PHYSIOLOGISCHE OPTIK

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PHYSIOLOGISCHE OPTIK
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Übersicht
Das Auge
Aufbau des Auges
Anatomischer Aufbau
Optischer Aufbau
Augenbewegungen und Augendrehpunkte
Blickfeld und Gesichtsfeld
65
66
68
69
Akkommodation
Begriffe
Presbyopie
Leuchtdichteeinfluß
70
71
71
Pupille
Durchmesser
Pupillenabstand
Pupillen-Lichtstärke
72
72
73
Sehleistung
Empfindungsschwelle
Adaptation
Blendung
Auflösungsvermögen
Sehschärfe
Rezeptive Felder
Kontrastsehen
Tiefensehen
Richtungssehen
Räumliches Sehen
74
74
75
76
77
79
79
80
81
81
Farbensehen
Spektrale Empfindlichkeit
Farbempfindung
Dreifarbentheorie
Farbsinnstörungen
82
82
83
84
Monokulare
Rechtsichtigkeit
Emmetropie
Schematisches Auge
Farbenfehler
Einstellwellenlänge
86
86
87
87
Monokulare Fehlsichtigkeit
Ametropie
Myopie
Hyperopie
Astigmatismus
Aphakie
88
88
89
89
91
Monokulare Sehprüfung
Refraktive Vollkorrektion
Objektive Verfahren
Subjektive Verfahren
92
92
92
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Übersichi
Das Augenpaar
Fusion und Vergenz
Binokulares Einfachsehen
Vergenz und Version
Vergenzstellungen
Ruhestellungen
Fusionsbreiten
Vergenzanteile
Binokulare
Raumwahrnehmung
Richtungswahrnehmung
Stereopsis
Tiefensehschärfe
Stereoskopie
Stereo-Sehgleichgewicht
98
99
101
101
103
Ruhestellungsfehler
Begriffe
Heterophorie
Winkelfehlsichtigkeit
Fixationsdisparation
Akkommodation-Vergenz-Diagramm
Heterotropie
104
104
104
105
106
108
Binokulare Ungleichheiten
Anisometropie
Aniseikonie
109
110
Binokulare Sehprüfung
Prismatische Vollkorrektion
Prüfverfahren
Einstellgleichgewicht
111
111
112
93
93
94
95
95
96
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
65
Das Auge
Aufbau des Auges
Anatomischer Aufbau
temporal
nasal
B i l d 54
Horizontalschnitt durch ein menschliches A u g e (Beschreibung im Text)
Das früher auch als Augapfel (bulbus oculi) bezeichnete Auge
ist von annähernd kugelförmiger Gestalt und stellt den Teil des
visuellen Systems dar, in welchem die Außenwelt optisch
abgebildet und diese Abbildung in Nervenerregung umgewandelt wird. In Bild 54 ist der schalenförmige Aufbau des Auges
in einem horizontalen Meridionalschnitt schematisch dargestellt. Das Innere des Auges wird von dem Glaskörper (corpus
vitreum) G ausgefüllt; dieser ist vorn von der Augenlinse
(Kristallinse, lens cristallina) L begrenzt und hinten von der
vielschichtigen Netzhaut (retina) N umschlossen. Die Netzhaut
ist etwa 0,3 mm dick und enthält als lichtempfindliche Zellen
(Netzhautelemente) die Zapfen (coni) und die Stäbchen (radii).
Das Gebiet des schärfsten Sehens findet sich in der vollständig
.stäbchenfreien Foveola inmitten der kapillarfreien Netzhautgrube (Fovea) F. Der Durchmesser der Foveola beträgt etwa
0,1 mm (ca. 20'), derjenige der Fovea etwa 0,5 mm (ca. 1°40').
Die Gradzahlen in Klammern geben den jeweiligen Knotenpunktwinkel an.
Ungefähr 4,5 mm (ca. 15°) nasal von der Mitte der Netzhautgrube liegt der Sehnervenkopf (papilla nervi optici) B , der
einen Durchmesser von etwa 1,6 mm (ca. 6°) besitzt. Derjenige Punkt, in dem die optische Achse O A auf die Netzhaut
trifft, heißt hinterer Augenpol (polus posterior) P.
Die umschließende Hülle ist die Gefäßhaut (uvea) und besteht
aus der Aderhaut (chorioidea) A zur Ernährung des Auges, aus
dem Ziliarkörper (corpus ciliare) Z zur Veränderung der L i n senform und aus der Regenbogenhaut (iris) R zur Regulierung
der einfallenden Lichtmenge. A l s äußere Schicht dient dem
Auge ein ungefähr 1 mm dickes, stützendes Bindegewebe, die
Lederhaut (sclera) S, welche nach vorn in die durchsichtige, in
der Mitte etwa 0,5 mm dicke Hornhaut (cornea) H übergeht;
das Übergangsgebiet heißt Limbus. Die schwächste Stelle der
Lederhaut ist die hinter dem Sehnervenkopf gelegene Siebplatte (lamina cribrosa) C , durch welche der Sehnerv (nervus
opticus, fasciculus opticus) O hindurchtritt. Zwischen der
Hornhaut und der Regenbogenhaut bzw. der Linse befindet
sich die vordere Augenkammer (camera oculi anterior) V
während die hintere Augenkammer (camera oculi posterior) W
von der Regenbogenhaut, dem Ziliarkörper und der Linse
begrenzt wird. Beide Kammern sind mit dem Kammerwasser
(humor aqueus) gefüllt.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
66
Das Auge
Außen an der Lederhaut greifen tangential sechs Muskeln an,
die der Augenbewegung dienen (Bild 55). Das Auge eines
Erwachsenen besitzt einen Durchmesser von etwa 24 mm und
befindet sich in der schützenden knöchernen Augenhöhle
(orbita), wobei die verbleibenden Zwischenräume mit einem
Fettpolster ausgefüllt sind. Die Verbindung zwischen dem
Auge und den Augenlidern (palpebrae) wird durch die
Bindehaut (conjunctiva) hergestellt. Der Tränenapparat mit der
auf der temporalen Seite liegenden Tränendrüse (glandula
lacrimalis) dient vorwiegend zur Reinigung der Augenoberfläche.
a)
B i l d 55
Die Augenbewegungsmuskeln:
a)
b)
Rechtes Auge von v o m
Rechte A u g e n h ö h l e von der
Schläfenseite
ig
innerer gerader Muskel
(musculus rectus nasalis)
ag ä u ß e r e r gerader Muskel
(musculus rectus temporales)
og oberer gerader Muskel
(musculus rectus superior)
ug unterer gerader Muskel
(musculus rectus inferior)
os
oberer s c h r ä g e r Muskel
(musculus obliquus superior)
us unterer s c h r ä g e r Muskel
(musculus obliquus inferior)
Optischer Aufbau
Das Auge ist kein im Sinne der geometrischen Optik exakt
zentriertes System. A l s optische Achse O A des Auges wird in
D I N 5340 diejenige Normale auf die Hornhautvorderfläche
festgelegt, deren Verlängerung in das Augeninnere von den
Krümmungsmittelpunkten der übrigen brechenden Flächen des
Auges den geringsten Abstand hat.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
67
A u f das Auge treffende Lichtstrahlen erfahren an der Hornhaut
die stärkste Brechung, gelangen durch das Kammerwasser der
vorderen Augenkammer zur Augenlinse, werden dort noch
einmal gebrochen und erreichen durch den Glaskörper hindurch die lichtempfindlichen Netzhautelemente. Die Hornhaut
stellt eine konvex-konkave Linse mit einer Brechzahl von
n = 1,376 dar, deren positiver Brechwert von ungefähr
D = 43 dpt durch den Unterschied in den Brechzahlen der
angrenzenden Medien bewirkt wird; vor der Hornhaut befindet
sich Luft mit n = 1, dahinter das Kammerwasser mit
n = 1,336 . Die stärkste Strahlenbrechung findet demnach an
der Hornhautvorderfläche statt. Etwa 5 mm dahinter liegt die
bikonvexe Augenlinse mit einer Brechzahl von ungefähr
n = 1,4 . Der hinter der Linse befindliche Glaskörper besitzt
die gleiche Brechzahl wie das Kammerwasser vor der Linse,
und es ergibt sich für die Augenlinse (in akkommodationslosem Zustand) ein positiver Brechwert von etwa D = 19 dpt .
Das gesamte Auge besitzt einen positiven Brechwert von etwa
D
= 59 dpt; die Netzhaut stellt die Bildfläche dar, und die
Öffnung der Regenbogenhaut (vor der Augenlinse) bildet die
Aperturblende des Systems.
H
H
K
L
L
A l l
Für das Gesamtsystem des Auges liegen hinter dem vorderen
Hornhautscheitel auf der optischen Achse in der genannten
Reihenfolge (Bild 56): die Hauptpunkte H (1,5) und H ' (1,6),
die Mitten von Eintrittspupille E P (3) und Austrittspupille
A P (3,5), die Knotenpunkte K ( 7 , l ) und K ' (7,2) sowie der
Mittelpunkt des als Kugel angenäherten Auges. Die Zahlen in
Klammern geben für das vereinfachte schematische Auge nach
Gullstrand (Tabelle 14, S. 86) die Entfernung des jeweiligen
Punktes vom vorderen Hornhautscheitel in mm an.
Bild 56
Auge mit positivem Winkel G a m m a
(/) beim Blick in die Ferne:
OA
optische Achse
FL
Fixierlinie
GL
Sehachse
Z'
optischer Augendrehpunkt
EP
Mitte der Eintrittspupille
AP
Mitte der Austrittspupille
H , Ff
Hauptpunkte
K , K' Knotenpunkte
P
hinterer Augenpol
temporal
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
68
Augenbewegungen und
Augendrehpunkte
Das Auge
Wenn das Auge alle Bewegungen ausführt, die durch die sechs
äußeren Augenmuskeln ermöglicht werden, gibt es keinen
Punkt innerhalb des Auges, der seine räumliche Lage in der
Augenhöhle beibehält. Derjenige Punkt, der bei den möglichen
Augenbewegungen die geringste Lageänderung erfährt, wird
mechanischer Augendrehpunkt M genannt. Er liegt für das
emmetrope Auge durchschnittlich 13,5 mm hinter dem vorderen Hornhautscheitel. In B i l d 56 ist ein Überblick über die
wichtigsten Punkte und Linien des Auges gegeben.
Die Sehachse (Gesichtslinie) G L ist die Verbindungsgerade
zwischen einem fixierten Objektpunkt und dem dazu konjugierten Bildpunkt in der Mitte der Netzhautgrube (Foveolamitte). In ausreichender Näherung kann die Sehachse mit dem
Knotenpunktstrahl gleichgesetzt werden.
Die Verbindungsgerade zwischen dem zentral abgebildeten
Objektpunkt und der Mitte der Eintrittspupille heißt Fixierlinie
(Visierlinie) F L und stellt den vor dem Auge liegenden objektseitigen Hauptstrahl dar. Daher ist die Fixierlinie diejenige
Gerade, in welche Kimme und Korn einer Zieleinrichtung zu
bringen sind. Beim Fixieren eines (unendlich) fernen Objektes
sind Sehachse und Fixierlinie einander parallel.
Die Richtung der Fixierlinie beim Blick geradeaus in die Ferne
heißt Nullblickrichtung. Eine Einwärtsbewegung eines Auges
heißt Adduktion, eine Auswärtsbewegung Abduktion, eine
Senkung Infraduktion und eine Hebung Supraduktion.
Eine Verrollung um eine Achse, die annähernd mit der Fixierlinie zusammenfällt, heißt Torsion oder Zykloduktion. Bei
einer Extorsion (Exzykloduktion) bewegt sich der Vertikalmeridian des Auges oben nach außen, bei einer Intorsion
(Inzykloduktion) oben nach innen.
Bei Blickbewegungen des Auges ändert sich die Richtung der
Fixierlinie im Raum. Werden alle nacheinander möglichen
Richtungen der Fixierlinien in das Augeninnere hinein verlängert, so tangieren sie näherungsweise eine Kugelfläche mit
dem mechanischen Augendrehpunkt als Mittelpunkt. Diese
Kugelfläche liegt meistens temporal vom mechanischen
Augendrehpunkt, und der Radius der Kugel beträgt etwa
0,8 mm.
Der optische Augendrehpunkt Z ' ist der Fußpunkt des Lotes
vom mechanischen Augendrehpunkt auf die Fixierlinie bei
Nullblickrichtung. Er ist der wichtigste Punkt für die korrekte
Zentrierung eines Brillenglases.
Die Fixierlinie fällt im allgemeinen nicht mit der optischen
Achse des Auges zusammen, der Winkel zwischen beiden
heißt Winkel Gamma (y).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
69
Da Fixierlinie und Sehachse beim Blick in die Ferne einander
parallel sind, ist der Winkel Gamma ein Maß für den Abstand
zwischen der Mitte der Netzhautgrube und dem hinteren
Augenpol. Er rechnet positiv, wenn die Netzhautgrube temporal vom hinteren Augenpol liegt (Bild 56, S. 67) und kann
Werte zwischen + 8° und - 3° annehmen (entsprechend einer
Versetzung der Foveolamitte gegenüber dem Augenpol von
etwa 2,5 mm temporal bis etwa 1 mm nasal). Nur bei y = 0
fallen optische Achse, Fixierlinie und Sehachse sowie hinterer
Augenpol und Mitte der Netzhautgrube zusammen; der optische Augendrehpunkt liegt dann auf der optischen Achse des
Auges.
Diejenige Stellung eines Auges relativ zum Kopf, aus der
Seitenwendungen, Hebungen und Senkungen des Auges ohne
Verrollungen erfolgen, wird als Primärstellung bezeichnet.
Diese stimmt annähernd mit der Nullblickrichtung überein.
Blickfeld und
Gesichtsfeld
Alle Punkte, die bei unbewegtem Kopf durch die möglichen
Bewegungen des Auges fixiert werden können, bilden das
monokulare Blickfeld. Jeder Punkt des Blickfeldes kann durch
eine entsprechende Augenbewegung in der Mitte der Netzhautgrube abgebildet werden.
Die Richtungen der zugehörigen Fixierlinien schneiden sich
näherungsweise im optischen Augendrehpunkt. Da sie mit den
objektseitigen Hauptstrahlen für die Abbildung der nacheinander fixierten Punkte des Blickfeldes identisch sind, stellt
der optische Augendrehpunkt das Perspektivitätszentrum für
das blickende Auge dar. Die zugehörige Perspektive heißt
Hauptperspektive.
Wird irgendein Punkt des Blickfeldes fixiert (Kopf und Auge
sind unbewegt), so bilden alle gleichzeitig wahrgenommenen
Objektpunkte um den angeblickten Punkt herum das monokulare Gesichtsfeld für diese Blickrichtung. Dabei fehlt der dem
Sehnervenkopf entsprechende Bereich (blinder Fleck). Nach
D I N 5340 ist das monokulare Gesichtsfeld dasjenige bei
Primärstellung des Auges. Die Mitte der Eintrittspupille bildet
das Perspektivitätszentrum für das unbewegte Auge, da sich
dort alle objektseitigen Hauptstrahlen schneiden. Die zugehörige Perspektive heißt Füllperspektive.
