4. Internationales Symposium Forensische Psychiatrie Zürich, 23.-25. Mai 2012, Workshop: Paraphilien und sexuelle Delinquenz – Diagnostik, Behandlung und Begutachtung Peer Briken & Andreas Hill Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie Praxis A. Hill: Rothenbaumchaussee 7, 20148 Hamburg Wichtige Differenzierung • Sexualstraftäter haben häufig keine Paraphilie (z.B. Pädophilie, Sadismus) • Patienten mit Paraphilien sind nicht gleichzusetzen mit Sexualstraftätern. • Viele empirische Untersuchungen beziehen sich auf Sexualstraftäter! 1 Sexuelle Störungen bei Sexualstraftätern (Eher et al. 2010) Lebenszeit-Prävalenz Gesamt (n: 807) Missbrauchstäter (n: 430) Vergewaltiger (n: 377) Paraphilien gesamt 50 78 24 *** Pädophilie - nur Jungen - nur Mädchen - beides - ausschließlicher Typus 40 21 63 16 17 72 3 *** Masochismus 2 2 Sadismus 6 3 Transvestischer Fetischismus 1 2 1 Fetischismus 3 3 3 Exhibitionismus 5 6 3 ** Voyeurismus 6 7 5 Frotteurismus 2 2 2 NNB Paraphilie 10 9 11 Sexuelle Funktionsstörungen 17 20 14 2 10 *** Andere psychische Störungen bei Sexualstraftätern Lebenszeit-Prävalenz % Substanzmissbrauch 60-85 Affektive Störungen (bes. Depression) 60 Angststörungen, (bes. soziale Phobie) 25-65 Impulskontroll-Störungen 30-38 ADHD (retrospekitiv) 30 Persönlichkeitsstörungen – Antisozial 50 – Borderline 30 – Ängstlich-vermeidend 20 2 Paraphilie (DSM-IV) • Wiederkehrende, intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse od. Verhaltensweisen, bezogen auf – nicht-menschliche Objekte – das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder eines Partners – Kinder oder andere nicht-einwilligende bzw. nichteinwilligungsfähige Personen • Dauer: mindestens sechs Monate • Obligat oder episodisch • Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen Lebensbereichen Klassifikation DSM-IV • • • • • • • • • Fetischismus transvestitischer Fetischismus Exhibitionismus Voyeurismus Pädophilie sexueller Masochismus sexueller Sadismus Frotteurismus nicht näher bezeichnete Paraphilie DSM-V? • Hypersexual disorder • Coercive paraphilic disorder • Pedohebephilic disorder Häufig liegen mehrere Paraphilien vor! (Abel et al. 1988) 3 DSM-V: Paraphilie vs. Paraphile Störung • Paraphilie: irgendein intensives und überdauerndes sexuelles Interesse außer dem an genitaler Stimulation oder Vorspiel mit phänotypisch normalen, einwilligenden erwachsenen menschlichen Partnern • Paraphile Störung: eine Paraphilie, die zu Leidendruck oder sozialer Beeinträchtigung des Individuums oder zu Schaden bei anderen führt Struktur • Kriterium A: – Beschreibt die paraphilen Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen – stellt die Paraphilie fest • Kriterium B: – Beschreibt die negativen Konsequenzen für das Individuum oder Andere – diagnostiziert eine paraphile Störung 4 Verlaufsspezifizierung • In beschützter Umgebung • In Remission (kein Leidensdruck, Beeinträchtigung, der wiederkehrende Verhaltensweisen in nicht-beschützter oder unkontrollierter Umgebung) Laufende Veränderungen • In welchen Bereichen hat es Veränderungen nach den Ursprungsvorschlägen gegeben? – Anzahl der Opfer als Kriterium – Hypersexuelle Störung – Paraphilic Coercive Disorder – Pädohebephile Störung 5 Paraphilie Kriterien für Schwere einer Paraphilie 1. Progredienz nach Giese u. Schorsch oder Paraphilie mit Paraphilie-verwandter Störung (PRD) / Hypersexueller Störung 2. Sadismuskritierien - sexueller Sadismus - sadistische Persönlichkeitsstörung - forensisch diagnostizierter Sadismus (Knight & Prentky) 6 Progredienz A. Progredienz (nach Giese 1962 und Schorsch 1971) – Periodische Akzentuierung eines dranghaft gesteigerten sexuellen Verlangens mit innerer Unruhe – Starke sexuelle Fantasiebesetzung – Progression im Längsschnitt – Kürzere Abstände zwischen Manifestationen – Signalhafte Auslöser der sexuellen Handlungen – Autoerotische Fixierung mit hoher Masturbationsfrequenz – Wunsch nach Behandlung Progredienz: Hypersexuelle Störung (Vorschlag für DSM V, Kafka 2010) A. Über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende und intensive sexuelle Fantasien, sexuelle Bedürfnisse oder Verhaltensweisen in Verbindung mit ≥ 4 der folgenden Kriterien: 1. 2. 3. 4. 5. Starke zeitliche Beanspruchung durch sexuelle Fantasien, Bedürfnisse und Verhaltensweisen; wiederholte Beeinträchtigung von anderen wichtigen Zielen, Aktivitäten und Verpflichtungen ... als Reaktion auf dysphorische Stimmungszustände (Angst, Depression, Langeweile, Reizbarkeit) ... als Reaktion auf belastende Lebensereignisse Wiederholte erfolglose Bemühungen, die sexuellen Fantasien, Bedürfnisse, Verhaltensweisen zu kontrollieren oder reduzieren Wiederholtes sexuelles Verhalten trotz Risiko von körperlicher und psychischer Schädigung für sich selbst oder andere 7 Hypersexuelle Störung (Vorschlag für DSM V, Kafka 2010) B. Klinisch bedeutsames persönliches Leiden und eine Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Funktionsbereichen C. Die Symptomatik ist nicht auf eine direkte physiologische Wirkung exogener Substanze (z.B. Drogen, Medikamente) zurückzuführen. Spezifisches Verhalten: Masturbation, Pornografie, direkte sexuelle Kontakte (Prostituierte, Escortservice, „One-night-stands“, Anonyme sexuelle Begegnungen, Affären), Cybersex, Telefonsex, Strip Clubs etc. Sadistische Persönlichkeitsstörung (DSM-III-R) A. Sich wiederholendes Muster grausamen, erniedrigenden u. aggressiven Verhaltens Mindestens 4 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. körperliche Grausamkeit / Gewalt in einer Beziehung, um sich eine dominante Rolle zu sichern (nicht um beziehungsunabhängige Ziele zu verfolgen, z.B. jemanden zu schlagen, um ihn auszurauben) 2. Erniedrigt oder macht Personen in der Gegenwart anderer schlecht 3. Behandelt jemanden unter seiner/ihrer Kontrolle ungewöhnlich hart oder diszipliniert ihn/sie (z.B. Kind, Schüler, Gefangenen oder Patienten) 4. Amüsiert oder erfreut sich an psychischem oder körperlichem Leiden anderer (einschließlich Tieren) 5. lügt, um anderen Leiden oder Schmerz zuzufügen (nicht um irgendein anderes Ziel zu erreichen) 6. Bringt andere Leute dazu, das zu tun, was er/sie möchte, indem er/sie diese bedroht (durch Einschüchterung oder Drohungen) 7. Schränkt die Selbständigkeit von Leuten ein, mit denen er/sie eine enge Beziehung unterhält 8. fasziniert von Gewalt, Waffen, Kriegskünsten, Verwundungen oder Folter B. Dieses Verhalten ist nicht nur auf eine Person ausgerichtete und dient nicht lediglich dem Zwecke sexueller Stimulierung (wie bei sexuellem Sadismus 8 Ätiologie Biologie: Gene, Hirnschädigung, Hormone, Neurotransmitter, „Konstitution“ Sexuelle Devianz u./o. Gewalt Distale Ursachen: Frühsozialisation, Bindung, Traumata u. Identifizierungen / Lernen am Modell (Pornographie?) Proximale Ursachen: Lebenskrisen (Arbeit, Partnerschaft); Stimulation bzw. Enthemmung, z.B. Alkohol o. Drogen, Pornographie 9 Biologische Faktoren Methodische Probleme • Nahezu ausschließlich Untersuchungsstichproben aus dem forensischen Kontext • Z.T. ungenaue Diagnostik • Kaum Vergleichbarkeit vieler Einflußgrößen (IQ, Vorstrafenbelastung, Haftdauer .... • Schlussfolgerungen hinsichtlich Paraphilien (bes. ohne forensische Relevanz) nur sehr eingeschränkt möglich 10 Familiäre Belastung Genetische Ursachen? • Kaum Studien: Erhöhtes Risiko für Paraphilien bei Angehörigen 1. Grades von Patienten mit Pädophilie und anderen Paraphilien im Vgl. zu depressiven Pat. (Gaffney et al. 1984) • Bei Männern mit XYY-Syndrom i.Vgl. zu Männern mit XXY (Klinefelter-Syndrom) und einer Normalgruppe häufiger unkonventionelle sexuelle Aktivitäten und Phantasien (Krueger u. Kaplan 2001); bei sexuellen Tötungen in 3/166 Fällen (Briken et al. 2006) Neuropathologische Befunde bei sexueller Devianz Läsionen und Dysfunktionen • im Frontalhirn: eher mit allgemeiner Enthemmung und Antisozialität assoziiert • im Temporalhirn: eher mit devianter sexueller Erregung assoziiert • im Korticostriäres System: eher mit wiederkehrenden, evtl. auch zwanghaft anmutenden Verhaltensmustern assoziiert 11 Neurotraumatologische Befunde bei sexueller Devianz • Unfälle in der Kindheit mit Bewusstlosigkeit (vor 6 Lj.) sind mit niedrigem Intelligenzniveau, schlechterem Bildungsstand u. Pädophilie assoziiert (Blanchard et al. 2002). • Erklärungsmöglichkeiten: – Traumatische zentralnervöse Beeinträchtigungen in der Kindheit führen zum