Warum bewegt uns Musik?

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Forschung & Lehre
MUSIK
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Warum bewegt uns Musik?
Über die emotionale Wirkung und ihren evolutionären Ursprung
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sind Schreck-Reaktionen auf plötzliche
sehr dissonante und laute Klänge, die
über ein fest verdrahtetes neuronales
Netzwerk des Hirnstamms vermittelt
werden. Mächtige Emotionen können
auch über Koppelung von Musik an
wichtige Lebensereignisse entstehen.
Die seelische Kraft derartiger Assozian allen menschlichen Kulturen
weniger Konsens, ob Musik wirklich
tionen ist in Filmen und Literatur vielwerden oder wurden musikalische
beim Hörer Emotionen auslöst. In der
fach beschrieben worden. Schließlich
Aktivitäten ausgeübt. Unter den älMusikpsychologie werden die „kognitiwerden Aufbau, Erfüllung und Täutesten kulturellen Artefakten fand man
vistische“ und die „emotivistische“ Posischung musikalischer Erwartungen als
in den Höhlen des oberen Donautals
tion unterschieden. „Kognitivisten“ arwesentlicher Auslöser von Emotionen
35.000 Jahre alte Flöten aus Knochen
gumentieren, dass fröhliche oder trauribeim Hören von Musik diskutiert. Vor
und Elfenbein. Die grosse Bedeutung
ge Musik diese Emotionen nicht im Hökurzem hat David Huron diese Idee in
der Musik in der klassischen Antike
rer erweckt, sondern nur in dieser Weiseinem Buch „Sweet Anticipation“ ausund auch in späteren Zeitaltern ist unse vom Hörer klassifiziert und bewertet
gearbeitet. Danach entsteht eine gewisbestritten. Plato widmete ein ganzes Kawird. Allerdings kann eine solche Bese emotionale Befriedigung, wenn Erpitel seines Werkes „Der Staat“ der Bewartungen erfüllt werden.
deutung von Musik für die Charakter»Die emotionale Reaktion in Form Werden die musikalischen
bildung. Auch heutzutage wird die emoErwartungen jedoch inteleiner ‘Gänsehaut’ ist mit der
tionale Wirkung von Musik häufig als
ligent getäuscht, überAktivierung der Belohnungswichtigste Begründung für die Beliebtrascht uns zum Beispiel
heit musikalischer Aktivitäten aufgeeine harmonische Wenzentren im Gehirn verbunden.«
führt: Immerhin musizieren oder singen
dung, eine besondere
regelmäßig etwa sieben Millionen DeutKlangfarbe, ein neues Insche. Der Umsatz der Deutschen
wertung der Musik Emotionen auslöstrument, eine plötzliche Stille, dann
Phonoindustrie lag 2011 trotz der wirtsen. Zum Beispiel könnte die langweiliführt dies nicht zwangsläufig zu negatischaftlichen Flaute und der Raubkopien
ge und ungenaue Wiedergabe eines
ven Gefühlen, sondern das Ergebnis
bei fast 1,7 Milliarden Euro. Was also
sonst als „fröhlich“ klassifizierten musikann eine starke emotionale Reaktion
treibt die Menschen an, Musik zu makalischen Meisterwerks bei einem Muin Form einer „Gänsehaut“ sein. Diese
chen? Warum bewegt uns Musik?
sikliebhaber Gefühle von Ärger, Frusist mit der Aktivierung der Belohnungstration und Trauer auslösen, die natürzentren im Gehirn, mit Ausschüttung
Erzeugt Musik Emotionen –
lich auf seinen Kenntnissen anderer, anvon Dopamin und Endorphin und mit
oder erkennen wir sie nur?
gemessenerer Interpretationen beruhen.
Glücksgefühlen verbunden.
Die meisten Menschen stimmen überIm Gegensatz dazu postulieren die
Das Phänomen der Gänsehaut beim
ein, dass Musik fröhlich oder traurig
„Emotivisten“, dass Musik direkt EmoMusikhören haben wir gemeinsam mit
klingen kann. Allerdings besteht schon
tionen erzeugt. Ein extremes Beispiel
dem Musikpsychologen Reinhard Kopiez und dem Neuro- und MusikwissenAUTOR
schaftler Oliver Grewe in den letzten
Jahren eingehend erforscht. Hier kann
Professor Eckart Altenmüller leitet das Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medirekt das Erzeugen von Emotionen
dizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Er befasst sich
durch Musik am Aufstellen der Haare
mit der Sensomotorik des Musizierens, mit Musikerkrankheiten und der emotionalen
beobachtet und mit psychophysiologiMusikverarbeitung.
schen Methoden gemessen werden. Etwa 70 Prozent der Menschen in unserer
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Kultur kennen das Gefühl des wohligen
Schauers. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für die Ausbil-
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sik eine wichtige Rolle bei der HerstelInteraktion angeführt. Diese Form der
lung sozialer Bindungen zu. So ist Tanz
emotionalen Kommunikation hat drei
in zahlreichen Gesellschaften fester BeHauptfunktionen: die Bindung zwistandteil
religiöser
schen Elternteil (meist der Mutter) und
Feste und gesellschaftKind wird gestärkt, der Spracherwerb
»Es gibt zahlreiche Argumente dafür, licher Riten. Tanz be- und die auditive Mustererkennung wird
wirkt über eine verunterstützt und der Erregungszustand
dass Musik in der Evolution einen
stärkte Oxytocin-Ausdes Kindes kann gesteuert werden.
