungen und Bestätigungen seines Könnens, kein anderer schließlich arbeitete seine Werke so häufig um wie Bruckner. Unter seinen insgesamt elf Symphonien – die beiden frühen Symphonien WAB 99 und WAB 100 wurden von 12 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll ihm nicht mitgezählt – entgingen nur fünf einer Umarbeitung; es sind bezeichnenderweise jene Werke, deren Uraufführung er selbst nicht mit­ erlebte oder die – wie die „Siebte“ – auf Anhieb breiten öffentlichen Beifall fanden. Hingegen bewogen ihn Skrupel und Selbstzweifel, die in besonderem Maß während der Entstehungszeit der „Achten“ sein Denken bestimmten, sich noch 1890/91 seine bereits 1866 vollendete 1. Symphonie nochmals vorzunehmen und das Werk einer tiefgreifenden Revision zu unterziehen. Bruckner sah seine Umarbeitungen nicht wertfrei als „Varianten“ an; er gebrauchte für sie den Terminus „Verbesserungen“, worunter nur eine selbstkritische „Zurücknahme“ der vorherigen Fassungen verstanden werden kann. Diese vom Komponisten selbst ausgesprochene Wertung wurde allerdings von der Bruckner-Forschung des 20. Jahrhunderts als nicht mehr bindend angesehen. Die Erstfassungen erwiesen sich nach eingehender Analyse oft als grundlegend anders konzipiert und somit als eigenständige Varianten, auf die das Bewertungsschema „missglückter Versuch – anschließende Verbesserung“ nicht anwendbar schien. Im Zuge des Erscheinens der (ersten) Bruckner-Gesamtausgabe von Robert Haas in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sogar die Tendenz zu einer umgekehrten Wertung spürbar: Haas richtete scharfe Angriffe gegen die Bruckner-Schüler – gemeint waren vor allem Ferdinand Löwe und die Brüder Franz und Josef Schalk – , die versucht hätten, den Komponisten zu Zugeständnissen an die zeitgenössischen Hörerwartungen zu bewegen, sein Klangbild der zeitüblichen Konvention anzupassen und seine Individualität zugunsten eines kurzfristigen Konzerterfolgs aufzugeben. Damit standen die späteren Fassungen unter dem Verdacht, von Bruckner unfreiwillig, unter äußerem Druck und unter Aufgabe seiner ursprünglichen Intentionen verfasst worden zu sein. Somit stellt sich nun die Frage: Ist die „Achte“ in ihrer Zweitfassung von 1890 das Ergebnis eines autonomen Umdenkens Bruckners, oder entspricht sie den Wünschen und Einflüssen seiner Umgebung ? Selbstverständlich sind die geistige Substanz des Werks, seine formale Konzeption und musikalische Thematik Bruckners eigene Schöpfung; in zahllosen Details jedoch erbat er sich Rat von seiner Umgebung. Diese Vorgangsweise ist übrigens nicht ohne Beispiel – auch Johannes Brahms ließ sich etwa bei der Komposition seines Violinkonzerts vom Geiger Joseph Joachim beraten. Der Bruckner-Schüler Friedrich Eckstein berichtet: „Ich weiß, wie in überlangen Besprechungen Bruckners mit Josef und Franz Schalk und auch mit Löwe jede Note der Werke festgelegt wurde. Es ist gewiß, dass die genannten Dirigenten Bruckner Ratschläge mindestens zu Instrumentationsänderungen gaben, auch zu Änderungen der Tempo- und Stärkebezeichnungen.“ Dass diese „Beratung“ mitunter auch sehr eingreifende Änderungen bewirkte, bezeugt ein Brief Josef Schalks an seinen Bruder Franz vom Januar 1890: „Bruckner ist vorgestern mit der neuen Bearbeitung der VIII. fertig geworden. Der erste Satz schließt nunmehr nach unser aller Wunsch pianissimo.“ So schwer wir uns vorstellen können, dass ein Komponist von Weltrang bei der Gestaltung eines seiner Hauptwerke auf „Wünsche“ seiner Umgebung einging 13 Anton Bruckner in seiner letzten Wiener Wohnung am Schloss Belvedere (1894) 14 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll – es deutet einiges darauf hin, dass es sich tatsächlich so verhielt. Betrugsmanöver der Gefolgsleute Damit ist die Skala der Fremdeinflüsse jedoch noch nicht ausgeschöpft. Vom Komponisten zu Beteiligung und Mitentscheidung animiert, bekam das Engagement der „Berater“ eine gewisse Eigendynamik und überschritt oftmals die von Bruckner festgelegte Toleranzgrenze: Was ohne sein Wissen am Werk geschah, akzeptierte er in der Regel nicht. Dennoch weicht der im März 1892 erschienene Erstdruck der „Achten“ in zahlreichen Einzelheiten, vor allem der Instru­ mentation, von Bruckners handschriftlicher Partitur ab. Max von Oberleithner, der den Druck überwachte, wurde von Josef Schalk mehrfach zu Änderungen angewiesen, von denen Bruckner nichts wusste; Schalk änderte instrumentale Details und strich eigenmächtig die Takte 93 bis 98 im Finale, da sie ihm als eine „Reminiscenz an die VII.“ und daher „ganz unmotiviert“ erschienen. Dass er auf strikt verbotenen Pfaden wandelte, war dem Bruckner-Apostel durchaus bewusst – schrieb er doch an Oberleithner: „Bitte treiben Sie nur den Verleger wegen der Correcturen. Wenn Bruckner bei einer Probe aus der geschriebenen Partitur mitlesen müßte, wären alle unsere guten Absichten vereitelt, und wir würden uns statt seines Dankes vielleicht gar seinen Fluch verdienen.“ Das erstaunliche Nebeneinander von aufopferungsvoller Gefolgschaft und geradezu hinterlistigen Betrugsmanövern im Kreis um Bruckner gibt Rätsel auf; die Lösung ist wohl im bizarren Persönlichkeitsbild des Komponisten zu suchen. Bruckners Schüler hatten es – das wussten sie – mit einem Genie zu tun, gleichzeitig aber mit einem Mann, der seltsam und nachlässig gekleidet war, seine Abende mit Vorliebe in Bierlokalen verbrachte, gelegentlich mit den Fingern aß und jeden Ansatz zu einem intellektuellen Gespräch sofort im Keim erstickte. Von prominenten Zeitgenossen wurde Bruckners Persönlichkeit durchaus nicht schmeichelhaft charakterisiert. Johannes Brahms etwa schrieb über seinen Konkurrenten: „Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jenseits, über seine Sachen kann man nicht hin und her, kann man eigentlich überhaupt nicht reden. Über den Menschen auch nicht. Er ist ein armer, verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben.“ Noch kürzer und bissiger äußerte sich Hans von Bülow: „Halb Genie, halb Trottel“. Es darf vermutet werden, dass Bruckners Gefolgsleute sich als Intellektuelle fühlten und deshalb berufen glaubten, an das Werk eines – aus ihrer Sicht – „naiven Genies“ helfend Hand anzulegen. Die Geschichte der eigenmächtigen Bruckner„Verbesserungen“, so zeigt es sich auch und vor allem an der 8. Symphonie, ist selbst im 20. Jahrhundert noch nicht beendet. Zwar richtete Robert Haas, der Herausgeber der BrucknerGesamtausgabe, heftigste Angriffe gegen den Bruckner-Kreis, der den Komponisten mit üblen „Sanktionsdrohungen“ zu Umarbeitungen gezwungen, ja sogar seinen Tod verschuldet habe. In der 1939 erschienenen Ausgabe der „Achten“ machte Haas jedoch genau das, was er anderen so schwer verübelt hatte: Auch er griff Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll in den Notentext ein und integrierte Teile der Fassung von 1887 in die Version von 1890, um solcherart eine „Idealfassung“ zu konstruieren. Dieses editorische Verfahren wurde von der Bruckner-Forschung der Folgezeit zwar abgelehnt, findet aber bis heute noch vereinzelt Verteidiger, die es als „kreative Philologie“ zu preisen wissen. Zwischen Wagnernähe und Wagner­ferne Wenn Hanslick in seiner Rezension der „Achten“ schrieb, man sehe, wie hier der Wagnerianismus „Schule mache“, so sprach er damit eine Positionierung Bruckners in der musikalischen „Parteienlandschaft“ seiner Zeit an, die wohl weder Freunde noch Gegner bestritten hätten. Bruckners Nähe zu Wagner wurde manchmal lobend, manchmal tadelnd erwähnt; in Frage gestellt wurde sie nicht. Hier nahm erst das 20. Jahrhundert eine prinzipiell andere Haltung ein. Zwar hegte Bruckner für Wagner größte Bewunderung, ja Verehrung – allerdings ausschließlich für den Komponisten. Für den Dramatiker und Ideologen hatte er weder Interesse noch Verständnis – nach einer Aufführung der „Walküre“ soll er gefragt haben, warum Brünnhilde denn „verbrannt“ werde... ! Das Ausbrechen Wagners aus dem Lehrgebäude des klassischen Tonsatzes, seine kühne Harmonik, seine monumentale und suggestive Musiksprache – dies alles beeindruckte Bruckner zutiefst. Wagners Interesse an Bruckner hingegen dürfte nicht allzu groß gewesen sein: Eine zeitgenössische Schattenriss-Karikatur Otto Böhlers zeigt Wagner, der hocherhobenen Hauptes dem 15 sich devot nähernden Bruckner seine Schnupftabakdose reicht. Damit ist das Verhältnis beider Komponisten zueinander hinlänglich charakterisiert. Wie berechtigt ist nun die häufig geäußerte Ansicht, bei Bruckners Werken handle es sich um die Übertragung von Wagners musikdramatischem Stil auf die Symphonie ? Die äußer­lichen Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen: Wagner wie Bruckner haben einen gemeinsamen Zug zur Monumentalität, eine Vorliebe für ausgedehnte Blechbläsersätze und Streichertremoli, für harmonische Rückungen im Sinne der „Terzverwandtschaft“, für „weihevolle“ Klänge. Dem stehen jedoch, wie die Bruckner-Forschung zu Recht betont hat, auch große Gegensätzlichkeiten und Unterschiede gegenüber. Wagners symphonischer Orchesterstil pflegt die „Kunst des Übergangs“, der feinsten klanglichen Abschattierung und Klangmischung. Bruckner hingegen kann als Orchesterkomponist seine Herkunft von der Orgel nicht verleugnen – seine Instrumentalfarben werden meist unvermischt in der Art von Orgelregistern eingesetzt. Und dennoch: Auch heutige Hörer von Wagners und Bruckners Musik glauben zwischen beiden Komponisten Gemeinsamkeiten zu erkennen, die über die beschriebenen, rein äußerlichen Ähnlichkeiten der Instrumentation, Harmonik etc. hinausgehen. Worin bestehen diese Gemeinsamkeiten ? Es sind ganz bestimmte, von der jeweiligen Musik an den Hörer herangetragene Forderungen nach Totalhingabe und „Überwältigungsbereitschaft“. Diese Rezeptionshaltung zu verweigern, ist das gute Recht jedes 16 Anton Bruckner: 8. Symphonie c-Moll Hörers; er wird dann allerdings den suggestivekstatischen Dimensionen dieser Musik befremdet gegenüberstehen. Wirkung und Nachwirkung Eine für 1891 geplante Aufführung der 8. Symphonie durch Felix Weingartner kam nicht zustande; so fand die Uraufführung erst am 18. Dezember 1892 in Wien im Rahmen eines „Philharmonischen Konzerts“ unter Hans Richter statt. Bruckner blickte dem Tag mit großer Besorgnis entgegen, da er noch während der letzten Proben im Orchester Unverständnis registrierte: „Sechsmal hab’n sie’s g’spielt, wissen aber no’ immer net, was sie von ihr halten soll’n !“ Diese Bedenken erwiesen sich als grundlos. Das Werk erregte begeisterten Jubel; Bruckner musste sich unzählige Male verneigen, und es wurden ihm Lorbeerkränze überreicht. Eine Gruppe von Bruckner-Verehrern im Stehparterre hatte bereits applaudiert, als Hanslick vor dem Finale demonstrativ den Saal verließ. Nach dem Adagio – so wird berichtet – sei Hugo Wolf von seinem Sitz aufgesprungen und habe ausgerufen: „Erst in tausend Jahren wird man dieses herrliche Werk verstehen !“ Auch im Nachhinein blieb Hugo Wolf bei seiner Meinung und schrieb am 23. Dezember an Emil Kauffmann: „Der Erfolg war trotz der unheilvollsten Kassandra-Rufe, selbst von Seiten Eingeweihter, ein fast beispielloser. Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis, und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren. Kurz, es war ein Triumph, wie ihn sich ein römischer Imperator nicht schöner wünschen könnte.“ Die Wiener Musikkritik reagierte größtenteils zustimmend; man sprach von der „Krone der Musik unserer Zeit“, vom „Meisterstück des Bruckner’schen Stiles“. Der Kritiker Theodor Helm schrieb an Bruckner: „Der künstlerische Triumph, den Sie am 18. Dezember gefeiert haben, gehört zu den glänzendsten Ihres ruhmvollen Lebens, denn der stürmische Beifall ging nicht bloß von Ihren Verehrern und Freunden aus, sondern vom ganzen Publikum. In der Nähe des Platzes, wo ich saß, z. B. applaudierte Alles mit entzückten Mienen, besonders nach dem unvergleichlichen Adagio, – und doch war nicht ein bekanntes Gesicht darunter.“ Der fulminante Publikumserfolg konnte freilich die eingeschworenen Bruckner-Gegner nicht umstimmen. Eduard Hanslicks Resümee lautete: „Charakteristisch auch für Bruckner’s neueste c-MollSymphonie ist das unvermittelte Nebeneinander von trockener, kontrapunktischer Schulweisheit und maßloser Exaltation. So zwischen Trunkenheit und Öde hin und her geschleudert, gelangen wir zu keinem sicheren Eindruck, zu keinem künstlerischen Behagen. Alles fließt unübersichtlich, ordnungslos, gewaltsam in eine grausame Länge zusammen. Jeder der vier Sätze, am häufigsten der erste und dritte, reizt durch irgend einen interessanten Zug, ein geniales Aufleuchten – wenn nur daneben alles Übrige nicht wäre ! Es ist nicht un­möglich, dass diesem traumverwirrten Katzenjammerstyl die Zukunft gehört – eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden.“ 17 Bruckners erster Lorbeerkranz: „Von der Gottheit einstens ausgegangen, muss die Kunst zur Gottheit wieder führen !“ (1864) 18 Die philharmonische Aufführungstradition „Meine ‚Achte‘ ist ein Mysterium !