Kognitive Ansätze: Albert Ellis und die Rational-Emotive Therapie (RET) Seminar: Kognitive Verfahren WS 2006/07 Dipl.-Psych. Sylvia Helbig „Denkmodell“ Das Denken ist der wichtigste, aber nicht der einzige Bestimmungsfaktor von Emotionen. Irrationales Denken führt häufig zu dysfunktionalen Gemütszuständen. Es gibt eine natürliche Neigung zu irrationalem Denken, die durch die Umwelt noch verstärkt wird. Der wirksamste Weg, emotionale Belastung zu reduzieren, besteht in der Veränderung von Denken und Verhalten. Rationales Denken führt zu einer Reduktion von Häufigkeit, Intensität und Dauer emotionaler Störungen, nicht jedoch zu einer Abflachung von Gefühlen. --> Wir fühlen, was wir denken! Aus: Walen, DiGuiseppe & Wessler, 2005 Das kognitive Modell Frühe Erfahrungen Grundüberzeugungen/ Einstellungen Annahmen/Schemata Systematische Verzerrungen Denkfehler Ereignis Wahrnehmung Bewertung Dadurch ausgelöste Prozesse Gedanken Gefühle Verhalten Grundüberlegungen: Das „Belief System“ irrationale Denkmuster sind biologisch prädisponiert Zusätzlich Erlernen irrationaler Denkmuster durch Erziehung (Aberglaube, Rituale) – Fremdindoktrination Entwicklung eines dogmatischen „Belief System“ In Belastungssituationen werden diese Beliefs vermehrt aktiviert Æ Ausbildung einer psychischen Störung Aufrechterhaltung durch fortgesetzte Selbstindoktrination in Form innerer Selbstgespräche 4 Arten irrationaler Überzeugungen Schwarzmalerei/Katastrophendenken Übertreiben der negativen Konsequenzen einer Situation Sollte-Müsste-Feststellungen „Mussturbationen“ unrealistische Erwartungen an sich selbst, andere oder die Welt, willkürliche Forderungen an Glück oder Überleben Bewertungen Urteile über den Wert der eigenen oder anderer Personen Niedrige Frustrationstoleranz Glaube, Unangenehmes nicht aushalten zu können oder zu wollen Grundsätzliche Werte der RET Es werden zwei explizite Werte postuliert: Überleben Sich freuen Rationalität einer Überzeugung kann an diesen Werten gemessen werden: alles was Überleben und Glück fördert, ist rational „verantwortlicher Hedonismus“ Achtung: Es sollten jeweils beide Werte berücksichtigt werden Z.B. : übermäßiger Genuss von Alkohol fördert evtl. Ziel Freude, Vergnügen, langfristig jedoch Hemmung von Ziel Überleben Hedonismus in Form niedriger Frustrationstoleranz (NFT) „Ich sollte nichts unangenehmes oder anstrengendes tun müssen“ Kurzfristig dient die Überzeugung den Werten, langfristig können jedoch wichtige Ziele nicht erreicht werden Ziele der RET Erarbeitung einer neuen Lebensphilosophie Aufbau von Einstellungen und Werten, die übereinstimmen mit Überleben Erreichen von Glück und Zufriedenheit Möglichkeit, intime Beziehungen zu anderen einzugehen Möglichkeit, positiv mit anderen umgehen zu können Grundlegendes Vorgehen der RET Therapeutisches Vorgehen in 5 Stufen: 1. 2. 3. 4. Vermittlung des Modells der RET Erfassung des „Belief Systems“ Disputation der irrationalen Annahmen Ersetzen der irrationalen Annahmen durch rationale, Überprüfung der neuen Annahmen 5. Beendigung und Vermittlung von Selbsthilfestrategien Therapeutischer Ansatz Entscheidende Rolle der individuellen Bewertung Aktivierendes Ereignis Bewertung rational irrational Konsequenzen emotional Verhalten Das ABC-Modell Auslöser (antecendents=A) : Das konkrete Ereignis/ die Problemsituation Gedanken (beliefs=B): Interpretation, Bewertung, Schlussfolgerung Treffen im Elternhaus des Freundes steht bevor „Ich werde sicherlich rot werden und keinen Ton rausbringen, ich werde mich komplett blamieren. Sie werden mich für blöd halten und nicht gut genug für ihren Sohn.