Die Gesamtheit der Gesichtsfelder für alle möglichen Blickrichtungen bei unbewegtem Kopf heißt monokulares BlickGesichtsfeld.
Für ein Augenpaar entstehen die binokularen Felder durch die
Überlagerung der entsprechenden monokularen Felder.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
70
Das Auge
Akkommodation
Begriffe
Bei Betätigung des Ziliarmuskels wird der Krümmungsradius
der Vorderfläche der Augenlinse (geringfügig auch derjenige
der Hinterfläche) verkleinert. Dadurch erhöht sich der Brechwert der Augenlinse und damit der des ganzen Auges. Dieser
Vorgang ermöglicht eine Anpassung an verschiedene Objektweiten und heißt Akkommodation.
Der im momentanen Akkommodationszustand (Brechwert D
des Auges) in der Mitte der Netzhautgrube abgebildete und
damit scharf gesehene Objektpunkt heißt Einstellpunkt E ,
seine Entfernung vom vorderen (objektseitigen) Augenhauptpunkt heißt Einstellpunktabstand a (früher Akkommodationsentferung). Die Einstellpunktrefraktion ist
E
E
(76)
A
E
= —
•
Die Gesamtheit aller Einstellpunkte heißt Akkommodationsbereich (Akkommodationsgebiet). Die Einstellpunkte an den
Grenzen dieses Bereichs sind der Fernpunkt R (punctum
remotum) und der Nahpunkt P (punctum proximum). Ist der
Einstellpunktabstand größer als die Entfernung des betrachteten Objektes, so liegt ein Akkommodationsdefizit vor.
Ist das Auge akkommodationslos (Brechwert D des Auges),
wird der Fernpunkt R scharf gesehen. Sein Abstand vom
vorderen Augenhauptpunkt heißt Fernpunktabstand Ö ; er
kann negativ sein (R reell vor dem Auge) oder positiv (R
virtuell hinter dem Auge). Die Fernpunktrefraktion ist
R
r
(77)
A r = ~ -
a
R
Bei stärkster Akkommodation (Brechwert D des Auges)
wird der Nahpunkt P scharf gesehen. Sein Abstand vom vorderen Augenhauptpunkt heißt Nahpunktabstand a ; er kann
negativ oder positiv sein. Die Nahpunktrefraktion ist
P
?
(78)
A = —.
P
Alle Refraktionen werden in der Einheit dpt angegeben.
Der Brechwertzuwachs des Auges beim Akkommmodieren ist
der Akkommodationsaufwand
(79)
AD
= D
E
- D
R
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Der maximale Akkommodationsaufwand
16
(80)
|
10
S
8
.1
to
O
E
E
o
AD„
ist ein Maß für das Akkommodationsvermögen des Auges.
Die Differenz der entsprechenden Refraktionen ist der A k k o m modationserfolg
6
(81)
4
0
10 20
30
40
50 60
70
Lebensalter in Jahren
AA=A -A
R
E
der maximale Akkommodationserfolg (die Akkommodationsbreite) ist
(82)
AA
m a l R
A
p
.
Bild 57
Durchschnittliche
Altersabhängigkeit
Entsprechende Begriffe für das Auge mit Korrektionsglas
erhalten den Zusatz cc (cum correctione). Für das Auge ohne
Korrektionsmittel (sc) ist praktisch AD = AA . Für das Auge
mit Kontaktlinse ist annähernd AD = AA ; beim Auge mit
Brillenglas unterscheiden sich jedoch AD und
AA^.
Nimmt das Auge einen geringeren Brechwert als D an, so
heißt dieser Vorgang negative Akkommodation.
Durch nahe reale Objekte kann aufgrund des „Bewußtseins der
N ä h e " eine psychische (proximale) Akkommodation ausgelöst
werden (Instrumentenmyopie).
Wird ein Augenpaar bei unveränderter Objektentfernung durch
optische Mittel zur Konvergenz gezwungen, so kann damit
eine Akkommodation gekoppelt sein (Vergenzakkommodation), obwohl die Netzhautbilder dadurch unscharf werden.
Eine durch optische Mittel erzwungene relative Divergenz erleichtert eine negative Akkommodation.
CC
R
0
0.01
Leuchtdichte L
Bild 58
A b h ä n g i g k e i t des Akkommodationsbereichs von der Adaptationsleuchtdichte
Presbyopie
Das Akkommodationsvermögen AD
ist altersabhängig. M i t
zunehmendem Alter verringert sich die Elastizität der Augenlinse, wodurch der Akkommodationsbereich kleiner wird.
Bild 57 zeigt die durchschnittliche Altersabhängigkeit des
Akkommodationsvermögens. Wenn AD
kleiner als 4 dpt
geworden ist, liegt Presbyopie (Alterssichtigkeit) vor.
na%
mas
Leuchtdichteeinfluß
M i t abnehmender Gesichtsfeldleuchtdichte entfernt sich der
Nahpunkt vom Auge (Nachtpresbyopie) und der Fernpunkt
kann dichter an das Auge heranrücken (Nachtmyopie). Dieser
Vorgang verkleinert den Akkommodationsbereich (Bild 58).
Unangenehm bemerkbar macht er sich bei beginnender Alterssichtigkeit, wenn noch keine Nahbrille benutzt wird (besonders
beim Lesen Meiner Texte in schlechter Beleuchtung).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Pupille
Durchmesser
10
mm
NE c h t s e h e n
8
Ii
7
i
e
I
5
ä)
a>
E
4
5
3
1
10 20 30 40 50 60 70 80
2
Lebensalter in Jahren
Ta ges seh en
T
l
1
B i l d 59
Durchschnittliche A b h ä n g i g k e i t des
Durchmessers der Eintrittspupille des
Auges vom Lebensalter im skotopischen Sehen und im photopischen
Sehen
Die Öffnung in der Regenbogenhaut heißt Pupille; der Durchmesser dieser Aperturblende ist abhängig von
1. der Beleuchtungsstärke (Tabelle 7),
2. vom Lebensalter (Bild 59),
3. vom allgemeinen Körperzustand.
Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen Pupillenverkleinerung, Akkommodation und Konvergenz. Die Änderung
des Durchmessers der Pupille (Pupillenspiel) liegt je nach den
verschiedenen Einwirkungen im Bereich zwischen 10 mm und
1 mm.
Hornhaut und Kammerwasser vor der Pupille wirken als Lupe
und lassen die Pupille l,13fach vergrößert erscheinen (scheinbare Pupillengröße, Eintrittspupille des Auges). Der mittlere
Durchmesser der Eintrittspupille beträgt 3 bis 5 mm.
Bei Benutzung optischer Instrumente soll die Eintrittspupille
des Auges am Ort der Austrittspupille des Instrumentes sein.
Wenn diese Austrittspupille größer ist als die Eintrittspupille
des Auges, wird der aus dem Instrument austretende Lichtstrom vom Auge nicht vollständig aufgenommen.
Myope Augen besitzen meistens weitere Pupillen, hyperope
Augen engere Pupillen als emmetrope (Tabelle 7).
Tabelle 7
Durchmesser d
E P
der Eintrittspupille
eines Auges bei Emmetropie (A
R
Myopie (A
R
(/4
R
Beleuchtungsstärke E (lx)
= 0),
< 0) und Hyperopie
> 0) in A b h ä n g i g k e i t von der
Beleuchtungsstärke E
Pupillenabstand
R
0
(Dunkelheit)
0,1
1,0 (Dämmerung)
10
100 (Kinobildschirm)
1000 (etwa 10 M i n . nach
Sonnenaufgang)
2500
d p (mm)
A <0
A >0
E
A =0
R
R
Mittel
7,63
6,66
5,88
4,98
3,92
7,79
6,84
6,13
5,02
3,97
7,23
6,09
5,48
4,91
3,88
7.55
6,53
5,83
4,97
3,92
3,09
2.61
3,13
2,68
3,06
2,51
3,09
2,60
Der Pupillenabstand (Kurzzeichen P D , Formelzeichen p) ist
der Abstand der beiden Pupillenmitten voneinander beim Blick
des Augenpaares auf einen (unendlich) fernen Punkt, d. h. bei
parallelen Fixierlinien. Diese (Fern-)PD wird mit Augenabstandsmessern ermittelt und ist mit dem gegenseitigen Abstand
der optischen Augendrehpunkte identisch. Einen Überblick
über die durchschnittlichen PD-Werte gibt Tabelle 8.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
PD (mm)
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
m(%)
w(%)
0
1
0
2
1
3
2
7
3
10
5
12
8
14
11
13
13
12
14
10
13
7
11
5
8
2,5
5
3
1 0,5
2
0
1
0
Tabelle 8
Statistische Verteilung des Pupillenabstandes (PD) bei erwachsenen
Deutschen (m: m ä n n l i c h , w: weiblich)
Pupillen-Lichtstärke
Die Größe der Pupille ist neben der Leuchtdichte für die
Netzhautbeleuchtungsstärke und damit für den Helligkeitseindruck maßgebend. Deshalb wurde als Maß für die Netzhautbeleuchtung beim Tagessehen die Pupillen-Lichtstärke / eingeführt. Sie ist das Produkt aus der Leuchtdichte L und der
Fläche A der Pupille:
P
1
(83)
L
P
= - \ -
Die Pupillen-Lichtstärke ergibt sich in der Einheit Troland
(Trol), wenn die Leuchtdichte in cd/m" und die PupillenFläche in mm" eingesetzt werden.
Weiter zum Rand hin durch die Pupille tretende Strahlen
tragen relativ weniger zur (durch die Zapfen vermittelten)
Hellempfindung bei als mittlere Strahlen (Stiles-CrawfordEffekt erster Art). Dieser Effekt wird durch die reduzierte
Pupillen-Lichtstärke V berücksichtigt:
(84)
/ ; = s-I .
p
Dabei ist s der vom Pupillendurchmesser abhängige StilesCrawford-Faktor. Für eine Pupillenfläche von A = 1 mm" ist
P
s = 1 , weitere Faktoren sind in Tabelle 9 aufgeführt.
Pupillendurchmesser (mm)
Pupillenfläche A
P
(mm")
Stiles-Crawford-Faktor 5
Tabelle 9
Stiles-Crawford-Faktor in Abhängigkeit vom Pupillendurchrnesser
1
2
3
4
5
6
7
0.785
3.14
7,06
12,58
19.65
28.15
38,5
1
0.98
0.96
0.90
0,73
0.65
0,58
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Sehleistung
Empfindungsschwelle
Die absolute Empfindungsschwelle für Lichtreize (Leuchtdichteschwelle) liegt bei einer Hornhautbeleuchtungsstärke von
ungefähr 10 lx im indirekten Sehen und ist optometrisch ohne
Bedeutung. Die relative Empfindungsschwelle (Leuchtdichteunterschiedsschwelle) gibt den geringsten noch wahrnehmbaren Leuchtdichteunterschied an. Dieser Unterschied ist von
der Leuchtdichte und dem Adaptationszustand abhängig und
liegt prozentual um so höher, je geringer die Leuchtdichte ist.
Im photopischen Sehen sind Leuchtdichteunterschiede von
wenigen Prozent erkennbar (Bild 60).
Der kleinste Sehwinkel, unter dem ein bestimmtes Objekt (bei
gegebenem Leuchtdichteunterschied und Adaptationszustand)
wahrgenommen werden kann, ist das minimum perceptibile.
Ist dieses Objekt ein einzelner Punkt, so wird der Winkel als
minimum visibile (Punktsehschärfe) bezeichnet.
Periodisches Helligkeitsflimmern ruft oberhalb einer Verschmelzungsfrequenz die gleiche Empfindung hervor wie ein
Dauerreiz, welcher der gleichmäßig verteilten Leuchtdichte
während der Flimmerperiode entspricht. Die Verschmelzungsfrequenz hängt von der Flimmeramplitude ab und ist meist
kleiner als 30 H z ; sie ist i m Bereich der Netzhautgrube geringer als außerhalb.
9
ioio säio
m
Leuchtdichte L
10'
3
io~ 1
1
2
4
B i l d 60
A b h ä n g i g k e i t der relativen Leuchtdichteunterschiedsschwelle von der
Adaptationsleuchtdichte:
a Nachtsehen, b D ä m m e r u n g s s e h e n ,
c Tagessehen, d Blendungsbeginn
Adaptation
cd
photopisches
Sehen
Zapfensehen
10
mesopisches
Sehen
Die Fähigkeit des visuellen Systems, sich an veränderte
Sehbedingungen anpassen zu können, heißt Adaptation. A m
wichtigsten ist die Adaptation an veränderte Leuchtdichten. Je
nach der herrschenden mittleren Leuchtdichte (Adaptationsleuchtdichte) sind nur die Stäbchen, nur die Zapfen oder beide
Rezeptorarten an der Helligkeitsempfindung beteiligt.
Die sehr lichtempfindlichen Stäbchen reagieren bei Adaptationsleuchtdichten unterhalb etwa 10 cd/m , die weniger lichtempfindlichen (und für die Farbempfindung maßgeblichen)
Zapfen beginnen oberhalb ungefähr 10" cd/m zu reagieren.
Bei Leuchtdichten kleiner als etwa 10" cd/m arbeiten demnach nur die Stäbchen: Nachtsehen (skotopisches Sehen). B e i
Leuchtdichten zwischen ungefähr 10" und 10 cd/m sind beide
Rezeptorarten in Tätigkeit: Dämmerungssehen (mesopisches
Sehen). Bei Leuchtdichten größer als etwa 10 cd/m arbeiten
dann nur die Zapfen: Tagessehen (photopisches Sehen).
Bild 61 zeigt die einzelnen Bereiche nach D I N 5031 Teil 3
(siehe auch Tabelle 5, S. 47). Die Übergänge zwischen den
Bereichen sind fließend.
2
3
3
10"
Stäbchensehen
skotopisches
Sehen
Bild 61
Leuchtdichtebereiche der Rezeptoren
2
2
2
2
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
10
cd
m
2
\
ra
B
I10-
2
ü
3
io
•b
3
2
4 6 10 20 4 0 m i n
Zeit t
Bild 62
Zeitlicher Verlauf der Dunkeladaptation:
a innerhalb der Netzhautgrube,
b a u ß e r h a l b der Netzhautgrube
Blendung
Das Auge
Die Adaptation über viele Zehnerpotenzen der Leuchtdichte
geschieht hauptsächlich durch langsame photochemische Prozesse in den lichtempfindlichen Substanzen der Rezeptoren
und durch schnelle neuronale Veränderungen in den rezeptiven
Feldern, wogegen die Veränderung des Pupillendurchmessers
eine geringere Bedeutung hat.
Die Anpassung an größere Leuchtdichten heißt Helladaptation,
die Anpassung an kleinere Leuchtdichten Dunkeladaptation.
