Andrea Bock April 2010 Die Rolle der politischen Stiftungen in der schen Entwicklungszusammenarbeit Eine Volkswirtschaftliche Analyse am Beispiel der Friedrich Ebert Stiftung in Brasilien Fach: Auslandsnachbereitung Dozent: Prof. Dr. Bass Andrea Bock Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .......................................................................................................................... 3 2. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ................................................................. 4 2.1 Entwicklungspolitische Akteure..................................................................................... 5 2.2 Finanzierung und Ausgabenentwicklung ...................................................................... 6 3. Das deutsche Parteistiftungssystem .............................................................................. 8 3.1 Die internationale Arbeit der deutschen politischen Stiftungen: Zielsetzungen und Arbeitsinstrumente ...................................................................................................... 9 3.2 Finanzierungstruktur und Aspekte der Autonomie ..................................................... 10 3.2 Die außenpolitische Rolle der Stiftungen.. ................................................................ .11 3.3 Die Hybridität der Stiftungen in der Weltgesellschaft ................................................. 12 4. Die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens ........................................ 13 5. Die Internationale Entwicklungszusammenarbeit: Deutsches Engagement in Brasilien ......................................................................................................................... 15 5.1 Das Spektrum der Tätigkeitsfelder ............................................................................. 15 5.2 Akteure der deutsch-brasilianischen Entwicklungszusammenarbeit ........................... 16 5.3 Motive deutschen Engagements in Brasilien ............................................................. 17 5.4 Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien ..................................................................... 18 5.4.1 Internationale Politik ........................................................................................... 19 5.4.2 Staat und Gesellschaft ....................................................................................... 19 5.4.3 Arbeitsbeziehungen und Gewerkschaften ........................................................... 20 5.4.4 Soziale Inklusion ................................................................................................. 21 6. Globalisierung: Ein veränderter Kontext für die Entwicklungspolitik und die deutschen politischen Stiftungen........................................................................... 22 7. Schluss ........................................................................................................................... 24 8. Anhang ............................................................................................................................ 26 9. Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 29 2 Andrea Bock 1. Einleitung “Give a man a fish and he will eat for a day. Teach him how to fish and he will eat for a lifetime.” Chinesisches Sprichwort Dieses Sprichwort ist nicht nur eine allgemeine Lebensweisheit, es verdeutlicht vor allem auch die Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit. Diese bestehen darin, die einzelnen Länder in ihren Eigenanstrengungen zu unterstützen ihre Entwicklungsprobleme zu lösen. Denn langfristig sind diese Länder, und nur sie, dazu in der Lage, für sich selbst Entwicklung und Prosperität zu schaffen. Andere Staaten und internationale Organisationen können dazu Beiträge leisten. Aus diesem Grund sind Maßnahmen zur Rechtstaatlichkeit, zur guten Regierungsführung und zur Achtung von Grund- und Menschenrechten für demokratische Institutionen von derart herausragender Bedeutung. Sie erlauben eigenständige wirtschaftliche und soziale Entwicklungen und ermöglichen private Investitionen und die Entwicklung einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Diese Herausforderungen gewinnen zusätzlich an Gewicht durch Themen wie der Klimawandel, die Zerstörung der Regenwälder und die steigenden Aktivitäten transnationaler Terrorgruppen. Dies macht aber vor allem auch deutlich, dass kein Staat mehr in der Lage ist, für bestimmte Probleme nur allein Politik zu betreiben. In einer Welt zunehmend schwindender nationalstaatlicher Grenzen scheint dabei die Idee einer traditionellen staatlichen Außenpolitik besonders obsolet, denn angesichts dieser sich verändernden politischen Rahmenbedingungen wird deutlich, dass besonders die klassische staatliche Außen- und Entwicklungspolitik mit ihren Institutionen und Instrumenten entscheidenden Veränderungsprozessen unterliegt. Eine solche Außenpolitik verliert tendenziell vor allem durch den Prozess der voranschreitenden internationalen Verflechtungen ihren bisherigen Stellenwert und wird bereits heute durch Aktivitäten aus dem nicht-staatlichen Bereich ergänzt. Hillebrand / Optenhögel machen dazu deutlich, dass diese Veränderungen den Einsatz eines außenpolitischen Instrumentariums erforderlich machen, das jenseits der klassischen Diplomatie liegt. Stärker denn je seien demnach politische Mediatoren gefragt, die zwischen den Subsystemen verschiedener Gesellschaften vermitteln. Gerade die im Verlauf der letzten Jahrzehnte gewachsenen Strukturen nicht-staatlicher Außenpräsenz Deutschlands stellen dabei ein Element dar, mit dem eine zukünftige „öffentliche“ Diplomatie wachsen sollte. Die deutschen politischen Stiftungen sind Teil dieser Strukturen. Sie sind weltweit eines der interessantesten Instrumente einer auf zivilen Einfluss basierenden Außenpolitik und haben sich in der Vergangenheit zu einer komplementären außen- und entwicklungspolitischen Institution der Bundesrepublik Deutschland entwickelt (Hillebrandt & Optenhögel, 2001, S. 169). 3 Andrea Bock Die Rolle der Stiftungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist dabei das erste Kernelement dieser Arbeit. Dazu sollen zunächst in Kapitel 2 die Akteure und Finanzstruktur der deutschen Entwicklungszusammenarbeit aufgezeigt werden. Im weiteren Verlauf wird dann das deutsche Parteistiftungssystem in Kapitel 3 erläutert. Im zweiten Kernelement dieser Arbeit wird die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Brasilien erläutert. Dies wird anhand der ältesten deutschen politischen Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, getan. Dazu wird in Kapitel 4 als erstes auf die wirtschaftliche und politische Lage in Brasilien eingegangen. In Kapitel 5 soll dann das deutsche Engagement in Brasilien näher analysiert werden. Auf welche Tätigkeitsfelder bezieht sich das deutsche Engagement? Wer sind hier die deutschen entwicklungspolitischen Akteure und was die Motive für die Zusammenarbeit? Dieses Kapitel setzt dabei den Fokus auf die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien. Kapitel 6 zeigt schließlich den veränderten Kontext für die heutige Entwicklungspolitik auf. Hier geht es in erste Linie um die Frage, welche Herausforderungen sich durch die Globalisierungsprozesse für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und speziell für die internationale Arbeit der parteinahen Stiftungen ergeben. Im Schluss soll dann zusammenfassend noch einmal ein Blick auf die Ergebnisse dieser Arbeit geworfen werden. 2. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist, mehr als die der meisten anderen Geberländer, durch eine Vielfalt an Instrumenten und Akteuren gekennzeichnet. Zudem ist sie gebündelt, das heißt das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) ist zuständig für bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und finanziert durch seinen Haushalt den größten Teil der deutschen Entwicklungshilfeleistungen (BMZ).In diesem Kapitel werden nachfolgend die einzelnen Akteure aufgezeigt sowie auf die Finanzierung und Entwicklung der Entwicklungszusammenarbeit eingegangen. 