16_B_Gucanin_MQ_3/05 5.3.2005 7:06 Uhr Seite 16 Q Business Excellence M■ Verbesserungspotenziale des EFQM-Modells Bisher kaum CRM-tauglich Von Ane Gucanin und Engin Ergün Die Kundenorientierung ist einer der Grundpfeiler des EFQM-Modells. Am Beispiel des Customer Relationship Managements (CRM) lässt sich jedoch zeigen, dass sich die Ergebniskriterien des Modells nicht eindeutig auf die Befähiger zurückführen lassen. mas transferiert und anhand dessen das Modell auf seine Vollständigkeit und auf die Stichhaltigkeit der Wirkungszusammenhänge untersucht. Bezieht man diese Systematik auf das CRM, so erhält man die notwendigen Bedingungen für die Implementierung eines kundenorientierten Konzepts (Grafik 1). D CRM als eines der Grundkonzepte des TQM ie Fachliteratur beschränkt sich zumeist auf die Darstellung des Modells der European Foundation for Quality Management und von Umsetzungsbeispielen durch einzelne Unternehmen. Positive Resultate empirischer Einzelfälle bedeuten allerdings nicht gleichzeitig eine generelle Übertragbarkeit des Modells. Deshalb haben wir das Kriterienraster der EFQM organisationssoziologisch analysiert. Mit Hilfe der AGILMethodik (siehe nebenstehenden Kasten) ist es möglich, Unternehmen als soziale Systeme zu begreifen. Die einzelnen Unterkriterien des EFQM-Modells haben wir sukzessive in die Logik des AGIL-Sche- Wo bleiben die tatsächlich gelebten Werte? Ane Gucanin M.A., Dr., Prozess- und Projektmanagement, FSC Commercial Projects, E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG, D40468 Düsseldorf, Tel. +49 (0)211 448 3824, [email protected] Engin Ergün, Dipl.-Betrw., Geschäftsführer Craftence Consulting, Beratungsschwerpunkte: CRM, IT und Prozessmanagement, D-44339 Dortmund, Tel. +49 (0)231 989 7738, [email protected], www.craftence.de 16 CRM gilt als ganzheitliche Philosophie der Kundenbetreuung. Ziel ist einerseits die Identifikation erfolgversprechender Kunden. Andererseits soll eine profitable und dauerhafte Beziehung zu diesen Kunden hergestellt werden, um deren Dauerwert zu maximieren. CRM gestaltet das funktionale, klassische Marketing neu zum übergreifenden, ganzheitlichen Marketing um. Auch das EFQM-Modell zielt neben der Ergebnisorientierung auf die konsequente Kundenausrichtung und einen nachhaltigen Kundennutzen. Auf diese übergreifenden Rahmenbedingungen ist das CRM angewiesen. CRM erfordert einen umfassenden Ansatz, der die Integration aller kunden- und servicerelevanten Geschäftsbereiche und Prozesse in einem System zusammenfasst. Dabei spielt die Integration von Strategie, Prozessen und IT-Systemen die Hauptrolle (Grafik 2). Die Frage lautet: Fördert das Management der Kundenbeziehungen im EFQM-Modell die Implementierung von CRM? AGIL: Das Unternehmen als soziales System Das Kriterienraster des EFQM-Modells wurde anhand eines organisationssoziologischen Modells analysiert. Das hierzu herangezogene Vier-Funktionen-Schema (AGIL-Schema) beruht auf der Theorie Allgemeiner Handlungssysteme von Talcott Parsons – einem US-amerikanischem Soziologen und Nationalökonom – und wurde auf die Ebene von Organisationen in der vorliegenden Variante von Aretz spezifiziert. Das Unternehmen als soziales System wird in vier Subsysteme differenziert, die jeweils eine funktionale Voraussetzung der Organisation erfüllen [1]: «A» für Adaptation: Das Subsystem der Ressourcenmobilisierung und -allokation ist für die effiziente Wahl, Beschaffung und Verteilung sämtlicher Unternehmensressourcen verantwortlich. Es sichert die Anpassung an