“ Gabriele E. Meyer Die „Achte“ bei den Münchner Philharmonikern: Ein Bogen singulärer Ereignisse „Diese Symphonie ist“, wie Hugo Wolf urteilte, noch ganz unter dem Eindruck der Uraufführung vom 18. Dezember 1892 in Wien stehend, „die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien des Meisters. [...] Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis, und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren.“ Stürme der Begeisterung lösen Aufführungen von Bruckners „Mysterium“ nach wie vor aus. Meist zu besonderen Anlässen erklingt sie, zu Fest- und Gedenktagen etwa, heutzutage fast immer als einziges Werk des Abends. Es ist hier nicht der Ort, einen Streifzug durch die über 100-jährige Aufführungsgeschichte dieser Symphonie bei den Münchner Philharmonikern vorzunehmen, beginnend mit der Münchner Erstaufführung vom 17. Dezember 1900 unter Siegmund von Hausegger und keineswegs endend mit der Wiedergabe durch Christian Thielemann im Januar 2007. Auch geht es nicht um die Darstellung des gewaltigen rezeptionsgeschicht­lichen Spannungsbogens, der von rationaler analytischer Vermittlung musikalischer Sachverhalte bis zum „pseudoromantischen Schwulst“ (Heinrich Stro- bel) reicht, die unbotmäßige ideologische Vereinnahmung der 8. Symphonie als „Heldenlied der Deutschen“ durch die NS-Propaganda nicht zu vergessen. Die Orchesterbiographie nach 1945 enthält für die 8. Symphonie große Namen. Man denke nur an die Aufführungen unter Carlo Maria Giulini, Rudolf Kempe, Erich Leinsdorf, Zubin Mehta, Hans Rosbaud, Carl Schuricht oder Günter Wand. Unter ihnen erklang selbstverständlich immer die durch Oswald Kabasta am 12. November 1939 zum ersten Mal in München vorgestellte Originalfassung der „Achten“; Hans Knappertsbusch hingegen, ebenfalls ein berühmter BrucknerDirigent, beharrte bis zu seinem Tode im Jahre 1965 hartnäckig auf der Fassung des Erstdrucks. An einige der singulären Ereignisse unter diesen Aufführungen soll hier erinnert werden. 17. Dezember 1900: Münchner Erstaufführung unter Siegmund von Hausegger In München erklang die 8. Symphonie zum ersten Mal am 17. Dezember 1900, also vier Jahre nach dem Tod des Komponisten. Schon die Ankündigung des Konzerts nicht allein als „Concert des Kaim-Orchesters“ (der damalige Name der Philharmoniker ging auf den Gründer Franz Kaim zurück), sondern als „Moderner Abend“ verdeutlicht, dass es sich bei der Symphonie 19 Oswald Kabasta bei einer Probe mit den Münchner Philharmonikern zum Adagio von Anton Bruckners 8. Symphonie (1941) 20 Die philharmonische Aufführungstradition um „zeitgenössische Musik“ handelte. Auf dem Programm des von Siegmund von Hausegger geleiteten Konzerts standen zudem Ludwig Thuilles „Romantische Ouvertüre“ – als „Novität“ angekündigt – und Hauseggers eigene „Dionysische Phantasie“ aus dem Jahre 1899. Die Wiedergabe der 8. Symphonie (in ihrer ersten Druckfassung) muss außerordentlich eindringlich gewesen sein. Mit verblüffender Weitsichtigkeit charakterisierte der namentlich nicht bekannte Rezensent der „Münchner Neuesten Nachrichten“ das Werk denn auch als eine „intensiv wie extensiv gleich kolossale Tondichtung, mit der der Meister seinem gewaltigen symphonischen Schaffen den krönenden Schlußstein aufsetzte“: „Schon beim ersten Hören erschien sie als eines der allerbedeutendsten, in einem Theile, dem Adagio, vielleicht sogar als das bedeutendste Werk Bruckners überhaupt. Sie ist von einer Fülle der Erfindung, einer Prägnanz der Thematik, einem Stimmungszauber, vor dem man nur bewundernd verstummen kann. [...] Siegmund von Hausegger, der das außerordentlich schwere Werk, und zwar auswendig, geradezu meisterlich leitete, vollbrachte mit dieser künstlerischen That eine Leistung, die der höchsten Anerkennung werth ist. Hoffentlich läßt sich eine recht baldige, bei einem derartigen Werke für eine tiefer gehende Wirkung ja unbedingt erforderliche Wiederholung ermöglichen.“ Ohne Zweifel ist die 8. Symphonie die umfangreichste und inhaltlich weitgespannteste. Bruckners eigenes Epitheton vom „Mysterium“ beinhaltet wohl auch diese Dimensionen. Stationen einer Musikerlaufbahn: Die „Achte“ unter Oswald Kabasta Es gibt ein Photo von Oswald Kabasta, aufgenommen 1941 in Hamburg während einer Probe mit den Münchner Philharmonikern zum Adagio der 8. Symphonie – Ausdruck völliger Selbstvergessenheit, verzehrender Intensität und absoluter Hingabe, die linke Hand beschwörend vor dem Gesicht, die Rechte mit dem Taktstock nach oben weisend. Wie nur wenige Dirigenten verstand es Kabasta, Zuhörer und Kritiker gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen. So schrieb Alexander Berrsche 1938: „Und gar das Adagio ! Es gibt kaum einen berühmten Bruckner-Dirigenten, unter dem wir nicht schon dieses Adagio gehört hätten. Aber in einer Wiedergabe wie unter Kabasta ist es uns noch nie begegnet.“ Was die „Achte“ für diesen Ausnahme-Musiker war, der sich über Musik nur selten geäußert hat, notierte er im April 1945, ein knappes Jahr vor seinem Freitod, für den damals 22-jährigen Musikstudenten Hans Ludwig Kohler auf dem Vorsatzblatt von dessen Studienpartitur: „Diese unvergleichliche Symphonie, die das grossartigste und tiefste Adagio hat, das je für Orchester geschrieben wurde, bildete bereits einige Male einen Markstein auf meinem künstlerischen Lebensweg: im XI. 26 war sie die erste BrucknerSymphonie, die ich knapp nach meiner Berufung dem Grazer Publikum vormusizieren durfte; im XII. 27 stellte ich mich damit den Wienern, im II. 37 den Münchnern vor. Und im VIII. 44 wählte ich sie ebenda als meinen (hoffentlich !) vorläufigen Schwanengesang. Zwei Wochen spä- 21 Oswald Kabasta über Bruckners 8. Symphonie in einem Widmungsexemplar der Orchesterpartitur für Hans Ludwig Kohler (1945) 22 Die philharmonische Aufführungstradition ter wurde mein Orchester stillgelegt... Wollen wir fest an dessen Wiederkommen glauben !“ In der Tat ist Oswald Kabasta am 6. August 1944 zum letzten Mal vor „sein“ Orchester getreten, nicht wissend, aber doch ahnend, dass es sein allerletzter Auftritt als Dirigent und Musiker bleiben würde. Dieses „düstere Konzert, ganz in c-moll“ – Kabasta hatte sich, wie so oft, noch für Beethovens „Coriolan“-Ouvertüre entschieden – , fand im Prinzregententheater statt, weil inzwischen auch die Tonhalle in Schutt und Asche lag. In einer einfühlsamen Besprechung wurde nochmals Kabastas „zwingende Suggestionskraft“ hervorgehoben, mit der er das musikalische Kompendium der Symphonie vermittelte. 