Abstract

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Mutter mit zwei adoleszenten Töchtern – Diagnose Brustkrebs: „Sollen wir
später Kinder haben?» Wie reagiert der Hausarzt?
PD Dr. med. Nicole Bürki, Basel
Um Fragen, wie die hier im Titel gestellten, fundiert beantworten zu können, braucht es den im
Folgenden kurz zusammengefassten medizinisch-genetischen Hintergrund und vorallem eine
einfühlsame, gesamtheitliche, persönliche, aber auch interdisziplinäre Beratung. Das Thema ist
komplex, weshalb es für die Betroffenen und ihre Angehörigen von Vorteil ist, einen Guide zu haben,
der alle Fäden zusammenführt und bei dem sie sich gut aufgehoben fühlen. Dieser Guide können Sie
als Hausärztinnen oder psychosomatisch tätige Ärzte sein.
Brustkrebs (Mammakarzinom) ist in Europa die am häufigsten diagnostizierte Tumorkrankheit der
Frau. Es ist daher wenig verwunderlich, dass diese Krankheit bei mehreren Angehörigen einer Familie
zufällig auftreten kann. Kommt es aufgrund einer Veranlagung zu einer Häufung von Brustkrebs
innerhalb eines Familienstammbaums, spricht man von familiärem Brustkrebs. Kann diese
Veranlagung sogar auf ein einzelnes mutiertes Gen zurückgeführt werden, spricht man von
hereditärem Brustkrebs – dies, obwohl nicht die Tumorkrankheit, sondern nur die deren Entstehung
begünstigende Prädisposition vererbt wird. Mittlerweile sind weitere Eigenschaften des Erbgutes,
Varianten von Genen oder sogenannte Polymorphismen der Erbsubstanz (der DNS) identifiziert
worden, die im Zusammenspiel mit anderen Faktoren die Entstehung von Brustkrebs begünstigen. In
Europa dürfte 1 von 200 Frauen eine solche Brustkrebsveranlagung aufweisen, die für 5 bis 10% aller
Brustkrebserkankungen verantwortlich ist. Unter Frauen mit Ashkenazi-jüdischer Herkunft ist deren
Anteil deutlich grösser (etwa 6 von 200 Frauen). Bei einer solchen Prädisposition besteht lebenslang
ein grosses Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Aber auch weitere Organe, vor allem die Eierstöcke,
können durch Tumorbildungen gefährdet sein.
Bei der familiären Form des Brustkrebses stellen sich spezifische Fragen in Diagnose, Beratung,
Therapie und Langzeitbetreuung. Die Möglichkeit des Vorliegens einer Brustkrebsveranlagung ist für
die betroffenen Frauen und ihre Angehörigen, aber auch für die sie betreuende Ärzteschaft und alle
weiteren involvierten Fachleute der Pflege oder der Psychologie eine grosse Herausforderung.
Die Rat suchende Frau soll dabei in die Lage versetzt werden, möglichst selbständig entscheiden zu
können, wie sie mit ihrem genetischen Schicksal umgehen will. Für zahlreiche medizinische,
genetische, ethische und psychosoziale Fragen muss dabei nach einer guten individuellen Antwort
gesucht werden. Beispielsweise:
• Liegt überhaupt ein hereditärer Brustkrebs vor? Was spricht dafür (z.B. frühes Erkrankungsalter,
mehrere Tumorherde, Neubildungen in anderen Organen, bereits betroffene Angehörige)? Wie soll
man als Betroffene mit dieser Vermutung umgehen?
• Das Vorliegen bestimmter Formen von familiärem/hereditärem Brustkrebs lässt sich mittels
Gentests bestätigen. Wann soll ein solcher durchgeführt werden?
• Was macht die betroffene Frau im Falle eines pathologischen Resultates? Was macht sie, falls man
nichts findet? Ist ein mutiertes BRCA1- oder BRCA2-Gen eine tickende Zeitbombe?
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• Welche Vorbeugemassnahmen können beim Vorliegen eines genetischen Risikos für Brustkrebs
unternommen werden? Soll gar eine chirurgische Prävention (Entfernung von Eierstock, Eileiter oder
Brustgewebe) ins Auge gefasst werden?
• Muss die betroffene Frau ihre Kinder, Angehörige und weitere Verwandte über das Testergebnis
informieren?
• Ist man verantwortungslos, wenn jemand einen Verdacht auf eine Brustkrebsveranlagung
gentechnisch nicht abklären lassen will?
• Darf jemand im Falle eines positiven Resultates eigene Kinder haben? Darf diese Person die Pille
einnehmen? Hat eine nachgewiesene BRCA1- oder BRCA2-Genmutation auch Bedeutung für die
Söhne einer betroffenen Frau?
Der Vortrag soll dazu beitragen, involvierte Fachpersonen auf die komplexen Fragestellungen zu
sensibilisieren, wenn das Vorliegen einer Brustkrebsveranlagung möglich ist.
