Seminar Pädophilie: Diagnostik und Behandlung Internationales Symposium Forensische Psychiatrie 10. Juni 2011, Zürich Dr. med. Marc Graf Forensisch Psychiatrische Klinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel [email protected] Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Persönlichkeit und Sexualität Normalität Normvariante Störung Chromosome X und Y W Der einzige genetisch gesteuerte Schritt in der sexuellen Differenzierung ist die Entwicklung von Hoden vermittelt durch das “Testes determining factor” Gen TDF auf SRY (in Kombination mit anderen Genen wie SOX9, DAX1 und WNT4 auf anderen Chromosomen) W Ist dieser Schritt getan, wird die weitere Differenzierung vollständig durch die Hormonproduktion in Hoden, Ovarien und Nebennierenrinden vermittelt. X0 = weiblich, Turner Syndrom XXY = männlich, Klinefelter Syndrom XY female = weiblich, SRY Gen fehlt XX male = männlich, Rest von SRY vorhanden „Exotic-Becomes-Erotic“ nach Bem 1996 Biologische Variablen Temperament in der Kindheit (Persönlichkeit) Präferenz für Aktivitäten, die für das eigene Geschlecht typisch sind (rollenkonform) untypisch sind (nicht rollenkonform) Das persönliche Erleben unterscheidet sich subjektiv wahrnehmbar von Gleichaltrigen mit dem anderen Geschlecht gleichen Geschlecht Physiologische Erregung gegenüber dem anderen Geschlecht gleichen Geschlecht Sexuell-erotische Gefühle gegenüber dem anderen Geschlecht gleichen Geschlecht Kontinuum „Alter“ als Sexualpräferenz Schutzalter Kindheit Pädophilie Pubertät Hebephilie Erwachsen Teleiophilie Alter Gerontophilie Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell W Bio: – Neurofunktionelle Defizite Kognitiv-neurowissenschaftliches Modell der Pädophilie Neuronale Ebene: Defizite der emotionalen Prozessierung Neuronale Ebene: Defizite der sexuellen Prozessierung Amygdala-Hippokampus-Komplex (z.B. Walter et al. 2007) Frontaler Kortex (z.B. Schiffer et al. 2008) Pädophilie Kognitiv-affektive Ebene: Emotionale Unreife, Empathiedefizite, verzerrte Emotionswahrnehmung, Impulskontrollstörung (z.B. Cohen, McGeoch et al. 2002; Fagan et al. 2002; Marshall et al. 2001; Mendez et al. 2000; Tost et al. 2004) Briken, Hill und Berner 2010 Läsions-Studien im Tierversuch Banczerowski et al., J. Endocrinol. Invest. 2003 Homosexuelle Pädophilie und funktionelle Netzwerke - fMRI-Fallstudie. Dressing H. et al. Fortschr Neurol Psychiat 2001 Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell W Bio: – Neurofunktionelle Defizite W Psycho: Prävalenz pädosexueller Devianz I % Männer n = 99 22.2 % Frauen n = 180 2.8 Fantasien 4.4 1.1 Masturbation zu Fantasien Wunsch nach Sex mit Kind 5.6 0 3.3 0 sex. Attraktion Briere 1996 Prävalenz pädosexueller Devianz II Varianzanalyse für sex. Interesse an Kindern: + niedriges Selbstwertgefühl + niedrigere Sozialisation + mehr sexuelle Konflikte + höhere sexuelle Impulsivität + niedrige Attraktivität auf adäquate Sexualpartner + vermehrter Konsum konsensueller Pornographie Briere 1996 Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell W Bio: – Neurofunktionelle Defizite W Psycho: – subjektiv niedrige sexuelle Attraktivität für erwachsene Sexualpartner – Selbstunsicherheit – latente Homosexualität – Form der Autoerotik, Projektionsfläche für sexuelle Phantasien W Sozial: – hohes Risiko für Marginalisation, Stigma – soziale Kompensationsmechanismen: W Machtgefälle (Apotemnophilie, „Drunken“, „Sleeping“, „Voyeur“, „BDSM“ etc, Erfahrungsvorsprung („Entjungferung“), Vom Opfer zum Täter W ca. 60 % der Sexualstraftäter waren selber in der Kindheit oder Jugend Opfer von Sexualdelikten W Geschlechterverhältnis pädosexueller Opfer: – Mädchen : Knaben = 80 : 20 W ungünstige Auswirkung auf die Entwicklung von: – Persönlichkeit (Selbstsicherheit, Vertrauen, Grenzen…) – Sexualität (diffuse Konzepte, Promiskuität, Intimitätsdefizit…) W Resilienz Der Einfluss von Pornographie bei der Entstehung von sexueller Aggression Prädisposition für Sexualstraftaten beeinflusst die Wirkung von Pornographie auf sexuelle Aggression am stärksten Ohne entsprechende Prädisposition scheint die Wirkung von Pornographie lediglich von vorübergehendem Einfluss Pornographie hat einen robusten Effekt auf proximale Faktoren sexueller Aggression SCL-90-R1) Kindsmissbraucher vs. Internet Sexualstraftäter 1) Derogatis 1977 Auswirkungen von Internetpornographie % % J. Albright 2008 Sex in America online Rückfälligkeit von Konsumenten illegaler Pornographie II N = 4‘658 Dissertation A. Goller, Universität Basel Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Kriterien der Störung: W W W W Leidensdruck soziale Beeinträchtigung Fixierung / Einengung Delinquenz Krafft-Ebing; Psychopathia Sexualis 1886 Pädophilie nach DSM-IV-TR a. b. c. ...6 Monate, wiederkehrende, intensive sexuell erregende Fantasien, sexuelles Verlangen oder Verhalten, beinhaltend sexuelle Handlungen mit einem präpubertären Kind... ...Person hat entsprechend diesen Verlangens gehandelt oder dieses verursacht Leidensdruck oder interpersonelle Schwierigkeiten... ...Person ist mind. 16 jährig und mindestens 5 Jahre älter als das in Krit. a). involvierte Kind. Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur F65 Störungen der Sexualpräferenz W W W W W W W W F65.0 F65.1 F65.2 F65.3 F65.4 F65.5 F65.6 F65.8 Fetischismus fetischistischer Transvestitismus Exhibitionismus Voyeurismus Pädophilie Sadomasochismus multiple Störung der Sexualpräferenz sonstige Störung der Sexualpräferenz – Frotteurismus – Nekrophilile – Sodomie W F65.9 nicht näher bezeichnete Störung der Sexualpräferenz nicht problematische und problematische Paraphilien W nicht problematische Paraphilien: – Fetischismus – Transvestitismus W eher problematische und gefahrvolle Paraphilien: – – – – – – Voyeurismus Exhibitionismus Frotteurismus Sexueller Masochismus Sexueller Sadismus Pädophilie Fiedler 2004 Glossar der Paraphilien I W Akrotomophilie: amputierte Gliedmassen W Algolagnie: Synonym für Sadomasochsismus (aktive A. für Sadismus, passive A. für Masochismus) W Bestialismus, Bestialität, Bestiophilie: Synonym für Sodomie (Tiere) W Ephebophile: „Jünglingsliebe“ W Erotographomanie: Schreiben von erotischen Texten W Erotophonie: Telefonanrufe W Exhibitionismus: Entblössen W Fetischsimus: lebloses Objekt W Flagellantismus: Geisselung W Formicophilie: kleine Tiere W Frotteurismus, Frottage: Reiben an anderen Personen W Gerontophilie: deutlich ältere Partner Glossar der Paraphilien II W W W W W W W W W W W W Geruchsfetischismus Hyphephilie: Samt, Seide und andere Stoffe Hypoxiphilie: Drosseln, Plastiksack etc. Kleptolagnie: Stehlen zur sexuellen Erregung Klismaphilie: Klistiere, anales Duschen Koprophilie, Koprolagnie: Kot Koprophemie: Obszönes Sprechen in Gegenwart des anderen Geschlechts zur sexuellen Erregung Morphophilie, synonym Partialismus: nur