extern sich ändernde Bedingungen. «G» für Goal Attainment: Das Managementsystem sichert die effektive Zielrealisierung der Organisation, indem es Entscheidungen trifft, diese auf Funktionen und Bereiche spezifiziert und intern im Unternehmen sowie extern auf dem Markt gegenüber dem Wettbewerb durchsetzt. «I» für Integration: Auf der sachlichen und sozialen Ebene der Betriebsgemeinschaft befinden sich die Prozesse und das Mitarbeitergefüge des Unternehmens. Dieses Subsystem ist darauf angewiesen, dass sich die einzelnen Abläufe zu einem komplexen Leistungserstellungs- und -verwertungsprozess zusammenfügen. «L» für Latent Pattern Maintenance: Die Unternehmenskultur und -identität bewahrt die latenten Strukturen des Systemen, das heisst sie gewährt eine gleich bleibende, nach aussen und innen kommunizierte Identität. Sie stiftet Sinn und Orientierung durch die in ihr verankerte Vision, Leitbilder und Werte. MQ Management und Qualität 3/2005 16_B_Gucanin_MQ_3/05 5.3.2005 7:06 Uhr Seite 17 Q Business Excellence M■ Ebenen des CRM Mitarbeiter und Organisationseinheiten. Eine kundenfokussierte Strategie muss sich in solchen Handlungsmustern widerspiegeln und umgesetzt werden; sie darf nicht auf der Ebene von Zielvorgaben und der Änderung struktureller, äusserer Bedingungen stehen bleiben. Die EFQM betrachtet Mitarbeiter als gestaltbare, anpassungsfähige und knappe Inputfaktoren für die Zielerreichung. Grundzug dabei: sie können unabhängig voneinander in den Produktionsprozess eingesetzt werden. Dazu hält das Modell Hilfsmittel in der Personalentwicklung und -beschaffung bereit. Die nur individuelle Kooperationsbefähigung und -bereitschaft zeigt allerdings noch nicht die tatsächliche Leistung bzw. Zusammenarbeit, insbesondere bei Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt. Interaktionen unter den Mitarbeitern werden weder analysiert noch bewertet. Aber gerade an ihnen würde sich die soziale Akzeptanz zeigen, die für die Umsetzung von CRM-Leitvorstellungen und -massnahmen notwendig ist. Grafik 1 nach D. Blessing, H. Österle: Business-Engineering-Modell Markt beeinflusst Strategisches Geschäftsfeld bietet an Marktleistung Strategie verwendet Aufgabe Prozess besteht aus kann sein produziert/ konsumiert Leistung Prozess unterstützt Funktion Applikation führt aus greift zu auf Datensammlung läuft auf IT-Komponente System Oder greift es vom Modellansatz her zu kurz? Unternehmenskultur ist mehr als Sinnmanagement CRM ist in hohem Masse auf kundenund service-orientierte, gemeinsam geteilte und generell gültige Leitvorstellungen angewiesen. Auf dieser Ebene muss die Kundenorientierung fest verankert sein, und der Kunde muss in den Leitideen des Kollektivs zentriert werden. Eine CRM-orientierte Kultur entsteht aus den Überzeugungen der Mitarbeiter, ist gleichsam «gefühlsmässig» in der Organisation verankert und nicht ausschliesslich das Ergebnis rationaler Gestaltung durch Führungskräfte. Die Unternehmenskultur besteht aus den tatsächlich gelebten, nicht den vorgegebenen Werten. Im EFQM-Modell werden allerdings nur die Formulierung und Bekanntmachung einer Soll-Kultur in Form von Mission, Vision und gewünschten Werten evaluiert, nicht die tatsächlich gelebten Muster auf der sozialen Ebene, die nicht selten vom strategisch intendierten Verhalten abweichen. dieser Ebene stehen bleiben. Denn die Schaffung und Förderung formeller und informeller Arbeitsgruppen und Teams, ihre systematische Analyse und Integration in die Wertschöpfungskette sind nicht nur unternehmensübergreifend