2.1 Akteure der Entwicklungszusammenarbeit Die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Partnerländern basiert auf zwei Säulen: Sie wird entweder vom deutschen Staat initiiert und organisiert oder von nichtstaatlichen Organisationen eigenverantwortlich gestaltet und durchgeführt. So umfasst die staatliche Zusammenarbeit alle Vorhaben der technischen und der finanziellen Zusammenarbeit, 4 Andrea Bock die in Verträgen direkt mit den Regierungen der Partnerländer vereinbart wurden. Mit ihrer Realisierung beauftragt das BMZ die Durchführungsorganisationen und die Zusammenarbeit wird vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert. Zu den Aufgaben dieser Organisationen gehören dabei unter anderem die Durchführung von Projekten der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit, die Vorbereitung und Entsendung von deutschen Fachkräften und Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern sowie die berufliche Fortbildung von Fachund Führungskräften aus den Partnerländern. Dabei sind die verantwortlichen Organisation für die finanzielle Zusammenarbeit die KfW Entwicklungsbank und die Deutsche Investitionsund Entwicklungsgesellschaft (DEG). Weiterhin ist für die technische Zusammenarbeit mit den Partnerländern die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) tätig. Ferner hat sich der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) auf die Vorbereitung und Entsendung von Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern spezialisiert. Für Personalentwicklung und Weiterbildung ist vor allem die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gemeinnützige GmbH (InWEnt) zuständig; Fachkräfte für die Partnerländer werden durch das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) vermittelt. Daneben gibt es weitere Durchführungsorganisationen der Technischen Zusammenarbeit, wie zum Beispiel die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) oder die PhysikalischTechnische Bundesanstalt (PTB), welche auf einzelne Aufgaben spezialisiert sind. Die nichtstaatliche Zusammenarbeit hingegen wird von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen getragen und in eigener Verantwortung organisiert. Die Finanzierung dieser Zusammenarbeit setzt sich aus eigenen Leistungen der Trägerorganisationen und aus staatlichen Zuschüssen zusammen. Zu solchen Gruppen und Organisationen gehören zum einem Nichtregierungsorganisationen und Kirchen, aber auch Sozialstrukturträger und politische Stiftungen, auf die der Fokus in den nächsten Kapiteln gesetzt ist (BMZ). 2.2 Finanzierung und Ausgabenentwicklung Die Entwicklungsleistungen der Geberländer werden an der sogenannten ODA-Quote gemessen, dem Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen. Die Quote umfasst dabei ausschließlich Zahlungen an Entwicklungsländer oder internationale Organisationen zugunsten von Entwicklungsländern (BMZ Leitfaden). Wie nachstehende Grafik verdeutlicht, ist für Deutschland ab 1983 ein Abwärtstrend der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit zu erkennen, der bis 1998 anhält. In den nachfolgenden Jahren wurden die öffentlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit im Trend erhöht. 5 Andrea Bock 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 1969 0,5 0,48 0,46 0,44 0,42 0,4 0,38 0,36 0,34 0,32 0,3 0,28 0,26 0,24 0,22 0,2 1967 % Entwicklung der deutschen ODA-Quote 1967-2008 Quelle: Daten, vgl. UNdata / Graphik: eigene Erstellung Für das Haushaltsjahr 2009 standen dabei dem BMZ rund 5,814 Mrd. Euro zur Verfügung, von denen 49,2 % (2,861 Mrd. Euro) für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet wurden. Insgesamt wurde der BMZ Haushalt damit im vergangenen Jahr um 679 Millionen Euro bzw. 13,23 % im Vergleich zum Vorjahr aufgestockt. Ferner soll durch den Stufenplan der Europäischen Union sichergestellt werden, dass der Anteil der öffentlichen Ausgaben am BIP weiterhin steigt und damit die Millenniumsentwicklungsziele erreicht werden können. Demnach war der Februar dieses Jahres ein wichtiger Termin, als sich europäische PolitikerInnen in Spanien trafen um über die Entwicklungszusammenarbeit zur Bekämpfung der globalen Armut zu sprechen. Im Jahre 2010 jährt sich die Vereinbarung zu den Millenniumszielen zum zehnten Mal: bis 2015 sollen die acht „Millennium Development Goals“ erreicht werden. Hierzu gehört, dass (1) der Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbiert wird, (2) alle Kinder Zugang zur Grundschulausbildung erhalten und die Rechte der Frauen im Rahmen des Ziels zur Geschlechtergleichheit (3) gestärkt werden. Ferner soll die Kindersterblichkeit verringert werden (4), die Gesundheit der Mütter verbessert (5), Malaria und AIDS bekämpft (6) sowie der Umweltschutz verbessert (7) und eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufgebaut werden (8) (BMZ). Im Jahr 2005 versprachen die Vorläufer der Hauptgeberländer für 2010 mehr für Entwicklungshilfe auszugeben. Von den 21 Mitgliedern des Ausschuss für Entwicklungshilfe, dem Development Assistance Committee, stimmten alle 15 EU Länder dieser Vereinbarung, bis 2010 mindestens 0,51% des BIP für Entwicklungshilfe aufzuwenden, zu. Diese Aufstockung von 0,16 Prozentpunkten, im Vergleich zum Jahr 2004, in dem der Anteil für Entwicklungsausgaben am BIP 0,35% betrug, soll besonders in Afrika dazu beitragen, dass die Millenniumsentwicklungsziele erreicht werden. 6 Andrea Bock Einige der großzügigsten Geberländer setzten sogar höhere Ziele, wie Schweden und Luxemburg, welche beide 1 % ihres BIP für Entwicklungshilfe ausgeben werden. Die offizielle Entwicklungshilfe wird damit in diesem Jahr auf eine Rekordhöhe von $107.4 Mrd. steigen, ein Plus von 35% im Vergleich zu 2004. In ihren neuen Prognosen zu Ausgaben für Entwicklungshilfe bemängelt die OECD jedoch, dass dies noch immer $21 Mrd. weniger sind als zugesichert (The Economist,Februar 2010). In nebenstehender Graphik wird deutlich, dass vor allem Deutschland, neben Griechenland und Italien, sein Versprechen zur Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungshilfe in diesem Jahr nicht einhalten wird. Die OECD geht für Deutschland in ihrer Prognose lediglich von einem Anteil von 0,4 % am BIP aus, 0,11 Prozentpunkte weniger als für dieses Jahr zugesagt. Zudem wird sich aufgrund des gerinQuelle: The Economist, Februar 2010 geren Wirtschaftswachstums im Zuge der Finanzkrise der Geldwert der Verpflichtungen reduzieren, da sich diese auf einen Prozentsatz des Nationaleinkommens beziehen (OECD, 2010). 