Der Dunkeladaptationszustand nach 3 bis 5 Minuten wird als
Sofortadaptation bezeichnet, nach mindestens 30 Minuten als
Daueradaptation. Diese beiden Adaptationen können voneinander unabhängig sein; es gibt gute Sofortadaptation (wichtig
für Kraftfahrer) bei schlechter Daueradaptation. Da sich in der
Netzhautgrube keine Stäbchen befinden, ist das skotopische
Sehen nur außerhalb der Netzhautgrube möglich. Dies zeigt
sich auch im zeitlichen Verlauf der Dunkeladaptation, der in
Bild 62 dargestellt ist. Die sogenannte Nachtblindheit ist eine
Dunkeladaptationsschwäche und beruht auf vermindertem bis
fehlendem skotopischen Sehen.
Die Adaptation über die gesamte Netzhaut heißt Totaladaptation, in Teilbereichen Lokaladaptation.
Die Messung der Adaptation kann durchgeführt werden mit
einem Adaptometer (skotopisches und mesopisches Sehen),
Mesoptometer (mesopisches Sehen) oder Nyktometer (Sofortadaptation im mesopischen Sehen).
Blendung ist eine Störempfindung durch zu hohe Leuchtdichte
oder durch zu große Leuchtdichteunterschiede. Dabei werden
folgende Paare von Unterbegriffen unterschieden.
1. Adaptationsblendung: Blendung durch hohe Leuchtdichte
mit möglicher Adaptation und
Absolutblendung: Blendung durch hohe Leuchtdichte ohne
mögliche Adaptation.
2. Direktblendung: Blendung durch im Gesichtsfeld befindliche Lichtquellen und
Indirektblendung: Blendung durch Reflexe von außerhalb
des Gesichtsfeldes befindlichen Lichtquellen.
3. Simultanblendung: Blendung durch gleichbleibende
Leuchtdichteunterschiede und
Sukzessivblendung: Blendung durch höher werdende
Leuchtdichte.
4. Infeldblendung: Simultanblendung durch hohe Leuchtdichte im mittleren Gesichtsfeldbereich und
Umfeldblendung: Simultanblendung durch hohe Leuchtdichte im peripheren Gesichtsfeldbereich.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
10
Das Auge
Sonnenscheibe
ä
cd
m
10
Blendgerade
Autoscheinwerfer
7
Tageshimmel
Leuchtstofflampe
Vollmondscheibe
a>
CD
ig
Z
im Sonnenlicht
10-'
10°
l
10*
10"
Gesichtsfeldleuchtdichte
Bild 63
A b h ä n g i g k e i l der Blendungsleuchtdichte von der adaptierten Gesichtsfeldleuchtdichte:
Leuchtdichten oberhalb der Blendgeraden f ü h r e n zur Blendung
Auflösungsvermögen
10"
10'
10
4
cd
m
10°
Das Auftreten von Blendung ist stark von der Adantationsleuchtdichte abhängig, was in Bild 63 durch die Blendgerade
dargestellt ist.
Blendung kann mit oder ohne nachweisbare Verschlechterung
von Sehfunktionen auftreten, Bei der psychologischen Blendungsbewertung wird nur die Störempfindung beurteilt, bei
der physiologischen Blendung sbewertung nur die Minderung
von Sehfunktionen.
Das Auflösungsvermögen des visuellen Systems (die Trennschärfe) charakterisiert die Fähigkeit, dicht benachbarte Punkte
(minimum separabile) oder Linien getrennt wahrzunehmen. Es
wird gemessen durch den kleinsten Sehwinkel (Knotenpunktwinkel), unter dem die entsprechenden Objekteinzelheiten
noch getrennt wahrgenommen werden können. Dieser physiologische Grenzwinkel beträgt bei punktförmigen Einzelheiten
etwa 40 bis 60 Winkelsekunden und bei noniusartig gegeneinander verschobenen Linien ungefähr 5 bis 10 Winkelsekunden
(Noniusgrenzwinkel).
Im Einzelnen hängt das Auflösungsvermögen ab
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augi
geometrisch: von der Form und Orientierung der Objekteinzelheiten,
physikalisch: von der Leuchtdichte und Farbe von Objekt
(Tabelle 10) und Umfeld und von der Darbietungszeit,
optisch: von der Qualität des Netzhautbildes,
anatomisch: vom Bildort auf der Netzhaut (Bild 64),
physiologisch: vom Adaptationszustand und vom Zustand
der Sehnerven,
psychologisch: von Aufmerksamkeit und Gewöhnung,
und schließlich vom Lebensalter (Bild 65).
Tabelle 10
Farbe
A b h ä n g i g k e i t der relativen
weiß
gelbes
Natriumlicht
bläuliches
Quecksilberdampflicht
100
113
121
S e h s c h ä r f e V ., von der Farbe des
rL
V
Lichtes
rcl
(%)
100
100
D
t
3 %
SZ
\ 0
5
t)
p
i
6
Q.
- nasal
°y
1
\
temporal
20
50
50°
20°
0°
20°
50°
%
-C 5 0
CJ
W
ive
— _[
25
03
CD
0
10 20
Netzhautort
B i l d 64
30 40
50
60 70
80
Lebensalter in Jahren
Bild 65
Relative S e h s c h ä r f e in A b h ä n g i g k e i t
Durchschnittliche A l t e r s a b h ä n g i g k e i l
vom Netzhautort
der relativen S e h s c h ä r f e
( 0 ° : Mitte der Netzhautgrube)
Sehschärfe
Bild 66
Der Landoltrinsi als Normsehzeichen
In der Augenoptik wird das Auflösungsvermögen als Sehschärfe (Visus) mit einem speziellen Normsehzeichen, dem
Landoltring, bestimmt. Dieser stellt einen Kreisring mit einer
Aussparung von der Größe der Strichbreite des Ringes dar,
wobei der Außendurchmesser des Ringes das Fünffache der
Strichbreite beträgt (Bild 66). Bei einer Sehschärfeprüfung
(Visusbestimmung) muß die räumliche Lage der Kreisringöffnung erkannt werden.
Die Einheit „Visus 1" wird durch einen Landoltring festgelegt,
dessen Aussparung unter einem Sehwinkel von einer Winkelminute und dessen Außendurchmesser unter fünf Winkelminuten erscheinen. Der Sehschärfewert ist eine Eigenschaft des
Sehobjektes und wird durch den Mindestvisus gekennzeichnet,
mit dem die charakteristischen Objekteinzelheiten (hier: Lage
der Öffnung des Landoltringes) aus einer bestimmten Entfernung erkannt werden. Bei einer Normsehzeichenreihe ist die
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
78
Das Auge
Größe der Landoltringe so gewählt, daß sich eine logarithmische Abstufung der Sehschärfewerte ergibt (Tabelle 11).
Tabelle 11
S e h s c h ä r f e w e r t e in logarithmischer
Abstufung (nach D I N E N I S O 8596)
alte Bezeichnung
bei der Prüfentfernung
6m
5m
20 feet
Sehschärfewert
Sehschärfe
2,0
überdurchschnittlich
1,6
1,25
1,0
0,8
0,63
0,5
0,4
0,32
0,25
0,2
0,16
0,125
0.1
6/3
5/2,5
20/10
sehr gut
bis
ausreichend
6/3,8
6/4,8
6/6
6/7,5
5/3,2
5/4
5/5
5/6,3
20/12,5
20/16
20/20
20/25
herabgesetzt
6/9,6
6/12
6/15
5/8
5/10
5/12,5
20/32
20/40
20/50
stark
herabgesetzt
6/19
6/24
6/30
6/38
6/48
6/60
5/16
5/20
5/25
5/32
5/40
5/50
20/64
20/80
20/100
20/125
20/160
20/200
Werden andere Sehzeichen zur Visusbestimmung benutzt, so
müssen sie auf den Landoltring (als Normsehzeichen) bezogen
sein. Gutachterliche Sehschärfeprüfungen dürfen nur mit dem
Landoltring durchgeführt werden.
Die Gewöhnung an bestimmte Sehzeichen kommt in der sogenannten Leseempfindlichkeit (minimum legibile) zum Ausdruck, mit der die Erkennung von Wörtern als Ganzes erfaßt
wird, wie in Nahleseproben verschiedener Schriftgröße.
Werden Sehzeichen in anderer Entfernung (Ist-Entfernung)
benutzt als in derjenigen, die dem angegebenen Sehschärfewert zugrunde liegt (Soll-Entfernung), so folgt der Visus aus
_
(85)
/ 0
Ist - Entf.
x
Visus =
,
_ , , ,
angegebener Sehschärfewert.
Soll-Entf.
Beispiel: Wird eine Sehzeichenreihe aus 5 m Entfernung projiziert (Soll-Entfernung) und werden aus einer Entfernung von
4 m (Ist-Entfernung) als kleinste Zeichen diejenigen mit dem
Sehschärfewert 0,8 erkannt, so beträgt der Visus 0,64.
Die freie Sehschärfe (visus naturalis) oder der Visus sc (visus
sine correctione) ist die Sehschärfe ohne Korrektionsmittel, die
korrigierte Sehschärfe oder der Visus cc (visus cum correctione) ist die Sehschärfe mit Korrektionsmittel.
Die binokulare Sehschärfe ist in der Regel höher als die monokulare.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Rezeptive Felder
Bild 67
Schematische Darstellung des
rezeptiven Feldes eines
On-Zentrum-Neurons
+: Aktivierung durch Lichtreiz.
- : Hemmung durch Lichtreiz
Das Auge
79
Jeder Bereich auf der Netzhaut, in dem eine Anzahl von Netzhautelementen gemeinsam an eine einzelne Nervenfaser (ein
Neuron) angeschlossen ist, stellt ein rezeptives Feld dar. Die
rezeptiven Felder der Netzhaut werden zur Peripherie hin
größer, wodurch das Absinken der Sehschärfe sowie die Z u nahme der Größe der Panumbereiche hauptsächlich verursacht
werden. Rezeptive Felder können sich überschneiden, dann gehört ein einzelnes Netzhautelement zu mehr als einem Feld.
Überschwellige Lichtreize im rezeptiven Feld eines Neurons
ändern dessen Erregungszustand. Dabei ist die Erregung eines
sogenannten On-Zentrum-Neurons um so größer, je stärker das
Zentrum seines rezeptiven Feldes beleuchtet wird, wogegen
die Beleuchtung der meist kreisförmigen Peripherie dieses
rezeptiven Feldes zur Hemmung führt (Bild 67). Beim OffZentrum-Neuron ist die Auswirkung von Lichtreizen auf
Zentrum und Peripherie umgekehrt. On-Zentrum-Neuronen
und Off-Zentrum-Neuronen werden zusammen auch als HellDunkel-Neuronen bezeichnet.
Die Verteilung der Fläche eines rezeptiven Feldes auf Zentrum
und Peripherie ist veränderlich. Bei der Dunkeladaptation wird
die relative Größe des Zentrums erhöht und die der Peripherie
verringert.
Kontrastsehen
Sehschärfebestimmungen ermitteln das Auflösungsvermögen
bei hohem Kontrast. Ebenfalls große praktische Bedeutung
besitzt die Erkennung von Objekten mit geringem Kontrast.
Die Kontrastschwelle (der geringste wahrnehmbare photometrische Kontrast) hängt von der Größe der Objekteinzelheiten
ab. A l s Sehobjekte zur Bestimmung dieser Abhängigkeit dienen unbewegte Hell-Dunkel-Gittermuster mit sinusförmigem
Verlauf der Leuchtdichte.
Die Anzahl der Sinusperioden (oder Linien) des Gitters pro
Grad des Sehwinkels wird als Ortsfrequenz bezeichnet. Die
höchste Kontrastempfindlichkeit (Kehrwert der Kontrastschwelle: einer Kontrastschwelle von 1 % entpricht damit die
Kontrastempfindlichkeit 100) besteht für Gitter zwischen 2
und 8 Perioden pro Grad und beträgt etwas über 100. Sie
nimmt mit höheren Ortsfrequenzen (engere Gitter) ab. In B i l d
68 ist ein Beispiel für die Kontrastempfindlichkeit (im logarithmischen Maßstab) in Abhängigkeit von der Ortsfrequenz
dargestellt.
Da der Abstand zwischen zwei Linien eines Gitters (vergleichbar mit der Öffnung des Landoltrings) eine halbe
Periode beträgt, kann der „Visus 1" einer halben Periode pro
Sehwinkelminute gleichgesetzt werden und entspricht damit
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Sehschärfe
1,0
1000
-
100
B i l d 68
Perioden
Beispiel einer A b h ä n g i g k e i t der
Kontrastempfindlichkeit von der
Ortsfrequehz
Ortsfrequenz
30
Grad
der Ortsfrequenz 30 Perioden pro Grad. Demgemäß enthält
Bild 68 auch Sehschärfeangaben.
Niedrige Ortsfrequenzen (hohe Kontrastempfindlichkeit, Visus
um 0,2) dienen vorwiegend der räumlichen Orientierung (insbesondere im äußeren Gesichtsfeldbereich), mittlere Ortsfrequenzen (Visus um 0,5) der Erkennung von Formen und hohe
Frequenzen (wie sie bei einer Sehschärfebestimmung gegeben
sind) der Erkennung von Objekteinzelheiten.
Hell-Dunkel-Kontraste werden (nach entsprechender Adaptation) in der Dämmerung und i m Hellen fast gleich empfunden,
da das Kontrastsehen nahezu unabhängig von der Adaptationsleuchtdichte ist (Konstanz des Helligkeitskontrastes). So löst
ein schwarzes Papier im Sonnenlicht die Empfindung Schwarz
aus, obwohl es eine höhere Leuchtdichte hat als ein weißes Papier im Dämmerlicht, das dort die Empfindung Weiß bewirkt.
Tiefensehen
Die visuelle Fähigkeit, Objektentfernungen und deren Unterschiede zu erkennen, wird als Tiefensehen bezeichnet. Dabei
ist zu unterscheiden zwischen dem absoluten Tiefensehen, mit
dem die Entfernung von Objektpunkten vom Beobachter wahrgenommen wird, und dem relativen Tiefensehen, mit dem
Unterschiede in der Entfernung zweier Objektpunkte vom Beobachter wahrgenommen werden (Tiefenunterscheidung).
Der kleinste Entfernungsunterschied zwischen zwei Objektpunkten, der im relativen Tiefensehen wahrnehmbar ist, heißt
Tiefenunterscheidungsstrecke. Angaben darüber beziehen sich
ohne erläuternde Zusätze auf die Stereo-Tiefenunterscheidungsstrecke (siehe S. 101: Tiefensehschärfe).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Richtungssehen
^
2 und c
\ \ 2 und cz
<t
•'vertikaler
Netzhautmeridian
und c
<z und c
j \
horizontaler
Netzhaut-
meridian
Bild 69
Bereiche der Richtungswerte auf der
von hinten betrachteten Netzhaut:
3 rechts. <z links,
c oben, cz unten
Räumliches Sehen
Das Auge
81
Die visuelle Fähigkeit, die (vom Auge aus betrachtet) unterschiedlichen Richtungen zu erkennen, in denen sich verschiedene Objekte im Gesichtsfeld befinden, heißt (monokulares)
Richtungssehen. Im Normalfall wird derjenige Objektpunkt als
„Geradeaus vor dem Auge" lokalisiert, dessen B i l d in der
Mitte der Netzhautgrube entsteht (zentrale Fixation). Die von
den anderen Netzhautstellen vermittelten Richtungsempfindungen beziehen sich auf diesen Richtungswert Geradeaus des
Fixationsortes der Netzhaut (Bezugsblickrichtung).
