Psychologie des Lernens I_Skriptum

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Vierte Vorlesung
Zur Psychologie des Lernens I:
Klassischer Behaviorismus und Klassische Konditionierung
Wie verschieden doch Psychologen und Nicht-Psychologen die Welt wahrnehmen. Wenn wir
ein gängiges Lehrbuch der Psychologie aufschlagen, dann zählt das, was in dem Abschnitt
über Lernen berichtet wird, offenbar zum sicheren Kernbestand dessen, was wir über
Psychologie wissen sollen und wissen können. Was immer es da in diesem Kapitel zu
berichten gibt: es enthält immer viel Faktisches: Fakten letztlich dazu, wie und was nicht alles
infolge von Lernprozessen verändert werden kann. Wir Psychologen sind gemeinhin auch ein
wenig stolz darauf, was wir alles an gesichertem Wissen unter der Sammelbezeichnung
Lerntheorie zusammengetragen haben. Die praktische Relevanz ist offenkundig. Wenn die
klassischen Verfahren der Psychotherapie ihre Wurzeln allesamt außerhalb der Psychologie
haben – der soziale Kontext, in dem z. B. Freuds Psychoanalyse entstanden ist, ist
gewissermaßen überhaupt außeruniversitär: die Psychoanalyse entstammt sozusagen dem
bürgerlichen Salon; der wissenschaftliche Diskussionszusammenhang, auf den sie von allen
Anfang an bezogen war, war denn auch nicht die an den Hochschulen damals vertretene
Psychologie, sondern der medizinische Diskurs über Psychopathologie – so gibt es doch eine
genuin psychologische Variante von Psychotherapie: jene Variante von Psychotherapie, von
der die meisten Psychologen immer noch überzeugt sind, dass sie allen anderen Verfahren
überlegen ist: die Verhaltenstherapie. „Überlegen“ ist die Verhaltenstherapie den anderen
Therapieverfahren deshalb, weil sie – wie Psychologen zumeist argumentieren –
wissenschaftlich fundiert ist; wissenschaftlich fundiert eben in den psychologischen
Lerntheorien; und weil sie – das vor allem – besser wissenschaftlich überprüft ist – überprüft
mit Verfahren, wie sie eben in enger Anlehnung an die zur Überprüfung der psychologischen
Lerntheorien entstanden Methoden entwickelt wurden.
Sicher, in manchem modernen Lehrbuch taucht im Zusammenhang mit den Lerntheorien auch
leises Unbehagen auf: von Verhaltenstechnologie ist da bisweilen die Rede. Ich zitiere z. B.
aus einer frühen Ausgabe des von Hans Spada herausgegebenen, und im übrigen
ausgezeichneten Lehrbuch der Allgemeinen Psychologie: „Die Idee“, so heißt es dort, „das
menschliche Zusammenleben allgemein mit verhaltenstechnologischen Maßnahmen zu
beeinflussen, hat vermutlich nie viele Anhänger gehabt.“ Gemeinhin werden
Verhaltensmanipulation und Verhaltenskontrolle dann dem Behaviorismus zugeschrieben –
und der Behaviorismus ist, so kann man dann sagen, ist eine Richtung der Psychologie, die
heute ohnehin niemand mehr zu vertreten bereit ist.
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Die Idee der Verhaltensmanipulation hat vermutlich nie viele Anhänger gehabt – ich fürchte,
dass dieser Satz, auf die Geschichte der Psychologie bezogen, nicht richtig ist. Dafür aber,
wie die behavioristische Lerntheorie von außen, d. h. von Nicht-Psychologen wahrgenommen
wurde (und zum Teil auch immer noch wird), stimmt er aber allemal. Sie kennen das
berühmte Buch von Aldous Huxley: „Brave New World“ aus 1932 (der deutsche Titel
lautet: „Schöne neue Welt“)? Huxleys eindringliche Schilderung der Schockbehandlung von
Kindern in „Neo-Pawlowschen-Normungssälen“ kann sich unmittelbar auf John Broadhus
Watsons berühmten Versuch mit dem Kleinen Albert berufen. Erinnern Sie sich, wozu in
Huxleys Roman die Techniken der Konditionierung eingesetzt werden? Als drastisches
Mittel, sozial erwünschtes Verhalten schon vom frühesten Kindesalter an zu erzeugen.
