GESCHICHTE DER PSYCHOANALYSE Quelle:www.beepworld.de/members2/psychotherapie (Auszüge) DIE GRUNDPFEILER DER PSYCHOANALYSE Die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge, die Anerkennung der Lehre vom Widerstand und der Verdrängung, die Einschätzung der Sexualität und des ÖdipusKomplexes sind die Hauptinhalte der Psychoanalyse und die Grundlagen ihrer Theorie. Man versteht die Psychoanalyse immer noch am besten, wenn man ihre Entstehung und Entwicklung verfolgt. In den Jahren 1880 und 1881 beschäftigte sich Dr. Josef Breuer in Wien, bekannt als Internist und Experimentalphysiologe, mit der Behandlung eines während der Pflege ihres kranken Vaters an schwerer Hysterie erkrankten Mädchens, deren Zustandsbild aus motorischen Lähmungen, Hemmungen und Bewußtseinsstörungen zusammengesetzt war. Einem Wink der sehr intelligenten Patientin folgend, versetzte er sie in Hypnose und erreichte so, daß sie durch Mitteilung der sie beherrschenden Stimmungen und Gedanken jedesmal wieder in normale seelische Verfassung geriet. Durch konsequente Wiederholung desselben mühseligen Verfahrens gelang es ihm, sie von allen ihren Hemmungen und Lähmungen zu befreien, so daß er am Ende seiner Mühe durch einen großen therapeutischen Erfolg wie durch unerwartete Einsichten in das Wesen der rätselhaften Neurose belohnt fand. Doch hielt sich Breuer von der weiteren Verfolgung seines Fundes ferne und veröffentlichte nichts darüber etwa ein Jahrzehnt lang, bis es dem persönlichen Einfluß Freuds (der 1886 aus der Schule Charcots nach Wien zurückgekehrt war) gelang, ihn zur Wiederaufnahme des Gegenstandes und zur gemeinsamen Arbeit an demselben zu bewegen. Die beiden, Breuer und Freud, veröffentlichten dann 1893 eine vorläufige Mitteilung "Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene" und 1895 ein Buch "Studien über Hysterie", in dem sie ihr Heilverfahren als das "kathartische" bezeichneten. KATHARSIS Aus den Untersuchungen, die den Studien von Breuer und Freud zugrunde lagen, ergaben sich vor allem zwei Resultate, die auch durch die spätere Erfahrung nicht erschüttert wurden, erstens: daß die hysterischen Symptome Sinn und Bedeutung haben, indem sie Ersatz sind für normale seelische Akte; und zweitens: daß die Aufdeckung dieses unbekannten Sinnes mit der Aufhebung der Symptome zusammenfällt, daß also hiebei wissenschaftliche Forschung und therapeutische Bemühung sich decken. Die Beobachtungen waren an einer Reihe von Kranken gemacht, die so behandelt wurden wie Breuers erste Patientin, also in tiefe Hypnose versetzt, und die Erfolge schienen glänzend, bis sich später deren schwache Seite herausstellte. Die theoretischen Vorstellungen, welche Breuer und Freud sich damals machten, waren von Charcots Lehren über die traumatische Hysterie beeinflußt und konnten sich an die Ermittlungen seines Schülers P. Janet anlehnen. Von allem Anfang an war in ihnen das affektive Moment in den Vordergrund gerückt; die hysterischen Symptome sollten dadurch entstehen, daß ein mit starkem Affekt beladener seelischer Vorgang irgendwie verhindert wurde, sich auf dem normalen bis zum Bewußtsein und zur Motilität1 führenden Wege abzugleichen (Abreagieren), worauf dann der gewissermaßen "eingeklemmte" Affekt auf falsche Wege geriet und einen Abfluß in die Körperinnervation fand (Konversion). Die Gelegenheit, bei denen solche pathogene "Vorstellungen" entstanden, wurden von Breuer und Freud als "psychische Traumen" bezeichnet, und da sie oftmals längst vergangenen Zeiten angehörten, konnten die Autoren sagen, die Hysterischen litten großenteils an (unerledigten) Reminiszenzen. Die "Katharsis" erfolgte dann unter der Behandlung durch Eröffnung des Weges zum Bewußtsein und normale Entladung des Affekts. Die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge war, wie man sieht, ein unerläßliches Stück dieser Theorie. Auch Janet hatte