In der Netzhautstelle mit dem Richtungswert Geradeaus kreuzen sich der vertikale Netzhautmeridian und der horizontale
Netzhautmeridian. Wird eine gerade Objektlinie auf einem
dieser Netzhautmeridiane abgebildet, so wird sie als vertikal
(bzw. horizontal) geradeaus empfunden. In Bild 69 ist dargestellt, daß alle Netzhautstellen rechts (links) vom vertikalen
Netzhautmeridian die Richtungswerte links (rechts) besitzen
und alle Netzhautstellen oberhalb (unterhalb) des horizontalen
Netzhautmeridians die Richtungswerte unten (oben). Ein Objektpunkt, dessen Bildpunkt beispielsweise im rechten unteren
Quadranten der Netzhaut liegt, wird als links oberhalb vom
fixierten Objektpunkt empfunden (c*: und c in Bild 69).
Bei der (seltenen) exzentrischen Fixation wird der angeblickte
Objektpunkt nicht in der Foveolamitte abgebildet.
Durch das gleichzeitige Tiefen- und Richtungssehen ergibt
sich die Wahrnehmung der Anordnung von Objekten im Raum
(räumliches Sehen). Dabei wird unterschieden zwischen dem
nur binokular möglichen querdisparaten Raumsehen oder
Stereosehen (siehe S. 99: Stereopsis,) und dem im wesentlichen monokularen nicht querdisparaten Raumsehen.
Zum nicht querdisparaten Raumsehen tragen bei:
• Geometrische Perspektive,
• Anordnung der Objekte im Bild (weiter oben wird als weiter
hinten empfunden),
• Konturenschärfe (unscharf wird als weiter hinten empfunden), insbesondere durch atmosphärische Einflüsse
(sogenannte Luftperspektive),
• Verteilung von Licht und Schatten,
• Objektüberdeckungen (Überdeckungsperspektive),
• Bewegungsparallaxe,
• Konvergenzimpuls,
• Akkommodationsimpuls,
• Netzhautbildgröße (im Zusammenhang mit der Größenvorstellung).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Farbensehen
Spektrale Empfindlichkeit
Jede in das Auge fallende Strahlung aus dem sichtbaren Teil
des elektromagnetischen Spektrums ruft eine bestimmte Lichtempfindung hervor. Die relative spektrale Empfindlichkeit des
visuellen Systems für monochromatische Strahlungen von
physikalisch gleicher Leistung (sogenanntes energiegleiches
Spektrum) ist in Bild 70 wiedergegeben.
Die Empfindlichkeitskurve der Zapfen (Tagessehen) wird
V(k) -Kurve genannt; sie liegt ungefähr zwischen 380 nm und
750 nm mit einem Maximum bei 555 nm (Wellenlängen in
Luft). Für das Nachtsehen der Stäbchen ist die spektrale
Empfindlichkeitskurve V'(A) gegenüber der V(A)-Kurve
um
knapp 50 nm zu kürzeren Wellenlängen hin verschoben, das
Maximum liegt bei 507 nm.
Durch diese Verschiebung erklärt sich der Purkinje-Effekt:
Im Tagessehen verschiedenfarbig aber gleich hell erscheinende
Objekte werden im Dämmerungs- und Nachtsehen unterschiedlich hell wahrgenommen.
Farbempfindung
400
500
600 nm 700
Wellenlänge / . in Luft
Bild 7(1
Spektraler Hcllempfindlichkeitsgrad
des menschlichen Auges:
V(A)
für das Tagessehen
V'(Ä) für das Nachtsehen
Die Farbe, in der ein Objekt erscheint, ist keine Eigenschaft
dieses Objektes, sondern eine Sinnesempfindung. Die von
einer bestimmten Strahlung (Farbreiz) ausgelöste Farbempfindung ist physiologisch bedingt, und die Zuordnung der
Farbempfindung zur Frequenz (bzw. Wellenläge) der Strahlung ist in Tabelle 4 (S. 40) für die einzelnen Bereiche des
Spektrums angegeben. Die Übergänge zwischen den einzelnen
Spektralbereichen sind dabei gleitend.
Der Buntton ist das Unterscheidungsmerkmal einer bunten
Farbe von einer unbunten Farbe (Weiß, Grau, Schwarz), die
Sättigung gibt den Grad der Buntheit dieser Farbe an (im
Vergleich zum gleich hellen Unbunt), und die Helligkeit kennzeichnet die Stärke der mit jeder Farbempfindung verbundenen
Lichtempfindung. Buntton und Sättigung werden unter dem
Begriff Farbart zusammengefaßt; eine unbunte Farbe besitzt
nur Helligkeit.
Das Farbensehen wird durch die Zapfen vermittelt, die Stäbchen bewirken nur eine unbunte Lichtempfindung. Das normale Farbensehen heißt trichromatisches Sehen, da es durch
drei Empfängerarten vermittelt wird. Diese drei verschiedenen
Zapfenarten werden als S-Zapfen, M-Zapfen und L-Zapfen
bezeichnet, etwas ungenau auch als blauempfindliche, grünempfindliche und rotempfindliche Zapfen, denn die Lage des
Maximums ihrer spektralen Empfindlichkeit liegt für S-Zapfen
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
83
im kurzwelligen, für M-Zapfen im mittelwelligen und für L Zapfen im langwelligen Spektralbereich.
Der Zustand des visuellen Systems, in welchem es sich der
herrschenden Farbe angepaßt hat, heißt Farbstimmung. Wenn
Objekte (nicht zu extrem) farbig beleuchtet werden, dann
erscheinen sie nach einigen Minuten wieder in ihren natürlichen Farben: physiologisch bedingte Farbenkonstanz.
Dreifarbentheorie
Jede Farbe kann durch eine bestimmte additive Mischung aus
drei voneinander unabhängigen Grundfarben erzeugt werden.
Daher ist jede Farbvalenz durch drei Farbmaßzahlen eindeutig
gekennzeichnet, die durch eine Farbmessung bei definierten
Grundfarben ermittelt werden. Bevorzugt benutzt werden die
Maßzahlen des Normvalenz-Systems, dessen Normspektralwerte x, y, z in B i l d 71 über der Wellenlänge aufgetragen
sind.
101
Bild 71
Normspektralwert-Kurven für das
1
1
400
1
500
1
1
600
1
1
700
1
nm
Wellenlänge X in Luft
energiegleiche Spektrum
In der zugehörigen Normfarbtafel (Bild 72) entspricht jede
Farbart einem Punkt (Farbort) mit den Koordinaten x, y, z;
dabei ist x + y + z = 1. Alle Farbörter der Spektralfarben
liegen auf dem Spektralfarbenzug. Diese Kurve ist nicht geschlossen; ihre Endpunkte werden durch die Purpurgerade
verbunden. Innerhalb des durch Spektralfarbenzug und Purpurgerade gegebenen Bereiches liegen die Farbörter aller herstellbaren Farbarten.
Der Farbort des energiegleichen Spektrums ist der Unbuntpunkt mit den Koordinaten x = y = z = 4-. Punkte des Spektralfarbenzuges, die mit dem Unbuntpunkt auf einer Geraden
liegen, kennzeichnen sogenannte Kompensationsfarben (ungenau auch als Komplementärfarben bezeichnet).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
is
|
0,2
e
CD
S
•e
0,1
I
o
2
0
Bild 72
0
Normfarbtafel (Farbtafel des
Normvalenz-Systems)
Normfarbwertanteil
Farbsinnstörungen
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
x
Bei Störungen des normalen trichromatischen Sehens wird
zwischen folgenden Farbsinnstörungen (früher Farbenfehlsichtigkeiten genannt) unterschieden:
1. Anomale Trichromasie (früher Farbensehschwäche),
2. Dichromasie (früher partielle Farbenblindheit),
3. Monochromasie (früher totale Farbenblindheit).
Anomale Trichromasie beruht auf einer Fehlfunktion des
Photopigments einer der drei Zapfenarten. Bei Protanomalie
betrifft dies die L-Zapfen, bei Deuteranomalie die M-Zapfen
und bei Tritanomalie die S-Zapfen.
Bei Dichromasie sind nur zwei der normalen drei Empfindlichkeitsfunktionen der Zapfen wirksam. Unterschieden wird
nach dem vorwiegend ausgefallenen Spektralbereich zwischen
Protanopie, Deuteranopie und Tritanopie. Bei Monochromasie
werden alle Farben nur unbunt empfunden.
In Tabelle 12 und 13 sind frühere Benennung, Häufigkeit und
Auswirkungen für die verschiedenen Farbsinnstörungen zusammengestellt.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Tabelle 12
anomale Trichromasie
Typus
Merkmale der F a r b s i n n s t ö r u n g
Protanomalie
Deuteranomalie
Tritanomalie
Rotschwäche
Grünschwäche
Blauschwäche
Häufigkeit
männlich
weiblich
etwa 1 %
unter 0,1 %
etwa 5 %
unter 0,3 %
sehr selten
nie beobachtet
spektrale
Hellempfindlichkeit
rotes
Spektralende
verdunkelt
praktisch
normal
?
anomale Trichromasie
frühere
Benennung
Typus
Dichromasie
Tritanopie
Deuteranopie
Protanopie
Partielle Farbenblindheit
Monochromasie
frühere
Benennung
Rotblindheit
Grünblindheit
Blaublindheit
Totale
Farbenblindheit
Häufigkeit
männlich
weiblich
etwa 1 %
sehr selten
etwa 2 %
sehr selten
sehr selten
sehr selten
etwa 0,02 %
sehr selten
nur rötliche
und grünliche
Bunttöne
alle bunten
Farben fehlen
9
praktisch normal
(skotopisch 512 nm)
Farbempfindung
spektrale
photopische
Hellempfindlichkeit
Rot, Grün und Gelb werden
verwechselt
Maximum bei
etwa 530 nm
praktisch
normal
unbunte Stelle zwischen 486 nm zwischen 490 nm
und 500 nm
im Spektrum
und 495 nm
Verkürzung
am Rotende
Tabelle 13
Merkmale der F a r b s i n n s t ö r u n g e n
Dichromasie und Monochromasie
keine
bei 450 nm und
bei 570 nm
am Blauende
am Rotende
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
86
Das Auge
Monokulare Rechtsichtigkeit
Emmetropie
Ein Auge heißt emmetrop (monokular rechtsichtig), wenn sein
Fernpunkt im Unendlichen liegt. Die Fernpunktrefraktion ist
Null ( A = 0 ) . Dabei ist unabhängig von der Größe des
Augenbrechwertes D
nur das richtige Verhältnis dieses
Brechwertes zur Baulänge des Auges maßgebend, denn der
bildseitige Brennpunkt F'
des Auges m u ß auf der Netzhaut
liegen, damit dort ein (unendlich) fernes Objekt scharf abgebildet wird. Da der Nahpunkt eines emmetropen Auges in
endlichem Abstand vor dem Auge liegt, ergibt sich ein reeller
Akkommodationsbereich (Zusatztabelle 2, S. 309).
R
R
ALL
Tabelle 14
Akkommodation
entspannt maximal
Daten des vereinfachten schematischen Auges nach Gullstrand
Brechzahlen:
Kammerwasser und Glaskörper
Augenlinse
Brechwerte:
Hornhaut
Augenlinse
gesamtes Augensystem
Schematisches Auge
1,336
1,413
1,336
1,424
(dpt)
43,08
20,53
59,74
43,08
33
70,54
Brennweite des Gesamtsystems:
objektseitig
bildseitig
-16,74
22,36
(mm)
-14,17
18,94
Krümmungsradien:
Hornhaut
vordere Fläche der Augenlinse
hintere Fläche der Augenlinse
7,8
10
-6
7,8
5,33
-5,33
Orte, gemessen ab Hornhautscheitel:
Augenlinse
vorderer Hauptpunkt des Systems
hinterer Hauptpunkt des Systems
vorderer Knotenpunkt des Systems
hinterer Knotenpunkt des Systems
vorderer Brennpunkt des Systems
hinterer Brennpunkt des Systems
Netzhautgrube
5,85
1,5
1,63
7,12
7,25
-15,24
23,99
24
52
1,83
2,02
6,6
6,79
-12,34
20,96
24
Aus vielen Reihenmessungen haben sich Durchschnittswerte
der geometrischen und optischen Größen für das emmetrope
Auge ergeben, aus denen Gullstrand zwei Augenmodelle er-
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
87
rechnet hat, das exakte schematische Auge und das vereinfachte schematische Auge, bei dem Hornhaut und Augenlinse
als unendlich dünn angenommen werden (Tabelle 14).
Farbenfehler
Die bei jedem optischen Medium auftretende Dispersion bewirkt auch beim Auge Farbenfehler (chromatische Aberration,
siehe B i l d 37, S. 38). Durch den Farbenquerfehler entstehen
unterschiedlich große Netzhautbilder in den einzelnen Farben.
Die Auswirkung des Farbenlängsfehlers ist in B i l d 73 dargestellt, wobei das Auge für die Wellenlänge 680 nm als
emmetrop angenommen wurde. Dann ist es für ungefähr
490 nm um 1 dpt myop. Violette Lichtreklamen erscheinen
dem emmetropen Auge daher unscharf.
CD
400
500
700
600 nm 700
0
1,0
2,0
dpt
3,0
Akkommodation
Wellenlänge X in Luft
B i l d 73
B i l d 74
Chromatische Aberration des Auges
E i n s t e l l w e l l e n l ä n g e des Auges im
w e i ß e n Licht in A b h ä n g i g k e i t von der
Objektentfernung
Einstellwellenlänge
Die Abbildung eines Objektes auf der Netzhaut mit weißem
Licht liefert aufgrund des Farbenlängsfehlers hintereinanderliegende Bildorte für die einzelnen Farben, wobei das rote B i l d
die größte, das blaue die kleinste Bildweite besitzt. Diejenige
Wellenlänge, deren zugehöriges B i l d vom visuellen System
vorrangig verarbeitet wird, heißt Einstellwellenlänge.
Die Einstellwellenlänge hängt von der Objektentfernung (Akkommodation) ab. B e i Einstellung auf den Fernpunkt (also
ohne Akkommodation) werden von den meisten Augen die
Strahlen der Wellenlänge etwa 685 nm (rotes Licht) auf der
Netzhaut vereinigt; es herrscht keine Übereinstimmung mit
dem Maximum des spektralen Hellempfindlichkeitsgrades für
photopisches Sehen. B e i geringerer Objektentfernung nutzt das
Auge in der Regel seine chromatische Aberration aus und geht
zu kürzeren Einstellwellenlängen über (um eine entsprechende
Brechwerterhöhung einzusparen). Dieser Zusammenhang zwischen Objektentfernung (Akkommodation) und Einstellwellenlänge ist in Bild 74 wiedergegeben.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
88
Das Auge
Monokulare Fehlsichtigkeit
Ametropie
Ein Auge heißt ametrop (monokular fehlsichtig), wenn sein
Fernpunkt nicht im Unendlichen liegt. Ein (unendlich) ferner
Objektpunkt wird dann auf der Netzhaut nicht mehr als Punkt
abgebildet.