3. Das deutsche Parteistiftungssystem Das deutsche Parteistiftungssystem besteht auf Bundesebene aus sechs Organisationen, die den im Bundestag vertretenen Parteien nahe stehen: die SPD-nahe Friedrich-EbertStiftung (FES), die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die CSU-nahe HannsSeidel-Stiftung (HSS) , die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) die den BündnisGrünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) und die der PDS nahestehenden RosaLuxemburg-Stiftung (RLS). Die zentrale entwicklungspolitische Aufgabe der Stiftungen ist es, Demokratie und Zivilgesellschaft nachhaltig zu fördern beziehungsweise aufzubauen. Dies umfasst vor allem die Stärkung von Schlüsselinstitutionen einer demokratischen Gesellschaftsordnung wie Parlamente, Parteien und eine unabhängige Justiz genauso wie die Un- 7 Andrea Bock terstützung einer guten Regierungsführung und der Partizipationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft (BMZ). Zur Differenzierung der parteinahen Stiftungen nimmt Pascher eine Unterteilung in vier Gruppen vor. So gehören zur Gruppe der institutionalisierten Stiftungen alle sechs Parteistiftungen, da sie staatlich finanziert sind.Von der Gruppe der etablierten Stiftungen muss die RLS abgegrenzt werden, da diese erst seit 1999 von der Bundesregierung gefördert wird und daher noch nicht die Rede davon sein kann, dass diese sich, vor allem nicht in ihrer Auslandsarbeit, etablieren konnte. Zu der Gruppe der klassischen Parteistiftungen gehören die vier traditionellen Stiftungen FES, FNSt, HSS und KAS die sich in der Nachkriegsära gebildet haben. Diese bilden das klassische Spektrum politischer Strömungen der BRD in der Nachkriegszeit ab und haben in den letzten dreißig Jahren umfangreiche internationale und entwicklungspolitische Arbeit geleistet. Schließlich werden in der Gruppe der großen Stiftungen die FES und die KAS von den übrigen Stiftungen abgegrenzt, da diese entsprechend ihres Finanzvolumens und ihrer langen Erfahrung mehr Projekte und Programme durchführen können und über ein ausgeprägteres Kontaktnetz verfügen (Pascher, 2002, S. 52). Wenngleich alle sechs Organisationen den Begriff „Stiftung“ in ihrem Namen tragen, trifft dies ihrer rechtlichen Organisationsform zufolge nur auf die Friedrich-Naumann-Stiftung zu, die anderen politischen Stiftungen sind der Rechtsform nach eingetragene Vereine. Das klassische Aufgabenspektrum der Stiftungen umfasst dabei die politische Bildungsarbeit im Inland, die wissenschaftliche Politikberatung, Tätigkeiten in der Forschung und Studienförderung sowie im internationalen Politikdialog und in der Entwicklungszusammenarbeit (BMZ). In den folgenden Unterpunkten dieses Kapitels soll dabei auf die internationale Arbeit der Stiftungen mit ihren Zielsetzungen und Arbeitsinstrumenten eingegangen werden, die Finanzierungsstruktur und Aspekte der Autonomie aufgezeigt werden und vor allem die Hybridität als Besonderheit der Stiftungen hervorgehoben werden. 3.1 Die internationale Arbeit der deutschen politischen Stiftungen: Zielsetzungen und Arbeitsinstrumente Da mit den Stiftungsgründungen in den 1950er Jahren in erster Linie der Wunsch verbunden war, durch politische Bildungsarbeit zum Aufbau und zur Festigung der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie beizutragen, beschränkten sich ihre Tätigkeiten bei Aufnahme der Stiftungsarbeit lediglich auf das Inland. Seit Mitte der 1960er Jahre überschritten die Arbeitsfelder der Stiftungen dann mehr und mehr die nationalen Grenzen. Gemeinsames Ziel aller parteinahen Stiftungen ist die Förderung der Demokratie. Dabei ist zu betonen, dass es für 8 Andrea Bock alle Stiftungen entscheidend ist, dass diese Unterstützung nicht von kurzzeitig technischinstrumenteller Natur ist. Stattdessen wird die Unterstützung der Entwicklung von Demokratie als ein langfristiger Prozess verstanden (Pascher, 2002, S. 65). Generell führen alle Stiftungen Projekte durch bzw. unterstützen Entwicklungen, die zur Konsolidierung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Prozesse beitragen sollen. Damit zielen die Stiftungen auf eine positive Beeinflussung der politischen und sozialen Rahmenbedingungen eines Landes ab. In unterentwickelten Ländern werden zum Beispiel Eliten und gesellschaftspolitische Multiplikatoren gefördert, die zur Etablierung demokratischer StruktuZur Elitenförderung kam es erst nach einer Schwerpunktverlagerung in den 1980er Jahren. Bis zu dieser Zeit bestand ein Großteil der Auslandsarbeit der Stiftungen noch in der Förderung von Basisgruppen und sogenannten Sozialstrukturhilfeprogrammen. Diese Herangehensweise hatte dabei vor allem das Ziel, Fuß im jeweiligen Projektland zu fassen, bis durch die Arbeit mit Basisgruppen genug Kontakte aufgebaut und durch die langjährige Präsenz Vertrauen geschaffen wurde. (Egger, 2007) ren beitragen sollen. Dazu gehören sowohl Parlamente, Regierungsabteilungen, regierungsabhängige Institutionen und Interessengruppen als auch Einzelpersonen. Allen Altstiftungen ist dabei gemein, dass sie politische Parteien im Gastland zu Partnern haben, welche seit Aufnahme der Auslandsarbeit zu den wichtigsten Zielgruppen der Stiftungsarbeit im Ausland gehören. In den Fällen, in denen politische Parteien noch nicht fest innerhalb eines politischen Systems verankert sind, werden sowohl Aufbau als auch Konsolidierung demokratischer Parteien gefördert. Dieser Typus internationalen Engagements, der politische Dialog, der gleichzeitig auch Arbeitsform und –instrument ist, ist in der Auslandsarbeit der politischen Stiftungen besonders hervorzuheben. Durch diese besondere Form der internationalen Zusammenarbeit unterscheiden die Stiftungen sich nicht nur von anderen entwicklungspolitischen Institutionen, sie spielen deshalb auch eine wichtige Rolle für die deutsche Außenpolitik. Darüber hinaus gehören auch wissenschaftliche Einrichtungen und Bildungsinstitute zu den bevorzugten Partnern. Insgesamt können die Stiftungen auf ein breites Spektrum von Arbeitsinstrumenten zurückgreifen. Hierzu zählen insbesondere kurz- und mittelfristige Informations- und Ausbildungsprojekte, Tagungen, Seminare und Konferenzen, internationale Begegnungen und Gespräche, auf längere Dauer angelegte Informations- und Studienprogramme sowie Projektarbeiten insgesamt. Ferner werden auch Kurzzeitexperten ins Projektland geschickt, verschiedene Verbreitungsmedien hergestellt sowie Sach- und Personalförderung durchgeführt, da auch deren Einsatz stetiger Anpassung an die lokalen und regionalen Rahmenbedingungen unterliegt (Pascher, 2002, S. 59-61). 9 Andrea Bock 3.2 Finanzierungsstruktur und Aspekte der Autonomie Die Stiftungen handeln nicht im Auftrag der Bundesregierung, sondern lediglich mit ihrer Zustimmung und finanziellen Unterstützung. Hierzu erhalten alle sechs Parteistiftungen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt für die Bildungsarbeit im In- und Ausland, wobei diese Mittel mit rund 90% die primäre Quelle zur Finanzierung ihrer Arbeit ist. Die Stiftungen unterliegen damit der öffentlichen Kontrolle durch das Parlament und dem Bundesrechnungshof. Der Gesamthaushalt der sechs politischen Stiftungen belief sich im Haushaltsjahr 2006 auf etwa 364 Mio. €. Allerdings sind sie in ihrer Arbeit, der Wahl sowie der Durchführung ihrer Projekte relativ eigenständig. Die Eigenmittel der Stiftungen, vor allem aus Spenden, machen bei allen Stiftungen einen sehr kleinen Teil aus (Andersen & Woyke, 2009, S. 576). Hintergrund für die Finanzierung ist ein Urteil von 1966 durch das Bundesverfassungsgericht, bei dem die seit 1959 im Etat des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Verfügung gestellten „Zuschüsse zur politischen Bildungsarbeit der Parteien“ für verfassungswidrig erklärt wurden. Da die im Bundestag vertretenen Parteien aber auf staatliche Gelder für diese Aufgaben nicht verzichten wollten, wurde 1967 im BMI der neue Titel „Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit“ eingerichtet, der nun aber nicht mehr den Parteien, sondern deren politischen Stiftungen zukommen sollte, denen damit im Jahre 1967 bereits 9 Mio. € zugewiesen wurde (Pascher, 2002, S. 54). Insbesondere angesichts weitverbreiteter Kritiken der Autonomie betreffend ist jedoch entscheidend, dass die Bundesregierung die Stiftungen nicht fördert um diese durch die finanzielle Abhängigkeit zu beliebigen Instrumentarien zu machen. Der Grund sind die von den Stiftungen erbrachten Leistungen, welche zwar von öffentlichem Interesse sind, vom Staat aber nicht erbracht werden können. Diesen Zweck können die poltischen Stiftungen nur dann erfüllen, wenn sie eigenverantwortlich und frei von politischen Vorgaben und Auflagen agieren, wobei die Grenzen ihrer Handlungsfreiheit durch die Notwendigkeit der Genehmigung ihrer Projekte und Programme abgesteckt sind. Dabei entscheidet das Auswärtige Amt zusammen mit der Botschaft im jeweiligen Projektland über die außenpolitische Unbedenklichkeit eines jeden Vorhabens der Stiftungen. Die Stiftungen nehmen demnach zwar auch Aufgaben im Interesse der Parteien wahr, verfolgen jedoch vor allem in ihrer internationalen Arbeit ihre eigentlichen politischen Agenden (Bartsch, 2007, S. 281). 