Beitrag zum ‘Überleben des
schüttung der HypoWeltweit werden Wiegenlieder bei überStärkeren’ leistete.«
physe eine stabilere
aktiven Kindern beruhigend, bei zu pasGedächtnisbildung
siven Kindern aber aktivierend gestalund fördert damit die
tet. Alle drei Funktionen verbessern die
dung der Gänsehaut sind strukturelle
Erinnerung an das Gruppenerlebnis. In
kindlichen Überlebenschancen und
Brüche in der Musik, neuartige akustiähnlicher Weise wird Musik als Markerwirken daher auch auf die natürliche
sche Strukturen, ungewöhnliche Klangsignal von Gruppenidentität bei zahlreiSelektion.
qualitäten und insbesondere auch bechen anderen Gelegenheiten eingesetzt.
Zusammenfassend bewegt uns Muwegende menschliche Stimmen. EmpMan denke nur an Nationalhymnen,
sik, weil sie Teil der genetischen Grundfindsame Persönlichkeiten erleben häuFußballgesänge und an die identitätsausstattung des Menschen ist, um uns
figer Gänsehaut als Menschen mit hostiftende Wirkung, die bestimmte Lieder
zu bewegen. Musik ist ein in den letzten
hen Reizschwellen. Wichtig sind aber
von ethnischen Minauch Kontext und Hörsituation: Texte,
derheiten in einem
»Musik ist Teil der genetischen
die uns emotional stark bewegen (z.B.
Staatswesen
haben.
Grundausstattung des Menschen.«
Kundry’s Fluch in „Parzival“ von RiBereits bei Kindern
chard Wagner), Wissen über besondere
scheint gemeinsames
Bedingungen der Werkentstehung (das
Musizieren die soziale Kohärenz, KoJahrtausenden unendlich verfeinertes,
letzte Werk eines Komponisten, z.B. das
operativität und Hilfsbereitschaft zu
aber im Kern uraltes affektives Kommudritte Klavierkonzert von Bela Bartok),
fördern. Auch hier kann leicht der evonikationssystem mit zahlreichen positiund eine besonders emotional empfänglutionär adaptive Wert erkannt werden:
ven Auswirkungen für uns Menschen:
liche Stimmung können die WahrErst durch die soziale OrganisationsMusik bietet einen sicheren „Spielplatz“
scheinlichkeit einer Gänsehautreaktion
form der Gruppe konnten sich frühe
für neue Hör-Erfahrungen, fördert die
deutlich erhöhen.
Hominiden gegenüber konkurrierende
Gruppen-Synchronisierung, den GrupPrimaten sowohl bei der Jagd als auch
penzusammenhalt, die Mutter-KindMusik bewegt – aber warum?
beim Schutz der Gruppenmitglieder
Bindung und den Spracherwerb. Musik
Offenbar bewegt Musik. Was ist nun der
durchsetzen.
erhöht das Wohlbefinden und erzeugt
evolutionäre Ursprung dieser emotionaNeben sexueller Selektion und
sogar manchmal Glücksgefühle. Grünlen Wirkung? Musikliebe und MusikGruppenzusammenhalt wird als dritte
de genug, um Musik zu machen, Musik
wahrnehmung scheinen genetisch angewichtige evolutionäre Anpassung die
zu fördern und einem Abbau der Mulegt zu sein. Diese Annahme wird nicht
frühe Eltern-Kind Interaktion mit Wiesikkultur entschieden entgegen zu trenur durch den Nachweis von Musikaligenliedern und rhythmisch-gestischer
ten!
tätsgenen in Finnland gestützt, sondern
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auch durch eine genetisch bedingte Teilleistungsschwäche, der kongenitalen
Amusie. Menschen mit Amusie haben
Schwierigkeiten, Tonhöhen und Rhythmen zu unterscheiden und Musik lässt
sie emotional kalt. Warum aber haben
wir Musikalitätsgene?
Es gibt zahlreiche Argumente dafür,
daß Musik in der Evolution einen Beitrag zum „Überleben des Stärkeren“
leistete. Bereits Charles Darwin war der
Auffassung, dass Musik bei der Werbung um Sexualpartner eine Rolle
spielt. Musiker und Musikerinnen zeigen nicht nur Kreativität und Körperbeherrschung, sondern demonstrieren indirekt verborgene Qualitäten: sie verfügen über Ressourcen, um ein Instrument zu kaufen und zu üben, sie sind
geschickt (und daher meist gesund) und
sie zeigen offen Emotionen und Einfühlungsvermögen!
Auf der Gruppenebene kommt Mu-
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