Auftreten einer Pädophilie – Eine vorbestehende Entwicklungsstörung begünstigt sowohl die Neigung zu Unfällen als auch zur Pädophilie – ADHD als mögliches Bindeglied zwischen Entwicklungsstörung, Unfallneigung und Pädophilie → ADHD gehäuft bei pädophilen Pat. (Kafka u. Hennen 2002) u. Sexualstraftätern (Blocher et al. 2001, VaihKoch et al. 2001) Morphometric MRI studies Study Theory Prediction Subjects Schiltz et al. (2007) limbic “temporal” 15 pedophiles 15 community controls OCD/ impulsivity frontal 18 pedophiles 24 community controls atheoretical unbiased 65 pedophiles 62 nonsexual offenders Schiffer et al. (2007) Cantor et al. (2008) 12 Functional MRI studies (Cantor 2011) . Study Anatomy Subjects Results Walter et al. (2007) whole brain pedophiles, healthy controls pedophiles respond analogously to controls Schiffer et al. (2008a) whole brain homosexual pedophiles, healthy gay men pedophiles respond analogously to controls Schiffer et al. (2008b) whole brain heterosexual pedophiles, heterosexual controls no pedophilic responses Poeppl et al. (2011) whole brain pedophiles, nonsexual offenders pedophiles respond analogously, but > controls Sartorius et al. (2008) amygdala center homosexual pedophiles, heterosexual controls amygdala responded analogously Ponseti et al. (2011) empirical subset of brain diverse pedophiles, diverse controls 88% sensitivity and 100% specificity Cerebrale Bildgebung - Pädophilie Funktionelles MRI: • Vergleich hetero-Pädophile vs. hetersex. Kontrollen: Bei präferiertem Stimulus ähnliche Aktivität im limbischen System (Amygdala, Cingulum, Hippocampus), Substantia nigra, Caudatum, Anteriorer Cingulärer Cortex, Thalamus • Aber: Hetero-Pädophile bei sex. Stimulus ↓ Aktivität im orbitofrontalen Kortex (OFC) und ↑ Aktivität im dorsolateralen prefrontalen Cortex (DLPFC) • Bei Homo-Pädophilen (vs. homosex. Kontrollen) ↑ Aktivität im Thalamus, Globus pallidum u. Striatum (Schiffer et al. 2008 a,b) 13 fMRI - Schiffer et al. 2008a Frauen als Stimuli Mädchen als Stimuli Kontrollen - Pädophile fMRI - Schiffer et al. 2008a Aktivitätskontraste Pädophile mit Mädchen-Stimuli vs. Kontrollen mit Frauen-Stimuli 14 Cerebrale Bildgebung - Pädophilie Funktionelles MRI: • ↑ Amygdala-Aktivierung auf pädosexuelle Stimuli bei Pädophilen (vs. Kontrollen, Sartorius et al. 2008) • Bei Pädophilen (vs. Kontrollen): ↓ Aktivität auf erotische (Erwachsenen-) Stimuli im Hypothalamus, periaquäduktalen Grau u. dorsolateralen prefrontalen Cortex (Walter et al. 2007) Cerebrale Bildgebung Neurobiologische Erklärungsmodelle für Pädophilie bzw. pädosexuelle Handlungen: 1. Störungen der Exekutivfunktionen des Frontalhirns (Disinhibition) 2. Störungen des temporolimbischen Systems (z.B. gesteigertes sexuelles Verlangen und verminderte Hemmung durch Amygdala) 3. Duale Dysfunktion des Frontalhirns und des Temporolimbischen Systems 4. Störungen der Verbindungen zwischen Hirnbereichen, die für die Motivationsbildung, emotionale Verarbeitung und Kontrolle über sexuelle Impulse wichtig sind (Cantor et al. 2008, Briken et al. 2010) 15 Psychosoziale Faktoren Biologie: Gene, Hirnschädigung, Hormone, Neurotransmitter, „Konstitution“ Sexuelle Devianz u./o. Gewalt Distale Ursachen: Frühsozialisation, Bindung, Traumata u. Identifizierungen / Lernen am Modell (Pornographie?) Proximale Ursachen: Lebenskrisen (Arbeit, Partnerschaft); Stimulation bzw. Enthemmung, z.B. Alkohol o. Drogen, Pornographie 16 Kognitiv-behaviorale Erklärungsmodelle • Klassische Konditionierung: Paarung von sexueller Stimuliertheit (=unbedingter Reflex) mit ungewöhnlichen Reizen (=bedingter Reflex) → empirisch nur selten nachweisbar • Positive Verstärkung durch Lustgefühl • Störung der Bindung (und damit von Intimität und Empathie) • Sexualität als Copingmechanismus (Selbsttröstung) • Kognitive Verzerrungen (Selbsttäuschungen) tragen zur Aufrechterhaltung bei (insbes. bei Sexualstraftätern) Psychoanalytische Theorien Integrierende, praxisnahe Übersicht bei Berner 2011: 17 Perversion nach Stoller (1978) • Perversion ist die erotische Form der Feindseligkeit. • In der Perversion wird ein traumatisches Kindheitserlebnis in einen lustvollen Triumph umgewandelt. • Das Risiko dient zur Steigerung der Erregung (Angstlust). Kernkomplex (Glasser 1979, 1986) Unerträglicher Konflikt zwischen 1. tiefen Verschmelzungswünsche mit der Mutter, die Auflösung des Selbst (Identitätsverlust) bedeuten und 2. Getrenntheit von Mutter, was unerträgliche Einsamkeit und Angst bedeutet Ausweg aus diesem „Mutterkomplex“: Sexualisierung der gegen die Mutter gerichteten Aggression 18 Integrierte psychoanalytische Perversionstheorie (Berner 2011) Definitionselemente Verlaufsmerkmale Strukturmerkmale Fetischbildung Perversion als Plombe Neurotische Struktur Sadomasochistischer Beziehungsmodus Perversion als Impulsdurchbruch Borderline-Struktur PartialtriebLustelemente Perversion als Sucht oder Zwang Psychotische Struktur (Realitätskontrolle, Identitätsgefühl, Abwehrmechanismen) bei Pädophilie • Häufig „Selbstvertauschungsagieren“ (A.E. Meyer): In der pädosexuellen Szene identifiziert sich der Erwachsene einerseits mit dem eigenen Kindsein und mit der früheren Elternfigur: er (sie) tut an dem Kind das, was er (sie) sich früher von den Eltern gewünscht hätte (Zuwendung, Zärtlichkeit), bei gleichzeitiger Identifikation mit der versagenden/aggressiven Elternfigur (Manipulation, Übergriff). 19 Bindungsstile bei sexueller Devianz (Rathbone 2001, Marshall et al. 1999) • Bei (nicht-klinischen) Sadomasochisten: 0% sicherer Bindungsstil vs. 55% bei Kontrollen (Leser einer Wirtschaftszeitung) • Sexualstraftäter insges. zeigen seltener sicheren Bindungsstil • Kindesmissbrauchstäter: häufiger ängstlicher und verstrickter Bindungsstil • Vergewaltigungstäter und Täter mit gewalttätigeren Delikten: häufiger abweisender Bindungsstil Zwei Beipiele für distale/ motivationale Faktoren • Abused/Abusers; Victim/Victimizer • Soziale Ängste, Scham, niedriges Selbstwertgefühl 20 Störung der Motive: 1. Traumatisierungen; z.B. selbst erlebter sexueller Missbrauch • Eigene sexuelle Missbrauchserfahrung erhöht das Risiko später selbst Kinder zu missbrauchen • Aber: keineswegs zwingender Zusammenhang oder notwendige Ursache • Prospektive Studie: von 224 missbrauchten Jungen wurden 12% selbst zu Missbrauchstätern → im Vgl. zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Risiko (Salter et al. 2003) Weitere Risikofaktoren waren: – Materielle Vernachlässigung und Mangel an Beaufsichtigung – Eigener Missbrauch durch eine weibliche Person – Zeuge heftiger innerfamiliärer Gewalt – Grausamkeit gegenüber Tieren • Andere Studien: 40-100% CSA (Freund 1998, Marshall 1996, Cohen et al. 2002) Selbst erlebter sexueller Übergriff Sexueller Übergriff Identifikation mit dem Aggressor (Umkehr von Ohnmacht in Macht, Selbstvertauschungs agieren) Kognitive Verzerrungen Sexualisierung 21 Verstrickter Bindungsstil Hinwendung zu Kindern Selbstwertstörung Soziale Isolation Soziale Ängste Vermeidung sozialer Kontakte mit Erwachsenen Zwei Beipiele • Abused/Abusers; Victim/Victimizer – Identifikation mit Aggressor? – Effekte auf/Zusammenhänge mit cerebraler Entwicklung? • Soziale Ängste, Scham, niedriges Selbstwertgefühl – als Teil des Ursachenbündels? – als Folge pädosexueller Wünsche? – Effekte auf/Zusammenhänge mit cerebraler Entwicklung? 