ein bestimmter Körperteil löst Erregung aus Narratophile: Erzählen obszöner Geschichten Nekrophilie: Leichnam Olfaktophilie: Gerüche, Düfte Pädophilie: Kind Glossar der Paraphilien III W W W W W W W W W Pictophilie: Bilder Pollutionismus: Beschmutzen weiblicher Kleider mit Samen Psycholagnie: Träume und Fantasien Pygmalionismus: Statue Pyrolagnie: Feuer Stigmatophilie: Tätowierungen, Piercings, body-morphing Urolagnie, Urophilie: Urin Vomerismus: Erbrechen Voyeurismus: Beobachten (nicht gleich Stalking!) zeitlicher Beginn von Paraphilien Abel 1990 Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Perversion Durch die Perversion wird die Wut in einen Sieg über jene verwandelt, die ihn unglücklich machten, denn in der Perversion wird ein Trauma zum Triumph. Stoller 1998 „Perversion“ in der klassischen Psychoanalyse W Freud - Fetischismus 1927 und Spaltung des Ichs im Abwehrvorgang 1940: – als Kind „polymorph pervers“ – „Fixierung“ auf frühen Entwicklungsstadien in Folge „perverser Fehlentwicklung“ – Fehldeutung von Freud‘s klassischer Libidotheorie: nicht evolutionär zielgerichtete Sexualität – Fetisch als wichtigstes Definitionselement der Perversion (Fetisch als Übergangsobjekt bei Kastrationsangst) „Perversion“ nach Giese 1962 W W W Dialektik zwischen Beziehungswunsch und sexuellem Begehren „Verfehlen der Wir-Bildung“ Leitsymptome: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Verfall an die Sinnlichkeit Zunahme der Frequenz bei Abnahme der Satisfaktion Zunehmende Promiskuität und Anonymität Ausbau von Phantasie, Praktik und Raffinement Süchtiges Erleben Periodizität der dranghaften Unruhe Perversion nach Berner 2005 W „Der alte Begriff der Perversion sollte reserviert bleiben für eine regressive, prägenitale Symptombildung, die Partner im gegenseitigen Einverständnis und mit entsprechender Fähigkeit zur Rücksichtnahme auch über längere Zeit miteinander teilen können. Sie hat keinen Krankheitswert im psychiatrischen Sinne bzw. im Sinne des DSM oder ICD.“ Das heisst, Spaltung liegt in geringem Ausmass vor und ist auf einzelne Symptome beschränkt. W Fiedler 2004: „Von der Normalität der Perversion“ Progredienz-Zeichen nach Schorsch 1988 W Periodische Akzentuierung eines dranghaft gesteigerten sexuellen Verlangens mit innerer Unruhe W Starke sexuelle Phantasiebesetzung W Progression im Längsschnitt W Kürzere Abstände zwischen den entsprechenden Manifestationen W Signalhafte Auslöser der sexuellen Handlungen W Autoerotische Fixierung mit hoher Masturbationsfrequenz W Wunsch nach Behandlung W „pervers-süchtige Entwicklung“ „Spaltung“ nach Klein 1946 W Spaltung: – Ausleben heftiger Affekte nur möglich bei Ausblendung (Verleugnung) eines Teiles der Realität (da heftige Affekte nie realitätsangemessen) – Projektion von alten, verletzenden und enttäuschenden Objekterfahrungen (Objektrepräsentanzen) auf Andere > Ausleben aggressiver Affekte in intensiver Form W später Kernberg (1967): Abwehrmechanismus der Spaltung als wesentliches Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung Selbsterleben W Ich-synton: – Verhalten oder Erleben, mit welchem sich eine Person identifizieren kann – kann auch Ausdruck einer schwerwiegenden Psychopathologie sein, z.B. bei paranoider Schizophrenie oder wahnhafter Depression W Ich-dyston: – Verhalten oder Erleben, das von einer Person als nicht ihr zugehörig wahrgenommen wird; fremd, störend, Leiden verursachend – z.B. Tic-Störung, Zwang, Depression Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Sexualdelinquenz W Sexualdelikte = Gewaltdelikte W unterschiedlichste Motive: – – – – sexuell im engeren Sinnen Form von Gewalt Instrumentalisiert „neurotisch“, z.B. beim Sadismus, Exhibitionismus W Motive und Disinhibitoren (enthemmende Faktoren) W Konzept der Übergriffigkeit, Grenzverletzung W Erhebliche Belastung für die Gesellschaft, für das Zusammenleben der beiden Geschlechter Theorie zur Entstehung von sexueller Straffälligkeit Psychische Funktionen: Trait Motivation Gefühle Klinische Symptome: State W emotionelle Probleme Verhaltenssteuerung W soziale Schwierigkeiten W deviante sexuelle Stimulierbarkeit W kognitive Verzerrungen Wahrnehmung Gedächtnis W genetisch W evolutionär les sozia n Lerne Hirnentwicklung Biologische Prädisposition: Oekologische Nische (proximal und distal): W soziale und kulturelle Umgebung strafbare sexuelle Verhaltensweisen und Unterhaltung Eskalation W persönliche Verhältnisse Ward 2006 Tätertypologien Vergewaltiger Sadismus Sexualität als Mittel der Aggression Dissozialität Erfüllen eines normalen Bedürfnisse s mit illegalen Mitteln Kompensation von Unzulänglichkeiten Psychotiker Sexueller Kindsmissbrauch Ersatzhandlungen Dissoziale Sexuell unerfahrene Jugendliche Neigungstäter Intelligenzgeminderte Nebenströmung Hauptströmung „Kernpädophile“ Knight und Prentky 1990 Der unreife Pädophile W oft jugendlich, unreife Persönlichkeit W diffuse sexuelle Orientierung W Selbstwahrnehmung als sexuell unattraktiv, inkompetent W sucht „gleichberechtigte“ Beziehung zu Kindern Der Kernpädophile W keine alternative Quelle der sexuelle Erregung und Befriedigung W massive Abwehr: Bagatellisierung und Rechtfertigung W lebenslängliches Risiko für Delinquenz W intensive (sexuelle) Beschäftigung mit Kindern, Sextourismus, Literatur, Selbsthilfegruppen W sozial zurückgezogen oder Doppelleben W instrumentalisiert adulte heterosexuelle Kontakte für Kontakte zu Kindern Gliederung W W W W W W W Sexuelle Normen und Präferenzen Theorien zur Entstehung pädosexueller Präferenz Pädophilie Andere Paraphilien Perversion Pädosexuelle Sexualdelinquenz Therapie: – Psychotherapie – Psychopharmakotherapie W Fazit W Literatur Wirksamkeit Therapie von Sexualstraftätern Verfahren Schmucker und Lösel 2008 Wirksamkeit Therapie von Sexualstraftätern Modalitäten Art des Delikts Alter Behandlungsteilnahme Behandlungsansatz Spezifität der Therapie Vergewaltigung 4.91 Kindsmissbrauch extrafam. 2.15 Kindsmissbrauch Inzest 1.02 Exhibitionismus 3.72 Jugendliche 2.35 Erwachsene 1.43 freiwillig 1.45 unfreiwillig 1.05 kognitiv-behavioral 1.46 klassisch behavioral 2.18 einsichtsorientiert 1.01 therapeutische Gemeinschaft 0.87 psychosozial unklar 0.94 hormonelle Medikation 3.11 spezifisch Sexualstraftäter 1.56 unspezifisch 0.76 Schmucker und Lösel 2008 Psychotherapie Voraussetzungen W ausreichende Intelligenz / kognitive Leistungsfähigkeit W Introspektionsfähigkeit W Mindestmass an Motivation / Problembewusstsein W Lebensführung, welche PT erlaubt Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie W W W W W W W W W W W W Freud 1905: unbewusste Prozesse Pavlov 1927: klassische Konditionierung Thorndike 1931 und Skinner 1974: operante Konditionierung Bandura 1969: Modell-Lernen Beck 1970: „Kognitive Wende“ Bandura 1986: Selbstwirksamkeit Meichenbaum 1985: Kognitive Verhaltenstherapie