Besitzt das Auge kugelförmige Begrenzungsflächen der
Hornhaut und Linse, so liegen in allen Meridianebenen die
gleichen optischen Verhältnisse vor, das Auge ist sphärisch
ametrop. Findet jedoch nur in zwei zueinander senkrecht
stehenden Meridianebenen (den Hauptschnitten) eine Vereinigung der gebrochenen Strahlen statt, so ist das Auge astigmatisch ametrop.
Myopie
Ein Auge heißt myop (kurzsichtig), wenn sein Fernpunkt in
endlichem Abstand reell vor dem Auge liegt (Bild 75a). Die
Fernpunktrefraktion ist negativ ( A < 0 ) . Das kurzsichtige
R
Auge besitzt meist eine im Verhältnis zum Brechwert des
Durchschnittsauges zu große Baulänge (Längenmyopie) oder
gelegentlich einen im Verhältnis zur Baulänge des Durchschnittsauges zu hohen Brechwert D
R
(Brechwertmyopie).
Bild 75
Myopes Auge (akkommodationslos):
a)
Fernpunkt R.
b) Brennpunkt F ^
b)
u
Der bildseitige Brennpunkt F'
des akkommodationslosen
Auges liegt vor der Netzhaut im Inneren des Auges, und ein
(unendlich) fernes Objekt wird auf der Netzhaut unscharf in
Zerstreuungskreisen abgebildet (O' in Bild 75b). Da der Nahpunkt eines kurzsichtigen Auges ebenfalls reell vor dem Auge
liegt, ergibt sich ein reeller Akkommodationsbereich (Zusatztabelle 2, S. 309).
AU
-3,0 d p t - 2 , 0
-1,0
Fernpunktrefraktion Ap
Bild 76 zeigt die relative Sehschärfe im akkommodationslosen
Zustand in Abhängigkeit von der Stärke der Myopie. Durch
Akkommodation würde der Visus des kurzsichtigen Auges
weiter verringert, da der Brennpunkt F' dann noch weiter vor
die Netzhaut gelangte, was größere Zerstreuungskreise für das
Bild des fernen Objektes zur Folge hätte. Nur durch negative
Akkommodation könnte der Visus erhöht werden.
AU
B i l d 76
Relative Visusverringerung bei
Myopie
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Hyperopie
Das Auge
Ein Auge heißt hyperop (übersichtig), wenn sein Fernpunkt
virtuell hinter dem Auge liegt (Bild 77a). Die Fernpunktrefraktion ist positiv ( A > 0). Das übersichtige Auge besitzt meist
R
eine i m Verhältnis zum Brechwert des Durchschnittsauges zu
kurze Baulänge (Längenhyperopie) oder gelegentlich einen im
Verhältnis zur Baulänge des Durchschnittsauges zu geringen
Brechwert D
R
(Brechwerthyperopie). Der Brennpunkt F ^
u
des akkommodationslosen Auges liegt hinter der Netzhaut,
und ein (unendlich) fernes Objekt wird auf der Netzhaut
B i l d 77
Hyperopes Auge
(akkommodationslos):
a) Fernpunkt R,
b) Brennpunkt F ^
u
unscharf in Zerstreuungskreisen abgebildet (O' in B i l d 77b).
Die Lage des Nahpunktes richtet sich nach dem maximalen
Akkommodationserfolg des Auges. Ist dieser kleiner als die
Fernpunktrefraktion ( A A
M M
<A
R
), so ist auch der Nahpunkt
virtuell, und es ergibt sich ein virtuelles Akkommodationsgebiet (Zusatztabelle 2, S. 309). Im Fall von AA
=A
MM
der Nahpunkt im Unendlichen, und bei AA^
>A
R
R
liegt
befindet
sich der Nahpunkt reell vor dem Auge, wodurch ein Teil des
Akkommodationsgebietes reell ist. Durch entsprechende A k kommodation wird der Visus des übersichtigen Auges erhöht,
da der Brennpunkt F ^ dann dichter an die Netzhaut gelangt,
u
was kleinere Zerstreuungskreise für das ferne Objekt ergibt.
Beim Akkommodationserfolg AA = A
R
liegt F'
AU
auf der
Netzhaut und das ferne Objekt wird scharf gesehen.
Astigmatismus
Ein astigmatisch ametropes Auge besitzt zwei verschiedene
Fernpunktlagen für die beiden Hauptschnitte mit den Brechwerten D
und D . Beim Auge unterscheidet sich die
Benennung der Hauptschnitte in erster (mit dem höheren
Brechwert D | ) und zweiter (mit dem geringeren Brechwert
D |,) von derjenigen beim Korrektionsglas, bei dem der
zweite Hauptschnitt derjenige mit dem mathematisch höheren
Brechwert ist (siehe S. 33). Durch diese Konvention wird der
erste Hauptschnitt des Auges mit dem ersten Hauptschnitt des
Glases korrigiert.
R I
R I I
R
R
90
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Beim häufigen Astigmatismus nach der Regel (astigmatismus
rectus) steht der erste Hauptschnitt mit dem höheren Brechwert
annähernd senkrecht (etwa 70° bis 110° im Gradbogenschema). Beim Astigmatismus gegen die Regel (astigmatismus
inversus) liegt der stärker brechende Hauptschnitt annähernd
horizontal (etwa 0° bis 20° oder 160° bis 180°). Bei den
übrigen Hauptschnittrichtungen handelt es sich um einen
schiefen Astigmatismus (astigmatismus obliquus).
Jeder der beiden Hauptschnitte kann für sich emmetrop, myop
oder hyperop sein, wobei sich als Bild eines (unendlich) fernen
Objektpunktes jeweils eine Linie ergibt. Die weitere Benennung des Astigmatismus richtet sich deshalb nach der Lage
dieser Brennlinien relativ zur Netzhaut im akkommodationslosen Zustand. Bild 78 zeigt die fünf möglichen Fälle:
1. Übersichtig zusammengesetzter Astigmatismus
(astigmatismus hyperopicus compositus):
Beide Brennlinien liegen hinter der Netzhaut.
2. Übersichtig einfacher Astigmatismus
(astigmatismus hyperopicus symplex):
Die erste Brennlinie liegt auf der Netzhaut, die zweite
Brennlinie hinter der Netzhaut.
3. Gemischter Astigmatismus (astigmatismus mixtus):
Die erste Brennlinie liegt vor der Netzhaut, die zweite
Brennlinie hinter der Netzhaut.
4. Kurzsichtig einfacher Astigmatismus
(astigmatismus myopicus symplex):
Die erste Brennlinie liegt vor der Netzhaut, die zweite
Brennlinie auf der Netzhaut.
5. Kurzsichtig zusammengesetzter Astigmatismus
(astigmatismus myopicus compositus):
Beide Brennlinien liegen vor der Netzhaut.
Bild 78
Benennung des Astigmatismus
nach der relativen Lage von
Netzhaut und Brennlinien:
Die Ziffern entsprechen der
A u f z ä h l u n g im Text
Der Strahlenverlauf nach der Brechung ähnelt einem Sturmschen Konoid (Bild 31, S. 33).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Aug«
Es gibt Hornhautastigmatismus und Linsenastigmatismus
(Hornhautastigmatismus ist der häufigere), beide zusammen
(aber nicht einfach additiv) bilden den Gesamtastigmatismus.
Der Unterschied zwischen Gesamtastigmatismus und Hornhautastigmatismus wird bisweilen Restastigmatismus genannt.
Aphakie
Tabelle 15
Ist ein Auge aphak (linsenlos), so ist es in der Regel auf
Korrektionsgläser für Ferne und Nähe angewiesen. Wird die
Augenlinse bei der Operation eines grauen Stars (Katarakt)
entfernt, so wird häufig unmittelbar eine künstliche Augenlinse
implantiert, wodurch im günstigsten Fall nur noch eine
Korrektion für das Sehen in die Nähe erforderlich ist. Wird
keine Implantatlinse eingesetzt, dann kann die aus dem Auge
entfernte Linse durch ein Brillenglas oder eine Kontaktlinse
hoher positiver Wirkung ersetzt werden. Bei Kontaktlinsenkorrektion für die Ferne kann noch zusätzlich ein Brillenglas
für die Nähe benutzt werden.
Tabelle 15 gibt die Daten für das schematische linsenlose
Auge. Einseitige Aphakie führt bei Brillenglaskorrektion zu
stark unterschiedlichen Bildgrößen in beiden Augen, was eine
Aniseikonie zur Folge hat, durch die das Binokularsehen empfindlich gestört werden kann.
Brechzahl von Kammerwasser und Glaskörper
1,336
Daten des schematischen linsenlosen
Auges
Brechwert von Hornhaut und Auge
Fernpunktrefraktion
Orte, gemessen ab Homhautscheitel:
Hauptpunkte
vorderer Brennpunkt
hinterer Brennpunkt
Pupille
Netzhautgrube
Krümmungsradius der Hornhaut
(dpt)
43,08
12,59
(mm)
0
-23,21
31,01
3,6
24
7,8
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Auge
Monokulare Sehprüfung
Refraktive
Vollkorrektion
Ziel einer Refraktionsbestimmung ist im allgemeinen die Ermittlung des refraktiv vollkorrigierenden Brillenglases, das die
vorhandene Ametropie des Auges vollständig ausgleicht. M i t
diesem Vollkorrektionsglas wird die höchste Sehschärfe erreicht, und der Fernpunkt R
(des Systems BrillenglasAuge) liegt wie bei einem emmetropen Auge im Unendlichen.
Dazu muß der bildseitige Brennpunkt Fg des Brillenglases
mit dem Fernpunkt R des Auges zusammenfallen. Diese
Bedingung ist in B i l d 79 veranschaulicht.
c c
r
Bild 79
Refraktive Vollkorrektion ( R
ce
in - oo):
a) bei Myopie,
b) bei Hyperopie
Da beim Sehen in die Ferne die Akkommodation entspannt
sein soll, gilt als allgemeine Korrektionsregel:
Das günstigste Glas ist das stärkste Plusglas oder das schwächste Minusglas, mit dem die höchste Sehschärfe erreicht wird.
Bei astigmatischer Ametropie des Auges muß die Vollkorrektion für beide Hauptschnitte ermittelt werden; sie kann durch
Gläser mit astigmatischer Wirkung erfolgen. Das beste sphärische Glas ist dasjenige, welches (für ferne Objekte) den Ort
des Kreises kleinster Verwirrung auf die Netzhaut verlegt.
Objektive Verfahren
Bei objektiven Verfahren zur Refraktionsbestimmung (reflektorische Refraktionsbestimmung) ist keine aktive Mitarbeit des
Klienten notwendig. Die wichtigsten Hilfsmittel sind Skiaskop
und Augenrefraktometer. Zur Messung der Krümmungsradien
der Hornhaut dient das Ophthalmometer.
Subjektive Verfahren
Bei subjektiven Verfahren zur Refraktionsbestimmung (apperzeptive Refraktionsbestimmung) ist eine aktive Mitarbeit des
Klienten notwendig. Die gebräuchlichsten Verfahren beruhen
auf einer Visusbestimmung und der Verbesserung des Visus
durch entsprechende Refraktionsmeßgläser. Über die Visusänderung muß der Klient anhand von Sehproben Auskunft
geben Die wichtigsten Hilfsmittel neben entsprechenden Sehproben sind Meßbrille mit Meßgläsersatz oder Phoropter.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
93
Das Augenpaar
Fusion und Vergenz
Binokulares Einfachsehen
Simultansehen bedeutet gleichzeitiges Sehen mit beiden
Augen. Wenn beim Simultansehen die beiden monokularen
Seheindrücke zu einer gemeinsamen, einfachen Wahrnehmung
verschmelzen, liegt binokulares Einfachsehen vor.
Als Fusion wird die Gesamtheit der Vorgänge bezeichnet, die
aufgrund der von den Objekten ausgehenden Fusionsreize zum
binokularen Einfachsehen führen und dieses aufrechterhalten.
Diese Vorgänge sind weitgehend unbewußt (Fusionszwang).
Dabei greifen motorische und sensorische Fusion ineinander.
Motorische Fusion bewirkt mit Hilfe der Augenbewegungsmuskeln eine Vergenz, um die Augen möglichst genau auf das
Fusionsobjekt auszurichten.
Sensorische Fusion bewirkt binokulares Einfachsehen mit
Hilfe von Schaltvorgängen im Nervensystem, auch bei geringfügigen Disparationen, das heißt wenn die beiden zusammengehörigen monokularen Bilder im Augenpaar nicht genau auf
korrespondierenden Netzhautstellen liegen.
Das Fusionsblickfeld ist der Bereich des binokularen Blickfeldes, in dem Fusion möglich ist.
Vergenz und Version
Vergenz ist eine gegensinnige, gleich große Bewegung der
Fixierlinien beider Augen (Fixierlinienvergenz) oder der Netzhautmeridiane beider Augen (Zyklovergenz). Wird nur von
Vergenz gesprochen, so ist die Fixierlinienvergenz gemeint.
Die Komponenten der Vergenz sind die Horizontalvergenz
und die Vertikalvergenz.
Hierbei sind zu unterscheiden:
1. Konvergenz (positive Horizontalvergenz): Die Fixierlinien
beider Augen bewegen sich nach innen.
2. Divergenz (negative Horizontalvergenz): Die Fixierlinien
beider Augen bewegen sich nach außen.
3. Positive Vertikalvergenz: Die Fixierlinie des rechten Auges
bewegt sich nach oben, die des linken nach unten.
4. Negative Vertikalvergenz: Die Fixierlinie des rechten
Auges bewegt sich nach unten, die des linken nach oben.
Gleichsinnige, gleich große Bewegungen beider Augen ( z . B .
Blick- und Spähbewegungen) heißen Versionen. Die einzelnen
Versionen sind in Tabelle 16 zusammengestellt.
Die im natürlichen Sehen ausgeführten Augenbewegungen
sind überwiegend Kombinationen aus Vergenz und Version.
Benennung
Dextroversion
Lävoversion
Supraversion
Infraversion
Bewegung
nach
rechts
links
oben
unten
Tabelle 16
Benennung der verschiedenen
Versionen und z u g e h ö r i g e Bewegung
der Fixierlinien beider Augen
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
94
Vergenzstellungen
Das Augenpaar
Die Vergenzstellung eines Augenpaares wird bestimmt durch
den Winkel zwischen den Fixierlinien beider Augen (Fixierlinienvergenzstellung) und durch den Winkel zwischen den
vertikalen Netzhautmeridianen beider Augen (Zyklovergenzstellung). Wird nur von Vergenzstellung gesprochen, so ist die
Fixierlinienvergenzstellung gemeint.