3.3 Die außenpolitische Rolle der Stiftungen Fragen der Autonomie, insbesondere angesichts der finanziellen Förderung durch die Bundesregierung, umfassen aufgrund der Auslandstätigkeit der Stiftungen auch das Verhältnis zur deutschen Außenpolitik und offiziellen Diplomatie. In den letzten Jahren reichte das 10 Andrea Bock Roman Herzog sagt dazu in seiner Rede anlässlich der Feier zum 70. Jahrestag der Friedrich-Ebert- Spektrum der in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen von Vorwürfen, „geheime Diplomatie“ oder „Nebenaußenpolitik“ zu betreiben, bis hin zu Lobesliedern Stiftung, dass die deutschen politi- auf die Flexibilität und Scharfsichtigkeit der Stiftungen, schen Stiftungen die „wirksamsten die frühzeitig politische Kräfte in den Projektländern er- und bewährtesten Instrumente der kannten und förderten. Pogorelskaja spricht dabei von deutschen Außenpolitik“ seien. zwei Funktionen der Stiftungen, die hinsichtlich deren internationalem Engagements Anlass zur Annahme ge- (Pogorelskaja, 2002, zitiert nach Herzog, 1995, S. 2) ben, dass die politischen Stiftungen Teil des außenpolitischen Instrumentariums seien. Dazu argumentiert sie erstens, dass die Durchführung der Maßnahmen durch die Stiftungen im politischen und vorpolitischen Raum besonders durch den speziellen Status der Stiftungen an Effizienz gewinnt. Wie oben erläutert, treten diese nämlich einerseits als Nichtregierungsorganisationen auf und sind andererseits in der offiziellen Politik verankert. Die amtliche Politik würde dadurch auf europäischer und transnationaler Ebene nicht nur begleitet und ergänzt, sondern auch entlastet. Dabei kommt besonders in den Entwicklungsländern diese begleitende und ergänzende Funktion zum Ausdruck. Hier arbeiten die Stiftungen mit politischen Kräften zusammen, mit denen Kontakte auf offizielle Ebene aus diplomatischen Gründen nicht ratsam sind, die aber ihrem politischen Potenzial nach für die deutsche Außenpolitik wichtig sind. Zweitens können die Stiftungen dank ihres Nichtregierungsstatus in mehreren Entwicklungsländern und Transformationsstaaten dort engagieren, wo die deutsche staatliche Hilfe eher als Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachtet werden könnte. Somit können sie in der Tat dank ihrer Flexibilität dort handeln, wo die klassische Diplomatie versagen würde (Pogorelskaja, 2002, S. 33-34). Diese Funktionen finden vor allem Ausdruck im Begriff „Hybridität“, was zur Beschreibung der Besonderheit der politischen Stiftungen im nächsten Kapitel dienen soll. 3.4 Die Hybridität der Stiftungen in der Weltgesellschaft Das weltweite Engagement der Stiftungen hat diese zu einem für die Außen- und Entwicklungspolitik der BRD bedeutenden System wachsen lassen. Demokratieförderung als besondere Form von Entwicklungshilfe ist zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben in Entwicklungsund Schwellenländern geworden. In Industrieländern hat die Organisierung des politischen Dialogs zwischen Eliten einen herausragenden Stellenwert. Somit ergänzt die Stiftungsaußenpolitik die deutsche staatliche Außen- und Entwicklungspolitik. Diese Funktion können die Stiftungen erfüllen, weil es sich bei ihnen um Hybride handelt. Pascher macht dabei im 11 Andrea Bock Wesentlichen drei Aspekte aus, die diese Besonderheit der politischen Stiftungen bestimmen. Zum einem bewegen sie sich neben ihrer bildungspolitischen Inlandsarbeit im außenpolitischen Institutionengebilde der Bundesrepublik Deutschland und sind damit Instrumente der deutschen Außenpolitik. Ihre internationalen Aktivitäten werden dabei fast ausschließlich durch staatliche Zuschüsse subventioniert, wodurch sie, wenn auch nur mäßiger, staatlicher Kontrolle unterliegen. Zum zweiten ist ihre parteiideologische Ausrichtung auch Voraussetzung für die öffentliche Finanzierung. Gleichzeitig jedoch müssen sie sich parteifern verhalten, um finanzielle Zuwendungen zu erhalten. Drittens weisen die Stiftungen Merkmale international agierender Nichtregierungsorganisationen auf, die sie in die Nähe der zivilgesellschaftlichen Sphäre rücken lassen (Pascher 2002, S.7 ff.). Die Stiftungen, die sich nach Bartsch als „Grenzgänger zwischen Gesellschafts- und Staatenwelt“ von anderen NROs durch ihre unmittelbare Verankerung in der offiziellen Politik unterscheiden, und doch, zumindest aus rechtlicher Perspektive, sowohl innenpolitisch als auch international als NROs auftreten, befinden sich somit inmitten der vielfältigen innen-, außen- und internationalen Beziehungen, die in der heutigen interdependenten Welt nicht mehr voneinander zu trennen sind. Ein anderer Fakt gibt dabei ebenfalls zum Anlass, die Einzigartigkeit und Besonderheit der politischen Stiftungen als Instrumente der deutschen Außenpolitik hervorzuheben. Es lassen sich nach Bartsch in Deutschland kaum eine relevante Gruppe oder politische Positionen finden, die auf internationaler Ebene nicht durch Stiftungen vertreten sind und umgekehrt, dass es in den Projektländern der Stiftungen kaum gesellschaftliche und politische Gruppen von größerer Bedeutung gibt, zu denen nicht Arbeits- und Gesprächskontakte bestehen, lässt darauf schließen, dass die Büros der Stiftungen ein einzigartiges Netz globaler sozialpolitischer Verflechtung darstellen (Bartsch, 1998, S.192). 4. Die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage in Brasilien “Brazil is likely to become the world’s fifth-largest economy, overtaking Britain and France”. So hieß es in der November Ausgabe des Economist (The Economist, November 2009). Die Prognosen über die genauen Wachstumsraten des Landes fallen zwar unterschiedlich aus. Dass Brasilien aber immer stärker eine Rolle als einflussreicher Akteur auf der Weltbühne zukommt, beweist neben der Forderung nach einem permanenten Sitz im UN Sicherheitsrat und die Führungsrolle in der G-20 auch seine neue Stellung im internationalen Politikdialog wie zum Beispiel bei den internationalen Bemühungen um Umweltschutz. Im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation WTO tritt Brasilien zudem in Fragen der Agrarpolitik und der Handelsprotektion als gewichtiger Vertreter der Interessen 12 Andrea Bock der Entwicklungsländer auf. Der Bedeutungszuwachs Brasiliens manifestiert sich außerdem in seinem Auftreten als Entwicklungshilfegeber gegenüber anderen Entwicklungsländern in den Süd-Süd Kooperationen. Experten sind sich zudem einig, dass das Land bis 2015 alle Millenniumsziele erreichen wird. In der Finanzkriese hat auch Brasilien eine Schwächung seiner Wirtschaftsleistung verzeichnen müssen, allerdings war es unter den Letzten der betroffenen Länder und unter den ersten die sich aus der Krise befreien konnten. Die Wirtschaft befindet sich bereits wieder auf einem Wachstumspfad, und das reale BIP-Wachstum dürfte nach Schätzungen der Deutschen Bank Research 2010-2011 wieder 4-5% erreichen. Hierzu hat vor allem die gute internationale Zahlungsfähigkeit und Liquidität, aber auch die soliden makroökonomischen Rahmenbedingungen und die fiskalische Flexibilität beigetragen (Jaeger, 2010). Durch die gute wirtschaftliche Entwicklung und die zahlreichen Sozialprogramme der Lula Regierung konnten etliche armutsreduzierende Effekte erzielt werden, welches sich auch positiv auf die Einstufung im Human Development Index (HDI) niederschlägt. Demnach hat sich die Lebensqualität in Brasilien stetig verbessert, im Vergleich zu anderen rising powers liegt Brasilien mit Platz 75 etwa 17 Plätze vor China und 59 Plätze vor Indien (Human Development Reports). Im „FDI Confidence Index“ für 2010 ist Brasilien sogar nach China, den USA und Indien das Land mit der größten Attraktivität für Direktinvestitionen weltweit (ATKearney). Die Stichworte Entstaatlichung, Einbindung in die Weltwirtschaft und die Stabilisierung der Währung sind dabei die neuen Eckpfeiler der