Für Herbert Marcuse – ein vor allem von der 68er Bewegung viel gelesener und viel zitierter
Philosoph – war der Behaviorismus geradezu die wissenschaftliche Legitimation jener
Herabminderung des Geistes auf eindimensionales Denken und Verhalten, wie es von der
modernen, kapitalistischen Industriegesellschaft den Menschen abverlangt wird. Vielleicht ist
es in diesem Kontext für sie nachvollziehbar, dass der von den Kritikern behauptete
immanenten Zusammenhang zwischen Behaviorismus und totalitärer gesellschaftlicher
Kontrolle (das ist ja das Thema, das Huxley in seinem Roman abgehandelt hat) schließlich bei
Noam Chomsky im Faschismus-Vorwurf an die Adresse Skinners gipfelte.
Das mag zur Einführung genügen. Wenn wir in der heutigen Vorlesung also über die Anfänge
der behavioristischen Psychologie – und in diesem Zusammenhang natürlich auch über die
Rolle der Pawlowschen Klassischen Konditionierung – sprechen werden, möchte ich, dass Sie
diesen Kontext in Erinnerung behalten: Die Entwicklung der psychologischen Lerntheorien
war von allen Anfang an von heftigen politischen Kontroversen begleitet – von Kontroversen,
die im Bewusstsein vieler Generationen von Psychologen keinerlei Spuren zu hinterlassen
haben scheinen. In den Lehrbuch-Darstellungen über die Geschichte unserer Disziplin wird
darauf jedenfalls keinerlei Bezug genommen.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich behaupte nicht, dass Chomsky recht hat. Ich finde es nur
wichtig, in unsere Auseinandersetzung mit psychologischen Wissen auch zu berücksichtigen,
was Nicht-Psychologen bisweilen von diesem Wissen halten.
Über die Entstehung des klassischen Behaviorismus habe ich Ihnen schon im Wintersemester
ein wenig erzählt. Vielleicht kann ich Ihnen, wenn ich Ihnen jetzt ein wenig mehr darüber
berichte, begreiflich machen, woher das gesellschaftliche und politische Unbehagen
gegenüber dieser, historisch gesehen, so wichtigen Grundströmung der Psychologie herrührt.
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Die Geburt des Klassischen Behaviorismus lässt sich genau datieren: 1913 erschien in der
renommierten amerikanischen Fachzeitschrift Psychological Review ein nicht einmal 20
Seiten umfassendes Manifest mit dem Titel: Psychology as the Behaviorist Views It. Sein
Autor war eine der schillerndsten Figuren in der Geschichte der amerikanischen Psychologie:
John Broadus Watson. Watson, der in einem kleinen Dorf in South Carolina geboren wurde,
hatte in Chicago studiert, Neurologie, experimentelle Psychologie, aber auch Philosophie,
letzteres unter anderem bei George Herbert Mead und John Dewey, einem der
Hauptvertreter des Pragmatismus. Seine Arbeit im experimentalpsychologischen Labor wurde
gefördert und angeleitet von James Rowland Angell, der aus der pragmatistischen
Philosophie William James und John Deweys eine funktionalistische Psychologie entwickelt
hatte. Mit 25 Jahren erhielt Watson seinen PhD; er war, wie er selber immer wieder stolz
erzählte, damit der bislang jüngste Absolvent in Chicago. Im Herbst des Jahres 1908 erhielt er
einen Ruf an die renommierte John Hopkins University, wo er ein eigenes Laboratorium als
Direktor übernahm. Hier ist dann auch das behavioristische Manifest entstanden.