Die Komponenten der Vergenzstellung sind die Horizontalvergenzstellung und die Vertikalvergenzstellung.
Hierbei sind zu unterscheiden:
1. Konvergenzstellung (positive Horizontalvergenzstellung):
Die Fixierlinien beider Augen sind nach innen gerichtet.
2. Divergenzstellung (negative Horizontalvergenzstellung):
Die Fixierlinien beider Augen sind nach außen gerichtet.
3. Positive Vertikalvergenzstellung: Die Fixierlinie des
rechten Auges ist höher gerichtet als die des linken.
4. Negative Vertikalvergenzstellung: Die Fixierlinie des
rechten Auges ist tiefer gerichtet als die des linken.
Schneiden sich die Fixierlinien beider Augen im angeblickten
Objektpunkt, so liegt Binokularsehen mit bizentraler Fixation
vor. Hierbei befindet sich das Augenpaar in der zu dieser
Objektentfernung gehörigen (Fixierlinien-)Orthostellung. Genau genommen sind die Augen erst dann in der Orthostellung,
wenn zusätzlich die Vertikalmeridiane beider Augen einander
parallel sind (Zyklo-Orthostellung).
Die zum Sehen mit bizentraler Fixation erforderliche Vergenzstellung kann durch optische Mittel (z. B. Prismen) verändert
werden (Bild 80). Adduzierende optische Mittel (z. B . Prismen
mit Basis außen, B i l d 80a) verändern die zum Sehen mit
bizentraler Fixation erforderliche Vergenzstellung in konvergenter Richtung, abduzierende optische Mittel ( z . B . Prismen
mit Basis innen, B i l d 80b) in divergenter Richtung.
Zyklovergenzstellungen können durch optische Mittel nicht
beeinflußt werden.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
95
Ruhestellungen
Zu jeder akkommodativen Einstellung eines Augenpaares gehört eine anstrengungsärmste Vergenzstellung, die (Vergenz-)
Ruhestellung. Die Ruhestellung bei Fernpunkteinstellung der
Akkommodation heißt Fernruhestellung. Zu unterscheiden
sind die fusionsreizfreie und die optometrische Ruhestellung.
Die fusionsreizfreie Ruhestellung (früher auch Phoriestellung
genannt) wird bei aufgehobenen Fusionsreizen ermittelt, die
optometrische Ruhestellung dagegen bei vorhandenen Fusionsreizen (wie sie im natürlichen Sehen stets gegeben sind).
Beide Ruhestellungen können sich im Betrag, aber auch in der
Richtung unterscheiden.
Zu verschiedenen Adaptationszuständen der Augen können
ebenfalls unterschiedliche Ruhestellungen gehören. V o n besonderer praktischer Bedeutung ist die im photopischen Sehen
zu ermittelnde optometrische Fern-Hellruhestellung.
Fusionsbreiten
Soll das Fusionsvermögen eines Augenpaares gemessen werden, so wird durch optische Mittel ( z . B . Prismen) eine Änderung der Vergenzstellung erzwungen, wobei ein Objekt mit
hoher Anforderung an die Sehschärfe in unveränderter Entfernung einen konstanten Akkommodationsreiz und gleichzeitig
Fusionsreize liefert. Das Konvergenzvermögen kann mit Prismen Basis außen, das Divergenzvermögen mit Prismen Basis
innen bestimmt werden (Bild 80). Bei zunehmender Änderung
der Vergenzstellung der Augen infolge einer allmählichen
Verstärkung des Meßprismas ist mit dem Nebelpunkt
(Unschärfepunkt, blur point) derjenige Schwellenwert erreicht,
bei dem das binokular einfach gesehene Objekt gerade
unscharf wird. Diese Unscharfe entsteht, weil sich aufgrund
der Kopplung zwischen Vergenz und Akkommodation die
Einstellrefraktion der Augen geändert hat. Tritt bei weiterer
Verstärkung
des
Meßprismas
und
unverändertem
Akkommodationsreiz gerade Doppeltsehen ein, dann ist der
Abreißpunkt (Diplopiepunkt, break point) erreicht.
Ist der Abreißpunkt überschritten worden, und wird das Meßprisma nun wieder allmählich abgeschwächt, so setzt das binokulare Einfachsehen meist nicht wieder unmittelbar beim
Abreißpunkt ein, sondern erst etwas später. Dieser Schwellenwert, bei welchem unter konstantem Akkommodationsreiz
vom Doppeltsehen her kommend gerade wieder binokulares
Einfachsehen eintritt, wird als Wiedervereinigunspunkt (Verschmelzungspunkt, recovery point) bezeichnet.
Die relative Konvergenzbreite und die relative Divergenzbreite
rechnen von der Ruhestellung bis zu den entsprechenden
Nebelpunkten, die absoluten Breiten bis zu den Abreißpunkten. Die horizontale Fusionsbreite setzt sich zusammen
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
aus der Konvergenzbreite (positiver Teil der horizontalen
Fusionsbreite) und der Divergenzbreite (negativer Teil der
horizontalen Fusionsbreite). Die vertikale Fusionsbreite wird
entsprechend ermittelt, und alle Fusionsbreiten werden in der
Einheit cm/m angegeben.
Wird von der Fernpunkteinstellung der Akkommodation aus
gemessen, so ist die absolute Konvergenzbreite im allgemeinen größer als die relative, die absolute Divergenzbreite ist
jedoch meist gleich der relativen (d.h. Nebelpunkt und
Abreißpunkt fallen zusammen), da eine negative Akkommodation durch Divergenzimpulse allein schwer möglich ist.
Alle Fusionsbreiten sind individuell stark unterschiedlich.
Meist ist die Konvergenzbreite am größten, die vertikale Fusionsbreite am kleinsten.
Die Konvergenzreserve und die Divergenzreserve werden von
der Orthostellung aus gemessen, wobei sinngemäß ebenfalls
zwischen relativer und absoluter Reserve unterschieden wird.
Die Summe aus Konvergenz- und Divergenzreserve ist stets
ebenso groß wie die Summe aus Konvergenz- und Divergenzbreite (siehe B i l d 86, S. 107).
Durch die relativen Größen wird derjenige fusionale Vergenzbereich gekennzeichnet, in dem das Fusionsobjekt (wenigstens
kurzzeitig) binokular einfach und scharf gesehen werden kann.
Die absoluten Größen enthalten darüber hinaus den Bereich, in
welchem zwar noch binokulares Einfachsehen erreicht wird,
das Fusionsobjekt aber aufgrund der Kopplung zwischen Vergenz und Akkommodation bereits unscharf erscheint.
Vergenzanteile
Zum normalen binokularen Einfachsehen ist eine von der
Entfernung des angeblickten Objektes abhängige (Vergenz-)
Arbeitsstellung erforderlich, wobei die Orthostellung die ideale
Arbeitsstellung ist. Beim Sehen mit Fixationsdisparation (siehe
S. 105) weicht die Arbeitsstellung entsprechend der Richtung
und Größe der Fixationsdisparation von der Orthostellung ab.
Bei der zum Erreichen einer Arbeitsstellung nötigen Vergenz
werden vier (in cm/m angegebene) Anteile unterschieden:
1. tonische Vergenz,
2. akkommodative Horizontalvergenz,
3. psychische (proximale) Horizontalvergenz und
4. fusionale Vergenz.
Jede Vergenz ist ein Vorgang, der einen Zustand Vergenzstellung in einen anderen überführt. Die tonische Vergenz
bewirkt die Änderung der Vergenzstellung aus der Schlafstellung des Augenpaares in die Fern-Hellruhestellung.
Die akkommodative Horizontalvergenz beschreibt die Änderung der Ruhestellung gegenüber der Fern-Hellruhestellung,
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
97
wenn ein Akkommodationsreiz auftritt und dadurch eine mit
der Akkommmodation gekoppelte Einwärtsbewegung der
Augen hervorgerufen wird. Der Grad der Kopplung zwischen
der Akkommodation und der Einwärtsbewegung der Augen
wird durch den ACA-Gradienten wiedergegeben:
,„
(86)
. _ . _ ,.
akkommodative Vergenz
A C A - Gradient =
.
Akkommodation
Der ACA-Gradient wird in der Einheit cm (gleich cm/m pro
dpt) angegeben. Er kann gemessen werden, indem bei Aufhebung der Fusionsreize und bei konstanter Objektentfernung der
Akkommodationsreiz für beide Augen gemeinsam durch optische Mittel verändert wird.
Eine psychische Horizontalvergenz wird durch die Vorstellung
der Nähe oder Ferne hervorgerufen; dabei stellt die proximale
Konvergenz eine Einwärtsbewegung der Augen dar, die bei
nahen realen Objekten durch das „Bewußtsein der Nähe"
ausgelöst wird (Instrumenten- oder Apparatekonvergenz).
Die Größe der psychischen Horizontalvergenz wird zusammen
mit der akkommodativen Vergenz durch den ACA-Quotienten
dargestellt:
(87)
A C A - Quotient =
akkomm.-i- psych. Vergenz
Akkommodation
Der ACA-Quotient wird in der gleichen Einheit angegeben wie
der ACA-Gradient und ist größer als dieser. Gemessen werden
kann der ACA-Quotient, indem bei Aufhebung der Fusionsreize der Akkommodationsreiz durch Änderung der Objektentfernung verändert wird.
Durch tonische, akkommodative und psychische Vergenz erreicht das Augenpaar die zu der betreffenden Objektentfernung
gehörige (Vergenz-)Ruhestellung. Ist diese Ruhestellung noch
keine Arbeitsstellung, so ist zum normalen binokularen Einfachsehen eine weitere Vergenz notwendig, die als fusionale
Vergenz bezeichnet wird. Werden die Fixierlinien beider
Augen durch die fusionale Vergenz von der Ruhestellung bis
in die Orthostellung (ideale Arbeitsstellung) überführt, dann
liegt Sehen mit bizentraler Fixation vor und damit sensorisch
ideales binokulares Einfachsehen. Reicht jedoch die fusionale
Vergenz dafür nicht ganz aus, dann tritt Fixationsdisparation
ein, durch welche normales binokulares Einfachsehen (trotz
geringer Fehlstellung der Augen) sichergestellt wird; dies ist
aber sensorisch nicht ideal.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
nicht fixierter Obiektpunkt
\
fixierter Objektpunkt
-y A
P
Foveolamitte -
Bild 81
Zusammenhang zwischen der
stereoskopischen Parallaxe y
p
und dem Stereowinkel 9:
K Knotenpunkt
Stereopsis
Das Augenpaar
99
Alle auf dem Horopter liegenden Objektpunkte liefern orthopetale, das heißt zur Orthostellung hinziehende Fusionsreize.
Nicht auf dem Horopter befindliche Objekte verursachen
orthofugale, das heißt von der Orthostellung wegziehende
Fusionsreize. Bei den horizontal wirkenden orthofugalen
Fusionsreizen wird unterschieden zwischen esopetalen (nach
innen ziehenden) Fusionsreizen, die im natürlichen Sehen von
Objekten vor dem Horopter ausgehen, und exopetalen (nach
außen ziehenden) Fusionsreizen, die von Objekten hinter dem
Horopter ausgehen.
Jede zu irgendeiner Netzhautstelle des anderen Auges korrespondierende Netzhautstelle ist von einem Bereich umgeben,
in dem es bei hinreichender Gleichheit der Bilder trotz disparater Abbildung zur Fusion der monokularen Seheindrücke
kommt. Diese kleinen Bereiche heißen Panumbereiche und
besitzen ungefähr die Form einer liegenden Ellipse.
Literaturangaben über die horizontale Ausdehnung des zur
Foveolamitte gehörigen zentralen Panumbereichs schwanken
in Abhängigkeit von der Meßmethode zwischen einigen
Winkelminuten und etwa einem Winkelgrad (Knotenpunktwinkel). Die Panumbereiche werden von der Mitte der Netzhautgrube zum Rande der Netzhaut hin größer.
Liegen die Korrespondenzzentren beider Augen innerhalb des
zentralen Panumbereichs, so liegt normale Korrespondenz vor.
Befindet sich jedoch ein Korrespondenzzentrum außerhalb des
zentralen Panumbereiches, dann handelt es sich um anomale
Korrespondenz, was nur als Folge einer Heterotropie (S. 108)
auftreten kann.
Bei normalem Binokularsehen können Entfernungs- und Richtungsunterschiede zwischen gleichzeitig sichtbaren Objekten
allein aufgrund unterschiedlich querdisparater Bildlagen im
Augenpaar wahrgenommen werden. Dieses querdisparate
Raumsehen heißt Stereopsis (Stereosehen). Unterschiedlich
vertikaldisparate Abbildungen liefern dagegen keine räumliche
Wahrnehmung. A l s M a ß für die Größe einer Querdisparation
dient der Knotenpunktwinkel, unter dem die stereoskopische
Parallaxe y erscheint, er heißt Stereowinkel Ä
Bild 81 erläutert diesen Zusammenhang und zeigt, daß die
Größe der stereoskopischen Parallaxe für einen nicht auf dem
Horopter befindlichen Raumpunkt von der Entfernung a der
Bezugsebene vom Augenpaar abhängt:
(88)
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
100
Das Augenpaar
Bei der Anwendung auf stereoskopische Bildpaare wird die
stereoskopische Parallaxe in der Bildebene gemessen (siehe
Bild 84, S. 102).
Bei gleicher Anordnung realer Objekte ist der Stereowinkel
um so größer, je größer der Pupillenabstand p der Augen ist.
Ist der Abstand Aa zwischen dem Fixationsobjekt und dem
Stereoobjekt klein gegenüber der Entfernung a des Fixationsobjektes, dann ist der Stereowinkel:
(89)
9 =
^ . .
a
Ein größerer Stereowinkel liefert bei gleicher realer Objekttiefe eine genauere binokulare Raumwahrnehmung.
Vor dem Horopter liegende Objektpunkte werden temporal
querdisparat abgebildet, dahinter liegende nasal querdisparat.
Die dabei innerhalb von Panumbereichen abgebildeten Objektpunkte bilden den Panumraum. Für Objektpunkte hinter und
vor dem Panumraum ist bis zu einer gewissen Grenze noch
eine stereoskopische Beurteilung der räumlichen Lage möglich, obwohl bereits doppelt gesehen wird. Diese Bereiche sind
in Bild 82 über und unter dem Panumraum grau dargestellt.
Medianebene
Bild 82
Schematische Darstellung der
Bereiche mit stereoskopischer
Raumwahrnehmung bei bizentraler
Fixation des Objektpunkts O (nach
Sachsenweger. E r k l ä r u n g e n im Text)
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
Durch binokulare Fernrohre (Doppelfernrohre, Ferngläser)
wird das Stereosehen verbessert, weil der Stereowinkel mit
Instrument um den Faktor der Fernrohrvergrößerung größer ist
als der Stereowinkel im freien Sehen, wenn die Objektivbasis
gleich der Okularbasis ist. Eine zusätzliche Verbesserung der
Tiefenwahrnehmung wird durch eine gegenüber der Okularbasis vergrößerte Objektivbasis erreicht (Scherenfernrohr).
