Berenberg Makro | Konjunktur vom 24.11.2016

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KONJUNKTUR
24. November 2016
EUROZONE: BREXIT GUT UMSCHIFFT
von Cornelia Koller
Deutschland: Nur eine Wachstumsdelle
Das Brexit-Votum und die dadurch entstandene Unsicherheit haben für das stark exportorientierte
Deutschland zu Bremsspuren geführt. Wir erwarten
aber, dass die deutsche Wirtschaft nach der Wachstumsdelle im dritten Quartal zum Jahresende 2016
neuen Schwung aufgenommen hat, der sich im nächsten Jahr fortsetzen wird.
Im dritten Quartal 2016 hat sich das Wachstumstempo in
Deutschland abgeschwächt: Das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) stieg um 0,2 % gegenüber dem Vorquartal und damit
nur noch halb so viel wie im Vorquartal (0,4 %). Im Vorjahresvergleich lag der kalenderbereinigte Anstieg bei 1,7 %
nach 1,8 % im zweiten Quartal 2016. Positive Impulse kamen überwiegend vom inländischen Konsum. Der private
Verbrauch legte um 0,4 % gegenüber dem Vorquartal zu.
Kräftig expandierte vor dem Hintergrund der zusätzlichen
Ausgaben für die Flüchtlinge der Staatsverbrauch (1,0 %).
Auch in Bauten wurde mehr investiert (0,3 %), während die
Ausrüstungsinvestitionen rückläufig waren (-0,6 %); per
saldo stagnierte die Investitionstätigkeit damit. Gebremst
wurde das Wachstum vom Außenbeitrag (Exporte minus
Importe), da die Exporte um 0,4 % rückläufig waren, während die Importe um 0,2 % zunahmen.
Wir erwarten, dass das Brexit-Votum nur vorübergehend
für Verunsicherung gesorgt hat und die deutsche Wirtschaft
mit Blick auf die guten fundamentalen Rahmenbedingungen schnell wieder neuen Schwung gewinnen kann. So
profitiert Deutschland überdurchschnittlich von der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB)
und dem historisch niedrigen Zinsniveau. Auch wenn der
diesbezügliche konjunkturelle Rückenwind nachgelassen
hat, sind die Energiepreise noch immer recht günstig und
der Euro relativ schwach.
Abzuwarten bleibt jetzt, wie weit der Sieg von Donald
Trump als künftiger US-Präsident noch auf die Stimmung
drücken und Investitionsentscheidungen, vor allem der
exportorientierten Unternehmen, verzögern kann. So ist die
1
USA vor Frankreich und Großbritannien der wichtigste
Absatzmarkt für deutsche Produkte (Exportanteil: 9,5 %).
Auf der anderen Seite kann das umfangreiche Konjunkturprogramm Trumps aber auch zu zusätzlichen Exportaufträgen für die deutsche Wirtschaft führen.
Zumindest vorerst scheint die deutsche Wirtschaft von der
Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten relativ unbeeindruckt. So blieb die Stimmung in der deutschen Wirtschaft der heute veröffentlichten Ifo-Umfrage zufolge weiterhin gut. Der ifo Geschäftsklimaindex verharrte im November unverändert bei 110,4 Punkten. Die Unternehmer
waren erneut zufriedener mit ihrer aktuellen Geschäftslage,
mit Blick auf die kommenden Monate jedoch etwas weniger optimistisch. Vor allem die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe blickten nicht mehr ganz so optimistisch
auf die kommenden sechs Monate, was insbesondere auf
weniger dynamische Exportaussichten zurückzuführen war.
Dies könnte den politischen Risiken geschuldet sein. Dessen ungeachtet konstatierte das Ifo-Institut, dass der Aufschwung in Deutschland intakt bleibt.
Auch die diese Woche vom Markit Institut veröffentlichten
Einkaufsmanagerindizes signalisieren, dass die deutsche
Wirtschaft weiter auf Wachstumskurs ist. So stieg der Index für den Dienstleistungsbereich im November von 54,2
Punkten auf 55,0 Punkte. Sein Pendant für die Industrie
gab zwar auf 54,4 Punkte nach (zuvor 55,0 Punkte), bleibt
damit aber deutlich über der Wachstumsschwelle von 50
Punkten.