Medizinisch-genetischer Hintergrund
Allgemeines: Das Mammakarzinom ist das häufigste Malignom bei der Frau und betrifft ca. 5000
Frauen pro Jahr in der Schweiz neu. Dabei ist bei etwa 15-20 % dieser Frauen eine familiäre Häufung
von Mammakarzinomen anzutreffen und bei 5-10 % dieser Frauen liegt gar ein hereditäres,
autosomal dominant vererbtes Leiden vor. In 2/3 dieser Fälle kann eine Mutation in den Genen
BRCA1 oder BRCA2 als Ursache gefunden werden, in wenigen Prozenten auch in Genen wie AT oder
p53. In 1/4 der Fälle ist das betroffene Gen noch nicht identifiziert.
BRCA1 und BRCA2: Das BRCA1-Gen ist ein grosses, auf dem Chromosom 17q21 lokalisiertes Gen, das
ein Protein mit 1863 Aminosäuren kodiert. Es sind derzeit über 600 verschiedene pathogene
Mutationen von BRCA1 bekannt. Das BRCA2-Gen ist noch grösser und liegt auf Chromosom 13q12-13
und kodiert ein Protein mit 3418 Aminosäuren. Für dieses Gen sind derzeit über 450 pathogene
Mutationen bekannt. Beide Gene sind ontogenetisch hoch konserviert, also z.B. schon bei der Maus
sehr ähnlich vorhanden, was ihre Wichtigkeit für den Organismus unterstreicht. Beide Proteine sind
in Wachstum und Differenzierung der Mammae sowie in DNS-Reparaturvorgänge involviert. In
ethnisch sehr homogenen Gruppen gibt es so genannte Founder-Mutationen, wie z.B. die drei
Ashkenazi-Mutationen, die zusammen mit einer Prävalenz von ca. 3% in dieser Bevölkerung
vorkommen.
Krankheitscharakteristika: Spezifische Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 bewirken eine
Prädisposition für Mamma- und Ovarialkarzinome, aber auch für Prostatakarzinome (BRCA1) und
andere Malignome (BRCA2). Das genaue Risiko, als GenmutationsträgerIn Krebs zu entwickeln, ist
nicht bekannt und scheint sogar bei gleichen Mutationen unter Familien gleicher ethnischer Herkunft
variabel zu sein. Schätzwerte für Mamma- und Ovarialkarzinom-Risiken stammen einerseits von
Familien mit zahlreichen betroffenen Individuen, andererseits aber auch von Familien mit nur
wenigen Betroffenen oder aus bevölkerungsbasierten Studien. Das Lebenszeit-Risiko, Brustkrebs zu
entwickeln, für eine Frau mit einer Mutation in einem der Gene liegt bei ca. 35-84%. Das LebenszeitRisiko für ein Ovarialkarzinom liegt für BRCA1-Mutationen bei ca. 45-60% und für BRCA2-Mutationen
bei ca. 10-30%.
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Die Prognose eines manifesten Mammakarzinoms hängt in erster Linie vom Stadium bei seiner
Entdeckung ab und scheint gleich zu sein bei BRCA1- oder BRCA2-Mutations-abhängigen Tumoren
wie bei den Kontrollen, obwohl die BRCA1-Tumoren ein eigenes Spektrum an Eigenschaften zeigen
(häufiger multizentrisch, bilateral, rezeptornegativ, seltene Histologie wie medullär, G3).
Diagnose/Gentest: Anhand von Stammbaumanalysen können mit Hilfe von verschiedenen Modellen
Hochrisikofamilien identifiziert werden. Die vom schweizerischen Netzwerk für Genetik in der
Onkologie vorgeschlagenen Kriterien für die Empfehlung einer genetischen Beratung, die vor jedem
Testen unabdingbar ist, wären:
• ein Blutsverwandter mit nachgewiesener BRCA1- oder BRCA2-Mutation
• ein Fall von Brustkrebs vor 40 J. oder Ovarialkrebs vor 50 J.
• zwei Fälle von Brustkrebs vor 50 J. (eng verwandt, d.h. 1º oder 2º verwandt)
• ein Fall von bilateralem Brustkrebs mit einer engen Verwandten mit Brustkrebs
• ein Brust- und Ovarialkrebs in der gleichen Patientin
• ein eng verwandter Mann mit Brustkrebs und FA für Brust- oder Ovarialkrebs
• Ashkenazi-Herkunft mit einem Brustkrebs vor 50J. oder über 50J. mit positiver FA für Brust- oder
Ovarialkrebs
• Zwei Fälle von eng Verwandten mit Ovarialkrebs
• Hinweise auf spezielle Syndrome (SBLA-Syndrom)
Heute können den Klinikern für die Abklärung von Hochrisiko-Individuen oder für Verwandte von
Patienten mit bekannten BRCA1- oder BRCA2-Mutationen DNS-basierte Gentests angeboten werden,
die nach krebsdisponierenden BRCA1- und BRCA2-Mutationen suchen. Derzeit kann jedoch mit
keiner der angewandten Techniken garantiert werden, dass alle krebsdisponierenden Mutationen in
den Genen BRCA1 oder BRCA2 identifiziert werden können. Die Resultatinterpretation wird zudem
dadurch erschwert, dass auch Mutationen gefunden werden können, deren klinische Relevanz und
somit Risikoeinstufung noch unklar sind.
