B. Lewis: Europe and Islam Lewis, Bernard: Europe and Islam

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B. Lewis: Europe and Islam
Lewis, Bernard: Europe and Islam. Washington:
American Enterprise Institute 2007. ISBN: 978-08447-7198-4; 22 S.
Rezensiert von: Wolfgang G. Schwanitz, Rider
University, NJ
Tøger Seidenfadens Ansichten mögen repräsentativ für akademische Kreise Europas sein. Dieser
Chefredakteur des dänischen Blattes „Politiken“
erörterte den „Fundamentalismus westlicher Werte“. Er empörte sich über Intellektuelle, die „offensiv westliche Werte“ beschwören und sich in der
„bekennenden Gegnerschaft“ dazu übten, was als
islamisch erscheine. Sie würden selbst zu Fundamentalisten. „Wieder wird versucht,” beklagte er,
„westliche Werte an nationale Kulturen und Identitäten zu binden.” In Debatten über die Immigration
und Integration kehre, für alle sichtbar, ein offensiver Nationalismus zurück.
Die Spannungen und Herausforderungen, so der
Däne weiter, die durch Einwanderung und ethnische Vielfalt entstünden, erhielten eine bösartige
Schärfe, wenn sie von einer „moralischen Panik“
angesichts einer „vermeintlichen islamischen Bedrohung“ verstärkt würden. Muslimische Immigranten und Bürger verwandeln sich, ohne dass sie
etwas tun, in die fünfte Kolonne des Jihads. Sogar
der Fakt, dass sie Kinder bekommen, werde als aggressiver Akt, als Art Eroberung gesehen. Dies sei
unvereinbar mit liberalen Werten.1
Man darf ihm beipflichten und widersprechen.
Seine Idee, demokratische Werte wären übernational auf uns herabgekommen und nicht an Identitäten geknüpft, ist so ahistorisch wie auch seine
Rede, es gäbe keine Bedrohung seitens des Islams
durch Radikalisierung nach der Einwanderung in
Europa. Erwidern kann man ihm, dass kinderarme Familien auf der einen Seite und ihr Gegenteil
auf der anderen Seite im heutigen Klima auf einer Waagschale der Kräfte wirken. Auch möchte
man hoffen, dass der Islamisierung Europas durch
Einwanderung, Geburt und Konversion die individuelle Übernahme liberaler Werte durch Muslime
folgt. Das ergibt Zwiste, in denen Europäer ihre
Aufklärung verteidigen müssen. Aber wie mag all
dies wohl in eine historische Perspektive eingeordnet werden?
Das erhellt Bernard Lewis in „Europa und der
Islam“. Der Text ging aus seinem Irving-KristolVortrag vor dem American Enterprise Institute
1 Zit.
for Public Policy Research am 7. März 2007 in
Washington hervor. Der Princetoner Islam- und
Mittelost-Gelehrte meint, dass es zum Historiker
gehört, frühere Trends ausloten, um zu sehen, was
davon fortwirkt sowie welche Möglichkeiten und
Entscheidungen daher morgen anstehen werden.
Zweierlei schickte der Forscher voraus. Zum
einen, dass es in islamischen Regionen ein besonderes Gespür und Wissen um historische Zusammenhänge gibt: allein die Kenntnis der islamischen
Geschichte lasse uns den öffentlichen Diskurs der
gegenwärtigen Führer verstehen. Und zum anderen, dass wir gerade eine vierte historische Zäsur
erleben, die mit dem Fall Roms, der Entstehung
des Islams oder der Entdeckung Amerikas verglichen werden könne.
Lewis’ Gedanken verkürze ich in der folgenden
Skizze. Demnach beginne die moderne Geschichte Mittelosts Ende des 18. Jahrhunderts, als die
Muslime zwei Schocks erlebten. Zum einen konnte Napoleon Bonaparte mit seiner kleinen Armee
recht leicht Ägypten als islamisches Kernland besetzen. Zum anderen befreiten den Nilstaat nicht
etwa Muslime der osmanischen Regionalmacht,
sondern die Briten unter Admiral Horatio Nelson.
Fortan wurden islamische Räume von außen gelenkt. Dies dominierten Europas Mächte. Muslimen blieb nur, die Rivalitäten auszunutzen, die
sich im 20. Jahrhundert ideologisch einfärbten.
Dies sei vorbei: was Napoleon und Nelson starteten, beendeten Reagan und Gorbatschow. Mittelost werde nun nicht mehr durch auswärtige Mächte beherrscht oder dominiert. Doch hätten die dortigen Bewohner so ihre Probleme, sich an die neue
Ära zu gewöhnen sowie für ihre Taten und deren
Konsequenzen gleichwohl Verantwortung zu übernehmen. Einige haben begonnen, die Verantwortung zu tragen, darunter Usama Bin Ladin.
Das Ende der auswärtigen Beherrschung, so Lewis weiter, liess ältere Trends in Mittelost wieder aufkommen: innere Kämpfe unter den Ethnien,
Sekten und Regionalmächten und der Zwist zwischen Christentum und Islam. Letztere verbuchten
für sich das Privileg, die Empfänger der abschliessenden Botschaft Gottes zu sein. Nicht zuletzt diese Selbstsicht beförderte einen Konflikt, der nun
über 14 Jahrhunderte währt und jetzt in die vierte
Phase tritt.