22 Wann kann die paraphile Symptomatik dekompensieren? (proximale Ursachen) • Bei Reaktualisierung früherer, traumatischer Erlebnisse (Ohnmacht, Entwertung, Zurückweisung, z.B. Verlust von Arbeit, Partnerschaftskrisen, Geburt eigener Kinder: Pat. wird an eigene Entbehrungen als Kind erinnert und gleichzeitig wendet sich die Partnerin vermehrt dem Kind zu → Neid) • Einsamkeit, Langeweile • Selbsttröstende Phantasien mit Aspekten von Rache und Dominanz (Narzisstischer Triumph) • Phantasie reicht nicht mehr aus. Elemente davon „müssen“ realisiert werden. • Enthemmung durch Alkohol und Drogen, Pornographie Tony Wards „Pathway Model“ • Multiple Dysfunktionen • Antisoziales Verhalten/ Gedanken • Deviante „Sexual Scripts“ • Gestörtes Bindungsverhalten Emotionale Dysregulation Soziale Isolation Kognitive Defizite Deviantes sexuelles Verhalten • Soziale Defizite Vulnerabilität • Emotionale Dysregulation (Familienumfeld, Entwicklung, Lernprozesse, biologische/ kulturelle Faktoren) 23 Diagnostik Diagnostik: Sexual- und Beziehungs-Anamnese • Umgang mit Sexualität in der Familie (u.a. Beziehung der Eltern) • Frühe Erfahrungen (Doktorspiele) • Körperliche Entwicklung (bes. Pubertät) • Entwicklung von Geschlechtsidentität u. sexueller Orientierung • Sexuelle Praktiken, Wünsche u. Fantasien (inkl. Masturbation) • Partnerschaftliche Kontakte u. Beziehungen • Pornographiekonsum, Prostituiertenbesuche • Sexuelle Funktionsstörungen; Erkrankungen/OPs im Urogenitalbereich • Eigene traumatische Erlebnisse • Konsum von sexuellen Stimulantien, Alkohol, Drogen • Ggf. Sexuelle Übergriffe / Straftaten • Allgemeine biographische u. psychiatrisch-somatische Anamnese, dissoziale Entwicklung? (Komorbidität!) (Hill et al. 2005) 24 Weitere Diagnostik • Ggf. Fremdanamnese (Partner, Eltern) • Ggf. Akteninformationen (bei Sexualstraftätern, z.B. Bundeszentralregister-Auszug) • Testpsychologische Untersuchungen: z.B. Multiphasic Sex Inventory (MSI), Intelligenz- und Persönlichkeitstests, Psychopathy Checklist (PCL-R), evtl. projektive Tests (Rorschach, Picture-Frustration-Test) • Prognose-Instrumente zur Risikoabschätzung (z.B. SVR-20, Static-99, HCR-20) • Penisplethysmographie zur Objektivierung sexueller Devianz (umstritten) • Somatische Abklärung (körperliche Untersuchung, ggf. Hormone, CCT/MRT, EEG, Chromosomen u.a.) Diagnostik Neuro-physiologische and neuro-psychologische Tests: • Penisplethysmographie • Visuelle Reaktionszeit (Visuelle Fixationszeit) • Stroop Test • Impliziter Associations-Test • ... • Zukunftig: functionelles MRI ?? Fragebogen: • Card Sort Test, Sexual Interest Card Sort Questionnaire • Clarke Sexual History Questionnaire • Multiphasic Sex Inventory 25 Penisplethysmographie = Phallometrie • Messung der sexuellen Erregung anhand des Penisumfangs (Quecksilber oder Indium-Gallium gefüllter Gummi-Ring) oder –volumens (Druckmessung in Glaszylinder) • visuelle oder auditive sexuelle Stimuli NRP Picture - Set Tanner 2 Tanner 3 Tanner 4 Tanner 5 MALES FEMALES Tanner 1 26 Penisplethysmographie = Phallometrie • Volumetrie besser geeignet bei sog. lowrespondern (<10% einer vollen Erektion) (Kuban et al. 1999), aber umständlicher, wenig gebräuchlich max. Erregung auf pädosex. Stimuli • Pädophilie-Index = ___________________________________ max. Erregung auf erwachsene sex. Stimuli Penisplethysmographie = Phallometrie • Sensitivität geringer bei Missbrauchstätern, die pädosexuelles Interesse leugnen (61%), im Vgl. zu Missbrauchstätern, die pädosexuelles Interesse einräumen (92%) (Seto 2008) • Bsp. für Problematik der Spezifität: In einem Vergleich von Kindesmissbrauchern mit gesunden Kontrollprobanden zeigen 28% der Kontrollgruppe einen Pädophilie-Index von ≥ 1 (Firestone et al. 2000) 27 Penisplethysmographie = Phallometrie Prädiktive Validität (bzgl. neues Sexualdelikt): • Phallometrisch gemessene sexuelle Präferenz für Kinder als bester einzelner Prädiktor (r=0.32) für neues Sexualdelikt in Meta-Analyse (Hanson & Bussière 1998, Hanson & Morton-Bourgon 2004, 2005) • Aber: Wiederholungsmessungen korrelieren nicht mit Rückfälligkeit → Gewöhnungs- oder Manipulationseffekt? (O’Donohue und Letourneau 1992, Launay 1999) Penisplethysmographie = Phallometrie Im Rahmen von Therapie: • Aufdeckung und Bearbeitung von Leugnungs- und Bagatellisierungstendenzen (Travin et al. 1988, O’Donohue & Letourneau 1992) • Aber: falsch negatives Ergebnis könnte Abwehrmechanismen noch bestärken. 28 Penisplethysmography = Phallometry Test-retest-reliability: 0.53-0.88 (Launay 1994); 0.29-0.53 (Kalmus & Beech 2005) Sensitivity / specifity: Offenders with • sexual child abuse: 98% specifity → 50% sensitivity (Seto 2001) • intrafamiliar sexual child abuse: 95% specifity → 68% sensitivity • extrafamiliar sexual child abuse: • 95% specifity → 65% sensitivity (Barsetti et al. 1998, Launay 1999) Blickregistrierung Neuer Ansatz: Indirekte Erfassung der sexuellen Präferenz anhand des Blickverhaltens beim Betrachten störungsrelevanter sexueller Stimuli Methodik: Blickregistrierung (= Messung der Augenbewegungen) = Fixation (Durchmesser → Dauer; Nummerierung → Reihenfolge) 29 Blickregistrierung Fromberger et al. Receiver-OperatingCharacteristic (ROC) AUC = .902 (p < .001, 95% CI: .817-.957) Cut-off: > -33.676 ms Sensitivität: 86.4% Spezifität: 90.0% Multivariate Prädiktive Validität (Binäre Logistische Regressionsanalysen Kindesmissbraucher vs. Kontrollgruppen) Korrekte Klassifikationen Kreuzvalidierte Überschätzung AUC Nagelkerke R2 Direkt 87% 2,5% .88 .63 Indirekt 85% 1,3% .88 .55 Viewing Time 80% 2,7% .86 .48 IAT 77% 2,9% .77 .23 90% 2,0% .95 .75 Direkt + Indirekt Banse, Schmidt, & Clarbour, 2010, CJB 30 fMRI Ponseti et al. 2011 Sensitivity 88%, specifity 100% FallbeispielInterview Ressourcen 31 Herr Müller • Entlassener Sexualstra1äter (auf Bewährung) • 2004 Verurteilung zu 2 Jahren Bewährung wg. Besitzes von Kinderpornographie • 2008 Verurteilung zu 2 Jahren Ha1 wg. mehrfacher exhibiKonisKscher Handlungen • 2009 erneute Freiheitsstrafe wg. mehrfacher exhibiKonisKscher Handlungen • IQ: 110 • Kindheit: enge Beziehung zur MuRer, ohne Vater aufgewachsen, Einzelkind • Seit April 2010 in Nachsorgebehandlung am InsKtut: erste Einschätzung in der Ambulanz Pharmakotherapie 32 Wirksamkeit von Therapie 1.45 2.17 0.98 0.85 0.93 3.13 14.29 Meta analysis (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) Prinzipien der effektiven StraftäterBehandlung (Andrews & Bonta 2006) • Risk Behandle nur Straftäter mit einem (mittleren bis hohen) Risiko für erneute Delikte! • Need Fokussiere auf kriminogene Bedürfnisse / Faktoren! • Responsivity Passe die Behandlung zu den Lernstilen/möglichkeiten und der Kultur des Täters an! 33 Ideale Pharmakotherapie für Sexualstraftäter • Behandlung der zugrunde liegenden Störungen (z.B. Paraphilien, Angst- und depressive Störungen, Persönlichkeitsstörungen) • Selektive Unterdrückung von paraphilen Fantasien, Impulsen und Verhaltensweisen • Keine Beeinträchtigung der nicht-paraphilen Sexualität • Keine unerwünschten Nebenwirkungen Überblick Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Naltrexon Cyproteronacetat (CPA) LHRH-Agonisten Was, wann, für wen? 34 SSRI Sexualdelinquenz • Paraphilien • Angststörungen • Depressionen Serotonerges • emotional instabile Defizit? Persönlichkeitsst. • Impulskontrollstörungen Selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI) SSRIs bei Paraphilien Wirksamkeit • keine doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien bei Sexualstraftätern • eine kontrollierte Untersuchung zu „Compulsive Sexual Behavior“ (‚Sexsucht‘) • keine längeren Katamnesen • keine Unterschiede zwischen verschiedenen SSRIs (Greenberg et al. 1996) • Wirkung nach 2-4 Wo. (Maximum nach 2-3 Mo.) 35 SSRIs bei Paraphilien Häufigkeit von Masturbation mit paraphilen Fantasien (n = 16) Depressivität und Selbstwert (n = 16) Kraus et al. , Fortschr Neurol Psych 2007 Sexuelle Funktionsstörungen, Behandlungszufriedenheit Sexuelle Funktionsstörungen • gesamt: 12 (75 %) • Lustlosigkeit: 11 • Erektionsstörung: 6 • Verzögerte Ejakulation bzw. Orgasmus: 6 Kraus et al. , Fortschr Neurol Psych 2007 36 SSRI bei ‚Sexsucht‘ Doppelblinde, placebo-kontrollierte Studie (n=28 „men who have sex with men“, Wainberg et al. 2006): • 12 Wo., 20-60 mg Citalopram (SSRI) • Signifikant stärkere Reduktion in der Citalopram-Gruppe bzgl.: – Verlangen und Drang nach Sex – Masturbationshäufigkeit – Pornographie-Konsum (7,1 2,3 Std. pro Wo. in Citalopram-Gruppe versus 6,4 5,9 Std. pro Wo. in Placebogruppe) Naltrexon • Bestimmter endogener Opioidspiegel notwendig für sexuelle Erregbarkeit • Aber: hohe Dosen von Opioiden hemmen die Dopaminausschüttung! • Naltrexon: langwirksames Opioid • Anwendung v.a. bei Alkohol-/ Drogenabhängigkeit • Vermutung: Therapieeffekt bei Paraphilien bzw. sexueller Devianz durch Anhäufung von Opioiden 37 Naltrexon (Ryback 2004) • Offene, prospektive, unkontrollierte Studie mit 21 jugendlichen Sexualstraftätern mit Hypersexualität • Naltrexon: Ø 170 mg/d (100-200 mg) • Verschiedene zusätzliche Medikamente • Erfolg (Definition: 30% Reduktion sex. Fantasien u. Masturbation über mindestens 4 Monate) bei 15/21 Patienten (71%) – ↓ Masturbation von 2 x pro Tag auf 2 x pro Woche – ↓ sex. Fantasien von 5 x pro Tag auf 1 x pro Tag – ↓ sex. Erregbarkeit, ↓ morgendliche Erektionen – ↑ Selbstwertgefühl und ↑ Gefühl der Selbstkontrolle Naltrexon (Ryback 2004) • Bei 9 Pat. kurze Therapieunterbrechung (11-26 T.) bzgl. Naltrexon aus rechtlichen Gründen (Erweiterung der Einverständniserklärung) • Bei all diesen Pat. kehrte die sexuelle Symptomatik zur Ausgangssituation zurück! • Keine Veränderungen der Laborwerte • Am ehesten für Patienten mit komorbider Suchterkrankung? 