mit unbewußten Akten im Seelenleben gearbeitet, aber wie er in späteren Polemiken gegen die Psychoanalyse betonte, war dies für ihn nur ein Hilfsausdruck, une manière de parler, mit dem er keine neue Einsicht andeuten wollte. DER ÜBERGANG ZUR PSYCHOANALYSE Schon in den "Studien" hatten sich Gegensätze in den Auffassungen der beiden Autoren angezeigt. Breuer nahm an, daß die pathogenen Vorstellungen darum trau1 matische Wirkung äußern, weil sie in "hypnoiden Zuständen" entstanden sind, in denen die seelische Leistung besonderen Einschränkungen unterliegt. Freud lehnte diese Erklärung ab und glaubte zu erkennen, daß eine Vorstellung dann pathogen wird, wenn ihr Inhalt den herrschenden Tendenzen des Seelenlebens wiederstrebt, so daß sie die "Abwehr" des Individuums hervorruft… Auch die beiden Neuerungen, mit denen Freud bald darauf den Boden der Katharsis verließ … wurden nun nach Breuers Rücktritt der Ausgang weiterer Entwicklungen. VERZICHT AUF DIE HYPNOSE Die eine dieser Neuerungen fußte auf einer praktischen Erfahrung und führte zu einer Änderung der Technik, die andere bestand in einem Fortschritt in der klinischen Erkenntnis der Neurose. Es zeigte sich bald, daß die therapeutischen Hoffnungen, die man auf die kathartische Behandlung in der Hypnose gesetzt hatte, in gewissem Sinne unerfüllt blieben. Das Verschwinden der Symptome ging zwar der Katharsis parallel, aber der Gesamterfolg zeigte sich doch durchaus abhängig von der Beziehung des Patienten zum Arzt … und wenn diese Beziehung zerstört wurde, traten alle Symptome wieder auf, als ob sie niemals eine Lösung gefunden hätten. Dazu kam noch, daß die geringe Anzahl der Personen, welche sich in tiefe Hypnose versetzen ließen, eine ärztlich sehr bedeutsame Einschränkung in der Anwendung des kathartischen Verfahrens mit sich brachte. Aus diesen Gründen entschloß sich Freud, die Hypnose aufzugeben. Gleichzeitig aber entnahm er seinen nicht bewusst gesteuerte Bewegungen des menschlichen Körpers Eindrücken von der Hypnose die Mittel, sie zu ersetzen. DIE FREIE ASSOZIATION Der hypnotische Zustand hatte beim Patienten eine solche Erweiterung der Assoziationsfähigkeit zur Folge gehabt, daß er sofort den für sein bewußtes Nachdenken unzugänglichen Weg vom Symptom zu den mit ihm verknüpften Gedanken und Erinnerungen zu finden wußte. Der Wegfall der Hypnose schien eine hilflose Situation zu schaffen, aber Freud erinnerte sich an Bernheims Nachweis, daß das im Somnambulismus Erlebte nur scheinbar vergessen war und jederzeit durch die dringende Versicherung des Arztes, daß man es wisse, der Erinnerung zugeführt werden konnte. Er versuchte es also, auch seine nicht hypnotisierten Patienten zur Mitteilung von Assoziationen zu drängen, um durch solches Material den Weg zum Vergessenen oder Abgewehrten zu finden. Die "Technische Grundregel", dies Verfahren der "freien Assoziation", ist seither in der psychoanalytischen Arbeit festgehalten worden. Man leitet die Behandlung ein, indem man den Patienten auffordert, sich in die Lage eines aufmerksamen und leidenschaftslosen Selbstbeobachters zu versetzen, immer nur die Oberfläche seines Bewußtseins abzulesen und einerseits sich die vollste Aufrichtigkeit zur Pflicht zu machen, anderseits keinen Einfall von der Mitteilung auszuschließen, auch wenn man 1) ihn allzu unangenehm empfinden sollte, oder wenn man 2) urteilen müßte, er sei unsinnig, 3) allzu unwichtig, 4) gehöre nicht zu dem, was man suche. PSYCHOANALYSE TUNGSKUNST ALS DEU- Die neue Technik änderte den Eindruck der Behandlung so sehr ab, brachte den Arzt in so neue Beziehungen zum Kranken und lieferte so viel überraschende Ergebnisse, daß es berechtigt schien, das Verfahren durch einen Namen von der kathartischen Methode zu scheiden. Freud wählte für die Behandlungsweise, die nun auf viele andere Formen neurotischer Störung ausgedehnt werden konnte, den Name