In den Folgejahren profilierte sich Watson als unermüdlicher und – vor allem: wortgewaltiger
Prediger seiner neuen Psychologie. Zwar war die von ihm verfochtene Programmatik weit
davon entfernt, von einer Mehrheit seiner Fachkollegen akzeptiert zu werden. Trotzdem
genoss er einen glänzenden Ruf. Seine Karriere kam zu einem jähen Ende, als er, der seit
1904 verheiratet war, eine Affäre mit seiner Studentin und engsten Mitarbeiterin Rosalie
Rayner einging. Seine Frau ließ sich scheiden, Watson musste seine Professur niederlegen.
Fernab vom akademischen Betrieb einer amerikanischen Universität gelang ihm eine
spektakuläre zweite berufliche Karriere, und zwar in der Werbebranche. Nebenbei wurde er
nicht müde, sein Konzept einer behavioristischen Psychologie in zahlreichen Publikationen
weiter und weiter auszuarbeiten. Das folgende Foto zeigt ihm nach seinem Rückzug aus dem
akademischen Leben.
Kehren wir zurück zur Programmschrift von 1913: Gleich am Beginn steht – kurz zu Formeln
zusammengerafft – all das, was dann in der Folge ständig wiederholt und ausgetreten wird:
„Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht, ist ein vollkommen objektiver,
experimenteller Zweig der Naturwissenschaft. Ihr theoretisches Ziel ist die Vorhersage
und Kontrolle von Verhalten. Introspektion spielt keine wesentliche Rolle in ihren
Methoden, und auch der wissenschaftliche Wert ihrer Daten hängt nicht davon ab,
inwieweit sie sich zu einer Interpretation in Bewusstseinsbegriffen eignen. Bei dem
Bemühen, ein einheitliches Schema der Reaktionen von Lebensweisen zu gewinnen,
erkennt der Behaviorist keine Trennungslinie zwischen Mensch und Tier an.“ – Folie
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Zu Beginn des Wintersemesters habe ich Ihnen diese Programmatik im Zusammenhang mit
der Herausbildung der modernen, wissenschaftlichen Psychologie im deutschen Sprachraum
vorgestellt. Erinnern Sie sich noch? Wundt und nach ihm auch die positivistischen
Psychologen hatten die Psychologie als Wissenschaft vom Bewusstsein und Erleben
aufgefasst. Die – vor allem methodischen – Probleme, die sich aus dieser
Gegenstandsbestimmung ergaben, haben wir ausführlich besprochen: Psychisches Erleben ist
immer nur dem erlebenden Subjekt zugänglich; bei der wissenschaftlichen Beobachtung
dieses inneren Erlebens müsste sich daher das forschende Subjekt selbst als Forschungsobjekt
nehmen. Forschungspraktisch formuliert: Das beobachtende Subjekt fällt mit dem zu
beobachtenden Objekt zusammen. Seit Kants Einwand, dass in diesem Falle der Vorgang der
Beobachtung den zu beobachtenden Zustand alteriert und verstellt, war die Methode
Selbstbeobachtung oder Introspektion als wissenschaftliches Hilfsmittel obsolet. Ich habe
Ihnen zu zeigen versucht, mit welchen Methoden sich die deutsche Psychologie aus diesem
ihrem Grunddilemma zu befreien versuchte. Watson trat nun mit dem Programm an, das
Bewusstsein aus der Psychologie überhaupt zu eliminieren. Statt Wissenschaft vom
Bewusstsein sollte die Psychologie nun nur mehr Wissenschaft vom Verhalten sein. Mit
diesem Schritt erübrigt sich natürlich das Problem der Introspektion. Wenn die Psychologie
nicht mehr Wissenschaft vom inneren Erleben ist, bedarf es auch keiner Methoden mehr,
dieses innere Erleben irgendwie wissenschaftlich zu erschließen. An die Stelle der
Introspektion trat nun die Methode der objektiven Verhaltensbeobachtung.