brasilianischen Wirtschaftspolitik, welche verschiedene Regierungen in den letzten beiden Jahren auf unterschiedlichster Weise verfolgt haben. Hinzu kommt als wichtige Rahmenbedingung die Staatsreform, die allerdings zum großen Teil noch unvollendet ist. Der Fokus liegt dabei auf dem Abbau struktureller Defizite im Haushalt und der Steigerung der Effizienz staatlicher Politikbereiche. Sie geht weit über die bloße Kürzung öffentlicher Ausgaben hinaus und umfasst beispielsweise die Umstrukturierung des Gesundheits- und Rentensystems, die Verbesserung des Bildungssystems und die Neuordnung des Beamtenapparates. Diese Reformen verlaufen bei weitem nicht geradlinig und sind immer wieder von Widerständen und Rückschlägen betroffen. Die Modernisierungsprozesse in Politik und Wirtschaft beeinflussen sich dabei stark gegenseitig. So falsch es demnach wäre, das „neue Brasilien“ zu unterschätzen, genauso unsinnig wäre auch eine Unterschätzung seiner Schwächen, von denen einige erschreckend vertraut sind. Die Wachstumsraten der Wirtschaft sind deutlich geringer als in vielen anderen Entwicklungs- und Schwellenländern. Die offizielle Arbeitslosenquote beträgt etwa acht Prozent (2008), tatsächlich dürfte sie jedoch höher liegen. Zu den Investitionshemmnissen zählen die hohe Steuer- und Abgabenlast, die mäßige Qualität öffentlicher Dienstleistungen, die ungleich verteilten Chancen im Bildungssystem, Mängel in der Infrastruktur – etwa bei Trans- 13 Andrea Bock port und Energie –, ein ungenügendes Justizwesen, Intransparenz sowie zunehmende Umweltprobleme. Desweiteren wachsen die Staatsausgaben schneller als die Volkswirtschaft als Ganzes, und mit zu niedriger Investitionsaktivität im privaten und öffentlichen Sektor wird ein großes Fragezeichen hinter die rosigen Wachs“Brazil belongs simultaneously to both the industrialized and the developing worlds, where modernity and backwardness live side by side.” (Ministério das Relações Exteriores) tumsprognosen gesetzt. Ferner hängen trotz jüngster Verbesserungen Bildung und Infrastruktur hinter denen Chinas oder Südkoreas. In Teilen Brasiliens ist brutale Gewalt noch immer verbreitet. Trotz einer gezielten Armutsbekämpfungspolitik der brasilianischen Regierung leben noch immer mehr als 20 Prozent der Bevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze, der überwiegende Teil im Norden und Nordosten des Landes. Einkommen und Ressourcen sind extrem ungleich verteilt. Zudem ist eine weitere der großen Herausforderungen für das Land, das wirtschaftliche Wachstum weiter anzukurbeln und zugleich die zunehmende Umweltzerstörung aufzuhalten (The Economist, November 2009). Aus diesen Fakten lassen sich bereits erste Motive für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit folgern. Vor diesem Hintergrund wird das deutsche Engagement im nachfolgenden Kapitel, mit Fokus auf die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung, analysiert. 5. Die Internationale Entwicklungszusammenarbeit: Deutsches Engagement in Brasilien Vor 45 Jahren begann die Entwicklungszusammenarbeit mit Brasilien, heute ist das Land bereits selbst in der Lage noch bestehende Defizite, vor allem im sozialen Bereich, selbst anzugehen und agiert nun sogar selbst als Geber in den Süd-Süd Kooperationen. Trotzdem besteht weiterhin Interesse, sich in Brasilien zu engagieren, vor allem aufgrund der strategischen Partnerschaft mit Deutschland. Wie dabei die Spektren der deutschen entwicklungspolitischen Aktivitäten und Akteure aussehen, und insbesondere die Motive deutschen Engagements, wird in den nachfolgenden Unterpunkten dieses Kapitels erläutert. 5.1 Das Spektrum entwicklungspolitischer Aktivitäten Die Bundesrepublik konzentriert sich in Ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Brasilien besonders auf politische und strukturbildende Maßnahmen in den Bereichen Menschenrechte, Wirtschaft, Energie, Umwelt, Klima sowie Arbeit und Soziales. Die Zusammenarbeit umfasst derzeit neben dem Thema erneuerbare Energien insbesondere auch Projekte 14 Andrea Bock und Programme zum Schutz der brasilianischen Tropenwälder, Wasserver- und Abwasserentsorgung in ländlichen Regionen, industriellen und städtischen Umweltschutz sowie Maßnahmen zur Minderung der ländlichen Armut (Deutsches Generalkonsulat Porto Alegre). Zudem kommt auch dem wissenschaftlich-technologischen und kulturellen Austausch eine große Bedeutung zu, wobei die historisch starke deutsche Einwanderung nach Brasilien dabei noch auf die Zusammenarbeit nachwirkt. Im Vergleich zu anderen emerging economies wie China, Indien und Südafrika, erhält Brasilien jedoch die geringsten ODA-Mittel und lässt sich nicht einmal in der Liste der Top Ten Recipients deutscher Entwicklungsleistungen in den OECD Statistiken wiederfinden (Anhang 1). Im brasilianischen Profil der größten ODAGeberländer ist Deutschland jedoch im Jahresmittel 2007/2008 nach Japan der zweitgrößte bilaterale Geber (Anhang 2). Insgesamt sind dabei die deutschen ODA-Leistungen an Brasilien von etwa 31 Mio. € im Jahr 1990 auf etwa 127 Mio. € im Jahr 2008 gestiegen, ein Plus von über 300 Prozent (OECD, 2010). Weiterhin ist Deutschland seit 20 Jahren der wichtigste ausländische Finanzier zum Schutz des brasilianischen Regenwaldes (Busch, 2010, S. 14).Wie dabei das Spektrum der Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Brasilien aussieht, aber auch welche Motive vor allem das wachsende Engagement Deutschlands in Brasilien hat, wird in den folgenden Unterpunkten dargelegt. 5.2 Akteure der deutsch-brasilianischen Entwicklungszusammenarbeit Für die finanzielle Zusammenarbeit in Brasilien beauftragt das BMZ die KfW Entwicklungsbank. Diese soll Investitionen sowie Programme bezüglich makroökonomischer und sektorieller Reformen fördern. Zurzeit sind in Brasilien 38 Projekte der finanziellen Zusammenarbeit mit einem Gesamtvolumen von ca. 380 Mio. Euro in der Durchführung. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um Projekte in den Bereichen Trink-, Abwasser -und Energieversorgung.Im Rahmen der technischen Zusammenarbeit wiederum wird die GTZ in zwei prioritären Bereichen zur Umsetzung des deutschen Beitrags tätig. So führt sie zum einen Programme im Bereich Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen durch, wie beispielsweise im Rahmen des größten Umweltschutzprogramms zur Erhaltung der tropischen Regenwälder Brasiliens (PP-G7). Zum anderen wird die GTZ im Bereich lokale und regionale Entwicklung tätig, hier im Rahmen des Programms PRORENDA mit dem Ziel zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen. Weitere Akteure der Entwicklungszusammenarbeit sind die InWent GmbH, welche vor allem Weiterbildungskurse für Berufstätige öffentlicher und privater Sektoren durchführt, insbesondere im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) leistet seinen Beitrag über die Entsendung von Entwicklungshelfern sowie über finanzielle und 15 Andrea Bock institutionelle Förderungen, das Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) nimmt dabei Aufgaben der Personalvermittlung mit entwicklungspolitischen Auftrag wahr. Neben kirchlichen Institutionen und der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) sind vor allem auch die deutschen politischen Stiftungen vertreten, wie beispielsweise die KAS, HBS oder FES (Deutsches Generalkonsulat Rio de Janeiro). In Punkt 5.4 dieses Kapitels soll dabei vor allem auf die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien eingegangen werden 5.3 Motive deutschen Engagements in Brasilien Aufgrund seiner zentralen Rolle für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas und dem wachsendem Einfluss auch auf internationaler Ebene, gehört Brasilien neben China, Indien, Indonesien, Pakistan, Ägypten, Nigeria, Südafrika und Mexiko zu den Ankerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (BMZ).Das Land spielt für Deutschland vor allem wirtschaftlich eine große Rolle. Brasilien ist für