Wir erwarten daher unverändert, dass die deutsche Wirtschaft ungeachtet der bestehenden politischen Risiken dank
ihrer robusten Binnennachfrage weiter auf einem soliden
Wachstumskurs bleiben wird. Wachstumsimpulse werden
dabei vor allem vom Konsum ausgehen, der durch die weiter zunehmende Beschäftigung (drittes Quartal 2016:
+388.000 Erwerbstätige bzw. 0,9 % mehr als vor einem
Jahr), steigende Löhne und die noch immer geringe Inflation (Oktober 2016: 0,8 %) sowie das extrem niedrige Zinsniveau gestützt wird. Vor diesem Hintergrund ist der UmKonjunktur | 24. November 2016
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satz im Einzelhandel in den ersten neun Monaten um 2,2 %
gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Auch das GfKKonsumklima und die Anschaffungsneigung haben sich
zuletzt weiter als sehr robust erwiesen und sind im November bei besseren Konjunkturerwartungen leicht gestiegen. Dies zeigt, dass die Konsumfreude weiterhin sehr
ausgeprägt ist.
Auch die Baukonjunktur, insbesondere der Wohnungsbau,
wird weiter vom niedrigen Zinsniveau profitieren. So lagen
die Genehmigungen für den Wohnungsbau in den ersten
neun Monaten dieses Jahres um 24 % über dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Vor diesem Hintergrund hat
das Ifo-Geschäftsklima im Baugewerbe zuletzt einen neuen
Rekord erreicht. Gleiches gilt für die Geschäftserwartungen. Nachdem sich die Unsicherheit über die Entwicklung
rund um den Brexit inzwischen gelegt hat, sollten auch die
Unternehmen wieder Vertrauen gewinnen und – bei enorm
günstigen Finanzierungsbedingungen und einem hohen
Sockel an zurückgestellten Investitionen – wieder in Maschinen und neue Anlagen investieren. Nicht zuletzt sollte
die deutsche Exportwirtschaft nach Abklingen der
Emerging Markets Krise von den aufgellten Perspektiven
für die Weltkonjunktur profitieren.
Fazit:
Nach der Wachstumsdelle im dritten Quartal sollten
sich die guten fundamentalen Rahmenbedingungen
wieder stärker durchsetzen, sodass die deutsche Konjunktur bereits ab dem vierten Quartal 2016 wieder
mehr Fahrt aufnehmen und bis Ende 2017 vierteljährlich um rund 0,4 % wachsen dürfte. Im Jahresdurchschnitt erwarten wir für 2016 ein BIP-Wachstum von
1,7 % und für 2017 von 1,5 %.
Längerfristig birgt die künftige Wirtschafts- und Außenpolitik Präsident Trumps allerdings Risiken für
das exportorientierte Deutschland. So könnte ein
Handelskrieg zwischen den USA und China die Welthandelsordnung erschüttern. Sollte es zudem zu einer
Welle protektionistischer Maßnahmen der USA – und
anderer Länder – kommen, würden dies die Wachstumschancen Deutschlands einschränken.
Eurozone: Brexit gut umschifft
Die Konjunktur der gesamten Eurozone hat im dritten
Quartal 2016 anders als Deutschland dagegen keinen
Schwung abgegeben. Das BIP wuchs wie bereits im zweiten
Quartal erneut um 0,3 % gegenüber dem Vorquartal. Verantwortlich für das stabile Wirtschaftswachstum war vor
allem die konjunkturelle Belebung in Frankreich und Italien.
So hat die Wirtschaft in Frankreich wieder an Schwung
gewonnen und wies nach dem Rückgang im zweiten Quartal (-0,1 %) zuletzt einen Zuwachs um 0,2 % auf. Der Konsum zog wieder an. Positiv hat sich zudem die Stabilisierung des Immobilienmarktes ausgewirkt. Hoffnungen für
ein Anschieben neuer Arbeitsmarktreformen und einer
stärkeren internationalen Wettbewerbsposition könnten für
2017 in einer künftigen Mitte-Rechts Regierung unter Francois Fillon liegen.
Auch Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone,
hat diesmal positiv mit einem Wachstum von 0,3 % überrascht, nachdem das BIP im zweiten Quartal 2016 noch
stagniert hatte. Wachstumsimpulse kamen vor allem aus der
Industrie und dem Dienstleistungssektor. Im Schlussquartal
dürfte sich die Unsicherheit durch das Referendum über die
Verfassungsreform am 4. Dezember aber wieder wachstumsbremsend auswirken. Entscheidend für das nächste
Jahr wird dann vor allem sein wie das Referendum ausfällt
und ob es möglicherweise zu vorgezogen Neuwahlen mit
der Gefahr eines Scheiterns der Politik von Premierminister
Renzi kommt. Die Chance, Italien weiter zu reformieren
wäre damit zumindest fürs Erste verspielt. Hinzu käme das
Risiko des Erstarkens der Lega Nord, die einen Austritt
Italiens aus der EU à la Brexit forcieren könnte.