14. Dezember 1966: Fritz Riegers letztes Konzert als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker In äußerst bedrängter Zeit hatte Fritz Rieger 1949 die Nachfolge von Hans Rosbaud bei den Münchner Philharmonikern angetreten. Vor allem in den ersten Jahren war er unablässig darum bemüht, Rang, Ansehen und Etat durch interessante Programme, die Einführung von „Jugendkonzerten“ und ausgedehnte Tourneen zu festigen, hing doch die Auflösung bzw. Fusion mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wie ein Damoklesschwert über den Philharmonikern. Als Rieger sich 1966 mit Anton Bruckners 8. Symphonie verabschiedete, besaß die Stadt wieder ein Orchester von internationalem Rang. Es blieb Karl Schumann vorbehalten, dem Dirigenten mit bewegenden Worten für seine langjährigen Verdienste zu danken und ihn als Musiker angemessen zu würdigen: „Für den letzten Abend als Städtischer Generalmusikdirektor – als Gast wird er auch künftig zu erwarten sein – hatte Fritz Rieger ein Glanz- und Lieblingsstück gewählt: Anton Bruckners 8. Symphonie. Es war eine imposante Aufführung, durchdacht bis ins Detail, auf herben, fast trotzigen Klang angelegt, durch beinahe heftige Dramatik abweichend von der neuerdings verbreiteten ‚lyrischen‘ Bruckner-Deutung. Fritz Rieger stellte sich dem Hauptproblem seiner Musikauffassung: Vereinigung von hoch­ gespanntem Espressivo und gebändigter Form. Am stärksten erfüllte sich diese Absicht im ungemein klar aufgebauten Adagio und in der grandios aufgetürmten Final-Coda. Die Philharmoniker erfüllten Rieger jeden Wunsch nach breitvibrierendem Streicherklang und prägnanten, volltönenden Blecheinsätzen. Am Schluß stellte sich, wie einst bei Knappertsbusch, das lange Schweigen vor dem Bravo-Jubel ein: das sicherste Zeichen für die Größe einer BrucknerAufführung.“ 15. Oktober 1979: Sergiu Celi­bi­ daches denkwürdige BrucknerDeutung in der Lukaskirche Die Wiedergabe von Anton Bruckners 8. Symphonie am 15. Oktober 1979 gehört ebenfalls zu den herausragenden Ereignissen in der an Höhepunkten wahrlich nicht armen Biographie dieses „Bruckner-Orchesters“. Sergiu Celibidache, seit Juni neuer Generalmusikdirektor Die philharmonische Aufführungstradition der Münchner Philharmoniker, dirigierte Bruckners „Mysterium“ in einer gleichermaßen bestürzenden Intensität wie ungeheuren Gelassenheit des Empfindens und Atmens – selbst in den gewaltigen Generalpausen – , als ginge es um sein Leben wie das des Orchesters. Tiefe Betroffenheit zeichnete denn auch die Gesichter aller Beteiligten, der Ausführenden wie der Zuhörer. Der heute bereits legendären Aufführung in der Lukaskirche waren im Vorfeld harsche Diskussionen vorausgegangen. Selten waren die Meinungen ob der Verpflichtung eines Dirigenten so gespalten. Diesem nonkonformistischen Exzentriker und Musikphilosophen, der in jeder Beziehung so völlig anders redete, arbeitete und musizierte wie alle anderen Dirigenten, verdanken „seine Münchner“ einen kaum für möglich gehaltenen Karrieresprung. Die Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache wurden zu einem Markenzeichen, weltweit mit Ovationen überschüttet – und dies nicht zuletzt für ihre Bruckner-Interpretationen. Schon die Proben zu dem Konzert in der Lukaskirche – die Philharmonie am Gasteig war noch im Bau – gestalteten sich außerordentlich schwierig, weil der riesige Zentralraum mit seinem schier unbegrenzten Nachhall ein grundsätzliches Umdenken erforderte. Die raumgreifenden Phrasierungsbögen verlangten geradezu nach einem „Zweimeterbogen“ bei den Streichern, nach einem endlosen Atem für die Bläser. Celibidache arbeitete, unbeirrt von allen Querelen, im Bewusstsein, dass es um die Entscheidung ging: letztes Konzert oder Neubeginn einer Ära ! 23 Insbesondere das Adagio entfaltete sich unter seinen Händen als eine einzige großangelegte musikalische Spannungskurve. Sichtlich betroffen verließen die Zuhörer den Ort, einig in der Meinung, dass Sergiu Celibidache und „sein“ Orchester endlich am Ziel seien: bei der Musik als einem unantastbaren, bis in transzendentale Bezirke reichenden Phänomen. 5. Januar 2007: Die „Achte“ unter Christian Thielemann Der Interpretationsspielraum kennt, innere Stimmigkeit vorausgesetzt, kaum Grenzen. Der grundsätzlichen Überzeugung Gustav Mahlers, dass alles in der Partitur stünde, nur das „Wesent­ liche“ nicht, entsprach Christian Thielemann, Generalmusikdirektor des Orchesters von 2004 bis 2011, bei seiner denkwürdigen Wiedergabe der 8. Symphonie im Januar 2007 mit einer für ihn maßgeblichen Deutung. Thielemann verstand das Werk zunächst nicht a priori als „Mysterium“ (was immer auch Bruckner mit dieser Benennung gemeint haben könnte), entrückt von aller Materie und noch mehr von der Zeit. Vielmehr gestaltete er die Symphonie, jeglicher zelebrierenden Andachtshaltung abhold, aus ihrem innermusikalischen Kern heraus, so wie er auch ihre immanente Architektonik bis ins letzte Detail auslotete. Für das „längste und prächtigste aller Adagios“, so der Bruckner-Biograph Max Auer, schuf Thielemann einen gewaltigen Klangraum, eindringlich strukturiert und trotz des langsamen Tempos den großen Atem nie außer Acht lassend. Im Verein mit den Münchner Philharmonikern und 24 Die philharmonische Aufführungstradition deren inzwischen über 100-jähriger BrucknerTradition entfaltete sich unter Thielemanns Händen zuletzt also doch ein „Mysterium“ – kein jenseitiges allerdings, sondern ein fest im Diesseits verankertes. 4. Juli 2012: Zubin Mehtas Celibi­dache-Ehrung Am 9. September 1996 dirigierte Zubin Mehta das philharmonische Gedenkkonzert für den kurz zuvor verstorbenen Sergiu Celibidache. Einziger Programmpunkt des Abends: Bruckners „Neunte“, die Symphonie, die Celibidache so gerne noch in St. Florian „unmittelbar über Bruckners Sarkophag“ aufgeführt hätte. Mehta, der in den 90er Jahren wiederholt für seinen gesundheitlich zuletzt sehr angeschlagenen Kollegen eingesprungen war, ja sogar mehrmals Gastspiele und Tourneen der Philharmoniker gerettet hatte, zeigte sich Celibidaches Orchester weiterhin sehr zugetan. Im Jahr 2012, in dem sage und schreibe acht große Dirigentenpersönlichkeiten, unter ihnen Sergiu Celibidache, ihren 100. Geburtstag gefeiert hätten, baten die Philharmoniker deshalb aus naheliegenden Gründen Zubin Mehta, das Sonderkonzert zum 100. Geburtstag ihres unvergessenen Maestro zu leiten. Viele Freunde und Verehrer Celibidaches hatten sich am 4. Juli in der Philharmonie eingefunden, frühere Orchestermusiker zumal, die aussprachen, was die meisten Anwesenden dachten: „Er war wahrscheinlich unser größter Glücksfall.