Wir müssen uns die ganze Radikalität des Watsonschen Neuansatzes bewusst machen: Mit
dem Begriff des Bewusstsein fallen auch all die anderen altvertrauten Begriffe der
Psychologie: Wahrnehmen, Vorstellen, Denken, Wollen, Fühlen etc. Das alles ist, weil nur
dem erlebenden Subjekt gegeben und damit nur ihm zugänglich, nicht objektiv fassbar, nicht
objektiv zu kontrollieren. Objektiv gegeben sind nur die äußerlich wahrnehmbaren
Bewegungen eines Organismus. Äußerlich wahrnehmbar ist im weitesten Sinne gemeint: der
Behaviorist gibt sich nicht nur mit den groben, mit freiem Auge sichtbaren Verhaltensweisen
zufrieden. Auch innere, verdeckte, implizite Bewegungen, die sich nur mehr mit
physiologischen Methoden registrieren lassen, werden einbezogen. Denken und Vorstellen
erscheinen als Denk- und Vorstellungsverhalten: Die motorische Theorie des Denkens
postuliert, dass jeder Denkakt und Vorstellungsakt sich gleichsam in einem verborgenen
Selbstgespräch äußert, das an den mikroskopisch feinen Bewegungen des Kehlkopfs, der
Zunge etc. abzulesen ist – und daher ein ebenso objektives Verhalten darstellt, wie
Fußballspielen.
Diese Abwendung vom Bewusstsein fand sich in der amerikanischen Psychologie vor Watson
bereits vorbereitet. Zwar war in Deweys Pragmatismus Bewusstsein noch eine zentrale
Kategorie: Das Bewusstsein vermittelt sozusagen Anpassung: Anpassung an die soziale
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Umwelt, aber auch umgekehrt: Anpassung der sozialen Umwelt an die Bedürfnisse des
Individuums. Im Funktionalismus Angells ist der sozialreformerische Kontext, in dem
Deweys Pragmatismus stand, aufgegeben. Anpassung heißt nun Anpassung an die
spezifischen Anforderungen der Umwelt. Auf der Ebene der Humanpsychologie wird am
Begriff des Bewusstseins weiter festgehalten: Bewusstsein vermittelt sozusagen zwischen den
Umweltgegebenheiten und den Bedürfnissen des Organismus. Entscheidend ist, wie es das
tut. Das, was den Funktionalisten interessiert, sind mentale Operationen, und nicht mehr –
wie in der alten Bewusstseinspsychologie – Inhalte des Bewusstseins. Das ist nun kein
Forschungsprogramm mehr, bei dem die Introspektion eine Rolle spielt: Wie sich eine
Versuchsperson gegenüber für sie neue Umweltbedingungen verhält, lässt sich beobachten,
aus dem Verhalten kann auf die dem Verhalten zugrundeliegenden mentalen Prozesse
rückgeschlossen werden.
Wichtig für die Entstehung des Behaviorismus ist die große Bedeutung, die die
Tierpsychologie im Funktionalismus erhielt. Aus Tierexperimenten, so lautete das Credo, sind
allgemeine, d. h. auch für den Humanbereich relevante psychische Gesetze zu entdecken. Das
hatte Watson direkt aus dem Funktionalismus übernehmen können. Über den Funktionalismus
hinaus ging er, indem er eben die Kategorie des Bewusstseins aus der Psychologie überhaupt
verbannen wollte.
Mit welchen Argumenten? Weil Bewusstseinsprozesse (und damit auch die von den
Funktionalisten behauptete Beziehung zwischen Verhalten und Bewusstsein) nicht
objektiv, d. h. experimentell bestimmbar sind. Aber daraus folgt noch nicht
automatisch, dass eine Psychologie ohne Rekurs auf die Kategorie des Bewusstseins
möglich ist. Daher muss Watson noch einen Schritt weitergehen: Er musste behaupten,
dass das Bewusstsein irrelevant ist für alle Probleme, die in der Psychologie
experimentell untersucht werden können. Das aber konnte Watson zunächst eben nur
behaupten, nicht aber – nicht einmal an einem Beispiel! zeigen.