Wachstumsstar unter den großen Euroländern bleibt Spanien, das weiter – wenn auch mit abnehmender Wirkung
für die konjunkturelle Dynamik – von den Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre profitiert. Der BIP Zuwachs
betrug 0,7 % nach jeweils 0,8 % in den beiden Vorquartalen. Getragen wurde das Wachstum zuletzt hauptsächlich
durch den weiter anziehenden Konsum und steigende
Staatsausgaben. Auch in Spanien liegt das Risiko für den
weiteren Ausblick auf der politischen Seite, da es keineswegs gewährleistet ist, dass die neu gebildete MinderheitsRegierung unter Mariano Rajoy eine volle Amtsperiode
bestehen wird. Anders als in Italien würde eine mögliche
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Neuwahl aber kein Risiko im Hinblick auf einen Austritt
aus dem Euro bedeuten.
Auch für die Eurozone mehren sich die Zeichen, dass der
Brexit nur kurz für Unsicherheit gesorgt hat. So haben sich
das Industrie- und Verbrauchervertrauen zuletzt aufgehellt.
Die diese Woche veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes
sind zudem im November kräftig gestiegen: Der Gesamtindex kletterte auf den höchsten Stand seit elf Monaten.
Der Index für den Dienstleistungsbereich nahm kräftig um
1,3 Punkte auf 54,1 Punkte zu und sein Pendant im Verarbeitenden Gewerbe stieg auf 53,7 Punkte (zuvor 53,5 Punkte). Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass die Wirtschaft der Eurozone trotz der Unsicherheit durch das italienische Referendum und den bevorstehenden Präsidentenwechsel in den USA im vierten Quartal 2016 ihr Wachstumstempo halten wird.
preise und den Wechselkurs nicht mehr so stark wie im
Vorjahr, dafür haben sich aber die Exportaussichten nach
Abklingen der Emerging Market Krise aufgehellt. Zudem
ist der Spielraum für die Staatsausgaben mit der konjunkturellen Erholung und dem Auslaufen der Austeritätsmaßnahmen inzwischen größer geworden.
Fazit:
Wir erwarten, dass die Eurozone in diesem Jahr um
1,6 % und im nächsten Jahr um 1,5 % wachsen wird.
Risiken für unseren Ausblick sehen wir unverändert
weniger auf der wirtschaftlichen, denn auf der politischen Seite. Hierzu zählt neben dem ungewissen Ausgang des Referendums in Italien vor allem der Aufstieg populistischer Parteien, insbesondere in Frankreich.
Unser verhaltener Optimismus für 2017 – wir sehen durchschnittliche Quartalszuwächse von 0,4 % voraus – stützt
sich für die gesamte Eurozone noch mehr als für Deutschland weiter auf die extrem expansive Geldpolitik der EZB,
die Banken, Unternehmen und Verbraucher mit ausreichend Liquidität zu historisch niedrigen Zinsen versorgt
und der Konjunktur damit kräftigen Rückenwind verschafft. So kauft die EZB mit Blick auf mögliche Deflationsgefahren seit April 2016 pro Monat 80 Mrd. Euro Vermögenswerte, vor allem Staatsanleihen, seit Juni aber auch
Unternehmensanleihen, auf1. Eine Verlängerung über diesen Zeitpunkt hinaus um drei bis sechs Monate ist zudem
wahrscheinlich und dürfte im Dezember angekündigt werden. Die Zinswende in der Eurozone liegt damit in weiter
Ferne: die EZB wird ihren Leitzins mindestens bis Ende
2018 bei 0,00 % belassen.
Wir erwarten unverändert, dass der private Konsum wesentliche Konjunkturstütze für die Eurozone sein wird. So
wird die Arbeitslosigkeit im Zuge der konjunkturellen Belebung weiter allmählich zurückgehen und die Reallöhne
werden bei anhaltend niedriger Inflation (Oktober 2016:
0,5 %) steigen. Zwar bläst der Rückenwind durch die Öl1Aktuell
sollen mindestens bis März 2017 monatlich 80 Mrd. Euro für den Kauf
von Kreditverbriefungen (ABS, Asset-Backed Securities) und gedeckten Schulverschreibungen (Covered Bonds) sowie öffentlichen Anleihen und Unternehmensanleihen ausgegeben werden. Die EZB hat inzwischen Vermögenswerte des
öffentlichen Sektors in Höhe von 1182,9 Mrd. Euro und seit Anfang Juni 2016
Vermögenswerte des Unternehmenssektors in Höhe von 44,3 Mrd. Euro erworben. Im Rahmen des 3. Programms zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen wurden 200,4 Mrd. Euro angekauft, ABS Anleihen wurden in Höhe von
21,9 Mrd. Euro erworben (Stand: 18. November 2016).
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