38 Hormonelle Regulation • Androgene (Testosteron und Dihydrotestosteron) sind notwendig für sexuelles Verlangen und Erregbarkeit (v.a. bei Männern) • Testosteron – erhöht die Sensitivität dopaminerger Rezeptoren – reduziert die Sensitivität serotonerger Rezeptoren – steigert die Erregbarkeit der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinde-Achse (HPAAchse, Stresshormone: Adrenalin/Noradrenalin) Hormonelle Regulation • Erhöhtes Testosteron mit Aggressivität, Dominanz, Antisozialität korreliert • bei Sexualstraftätern oder Paraphilien i.d.R. keine erhöhten Testosteronwerte – Aber: Korrelation mit Antisozialität, Aggressivität, Impulsivität, Ansprechen auf Therapie und mglw. Rückfälligkeit (z.B. Studer et al. 2005, Giotakis et al. 2003) 39 Androgen-Regulation Cyproteronacetat (Androcur®) Wirkmechanismus 1. blockiert Androgen-Rezeptoren an Zielorganen (kompetitiver Inhibitor von Testosteron u. DHT) 2. reduziert die Sekretion von LHRH, dadurch: ⇓ Reduktion des Plasma-Testosterons ⇓ Reduktion von Sexualität (Fantasien, Verlangen, Erregbarkeit, Erektionen, Ejakulation, Masturbation und Koitus) und Spermaproduktion 40 Wirksamkeit von Cyproteronacetat • Reduktion von sexuellem Interesse, Aktivität und Erregbarkeit (auch in Penisplethysmographie) in kontrollierten Studien (z.B. Bradford u. Pawlak 1993), aber: keine längeren Katamnesen • keine spezifische Reduktion der paraphilen Sexualität • Angeblich Reduktion der Rezidivrate bzgl. Sexualstraftaten (z.T. auch nach Absetzen); aber: bisher nur unkontrollierte Studien CPA - Applikation • Dosierung – oral: 50-200 mg/d – i.m.: 300-600 mg alle 10-14 Tage • Wirklatenz – Beginn nach 1 Wo. bis 4 Mo. • Therapiedauer – Keine klaren Richtlinien – 2-5 Jahre, evtl. Dauertherapie? 41 Gonadotropin (=LHRH)Analoga • Substanzen – Leuprorelin (Trenantone®, Enantone®, Eligard®, Salvacyl®) – Triptorelin (Decapeptyl®) – Goserelin u.a. • Durch kontinuierliche (statt physiologischer pulsatiler) LHRH-Wirkung " Down-Regulation der LHRH-Rezeptoren Senkung der LH- und Testosteron-Spiegel • Applikation und Dosierung je nach Präparat: Alle 4 bis 12 Wochen i.m. oder s.c. Pharmakotherapie LHRH Studie I LHRH Agonisten erstmalig als pharmakotherapeutische Alternative zu Androcur (CPA) im deutschsprachigen Raum. 42 Rückfallraten • CPA: keine kontrollierten Untersuchungen, Rezidive 0-33% (MW 6%); 10 Studien (N=127) (Meyer & Cole 1997) • MPA (Medroxyprogesteronacetat): z.B. Maletzky et al. 2006 – Mit Medikation 0% (0/79) – Abbrecher/Verweigerer 18% (10/55) – Kein Angebot 15% (21/141) • LHRH: ≈1%; N=119 (Briken et al. 2003, 2004), 1 kontrollierte Untersuchung (Schober et al. 2006), aber nicht bezogen auf Rezidivrate • Cave: Heterogene Gruppen (Diagnose, Setting, Behandlung, Komorbidität, Follow-up Dauer) Wirksamkeit von Therapie 1.45 2.17 0.98 0.85 0.93 3.13 14.29 Meta analysis (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) 43 Nebenwirkungen • Osteoporose • Gewichtszunahme • Damit verbunden erhöhtes Risiko für metabolisches Syndrom • Infertilität In Abhängigkeit von der Behandlungsdauer Risikofaktoren für Osteoporose • • • • • • Alter Rauchen Alkoholkonsum Schlechte Ernährung (wenig Calcium und Vit.D) Geringe körperliche Aktivität Antiepileptika, z.B. Carbamazepin, Valproat • Wichtig: rechtzeitige Prävention & ggf. Behandlung: Biphosphonate, Vit-D, Calcium 44 Psychische Nebenwirkungen • Depressive Verstimmung • Narzisstische Krisen (Kränkung) durch Verlust der Sexualität bzw. Wegfall der ‚Plomben‘Funktion der sexuellen Devianz • Wichtig: rechtzeitiger Beginn einer Medikation unter gesicherten Bedingungen (mindestens 12 Mo.) Medikamentöse Behandlung von Sexualstraftätern im deutschen Maßregelvollzug n=611, davon 18% ambulant (Turner, Basdekis-Josza & Briken, in Vorbereitung) 45 Wirksamkeit antiandrogener Medikation: CPA vs. GnRH-Agonisten Wirksamkeit: Reduktion von CPA % (N = 25) GnRH Agonist % (N = 57) 60 75 52 67 Masturbationsfrequenz 40 44 Konsum pornografischen Materials 28 26 Non-Responder (6 Mo.) 9 6 Häufigkeit sexueller Gedanken Intensität sexueller Gedanken Durchschnittliche Behandlungsdauer: CPA 11,8 Mo., GnRH-Agonisten: 13,4 Mo. (Turner, Basdekis-Josza & Briken, in Vorbereitung) Wirksamkeit antiandrogener Medikation: CPA vs. GnRH-Agonisten CPA % (N = 25) GnRH Agonist % (N = 57) Gewichtszunahme 48 19 Gynäkomastie 36 12 Hitzewallungen 56 47 Thromboembolie 4 - Reduzierte Körperbehaarung 40 30 Depression 8 - Nieren/Leber-Funktionsstörung 4 - Hypogonadismus 8 4 - (?) 14 48 33 Nebenwirkungen Verminderte Knochendichte Schmerzen an der Injektionsstelle (Turner, Basdekis-Josza & Briken, in Vorbereitung) 46 Antiandrogene Medikation bei pädophilen Pat. im „Dunkelfeld“ Amelung et al. 2012: • 15/111 pädo/hebephile Patienten (13,5%) aus Berliner DunkelfeldProjekt erhielten antiandrogene Medikation – zusätzlich zu eine Gruppenpsychotherapie • Pat. mit antiandrogener Medikation zeigten bei Beginn der Behandlung ein größeres Bewusstsein für Risikosituationen (bzgl. sexuellen Missbrauch von Kindern) und geringere Kontrolle über ihre sexuellen Impulse, und (nicht-signifikant) mehr sexuell sadistische Interessen • Pat. mit antiandrogener Medikation zeigten im Laufe der Behandlung weniger Opferempathie-Defizite und stärkere Kontrolle über sexuelle Impulse, aber keine Veränderung bzgl. paraphiler Fantasien und pädosexuellen Verhalten (aber: n=6, keine Kontrollgruppe!) Behandlungsalgorithmus leicht Bei starken devianten Phantasien/Impulsen oder Risiko von Sexualstraftaten Alle SSRI mittel Patienten: Bei unzureichender Wirksamkeit und mittlerem bis hohen Risiko für „Hands-on“-Delikte, starker Impulsivität, Aggressivität, „Psychopathy“, gefährlicheren Paraphilien (Pädophilie, Sadismus) CPA oral, bei problematischer Compliance: → intramuskuläre Applikation (i.m.) schwer Bei unzu- reichender Wirksamkeit oder Leberfunktionsstörungen unter CPA LHRH (i.m./s.c.) Bei einem Risiko für gleichzeitigen Anabolokamissbrauch LHRH (i.m./s.c.) + CPA i.m. + SSRI Insbesondere Bei unzu- bei reichender depressiver, Wirksamkeit ängstlicher und zwanghafter Symptomatik Psychotherapie (supportiv oder intensiv) + Pharmakotherapie komorbider Störungen Briken, Hill, Berner. J Clin Psychiatry 2003 47 WFSBP Richtlinien für Paraphilien (Thibaut et al. 2010) Stufe 1 • Ziel: Kontrolle von paraphilen Fantasien, Impulsen und Verhaltensweisen ohne Beeinträchtigung von konventionellem sexuellem Verlangen und Aktivität • Psychotherapie (bevorzugt kognitivbehavioral, wegen Evidenz Level C) Stufe 2 • Ziel: s.o. • evtl. in milden Fällen (‘Hands-off’Paraphilien mit niedrigem Risiko für sexuelle Gewalt, z.B. Exhibitionismus ohne Risiko für Vergewaltigung oder für Pädophilie) • • SSRI: Dosis wie bei Zwangsstörungen (z.B. Fluoxetin 40 to 60 mg/d oder Paroxetin 40 mg/d) (Level C) keine befriedigende Wirkung bei Stufe 1 Stufe 3 WFSBP • • • • Ziel: s.o. ‘Hands-on’-Paraphilien mit sexuellen Berührungen, aber ohne Penetration Paraphile sexuelle Fantasien ohne sexuellen Sadismus keine befriedigende Wirkung bei Stufe 2 nach 4-6 Wo. mit SSRIs in hoher Dosierung Guidelines (Thibaut et al. 2010) • Zusätzlich zu SSRI: niedrig dosiert Antiandrogen (z.B. CPA 50-100 mg/d) (Level D) Stufe 4 • • Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit einer substanziellen Reduktion von sexuellem Verlangen und Aktivität • Mittelgradiges bis hohes Risiko für sexuelle Gewalt (schwere Paraphilien mit intrusiveren sexuellen Kontakten und begrenzter Zahl von Opfern) 1. Wahl: CPA volle Dosis: oral 200-300 mg/d oder i.m. 200-400 mg alle 1-2 Wo.; oder MPA: 50-300 mg/d (falls kein CPA verfügbar, z.B. in USA) (Level C) • Bei Komorbidität mit Angst-, depressiven oder Zwangs-Symptomen: evtl. Kombination mit SSRI • Keine sexuell sadistischen Fantasien oder Verhaltensweisen • Gute Compliance, falls nicht: i.m. oder Stufe 5 48 WFSBP Stufe 5 Guidelines (Thibaut et al. 2010) Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit fast vollständiger Unterdrückung von sexuellem Verlangen und Aktivität • • Hohes Risiko für sexuelle Gewalt und schwere Paraphilien LHRH-Agonist, z.B. Triptorelin- or Leuprolin-Acetat 