58 TIERHALTUNG BAUERN Z EITUNG Zwei Dosen gegen Stinker D ie betäubungslose Kastration von männlichen Ferkeln ist in letzter Zeit stark in die Verbraucherkritik geraten. Alternativen zu diesem Verfahren zur Vermeidung des Ebergeruchs im Schweinefleisch werden gesucht. Für eine Übergangszeit haben sich Erzeuger, Verbraucher und Handel auf eine Kastration von unter sieben Tage alten Ferkeln mit vorheriger Injektion schmerzstillender Mittel geeinigt. Ziel soll es aber sein, gänzlich auf die Kastration zu verzichten, da sich Methoden zur Betäubung der Ferkel als nicht tauglich erwiesen haben. Als Methode der Wahl bietet sich die Ebermast an. Aber ohne Möglichkeiten zur Feststellung von Geruchsabweichungen geschlachteter Tiere, birgt dieses Verfahren zurzeit noch größere Risiken bei deren Vermarktung. Als Alternative bietet sich in Deutschland die Impfung gegen Ebergeruch (Improvac) an, eine auch von Tierschutzverbänden akzeptierte Verfahrenslösung (siehe Kasten). 37. WOCHE 2014 Die Ebermast als Alternative zur betäubungslosen Kastration kann den Nachteil „riechenden“ Fleisches mit sich bringen. Wie verhält es sich aber mit den immunokastrierten Schweinen? Wie verhalten sich geimpfte Tiere? Aus Studien der Landesanstalt für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (LLfG) Iden in Sachsen-Anhalt sowie fremder Untersuchungen stellten sich bisher folgende Unterschiede in der Mast von intakten im Gegensatz zu geimpften Ebern heraus: Das teilweise aggressive Verhalten der intakten Eber wurde nach der zweiten Impfung deutlich abgemildert. Es traten weniger Verletzungen der Buchtenpartner auf. Geruchsauffällige Tiere waren nicht mehr zu verzeichnen. Nach der zweiten Impfung verhielten sich die geimpften Tiere hinsichtlich der Futteraufnahme wie Börge. Die Futteraufnahme wurde deutlich erhöht. Durch die hohe Futteraufnahme in den letzten Wochen trat eine deutlich höhere Verfettung der geimpften Eber auf. Mit der deutlich höheren Futteraufnahme und der dadurch vermehrten Fettbildung wurde ein Teil der ökonomischen Vorzüglichkeit der Ebermast durch die Impfung reduziert. Wie müssen daher geimpfte Tiere optimal gefüttert werden? In Iden wurden dafür 196 Schweine der Kreuzungsherkünfte (Piétrain x (DExDL)) in vier Gruppen untersucht: Gruppe (E): Eber nach Eberempfehlungen der DLG (Anfangs- und Endmast), Gruppe (I): Improvaceber • • • • • • Bei den Mastebern, die aus einer ökologischen Freilandhaltung stammen, ist deutlich der Größenunterschied der Hoden erkennbar. Das vordere geimpfte Tier zeigt eine anschauliche Rückbildung. FOTO: ANNIKA SCHÄFER nach Eberempfehlungen der DLG (Anfangs- und Endmast), Gruppe (IE): Improvaceber Anfangsmast: Eberempfehlungen der DLG, Endmast: energieabgesenktes Futter (12,2 MJ), Gruppe (IB): Improvaceber nach Börgeempfehlungen der DLG (Anfangs- und Endmast). Im Mastabschnitt wurde eine zweiphasische Fütterung • • durchgeführt. Bis zur zweiten Impfung erhielten alle Schweine ein Anfangsmastfutter, anschließend das Endmastfutter. In Tabelle 1 sind die analysierten Inhaltsstoffe der verschiedenen Mischungen dargestellt. Diesen Zahlen ist zu entnehmen, dass die Mischungen dem physiologischen Bedarf der jeweiligen Gewichtsgruppen entsprechen. Tab 1: Inhaltsstoffe der Mastmischungen Parameter Einheit Gruppen Rohprotein Lysin Energie Ca P Anfangsmast Endmast DLG Eber DLG Börge DLG Eber (%) (%) MJ ME (%) (%) 19,10 1,13 13,40 0,63 0,46 16,60 1,01 13,20 0,63 0,45 17,10 0,93 13,00 0,52 0,45 energieDLG Börge abgesenkt 15,20 14,70 0,88 0,80 12,20 13,00 0,49 0,50 0,43 0,40 Quelle: Weber, 2014 Tab 2: Kostenvergleich der Verfahren E Futterkosten (€) MFA (%) Erlöse (€/kg)* Schlachtgewicht (kg) Gesamterlös (€) Überschuss nach Futter (€) * Basispreis 1,60 €/kg bei 57% MFA 77,60 61,40 1,63 97,50 158,90 81,30 I 81,60 58,25 1,61 98,94 159,50 77,10 IE 81,51 58,70 1,62 97,13 157,00 76,49 IB 81,30 57,00 1,60 98,20 157,10 76,80 Quelle: Weber, 2014 Die erste Impfung mit Improvac erfolgte mit dem Einstallen in den Maststall (Lebendgewicht 32 kg), die zweite bei einem Durchschnittsgewicht von 92 kg, vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung. Weniger Muskeln – mehr Fett Betrachtet man die reinen Zunahmen, unterschieden sich die drei Gruppen bis zur zweiten Impfung