“ Konsequenz (consequence=C): emotionale, physiologische oder Verhaltensreaktionen ängstlich, unruhig, angespannt Stärke: 8 (von 10) 1. Erweiterung des ABC-Modells Häufiges Problem: C wird zu neuem A Angst vor der Angst: „Es ist schrecklich, solche Angst zu haben“ Häufig auch: „Es ist doch nicht normal, so zu fühlen“ Sog. „Symptomstress“ oder Symptome 2. Ebene A Freundin beklagt sich mal wieder über mangelnde Hilfe im Haushalt B RB: Ich wollte, sie würde das nicht dauernd tun. IB: Sie sollte das nicht tun, sie ist eine elende Nervensäge. C =A Gereiztheit, Ärger, Anschnauzen der Freundin B RB: Ich wollte, ich könnte mich besser beherrschen. IB: Ich sollte mich besser beherrschen können. Ich bin ein mieser Typ, weil ich meine Freundin anschreie. C Wut über sich selbst, Scham, Rückzug in ein anderes Zimmer Vermittlung des ABC-Modells Geleitetes Entdecken: Wie viele von 100 Männern wären am Boden zerstört, wenn ihre Frau die Scheidung verlangt? Wie könnte man noch reagieren? Wenn die Situation das Gefühl bestimmt: Wie kann es es sein, dass es nicht 100% sind? Analogie: Sie hören nachts Geräusch und denken, es sei ein Einbrecher. Wie würden Sie sich fühlen? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie dächten, es sei der Fensterladen, der klappert? Auf Widersprüche hinweisen: Glauben Sie, Sie sind zu 100% fremd bestimmt? Warum kommen Sie dann in Therapie - können eh nichts an Ihren Gefühlen ändern. Bedingungsanalyse: Bestimmung des A A mit zwei Aspekten: Tatsächliches objektives Geschehen z.B. „Beim Sport bin ich als letzter in die Mannschaft gewählt worden.“ Subjektive Wahrnehmung des Geschehens, ohne Bedeutungszuschreibung (beschreibende Erkenntnis) z.B. „Keiner mag mich.“ Muss abgegrenzt werden vom B, der bewertenden Erkenntnis Z.B. „Es ist schrecklich, dass keiner mich mag“, „Ich muss ein schlechter Mensch sein, weil mich niemand mag“ Genau nachfragen! Bedingungsanalyse: Feststellung des C Meist der Anlass für die Therapie Kann erschlossen werden aus: Äußerungen des Patienten („Ich fühle mich häufig deprimiert“) Allg. Wissen, welche Gefühlszustände auf best. Ereignis folgen bzw. mit best. Verhalten verbunden sind Rückschluss auf Emotion vom Überzeugungssystem des Pat. Achtung: Prüfen: Ist benanntes C wirklich eine Emotion? Häufig auch Bewertung: „Ich kam mir dumm vor“ Gefühl genau und verständlich benannt? Z.B. Was bedeutet „aufgebracht“? Unterscheidung hilfreiche und unangemessene Emotionen: Ist Zielerreichung gefährdet? Ist Fähigkeit zur Freude gefährdet? Hat die Emotion negative physiologische Konsequenzen? Bedingungsanalyse: Identifizierung des B Unterscheidung rationale und irrationale Überzeugungen, die gleichzeitig auftreten können RB: wahr, logisch, kann empirisch verifiziert werden z.B. „Es wäre schlecht durch die Prüfung zu fallen“ Nicht absolut Führt zu gemäßigten Gefühlen IB: nicht logisch aus Realität abgeleitet, geht von unzutreffender Prämisse aus oder folgt aufgrund fehlerhafter Schlussfolgerung z.B. „Wenn ich durch die Prüfung falle, bin ich ein Versager“ Oft Übertreibung oder Übergeneralisierung Absolute Forderungen Führt zu gestörten Gefühlen und hemmt Zielerreichung Grundlegend: Wo ist die Evidenz für diese Bewertung? Ist die Bewertung für mich hilfreich? 