Linehan 1993: Dialektisch-behaviorale Therapie Ryle 1997: Kognitiv-analytische Therapie Grawe 2004: Neuropsychotherapie Young 2005: Schematherapie integrative Ansätze… Therapie nach dem „risk, need, responsivity“ Prinzip W Risk: – Wahrscheinlichkeit für die Begehung von (schweren) Straftaten – Täter mit hohem Risiko sprechen besser auf Therapie an als Täter mit niedrigem Risiko > benötigen mehr Therapie! W Need: – dynamische, d.h. beeinflussbare kriminogene Faktoren W Substanzmissbrauch, aggressive Verhaltensweisen, kriminogene Einstellungen etc. W Responsivity: – Ressourcen, kognitive Fähigkeiten, Lern-Stil, kultureller Hintergrund, Sprache, Therapiemotivation Andrews & Bonta 2003 wo möglich, ambulant oder teilstationär W Hinweise für schlechtere Wirksamkeit von Therapien in Institutionen: – Schwierigkeiten beim Transfer von neu Gelerntem in die reale soziale Situationen – negatives therapeutisches Klima in der Institution – ungünstige bis paradoxe Interventionen des Personals W Motivation W Erfahrung W Ausbildung Lösel 1995, Lipsey & Wilson 1998 Behandlungsmethoden W Kognitive Verhaltenstherapie: – kognitive Restrukturierung – positive Verstärkung – soziales Lernen W Relapse-Prevention: – Selbst-Monitoring – Selbst-Managment Therapieform und -stil W Inhalte müssen für den Patienten relevant sein – sozio-kulturellen Hintergrund berücksichtigen W Inhalte müssen für den Patienten verständlich sein W Positive Verstärkung! – Änderungen in Einstellung und Verhalten müssen sich konkret und unmittelbar positiv auswirken W Stil: Herausfordernd und engagiert – Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Langeweile Therapeutischer Stil W W W W W W W W W empathisch respektvoll warm und freundlich aufrichtig und authentisch belohnend und ermutigend direktiv vs. spiegelnd vertraulich interessiert herausfordernd, aber nicht konfrontativ W nicht kollusiv W angebracht sich selbst darstellend W angebracht humorvoll W klare Kommunikation W aktive Teilnahme ermutigend W prosoziale Einstellungen fördernd W offene Fragen stellend W kompetenter Umgang mit Frustrationen / Schwierigkeiten W gutes Zeitmanagement Marshall, Mulloy & Serram 1998 Lebensqualität W Primärbedürfnisse: – körperliche: – persönliche: W Autonomie W Kompetenz W Beziehungen: – Verstandenwerden, Intimität, erfüllte Sexualität, Austausch, Unterstützung – soziale: W Familienleben W Arbeitsmöglichkeiten und -bedingungen W soziale Sicherheit Rasmussen 1999 Beispiel Opferempathie W Wirkung: – Normverdeutlichung – verdeckte Sensibilisierung (deviante Fantasien und Gedanken werden unattraktiv / sexuell nicht mehr erregend) – akzeptieren eigener Missbrauchserlebnisse und Klärung der damaligen Rollen – Validieren von sozialen Primärbedürfnissen: W Autonomie W Sicherheit W Beziehungen – – – – Training sozialer Fertigkeiten Kompetenz zur Gestaltung von (nicht missbräuchlichen) Beziehungen Selbstwirksamkeit Selbstbewusstsein Rolle von Hoffnung in der Therapie W „agency thoughts“ (Willenskraft, Selbstwirksamkeit) und „pathway thoughts“ (Strategie) Abwägung der Wichtigkeit zielgerichtetes Verhalten distale Ziele herunterbrechen auf realisierbare, konkrete proximale distale Ziele von (Sexual-)Straftätern entsprechen i.d.R. denen von nicht delinquenten Personen. Strategien zur Erreichung der Ziele sind aber dysfunktional kognitive Restrukturierung: „ich bin eine schlimme Person (und werde das bleiben)“ >>> „ich habe etwas schlimmes getan (aber ich kann damit aufhören)“ Instinktives Verhalten (Joe Sullivan) W = erworbenes Verhalten oder Reagieren, dessen sich der Täter bewusst oder nicht bewusst ist. W instinktiv heisst in diesem Sinne nicht angeboren! („intuitiv“ wäre zutreffender) Pro-active enabling Therapy (Joe Sullivan) W bisher unentdecktes Verhalten aufdecken W sich einigen über instinktives Verhalten des Patienten W instinktives Verhalten in Bezug auf Deliktverhalten untersuchen W emotionale Reaktionen hervorrufen > Betroffenheit! W „making it real!“ Pro-active enabling Therapy Vorbereitung W Verhalten, das untersucht werden soll, bestimmen W entsprechende Übung auswählen / kreieren W Ablauf und Durchführung planen W mögliche Manipulationen erkennen W Dauer ungefähr festlegen Pro-active enabling Therapy Auswertung W 3 Phasen: – Phase 1 – Phase 2 – Phase 3 Benennen! Verstehen! Relevanz herstellen! Therapie von deliktrelevanten Phantasien W W W W Analyse der deliktrelevanten Phantasie Therapeut muss Orientierung und Stabilität vermitteln Therapeut: „Phantasien können verändert werden!“ Patient: – Steuerung der Phantasie ist möglich – Steuerung der Phantasie ist wichtig W Modifikation: – – – – Geschichte der Phantasieentwicklung verdeckte Sensibilisierung „Re-priming“ nicht devianter Phantasien Selbstwirksamkeit Urbaniok und Endrass 2006 Gruppentherapie Rückfallprävention Risikobeurteilung Opferempathie Phantasien Stressmanagement individuelle Prädisposition Problematischer Internetgebrauch Deliktrekonstruktion Deliktrekonstruktion W Life-graph W Story-board W Footsteps Konzept des sexuellen Missbrauchs Prädisposition Scham / Schuld nicht geeignete / illegale Fantasien kognitive Verzerrungen Selbstbefriedigung Missbrauch Targetting Vorbereitung: - Opfer - Situation Drittpersonen Veränderungsprozess Problem erkennen Problem verstehen Sprache Denken Gefühle Einstellung langfristiges Verhalten Relapse Konzept Behandlung abstinent, Vertrauen nicht zu delinquieren, Erwartung erfolgreich zu sein + SID geeignetes Coping + high risk AVE ext. Fakt. SID = seemingly irrelevant decision AVE = abstinence violation effect int. Fakt. (kontrollierbar) (Scham, Schwäche) Rückfall Algorithmus zur Differenzierung der „Störung der Sexualpräferenz“ Eines der unter F65.0-F65.9 angeführten Symptome ist aufgetreten und hat zum Leiden des Betroffenen in direkter oder indirekter Form geführt. Innerhalb von sechs Monaten sind mehrmals die gleichen bzw. mehrere unterschiedliche Symptome aufgetreten. „perverse Symptombildung“ eventuell im Rahmen anderer Störungen z.B. Borderline-Persönlichkeit, Impulskontrollstörung. nein ja War in der Lage, Interessen eines Sexualpartners zu berücksichtigen bzw. Selbstschädigung zu vermeiden. ja Höchstens „leichte Präferenzstörung“. Behandlung nur bei subjektivem Leidensdruck. nein Eine Präferenzstörung im eigentlichen Sinn bzw. eine Paraphilie liegt vor. Schwerekriterien: Progredienz, paraphilieverwandte Störungen, Sadismus. Schwere Präferenzstörung bzw. schwere Paraphilie. Briken, Hill, Berner Algorithmus der kombinierten Psycho- und Pharmakotherapie leicht mittel SSRI Insbesondere bei depressiver, ängstlicher und zwanghafter Symptomatik Bei unzureichender Wirksamkeit und mittlerem bis hohem Risiko für „handson“ Delikte, starker Impulsivität, Aggressivität, Persönlichkeitsstörung, gefährlicheren Paraphilien (Pädophilie, Sadismus) Cyproteronacetat