nicht. Dies bestätigt auch Erfahrungen aus vorherigen Versuchen. Ab der zweiten Impfung dreht sich jedoch das Bild. Alle Improvacgruppen zeigten gegenüber der Ebermastgruppe signifikant höhere Zunahmen, wobei die Gruppe mit dem energiereduziertem Futter den geringsten Zuwachs realisieren konnte. Diese Wachstumsunterschiede sind in erster Linie auf die gestiegene Futteraufnahme nach der zweiten Behandlung zurückzuführen, denn bis dahin gab es keine Unterschiede in der Futteraufnahme. Hinsichtlich des Muskelfleischanteils ergaben sich ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Fütterungsgruppen. Den höchsten Muskelfleischanteil wiesen die Eber mit 61,4 % auf (nach Bonner Formel). Die beiden nach Eberempfehlung gefütterten Gruppen I und IE (IE zwar energiereduziert, aber Aminosäuren nach Eberempfehlung) lagen in etwa 2 bis 2,5 % niedriger. Die schlechtesten Magerfleischanteile mit durchschnittlich 57 % zeigten die Tiere, die nach Börgeempfehlung gefüttert wurden. Hier war nicht nur der Fettgehalt am höchsten, sondern es traten auch signifikant niedrigere Fleischflächen auf. Für diese Tiere scheint keine optimale Versorgung mit Aminosäuren stattgefunden zu haben. Aber auch bei den geimpften Tieren, die mit der gleichen Aminosäurenausstattung wie die Eber gefüttert wurden (I und IE), zeigten sich geringere Fleischflächen. In Verbindung mit den signifikant höheren Fettflächen, aber einem ähnlichen Energieaufwand wie bei den Ebern, liegt die Vermutung nahe, dass hier Aminosäuren zur Energiegewinnung herangezogen wurden. Die Fleischqualitäten unterschieden sich bei allen Gruppen nicht und lagen insgesamt auf einem hohen Niveau. Kaum noch Geruch wahrnehmbar Alle Tiere wurden einer Geruchsdetektion (Ebergeruch) unterzogen. Dabei wurde zunächst am Schlachtkörper mit 37. WOCHE 2014 der Heißluftpistole die Fettspindel kurzzeitig erhitzt und von geruchsempfindlichen Personen wurden mögliche Geruchsabweichungen ermittelt. Dabei wurden Noten von 0 bis 2 vergeben, wobei 0 frei von Ebergeruch bedeutet, 1 ein leichter Ebergeruch und 2 einen starken Ebergeruch signalisiert. Von allen Tieren mit der Note 2 wurde eine zusätzliche Kochprobe durchgeführt. In allen Fällen konnte die Richtigkeit der Beurteilung am Schlachtband bestätigt werden. Ein erheblich wahrnehmbarer Ebergeruch trat dabei nur mit 11 % in der Ebergruppe auf. Mit 30 % leichtem Ebergeruch lag dieser Wert auch weit über dem der geimpften Tiere. Keines der geimpften Tiere wies stark wahrnehmbaren Ebergeruch auf. Nur bei drei von 139 Tieren (2 %) konnten leichte Geruchsabweichungen detektiert werden, die aber keine Genussbeeinträchtigungen darstellten. TIERHALTUNG BAUERN Z EITUNG D I E I M M U N O K A S T R AT I O N K O M M E N TA R Wie funktioniert die Immunokastration? Still ruht der See Bei der Eberimpfung macht man sich genau wie bei Impfungen gegen Infektionskrankheiten die Fähigkeit des Körpers zunutze, Antikörper gegen körperfremde Stoffe zu bilden. Diese Antikörper fangen einen Botenstoff (Gonadotropin-Releasing-Faktor, GnRF) ab, der maßgeblich für die Steuerung der Hodenfunktion verantwortlich ist. Durch die Eberimpfung werden in den Hoden keine weiteren Geschlechtshormone mehr gebildet, vor allem die Bildung des für den unerwünschten Ebergeruch verantwortlichen Androstenons wird unterdrückt. Nach der Erstimpfung bleibt die Hodenfunktion zunächst noch voll erhalten, erst nach der Zweitdosis werden ausreichend Antikörper gegen den Botenstoff GnRF gebildet, sodass es vorübergehend zur Unterdrückung der Hodenfunktion kommt. Eine Verkleinerung der Hoden zeigt dies auch äußerlich. Warum kommt die Methode der Immunokastration in Deutschland so wenig zur Anwendung ? In Belgien, Australien oder Südamerika wird bereits in relevanten Größenordnungen geimpft. Selbst in einigen Bioverbänden in Deutschland ist diese Methode zulässig. Wo liegt also das Problem? Die Kosten der Behandlung können es nicht sein, werden sie am Ende bei einem weiträumigen Einsatz des Impfstoffes nicht höher ausfallen, als gängige Immunisierungen in der Schweinehaltung. Der Hund liegt woanders begraben. Obwohl geimpfte Eber die Vorteile von verbesserter Verarbeitungsqualität und keine Geruchsabweichungen mitbringen, will der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Ware solcher Tiere nicht abnehmen. Oft heißt es „man könne dies dem Verbraucher nicht kommunizieren.