bedeutend, sondern schaffen auch erst die notwendigen Voraussetzungen für das CRM, bei dem es besonders auf partnerschaftliche Kooperation der verschiedenen Unternehmensbereiche ankommt, zum Beispiel zwischen IT, Marketing und Vertrieb. Gerade auf dieser sozialen Ebene realisieren sich die tatsächlichen und gelebten Handlungsmuster der MQ Management und Qualität 3/2005 Vernachlässigung der Prozesssystematik Systemdimensionen von CRM Grafik 2 abgeleitet aus Aretz [1] L Prosoziale Aspekte werden negiert Mitarbeiterorientierung wird im EFQM-Modell ins Personalmanagement übersetzt, darf aber nicht auf Management zu stark gewichtet? A I CRM braucht eine kundenorientierte Unternehmenskultur mit korrespondierenden Leitbildern, Visionen und Werten CRM braucht soziale Akzeptanz und Prozessintegration CRM braucht Ressourcen und IT-Systeme CRM braucht Planung, Strategie und Implementierung G Beim Management der Prozesse des EFQM-Modells fehlen wichtige Bestandteile der Prozessanalyse, Prozesslogik und Koordination in und zwischen einzelnen Abläufen. Diese bilden jedoch eine notwendige Bedingung für die Durchgängigkeit von Prozessketten über einzelne Abteilungen, Bereiche, beteiligte Unternehmen usw. hinweg, damit ein geschlossener Leistungserstellungsprozess erzeugt werden kann. Die Gestaltung und Lenkung der Prozesse wird vorwiegend als Managementaufgabe verstanden, ohne die Abläufe selbst, deren Durchführung und das Netzwerk der Abläufe zu betrachten und zu analysieren. Intern muss sich das Unternehmen übergreifend auf den Kunden 17 16_B_Gucanin_MQ_3/05 5.3.2005 7:06 Uhr Seite 18 Q Business Excellence M■ ausrichten, und dies muss sich auch in der Kooperation zwischen beteiligten Bereichen – also in den Abläufen selbst – widerspiegeln. Grafik 2 stellt diesen Zusammenhang nochmals graphisch dar: Die Strategie muss durchgängig in den Abläufen umgesetzt werden, und diese werden durch die Systeme unterstützt. Mit Hilfe des EFQM-Modells kann allerdings nicht bewertet und analysiert werden, ob CRM in den Prozessen umgesetzt wird, da es nur Massnahmen in Bezug auf das Prozessmanagement thematisiert, nicht aber die Abstimmung und Integration einzelner Tätigkeiten aufeinander. Wo bleiben die Ursachen für Fehler im Prozess? Somit ist auch die Voraussetzung der präventiven Fehlerverhütung für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess nicht gegeben, denn die von der EFQM geforderten Prozessverbesserungen und Schnittstellenharmonisierungen müssen nicht zwangsläufig die Folge einer systematischen Prozessanalyse sein, die auch gar nicht thematisiert wird. Die Vernachlässigung der Standardisierung und Routinisierung von Prozessen führt dazu, dass die optimale Leistung nicht erreicht werden kann. Organisationsroutinen reduzieren bekanntlich die Komplexität im Entscheidungsverhalten und erhöhen die Reaktionsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Kontinuität. Wenn, wie im Falle des EFQM-Modells, lediglich Leistungskennzahlen ermittelt werden, erhält man nur den Wert an sich und nicht die Ursachen für Fehler im Prozess oder in der Synchronisation von Prozessschritten. Die Geschäftsprozesse eines Unternehmens und ihre Analyse stellen eine wichtige Bedingung dar, um seine IT-Struktur zu definieren, und nicht umgekehrt. Denn spezifische Geschäftsprozesse sind häufig historisch gewachsen und vielleicht gar nicht mehr sinnvoll. Gerade das Konzept des CRM wird häufig nur aus Sicht der IT betrachtet. Umso wichtiger wäre es, mit 18 Das Buch zum Thema In ihrer