Naturheilmittel und Blutgerinnung Dr. Dr. Bernhard Uehleke Institut für Naturheilkunde Departement für Innere Medizin UniversitätsSpital Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich [email protected] http://www.naturheilkunde.unispital.ch Naturheilmittel • Pflanzliche Arzneimittel • Homöopathische Arzneimittel • Anthroposophische Arzneimittel • Nahrungsergänzung – Heilpflanzen – Vitaminen – Fischöl Verbreitung von Naturheilmitteln • Ca. 30 % von antikoagulierten Patienten nehmen Naturheilmittel • Meist ohne Wissen des Arztes Cimicifuga racemosa (Traubensilberkerze) Ginkgo biloba Arnica montana (Arnika) Oenothera biennis (Nachtkerze) Crataegus (Weissdornblüten, -blätter) Hypericum perforatum (Johanniskraut) Vitex agnus castus (Mönchspfeffer) Crataegus (Weissdornfrüchte) Häufig verwendete Arznei- bzw. Heilpflanzen oder Arzneidrogen Von der Pflanzenfülle zur überschaubaren Verordnung • Weltweit: gesicherte bzw. potentielle Arznei- und Heilpflanzen: > 35 000 Arten • Schweiz: > 350 (z.T. monografierte) Arznei- u. Heilpflanzen als Rohstoffe für Phytotherapeutika • zunehmende Übernahme von Pflanzen aus aussereuropäischen Medizinkulturen • Therapeutisches Grundsortiment: 7 – 50 Arzneipflanzen bzw. deren Zubereitungen ausgewählte Kombinationen Besonderheit von pflanzlichen Mitteln • Pflanzen verfügen als Lebewesen über hochkomplexen Stoffwechsel • enthalten bis zu 100 000 verschiedene Inhaltsstoffe aus ganz verschiedenen Substanzgruppen – Z.B. Vit K, Flavonoide, ungesättigte Fettsäuren, ätherische Öle, etc. Wirkungen von Phytotherapeutika auf zellulärer Ebene Anspruch an Naturheilmittel • Sanfte Wirkung • Gute Verträglichkeit • Keine Nebenwirkungen Dogmen in der Phytotherapie 1) Existenz harmloser, aber (mild) wirksamer Arzneipflanzen 2) Synergistisches Zusammenwirken mehrerer wirksamkeitsmitbestimmender Inhaltsstoffe Betrachtung der Droge bzw. des Extraktes als 1 Stoff 3) Optimale Dosierung „erfahrungsgemäß“ vorgegeben Risiken: Johanniskraut • Seit 1997 teilweise schwerwiegende Interaktionen mit: – – – – – Immunsuppressiva Gerinnungshemmer vom Cumarin-typ Digoxin Virostatika und viele weitere – Beeinflussung von G-Protein und CYP 450 3A4 – Jahrzehntelang nicht aufgefallen! Aber auch zeitgleich neue Johanniskraut-Präparate Heilpflanzen mit Wirkungen auf Durchblutung/Blutgerinnung • Antikoagulation: + Cumarinhaltige Pflanzen (NICHT alle Cumarine NICHT Umckaluabo) einige Ätherisch-Öl-Pflanzen (Dosis), Heublumenöl • Thrombozytenaggretationshemmung: + Omegafettsäuren (Fischöl, Algen, Grünlippmuschel) NICHT: Salicin-drogen (Weidenrinde, Wintergrün, Mädesüss) • Mikrozirkulationsfördernd + Knoblauch (diverse Mechanismen) + Gingko (u.a. PAF-Hemmung) + Weissdorn (gefässerweiternd via PDE-Hemmung Pharmakologie der Interaktion • Pharmakokinetische Interaktion: Die Bioverfügbarkeit bzw. die Blutspiegel des Arzneimittels werden beeinflusst – Einfluss auf Resorption (Quellmittel, Ballaststoffe) – Einfluss auf Verteilung in den Geweben – Einfluss auf Verstoffwechselung – Einfluss auf Ausscheidung Pharmakologie der Interaktion II • Pharmakodynamische Interaktion – Verstärkung oder Abschwächung der Wirkung über denselben oder weitere Mechanismen – Knoblauch