“ Mehta, inzwischen zum Ehrendirigenten des Orchesters ernannt, hatte sich an diesem besonderen Abend für Bruckners 8. Symphonie entschieden, und mit ihr für ein zentrales Werk in Celibidaches Repertoire. Natürlich wusste Mehta um die tiefgründig philosophische Herangehensweise des Freundes. So versuchte er erst gar nicht, dessen radikale Intensität auf der Suche nach dem innersten Wesen von Musik und Musizieren zu beschwören. Mehtas Wiedergabe wirkte in der Verneinung aller Extreme gelassener, übersichtlicher, sich am klassizistischen Maß orientierend. Doch es gab sie, die beglückenden Augen­ blicke, in denen Celibidaches Klangvorstellungen durchschimmerten, vor allem im magisch ausgeleuchteten Tuben-Choral des langsamen Satzes. Diese Momente machten schlicht betroffen, nicht zuletzt deshalb, weil sie so unvermittelt an die legendären Konzerterlebnisse unter Celibidache erinnerten, und an das, was die Philharmoniker unter seiner Leitung einst waren. Das (Bruckner-)Orchester der Stadt 25 Anton Bruckners zweite Heimat Stephan Kohler In München feierte Anton Bruckner die wenigen wirklichen Erfolgserlebnisse, die er zu Lebzeiten erfahren durfte – ganz im Gegensatz zu Wien, wo seine Symphonien in der Regel zwar uraufgeführt, aber von der Presse meist gnaden­ los verrissen wurden und zu Publikumstumulten führten. Die Münchner Erstaufführung von Bruckners 7. Symphonie unter der Leitung des Königlich-Bayerischen Hofkapellmeisters Hermann Levi hingegen geriet zu einem Triumph für den Komponisten, der bahnbrechend auf die weitere Rezeption seiner Werke in Deutschland und Europa wirkte. Fortan hatte das „Isar-Athen“ der Wittelsbacher für Bruckner den Nimbus eines paradiesischen „El Dorado“, wie es für Mozart in ganz analoger Weise die „goldene Stadt“ Prag gewesen war: eine Art zweite Heimat, von der sich Bruckner ein besonders positives Klima für die Beurteilung seiner Werke erwarten durfte. Die Münchner Philharmoniker waren und sind das Orchester, das die Pflege dieser spezifisch Münchner Bruckner-Tradition seit seiner Gründung als „Kaim-Orchester“ kontinuierlich verfolgt. Nicht umsonst war einer seiner ersten Dirigenten der Bruckner-Schüler Ferdinand Löwe. In Anknüpfung an das triumphale Gastspiel des Kaim-Orchesters mit Bruckners 5. Symphonie, das am 1. März 1898 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins über die Bühne ging, leitete Löwe die ersten großen Bruckner-Konzerte in München und begründete so die bis heute andauernde Bruckner-Tradition der nachmaligen „Münchner Philharmoniker“. In die Amtszeit von Siegmund von Hausegger, der dem Orchester von 1920 bis 1938 als Generalmusikdirektor vorstand, fielen diverse Ur- und Erstaufführungen der damals neu herausgegebenen, von allen fremden Zutaten befreiten „Originalfassungen“ von Bruckners Symphonien. Nach Hausegger war es dann vor allem der österreichische Dirigent Oswald Kabasta, der von 1938 bis 1944 die Bruckner-Tradition der Münchner Philharmoniker erfolgreich fortführte und sie bei zahlreichen Gastspielreisen im In- und Ausland der europäischen Musikwelt bekannt machte. Schließlich führte von 1979 an Sergiu Celibidache mit dem Orchester der Stadt Bruckners Werke in vielen Ländern außerhalb Europas, vor allem in Südamerika und Asien, überhaupt zum ersten Mal auf. Die gemeinsamen, heute bereits legendären Bruckner-Konzerte Celibidaches mit „seinen“ Philharmonikern trugen ganz wesentlich zum internationalen Ruf des Orchesters bei. Diesen Ruf als eines der besten Ensembles für den von Bruckner intendierten „dunklen“ Klang hat später Christian Thielemann als weltweit gefeierter Sachwalter der spezifisch deutschen Musiktradition in seiner Münchner Amtsperiode erneut unter Beweis gestellt. Unter den Bruckner-Dirigenten seiner Generation war er sicher der für die Fortführung der „Celi-Tradition“ be- 26 Das (Bruckner-)Orchester der Stadt rufenste, wohl wissend, dass er mühelos auf dem immer noch lebendigen Erbe des rumänischen Mystagogen und seines auf ihn eingeschworenen Orchesters aufbauen konnte. Nicht umsonst wählte Thielemann, kurz zuvor im Rahmen der Echo Klassik-Preisverleihung zum „Artist of the Year“ gekürt, für sein enthusiastisch gefeiertes Antrittskonzert am 29. Oktober 2004 dieselbe 5. Symphonie von Anton Bruckner, mit der schon Sergiu Celibidache die neu erbaute Philharmonie am Gasteig programmatisch eröffnet hatte. Nach Aufführungen der 7., 8., 4. und 3. Symphonie ließ Thielemann im Oktober 2009 seine Deutung der Fragment gebliebenen „Neunten“ folgen – ein letzter Höhe­ punkt, mit dem der damalige Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker die BrucknerTradition dieser Stadt und ihres Orchesters glanzvoll erneuerte und gleichzeitig hohe Maßstäbe für alle zukünftigen Bruckner-Aufführungen in München setzte. 22 Die Künstler Der 27 Semyon Bychkov Dirigent Der in Leningrad (St. Petersburg) geborene Semyon Bychkov gewann als Zwanzigjähriger den Rachmaninow-Dirigierwettbewerb. Dass ihm der Preis, die Leningrader Philharmonie zu dirigieren, vorenthalten wurde, trug zu seiner Entscheidung bei, zwei Jahre später die ehemalige Sowjetunion zu verlassen. In seiner Heimatstadt St. Petersburg besuchte Zu Semyon dem Zeitpunkt, Bychkov das als staatliche Bychkov 1989 Musikkonserals Erster Gastdirigent vatorium, wodes er Philharmonischen in die Dirigierklasse Orchesters Ilya Musins nach St. aufgenommen Petersburg zurückkehrte, wurde; 1975 wurde emigrierte er in er deninUSA die bereits als Music Rapids SymUSA. Dort war er Director von 1980des bisGrand 1985 Musikdirekphony und Symphony des Buffalo Philharmonic Ortor desOrchestra Grand Rapids Orchestra und von chestra 1985 bisgefeiert 1989 desund Buffalo hattePhilharmonic sich in Europa Orchesdurch Konzerte tra. Anschließend mit Orchestern übersiedelte wie u.a.Semyon den Berliner Bychkov Philharmonikern nach Europa, und wo er dem Chefdirigent Concertgebouw des renommierOrchester Amsterdam ten Orchestre etabliert. de ParisErwurde, wurde das Chefdirigent er bis 1998 des Orchestre leitete; daneben de Parisübernahm (1989), Chefdirigent er die Position deseines WDR Sinfonieorchesters Köln (1997) und Chefdirigent der Sächsischen Staatsoper Dresden (1998). ersten Bychkovs Gastdirigenten Opernrepertoire beiistden so vielseitig St. Petersburger wie sein Philharmonikern symphonisches. Es(1990–1994) reicht von Mozart sowie bis beim SchosOrtakowitsch, über Schubert, Mussorgsky, Tschaichester des Maggio Musicale Fiorentino (1993– 2000). kowsky und Janáček bis hin zu Puccini. Besonders anerkannt ist er für seine Interpretationen der Wer1998 ke vonwurde Strauss, Semyon WagnerBychkov und Verdi. Chefdirigent Er ist regelmäder ßig mit den Wiener Philharmonikern, MünchSächsischen