3 mg/Mo. or 11,25 mg alle 3 Mo. i.m. (Level C) • • Sexuell sadistische Fantasien oder Verhaltensweisen oder körperliche Gewalt Testosteron-Messungen, falls Überwachung notwendig • • Keine Compliance oder keine befriedigende Wirkung bei Stufe 4 evtl. Kombination mit CPA (1 Wo. vor bis 4 Wo. nach Beginn mit LHRH-Agonisten) um Risiko durch ‚flare-up‘ Effekt zu reduzieren • Stufe 6 • Ziel: Kontrolle der paraphilen Symptomatik mit vollständiger Unterdrückung von sexuellem Verlangen und Aktivität • Schwerste Paraphilien („katastrophale Fälle“) • Keine befriedigende Wirkung bei Stufe 5 • zusätzlich zu LHRH-Agonisten: CPA (50-200 mg/d oral or 200-400 mg alle 1-2 Wo. i.m.) oder MPA (50-300 mg/d) (Level D) • evtl. zusätzliche SSRIs (kein EvidenzLevel) Psychotherapie bei sexueller Delinquenz 49 Wirksamkeit kognitiv-behavioral (35) 1.45 rein behavioral (7) 2.17 einsichtsorientiert (5) 0.98 therap. Gemeinschaft (8) 0.85 andere (5) 0.93 hormonal (6) 3.13 chirurg. Kastration (8) 14.29 0.1 1 10 100 Odds Ratio Metaanalyse (n=22.181, Lösel und Schmucker, 2005) Schmuckers Metaanalyse: Behandlungseffekte insgesamt % 50,0 Behandlungsgruppen Kontrollgruppen 40,0 32,5 30,0 22,4 17,5 20,0 11,8 11,1 6,6 10,0 0,0 sexuell (74) Gewalt (20) jede Straftat (49) Rückfallbereich (Anzahl der Vergleiche) Schmucker 2007, Lösel und Schmucker 2005) 50 Prinzipien der effektiven StraftäterBehandlung (Andrews & Bonta 2006) • Risk Behandle nur Straftäter mit einem (mittleren bis hohen) Risiko für erneute Delikte! • Need Fokussiere auf kriminogene Bedürfnisse / Faktoren! • Responsivity Passe die Behandlung zu den Lernstilen/möglichkeiten und der Kultur des Täters an! Effektstärken bei Adhärenz zu R/N/R Prinzipien R/N/RPrinzipien Odds ratio N (k) 0 1.10 1.067 (3) 1 0.64 1.226 (7) 2 0.74 4.283 (9) 3 0.22 170 (3) (Hanson, 2010) 51 Relevante „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Sexuelle Devianz .31 Sexuelle Überbeschäftigung .39 Dissoziale Persönlichkeitsstörung .21 Psychopathy (PCL-R) .29 Probleme mit der Selbstkontrolle .37 Instabile Beschäftigungsverhältnisse .22 Feindseligkeit .17 21.01.2010 Bewährungshilfe 103/43 Mögliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Zwang / körperliche Gewalt bei dem Delikt .09 Opfer von Kindesmisshandlung .10 Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch .09 Einsamkeit, Isolation .03 Niedriges Selbstwertgefühl .04 21.01.2010 Bewährungshilfe 104/43 52 Fragliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Fehlende Opferempathie -.08 Leugnung des Sexualdelikts .02 Geringe Motivation bei Therapiebeginn -.08 Langsamer Therapiefortschritt .14 21.01.2010 Bewährungshilfe 105/43 Protektive Faktoren " " " Ausgewogenere Risikoerfassung: ganzheitlichere Betrachtung des Täters Positive Methode, die sowohl Behandler als auch Täter motiviert Möglichkeit von Risikomanagement 53 Risikofaktoren Protektive Faktoren Protektive Faktoren - Beispiele • • • • • • Sexualität Intime Beziehung Beschäftigung/Arbeit Soziale Unterstützung Motivation Hoffnung 54 Entwicklung • 1960 Modifikation sexueller Interessen • 1970/80 Kognitive Verzerrungen, Empathie, soziale Fertigkeiten kognitive behaviorale Programme • 1982 Rückfallvermeidungsprogramm (Janice Marques) • Focus auf Vermeidungsziele (RNR orientiert) • 1985 Hamburger Projekt (Schorsch et al.) • Focus auf Psychodynamik strukturelle Veränderungen • 1990-2010 SOTP von Mann, Marshalls Integrated Approach, Good lifes Model von Ward • Integrative Ansätze: Annäherungsziele/ Risikomeidung, Fertigkeiten (GLM orientiert) Wer kann es machen? 55 TherapeutInnenmerkmale (Marshall et al. 2011) • • • • • • • Empathie Wärme Echtheit Respekt Unterstützung Vertrauen Emotionale Ansprechbarkeit • Selbst-Offenbarung • Offene Frageform • Direktiver Stil • Flexibilität • Ermunterung zu aktiver Teilnahme • Verstärkend • Humorvoll • Unterstützend anspruchsvoll • Ernsthaftigkeit • Aufrichtigkeit • Interesse Wie kann man in der Therapie vorgehen? 56 Allgemein: Behandlungsziele • Die Stärkung der Motivation (aktiv an der Vermeidung von Rückfällen mitzuarbeiten) • Biografie • Selbstwertprobleme • Erhöhung der Fähigkeit zu Impulskontrolle, Coping, Ärgermanagement • Die Übernahme von Verantwortung für das eigene Verhalten • Wege zur Straftat • Die Verbesserung der Empathiefähigkeit • Die Stärkung von Ressourcen • Die Entwicklung sozialer und kognitiver Fähigkeiten, die die Person für ein Leben ohne Sexualstraftaten benötigt • Die Verbesserung der Beziehungsfähigkeit • Sexuelle Devianz und ggf. die Stärkung alternativer sexueller Verhaltensweisen ‚ Priorisierung von Themen • • • • • • • • Gedanken, die Therapie abzubrechen Gefährdungssituationen (z.B. Nähe zu Kindern suchen) Soziale Selbstbehauptung und Einbindung, Selbstwert Biografie Verantwortungsübernahme Arbeit am Deliktszenario Arbeit an der Empathie mit dem Opfer (sexuelle) Beziehungen zu PartnerInnen unter Berücksichtigung des Intimitätserlebens • Eigene Opfer- und Missbrauchserfahrung (der Weg vom Opfer zum Täter) • Sinnvolle Zeitgestaltung (Freizeit) 57 Zentrale Behandlungsmethoden • Motivation • Kognitive Umstrukturierung • Modelling • Positive Verstärkung • Stärkung sozialer Kompetenzen • Medikamentöse Therapie Wirksamkeit des Sex Offender Treatment Program (SOTP) • SOTP: seit 1990 in England & Wales in 25 Gefängnissen • Vergleich 647 Behandelte vs. 1910 Unbehandelte (aus früheren Jahren), Time at risk 2 J. (Friendship et al. 2003) Rückfälle bei Behandelten % Rückfälle bei Unbehandelten % Niedrig 1,9 2,6 Mittel niedrig 2,7 12,7 Mittel hoch 5,5 13,5 Hoch 26,0 28,1 Risikolevel 58 Positive Verstärkung Positiven Verstärkung = Belohnung (verbal oder nonverbal) für antikriminelle Einstellungen oder Verhaltenweisen. Für effektive therapeutische Verstärkung sind drei Gesichtspunkte zu beachten: • Unmittelbare Verstärkung des Beitrags, verbal oder nonverbal (durch Lächeln oder Augenkontakt) • Erklärung, warum der Beitrag des Klienten verstärkt wurde • Intensität der Verstärkung ist hinreichend deutlich, um sich von der normalen positiven Zugewandtheit im therapeutischen Setting zu unterscheiden Positive Verstärkung Beispiele: • Das war hervorragend, dass Sie Verantwortung für ihr Verhalten übernommen haben ohne jemand anderem die Schuld zu geben. • Sie sind damit sehr effektiv umgegangen und haben dabei die Rechte anderer respektiert. • Was mir wirklich gut gefallen hat an dem, was Sie gerade gesagt haben, ist, dass Sie die Zusammenhänge zwischen ihren Gedanken und ihrem Verhalten sehr deutlich gemacht haben. 59 Positive Verstärkung Ineffektive oder unangemessene Beispiele positiver Verstärkung: • Während der gesamten Gruppensitzung wird kein einziges Lob verteilt und am Ende sagt man der Gruppe, dass sie hervorragend mitgearbeitet hat. • Einem Gruppenmitglied rückmelden, dass seine Beiträge hervorragend sind, wenn dies nicht stimmt. • Einem Gruppenmitglied immer nur rückmelden, was falsch ist an seinen Beiträgen, ohne die positiven Aspekte hervorzuheben. Modelling • Angemessen mit Kritik umgehen, nicht vom Thema ablenken oder unterbrechen • Nicht vor unangenehmen Aufgaben zurückschrecken • Fehler zugeben • Angemessenes Lob akzeptieren • Andere angemessen loben • Nicht über das eigene Leben, die Gesellschaft im allgemeinen oder den Job lamentieren. Stattdessen deutlich machen, dass man selbst für das eigene Leben verantwortlich ist. • Versprechungen sind einzulösen 60 Kognitive Umstrukturierung Wichtig: • Angemessene Form der Fragenformulierung • Ein ermutigender und unterstützender Behandlungsstil Kognitive Umstrukturierung Das sokratische Fragen ist nicht feindlich und unterstützt das „Selberdenken“. Zu vermeiden sind: – Geschlossene Fragen – Fragen, die Annahmen beinhalten – Suggestivfragen – Konfrontationen – 61 Kognitive Umstrukturierung Beispiele für Sokratisches Fragen: • Welche Verbindungen können Sie herstellen zwischen Ihren Taten und dem, was Ihnen vorher durch den Kopf gegangen ist? • Was für andere Gründe könnte es dafür geben, dass das passiert ist? • Wenn Sie andere Leute sagen hören, dass die Dinge „einfach so passiert“ sind, was denken Sie darüber, warum so etwas gesagt wird? Umgang mit Verleugnung Es wurden insgesamt fünf Faktoren identifiziert, die das Aufgeben von Verleugnungen erleichtern: 1. Ein vertrauensvolles Klima 2. Ex-Verleugner als Rollenmodelle 3. Beseitigung der Angst von Negativkonsequenzen, wenn die Straftat