oral, bei problematischer Compliance: i.m. schwer Bei unzureichender Wirksamkeit oder Leberfunktionsstörungen unter CPA 1) + SSRI insbesondere bei depressiver, ängstlicher und zwanghafter Symptomatik LHRH (i.m./s.c.) Bei Risiko für gleichzeitigen Anabolikamissbrauch Alle Patienten: Psychotherapie (supportiv oder Intensiv) + Pharmakotherapie komorbider Störungen [1) bei unzureichender Wirkung] LHRH (i.m./s.c.) + CPA i.m. Briken, Hill, Berner Rechtliche Grundlagen W Informed consent – einwilligungsfähiger Patient – bei verminderter Einwilligungsfähigkeit: Vormundschaftsbehörde W Unmöglich als Zwangsmassnahme – Höchstpersönliches Recht entspr. Bundesverfassung und EMRK (analog z.B. Schwangerschaft) W Eingeschränkt einwilligungsfähiger Patient: – Einwilligung soweit möglich – obligat: Einwilligung durch Vertretensbeistand oder Vormund Wirkmechanismen Wirkmechanismus chirurgische Kastration Entfernung u.a. der Leydig Zellen im Hoden → Testosteron ↓ CPA kompetitive Testosteron Rezeptoren Blockade antigonadotrope, gestagene und schwach glukokortikoide Wirkung MPA Derivat des endogenen Gestagenes Progesteron gestagene, androgene, antigonadotrope Wirkung LHRH „down regulation“ der Gonadorelinrezeptoren der Hypophyse SSRI Erhöhung der 5-HT Konzentration im synaptischen Spalt Naltrexon Opiatantagonist Wirkmechanismen Wirkmechanismus chirurgische Kastration Entfernung u.a. der Leydig Zellen im Hoden → Testosteron ↓ CPA (Androcur®) kompetitive Testosteron Rezeptoren Blockade antigonadotrope, gestagene und schwach glukokortikoide Wirkung MPA (Depo Provera®) Derivat des endogenen Gestagenes Progesteron gestagene, androgene, antigonadotrope Wirkung LHRH „down regulation“ der Gonadorelinrezeptoren der Hypophyse SSRI Erhöhung der 5-HT Konzentration im synaptischen Spalt Naltrexon Opiatantagonist Wirkmechanismen Wirkmechanismus chirurgische Kastration Entfernung u.a. der Leydig Zellen im Hoden → Testosteron ↓ CPA kompetitive Testosteron Rezeptoren Blockade antigonadotrope, gestagene und schwach glukokortikoide Wirkung MPA Derivat des endogenen Gestagenes Progesteron gestagene, androgene, antigonadotrope Wirkung LHRH (Lucrin®, Salvacyl®) „down regulation“ der Gonadorelinrezeptoren der Hypophyse SSRI Erhöhung der 5-HT Konzentration im synaptischen Spalt Naltrexon Opiatantagonist Testosteron-Suppression mit Goserelin Wirkung antihormoneller Therapie Czerny, Briken & Berner. Eur Psychiatry 2002 Behandlungsverlauf unter Leuprorelinacetat „nie“ „mehrmals täglich od. täglich“ Briken et al. 2000 Wirkmechanismen Wirkmechanismus chirurgische Kastration Entfernung u.a. der Leydig Zellen im Hoden → Testosteron ↓ CPA kompetitive Testosteron Rezeptoren Blockade antigonadotrope, gestagene und schwach glukokortikoide Wirkung MPA Derivat des endogenen Gestagenes Progesteron gestagene, androgene, antigonadotrope Wirkung LHRH „down regulation“ der Gonadorelinrezeptoren der Hypophyse SSRI (Fluctine®, Deroxat®) Erhöhung der 5-HT Konzentration im synaptischen Spalt Naltrexon (Naltrexin®) Opiatantagonist Unerwünschte Wirkungen Unerwünschte Wirkungen chirurgische Kastration Irreversibel, Feminisierung, Osteoporose CPA Feminisierung, Gynäkomastie, Leberzellschädigung, Adipositas MPA Feminisierung LHRH Reversibilität Azoospermie? Osteoporose, Adipositas SSRI gering Naltrexon gering Wirksamkeit hinsichtlich Rückfall spezifische Rückfallrate Autoren chirurgische Kastration 4.13 % vs 50 % unbehandelt (5 j) Cornu 1973 CPA 0 – 33 % Meyer u. Cole 1997 MPA 3 – 83 % (mean 27 %) Rösler u. Witztum 2000 LHRH 0% Review Briken, Hill u. Berner 2003 SSRI keine Daten Naltrexon keine Daten Cyproteronacetat (Androcur®, Androcur® Depot) W kompetitiver Androgen-Rezeptoren Blocker W Indikation: Triebdämpfung bei Sexualdeviationen des Mannes, Prostata-Ca W 50 mg Tbl., bis 3 x 2 Tbl. tägl. W 100 mg Lösung, 1 – 2 Amp. alle 10 – 14 d Leuprorelin (Lucrin®, Lucrin-Depot®) Triptorelin (Salvacyl®) LH-RH Analogon – Analog dem natürlich vorkommenden Gonadotropin (LH/FSH)-Releasing Hormon, aber etwa 80-100x wirksamer – Eiweissmolekül (Protein) mit 9 Aminosäuren (natürliches GnRH mit 10 AS) – Mit höherer Plasmaproteinbindung und längerer Plasmaverweildauer Behandlungsprotokoll I W Einwilligungserklärung W Voruntersuchungen: – – – – – – – – – – – Somatostatus inkl. Geschlechtsorgane ev. Kontrollspermatogramm FSH, LH, Testosteron Prolaktin Gewicht, RR, EKG Serumcalcium und –phosphat Blutzucker und Leberenzyme Harnstoff, Kreatinin Osteodensitometrie ev. CT Hypophysen Zielaufnahme ev. Kariogramm (gonosomale Anomalien) Behandlungsprotokoll II W Verlaufsuntersuchungen: – Testosteron monatlich 3 – 6 x, dann vierteljährlich – kardiovaskulärer Status vierteljährlich – LH und Prolaktin halbjährlich – Gewichtskontrolle – CPA: Leberfunktion, BZ, Ca und Phosphat – Leuprorelin: Harnstoff, Kreatinin, Osteodensitometrie jährlich Protokoll für Therapie mit LH-RH, MPA und CPA Screening Kontraindikation Monitoring alle Testosteron, LH, FSH Blutbild Hypophysenpathologie Testosteron und Blutbild monatlich in ersten 4 Mt., dann halbjährlich LH halbjährlich LH-RH (Lucrin®, Salvacyl®) Harnstoff und Kreatinin Osteodensitometrie EKG Osteoporose Harnstoff und Kreatinin halbjährlich Osteodensitometrie jährlich MPA (Depo-Provera®) Prolactin Leberfunktion nüchtern Glucose BD Gewicht Lebererkrankung Thromboembolisches Risiko Wenn Testosteronspiegel sign. Reduziert > Osteo-densitometrie jährlich Prolactin halbjährlich BD, Gewicht und Leberfunktion regelm. CPA (Androcur®) Prolactin Leberfunktion EKG nüchtern Glucose BD Gewicht Lebererkrankung Thromboembolisches Risiko Wenn Testosteronspiegel sign. Reduziert > Osteo-densitometrie jährlich Prolactin halbjährlich BD, Gewicht und Leberfunktion regelm. Fazit W Ein Kind kann, wie jede andere denkbare Person, jeglicher Gegenstand oder jegliche Handlung zur sexuellen Präferenz werden. W Eine sexuelle Präferenz sucht man sich nicht aus und sie ist auch nicht einfach «wegzutherapieren» W Mit geeigneten therapeutischen Massnahmen (oft integriert) lässt sich der Leidensdruck der Betroffenen und die Wahrscheinlichkeit übergriffigen Verhaltens reduzieren. W Entstigmatisierung zur Früherfassung und Angebote zur Frühintervention wären dringend notwendig. W „Beati…“ Literatur W W W W W W W W W Fiedler 2004: Sexuelle Orientierung und sexuelle Abweichung Sheldon und Howitt 2007: Sex offenders and the Internet Craig et al. 2008: Assessing risk in sex offenders Marshall et al. 2006: Sexual offender treatment Saleh et al. 2009: Sex offenders. Identification, risk assessment, treatment and legal issues Beier, Bosinski, Loewitt 2005: Sexualmedizin Stoller 1998: Perversion. Die erotische Form von Hass Taylor und Quayle 2003: Child pornography W. Marshall et al. 2005: Working positively with sex offenders. Journal of Interpersonal Violence, Vol. 20, No. 9. 1096-1114