Jetzt sind wir darauf vorbereitet, zu erahnen, welche Rolle die Entdeckung der Methode der
Konditionierung für Watson spielen musste. Als Watson sein Manifest schrieb, wusste er
darüber offenbar noch nichts. Erst in den Folgejahren lernte er die in der russischen
Physiologie (von Pawlow und Bechterew) entwickelten Methoden kennen. Idee und
Methode des bedingten Reflexes rückten Schritt um Schritt immer mehr in den
Mittelpunkt seines Systems. Jetzt erst hatte Watson die Mittel in der Hand, die Behauptung
von der Irrelevanz von Bewusstseinsvorgängen für die Vorhersage und Kontrolle von
verhalten zu demonstrieren.
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Demonstriert hat Watson (und zwar gemeinsam mit Rosalie Rayner, seiner Assistentin und
späteren Frau) seine Psychologie ohne Bewusstsein in einem auch heute noch viel zitierten,
wenn auch immer öfter mit kritischen Kommentaren versehen Experiment mit einem kleinen
Jungen namens Albert. In diesem Experiment sollten drei Fragen vor allem geklärt werden: 1.
Kann bei einem Kind Angst gegenüber einem Tier konditioniert werden, wenn dieses Tier
wiederholt gleichzeitig mit einem lauten, angstauslösenden Geräusch auftritt? 2. Wird diese
Angst auf andere Tiere generalisieren? 3. Wie lange wird diese Angst bestehen bleiben?
Das Verfahren war denkbar einfach: Dem elf Monate alten Buben wurde eine weiße Ratte
gegeben. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde jedes Mal, wenn Albert sich der Ratte
zuwandte und sie berührte ein erschreckenden lautes Geräusch gesetzt. (Es wurde mit einem
Hammer auf eine Stahlstange geschlagen). Nach sieben „Durchgängen“ von gleichzeitiger
Darbietung Lärm und Ratte reagierte Albert mit Weinen und Vermeidung, wenn ihm die
Ratte präsentiert wurde.
Um die zweite Frage zu beantworten, wurde Albert fünf Tage nach dieser ersten
Konditionierungsphase mit verschiedenen Gegenständen konfrontiert: einer Ratte,
Holzbausteinen, einem Hasen, einem kurzhaarigen Hund, einem Seehundmantel, Baumwolle,
mit den Hinterköpfen von Watson und zweier Assistenten (so dass Albert die Haare berühren
konnte) und einer Santa Claus Maske. Albert zeigte starke Angstreaktionen auf Ratte, Hasen,
Hund, Seehundmantel; eine – was immer damit gemeint war – „negative“ Reaktion
(„response“) auf die Maske und Watsons Haare; eine „mild“ Reaktion (response) auf die
Baumwolle.
Nach weiteren fünf Tagen wurde ein weiterer Versuchsdurchgang durchgeführt: Ratte +
Lärm; Hase + Lärm und Hund + Lärm. Als die Effekte dieser Prozedur in einem anderen
Raum überprüft wurden, zeigte Albert gegenüber Ratte, Hase und Hund nur eine leichte
Angstreaktion zeigte. Als Watson die Konditionierung auf die Rate wieder auffrischen („to
freshen“ steht im Original!) wollte, begann der Hund Albert anzubellen – der Versuch musste
abgebrochen werden.
Um die dritte Frage nach der Dauer des Bestehens der konditionierten emotionalen Reaktion
zu beantworten, wurde Albert nach 31 Tagen ohne Lerndurchgänge (also weder
Konditionierung noch Extinktion) zeigte Albert Angst gegenüber der Santa Claus-Maske,
dem Seehundmantel, der Ratte, dem Hasen und dem Hund. Er mied aber die Tiere nicht
durchgängig (wie es etwa bei Tierphobien der Fall ist) Z. B. fasste er das Ohr des Hasen an
und spielte damit.
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Nach dem Abschluss dieser Testreihe nahm Alberts Mutter ihren Sohn aus der Klinik, in der
diese Untersuchungen gemacht wurden. Der eigenen Darstellung gemäß haben Watson
Rayner ein Monat zuvor schon gewusst, dass Albert nach diesen Tests nicht mehr als
Versuchsperson zur Verfügung stehen wird.