eingestanden wird 4. Herausarbeiten der positiven Konsequenzen, wenn das Delikt eingestanden wird 5. Ermutigung, das Delikt einzugestehen 62 Kognitive Verzerrung Beispiel: Geschwindigkeitsübertretung Ich fahre mit einem neuen, schnellen Auto auf einer wenig befahrenen, gut ausgebauten Straße. Die Sicht ist hervorragend. Ich überschreite die Geschwindigkeitsbegrenzung erheblich. Definition: Ich lege mir die Dinge so zurecht, dass sie für mich passen, damit ich mein Verhalten rechtfertigen kann und es nicht ändern muss. Beispiele kognitiver Verzerrungen Kindesmissbrauch Vergewaltigung Ich hätte aufgehört, wenn sie „nein“ gesagt hätte. Im Gerichtssaal war sie völlig ruhig und gelassen. Wenn sie die Tat wirklich belasten würde, dann wäre sie mehr durcheinander gewesen. Sie war sexuell sehr erfahren. (über ein 13-jähriges Mädchen) Ich bin selbst als Kind durch meinen Onkel sexuell missbraucht worden. Es hat mir nicht geschadet. Ich hab´ viele Sachen gemacht, mit denen die Frauen anfangs nicht einverstanden waren. Später haben sie es dann alle genossen. Nur diese beiden Frauen haben das falsch verstanden. Wo ist das Problem mit meinem Verhalten, wenn es den meisten Frauen gefällt? Sie war immer sehr aufreizend gekleidet und hatte zahllose Bekanntschaften. Normalerweise war sie nicht so zimperlich. 63 Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Ziele: • Dem Täter Erklärungen für kognitive Verzerrungen bei Sexualdelikten liefern (allgemeine Beispiele, z.B. Geschwindigkeitsübertretungen) • Den Täter über die Auswirkungen von Sexualdelikten auf die Opfer informieren (auf neutrale, nicht verurteilende Art und Weise) • Den Täter beim Erkennen eigener kognitiver Verzerrungen unterstützen • Übungen, die den Täter beim Erkennen und Beseitigen kognitiver Verzerrungen unterstützen Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Wie werden kognitive Verzerrungen bearbeitet? • Alternativen darstellen / modellieren • Alternative / realitätsgerechtere Aussagen des Täters verstärken • Im Rollenspiel die Argumente der Gegenseite vertreten • Selbstwert steigern • Selektive Reflektion nutzen • Unterstützung der Gruppe nutzen 64 Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Wie kann die Gruppe zur Bearbeitung kognitiver Verzerrungen genutzt werden? • Modellieren, wie Fragen gestellt werden • Das Fragen von Gruppenteilnehmern verstärken • Diejenigen Gruppenteilnehmer loben, die sich aufrichtig mit ihren kognitiven Verzerrungen auseinandersetzen • Falls keine Beiträge von der Gruppe kommen, kognitive Verzerrungen direkt bearbeiten Die Bearbeitung von kognitiven Verzerrungen funktioniert am besten nach der sokratischen Methode: Wir sind eher bereit, Erkenntnisse zu akzeptieren und zu integrieren, die durch eigenes logisches Denken erworben wurden. Das heißt: Belehren und Streiten funktioniert eher schlecht. Bearbeitung kognitiver Verzerrungen Ich hab´ es nicht getan. Gehen Sie im Detail mit dem Täter durch, was er bereit ist zuzugeben. Wieweit war er tatsächlich involviert? Konfrontation mit der Aktenlage (ohne dass der Täter das Gesicht verliert). Warum ist der Tatablauf im Urteil anders dargestellt? Warum hat das Opfer andere Angaben gemacht? Es ist wichtig, so viel Informationen wie möglich über die Tat zu haben. Es kann auch hilfreich sein zu explorieren, was genau hinter der Aufrechterhaltung der Verleugnung steht, z.B. die Angst, die Partnerin zu verlieren. Das Kind hat mich darum gebeten, es zu tun. Fragen Sie den Täter, ob er einem Kind eine Flasche Schnaps oder eine geladene Pistole geben würde, wenn es ihn darum bäte. Fragen Sie ihn, warum er so etwas nicht machen würde. Lassen Sie ihn Parallelen zum sexuellen Missbrauch ziehen. 65 Aktive Deliktdarstellung • Erklärung des Entscheidungsketten–Modells • Wichtig: Gruppenmitglieder sollen richtige Zusammenhänge zwischen Situationen, Gedanken sowie Gefühlen und Verhaltensweisen erkennen: Gedanken steuern Gefühle und Verhaltensweisen, nicht Situationen. • Die Straftaten werden anhand dieses Modells exploriert, die Teamer erstellen am Flipchart die Entscheidungskette. Das ABC - Modell der Gefühle A Ausgangssituation B Bewertungssystem C Consequenzen 1. Persönliche Sichtweise „Ich stehe am Tresen. 1. Gefühle „Sie sieht toll aus. Genau mein Typ!“ Schräg gegenüber Ängstlichkeit und sitzt eine Frau. 2. Schlussfolgerungen Scham Wir haben Blickkontakt“ „Ich sollte jetzt etwas sagen, aber ich 2. Verhalten werde mich sicher verhaspeln, und sie wird mich vor allen Anwesenden abblitzen lassen.“ Ich bleibe sitzen und sehe in eine 3. Bewertung andere Richtung „Das wäre schrecklich peinlich!“ 66 Passive versus aktive Deliktdarstellung: Vergewaltigung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Meine Frau hat wieder mal Zoff angefangen, und da bin ich in die Kneipe gegangen... Meine Kumpels waren am Feiern und haben sich ganz schön was eingeschenkt. Es waren auch einige Mädels da, die offensichtlich Spaß haben wollten. Als die Kneipe zugemacht hat, wollte ich noch was essen gehen, eins der Mädels ging in dieselbe Richtung. Ich sprach sie an, sie war sehr freundlich. Sie hat es wirklich nötig gehabt, und so landeten wir hinter dem nächsten Gebüsch. Ich zog sie aus. Sie hat nichts dagegen gesagt. Ich hatte Sex mit ihr. Sie hat es genossen. Sie wollte mich wieder treffen. Als ich sie das nächst mal in der Kneipe sah, hat sie die Polizei gerufen und mich der Vergewaltigung bezichtigt. Es war unfassbar. Meine Frau wollte nicht, dass ich in die Kneipe gehe. Wir hatten Streit deswegen und ich bin aus dem Haus gestürmt. Ich wusste, dass ich auf diesem Wege so oder so in die Kneipe komme. Ich habe stark getrunken. Ich dachte, ich würde es meiner Frau schon zeigen. Als die Kneipe schloss, beschloss ich, einer der Studentinnen zu folgen. Ich wählte die, die stadtauswärts ging. Ich fragte sie nach der Uhrzeit, doch sie war sehr abweisend, was mich verärgert hat. An der nächsten einsamen Ecke hab ich ihr an die Kehle gefasst und ihr eine reingehauen, sie wurde ganz benommen, ich begann sie auszuziehen. Dann hatte ich Sex mit ihr. Sie bat mich, sie nicht zu verletzen. Ich fühlte mich gut. Ich ließ sie gehen, als sie mir bestätigte, dass ich ihr nicht weh getan hatte. Als ich das nächste Mal in der Kneipe war, erzählte ich, wie leicht es war, die Kleine rumzukriegen. Als die Polizei erschien dachte ich, ihre Aussage steht gegen meine, ich brauche die Vergewaltigung nur zu leugnen. 67 “Altes Ich” versus “Zukünftiges Ich” Altes Ich Zukünftiges Ich • Herausarbeiten devianter sexueller Interessen / Erregungsmuster • Vertieftes Verständnis über Defizite und unrealistische Erwartungen in Beziehungen • Vertieftes Verständnis über einen problematischen impulsiven Lebensstil • Herausarbeiten selbstrechtfertigender und deliktrechtfertigender kognitiver Verzerrungen und Ersetzen durch prosoziale Ansichten • Verstärken der Motivation, nichtdeviante sexuelle Interessen zu entwickeln. • Unterstützung bei der Bewertung der Entwickeln realitätsgerechter BeziehungsErwartungen • Erarbeitung neuer, funktionaler Denkmuster • Gelegenheit geben zur Neubewertung und Neuformulierung von Lebenszielen Paradigmenwechsel in der Sexualstraftäterbehandlung? Rockwood Psychological Services Program (Marshall et al. 2011): • positive therapeutische Haltung: Therapeuten zeigen Wärme, Empathie und Unterstützung für die Pat./Straftäter • Unterstützung für gesunde, prosoziale Lebensführung: Förderung von Selbstwertgefühl, Reduzierung von Scham, Aufbau persönlicher Stärken und Resilienz (Good Life Model, positive Psychologie, Ressourcenorientierung) • Abkehr von Fokussierung auf Deliktbearbeitung und Rückfallvermeidungsplänen • Kritik an zu starker kognitiver Ausrichtung von CBT • Ziele: nicht nur Reduzierung von Kriminalität, sondern Förderung von Wohlbefinden 68 Good Lives Model 1. 2. 3. 