Staatsoper Dresden, woden er bis 2003 ner Philharmonikern und Concertgebouw OrNeuinszenierungen von dem Wagners „Rheingold“ und chester „Walküre“, auf Tournee Strauss’ und ebenso „Rosenkavalier“ regelmäßig und zu Schostakowitschs Gast bei den Berliner „Lady Philharmonikern, Macbeth von Mzensk“ dem Gedirigierte. wandhausorchester Zu Bychkovs Leipzig, Repertoire dem BBC zählen unddarüdem ber hinaus zahlreiche weitereder Opern von Verdi, London Symphony Orchestra, Accademia NaWagner, Mussorgskij Schostakozionale diStrauss, Santa Cecilia, dem RAIund Torino, dem Orwitsch; chestre National im Rahmen de France, der Salzburger dem Chicago Festspiele und dem dirigierte San Francisco er 2004 Symphony Strauss’Orchestra, „Rosenkavalier“ sowie dem mit den Los Angeles Wiener Philharmonikern. und dem New York Philharmonic. Zuletzt In 1986 war begann Semyon Bychkov Bychkov seine Chefdirigent Zusammenarbeit des WDR-Sinfonieorchesters mit Philips, wodurch in derKöln Folge (1997–2010), Aufnahmen mit mit dem den Berliner er zahlreiche Philharmonikern, Tourneen durch dem NordSymphonie­ und Südamerika, orchester Russland, des Bayerischen JapanRundfunks, und Europadem unternomConcertmen gebouw hat.Orchester, Regelmäßig dem leitet Philharmonia Semyon Bychkov Orchestra, die dem London Philharmonic Orchestra und dem Orgroßen Orchester der USA; in Europa gastierte er u. a. bei den Berliner undsind. Wiener chestre de Paris entstanden Aus Philharmoseiner langnikern, jährigenbeim Zusammenarbeit Symphonieorchester mit dem des WDRBayeriSinfoschen nieorchester Rundfunks gingen und bahnbrechende beim Orchester Aufnahmen der Mailänder Scala. der Brahms Sinfonien und der Werke von Strauss, Mahler, Schostakowitsch, Rachmaninow, Verdi, Glanert und Höller hervor. 2010 wurde Bychkovs Aufnahme des »Lohengrin« vom BBC Music Magazine als »Record of the Year« ausgezeichnet. Ph ilh a Bl rm ät on te is r ch e 28 24 Auftakt „Tiefer Trost und Rechtfertigung“ Die Kolumne von Elke Heidenreich Neulich habe ich Hermann Hesses „Steppenwolf“ noch mal gelesen – sollte man in meinem Alter nicht tun, da gehen ein paar schöne Erinnerungen und Eindrücke verloren, die mit siebzehn, achtzehn, wenn man das Buch zum ersten Mal liest, lesen sollte, stark waren. Die Welt ist uns, wenn wir älter werden, nicht mehr ganz so zerrissen, wir haben unseren Platz darin gefunden und suchen nicht mehr so wie Harry Haller alias Hermann Hesse. Aber was mich wieder fasziniert hat, war das Kapitel, in dem Harry Haller im Drogenrausch in seinem imaginären Theater eine Musik hört, schön und schrecklich, die Musik, die in Mozarts „Don Giovanni“ das Auftreten des Steinernen Gastes begleitet. Und plötzlich erklingt „ein helles und eiskaltes Gelächter, aus einem den Menschen unerhörten Jenseits von Gelittenhaben, von Götterhumor geboren.“ Haller wendet sich um und sieht Mozart, lachend, und Mozart zeigt hinunter in die Tiefe des Zaubertheaters, wo sich eine wüstenähnliche Ebene ausdehnt. „In dieser Ebene sahen wir einen ehrwürdig aussehenden alten Herrn mit langem Barte, der mit wehmütigem Gesicht einen gewaltigen Zug von einigen zehntausend schwarzgekleideten Männern anführte. Es sah betrübt und hoffnungslos aus, und Mozart sagte: ‚Sehen Sie, das ist Brahms. Er strebt nach Erlösung, aber damit hat es noch eine gute Weile.‘ Ich erfuhr, dass die schwarzen Tausende alle die Spieler jener Stimmen und Noten waren, welche nach göttlichem Urteil in seinen Partituren überflüssig gewesen wären.“ Der arme Brahms bleibt nicht allein verspottet, auch Wagner taucht noch auf und schleppt seine überflüssigen Noten hinter sich her, sehr, sehr viele. Als ich jung war, bedeutete mir der Steppenwolf viel, Brahms und Wagner wenig. Jetzt ist es umgekehrt, aber alles gehört zusammen: dass man sich ändert, dass man sich entwickelt, dass man Musik anders hört und versteht als früher, da man jung war. Jeder hört anders, jeder, der im Konzert direkt neben mir sitzt. Manche sehen Bilder beim Hören, manche erinnern sich an frühere Konzerte mit den Stücken, die gerade gespielt werden – das meiste kennt man ja und will es doch wieder und wieder hören, weil es immer anders ist – je nachdem, wer spielt, wer dirigiert, wie mir an dem Abend zumute ist. Aber eines ist immer gewiss, und das wusste auch Hermann Hesse, dem die Musik zeitlebens sehr viel bedeutete: „So begierig ich auf manchen anderen Wegen nach Erlösung, nach Vergessen und Befreiung suchte, so sehr ich nach Gott, nach Erkenntnis und Frieden dürstete, gefunden habe ich das alles immer nur in der Musik. Es brauchte nicht Beethoven oder Bach zu sein: – dass überhaupt Musik in der Welt ist, dass ein Mensch zuzeiten bis ins Herz von Takten bewegt und von Harmonien durchblutet werden kann, das hat für mich immer wieder einen tiefen Trost und eine Rechtfertigung alles Lebens bedeutet.“* *Aus dem Musikerroman „Gertrud“, 1909 e e ch ch is is on on m m er er a rh a rä t t ä t t i l hi l B l B l PhPh Nachruf Nachruf 25 29 In tiefer Trauer Arnold Riedhammer Am 2. Juni 2015 ist Thomas Walsh ganz unerwartet verstorben. Tom war langjähriger Tubist der Münchner Philharmoniker, Hauptdozent an der Hochschule für Musik und Theater München und Gründungsmitglied der Gruppe „Blechschaden“. Tom hat sich als Dozent für Tuba weltweit einen großen Namen gemacht und zahlreichen Studenten den Weg in die besten Orchester geebnet. Seine Solos und sein Humor werden bei „Blechschaden“ unvergesslich bleiben. Für alle, die ihn kannten – ein großer Verlust als Mensch, Freund, Musiker und Kollege! Lieber Tom, Du bist viel zu früh von uns gegangen. R.I.P. Arnold Riedhammer Ehemaliger 1. Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker P P hh i l il ha B ha rm B ll ä tr m o n ät te on is te r is ch r ch e e 30 26 Philharmonische PhilharmonischeNotizen Notizen Herzlich Willkommen Wir bekommen eine neue stellvertretende Konzertmeisterin und ein neuen Solo-Hornisten: Lucja Madziar (Violine) und Matias Piñeira (Horn) treten ab September ihren Dienst und damit ihr Probejahr an. Abschied Karel Eberle verabschiedet sich ab Juni in den wohlverdienten Ruhestand. Er war seit 1972 Mitglied der 1. Geigen und stellvertretender Konzertmeister. Orchesterakademie Unsere Fagott-Akademistin Ryo Yoshimura hat die Stelle als 2. Fagottistin bei den Wiener Symphonikern gewonnen. Als Akademistin bleibt sie uns aber noch bis zum Sommer erhalten. Wir gratulieren und wünschen alles Gute! MPhil vor Ort bei „Klassik & Klub“ im „Harry Klein“ und Holleschek+Schlick in den Postgaragen Am 13. Mai ging „Klassik & Klub“ in die nächste Runde im „Harry Klein“. Kai Rapsch (Oboe und Englischhorn), Clément Courtin (Violine), Beate Springorum (Viola) und David Hausdorf (Violoncello) spielten Mozarts Oboen-Quartett und Jean Françaix Quartett für Englischhorn, Violine, Viola und Violoncello. Johannes Öllinger (Gitarre) war ebenso zu Gast. Seit magischen sieben Jahren feiern Holleschek+Schlick in den Postgaragen. Jetzt werden sie abgerissen. Grund genug, jemanden zu holen, der davon was versteht: Martin Grubinger und die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker! Ein „letztes Konzert + Abrissfest“ fand statt am Samstag, 25. April (siehe übernächste Seite). e ch is on m er a r ä tt ilh B l Ph Ort mit Fest MPhil vor Mphil Ort – vor Konzert 31 27 Konzert mit Fest Simone Siwek Am 25. April 2015 waren die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker mit Martin Grubinger in einem reinen Percussionkonzert in den Postgaragen zu erleben. Ein MPhil vor Ort-“Spezial“ zu einem besonderen Anlass: das letzte Fest von holleschek&schlick an diesem Ort, denn die Postgaragen werden abgerissen. Martin Grubinger war Ende April als Solist zu Gast bei den Münchner Philharmonikern. Als die Anfrage kam, ein weiteres Konzert mit unseren Schlagzeugern zu geben, sagte er schnell zu und reiste extra mehrere Tage früher an, um das ehrgeizige Programm parallel zu seinem Auftritt als Solist einzustudieren. Für ihn wie für unsere Schlagzeuger hieß das: intensive Vorbereitung und in vier Tagen über 30 Stunden extra Proben inklusive Nebenwirkungen (siehe unten). Aber es hat sich gelohnt: Standing Ovations! „Die Zusammenarbeit mit Martin war wahnsinnig intensiv. Sie hat mich bereichert und inspiriert. Klar kosteten die Proben zusätzlich zum Konzertprogramm in der Philharmonie viel Kraft, setzten aber ungleich viel mehr positive Energie frei!“ (Jörg Hannabach, Schlagzeuger) Ph ilh a Bl rm ät on te is r ch e 32 28 MPhil vorMphil Ort – vor Konzert Ort mit Fest „Anfangs war ich ein wenig skeptisch, als Simone Siwek mir vorgeschlagen hat, ein klassisches Schlagzeugkonzert für ein junges Publikum aufzuführen. ‚Anstrengend‘ war die erste Assoziation. Was Grubinger und die Münchner Philharmoniker dann in den Postgaragen aufgeführt haben, hat nicht nur das Publikum aus den Stühlen gerissen. Ich bin bekehrt. Und das nächste Schlagzeugkonzert ist schon ausgemacht – stehend dann.“ (Otger Holleschek, Kooperationspartner) „Wir kennen Martin als Solist mit dem Orchester. Nun durften wir ihn auch als Teamplayer kennen lernen, der sich ganz selbstverständlich in unsere Gruppe integrierte. In den Proben legte er großen Wert auf die Meinung aller Spieler und erwartete von jedem, dass er sich einbrachte.“ (Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger) „Martin spielt gerade ein Stück wie Pléiades sonst mit seinem festen Ensemble. Dass er ein komplettes Programm mit uns zusagte ist eine große Ehre für jeden von uns! Dieses Projekt hat mich begeistert und persönlich stark motiviert. Ich denke ich kann für alle Schlagzeug-Kollegen sprechen, wenn ich sage, dass uns diese Woche auch als Gruppe nachhaltig zusammengeschweißt hat.“ (Stefan Gagelmann, SoloPauker) „Martin Grubinger forderte von allen vollen Einsatz. Das bedeutet: immer 100% – und der Schritt von 99% zu 100% kann groß sein! Er perfektioniert rhythmische Genauigkeit, Lautstärke, Klang und Dynamik und verliert dabei nie die Freude am Spielen. Das ist unheimlich ansteckend und fordert einen mental und körperlich. In meinem Fall bedeutet das: Muskelkater, zwei blutige Finger und nach diesem Projekt eine gute Kondition: ich merke, dass ich mich weniger Einspielen muss.“ (Guido Rückel, SoloPauker) e ch is on m er a r ä tt ilh B l Ph MPhil vorMphil Ort – vor Konzert Ort mit Fest 33 29 „Wir hatten nahezu unser komplettes Schlagwerk im Einsatz. Mit über 60 Instrumenten war der Aufund Umbau sehr komplex und musste auf jeden Musiker abgestimmt sein. Martin war sehr engagiert und verlangte Musikern und Instrumenten einiges ab. Erste ‚Opfer‘ waren mehrere Bongos, deren Felle binnen kürzester Zeit durchschlagen waren. Zur Sicherheit wurden Ersatzinstrumente angemietet. Nach dem Konzert mussten 6 Paukenfelle und 18 TomTom-Felle ausgetauscht werden. Also: bei Werken wie dem Xenakis ist es durchaus ratsam nicht mit Naturfellpauken zu spielen.“ (Kilian Geppert, stellvertretender Orchesterinspizient) Das Programm: Sollima: Millennium Bug, Miki: Marimba Spiritual, Xenakis: Pléiades (daraus den Fellsatz), Jobim: Chega de Saudade, Engel: Ragtime und Grubinger: Planet Rudiment Es spielten: Sebastian Förschl, Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach, Michael Leopold, Guido Rückel, Walter Schwarz, Linda-Philomène Tsoungui Ph ilh a Bl rm ät on te is r ch e 34 30 Orchestergeschichte Die Tonhalle, Heimstatt der Münchner Philharmoniker von 1895 bis 1944 Gabriele E. Meyer Bis zur Eröffnung des Kaim-Saales (der späteren Tonhalle) im Jahre 1895 gab es in München – sieht man von den akustisch unbefriedigenden CentralSälen in der Neuturmstraße ab – als einzigen großen Konzertsaal nur das Kgl. Odeon. Allerdings wurde dieser repräsentative Raum dem 1893 von Franz Kaim gegründeten Vorgänger der Münchner Philharmoniker nur widerwillig zur Verfügung gestellt; für den vorausschauenden Unternehmer Grund genug, ein weiteres Großprojekt in Angriff zu nehmen. Nach mehreren vergeblichen, weil nicht finanzierbaren Anläufen, entschloss sich Kaim schweren Herzens, seinen Saal selbst zu erbauen, und zwar auf dem Eckgrundstück Türkenstraße 5 zur inzwischen neu angelegten Prinz-Ludwig-Straße. Die Bauleitung hatte er Martin Dülfer anvertraut. Die Fassaden gestaltete der renommierte Architekt im LouisSeize-Stil, wegen der typischen Lorbeer- oder Fruchtgirlanden auch „Zopfstil“ genannt. Schon ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung im April 1895 wurde der „Kaim-Saal“ mit einem dreitägigen Musikfest „unter dem Protektorat des Prinzen Ludwig Ferdinand von Bayern“ eingeweiht (19.