Tiefensehschärfe
Der kleinste Stereowinkel, der zum Stereosehen führt, heißt
Stereogrenzwinkel & und beträgt für das Tagessehen etwa 10
s
(m)
a
a + I
(m)
5,02
10,08
20,3
52
108
235
800
5
10
20
50
100
200
500
670
oo
Tabelle 16
Berechnete Tiefenbereiche a bis a + /
ohne stereoskopische Unterscheidbarkeit für einen Beobachter mit dem
Pupillenabstand p = 65 mm und dem
Stereogrenzwinkel & =
?
10":
a Entfernung des Fixationspunktes
/
Tiefenunterscheidungsstrecke
Stereoskopie
10'
5
10'
3
10''
Leuchtdichte L
Bild 83
A b h ä n g i g k e i t des Stereogrenzwinkels 9
e
von der Leuchtdichte L des
Objektraums
Winkelsekunden. Sein Kehrwert ist die (Stereo-(Tiefensehschärfe. Der kleinste damit wahrnehmbare Tiefenunterschied
heißt (Stereo-)Tiefenunterscheidungsstrecke t und ist von der
Fixationsentfernung a und vom Pupillenabstand p abhängig.
Kleinere Tiefenunterschiede als t führen zu kleineren Stereowinkeln als i9 und können daher nicht mehr stereoskopisch
g
wahrgenommen werden.
Die (Stereo-)Tiefenunterscheidungsstrecke nimmt mit wachsender Fixationsentfernung immer größere Werte an; insbesondere ist in Entfernungen über etwa 600 m hinaus eine
stereoskopische Unterscheidung im freien Sehen kaum noch
möglich. In Tabelle 17 sind einige theoretische Zahlenwerte
für das querdisparate Tiefensehen aufgeführt. Der Stereogrenzwinkel hängt unter anderem auch von der Leuchtdichte des
Objektraumes ab, was in B i l d 83 dargestellt ist. Bisher fehlt
eine (der Sehschärfebestimmung entsprechende) normmäßige
Vorschrift zur Bestimmung der (Stereo-)Tiefensehschärfe.
Die Erzeugung eines räumlichen Seheindrucks durch unterschiedlich querdisparate Netzhautbilder mit Hilfe getrennter
Objektdarbietung für beide Augen wird als Stereoskopie bezeichnet und zur Prüfung des Stereosehens benutzt.
Im Dreiecktest der Zeiss Polatest Sehprüfgeräte befinden sich
(wie in Bild 84 schematisch dargestellt) symmetrisch oberhalb
und unterhalb vom binokular fixierten Punkt O jeweils zwei
gleiche Testfiguren nebeneinander. Der gegenseitige Abstand
der beiden Testfiguren ist die stereoskopische Parallaxe y .
Jede dieser Testfiguren wird in nur einem Auge abgebildet.
Die Fusion der in einem parazentralen Panumbereich querdisparat abgebildeten Testfiguren liefert eine entsprechende
Tiefenwahrnehmung.
Ist der (positiv gerechnete) Abstand a der Objektebene vom
Augenpaar groß genug, dann kann der gegenseitige Abstand
der Knotenpunkte beider Augen dem Pupillenabstand p
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
102
Das Augenpaar
gleichgesetzt werden, und die wahrzunehmende
Aa (Bild 84) ist
(90)
Aa =
Objekttiefe
'S-,
±
py
v
wobei das Pluszeichen für die temporal querdisparate Abbildung der Testfiguren gilt (Wahrnehmung "nach vorn", Bild
84a), das Minuszeichen für die nasal querdisparate Abbildung
(Wahrnehmung "nach hinten", B i l d 84b).
Wie Formel (90) zeigt, nimmt ein Augenpaar mit größerem
Pupillenabstand /; das Stereo-Objekt in kleinerem Abstand
zla vom Fixationsobjekt wahr als ein Augenpaar mit kleinerem Pupillenabstand, was durch die konstante stereoskopische
Parallaxe in der Testebene bedingt ist.
< y,: >
Bild 84
Zusammenhang zwischen der Objekttiefe Aa, der stereoskopischen
Parallaxe y,„ der Entfernung a des
Fixationspunktes O vom Augenpaar
und dem Pupillenabstand p bei querdisparater Bildlage der Testdreiecke:
a) temporal querdisparat.
b) nasal querdisparat
(K Knotenpunkt. F Foveolamitte.
Slereowinkel B = &i.+ 9K)
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
103
Bei der Random-Dot-Stereoskopie bestehen die Objektvorlagen für beide Augen aus Zufalls-Punktmustern (random
dots), in denen irgendeine Figur mit einer stereoskopischen
Parallaxe enthalten ist ( z . B . eine Hand oder ein Kreis und
Rechtecke, siehe Bild 184, S. 249). Da sowohl monokular als
auch binokular ohne Stereopsis die Erkennung der Figur nicht
möglich ist, kann mit einem solchen Test das rein querdisparate Raumsehen geprüft werden.
Stereo-Sehgleichgewicht
Die Wertigkeit beider Augen beim Stereosehen wird als
Valenz bezeichnet. Befindet sich außer dem Fixationspunkt ein
Stereo-Objekt in der Medianebene des Augenpaares (wie in
Bild 84) und wird dieses binokular auch in derselben (horizontalen) Richtung wie der Fixationspunkt lokalisiert, so arbeiten
beide Augen gleichwertig, es herrscht Äquivalenz (Isovalenz)
der Augen. Dominiert hingegen ein Auge im Stereosehen, so
wird das Stereo-Objekt gegenüber dem Fixationspunkt zur entsprechenden Seite verschoben wahrgenommen, es liegt eine
Prävalenz (Anisovalenz) dieses Auges vor.
Prävaliert zum Beispiel das rechte Auge, so würde bei temporaler Querdisparation (Bild 84a) das Stereo-Objekt gegenüber
dem Fixationsobjekt nach links verschoben erscheinen, bei
nasaler Querdisparation (Bild 84b) nach rechts.
Ist für beide Disparationsrichtungen Äquivalenz vorhanden, so
besteht Stereo-Sehgleichgewicht. Vorhandenes Stereo-Sehgleichgewicht ist ein sicherer Hinweis darauf, daß sich die
Augen in der Orthostellung befinden, denn nur bei bizentraler
Abbildung des Fixationspunktes ist eine gleichwertige Funktion beider Augen im Binokularsehen möglich. Ob die Augen
auch gleichzeitig in der optometrischen Ruhestellung sind,
geht aus dem vorhandenen Stereo-Sehgleichgewicht allerdings
nicht hervor.
Bei Abweichungen vom Stereo-Sehgleichgewicht ermöglicht
ein geeigneter Test (z. B . der Stereo-Sehgleichgewichtstest in
den Polatesf Sehprüfgeräten, siehe Bild 181, S. 249) eine
grob quantitative Aussage über den Grad der Prävalenz des
betreffenden Auges. Solche Abweichungen vom Stereo-Sehgleichgewicht geben wertvolle Hinweise zur prismatischen
Feinkorrektion von Winkelfehlsichtigkeiten mit Fixationsdisparation.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
104
Das Augenpaar
Ruhestellungsfehler
Begriffe
Der Sammelbegriff Ruhestellungsfehler umfaßt alle Abweichungen von der motorisch idealen Zusammenarbeit beider
Augen; hierbei stimmen (Vergenz-)Ruhestellung und Orthostellung nicht überein. Unterschieden wird zwischen latenten
Ruhestellungsfehlern (Heterophorie oder Winkelfehlsichtigkeit, je nach den Meßbedingungen) und manifesten Ruhestellungsfehlern (Heterotropie).
Heterophorie
Wird die Fusion aufgehoben und fällt die bei Abwesenheit von
Fusionsreizen ermittelte Fern-Hellruhestellung eines emmetropen oder refraktiv vollkorrigierten Augenpaares mit der
Parallelstellung (Orthostellung für ferne Objekte) zusammen,
so liegt (Fern-)Orthophorie vor. Fällt die auf diese Weise ermittelte (fusionsreizfreie) Ruhestellung nicht mit der Orthostellung zusammen, so besteht Heterophorie. Weicht diese
Ruhestellung von der Orthostellung nach außen ab, besteht
Exophorie, weicht sie nach innen ab, liegt Esophorie vor. Bei
Abweichung in vertikaler Richtung besteht eine Vertikalphorie. B e i Entfernungsabhängigkeit liegt Anisophorie vor.
Eine Zyklophorie ist eine Heterophorie im Sinne einer gegenläufigen Verrollung der Vertikalmeridiane beider Augen um
Achsen, die ungefähr mit den Fixierlinien zusammenfallen.
Da im natürlichen Sehen stets Fusionsreize vorhanden sind,
hat Heterophorie keine optometrisch-praktische Bedeutung.
Winkelfehlsichtigkeit
Fällt die bei vorhandener Fusion ermittelte Ruhestellung mit
der Orthostellung zusammen, so besteht Winkelrechtsichtigkeit
(binokulare Rechtsichtigkeit). Fällt die mit Fusion ermittelte
(optometrische) Ruhestellung nicht mit der Orthostellung
zusammen, so besteht Winkelfehlsichtigkeit (WF, binokulare
Fehlsichtigkeit). Weicht diese Ruhestellung von der Orthostellung nach außen ab, besteht Exo-Winkelfehlsichtigkeit (es
liegt fusionaler Konvergenzbedarf vor), weicht sie nach innen
ab. besteht Eso-Winkelfehlsichtigkeit (es liegt fusionaler D i vergenzbedarf vor). Bei einer vertikalen Winkelfehlsichtigkeit
(Höhenfehler) besteht ein fusionaler Vertikalvergenzbedarf.
Der fusionale Vergenzbedarf zum Erreichen der Orthostellung
ist dem Betrage nach gleich der Winkelfehlsichtigkeit. Häufig
treten horizontale und vertikale Winkelfehlsichtigkeit gekoppelt auf. Der Betrag der Winkelfehlsichtigkeit kann von der
Blickrichtung und der Entfernung des angeblickten Objektes
abhängig sein (Aniso-Winkelfehlsichtigkeit).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
Winkelfehlsichtigkeit und Heterophorie eines Augenpaares
können gleich gerichtet und gleich groß sein oder voneinander
abweichen. In beiden Fällen bleibt das normale binokulare
Einfachsehen aufgrund der im natürlichen Sehen vorhandenen
Fusionsreize erhalten. Eine motorisch (und in der Regel auch
sensorisch) ideale Zusammenarbeit beider Augen ist vorhanden, wenn in allen Blickrichtungen und für alle Entfernungen
des binokular angeblickten Objektes die (optometrische) Ruhestellung gleich der Orthostellung ist. In diesem Fall besteht im
gesamten Akkommodationsgebiet Winkelrechtsichtigkeit.
Fixationsdisparation
Jede Fixationsdisparation ist ein Zustand des normalen binokularen Einfachsehens, bei dem der Fixationspunkt mit einer
Disparation innerhalb des zugehörigen Panumbereiches abgebildet wird. Unterschieden werden dynamische, transitorische
und statische Fixationsdisparation. Die dynamische Fixationsdisparation ist eine sehr kleine, durch die Mikrobewegungen
der Augen bedingte Fixationsdisparation, die ständig ihre
Richtung und Größe wechselt. Für optometrische Korrektionen
hat sie ebensowenig Bedeutung wie die transitorische Fixationsdisparation, die bei einfachen Sehaufgaben beim Sehen in
die Nähe als Exo-Fixationsdisparation analog zum Akkommodationsdefizit entsteht.
Im engeren Sinne wird unter Fixationsdisparation die bei
Winkelfehlsichtigkeit häufige statische Fixationsdisparation
verstanden, bei der die Vergenz-Arbeitsstellung der Augen
nicht genau die Orthostellung ist. Durch diese Fixationsdisparation wird normales (aber nicht mehr ideales) binokulares
Einfachsehen trotz disparater Abbildung des Fixationspunktes
aufrechterhalten. Der Fixationspunkt wird binokular einfach
gesehen entweder aufgrund der sensorischen Fusionsfähigkeit
im zentralen Panumbereich (FD I: Fixationsdisparation erster
Art, disparate Fusion) oder durch reversible Verschiebung des
Korrespondenzzentrums innerhalb des zentralen Panumbereiches (FD II: Fixationsdisparation zweiter Art, disparate
Korrespondenz). Der zentrale Panumbereich kann dabei in der
durch die Winkelfehlsichtigkeit bedingten Richtung erweitert
sein (bei Eso-Winkelfehlsichtigkeit also nach nasal, usw.).
Zur Unterscheidung beider Arten von (statischer) Fixationsdisparation ist eine geeignete Testeinrichtung erforderlich
( z . B . ein Zeiss Polatest® Sehprüfgerät). Jede (statische) Fixationsdisparation mindert die Qualität des Binokularsehens,
insbesondere kann dann kein Stereo-Sehgleichgewicht mehr
vorhanden sein.
Eine Fixationsdisparation ist keine Heterotropie.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
AkkommodationVergenz-Diagramm
Die individuellen Werte der Horizontalvergenzen und ihre
Zusammenhänge mit der Akkommodation lassen sich anschaulich in einem Akkommodation-Vergenz-Diagramm darstellen
(grafische Analyse nach Hofstetter). Dabei wird allerdings die
Existenz von Fixationsdisparationen vernachlässigt, so daß
derartige Diagramme nur ein sehr grobes Bild der wirklichen
individuellen Verhältnisse vermitteln können.
In der Orthostellung beim Blick auf ferne Objekte sind die
Fixierlinien beider Augen parallel. Das entspricht für ein
emmetropes Augenpaar ohne Ruhestellungsfehler dem Nullpunkt im Akkommodation-Vergenz-Diagramm, in dem der
Akkommodationsreiz über der Horizontalvergenzstellung des
Augenpaares aufgetragen wird (Bild 85); positive Werte der
Horizontalvergenzstellung bedeuten Konvergei'.zstellung (nicht
mit Esostellung verwechseln!), negative Werte bedeuten D i vergenzstellung (nicht mit Exostellung verwechseln!). Da sich
Konvergenz- und Divergenzstellung auf die Parallelstellung
beziehen, Eso- und Exostellung aber auf die Orthostellung,
stimmen beide Begriffspaare nur für die Ferne überein.
Die Orthostellung für nahe Objekte ist eine Konvergenzstellung und hängt von der Objektentfernung und vom
Pupillenabstand ab. Werden der Pupillenabstand p in Zentimetern und der Kehrwert E der positiv gerechneten Objektentfernung von der Verbindungsgeraden der beiden optischen
Augendrehpunkte in Dioptrien eingesetzt, so ergibt sich die
notwendige Konvergenzstellung K in cm/m;
(91)
K=
pE.
(1) (2)
6
dpt
Bild 85
Akkommodation-Vergenz-Diagramm:
D
Das Augenpaar
5
(3)
-
Donderslinie für einen Pupillenabstand von 60 mm.