4. Gesundheit - Ernährung und Bewegung „Meisterhaftigkeit“ (Beherrschung) – in Arbeit & Spiel Autonomie – Selbstbestimmung Beziehungen – Intimbeziehung, Familie, Freunde, Verwandtschaft, Gemeinde 5. Innerer Friede – Freiheit von Unruhe, Stress; Gefühl von zweck- und sinnvollem Leben 6. Wissen und Kreativität – Befriedigung durch Lernen und Erschaffen von Dingen (Arbeit, Hobbies, Musik, Schreiben ...) (Marshall et al. 2011, Ward & Mann 2004) RPS Primary Program Phase 1: „Engagement“ • Überblick über Behandlung • Schweigepflicht • Hintergrundfaktoren • Förderung von Selbstwertgefühle, Reduzierung von Scham • Verbesserung von Coping und „Stimmungsmanagement“ (Emotionsregulation) • Erweiterung von Empathie 69 Phase 2: Modifizierung kriminogener Faktoren I 1. Einstellungen/Kognitionen • Deliktfördernde Einstellungen (Männer sollen Frauen dominieren, feindselige Einstellungen gegenüber Frauen; Kinder als selbstbestimmte sexuelle Personen) • • • • 2. Selbst-Regulation • defizitäre Verhaltensregulation • defizitäres Coping / Problemlösung • Emotionale Dysregulation Emotionale Identifikation mit Kindern Antisoziale Einstellungen Selbsteinschätzung als nicht-rückfallgefährdet Anspruchshaltung Phase 2: Modifizierung kriminogener Faktoren II 3. Beziehungsprobleme • Intimitätsdefizite • Fehlende BeziehungsFähigkeiten • Maladaptive Bindungsstile • Emotionale Einsamkeit 4. Sexuelle Faktoren • Mangelndes sexuelles Wissen • Deviantes / paraphiles sexuelles Interesse • Sexuelle Anspruchshaltung • Sexuelle Preokkupation 70 RPS Primary Program Phase 3: Lebensförderung & Selbstmanagement • Good Live Model • Vermeidungsstrategien (eingeschränktes Repertoire) • Aufbau von Unterstützungsgruppen • Entlassungsplan Wirksamkeit des Rockwood Psychological Services ( RPS) Primary Programs Follow-Up (time at risk): 8,4 J. (n=535) Rückfälle bei Behandelten % Erwartete Rückfälle % (Static-99, RRASOR) Sexualdelikte 5,6 23,8 Andere Gewaltdelikte 8,4 34,8 (Marshall et al. 2011) 71 Begutachtung: Prognose Wann und für wen Prognose-Gutachten? • Polizeiliche Ermittlungen („Profiling“) - selten • Erkennungsverfahren – Unterbringung im Maßregelvollzug (§ 63, 64 StGB) – Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) • Vollzugslockerungen (Straf- und Maßregelvollzug) • Vorzeitige Entlassung (zum Halbstrafen- oder Zweidrittel-Zeitpunkt, bei lebenslanger Haftstrafe) • Überprüfung von Sicherungsverwahrung • Führungsaufsicht (Auflagen) 72 Prognostische Beurteilung • Bgzl. welcher Gefahren (mögliche Taten)? • Über welchen Zeitraum? • Benennung der Risikofaktoren (delikt-, krankheits- und persönlichkeitsspezifisch) • Benennung der protektiven Faktoren • Bezug des allgemeinen Wissens auf den individuellen Täter • Maßnahmen zur Verbesserung der Prognose (Therapie, Auflagen, sonstige Interventionen) Quellen der Prognosebegutachtung • Übersandte Gerichtsakten (z.B. Vollstreckungsheft) • Angeforderte Gerichtsakten (z.B. frühere Verurteilungen) • Krankenakten • Strafvollzugsakten • Exploration des Probanden • Ggf. körperliche Untersuchung • Ggf. apparative Diagnostik, Labor • Persönlichkeitsdiagnostik • Ggf. Testpsychologie • Fremdanamnestische Informationen – Vollzugspersonal – Familie – Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal – sonstige Bezugspersonen • Standardisierte Prognoseinstrumente 73 Delinquenz-Rückfälligkeit Meta-Analyse (Hanson & Morton-Bourgon 2004, 2005) • 95 Studien mit 31.216 Sexualstraftätern • „Time at risk“: 5-6 J • Neues Sexualdelikt: • Neues nicht-sexuelles Gewaltdelikt: • Irgendein neues Gewaltdelikt: 13.7 % 14.0 % 25.0 % Meta-Analyse: Sexuelle Rückfälligkeit (Hanson, Morton-Bourgon & Harris, 2003) Katamnesezeit (time at risk) Neues Sexualdelikt % <5J 14 < 10 J 20 < 15 J 24 < 20 J 27 74 Relevante „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Sexuelle Devianz .31 Sexuelle Überbeschäftigung .39 Dissoziale Persönlichkeitsstörung .21 Psychopathy (PCL-R) .29 Probleme mit der Selbstkontrolle .37 Instabile Beschäftigungsverhältnisse .22 Feindseligkeit .17 21.01.2010 Bewährungshilfe 149/43 Mögliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Zwang / körperliche Gewalt bei dem Delikt .09 Opfer von Kindesmisshandlung .10 Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch .09 Einsamkeit, Isolation .03 Niedriges Selbstwertgefühl .04 21.01.2010 Bewährungshilfe 150/43 75 Fragliche „dynamische“ Risikofaktoren (Hanson & Morton-Bourgon 2005) Risikofaktoren Effektstärke d Fehlende Opferempathie -.08 Leugnung des Sexualdelikts .02 Geringe Motivation bei Therapiebeginn -.08 Langsamer Therapiefortschritt .14 21.01.2010 Bewährungshilfe 151/43 Prognoseinstrumente • Static99 (Hanson u. Thornton): 10 Items ausschließlich statischer Natur • SORAG (Quinsey, Rice u. Cormier) 15 Items ausschließlich statisch • JSOAP und ASOAP (Prentky et al.): 26 bzw. 21 Items statisch und dynamisch, • SVR-20 (Boer et al.): 20 Items, statische und dynamisch-veränderbare Faktoren • SONAR (Hanson u. Harris): ausschließlich dynamische Faktoren (einschließlich Therapieeffekte): Intimitäts-Defizite, negative soziale Einflüsse, Einstellungen, Selbstkontrolle (im sexuellen und nicht sexuellen Bereich), akute Risikofaktoren (Substanzgebrauch, negative Stimmungslage, Wut, leichte Verfügbarkeit von möglichen Opfern) • FOTRES (Urbaniok): computergestütze (online) Beurteilung. Integriert „strukturelles“ Risiko und prinzipiell veränderbare Faktoren einschließlich Therapieeffekten. Sehr komplex und umfangreich • In der Praxis meist Kombination von aktuarischer/ statistischer und klinischer Prognosebeurteilung 76 Psychopathy Checklist (PCL-R, Hare 1990) (0 = nein, 1 = möglich/zum Teil, 2 = ja) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme Erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl Stimulationsbedürfnis, ständiges Gefühl der Langeweile Pathologisches Lügen (Pseudologie) Betrügerisch-manipulatives Verhalten Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein Oberflächliche Gefühle Gefühlskälte, Mangel an Empathie Parasitärer Lebensstil 10. Unzureichende Verhaltenskontrolle 11. Promiskuität 12. Frühe Verhaltensauffälligkeiten 13. Fehlen von realistischen, langfristigen Zielen 14. Impulsivität 15. Verantwortungslosigkeit 16. Mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen 17. Viele kurzzeitige ehe (ähnliche) Beziehungen 18. Jugendkriminalität 19. Widerruf einer bedingten Entlassung 20. Polytrope Kriminalität Sexual Violence Risk (SVR-20, Boer et al. 1997) (0 = nein, 1 = möglich/zum Teil, 2 = ja) A. Psychosoziale Anpassung 1. Sexuelle Deviation 2. Opfer von Kindesmissbrauch, -misshandlung 3. Psychopathy (PCL-R) 4. Schwere seelische Störung 5. Substanzproblematik 6. Suizidale/homicide Gedanken 7. Beziehungsprobleme 8. Beschäftigungsprobleme 9. Nicht-sexuelle gewalttätige Vordelinquenz 10. Gewaltfreie Vordelikte 11. Früheres Bewährungsversagen B. Sexualdelinquenz 12. Hohe Deliktfrequenz 13. Multiple Formen der Sexualdelinquenz 14. Physische Verletzung der Opfer 15. Waffengebrauch / Todesdrohung gegen Opfer 16. Zunahme der Deliktfrequenz oder -schwere 17. Extremes Bagatellisieren oder Leugnen 18. Deliktfördernde Ansichten C. Zukunftspläne 19. Fehlen realistischer Pläne 20. Ablehnung weiterer Interventionen D. Weitere Überlegungen ................... Zusammenfassende Beurteilung des Risikos sexuelle Gewalttaten: gering moderat hoch 77 Wie gut ist der SVR-20? Vogel et al. 2002: • 94 Vergewaltiger, 27 Kindesmissbraucher • Retrospektive Untersuchung (Akten) • Katamnesezeitraum: 140 Monate (Durchschnitt) • Rezidivrate: Sexualdelikte 39 %, andere Gewaltdel. 46 % • Gute Interrater-Reliabilität (ICC .89) • Prädiktive Validität: – Gesamtscore r=.45 (AUC .77) – abschließende Risikobeurteilung r=.58 (AUC .82) Alter und neues Sexual- oder Gewaltdelikt 16% 28% ** ** Alter bei Entlassung" (n=27) 58% (n=40) p<.01 (n=23) Hill, Habermann, Klusmann, Berner, Briken; International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology 2007 (im Druck) 78 Alter: ein protektiver Faktor (Harris et al. 2003) Static 99 79 Wie und wer exploriert bzw. erhebt den static99? • Keine zwingende Notwendigkeit eines Interviews – Demografische Fragen (Alter, Beziehungsstatus) --> offizielle Akten + Infos des Delinquenten – Kriminelle Vorgeschichte --> nur offizielle Akten (außer es existiert kein Vorstrafenregister und die Informationen sind glaubwürdig) – Angaben zum Opfer --> offizielle Angaben werden bevorzugt, Infos des Delinquenten können berücksichtigt werden • Geeignet für unterschiedliche Professionen und Forschung • Einfaches Grundprinzip – Je mehr Risikofaktoren, desto größer Risiko Wann wird das Static99 angewendet? • Bestimmung des Rückfallrisikos, indem aus Gesamtscore die Wahrscheinlichkeit einer Neuverurteilung aufgrund eines Sexual-oder Gewaltdeliktes abgeleitet wird • Nur männliche Erwachsene, welche mindestens einmal wegen eines Sexualdeliktes angeklagt oder verurteilt wurden bzw. werden – Nicht: Frauen, Jugendliche (insbesondere <17 J, hier eher spezifische Instrumente wie ERASOR, J-SOAP II) • Anwendung bei aktuellem Sexualdelikt – Bei längerer Zeit in Freiheit ohne Delikt muss das Ergebnis angepasst werden • Opfer sollte eindeutig identifiziert sein 80 Static99 - Überblick 1. 