Deutschland der größte HandelsBrasilien und Deutschland sind in einer strategischen Partnerschaft verbunden. Im Mai 2008 vereinbarten dazu beide Länder in einem Aktionsplan, die Zusammenarbeit im bi- und multilateralen Bereich weiter auszubauen. partner in Lateinamerika und Lieferant wichtiger Rohstof- (Auswärtiges Amt, 2010) Exporte nach Brasilien, insbesondere Fahrzeugteile, fe. Hauptausfuhrprodukte Brasiliens sind zwar immer noch landwirtschaftliche Erzeugnisse und mineralische Rohstoffe, doch inzwischen gewinnt Brasilien auch mit qualitativ hochwertigen Industrieprodukten Weltmarktanteile, so zum Beispiel im Flugzeugbau. Die deutschen chemische Grundstoffe, Kraftfahrzeuge und Maschinen, beliefen sich dabei im Jahre 2009 auf 6,1 Mrd. USD (2008: 8,9 Mrd. USD). Die Importe Deutschlands aus Brasilien, hier vor allem Eisenerz, Automobile, Kaffee und Kaffeeprodukte, Soja und Sojaprodukte, Fleisch und Fleischprodukte, lagen 2009 bei 9,8 Mrd. USD (2008: 12 Mrd. USD). Brasilien liegt damit als Abnehmerland deutscher Waren auf Platz 22 und als Lieferland auf Platz 23. Die überdurchschnittlich positive Entwicklung der deutschen Exporte nach Brasilien (2007: +15,7% und 2008: +28,1%) wurde 2009 durch die globale Wirtschaftskrise gebremst. Deutschland nimmt aber weiterhin Platz 4 unter den Hauptausfuhrländern des brasilianischen Importprofils ein (Auswärtiges Amt, 2010). Weiterhin besitzen nirgends sonst auf der Welt deutsche Unternehmen Schlüsselpositionen in der Industrie wie in Brasilien. Rund 1.200 deutsche Firmen haben hier bedeutende Investitionen getätigt, in Brasilien wurde mehr investiert als in China, z.B. in Automobilbau, Chemie, Pharmazie, Elektrotechnik und Maschinenbau. Dabei ist São Paulo der größte deutsche Industriestandort außerhalb Deutschlands, hier strömen derzeit vor allen mittelständische Un- 16 Andrea Bock ternehmen dorthin. Zudem unterhält Brasilien mit keinem anderen Land der Welt so viele Forschungsabkommen wie mit Deutschland und mit wenigen anderen Ländern ist die Zusammenarbeit bei der Berufsausbildung, mit den Universitäten und Forschungsinstituten enger als mit Brasilien. Die deutschen Unternehmen haben Brasilien auch als einen der wichtigsten Märkte für Umwelttechnologien erkannt: Einer Analyse der Unternehmensberatung Roland Berger in Brasilien zufolge, wird der Markt bis 2020 jedes Jahr stärker wachsen, also möglicherweise mehr als die traditionellen Standbeine der deutschen Industrie in Südamerika, wie Automobil, Chemie und Maschinenbau (Busch, 2010, S. 13). Durch das entwicklungspolitische Engagement Deutschlands soll damit über verschiedenartige Kanäle, wie die oben erläuterten Akteure der finanziellen und technischen Zusammenarbeit, die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Dies soll nicht nur die Ausweitung und Stärkung deutscher Investitionen oder der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern zur Folge haben, das Engagement Deutschlands ist dabei auch auf die globalen öffentlichen Güter konzentriert, insbesondere auf den Umwelt- und Klimaschutz (KfW Entwicklungsbank, 2009). 5.4 Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien Im Jahre 1976 nahm die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre Arbeit in Brasilien mit der Landesvertretung und dem gesellschaftspolitischen Projekt ILDES (Instituto Latino-Americano de Desenvolvimento Econômico Social) auf. Heute arbeitet die FES Brasilien von São Paulo aus und lehnt sich dazu an die für die Region formulierten Schwerpunkte an. Zusammen mit anderen Stiftungsbüros arbeitet sie zudem zu politischen und sozialen Prozessen in Lateinamerika sowie auf internationaler Ebene zu hochaktuellen Fragen globaler Politik. Pro Jahr führt die FES Brasilien etwa 120 Konferenzen und Seminare durch, veröffentlicht Publikationen und informiert über aktuelle Entwicklungen in Brasilien. Die FES kooperiert dazu neben der Regierung auch mit einer Vielfalt an zivilgesellschaftlichen Organisationen, Ministerien und wissenschaftlichen Einrichtungen. Die traditionellen und wichtigsten Partner der FES Brasilien sind dabei die Partei PT (Partido dos Trabalhadores) und der Gewerkschaftsverband CUT (Central Única dos Trabalhadores) (Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien). Die heutige Regierungspartei PT mit ihrem Präsidenten wurde dabei sowohl finanziell als auch beratend in ihrem Aufbau und ihrer Etablierung vom Landesbüro der FES unterstützt, wodurch sich das Spektrum des Einflusses der Stiftungen weiter abzeichnet. Dies soll vor allem in nebenstehender Box verdeutlicht werden, die eine Danksagung des brasilianischen Präsidenten Lula an das Landesbüro der FES in Brasilien zeigt. Im Regionalprogramm der FES Brasilien 17 Andrea Bock wurden dazu unter dem Oberziel der Demokratieförderung vier Schwerpunkte formuliert, auf die im Folgenden eingegangen wird. 5.4.1 Arbeitsbeziehungen und Gewerkschaften Im Rahmen des Schwerpunktes „Arbeitsbeziehungen und Gewerkschaften“ arbeitet die FES Brasilien zu Themen wie Decent Work, Gewerkschaftliche Netzwerke und die Arbeits- und Gewerkschaftsreform.So werden beispielsweise im Rahmen des Decent Work Programms die Themen ArbeitnehmerInnenrechte, sozialer Schutz und Sozialdialog aufgegriffen und unter anderem mit den Gewerkschaften, der brasilianischen Vertretung der International Labour Organization ILO und der Regierung zusammen gearbeitet. Hintergrund dieses Programms sind noch immer erschreckende Fakten. Demnach arbeitet noch immer jeder zweite Arbeitnehmer im informellen Sektor, Frauen dabei mehr als Männer. Ein Afrobrasilianer verdient 47% weniger als Weißer, Kinderarbeit ist nach wie vor ein großes Problem und Gewerkschaften haben nach wie vor nur wenig Einfluss am Arbeitsplatz. Da solche Themen aber immer auch mit einer sozial gerechten Politik, und damit auch mit Finanz-, Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik einhergehen, sind auch andere Arbeitslinien der FES, wie Soziale Inklusion und ein neues Entwicklungsmodell, darauf ausgelegt, Projekte hinsichtlich des Decent Work Themas durchzuführen.Zur Arbeitslinie Gewerkschaftliche Netzwerke soll zudem die Förderung des Aufbaus und der Konsolidierung konzernbezogener Gewerkschaftsnetzwerke beitragen, die heute in Zeiten zunehmender globaler Verflechtungen und der ansteigenden Zahl von Multinationalen Konzernen ein wichtiges Instrument globaler Gewerkschaftspolitik sind. So sollen unter anderem regelmäßiger Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den ArbeitnehmerInnen und die solidarische Kooperation untereinander sichergestellt werden (Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien). 5.4.2 Staat und Gesellschaft Zusammen mit den Regierungsinstitutionen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen fördert die Stiftungsbüro in Brasilien insbesondere Projekte, die die Themen hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung des Landes aufgreifen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der anhaltenden Position Brasiliens, eines der sozial ungerechtesten Länder der Welt zu sein. Wie im Kapitel 4 über die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation des Landes berichtet, ist es Brasilien trotz erfolgreichen Programmen zur Armutsbekämpfung bisher nicht gelungen, die soziale Spaltung der Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Vor 18 Andrea Bock dem Hintergrund jedoch des großen Binnenmarktes, einer diversifizierten Ökonomie, der weitgehenden Energieautarkie, dem außenpolitischen Gewicht und einer lebendigen Zivilgesellschaft hat Brasilien ungleich bessere Voraussetzungen als seine lateinamerikanischen Nachbarn, die Eckpfeiler eines neuen Entwicklungsmodells zu formulieren und schrittweise umzusetzen. Um zudem die repräsentative Demokratie des Landes zu stärken, vor allem vor dem Hintergrund, dass diese droht aufgrund der vielen gescheiterten Reformprozesse und dem schwindendem Vertrauen in die PolitikerInnen dauerhaft Schaden zu nehmen, unterstützt die FES die Arbeit von Organisationen, Foren und Netzwerken. Die Schwerpunkte dieser Arbeit, die Demokratie des Landes zu vertiefen, liegen dabei neben der direkten Demokratie vor allem auf Themen der besseren gesellschaftlichen Partizipation und dem Wahlund Parteiensystem (Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien). 