(1)
Phorielinie bei Fernorthophorie
und wachsender Nahexophorie
für abnehmende Objektentfernung
( z . B . 6 cm/m für E = 3 dpt)
(2)
Phorielinie bei Fernesophorie
(9 cm/m), abnehmender Esophorie für abnehmende Objektentfernung, Orthophorie für
-
E = 3 dpt und wachsende Exophorie für noch weiter abnehmende Objektentfernung
(3)
Phorielinie bei entfernungsunabh ä n g i g e r Esophorie (15
cm/m)
r
-12
-6
0
\
i
/
12
Horizontalvergenzstellung
18
24
30
36
cm
m
48
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
107
Zusatztabelle 3 (S. 310) enthält Zahlenwerte nach (91). Im
Akkommodation-Vergenz-Diagramm werden diese Orthostellungen durch die Donderslinie dargestellt (Bild 85).
Die für jeden Akkommodationsreiz (Objektentfernung) gemessene Horizontalphorie wird von der Donderslinie aus abgetragen und liefert die zugehörige (fusionsreizfreie) Ruhestellung.
(Vertikalphorien können in dieser Darstellung nicht erfaßt
werden und sollen bereits vor den Messungen der Horizontalwerte prismatisch korrigiert sein.) Die Verbindungslinie
zwischen den Ruhestellungen ergibt die Phorielinie, die im
allgemeinen geradlinig ist. Wenn im gesamten Akkommodationsgebiet Orthophorie herrscht, dann fällt die Phorielinie
mit der Donderslinie zusammen. Bei Exophorie liegt die
Phorielinie links von der Donderslinie, bei Esophorie rechts
davon. Verläuft die Phorielinie parallel zur Donderslinie, so
handelt es sich um eine von der Objektentfernung unabhängige
Heterophorie; der ACA-Quotient ist dann (ebenso wie bei
Orthophorie) gleich dem in Zentimetern angegebenen Pupillenabstand. In Bild 85 sind drei Beispiele dargestellt.
Die Divergenz- und Konvergenzbreiten (bei konstantem A k kommodationsreiz!) werden im Akkommodation-VergenzDiagramm von den entsprechenden Ruhestellungen (Phorielinie) aus abgetragen. Innerhalb der relativen Fusionsbreiten
liegt das Gebiet, in welchem deutliches, binokulares Einfachsehen zumindest kurzzeitig möglich ist. In Richtung
wachsender Akkommodationsreize wird dieses Gebiet durch
das Akkommodationsvermögen AD .
begrenzt (in Bild 86
dunkelgrau gekennzeichnet).
M IK
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
108
Das Augenpaar
Die Divergenz- und Konvergenzreserven ergeben sich aus den
Strecken zwischen der jeweiligen Orthostellung (Donderslinie)
und den seitlichen Begrenzungen des Fusionsgebietes. Im Beispiel von Bild 86 wird ständig ein Teil (3 cm/m) der entfernungsunabhängigen relativen Konvergenzbreite (15 cm/m)
zum fusionalen Ausgleich der Exophorie (3 cm/m) benötigt;
der übrigbleibende Teil (12 cm/m) stellt die Konvergenzreserve dar. Die entfernungsunabhängige relative Divergenzbreite (5 cm/m) ist hier um den Betrag der Heterophorie
(3 cm/m) kleiner als die Divergenzreserve (8 cm/m).
Heterotropie
Bei Heterotropie (Strabismus) weicht die Fixierlinie eines der
beiden Augen trotz vorhandener Fusionsreize von der durch
die betreffende Objektentfernung bestimmten Orthostellung so
weit ab, daß das B i l d des Fixationspunktes im abweichenden
Auge außerhalb des zentralen Panumbereiches liegt. Dadurch
ist ein normales binokulares Einfachsehen nicht mehr möglich.
Die Abweichung der vorliegenden Vergenzstellung des schielenden Augenpaares von der Orthostellung für die betreffende
Objektentfernung ist der Schielwinkel. Wenn das abweichende
Auge alle Blickbewegungen des fixierenden Auges so mitmacht, daß der Schielwinkel stets gleichbleibt, handelt es sich
um Begleitschielen (strabismus concomitans).
Besitzen beide Augen ungefähr gleichen Visus, so weichen sie
im allgemeinen abwechselnd von der Fixationsrichtung ab, es
liegt alternierendes Schielen vor. Weicht stets dasselbe Auge
von der Fixationsrichtung ab, so besteht einseitiges (monolaterales) Schielen. Das Lähmungsschielen (strabismus paralyticus) wird durch eine Augenmuskellähmung verursacht, wobei
sich der Schielwinkel mit der Blickrichtung ändert.
Bei Strabismus wird doppelt gesehen, wenn nicht der
Seheindruck des Schielauges unterdrückt oder mit anomaler
Korrespondenz behelfsmäßig binokular einfach gesehen wird.
Ein Mikrostrabismus ist eine irreversible, sensorisch bedingte
Form eines monolateralen Strabismus mit einem Schielwinkel
kleiner als 5°.
Mit Orthotropie wird ein Vergenzverhalten bezeichnet, bei
dem ein Augenpaar stets in die Orthostellung geht. Dabei kann
es sich entweder um Winkelrechtsichtigkeit handeln oder um
eine ständig voll motorisch kompensierte Winkelfehlsichtigkeit.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
Binokulare Ungleichheiten
Anisometropie
Besitzen beide Augen unterschiedliche Fernpunktrefraktionen,
so besteht Anisometropie. Die Differenz der Scheitelbrechwerte der Korrektionsgläser bei sphärischer Ametropie oder
der beiden besten sphärischen Gläser bei Astigmatismus heißt
anisometropische Differenz AS':
AS' = S' -S[,
(92)
2
wobei S' der mathematisch größere Scheitelbrechwert ist. Da2
mit wird AS' stets positiv.
Bei einer Längen-Anisometropie besitzen beide Augen den
gleichen Brechwert, aber unterschiedliche Baulängen; bei
einer Brechwert-Anisometropie sind die Baulängen gleich,
aber die Brechwerte unterschiedlich.
Bei Anisometropie kann jedes Auge für sich emmetrop, myop
oder hyperop sein. Daraus ergeben sich fünf mögliche Fälle:
1. Einfache hyperope Anisometropie:
Ein Auge ist emmetrop, das andere hyperop.
2. Einfache myope Anisometropie:
Ein Auge ist emmetrop, das andere myop.
3. Gemischte Anisometropie:
Ein Auge ist hyperop, das andere myop.
4. Zusammengesetzte hyperope Anisometropie:
Beide Augen sind hyperop.
5. Zusammengesetzte myope Anisometropie:
Beide Augen sind myop.
Bei Astigmatismus gilt diese Einteilung für die Lage des
Kreises kleinster Verwirrung (bestes sphärisches Glas).
Das Binokularsehen kann insbesondere im Fall 2 gestört (oder
gar nicht erst erlernt worden) sein, wenn der Fernpunkt des
myopen Auges ungefähr in der Leseentfernung liegt. Dann
wird im alternierenden Sehen nur monokular das emmetrope
Auge für das Sehen in die Ferne und das myope Auge für das
Sehen in die Nähe benutzt.
Bei Blickbewegungen eines anisometropen
Augenpaares
hinter vollkorrigierenden Brillengläsern werden je nach Fixationsrichtung unterschiedliche fusionale Vergenzen notwendig.
Diese mit der Blickrichtung veränderliche Belastung des
Vergenzsystems wächst mit der anisometropischen Differenz
und kann zu Sehbeschwerden führen. Besondere Beachtung
einer Anisometropie ist bei der optischen Brillenanpassung
notwendig.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
110
Aniseikonie
Das Augenpaar
Wird die Größe oder Form eines Objektes durch beide Augen
unterschiedlich wahrgenommen, so besteht Aniseikonie. Aniseikonie bedeutet also einen Größen- oder Formenunterschied
zwischen den beiden monokularen Seheindrücken, der nicht
unbedingt durch unterschiedliche Netzhautbilder verursacht
sein muß. Eine Aniseikonie kann durch anatomische, fünktionelle (sensorische) oder geometrisch-optische Faktoren zustande kommen.
Bei einer anatomisch bedingten (retinalen) Aniseikonie ist das
Raster der Sehelemente in den Netzhäuten beider Augen
unterschiedlich strukturiert, so daß trotz gleicher Fernpunktrefraktionen (Isometropie) und gleicher Netzhautbilder eine
unterschiedliche Wahrnehmung durch beide Augen vermittelt
wird.
Eine funktioneile Aniseikonie ist zentralnervös verursacht und
kann zum Beispiel durch Fixationsdisparation entstehen.
Einer optischen Aniseikonie liegen unterschiedliche Netzhautbilder in beiden Augen zugrunde. Das Verhältnis der B i l d größen bei der Abbildung ein und desselben Objektes auf der
Netzhaut beider Augen heißt Bildgrößenquotient. Verschieden
große Bilder auf den Netzhäuten beider Augen können zustande kommen durch:
1. unterschiedliche Baulängen beider Augen trotz Isometropie,
2. unterschiedliche Vergrößerungen durch refraktiv
vollkorrigierende Brillengläser bei Anisometropie,
3. Linsenlosigkeit eines der beiden Augen,
4. unterschiedliche Entfernungen eines nahen Objektes von
beiden Augen bei schrägem Blick auf dieses Objekt.
Eine in verschiedenen Meridianen unterschiedlich große Aniseikonie wird als meridionale Aniseikonie bezeichnet, eine in
allen Meridianen gleich große Aniseikonie heißt RundumAniseikonie (over-all aniseikonia).
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
Das Augenpaar
111
Binokulare Sehprüfung
Prismatische
Vollkorrektion
Voraussetzung für eine binokulare Sehprüfung ist stets eine im
Rahmen der monokularen Sehprüfung ermittelte refraktive
Vollkorrektion beider Augen. Winkelfehlsichtigkeiten werden
(ebenso wie Heterophorien) mit subjektiven Verfahren gemessen, ihr optischer Ausgleich erfolgt durch Brillengläser mit
prismatischer Wirkung.
Die prismatische Vollkorrektion einer Winkelfehlsichtigkeit
(binokulare Vollkorrektion) erfaßt sowohl den motorischen
Kompensationsanteil als auch beide Arten der vielfach vorhandenen Fixationsdisparation. Während die refraktive V o l l korrektion eine Emmetropie cc liefert (das heißt, der
Fernpunkt cc des Systems Brillenglas-Auge liegt im
Unendlichen, siehe B i l d 79, S. 92), wird durch die
prismatische
Vollkorrektion
Winkelrechtsichtigkeit
cc
hergestellt (das heißt, die Orthostellung cc ist gleichzeitig die
optometrische Ruhestellung der Augen).
Prüfverfahren
Bei den Verfahren zur Prüfung auf Heterophorie werden verschiedene Prinzipien angewendet, um die im natürlichen Sehen
stets vorhandenen Fusionsreize aufzuheben:
1. Verzerrungs-Verfahren (nach Maddox),
2. Dissozations-Verfahren (nach von Graefe),
3. Anaglyphen-Verfahren,
4. Trenner-Verfahren.
Bei den Verzerrungs-Verfahren nach Maddox wird das Netzhautbild in einem Auge durch optische Mittel (z. B. sehr starke
Planzylinder) so verändert (verzerrt), daß der Fusionszwang
aufgehoben ist.
Bei den Dissoziations-Verfahren wird zur Prüfung in horizontaler Richtung die absolute vertikale Fusionsbreite (bzw. zur
Prüfung in vertikaler Richtung die absolute Divergenzbreite)
überschritten, damit keine Fusion mehr erfolgen kann. Die
Dissoziation (Erzeugung von vertikal bzw. horizontal versetzten Doppelbildern) kann bei einem Testobjekt mit Hilfe
von Prismen oder durch Polarisationstrennung von zwei identischen polarisierenden Testobjekten erfolgen. Da bei diesem
Verfahren die objektive Fusionsbedingung (hinreichende
Gleichheit der Seheindrücke beider Augen) erfüllt ist, ergeben
sich meist als unangenehm empfundene "frustrane" Fusionsreize, denn die subjektive Fusionsbedingung (die Augen
können aufgrund von Fusionsreizen in eine Arbeitsstellung
gelangen) ist nicht erfüllt.
PHYSIOLOGISCHE OPTIK:
112
Das Augenpaar
Bei den Anaglyphen-Verfahren werden beiden Augen durch
Verwendung von Farbfiltern verschiedenfarbige Seheindrücke
dargeboten, wodurch der Fusionszwang stark herabgesetzt ist.
Außerdem werden für beide Augen meist unterschiedlich geformte Testfiguren verwendet.
Bei den Trenner-Verfahren werden beiden Augen unterschiedlich geformte, aber in Helligkeit, Farbe, Kontrast und Größe
gleichwertige Testfiguren dargeboten. Die Bildtrennung kann
durch Blenden oder Raster erfolgen (geometrische Trennung)
oder durch polarisiertes Licht (physikalische Trennung, z. B .
im Zeiss Polatest® Sehprüfgerät). Die Fusionsreize werden
dabei nicht völlig ausgeschaltet, da das Umfeld der Testfiguren
binokular wahrgenommen wird (peripherer Fusionsreiz).
Verfahren zur Prüfung auf Winkelfehlsichtigkeit müssen vor
allem die Bedingung der vorhandenen Fusionsreize in möglichst natürlicher Umgebung erfüllen. Das zur Zeit beste,
obwohl gelegentlich noch umstrittene, Verfahren dafür ist die
M K H (Meß- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase).
Dieses vor 40 Jahren entwickelte und zunehmend verwendete
Meßverfahren wurde wegen des dafür benutzten (Zeiss-)
Meßgerätes früher auch als Polatest-Verfahren bezeichnet.
Einstellgleichgewicht
Eine binokulare Sehprüfung ist unerläßlich und ebenso wichtig
wie die monokulare Sehprüfung; erst beide zusammen bilden
eine vollständige Augenglasbestimmung. Dabei wird eine
Reihe von Gleichgewichtszuständen unterschieden, die in der
Regel durch entsprechende Korrektionsmittel erreicht werden
können.
Für das Sehen in die Ferne wird mindestens Akkommodationsgleichgewicht angestrebt: dazu müssen beide Augen mit dem
jeweils besten sphärischen Glas korrigiert sein. Nach Möglichkeit sollte jedoch Refraktionsgleichgewicht vorliegen, dazu
muß in beiden Augen die größtmögliche Sehschärfe vorhanden
sein (refraktive Vollkorrektion).
U m Muskelgleichgewicht zu erhalten, muß im Normalfall ein
fernes Objekt in beiden Augen in der Foveolamitte abgebildet
werden, wenn sich das Augenpaar in der (optometrischen)
Vergenz-Hellruhestellung für die Ferne befindet (binokulare
Vollkorrektion).
Sind durch refraktive und binokulare Vollkorrektion Refraktions- und Muskelgleichgewicht erreicht worden (komplette
Vollkorrektion), dann liegt „Einstellgleichgewicht" für das
Augenpaar vor.
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