2. 3. 4. 5. Alter des Täters Partnerschaft > 2 Jahre? Verurteilung bei Index Delikt aufgrund nicht-sexueller Gewalt Frühere Verurteilungen aufgrund nicht - sexueller Gewalt Frühere Anklagen und/oder Verurteilungen aufgrund sexuell motivierter Straftaten 6. Anzahl der Vorstrafen vor dem Indexdelikt 7. Verurteilungen aufgrund von Sexualstraftaten ohne Opfer bzw. ohne körperlichen Kontakt 8. Verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Täter und Opfer 9. Bekanntheitsgrad zwischen Täter und Opfer 10. Geschlecht des Opfers Bewertung des static99 • Addition zu Gesamtscore zwischen 0-12 P • Personen mit 6 und mehr Punkten fallen in Kategorie hohes Risiko • Einordung in Prozentuale Schätzwerte nach 5,10,15 Jahren Rohwert 0-1 2-3 4-5 6, 6+ Kategorie niedrig Niedrig bis durchschnittlich Durchschnittlich bis hoch hoch 81 Risk factor categories (Hanson & Morton-Bourgon 2004) Risk assessment instruments effect size d sexual recidivism SVR-20 .77 (.52-1.02) Static-99 .63 (.54-.72) Vivienne de Vogel Corine de Ruiter Yvonne Bouman Michiel devon Vries Assessment Robbé Leitlinien für das protektiven Faktoren beim Risiko Aranke Spehr, Peer zu gewalttätigem Verhalten Briken • Strukturiertes Assessment von PROtektiven Faktoren 82 Struktur Internale Items • Struktur des SAPROFs - 17 Items: Internale Items Motivationale Items Externale Items - 3-Punkten-skala: 0 = Nein 1 = Vielleicht 2 = Ja 1. 2. 3. 4. 5. Intelligenz Sichere Bindung in der Kindheit Empathie Coping Selbstkontrolle 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Arbeit Freizeitaktivitäten Finanzmanagement Behandlungsmotivation Einstellung gegenüber Autoritäten Lebensziele Medikation 13. 14. 15. 16. 17. Netzwerk Intimbeziehung Professionelle Hilfe Wohnsituation Aufsicht Motivationale Items Externale Items Integration der Risikofaktoren in das Prognosegutachten I (Nedopil 2000, 2007) A. Prädeliktische Persönlichkeit 1. Frühere Gewaltanwendung (H1) 2. Alter bei 1. Gewalttat (H2) 3. Stabilität von Partnerbeziehungen (H3) 4. Stabilität von Arbeitsverhältnissen (H4) 5. Alkohol-/Drogenprobl. (H5) 6. Psychische Störung (H6) 7. Frühe Anpassungsstörung / Eigene Opfererfahrung (H8) 8. Persönlichkeitsstörung (H9) 9. PCL-Wert 10. Frühere Verstöße gegen Bewährungsauflagen (H10) B. Ausgangsdelikt 1. Statistische Rückfallwahrscheinlichkeit 2. Bedeutung situativer Faktoren für das Delikt 3. Einfluss vorübergehender Krankheit 4. Zusammenhang mit einer Persönlichkeitsstörung 5. Erkennbarkeit motivationaler Zusammenhänge 83 Integration der Risikofaktoren in das Prognosegutachten II (Nedopil 2000, 2007) C. Postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Krankheitseinsicht und Therapiemotivation Selbstkritischer Umgang mit bisheriger Delinquenz Besserung psychopathologischer Auffälligkeiten Pro-/antisoziale Lebenseinstellung (C2) Emotionale Stabilität (C4) Entwicklung von CopingMechanismen Widerstand gegen Folgeschäden durch Institutionalisierung D. Sozialer Empfangsraum 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Arbeit Unterkunft Soziale Beziehungen Offizielle Kontrollmöglichkeiten Verfügbarkeit von Opfern Zugangsmöglichkeiten zu Risiken (R2) Compliance (R4) Stressoren (R5) E. Prognostische Gesamtbeurteilung Pornographie und sexuelle Delinquenz 84 Biologie: Gene, Hirnschädigung, Hormone, Neurotransmitter, „Konstitution“ Sexuelle Devianz u./o. Gewalt Distale Ursachen: Frühsozialisation, Bindung, Traumata u. Identifizierungen / Lernen am Modell (Pornographie?) Proximale Ursachen: Lebenskrisen (Arbeit, Partnerschaft); Stimulation bzw. Enthemmung, z.B. Alkohol o. Drogen, Pornographie Typisierung von Pornographie nach Ausmaß der Gewalt 1. 2. 3. 4. Soft-core Pornographie / Nacktdarstellungen (Playboy etc.) Hard-core Pornographie (gewaltfreie sexuelle Handlungen) Gewalt-Pornographie (Fesseln, Schlagen; offenbar konsensuell) Vergewaltigungs-Pornographie (Gewaltanwendung offenbar nicht konsensuell) (Boeringer 1994) 85 Meta-Analyse experimenteller Studien • „Nudity“ (Soft-core Pornogr.) senkt Aggressivität (Effektstärke r = -.14, p<.05). • Gewaltfreie Hard-core Pornographie (r=.17, p<.05) und Gewalt-Pornographie (r=.22) steigern Aggressivität. • Probanden, die nicht zuvor provoziert worden waren (non-angered), zeigten keine Steigerung der Aggressivität durch Pornographie. (Allen et al. 1995, 33 Studien mit 2.040 Probanden) Pornographie und sexuelle Devianz • Meta-Analyse von 46 Studien (1962-1995) mit 12.323 Probanden • Gewichtete „Effektstärken“ von Pornographie auf verschiedene Variablen: – Abweichende Sexualität .31 – Sexuelle Gewalt .22 – negative Einstellungen über Intimbeziehungen .20 – Vergewaltigungs-Mythen .31 (Oddone-Paolucci et al. 2000) 86 Mean sexual aggression Risikolevel, Pornographie und sexuelle Aggression In der Hoch-Risiko-Gruppe (7% der Stichprobe) zeigten diejenigen mit sehr häufigem Pornographiekonsum (12%) 4 x mehr sexuelle Aggression als die mit geringem Pornographiekonsum. (n=1713 College-Studenten, Malamuth et al. 2000) Risk level Studien mit Sexualstraftätern Sexualstraftäter berichten im Vgl. zu Kontrollgruppen: • sexuelle Erregung (.15), bes. nach gewalttätiger Pornograpie (.39) • Weniger sexueller Erregung nach konsensueller (nichtgewalttätiger) Pornographie (-.26) (Allen et al. 2000, 13 Studien, n=2.543) • über mehr Konsum von hard-core Pornographie in Pubertät (Marshall 1988) Häufigkeit des Pornographiekonsums, bes. devianter Pornographie, Risikofaktor für erneute Sexualstraftaten v.a. bei Hochrisiko-Tätern (sex. Missbrauchstäter) (Kingston et al. 2008) 87 Pornographie bei Sexualstraftaten (Langevin u. Cornoe 2002) Zweck des Pornographieeinsatzes: • Selbst-Stimulation vor der Tat: 13 % • Täter zeigte Pornographie dem Opfer (Verführung, aber auch Drohung): 55 % • Täter machte Aufnahmen vom Opfer: 37 % Kinderpornographie und hands-on sexueller Missbrauch Kinderpornographie-Straftäter (n=201, Canada, Seto & Eke 2005): • 24% mit früheren hands-on Sexualdelikten • 15% mit früheren Kinderpornographie-Delikten Katamnese nach ∅ 2,5 Jahren (time at risk): Neue hands-on Sexualdelikten: • 1.3% unter denen mit ‘nur Kinderpornographie-Delikten 9.2% unter denen mit früheren hands-on Sexualdelikten (p<.05) 88 Kinderpornographie und hands-on sexueller Missbrauch Internet-Kinderpornographie-Straftäter (n=231, Schweiz, Endrass et al. 2009): • 4,8 % mit früheren sexuellen oder anderen Gewaltdelikten: – 1 % Hands-on Sexualdelikte – 3,3 % Hands-off Sexualdelikte (illegale Pornographie) – 0,4 % nicht-sexuelle Gewaltdelikte • 60% mit anderer illegaler Pornographie • 6,0 % Rückfälligkeit mit sexuellen oder anderen Gewaltdelikten (inkl. Verurteilungen, polizeiliche Ermittlungen und Anklagen, 6 J. Follow-up): – 0,8 % Hands-on Sexualdelikte (Kindesmissbrauch) – 3,9 % Hands-off Sexualdelikte (illegale Pornographie) – 1,3 % nicht-sexuelle Gewaltdelikte Kinderpornographie- und Hands-on Missbrauchsdelikte 155 Kinderpornographie-Straftäter, die im Gefängnis ein Sexualstraftätertherapie durchführten, z.T. inkl. Polygraphie (Bourke & Hernandez 2009) Täter, die auch Hands-onDelikte einräumten Durchschnittliche Anzahl der Hands-on-Opfer (pro Täter) bei Verurteilung bei Therapieende 26 % 85 % 1,9 13,6 89 Hands-on-Missbrauchsdelikte bei Kinderpornographie-Tätern Insgesamt ohne Ausreißer Offizielle Quellen ohne Ausreißer Selbst-Angaben ohne Ausreißer Anteil von Tätern mit Handson-Missbrauchsdelikten % n 17 2.497 14 2.342 12 2.173 12 2.073 74 324 56 169 (Metaanalyse von Hanson & Babchishin 2009) Kinderpornographie- versus Hands-on-Missbrauchstäter Kinderpornographie-Täter im Vergleich zu Hands-onMissbrauchstätern: • häufiger pädophile Präferenz (in der Penisplethysmographie) • intelligenter und gebildeter • weniger antisozial • niedrigere Werte in Risikoinstrumenten • niedrigeres Risiko für Hands-on-Sexualdelikte • geringere Defizite bzgl. Opferempathie und deliktfördernden Ansichten (Übersicht bei Seto 2009) 90 Gründliche Diagnostik Integration verschiedener therapeutischer Möglichkeiten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! [email protected] [email protected] [email protected] www.dgfs.info 91