5.4.3 Soziale Inklusion In der Arbeitslinie Soziale Inklusion arbeitet die FES zu den Themen Kommunikation und Medien, Öffentliche Sicherheit, Antirassismus, Jugend und Gender. Aus diesen Schwerpunkten lassen sich bereits weitere Herausforderungen für das Land erkennen. So setzt sich die FES für die weitere Demokratisierung der Medien ein und fördert die Entwicklung technischer und politischer Vorschläge zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Für das Arbeitsfeld Antirassismus konzentriert sich die Arbeit der FES auf die Verantwortlichen, die in der öffentlichen Verwaltung auf Ebene der Kommunen, der Länder und dem Bund die Ansätze des Antirassismus umsetzen. Ein Meilenstein der Entwicklung war die Schaffung eines eigenständigen Sekretariats mit Ministeriumsrang in der Regierung (Secretaria Especial de Políticas de Promoção da Igualdade Racial – SEPPIR). Weiterhin arbeitet die FES im Rahmen des Themas Jugend und Gender daran, dass sich verschiedene Akteure, wie Mitglieder aus Jugendorganisationen oder VertreterInnen des Staates, über die Notwendigkeiten und Forderungen der Jugendlichen austauschen und gemeinsam an Alternativen zur Überwindung ihrer sozialen Exklusion arbeiten können. Besondere Priorität hat dabei die Stärkung Jugendlicher in den progressiven politischen Parteien und dazu besonders afrobrasilianische Frauen - die von Armut am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe in Brasilien. Dies erfolgt insbesondere durch Weiterbildungs- und Austauschprogramme, wie beispielsweise die Reise der PT Jugend nach Deutschland, wo diese sich mit der SPD Jugend, den Jusos, im Sommer vergangenen Jahres austauschen konnten (Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien). 19 Andrea Bock 5.4.4 Internationale Politik Brasilien hat jüngst seinen Einfluss auf internationaler Ebene ausgedehnt und ist heute wichtiges Mitglied bei weltpolitischen Gesprächsrunden. Neben den USA, der EU und Indien ist Brasilien ein entscheidender Akteur in der Handelspolitik geworden, eines der Gründer der G-20 und engagiert sich mit Foren wie IBSA und BRIC heute zudem auch abseits der etablierten multilateralen Pfade. Dazu versucht die FES in diesem Arbeitsschwerpunkt, die mit der wachsenden Bedeutung Brasiliens auf der internationalen Bühne entstehenden Herausforderungen aufzugreifen und richtet zusammen mit ihren brasilianischen Partnern und den FES Länderbüros in New York, Genf, Brüssel und Berlin internationale Konferenzen zu aktuellen globalen Themen aus. Darüber hinaus sollen in enger Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Regierungsinstitutionen Projekte entwickelt werden, die die Kapazitäten von NGOs in internationalen Fragen stärken sollen. Hierzu zählen insbesondere Themen wie Transparenz in internationalen Verhandlungen, die Verbindung von nationaler und internationaler Politik sowie die Förderung des Dialogs zwischen Politik und Zivilgesellschaft. Darüber hinaus arbeitet die FES im Rahmen der regionalen Arbeit mit weiteren Länderbüros der Stiftung zu Prozessen politischer Natur in Lateinamerika zusammen. Dazu gehören vor allem die regionale Integration, die in der Vergangenheit insbesondere durch miteinander konkurrierender Kooperationsprojekte, wie der MERCOSUR, UNASUR und ALBA ins stocken geraten ist. Dies führt vor allem dazu, dass zwischenstaatliche Konflikte und außenpolitische Differenzen eher zunehmen als dass sich ein gemeines Grundverständnis über die Mechanismen, Inhalte und Ziele einer Integration bildet. Die FES will deshalb den regionalen Dialog unterschiedlicher politischer Akteure stärken und fokussiert sich dazu neben der regionalen Integration vor allem auf Themen zur Sicherheits- und Energiepolitik, der Handelspolitik und der Arbeits- und Sozialbeziehungen. Mit der AG Globale Fragen ist das Büro Brasilien in die globale Arbeit der Stiftung eingebunden, womit sie versucht, ihre internationale Arbeit den Herausforderungen der Globalisierung, wie Klima- und Sicherheitspolitik, anzupassen. Die Zusammenarbeit erfolgt dabei FES VertreterInnen aus anderen Schwellenländern sowie aus Berlin, Washington, Brüssel, New York und Genf (Die Friedrich-EbertStiftung in Brasilien). 20 Andrea Bock 6. Globalisierung: Ein veränderter Kontext für die Entwicklungspolitik und die deutschen politischen Stiftungen Das entwicklungspolitische Engagement der Parteistiftungen unterliegt einem ständigen Anpassungsprozess an die gesellschaftlichen Bedingungen der Projektländer, denn Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Situation vor Ort beeinflussen die Projektarbeit direkt. Dies lässt sich vor allem an der Stiftungsarbeit in Zentral- und Lateinamerika nachvollziehen, was bis Anfang der 1990er Jahre von politischer Instabilität geprägt war (Pascher, 2002). Doch auch die seit einigen Jahren unter dem Stichwort „Globalisierung“ diskutierten Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Funktions- und Wirkungsweise der Politik und der gesellschaftlichen Institutionen. Die Nahrungsmittelkrise, die Brennstoffkrise und zuletzt die Finanzkrise spielten sich alle auf globaler Ebene ab und verdeutlichen noch einmal, dass es in einer Welt mit fortschreitenden globalen Verflechtungen internationaler Lösungen bedarf und die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit dementsprechend angepasst werden müssen. Demnach sind der politische Dialog und die Kooperation mit anderen Gesellschaften und ihren Regierungen und internationalen Organisationen mittlerweile überlebenswichtig. Dementsprechend gibt es in der entwicklungspolitischen Projektarbeit der Stiftungen einige Akzentverschiebungen, die Pascher in vier Punkten zusammenfasst. Dabei zeigt sich Erstens, dass die bisher überwiegend bilateralen Projekte zugunsten multilateraler sowie regionaler Projekte vermindert werden. So lässt sich allgemein in der Projektarbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern insgesamt feststellen, dass zunehmend Regionalprojekte und weniger Einzelprojekte durchgeführt und gefördert werden. Die FES hat beispielsweise Mitte der 1990er Jahre in Singapur ein Projektbüro („Büro für Regionale Aktivitäten Südostasiens“) eingerichtet, welches sich ausschließlich als Stützpunkt eines regionalen Vernetzungsprojektes in der Region versteht und zum Ziel hat, länderübergreifende Aspekte einfacher in die Stiftungsarbeiten einfließen zu lassen. Seit Ende der 1990er Jahre erfährt auch die Arbeit der Stiftung in Lateinamerika eine Umorientierung in diese Richtung, wie am Beispiel der regionalen Arbeit im Rahmen der Arbeitslinie „Internationale Politik“ zu erkennen ist. Durch dieses Tätigkeitsfeld lässt sich im zweiten Punkt auch die Intensivierung des Kontaktnetzes der Stiftungen zu supranationalen und internationalen Organisationen feststellen, wo die Förderung regionaler politischer Ordnungen, wie beispielsweise der MERCOSUR, insgesamt gestärkt werden sollen (Pascher, 2002, S. 68). Dazu arbeitet die FES Brasilien mit weiteren Länderbüros der Stiftung in Lateinamerika zu Themen wie regionale Integration, Sicherheits- und Energiepolitik, Handelspolitik sowie Arbeits- und Sozialbeziehungen (Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien). Im dritten Punkt zeigt Pascher, dass die Globalisierungsthematik die internationale Projektarbeit insgesamt kennzeichnet. Im Rahmen der in- 21 Andrea Bock ternationalen Stiftungstätigkeit werden mit Seminaren, Tagungen, Konferenzen usw. die Folgen und Wirkmuster der Globalisierung in den unterschiedlichsten Funktionsbereichen diskutiert. In der Projektübersicht