Ich erzähle Ihnen von diesem Experiment so ausführlich, damit sie verstehen, warum der
Behaviorismus bei Nicht-Psychologen bisweilen so unbeliebt ist. Ich erzähle Ihnen aber auch
deshalb so ausführlich, weil dieses Experiment in vielen Lehrbüchern sehr verschieden und
ganz anders als von mir hier dargestellt wird. Ich bitte Sie, mir zu vertrauen. Ich habe mir die
Sache auch im Original angeschaut. In diesem Originalartikel findet sich übrigens auch eine
interessante Bemerkung, die auch von vielen, die über dieses Experiment seriös berichten,
offenbar übersehen wurde: der kleine Albert hatte, wenn er aufgeregt war, ständig den
Daumen im Mund. Mit dem Daumen im Mund war er dann auch gegenüber den – wie es bei
den Autoren der Studie hieß – „normalerweise“ angstauslösenden Stimuli sozusagen
unempfindlich. Um die Versuche mit dem kleinen Kind durchführen zu können, musste man
ihm immer wieder den Daumen aus dem Mund nehmen. Soviel nur ergänzend zur objektiven
Stimuluskontrolle in der frühen behavioristischen Psychologie!
Mit der Konditionierung glaubte Watson – und das sollte das Little-Albert-Experiment
eigentlich zeigen – endlich jenes technische Hilfsmittel in der Hand, mit dem die Irrelevanz
von Bewusstseinsprozessen für das Zustandekommen x-beliebiger Verhaltensweisen
demonstriert werden konnte. Die Außenweltreize waren jetzt nicht mehr – wie etwa noch
im Funktionalismus – Bedingungen, sondern – buchstäblich – Determinanten des
Verhaltens. Die Kontrolle der Außenweltreize schien die sichere Kontrolle über das
Verhalten von Organismen zu versprechen. Das war dann auch die heilsversprechende
Vision von Watsons und später auch von Skinners Behaviorismus: Die gesellschaftlich
durchgesetzte allgemeine Anwendung von Lerntechniken sollte die Lösung aller
gesellschaftlichen Probleme, letztlich das Wohl der Welt und der Menschheit garantieren. Für
ethische Diskussionen über Freiheit und Würde der Menschen war in dieser Vision allerdings
kein Platz mehr: Über Freiheit konnte Watson nur witzeln: „Ich trete übertrhaupt nicht für
Freiheiten ein – am wenigsten für freie Rede“. Und weiter: „Ich will nur einen verbalen Reiz
setzen, der, wenn die darauf reagiert wird, nach und nach die ganze Welt umgestaltet.“
Damit möchte ich meine historische Einführung in das Thema behavioristische Lerntheorien
schließen und mich der Vermittlung von Inhalten zuwenden. Zentrale Begriffe sind bislang
ganz nebenbei eingeführt worden – Konditionierung, bedingter Reflex etc. –., nun gilt es diese
Begriffe systematisch zu entwickeln. Ohne Geschichte geht es freilich auch dabei nicht ab.
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Watson hat – so haben wir gesehen – das technische Kernstück seines Behaviorismus der
russischen Physiologie entnommen. Der wollen wir uns jetzt zuwenden.
