Infektion und Verbreitung von epidemiologisch bedeutsamen Erkrankungen Vereinfachtes Schema für Zuständige, Politiker, Verbraucher und allgemein am Thema Interessierte (mit Beispielen zur EHEC-Epidemie im Mai 2011) von Hartmut Schmitt Erläuterungen zum vereinfachten Schema Infektion und Verbreitung 1. Das Agens ist hier ein Virus, eine Bakteriophage, ein Bakterium, ein Pilz und/oder ein Parasit. Das Agens befindet sich auf oder in einem Umweltmedium und seine Überlebensdauer ist zeitlich begrenzt. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 kommt als Agens entweder der EHEC-Stamm O104:H4 von Escherichia coli direkt oder eine Bakteriophage infrage, die bereits im Menschen vorhandene Escherichia coli genetisch zu EHEC O104:H4 verändern kann. 2. Die Verbreitung des Agens erfolgt über die verschiedensten Transportwege, die das Agens nicht entscheidend in seiner Lebens- und Überlebensfähigkeit beeinträchtigen. Ist das Agens nicht selbst mobil, kann es auch über andere Umweltmedien bis zum nächsten Wirt transportiert werden. Bei der EHECEpidemie im Mai 2011 dienen die Träger von EHEC O104:H4 und der unter 1. bereits genannten Bakteriophagen (z. B. Mensch zu Mensch über Familien, Kindertagesstätten, Altenheime und Krankenhäuser und/oder Tier zu Mensch warmblütige Nutz-, Haus- und Wildtiere), die Umweltmedien Erdboden, Pflanzen, Wasser sowie alle Transportmedien und Transportbehältnisse, vor allem im Lebensmittel-, Dünger- und Bewässerungsbereich (z. B. Bewässerung mit Oberflächen- und Zisternenwasser). Nicht vergessen werden dürfen alle Gerätschaften und Arbeitsflächen, die bei der Behandlung und Reinigung mit diesen Medien in Berührung kommen. 3. Hier erfolgt die direkte Aufnahme des Agens durch den Menschen (z. B. über den Mund, die Haut, das Blut, die Lunge, Geschlechtsverkehr). Indirekt kann sich die Aufnahme über kontaminierte Medien, durch deren Berührung mit den Händen (Schmierinfektion, unhygienische Verhältnisse, Kosmetika usw.) ereignen. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 sind dies vor allem kontaminierte Nahrungsmittel, Getränke, kontaminierte Menschen und Tiere, mit den Händen häufig berührte kontaminierte Medien und kontaminierte Medien, die mit den Nahrungsmitteln in Berührung kommen (z. B. Dünger, Bewässerungs- und Behandlungswasser). Auffallend ist bei der EHECEpidemie im Mai 2011 der große Anteil von Frauen an der Erkrankung. Vielleicht spielen hier spezifische Gewohnheiten von Frauen um Umgang mit kontaminierten Umweltmedien (z. B. Nahrungszubereitung, Einkaufen, Reinigungsmaßnahmen im Hygienebereich, Kosmetika) eine Rolle. 4. Im Körper des Menschen entwickelt das Agens unter geeigneten Milieubedingungen seine Wirkung und es kommt zu seiner Vermehrung. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 sind dies die Schädigung der Darmwände, blutige Durchfälle, Schädigungen des Gehirns und der Niere, die Vermehrung von EHEC O104:H4 und/oder der unter 1. genannten Bakteriophagen im Darm sowie deren Transport zum After. Auffallend ist bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 der große Anteil von Frauen an der Erkrankung. Vielleicht spielen hier spezifische Milieubedingungen im weiblichen Körper von Frauen eine Rolle. 5. Über die Ausscheidung oder Abgabe (z. B. über den Mund, die Haut, das Blut, die Lunge, Geschlechtsverkehr) des Agens durch Erkrankte oder Agensträger an die Umwelt wird das Potenzial geschaffen, andere Menschen anzustecken und andere Umweltmedien zu kontaminieren. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 geschieht dies über den Kot bzw. Durchfall erkrankter Patienten oder durch Menschen oder Tiere, die das Agens in oder an sich tragen, ohne dadurch zu erkranken. 6. Dies betrifft wieder die Punkte, die bereits unter 2. genannt wurden. Die Verbreitungswege können sich aber von 2. unterscheiden. Das Vorkommen lediglich eines Verbreitungsweges über ein Medium ist bei verschiedenen kontaminierbaren Umweltmedien extrem selten. Auch bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 müssen verschiedene Übertragungswege geprüft werden. 7. Dieser Punkt entspricht Punkt 3. Aber auch hier können sich die Aufnahmemechanismen des Agens unterscheiden. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 wäre es z. B. möglich, dass der erste Erkrankte sich durch den Kontakt mit dem Kot eines keimtragenden Tieres infiziert hat und der nachfolgend Erkrankte durch interfamiliäres unhygienisches Verhalten bei der Nahrungsmittelzubereitung infiziert wurde. 8. Dieser Punkt entspricht Punkt 4., wobei die Auswirkungen individuell verschieden sein können. So könnte es bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 vorkommen, dass der erste Erkrankte nur Durchfälle aufweist, während der zweite Erkrankte schwere Schädigungen an Nieren und Gehirn hat und evtl. sogar stirbt. 