Psychoanalyse. Diese Psychoanalyse war nun in erster Linie eine Kunst der Deutung und stellte sich die Aufgabe, die erste der großen Entdeckungen Breuers, daß die neurotischen Symptome ein sinnvoller Ersatz für andere unterbliebene seelische Akte seien, zu vertiefen. Es kam jetzt darauf an, das Material, welches die Einfälle der Patienten lieferten, so aufzufassen, als ob es auf einen verborgenen Sinn hindeutete, diesen Sinn aus ihm zu erraten. DIE DEUTUNG DER FEHLLEISTUNGEN UND ZUFALLSHANDLUNGEN Es war ein Triumph für die Deutungskunst der Psychoanalyse, als ihr der Nachweis gelang, daß gewisse häufige seelische Akte des normalen Menschen, für die man bisher eine psychologische Erklärung überhaupt nicht in Anspruch genommen hatte, so zu verstehen seien wie die Symptome der Neurotiker, d. h. daß sie einen Sinn haben, welcher der Person nicht bekannt ist und durch analytische Bemühung leicht gefunden werden kann. Die betreffenden Phänomene, das zeitweilige Vergessen von sonst wohlbekannten Worten und Namen, das Vergessen von Vorsätzen, das so häufige Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Verlieren, Verlegen von Gegenständen, manche Irrtümer, Akte von anscheinend zufälliger Selbstbeschädigung, endlich Be- wegungen, die man gewohnheitsmäßig, wie unabsichtlich und spielend ausführt, Melodien, die man "gedankenlos" summt und dergleichen mehr - all dies wurde der physiologischen Erklärung, wo eine solche überhaupt versucht worden war, entzogen, als streng determiniert aufgezeigt und als Äußerung von unterdrückten Absichten der Person oder als Folge von Interferenz zweier Absichten, von denen die eine dauernd oder derzeit unbewußt war, erkannt. Der Wert dieses Beitrages zur Psychologie war ein mehrfacher. Der Umfang der seelischen Determinierung wurde dadurch in ungeahnter Weise erweitert; die angenommene Kluft zwischen normalem und krankhaftem seelischen Geschehen verringert; in vielen Fällen ergab sich ein bequemer Einblick in das Spiel der seelischen Kräfte, das man hinter den Phänomenen vermuten mußte. Endlich gewan man so ein Material, welches wie kein anderes geeignet ist, den Glauben an die Existenz unbewußter seelischer Akte auch bei solchen zu erwecken, denen die Annahme eines unbewußten Psychischen fremdartig, ja sogar absurd erscheint. Das Studium der eigenen Fehlleistungen und Zufallshandlungen, wozu sich den meisten reichlich Gelegenheit bietet, ist noch heute die beste Vorbereitung für ein Eindringen in die Psychoanalyse. In der analytischen Behandlung behauptet die Deutung der Fehlleistung einen Platz als Mittel zur Aufdeckung des Unbewußten neben der ungleich wichtigeren Deutung der Einfälle. DIE DEUTUNG DER TRÄUME Ein neuer Zugang zu den Tiefen des Seelenlebens eröffnete sich, als man die Technik der freien Assoziation auf die Träume, eigene oder die analytischer Patienten, anwendete. In der Tat rührt das Meiste und Beste, was wir von den Vorgängen in den unbewußten Seelenschichten wissen, aus der Deutung der Träume her. Die Psychoanalyse hat dem Traum die Bedeutung wiedergegeben, die ihm in alten Zeiten einst allgemein zuerkannt war, aber sie verfährt anders mit ihm. Sie verläßt sich nicht auf den Witz des Traumdeuters, sondern überträgt die Aufgabe zum größten Teil dem Träumer selbst, indem sie ihn nach seinen Assoziationen zu den einzelnen Elementen des Traumes befragt. Dynamische Theorie der Traumbildung. Es hat nicht zuviel Schwierigkeiten gemacht, die Dynamik der Traumbildung zu durchschauen. Die Triebkraft zur Traumbildung wird nicht von den latenten Traumgedanken oder Tagesresten beigestellt, sondern von einer unbewußten, bei Tag verdrängten Strebung, mit der sich die Tagesreste in Verbindung setzen konnten, und die sich aus dem Material der latenten Gedanken eine Wunscherfüllung zurechtmacht. Somit ist jeder Traum einerseits eine Wunscherfüllung des