2. Erweiterung des ABC-Modells: Das ABCDE-Modell Erweiterung um therapeutische Komponente: D = Disputation Hinterfragung der irrationalen Überzeugungen E = neuer Effekt rationalere Einstellung und Überzeugung Disputation des B Ziel: Veränderung von Überzeugungen und Bewertungen Infragestellung des irrationalen Überzeugungssystems auf kognitiver, imaginativer oder Verhaltensebene Wichtig: Es geht nicht um den Ersatz irrationaler Gedanken sondern um die Infragestellung des darunter liegenden Bedeutungssystems. 3 grundlegende Ansätze: Kognitive Disputation Imaginative Disputation Verhaltenszentrierte Disputation (z.B. Verhaltensexperimente) Achtung: Immer am zentralsten Konzept beginnen Z.B. am Symptomstress, an niedriger Frustrationstoleranz Kognitive Disputation Fragen nach Evidenz, logischer Konsistenz und semantischer Klarheit Woher wissen Sie das? Welchen Beweis gibt es dafür? Was spricht dagegen? Wo steht das geschrieben?/Wer sagt das? Fragen zur Neubewertung (besonders bei Katastrophendenken) Was würde geschehen, wenn... Was könnte schlimmstenfalls geschehen? Wie schlimm wäre das wirklich? Fragen zur Einschätzung des hedonistischen Werts der Überzeugung Wie werden Sie sich fühlen, solange Sie das glauben? Wohin wird Sie das führen? Hilft Ihnen diese Überzeugung, Ihr Ziel zu erreichen? Disputation zentraler Konzepte: Schwarzsehen Definieren: Was ist „schrecklich“, „schlimm“ oder „katastrophal“ Liste tatsächlicher Katastrophen erstellen und vergleichen Prozentrangskala 0-100% schlimm (Schlimmstes, was Pat. sich vorstellen kann) - Problem darauf einordnen Hinweis auf Folgen: Schwarzmalerei häufig mit Angst und Vermeidung verbunden --> hilfreich? Hilfreiche Fragen: Können Sie sich etwas Schlimmeres vorstellen? Ist es so schlimm, dass Sie deswegen sich selbst oder andere töten würden? Was sind tatsächliche Konsequenzen aus der Situation? Wie lange werden sie andauern? Wie lange können Sie das aushalten? Disputation zentraler Konzepte: Mussturbationen und Forderungen Sollte-Behauptungen (müssen, nicht dürfen) spiegeln absolute Forderungen an sich selbst, andere oder die Welt wider - unlogisch Anerkennung für allgemein gültige Regeln (z.B. Gesetze), aber kein absolutes Muss Strategien: Kontrast zu anderen: Wenn andere einen Fehler machen, sind sie dann auch der letzte Dreck? Evidenz: Warum müssen Sie Erfolg haben? Forderungen an andere: Warum hätten sie sich anders verhalten sollen? oder: Jeder hat Recht im Unrecht zu sein. Forderungen an die Welt: Analogie: Es ist unsinnig zu verlangen, das Wetter beeinflussen zu können. Disputation zentraler Konzepte: Wert des Menschen Grundlegend: Mensch nicht gleich Verhalten Subjektive Natur von Urteilen klar machen: Sind Sie ein schlechter Mensch, nur weil ich es sage? Ist das die schönste Uhr der Welt, nur weil ich sage, dass sie es ist? Relativieren: Niemand ist immer eine schlechte Mutter. Analogie: Obstkorb mit guten und schlechten Früchten darin --> was sagt das über den Obstkorb aus? Paradoxe Intervention: Klient soll beweisen, dass er tatsächlich Versager ist (beinhaltet zukünftiges Versagen, kann nicht bewiesen werden + es gibt immer Bereiche, in denen man nicht versagt) Hausaufgabe Lesen Sie den Text zur Kognitiven Therapie nach Beck. Wovon geht Beck aus? Was ist der therapeutische Ansatzpunkt? Welche Unterschiede zur Theorie von Ellis lassen sich finden?