Während in christlichen Räumen zu Beginn
des 21. Jahrhunderts das triumphalistische Gehabe
nicht mehr vorherrscht, sei Triumphalismus in islamischen Räumen - in ihrem 15. Jahrhundert - noch
in: Süddeutsche Zeitung, 05.07.2007
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eine Hauptkraft. Dies zeigten die neuen militanten
Bewegungen. Am Anfang war die Kriegserklärung
im Jahre sieben der Hijra (628 u.Z.). Der Prophet
Muhammad sandte Botschafter auch zu byzantinischen, iranischen und äthiopischen Herrschern. Er
informierte sie über seine Prophetie und hielt sie
an, entweder seinen Glauben anzunehmen oder die
Konsequenzen zu spüren. Wenn es auch Zweifel an
der Authentizität der Briefe gebe, so reflektiere ihr
Inhalt die herrschende Sicht der Muslime.
Der Angriff auf das Christentum und der folgende Konflikt, der mehr den Ähnlichkeiten beider
Seiten als ihren Unterschieden entspringe, durchliefen drei Phasen. Zunächst begann die Islamisierung und Arabisierung Nordafrikas, Westasiens und Europas wie Spanien, Portugal, Sizilien,
Süditalien und Südfrankreich. Nach einem langen
Kampf gewannen Christen diese Teile Europas zurück, aber nicht Nordafrika und das Heilige Land
in ihren Kreuzzügen. Griffen in Phase eins Araber
und Mauren an, so waren es in Phase zwei Türken
und Tataren. Mongolische Herren Russlands konvertierten auch zum Islam. Die Türken eroberten
das christliche Kleinasien, Konstantinopel und den
Balkan. Zweimal belagerten sie Wien, während die
Korsaren die europäischen Küsten verunsichert haben.
Wieder schlugen Europäer zurück. In Phase
drei, Imperialismus genannt, retteten sie aber nicht
nur Russland und den Balkan, sondern sie trugen
ihre Macht nach Mittelost. All das wurde nach dem
Ersten Weltkrieg vollendet und nach dem Zweiten
Weltkrieg beendet: die europäische, nach dem Kalten Krieg auch russische Macht über islamische
Räume. Jedoch sah Bin Ladin den Rückzug der
Sowjets aus Afghanistan und ihren Kollaps nicht
als Sieg des Westens an, sondern als Triumph des
Jihads gegen die Ungläubigen. Für ihn stand die
islamische Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg
auf ihrem Tiefpunkt: Länder waren auswärtig beherrscht, die Türkei löste das Kalifat auf und errichtete ein säkulares, sich verwestlichendes Regime. Ihm galten die Sowjets als tödlichere Feinde.
Nun wollte er verweichlichte Demokratien schlagen, allen voran die amerikanische. Das zeigte sich
in Attacken der 1990er Jahre, zumal Washington
oft und rasch Fersengeld gezahlt hat.
Für eine fanatische und resolute Minderheit der
Muslime hat nun klar die vierte Welle der Angriffe auf Europa begonnen. Und wir sollten uns
nicht darüber hinwegtäuschen, meint Lewis, was
dies heisst. Der Konflikt nimmt andere Formen an,
darunter auch Terror und Migration. Terror war im
Islam kein Teil des Krieges. Aber er sei nun derart
umgedeutet worden, dass Selbstmörder zu Vorbildern für frustrierte Männer und Frauen geworden
sind.
Europa reagierte auf die islamische Immigration mit Multikulturalismus und politischer Korrektheit. Anders als die Europäer, wüssten Muslime wer sie sind und was sie wollen. Europäer
ziehen konstruktives Engagieren durch Dialog vor.
Papst John Paul II. hat sich gar für die Kreuzzüge
entschuldigt. Sie waren aber kein aggressiver Akt
gegen friedliche islamische Regionen, sondern eine späte, begrenzte und gescheiterte Imitation des
Jihads; ein Versuch, etwas durch einen Heiligen
Krieg zurückzuholen, was durch diesen verloren
worden war.
Radikale Muslime finden in Europa Verbündete:
Linke mögen deren Antiamerikanismus (für einige haben sie die Sowjets ersetzt); Rechten gefällt
die antijüdische Tendenz. Die Muslime suchten im
säkularen Staat einen Toleranzgrad, den Christen
unter islamischer Macht genossen, so eigene Feiertage und Gerichtsbarkeit der Shar’ia samt Polygamie. Die Zukunftsfrage laute, ob ein islamisiertes
Europa oder ein europäisierter Islam reife. Doch
die demokratische Freiheitsidee breite sich gleichwohl in islamischen Räumen aus. Sie sei unsere
beste Hoffnung, dass Europa in der gefährlichsten
Phase seines Ringens mit dem Islam bestehen werde.
Daraus folgen Fragen für die historische Forschung. Einige hat Lewis gestellt, ob nicht einwandernde Muslime berechtigt seien, ihre Familien mitzubringen, wer alles dazu zähle und welche soziale Folgen ihre Polygamie habe. Andere
Punkte wären regionalhistorisch komparativ auszuloten, etwa die Geschichte des Islams in Europa
und Deutschland je im Verhältnis zur Geschichte Mittelosts und Amerikas oder welche transatlantischen Folgen eine islamische und sogar islamistische Majorisierung von Städten und Ländern
Europas zeitigt. Alte Fragen erscheinen im neuen
Lichte, so ob Individualismus und Humanismus eine europäische Erfindung sind und was sie heute
für Muslime in Europa bedeuten. Und schließlich
pluralisieren sich mit wachsender Vielfalt generative Geschichtsbilder, denn was sagten etwa europäischen Muslimen die Magna Charta libertatum
oder ihren nicht-muslimischen Nachbarn die vier
Phasen des Konfliktes zwischen Islam und Christentum?
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B. Lewis: Europe and Islam
Wolfgang G. Schwanitz über Lewis, Bernard: Europe and Islam. Washington 2007. In: H-Soz-uKult 02.11.2007.
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