Unbewußten, anderseits, insofern es ihm gelingt, den Schlafzustand vor Störung zubewahren, eine Erfüllung des normalen Schlafwunsches, der denSchlaf eingeleitet hat. Sieht man vom unbewußten Beitrag zur Traumbildung ab und reduziert den Traum auf seine latenten Gedanken, so kann er alles vertreten, was das Wachlebenbeschäftigt hat, eine Überlegung, Warnung, einen Vorsatz, eine Vorbereitung auf die nächste Zukunft oder ebenfalls die Befriedigung eines unerfüllten Wunsches. Die Unkenntlichkeit, Fremdartigkeit, Absurdität des manifesten Traumes ist zu einem Teil die Folge der Überführung der Traumgedanken in eine andere, als archaisch zu bezeichnende Ausdrucksweise, zum anderen Teil aber die Wirkung einer einschränkenden, kritisch ablehnenden Instanz, welche auch während des Schlafes nicht ganz aufgehoben ist. Die Symbolik: Beim Studium der durch die Traumarbeitgeschaffenen Ausdrucksweise stieß man auf die überraschendeTatsache, daß gewisse Gegenstände, Verrichtungen und Beziehungen im Traum gewissermaßen indirekt durch "Symbole" dargestellt werden, die der Träumer gebraucht, ohne ihre Bedeutung zu kennen, und zu denen auch gewöhnlich seine Assoziation nichts liefert. Ihre Übersetzung muß vom Analytiker gegeben werden, der sie selbst nur empirisch, durch versuchsweises Einsetzen in den Zusammenhang finden kann. Es ergab sich später, daß Sprachgebrauch, Mythologie und Folklore die reichlichsten Analogien zu den Traumsymbolen enthalten. Die Symbole, an welche sich die interessantesten, noch ungelösten Probleme knüpfen, scheinen ein Stück uralten seeli- schen Erbgutes zu sein. Die Symbolgemeinschaft reicht über die Sprachgemeinschaft hinaus. ÖDIPUS-KOMPLEX Schon in den ersten Kinderjahren (etwa von 2 bis 5 Jahren) stellt sich eine Zusammenfassung der Sexualstrebungen her, deren Objekt beim Knaben die Mutter ist. Diese Objektwahl nebst der dazugehörigen Einstellung von Rivalität und Feindseligkeit gegen den Vater ist der Inhalt des sogenannten Ödipus-Komplexes, dem bei allen Menschen die größte Bedeutung für die Endgestaltung des Liebeslebens zukommt. Man hat es als charakteristisch für den Normalen hingestellt, daß er den ÖdipusKomplex bewältigen lernt, während der Neurotiker an ihm haften bleibt. Fragen zum Text Geschichte der Psychoanalyse 1. Was sind die Hauptinhalte der Psychoanalyse? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 2. Was war die grosse Entdeckung Breuers, die zur Entwicklung der sog. kathartischen Methode führte? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 3. Die kathartische Methode Breuers nutzte eine Wirkung der Hypnose. Welche? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 4. Freud ersetzte die Hypnose durch ein neues Verfahren, das bei dem Patienten das Gleiche bewirken sollte. Wie heisst es und nach welchen Regeln läuft es ab? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 5. Warum interessiert sich die Psychoanalyse für die Deutung von Fehlleistungen (vgl. freudscher Versprecher u.ä.)? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 6. Im Traum verbinden sich unbewusste, verdrängte seelische Strebungen mit Tagesresten (Realitätspartikeln). Ein Traum kann für Verschiedenes stehen. Nennen Sie einige der häufigen Bedeutungen. _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ 7. Welche Affinität (Verwandtschaft, Ähnlichkeit) besteht zwischen der Symbolsprache unserer Träume und archaischen bzw. mythologischen Bildern / Vorstellungen? _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ _____________________________________________________________ Begriffe: Affekt intensiver emotionaler Erregungszustand Hysterie neurotische Störung: Kombination psychischer Störungen und körperlicher Beschwerden (ohne organische Ursache) Katharsis Abreagieren innerer Konflikte Neurose Sammelbegriff für eine Vielzahl psychischer Störungen pathogen eine Krankheit verursachend