HIV-Übertragung: Die strafrechtliche Sicht Von Bernd Aretz Es geschehe Recht und wenn die Welt untergeht. Aber vor Gericht ist man ebenso wie auf hoher See in Gottes Hand und bekommt kein Recht sondern ein Urteil. Juristen sind dann gefragt, wenn soziale Konflikte nicht auf einer sozialen Ebene gelöst werden können und jemand gesucht wird, der dem Streit ein Ende setzt – richtig oder falsch, sinnhaft oder nicht. Strafrecht will Mindestanforderungen für den Umgang des Einzelnen mit dem Rest der Gesellschaft als Individuum oder als Gesamtheit festschreiben. Die Festlegung der Mindestanforderungen sind gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen. Erst 1969 wurde in Deutschland der Straftatbestand des Ehebruches abgeschafft. 1977 wurde für Scheidungen das Verschuldensprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt. Seitdem ist Untreue kein Scheidungsgrund mehr. § 175 StGB, der die Homosexualität strafrechtlich sanktionierte, wurde 1994 gestrichen. Die Fragen des Sexualverhaltens und seiner Folgen wurden in den Bereich des Privaten verwiesen. Andererseits wurde erst 1997 die Vergewaltigung in der Ehe strafbar und damit das sexuelle Verfügungsrecht des Mannes über die Frau juristisch abgeschafft. Das Gewaltmonopol des Staates korrespondiert mit seiner Verpflichtung, den einzelnen zu schützen. Dies geschieht auch über das Strafrecht, das den einzelnen durch eine Verurteilung von weiteren Straftaten abhalten, zur Befriedung der Beteiligten beitragen und generalpräventiv sittenbildend in die Gemeinschaft einwirken will. In allen Rechtsordnungen seit den alten Römern ist das Gebot niemanden zu verletzen, verankert. § 223 des deutschen Strafgesetzbuches bestimmt Körperverletzung: Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird …. bestraft“. Dass die tatsächliche Übertragung einer HIV Infektion diesen Tatbestand erfüllt, ist eindeutig, ob als gefährliche oder schwere Körperverletzung mag dahinstehen. Damit unterscheidet sie sich weder von der Übertragung anderer Krankheiten noch von ärztlichen Eingriffen. Jedoch wenn eine Einwilligung vorliegt, ist die Körperverletzung nicht rechtswidrig und damit auch nicht strafbar. Sie kann mutmaßlich vorliegen, wie etwa bei bewusstlosen Unfallopfern für medizinische Eingriffe. Sie kann ausdrücklich oder stillschweigend aus den Umständen ersichtlich erteilt werden – wie etwa durch die Teilnahme an verletzungsgeneigtem Mannschaftsport. Es ist wohl auch bei der Teilnahme an Sexpartys oder anonymen Sex von einer stillschweigenden Einwilligung in das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen auszugehen. Vor allem bei einer Biografie mit früheren ungeschützten sexuellen Kontakten kann man einen fehlenden geäußerten Schutzwunsch auch so werten, dass die am sexuellen Geschehen Beteiligten, es einfach darauf ankommen lassen und so eine Einwilligung in das Risiko geben. Bei einer Neigung zum ungeschützten Verkehr kann doch niemand wissen, ob er nicht selber eine Gefahr für seine PartnerInnen darstellt. Nach dreißig Jahren Aufklärung sind die Übertragungswege bekannt und spätestens ab der Pubertät kann jede und jeder wissen, wie man sich schützen kann. Von einem überlegenen Sachwissen des Menschen mit HIV auszugehen, wie es die Justiz heute noch tut, ist keineswegs zwingend. Wenn man von diesem verlangt sich zu offenbaren, dann müsste man auch vom anderen Beteiligten eine Offenlegung möglicher vorhergehender Risikokontakte verlangen. Natürlich ist es wünschenswert, wenn HIV-Infizierte offen mit ihrer Infektion umgehen oder auf Schutz bestehen. Aber das muss nicht heißen, dass dazu eine juristische Verpflichtung besteht. Roger Staub vertritt als Leiter der Sektion AIDS beim Schweizerischen Bundesamt für Gesundheit eindeutig, dass diese Verpflichtung außerhalb besonderer Vertrauensverhältnisse nicht besteht. Es lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass sich die Justiz aus der einvernehmlichen Sexualität gleichberechtigter Partner herauszuhalten hat. Es berührt doch merkwürdig, wenn ein erwachsener Mensch sich beschwert, dass man ihn für so selbständig gehalten hat, auf sich selbst aufpassen zu können. Die Vorstellung Kondome nur zu benutzen, wenn das Gegenüber auf eine HIVInfektion hingewiesen hat, ist nicht schützenswert. Liegt keine Einwilligung vor, bedarf es für eine Verurteilung zusätzlich der Feststellung der Schuld. Bei erfolgter Körperverletzung reicht zur Verurteilung Fahrlässigkeit aus, das heißt, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht blieb. Kommt es nicht zur Übertragung, muss das Gericht Vorsatz feststellen, um verurteilen zu können. Das kann Absicht oder als bedingter Vorsatz mindestens das billigende Inkaufnehmen der Tatfolge sein. Das heißt, man darf nicht darauf vertraut haben, es werde schon gut gehen. Bei vielen Situationen im Straßenverkehr wird dieses Vertrauen von der Rechtsprechung akzeptiert, bei der Möglichkeit, HIV weiter zu geben, bisher jedoch nicht. Die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde wird nur