–21. Oktober). Die Orchestergründung trat in Anlehnung an den Konzertort nun unter dem Namen „Kaim-Orchester“ auf. Die ursprünglich veranschlagte Kostenpauschale von 500.000 Mark überschritt Dülfer allerdings „um die horrende Summe von 380.000 Mark“. Kaim gelang es nur mit Hilfe „mäcenatischer Gönner, zu denen maßgeblich Frau Marie Barlow gehörte“, den finanziellen Ruin abzuwenden. Ab Oktober 1905 gingen die Konzertbesucher in die „Tonhalle“; eine Begründung für diesen Namenswechsel gab es merkwürdigerweise nicht. – Im Laufe der Jahre waren an dem Saal immer wieder bauliche und akustische Veränderungen vorgenommen worden, um den Ansprüchen von Musikern und Zuhörern zu genügen. Viele historisch und künstlerisch bedeutsame Konzertereignisse verzeichnen die Annalen – bis hin zu jener Nacht des 24./25. April 1944, als ein vor allem für die Innenstadt verheerender Bombenangriff auch die philharmonische Heimstatt und den Odeonssaal in Schutt und Asche legte. Der schmerzliche Nachruf in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ nur zwei Tage später erinnerte nochmals an das, was da vernichtet worden war. „Diese Räume waren Individualitäten, jeder hatte seinen besonderen Charakter, dem man als Konzertierender gerecht werden mußte. Jeder hatte auch seine spezifische Atmosphäre, die den Hörer mit ihrer ganz eigenartigen Stimmung empfing und die sich gewissermaßen aus dem langjährigen künstlerischen Geschehen ergab.“ Noch aber ging der Konzertbetrieb weiter. Eilends suchte die Stadt nach Ausweichquartieren und fand sie im Prinzregententheater, im Löwenbräukeller, im Deutschen Museum, in der Aula der Universität. Nach Kriegsende befanden sich die Philharmoniker weiterhin auf Wanderschaft. Zwar probierte Hans Rosbaud, GMD von 1945 bis 1948, zunächst noch in den notdürftig hergerichteten Kellerräumen an der Türkenstraße, die Konzerte aber fanden an anderen Orten statt. Zu einem durchaus möglichen Wiederaufbau des Saales, in dem einst Thomas Mann Katja Pringsheim, seine spätere Frau, entdeckte, konnte man sich nicht durchringen. Erst 1985 erhielten die Münchner Philharmoniker mit der Philharmonie im Gasteig wieder ein eigenes Zuhause. e ch is on m er a r ä tt ilh B l Ph Das Festival mphil 360° 35 31 „Mein Ziel ist es, dass jeder Münchner die Chance hat, die Münchner Philharmoniker live zu erleben.“ Dieses ehrgeizige Ziel hat Valery Gergiev zur Antrittspressekonferenz am 31. Januar 2013 formuliert. Zum Saisonstart 2015/16 rufen die Münchner Philharmoniker und ihr zukünftiger Chefdirigent Valery Gergiev ein neues Festival in München ins Leben: mphil 360°. Es wird vom 13. bis 15. November in allen fünf Sälen des Münchner Gasteigs stattfinden. Freitag, 13.11.2015, 20 Uhr Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« | Skrjabin: »Promethée. Le Poème du feu.« | Wagner: »Die Walküre« 1. Aufzug Valery Gergiev, Denis Matsuev, Anja Kampe, Johan Botha, René Pape, Philharmonischer Chor München Samstag, 14.11.2015, 12 Uhr – 24 Uhr Musikfest für alle – Eintritt frei Till Brönner, Hauschka, Andreas Martin Hofmeir, Miloš Karadaglić, Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, Valery Gergiev, Tin Men and the Telephone, Mariinsky Strawinsky Ensemble, Deutsch-Russisches Ensemble, Odeon Jugendorchester, Kammerorchester der Münchner Philharmoniker, Community Music Sonntag, 15.11.2015 Kern der Programme am Sonntag sind die fünf Klavierkonzerte Prokofjews. Jedes Klavierkonzert wird kombiniert mit Werken aus der deutschen bzw. Münchner Musikgeschichte. Die Münchner Philharmoniker werden dabei zwei Konzerte, das Mariinsky-Orchester drei Konzerte bestreiten. 11 Uhr Prokofjew: »Symphonie classique« & Klavierkonzert Nr. 1 (Solist: Herbert Schuch) | Haydn: Symphonie Nr. 82 »Der Bär« 13 Uhr von Weber: Ouvertüre zu »Der Freischütz« | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 2 (Solist: Denis Matsuev) | von Weber: »Aufforderung zum Tanz« 15 Uhr Reger: Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 3 (Solist: Behzod Abduraimov) 17 Uhr Hartmann: Suite aus »Simplicius Simplicissimus« | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 4 (Solist: Alexei Volodin) 19 Uhr Widmann: »Con brio« | Mozart: Klarinettenkonzert A-Dur (Solist: Jörg Widmann) | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 5 (Solist: Olli Mustonen) Karteninformationen Karten zu allen Veranstaltungen des Festivals gibt es ab 11.08.2015 im Webshop der Münchner Philharmoniker unter mphil.de und bei München Ticket (089/54 81 81 400). Der Eintritt zu allen Veranstaltungen am Samstag, 14.11.2015, ist frei, jedoch nicht ohne Eintrittskarte möglich. 36 Vorschau Sa. 20.06.2015, 13:30 Uhr 6. ÖGP So. 21.06.2015, 11:00 Uhr 8. Abo m Mo. 22.06.2015, 20:00 Uhr 8. Abo f Di. 23.06.2015, 20:00 Uhr Uni-Konzert Do. 02.07.2015, 20:00 Uhr 8. Abo b Fr. 03.07.2015, 20:00 Uhr 8. Abo c So. 12.07.2015, 20:00 Uhr Klassik am Odeonsplatz Richard Wagner Vorspiel zu „Parsifal“ Edvard Grieg „Peer Gynt“-Suite Nr. 1 op. 46 Johannes Brahms Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90 Igor Strawinsky „Psalmensymphonie“ Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ Maurice Ravel Konzert für Klavier und Orchester G-Dur Anton Bruckner Messe Nr. 3 f-Moll für Soli, Chor und Orchester Claude Debussy „La Mer“ Kent Nagano, Dirigent Anne Schwanewilms, Sopran Mihoko Fujimura, Mezzosopran Michael Schade, Tenor René Pape, Bass Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Krzysztof Urbański, Dirigent Daniela Fally, Sopran Benjamin Bruns, Tenor Jochen Kupfer, Bariton Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Einstudierung: Verena Sarré Textnachweise Thomas Leibnitz, Gabriele E. Meyer, Stephan Kohler, Elke Heidenreich, Arnold Riedhammer, Monika Laxgang und Simone Siwek schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner Phil­h armoniker. Die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommen­tare zu Bruckners 8. Symphonie verfasste Stephan Kohler. Biographie Semyon Bychkov: Nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Auto­r en; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig. Bildnachweise Abbildungen zu Anton Bruckner und seiner 8. Symphonie: Leopold Nowak, Anton Bruckner – Musik und Leben, Linz 1995; Uwe Harten (Hrsg.), Anton Bruckner – Ein Handbuch, Salzburg – Wien 1996; Sammlung Stephan Kohler, München; Archiv der Münchner Philharmoniker. Künstlerphotographien: Sheila Rock (Bychkov); Leonie von Kleist (Heidenreich); Archiv der Münchner Philharmo­niker (Thomas Walsh), Denise Vernillo und Guido Rückel (MPhil vor Ort). Semyon Bychkov, Dirigent Jean-Yves Thibaudet, Klavier Impressum Herausgeber Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4, 81667 München Lektorat: Stephan Kohler Corporate Design: Graphik: dm druckmedien gmbh, München Druck: Color Offset GmbH, Geretsrieder Str. 10, 81379 München Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt. Carl Orff „Carmina Burana“ N DI E E SI AB UE N O N D S DA EM IM OT I BU JE AB ON T O CH ZT – EN EN K IM LA 4x AB A SS I 32 BO K € DAS ORCHESTER DER STADT Mehr als ein Konzert mphil.de 089 480 98 5500 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant