Sie haben zwei Stimmen! Was hat es eigentlich mit den zwei Stimmen auf sich, die Sie bei der kommenden Bundestagswahl am 18. September 2005 abgeben können? Nicht selten werden Sinn- und Zweck der Erst- und Zweitstimme verwechselt. Zunächst zur Bedeutung der Erststimme: Das Gebiet der Bundesrepublik ist in 299 Wahlkreise eingeteilt. In jedem dieser Wahlkreise stellen die Parteien einen Kandidaten auf. Aus diesen wählen die Wahlberechtigten mit ihrer Erststimme den Wahlkreisabgeordneten. Das Direktmandat hat der Kandidat gewonnen, der die meisten Stimmen auf sich vereint. 1994, 1998 und 2002 konnte ich dank des Vertrauens, das mir entgegengebracht wurde, den Rheinisch-Bergischen-Kreis in Berlin als direkt gewählter Abgeordneter vertreten. Nun zur Zweitstimme. In jedem Bundesland stellt jede Partei eine Kandidatenliste auf, die so genannte Landesliste. Mit ihrer Zweitstimme wählen die Wahlberechtigten eine dieser Parteien und damit diese Landesliste. 299 Abgeordnete erhalten ihr Bundestagsmandat über diese Listen. Mit der Zweitstimme entscheiden die Wähler über die politische Zusammensetzung des Bundestages, d.h. über die Mehrheitsverhältnisse, denn: nur nach dem Anteil der Zweitstimmen richtet sich die Zahl der Parlamentssitze, die einer Partei zustehen. Die Zweitstimme ist somit die politisch wichtigere Stimme. Mit der Erststimme haben die Wähler vor allem Einfluß auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments. Die auf die Parteien entfallenen Sitze werden nämlich zunächst an die Abgeordneten vergeben, die ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag von den Wählerinnen und Wählern erhalten haben. Nachdem die Direktmandate verteilt wurden, werden die den Parteien noch zustehenden Sitze mit Listenkandidaten besetzt. Anders wird beispielsweise in Großbritannien gewählt: Die Briten haben nur eine Stimme, mit der sie in den 659 Wahlkreisen ihre Members of Parliament per Mehrheitswahlrecht nach London schicken. Der Kandidat mit den meisten Stimmen vertritt den Wahlkreis im Unterhaus. Ein Mehrheitswahlsystem führt in der Regel zu einem Zweiparteiensystem; Minderheitenparteien haben kaum eine Chance ein Mandat zu erlangen. Nicht wenige finden, dass dieses Mehrheitswahlrecht vorzugswürdig sei, denn schließlich seien dann ausnahmslos alle Parlamentarier in ihren Wahlkreisen direkt gewählt. Auf den ersten Blick klingt dieses Argument überzeugend, auf den zweiten -2Blick stellen sich allerdings erhebliche Bedenken ein. Beim Mehrheitswahlrecht ist es nämlich nicht nur theoretisch möglich, sondern eine häufige parlamentarische Praxis, dass die Zusammensetzung des Parlaments ganz und gar nicht den politischen Kräfteverhältnissen der Parteien entspricht. Da alle Stimmen, die nicht der „Sieger“ erhält, für die Zusammensetzung des Parlaments völlig irrelevant sind, kommt es nicht selten vor, dass eine Partei vielleicht nur 35% oder 40% der Stimmen erhält, aber im Parlament über eine stabile absolute Mehrheit verfügt. Und dies soll dann dem Willen des Souveräns entsprechen? In der Bundesrepublik haben wir eine Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. Das Wahlsystem nach dem der Deutsche Bundestag gewählt wird, nennt sich personalisiertes Verhältniswahlrecht. Meine neuerliche Bitte: Machen Sie am 18. September von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! Eine lebendige Demokratie lebt davon, dass sich möglichst viele für sie engagieren!