tätig, wenn eine Anzeige vorliegt oder wenn dies dank Medienberichten geboten erscheint. Das Verfahren wird ohne Auflage eingestellt, wenn eine Tat nicht nachweisbar erscheint oder als so geringfügig, dass es einer Strafe nicht bedarf, gegen Geldbuße oder Arbeitsauflage mit Zustimmung des Betroffenen, wenn die Schuld gering erscheint oder unklar ist oder aber weil niemandem ein überwiegender Vorwurf gemacht werden kann. Das kommt zum Beispiel bei Schlägereien oder Beleidigungen häufiger vor. Die weiteren Möglichkeiten sind der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls – also einer Verurteilung im schriftlichen vereinfachten Verfahren oder aber eine Anklageerhebung. Daneben besteht die Möglichkeit einen Täter / Opfer Ausgleich anzuregen, der von Beratungsstellen außerhalb des Gerichtes moderiert und begleitet wird. Eine Analyse der bisherigen Urteile ergibt: Die Veränderungen durch die Erfolge der Medizin und die Erkenntnisse der Public Health Forschung werden von der Justiz nicht angemessen berücksichtigt. Bei der Staatsanwaltschaft München I ist die Verfolgung der HIV Übertragung bei der Abteilung für Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag angesiedelt. Auf diesem Hintergrund hat der Nationale Aids Beirat unlängst ein Votum verabschiedet, in dem die medizinischen Fakten für die Justiz kurz dargestellt werden. Darin stellt er auch klar, dass eine Täter / Opfer Perspektive in einvernehmlicher Sexualität auch bei erfolgter Infektion unangemessen ist, jedenfalls außerhalb besonders vertrauensvoller Beziehungen, in denen berechtigt Schutz oder Information erwartet werden darf. Selbst nach dreißig Jahren Aufklärung ist immer noch nicht in der Justiz angekommen, das jeder, der kein HIV haben will, sich einfach schützen kann, dass man HIV nicht einfach bekommt sondern sich holt. Die Vorstellung, eine Offenbarungspflicht des Positiven ändere objektiv etwas an der Entscheidungssituation, ist falsch, denn die Mehrzahl der Infektionen finden zwischen Menschen statt, die mehr oder weniger guten Gewissens glauben, nicht infiziert zu sein, etwa die Hälfte während der Primoinfektion. Nur die Aussage: „ich bin infiziert, gut therapiert und meine Viren sind stabil unter der Nachweisgrenze“ kann doch eine Relevanz für den Verzicht auf Kondome haben. Die HIV Behandler_innen kommen als Sachverständige oder als Zeugen mit besonderer Sachkunde ins Spiel. Die Zahl der vor Gericht behandelten Fälle ist gering, auch wenn man aufgrund der hohen medialen Öffentlichkeit einen anderen Eindruck haben kann. Es waren in dreißig Jahren weit unter Hundert. Sie müssen daher davon ausgehen, dass weder bei Gericht und vielleicht auch nicht bei der Verteidigung, möglicherweise noch nicht einmal bei den Betroffenen eine besondere Fachkunde zu Übertragung und gesundheitlichen Folgen des HI-Virus vorhanden ist. Sollte die Justiz sich einer Anzeige - selbst bei einer nicht erfolgten Infektion in einer flüchtigen Begegnung durch ein Gerichtsverfahren annehmen, wie es etwa in München schon häufiger vorgekommen ist selbst bei einer hochwirksamen Therapie - sind folgende Umstände von Bedeutung: Jenseits der Primoinfektion ist die Übertragungswahrscheinlichkeiten (unter Therapie gegen Null tendierend) gering. Das ist wichtig zur Beurteilung der Frage, ob der Mensch mit HIV darauf vertrauen durfte, es werde schon nichts passieren. Dies ist notwendig um den Vorsatz auszuschließen. Die gute Behandelbarkeit der Infektion ist von Bedeutung gegen das Gefühl es handele sich hier um ein versuchtes Tötungsdelikt. Die Voten des Nationalen Aids Beirates und die Stellungnahmen der Fachgesellschaften wie DAIG und DAGnÄ aber auch des RKI sind hilfreich gegen vereinzelte Sachverständige, die immer noch vertreten, der Oralverkehr stelle selbst unter erfolgreicher Therapie ein erhebliches HIV Übertragungsrisiko dar. Sie können auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit verängstigten Patientinnen vermitteln, dass Strafverfahren für einen offeneren Umgang mit HIV schädlich sind. Dass sie der Prävention schaden, ist für die Justiz im Einzelfall zwar unerheblich aber die Vorstellung, sie könnten der Prävention nützen, sollten Sie ausräumen. Kurz gesagt, Sie müssen davon ausgehen, dass in den Köpfen noch das alte Aids vorhanden ist. Diese Bilder am konkreten Einzelfall aufzulösen, ist die der Medizin bei der Beratung des Gerichtes gestellte Aufgabe. In der Beratung der Patienten sollten Sie vermitteln, dass die Bearbeitung der eigenen Anteile an einer Infektion statt der Suche nach einem Schuldigen für die Krankheitsbewältigung hilfreich ist. Stehen sie Patienten bei, die in die Mühlen der Justiz geraten sind, sollten Sie auf die Notwendigkeit eines auch mit HIV erfahrenen Strafverteidigers hinweisen. Kontakte kann die Deutsche AIDSHilfe vermitteln. Autor: Bernd Aretz, Jurist, Notar a. D., Mitglied des Nationalen Aids Beirates, [email protected] http://praxis-psychosoziale-beratung.de/hiv-64.htm - Beitrag für die Münchener Aids- und Hepatitis- Werkstatt 2013