“ Doch sind die Kunden im Supermarkt wirklich so dumm? Dass Bioverbände hier Schwierigkeiten sehen, ist klar. Aber gar nicht aufzuklären oder nur auf Anfrage – was der deutschlandweit Größte unter ihnen macht – ist keine Lösung. Hier sollten alle Schweinehalter, egal ob öko oder konventionell, gemeinsam eine Strategie entwickeln und den LEH an die Leine nehmen. Sonst kommt wirklich irgendwann mit einer Schlagzeile der Knall und es wird wieder von „Hormonfleisch“ geredet. Das schadet allen. Und eine tiergerechte Alternative zur betäubungslosen Kastration wurde verschenkt. Anja Nähr ig FAZIT: • Die Impfung gegen Eberge• • • • • ruch ist eine praktikable Methode. Es treten bei sachgemäßer Anwendung keine Geruchsabweichungen auf. Die Impfung sollte so spät wie möglich erfolgen (Verfettung). Vor und nach der zweiten Impfung ist eine Fütterung nach Eberempfehlung anzuraten. Energieabsenkung im Futter nach zweiter Impfung bringt nur geringe Effekte. Vom finanziellen Nutzen liegt die Impfung gegen Ebergeruch zwischen Eberund Börgemast. Dr . Manfr ed Weber , LLfG Iden FOTO: ANJA NÄHRIG Zweite Spritze möglichst spät Den höchsten Überschuss nach Abzug der Futterkosten erzielten die Eber (Tab. 2). Dies resultiert in erster Linie aus dem geringeren Futterverbrauch. Den höchsten Ertrag der geimpften Tiere brachten die durchgängig mit Eberfutter gefütterten Tiere. Allerdings liegen auch hier noch etwa vier Euro zwischen Eber und geimpften Tieren (ohne Berücksichtigung der Impfkosten). Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass bei der Nutzung der Impfung gegen Geruchsauffälligkeiten die Tiere durchgehend nach Eberempfehlungen gefüttert und der Abschnitt zwischen zweiter Impfung und Schlachtung so kurz wie möglich gehalten werden sollte. 59 Wie wird die Behandlung durchgeführt? Für eine erfolgreiche Impfung sind zwei Impfdosen notwendig. Während man bei der ersten Impfung zeitlich relativ unabhängig ist – empfohlen wird zur Minimierung des zeitlichen Aufwandes die Applikation bei der Einstellung in den Maststall – ist die zweite Impfung etwa vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung durchzuführen. Verlängert sich der Abstand zur Schlachtung deutlich (> zehn Wochen), lässt die Wirkung der Impfung nach und die Hoden beginnen wieder Ebergeruchsstoffe zu produzieren. Bei Tieren mit einem gestörten Immunsystem kann die Wirksamkeit der Impfung negativ beeinflusst werden. Daher müssen kranke Eber eindeutig vorab behandelt werden, ehe die Impfung zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden kann. Da eine versehentliche Selbstinjektion beim Menschen ähnliche Wirkungen hervorrufen könnte wie beim Schwein, sind für diese Impfung speziell entwickelte Sicherheitsimpfpistolen vorgeschrieben (Foto). Die dabei eingebauten zusätzlichen Sicherheitsmechanismen minimieren das Risiko einer versehentlichen Verletzung durch Nadelstiche oder eine Selbstinjektion sehr zuverlässig, wie auch in den Idener Untersuchungen festgestellt wurde. Wer darf die Impfung anwenden? Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) sieht in einer Stellungnahme vom März 2010 die Immunokastration bisher als sinnvollstes Alternativverfahren zur herkömmlichen Ferkelkastration. Auch in der ökologischen Landwirtschaft ist die Anwendung der Immunokastration teilweise den Schweinehaltern erlaubt (abhängig vom Verband). Nach der Auslegung der Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (LÖK) vom September 2010 wird die Immunokastration von Masttieren für zulässig gehalten. Bereits in über 60 Ländern weltweit ist der Impfstoff zugelassen. Der Impfstoff ist verschreibungspflichtig. So kann die Anwenung durch den Tierarzt erfolgen, was die Methode aber sichtlich verteuert. Wie bei allen Impfstoffen kann der Landwirt (Tierhalter) selber impfen, wenn der betreuende Tierarzt dies den zuständigen Behörden gemäß Tierimpfstoffverordnung angezeigt hat. Die Impfung kann also von geschultem Personal im Betrieb sicher verabreicht werden, sofern die Sicherheitsvorschriften eingehalten und die vorgeschriebenen Sicherheitsimpfpistolen verwendet werden. Weber/N ähr ig