Management: Die Beratung und Betreuung von Individuen mit krebsdisponierenden BRCA1- und
BRCA2-Mutationen beinhaltet die offene Diskussion über Krebs-Screening-Programme,
Chemopräventionsstudien und die Option prophylaktischer chirurgischer Interventionen. Zur
Früherkennungsstrategie bezüglich des Mammakarzinoms gehören monatliche Brustselbstkontrollen
ab 18J., 3- bis 6-monatliche klinische Brustkontrollen ab 25J., 6-monatliche Brustsonographien ab
25J. und jährliche Mammografien evt. auch MRIs. Zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms sind
bisher 6-monatliche gynäkologische Kontrollen mit Vaginalultraschall inkl. allenfalls Doppler und
jährliche CA-125-Messungen ab 25J. empfohlen, wobei sich damit die Mortalität leider nicht
reduzieren lässt. Trotz der Intensität dieser Programme handelt es sich nicht um eine echte
Prävention, sondern lediglich um eine frühere Erkennung des Krankheitsbeginns. Die
prophylaktischen chirurgischen Massnahmen sind zwar sehr radikal, aber sie sind derzeit die
wirksamsten Interventionen. Die bilaterale Mastektomie (mit Wiederaufbau) reduziert das
Brustkrebsrisiko von Mutationsträgerinnen um 95%. Die bilaterale Adnexektomie reduziert das
Ovarialkarzinom-Risiko um 85-95% und das Mammakarzinom-Risiko um 55-70%. Eine in den USA
Mutationsträgerinnen empfohlene Strategie sieht nach Abschluss der Familienplanung möglichst
früh (mit 35-40J.) eine Hysterektomie mit bilateraler Adnexektomie vor mit reiner
Östrogensubstitution bis zum Alter von 50J. und anschliessend eine Prophylaxe mit Tamoxifen (evt.
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auch Aromatasehemmer) für 5 Jahre. Damit bleibt ein Restrisiko für ein Mammakarzinom von 21%
(doppeltes Risiko wie in der Bevölkerung) und für das Ovarialkarzinom von 1% (halb so hoch wie in
der Bevölkerung). In der Schweiz ist man derzeit mit prophylaktischer Chirurgie recht zurückhaltend,
obwohl damit zahlreiche Leben gerettet werden könnten.
Genetische Beratung: Krebsdisponierende Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 werden in
einem autosomal dominanten Muster vererbt. Es ist zu empfehlen, die spezifische
krebsdisponierende Mutation zunächst in einem betroffenen Familienmitglied zu identifizieren
(dauert ca. 3-6 Monate, kostet ca. SFr. 6‘000.- bis 12‘000.-, von KK rückerstattet). Danach kann das
Testen von asymptomatischen Risiko-Verwandten auf die gezielte Suche nach dieser definierten
Mutation beschränkt werden (dauert ca. 4 Wochen, kostet ca. SFr. 500.-, von KK rückerstattet).
Direkte Nachkommen eines Individuums mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation haben ein 50%iges
Risiko, diese Genmutation vererbt bekommen zu haben. Eine diesbezügliche pränatale Diagnose
wäre prinzipiell möglich, wird aber wie bei anderen erst im Erwachsenenalter manifesten
Erkrankungen in der Schweiz bisher nicht durchgeführt und wäre auch als ethisch heikel zu bewerten.
Internet-Quellen:
www.genereviews.com
http://research.nhgri.nih.gov/bic/resources.shtml
www.nci.nih.gov
www.asco.org
www.cancercare.org
eigene Publikation:
Bürki, Nicole (Hrsg.); Hürlimann, Denise C. (Hrsg.); Baumann-Hölzle, Ruth; Müller, Hansjakob (Hrsg.)
Familiärer Brustkrebs: Diagnose, Beratung, Therapie und Langzeitbetreuung
Brustkrebs ist die häufigste Tumorkrankheit der Frau. Bei bis zu zehn Prozent aller Betroffenen führt
eine vererbbare Veranlagung zu einer Häufung von Brustkrebs in der Familie – man spricht von
Familiärem Brustkrebs. Dies stellt spezifische Fragen bei Diagnose, Beratung, Therapie und
Langzeitbetreuung. In drei Viertel dieser Fälle kann man mittels Gentests eine Veranlagung für
Brustkrebs feststellen. Wann sind solche Tests sinnvoll? Was macht die betroffene Frau bei einem
pathologischen Resultat? Sind vorbeugende Operationen angezeigt? Auf solche und andere Fragen
gibt das Buch „Familiärer Brustkrebs“ fundierte Antworten. Vertreter aus Medizin, Genetik,
Psychologie, Recht und Ethik wie auch Betroffene selbst kommen zu Wort. Das Buch ist sowohl für
Fachleute als auch für Betroffene und ihre Angehörige eine umfassende Informationsquelle.
Schulthess Verlag; 2012
978-3-7255-6607-5
Buch (Kartoniert, Paperback)
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