Es sind vor allem drei Persönlichkeiten, die die Ausrichtung dieser russischen Physiologie
geprägt haben: Iwan Michailowitsch Sechenow, und dann seine beiden Schüler und
lebenslange Kontrahenten Ivan Petrowitsch Pawlow und Wladimir Michailowitsch
Bechterew. Das Gründungmanifest der – im übrigen im engen Kontakt zur europäischen
Physiologie sich entwickelnden – russischen Schule war Sechenows Schrift: Die Reflexe des
Gehirns aus dem Jahre 1863. Sechenows Grundthese lautete, dass alles menschliche
Handeln, wie komplex es sich auch immer darstellen mag, insbesondere aber auch das
Denken, sich letztlich auf Reflexgeschehen zurückführen lässt. Diese Grundidee wurde von
Bechterew und Pawlow aufgegriffen und weiter ausgeführt. Aus Zeitgründen kann ich auf
Bechterew und seine Psychoreflexologie hier nicht weiter eingehen. Nur so viel: auch dieses
Kapitel der Geschichte der Wissenschaft ist geprägt von dem, was man mit Freud als
Narzissmus der kleinen Differenz bezeichnet könnte: je ähnlicher sich die Konzeptionen
zweier wissenschaftlicher Persönlichkeiten sind, desto dringlicher wird es offenbar für beide,
sich voneinander abzugrenzen und einander zu befehden. Das war auch im Falle von Pawlow
und Bechterew so. In der modernen Psychologie wirkungsmächtig geworden ist dann vor
allem die Pawlowsche Konzeption (Foto: jung) – dies wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil
sie vom Beginn der zwanziger Jahre auch, obwohl Pawlow der bolschewistischen Revolution
kritisch gegenübergestanden war, offiziell als mit der Lehre des Marxismus-Leninismus
übereinstimmend anerkannt wurde und Pawlows Arbeit in der Folge staatlicherseits
großzügig gefördert wurde. (Foto alt)
Die große Wertschätzung der Bolschewiki mag seinen Grund auch darin gehabt haben, dass
Pawlow schon zu Lebzeiten ein international anerkannter Wissenschafter war. Für seien
Arbeiten zur Physiologie der Verdauung hatte bereits 1904 den Nobelpreis erhalten. Für
die Psychologie bedeutsam wurden dann aber seine klassischen Arbeiten über den „bedingten
Reflex“.
Reflexe sind angeborene Beziehungen zwischen auslösenden Reizen und unwillkürlichen
Reaktionen auf diese Reize. Das Prinzip der Pawlowschen Experimente lässt sich dann in
einem einzigen Satz formulieren: Es geht darum, die Übertragung von Reflexen auf
ursprünglich neutrale, d. h. nicht reflexauslösende Reize zu demonstrieren.
Pawlow hat vor allem mit Hunden experimentiert. Die folgende Abbildung zeigt die
klassische Versuchsanordnung.
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Pawlow untersuchte den Speichelreflex. Erhält ein Hund Futterpulver ins Maul, dann sondert
er Speichel ab. Der Auslöserreiz (Futterpulver) wird (entsprechend der bei der Übersetzung
der Pawlowschen Publikationen ins Englische gebrauchten Termini) unconditioned stimulus
(unkonditionierter Reiz) UCS genannt; der Speichelreflex entsprechend unconditioned
reaction (unbedingte Reaktion). Im Zuge des Experiments wurde dem Versuchstier dann in
Verbindung mit dem Futterpulver mehrmals ein neutraler Stimulus (S0), zumeist ein
Glockenton, dargeboten. Nach mehrmaliger Darbietung der Kombination Ton und
Futterpulver genügt schließlich die Vorgabe des Glockentons allein, um die
Speichelflussreaktion auszulösen. Aus dem ursprünglich neutralem Reiz ist ein conditioned
stimulus, ein konditionierter Reiz geworden, der jetzt eine conditioned reaction, eine
konditionierte Reaktion oder – was dasselbe ist – einen bedingten Reflex auslöst. Diesen
Vorgang kann man schematisch etwa wie folgt darstellen. – Abbildung –
Wichtig bei diesem Prozedere ist die zeitliche Beziehung zwischen SO und dem UCS. In der
folgenden schematischen Darstellung sehen sie vier Varianten: die verzögerte
Konditionierung, die simultane Konditionierung, die Spurenkonditionierung und die
rückwirkende Konditionierung.
Die besten Ergebnisse erzielt man mit der verzögerten Konditionierung. Das optimale
Zeitintervall zwischen Einsetzen des S0 und Einsetzen des UCS liegt bei etwa einer halben
Sekunde. Bei machen unwillkürlichen Reaktionen kann das optimale Interstimulusintervall
aber auch größer (nämlich einige Sekunden) sein. „Beste Ergebnisse“ und optimales
Interstimulusintervall“ bezieht sich auf die Reaktionsstärke. Im Falle des Speichelflusses, den
Pawlow untersucht hat, wird die Reaktionsstärke durch die Menge des jeweils abgesonderten
Speichelflusses gemessen. Eine andere Möglichkeit ist, z. B. die Reaktionszeit zu messen. Je
schneller die Reaktion nach Darbietung des CS auftritt, desto stärker ist sie.