9. Hier geht das epidemiologische Geschehen bis zum „natürlichen Ausklingen“ weiter, wenn es nicht gelingt, die Infektionsketten schnell zu unterbrechen. Da die Bekämpfung und Verhütung von epidemisch auftretenden Infektionskrankheiten in der Regel erhebliche Eingriffe in die Privatsphäre und wirtschaftliche Konsequenzen bedeuten, sollte die genannte Bekämpfung und Verhütung durch eine wirksame Seuchengesetzgebung abgesichert sein. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 wird z.T. heftig darüber diskutiert, ob die getroffenen Maßnahmen durch die zuständigen Stellen angemessen und effektiv waren. Hier spielen neben den fachlichen, medizinisch-biologischen Gesichtspunkten auch psychologische Aspekte der potenziell gefährdeten Verbraucher und der auch international wirtschaftlich Betroffenen eine große Rolle. Anmerkungen: In diesen Erläuterungen wurden speziell im Hinblick auf die EHEC-Infektionen mit dem Stamm O104:H4 im Mai 2011 auch die Bakteriophagen als theoretisch alleiniges Agens aufgenommen. Denn hier wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Bakteriophagen allein bereits als Agens ausreichen könnten, um mit den im Darm von Mensch und Warmblütern natürlicherweise bereits vorkommenden Escherichia coli die entsprechenden Reaktionen und Wirkungen immer wieder von Neuem auszulösen. So besitzen die EHEC-Bakterien durch eine Phageninfektion ein Gen für die Produktion eines Toxins, das Ähnlichkeit mit einem neurotoxischen und nekrotisierenden Toxin des Bakteriums Shigella dysenteriae hat. Dies könnte evtl. auch erklären, warum bei den vielen Tausend Untersuchungen nur vereinzelte Nachweise von O104:H4 gelangen. Dieser Mechanismus müsste allerdings noch nachgewiesen werden. Die Ermittlung der Ursache und der Verbreitungswege erfolgt in der Regel durch: 1. 2. 3. 4. Verdacht durch literaturgestützte Erfahrungen Verdachtsverdichtung durch die zusätzlichen Beobachtungen der Ermittler Verdichtete Indizien durch spezifisch ausgearbeitete Fragebögen Nachweis der vorangegangenen Verdachtsmomente und Indizien durch wissenschaftlich erhobene Laboruntersuchungen. Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 konnten bei vielen Tausend Untersuchungen nur vereinzelte Nachweise bei einigen Verdachtsmomenten bzw. Indizien geführt werden. Möglicherweise wurden die untersuchten Proben zu spät entnommen und/oder es wurden noch nicht die relevanten Umweltmedien beprobt. Damit sind die Ursache und die Verbreitungswege der O104:H4-Epidemie noch nicht geklärt, sofern dies überhaupt noch gelingen sollte. Hier stellt sich auch im Rahmen der Ermittlungen ggf. auch die Frage nach der Praktikabilität der entsprechenden Phagenuntersuchungen. Warnungen und Empfehlungen Im Infektionsschutzgesetz heißt es: § 3 Prävention durch Aufklärung Die Information und Aufklärung der Allgemeinheit über die Gefahren übertragbarer Krankheiten und die Möglichkeiten zu deren Verhütung sind eine öffentliche Aufgabe. Insbesondere haben die nach Landesrecht zuständigen Stellen über Möglichkeiten des allgemeinen und individuellen Infektionsschutzes sowie über Beratungs-, Betreuungs- und Versorgungsangebote zu informieren. Durch diese gesetzliche Vorgabe sind verschiedene öffentliche Stellen gezwungen, sinnvolle Warnungen und Empfehlungen für Verhaltensmaßnahmen durch die Verbraucher abzugeben. Durch die Komplexität der Übertragungswege und deren Variabilität von Erkrankungsgeneration zu Erkrankungsgeneration kann das pauschale Meiden von bestimmten Lebewesen, Produkt- und/oder Lebensmittelgruppen sowie bestimmter geografischer Regionen schon nach kurzer Zeit sogar innerhalb eines Epidemieverlaufs bereits überholt sein, da sich andere mögliche Übertragungswege aufgetan haben. Wegen der Mobilität von Menschen, Tieren, Lebensmitteln und anderer Produkte dürfte eine pauschale Meidung derselben nur schwer allein zur Unterbrechung der Übertragungskette ausreichen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele solche Produkte für das Überleben des Menschen und seiner Wirtschaft oft eine große Bedeutung haben. Deshalb könnte eine wichtige Prophylaxe gegen intestinale Infekte (über den Darm wie z. B. EHEC) die generelle Anwendung von Maßnahmen sein, die man häufig auch bei Reisen in entfernte Länder und Kontinente empfiehlt, wie z. B. nur abgekochte Speisen und desinfiziertes Trinkwasser zu sich zu nehmen und eine sorgfältige Körperhygiene einzuhalten. Welche Maßnahmen letztlich am ehesten geeignet sind, die Übertragungsketten zu unterbrechen, können nur die entsprechenden Fachleute und Fachbehörden sagen. Diesen Maßnahmen müssten sich dann sowohl die Politiker als auch die Verbraucher in ihrem Verhalten unterordnen. Und dazu gehört auch ein gewisses Maß an Disziplin innerhalb einer Gesellschaft. Hartmut Schmitt Hafenmarkt 5 72145 Hirrlingen Mobil: 0172/7105751