soll Antikoagulation verstärken – Ginseng schwächt Antikoagulation (Warfarin) Erfassung von Interaktion • • • • • Einzelfälle Enzymmessungen in vitro Tierversuche Studien an gesunden Probganden Studien an Patienten Angebliche Interaktionen pflanzlicher Arzneimittel • Insgesamt ca 80 Pflanzen verdächtig • Weitaus am häufigsten (30 Pflanzen) genannt für Antikoagulantien (Cumarine) und Aspirin • Warfarin: Kürbis, Fenugreek, Knoblauch, Ginkgo, Papaya, Mango, Ginseng, Grüner Tee, Soja, Johanniskraut Warum sind Antikoagulantien vom Cumarin-typ so interaktionsempfindlich • Die Antikoagulation hängt von empfindlich von Vit K-Zufuhr ab – Vit K ist in Ernährung und Heilpflanzen enthalten • Warfarin und Marcumar sind im Plasma Albumin-gebunden – in Konkurrenz zu anderen Stoffen insbes. Flavonoiden • Warfarin und Marcumar werden über aktivierbare Mechanismen „entgiftet“ Ingwer • Overanticoagulation mit Phenprocoumon: – Einzelfall Krüth et al. 2004 Cranberry • Overanticoagulation mit Warfarin: – Anekdotische Einzelfälle – Klinische Studien: Keine Hemmung von CYP 3A und 2C9 – Studie an Freiwilligen ca. 30 % Erhöhung INR Mohammed Abdul et al. 2008 – Keine Interaktion bei Doppelblindstudie mit 30 Patienten unter stabiler Antikoagulation Ansell et al. 2009 Knoblauch • Overanticoagulation mit Warfarin: – Diverse Fallberichte – Studie an Freiwilligen: NICHT Erhöhung INR Mohammed Abdul et al. 2008 Ginseng • Warfarin: Einzelfälle und Studien bei Freiwilligen widersprüchliche Ergebnisse verstärkend und abschwächend • Lee et al. 2008: Neueinstellung bei Patienten: NO interaction (INR und prothrombin time) in den ersten beiden Wochen Ginkgo biloba • Unklare Fallberichte • Diverse Studien mit EGb761 Gardner et al 2007: No effect with Aspirin • Review: Bone 2008: „…idiosyncratic bleeding event due to Ginkgo cannot be excluded“. no evidence „for suggestion that Ginkgo potentiates the effect of anticoagulant or antiplatelet drugs.“ Johanniskraut • Einzelfälle ungenügende Antikoagulation • Systematische Studien: Induktion von P450 3A4 durch Inhaltsstoff Hyperforin – schnellerer Abbau von Antikoagulantien (geringere Bioverfügbarkeit (nur ca. 20 %) • Hyperforinarme klassische Zubereitungen und bestimmte Extrakte zeigen keine (oder nur geringfügige) Interaktion Interaktionspotential Johanniskraut • Hängt von Dosierung und Zubereitung ab: Hyperforin Ratio digoxin AUC 0-24h treatment phase / digoxin AUC 0-24h control phase mit 90% Konfidenzintervall Müller SC, Uehleke B, Wöhling H, Petzsch M, Majcher-Peszynska J, Hehl EM, Sievers H, Frank B, Riethling AK, Drewelow B: Effect of St. John´s wort dose and preparations on the pharmacokinetics of digoxin. Clin Pharmacol Ther 2004, 75, 6:546-57 Potentielle Einflüsse von Gewürzen und Arzneidrogen auf den Stoffwechsel in-vitro-Ergebnisse Relevanz gering!!!! Idee einer Datenbank • http://www.clotcare.com • Cave: Überinterpretation von Einzelfällen Fazit • Naturheilmittel derzeit keine Alternative für Markumar, Heparin, ASS • Marcumar kann von fast allen Naturheilmitteln und Nahrungsmitteln geringfügig beeinflusst werden (Flavonoide) • Marcumar wird in erheblichem Ausmass beeinflusst von hyperforinreichen Johanniskrautextrakten