wissenschaftlichen Arbeit prüft die Autorin das EFQM-Modell, ob und wie es zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beiträgt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das EFQM-Modell einige wichtige organisatorische Gestaltungs- und Handlungsparameter nicht berücksichtigt, andere übergewichtet. Es würde zu sehr auf rationale Steuerungsfaktoren und prozessuale Managementelemente gesetzt. Das reiche aber in der Praxis nicht aus. Für den betrieblichen Praktiker mag diese Auseinandersetzung akademisch sein. Gleichwohl liefert sie einige kritische An- und Einsichten in das Qualitätsmanagement, die auch für die Praxis wichtig sind. ___Total Quality Management mit dem EFQM-Modell – Verbesserungspotenziale erkennen und für den Unternehmenserfolg nutzen. Ane Gucanin, Berlin, Uni-Edition, 368 Seiten (2003), € 35,–, ISBN 3-937151-079 dem EFQM-Modell die kundenbezogenen Prozesse zu analysieren und zu optimieren. Fehlende Strategiebewertung Das EFQM-Modell formuliert weder eine Strategie, noch bewertet es diese angemessen. Es beurteilt lediglich den Prozess der Strategiefestsetzung. Hier besteht die Gefahr, dass das EFQM-Modell als blosses StrategieAudit-Tool genutzt wird anstatt es mit dem Eigenwert einer Strategie zu verbinden [2]. Die EFQM zentriert zwar gewisse Konzepte wie die Kundenorientierung, aber diese Aspekte müssten sich auch inhaltlich in den Unternehmenszielen wiederfinden. Auch für die Umsetzung des CRM wäre unter diesem Blickwinkel zwingend zu bewerten, ob eine Ausrichtung auf «werthaltige» Kunden fokussiert wird. Managements. Sie können sich als Barrieren für eine CRM-Implementierung erweisen. Im Wesentlichen werden Planungs-, Zielsetzungs- und Steuerungsprozesse erfragt, deren Charakter gleich bleibt – nur der betriebliche Funktions- oder Geltungsbereich ändert sich. Bewertet wird lediglich das Vorgehen bei der Formulierung und Spezifizierung der Strategie. Die Ergebniskriterien können so nicht hinreichend auf ihre Ursachen zurückgeführt werden, was gleichzeitig bedeutet, dass anhand des EFQMModells auch nicht alle Stellhebel für den Erfolg bedient werden können. Für CRM greift das Modell zu kurz Das Management-Subsystem ist im EFQM-Modell allerdings ausserordentlich detailliert und zweckmässig strukturiert, so dass es sich eher als Unternehmens- und Mitarbeiterführungsmodell eignet. Als ganzheitliches Rahmenkonstrukt zur Implementierung von CRM kann es jedoch nur bedingt eingesetzt werden: Es thematisiert wesentliche Gestaltungsbereiche, hinterfragt aber die bestehenden Strukturen und inhaltlichen Verbindungen nicht konsequent genug. Somit können auch wichtige Implementierungsbarrieren weder identifiziert noch verbessert werden. Auch CRM ist von der Durchsetzung und Unterstützung des Managements in entscheidendem Masse abhängig, kann aber nicht auf die Verantwortung von Führungskräften reduziert werden, sondern muss unternehmensweit geMQ lebt werden. Prozesslogik ohne partnerschaftliche Kooperation? Kundenorientierung bleibt eher Stückwerk Dass sich solche Lücken im EFQMModell auftun, liegt hauptsächlich in der fast ausschliesslichen Betonung der Funktionen und Prozesse des Literatur [1] H.-J. Aretz (1999): Das Management von innovativen Organisationen. Unternehmenserfolg durch Verknüpfung systemischer Eigenlogiken, insbes. in KMUs, Frankfurt a.M. et al: Peter Lang. [2] T. Conti (1999): Self-Assessment – pEin Werkzeug zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, München/Wien: Hanser. MQ Management und Qualität 3/2005