zum Projekt „Demokratische und soziale Gestaltung der Globalisierungsprozesse in Nord und Süd“ der FES heißt es beispielsweise: „Als Reaktion auf die Globalisierungsdynamiken sind in einer Reihe von Schwellenländern bereits Mechanismen und Instrumente entwickelt worden, die auf die Bildung von internationalen Allianzen und die Vertiefung von Dialogprogrammen zwischen Nord und Süd, zwischen politischen, sozialen und kulturellen Trägern von Entwicklungsprozessen sowie von Nichtregierungsorganisationen abzielen. Derartige Prozesse der Beteiligung des Südens an der Gestaltung von Globalisierung sollen bezogen auf die politische, ökonomische und soziale, ökologische und kulturelle Globalisierung beraten und gestärkt werden“ (Pascher, 2002, zitiert nach FES Neuprojekt 19992002, S. 1). Das Thema wird dabei auch von der FES im Inland bearbeitet, die mit der „ AG Globale Fragen“ der FES Brasilien diese Arbeit in ihrer internationalen Tätigkeit einbindet. Viertens argumentiert Pascher, dass sich zudem auch das Partnerspektrum der Stiftungen ändert. Demnach suchen diese nun verstärkt im zivilgesellschaftlichen Bereich nach neuen Projektpartnern. Die Stiftungen erkennen dabei, dass NGOs Träger von politischer Entwicklung sein können und unterstützen demnach über die Förderung von Selbsthilfeeinrichtungen hinaus die Bildung solcher Nichtregierungsorganisationen (Pascher, 2002, S. 70). Weiterhin ist aus den einschlägigen Diskussionen zur Globalisierungsthematik auch eine Verschiebung von Reichtum und Einfluss auf globaler Ebene zu erkennen. Die aufstrebenden Volkswirtschaften Chinas, Indiens und Brasiliens sind dabei ein Ausdruck dieser neuen Entwicklung. Auch dies hat Auswirkungen auf die internationale Entwicklungspolitik. Die unter dem Begriff Süd-Süd Kooperation diskutierten Veränderungen verdeutlichen diese Reichtumsverschiebung noch einmal. So tritt Brasilien, der ehemalige größte Schuldner der Welt, in diesen Kooperationen mittlerweile als einer der emerging donors auf, womit der Kreis der Entwicklungshilfegeber wächst und sich die internationalen Geberstrukturen Das OECD identifizierte angesichts dieser Entwicklung drei potenzielle Risiken: 1. „They prejudice their debt situation by borrowing on inappropriate terms.” 2. „They use low conditionality as to postpone necessary adjustment.” 3. „They waste resources on unproductive investment”. (Manning, 2006) verändern werden. Dabei könnten vor allem Diskussionen um normative Standards in der Entwicklungszusammenarbeit auftreten, hierzu vor allem angesichts der Frage, welche Standards universal in der Entwicklungszusammenarbeit gelten sollten. Andererseits bieten trotz vieler Kritiken beispielsweise die von Brasilien eingegangenen Dreieckskooperationen zwischen emerging donor, OECD member und low income country durchaus auch Möglichkeiten für positive Lerneffekte für alle Involvierten, sodass sich aus diesen Diskussionen auch eine 22 Andrea Bock Dialogbereitschaft entfalten muss, um den Herausforderungen dieser Entwicklungen im Zuge des Globalisierungsprozesses gerecht zu werden (Schläger, 2007, S. 10). 7. Schluss In den vergangenen Kapiteln wurde gezeigt, welche besondere Rolle die deutschen politischen Stiftungen in der Entwicklungszusammenarbeit und auch für die deutsche Außenpolitik spielen. Dabei wurde unter anderem auf ihre Sonderstellung in der Weltgesellschaft eingegangen, die es zusammen mit ihrem Hybriditäts-Charakter erlauben, als Grenzgänger zwischen Gesellschafts- und Staatenwelt im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit zu agieren. Am Beispiel Brasilien wurde dabei aufgezeigt, wie die FES als älteste der deutschen politischen Stiftungen diese Aufgaben der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Brasilien wahrnimmt. Auch wenn genaue Erfolgsprozesse ihrer Arbeit nicht präzise nachverfolgt werden können, dies vor allem auch weil die Grenzen der einzelnen Arbeitslinien miteinander verschmelzen und weil sich die Stiftungen der langjährigen Zusammenarbeit mit den Projektländern widmen, und auch wenn in den allseits bekannten Kritiken gern über die wirklichen Motive der Geberstaaten diskutiert wird, lässt sich trotz alledem der positive Charakter solcher Aktivitäten, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern und in Verbindung mit den politischen Stiftungen, nicht verleugnen. Ein Beispiel sei dabei der Aufstieg der Arbeiterpartei PT in Brasilien. Die Förderung dieses traditionellen Partners der FES Brasilien zeigt heute Früchte nicht nur für den Demokratieprozess in Brasilien, sondern auch für die deutsche Industrie. Wie im vorigen Kapitel jedoch auch gezeigt wurde, wächst mit den Globalisierungsprozessen auch die politische Interdependenz von Staaten, weshalb ein Heraushalten aus entwicklungspolitischen Angelegenheiten bezüglich der Demokratieförderung, Good Governance oder Menschenrechtschutz als nicht akzeptabel betrachtet werden muss. Diesbezüglich wurde mit den Millenniumsentwicklungszielen global noch einmal klar gestellt, dass es besonders internationalen Lösungen zu internationalen Problemen bedarf. Die deutschen politischen Stiftungen passen sich dabei ständig an die sich verändernden Bedingungen an, die FES kann hier mit ihrer AG Globale Fragen wieder als Positivbeispiel genannt werden. Allerdings muss auch hier eine Kontinuität in solchen Anpassungsprozessen sichergestellt werden, auf Stiftungs- wie auf globaler Ebene, um den Herausforderungen der Globalisierungen sozial gerecht zu werden. 23 Andrea Bock Anhang 1 Deutschland: ODA Profil nach Empfängerländer (OECD, 2010) 24 Andrea Bock Anhang 2 Brasilien: ODA Profil nach Geberländer (OECD, 2010) 25 Andrea Bock Anhang 3 Danksagung des Staatspräsidenten von Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva, an die Friedrich-Ebert-Stiftung (Friedrich-Ebert-Stiftung, 2005) „Die Geschichte der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores – PT) und der Gewerkschaftszentrale (Central Única dos Trabalhadores – CUT) ist aufs Engste mit dem Werdegang der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien verbunden. Über ihr Entwicklungsinstitut ILDES hat es die Stiftung verstanden, wichtige Brücken zwischen Brasilien und Europa zu schlagen, indem sie Gewerkschafter, Vertreter politischer Parteien sowie Intellektuelle beider Kontinente zusammenführte und damit den bedeutenden Prozess der Erneuerung des politischen Denkens der Linken sowohl in unserem Land als auch in ganz Lateinamerika vorantrieb. In den nun fast 25 Jahren des Bestehens der Arbeiterpartei stand uns die Stiftung in guten und schlechten Zeiten, die wir erlebt haben, stets zur Seite. Gerade wenn die Schwierigkeiten am größten waren, verstand sie es, uns der internationalen Solidarität zu vergewissern. Sie unterstützte unsere Reflexionen und Initiativen in Momenten des sozialen und politischen Aufschwungs, als wir uns der Herausforderung gegenübersahen, wichtige Kommunen und Bundesstaaten in Brasilien zu regieren. Die Friedrich-Ebert-Stiftung war somit unsere Gefährtin auf dem Weg, der uns schließlich in das Amt des Staatspräsidenten geführt hat, wo es gilt, das große Projekt des gesellschaftlichen Wandels unseres Landes zu bewerkstelligen.“ 26 Andrea Bock Literaturverzeichnis Andersen, U., & Woyke, W. (2009). Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. (W. Woyke, Hrsg.) Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. ATKearney. Abgerufen am 13. März 2010 von www.atkearney.com Auswärtiges Amt. (Februar 2010). Von www.auswaeriges-amt.de abgerufen Bartsch, S. (2007). Politische Stiftungen. In S. Schmidt, G. Hellmann, R. Wolf, & R. Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bartsch, S. (1998). Politische Stiftungen: Grenzgänger zwischen Gesellschafts- und Staatenwelt. In W.D. Eberwein, K. Kaiser, W.-D. Eberwein, & K. Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik (Bd. 4, S. 185-198). 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