Wichtig ist, dass die bedingte Reaktion der unbedingten meistens sehr ähnlich ist, im
allgemeinen aber nie ihr gleich ist. Das zeigt sich eben auch an der Reaktionsstärke. Im
allgemeinen gilt, dass die CR schwächer ist als die UCR. Das ist übrigens auch der
Hauptgrund, warum man terminologisch zwischen CR und UCR unterscheidet.
Kehren wir jetzt nochmals zu unserem Ausgangsexperiment zurück: Wird nach dem
Konditionierungsvorgang mehrmals hintereinander der CS (also der Glockenton) alleine (d. h.
ohne dem UCS, also ohne Futterpulver) vorgegeben, dann wird die Reaktionsstärke der CR
immer schwächer, bis sie schließlich völlig erlischt. Man nennt diesen Vorgang Extinktion
oder Löschung. Das Verfahren lässt sich wie folgt schematisch darstellen.
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Der gesamte Vorgang – also Konditionierungsvorgang und anschließende Löschung – ist in
folgender Grafik veranschaulicht.
Wird dem Versuchstier nach vollständiger Extinktion und nach einer längeren Pause im
Anschluss daran nochmals der CS geboten, dann tritt die zuvor gelöschte Reaktion wieder
auf. Man nennt das „Spontanerholung“. Die CR ist dabei aber deutlich schwächer als zu
Beginn der Löschungsphase und verschwindet bei weiteren Durchgängen (ohne gleichzeitige
Darbietung des UCS) sehr rasch. Der Vorgang ist in folgender Grafik dargestellt.
Für Pawlow hatte Löschung mit Hemmungsvorgängen zu tun. In der Pause wird diese
Hemmung gleichsam wieder abgebaut, so das die vorangegangene Konditionierung wieder
wirksam werden kann. Das ist wichtig: Löschung ist für Pawlow kein passiver Vorgang,
sondern ein aktiver Lernvorgang: Das Versuchstier lernt gleichsam, dass zwischen CS und
UCS keine Koppelung mehr besteht.
Bis jetzt sind wir immer davon ausgegangen, dass der CS bei jeder Darbietung identisch ist.
Die CR wird aber nach einem Konditionierungsvorgang nicht nur von dem Reiz
hervorgerufen, der während der Konditionierung als CS verwendet wurde, sondern auch von
ähnlichen Reizen. Hat ein Versuchstier in der Konditionierungsphase z. B. gelernt, auf den
optischen Reiz „Kreis“ mit Speichelfluss zu reagieren, so wird es danach auch auf
kreisähnliche optische Reize, also z. B. auf Ellipsen, mit Speichelfluss antworten. Man nennt
dieses Phänomen Reizgeneralisierung. Grundsätzlich gilt: Je ähnlicher ein Reiz dem
ursprünglichen CS ist, desto stärker wird die Reaktion sein, die durch ihn ausgelöst wird. Das
komplementäre Phänomen dazu ist die so genannte Reizdiskrimination. Sie bewirkt, dass die
bedingte Reaktion nur durch einige wenige, einander sehr ähnliche Reize ausgelöst werden,
durch andere Reize derselben Dimension aber nicht mehr.
Bei einem Diskriminationstraining werden zwei oder mehrere einander ähnliche, aber doch
hinreichend verschiedene Reize in unregelmäßiger Folge vorgegeben, aber immer nur auf
einen Reiz – natürlich auf immer denselben – folgt unmittelbar darauf der unkonditionierte
Reiz. Also, um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Auf den optischen Reiz „Kreis“ folgt
Futterpulver, auf den optische Reiz Ellipse aber nicht. Nach mehrmaligen Durchgängen
antwortet das Versuchstier auf den Kreis mit der konditionierten Reaktion, auf die Ellipse
aber nicht.
Der Diskriminationsfähigkeit der Versuchstiere sind natürlich Grenzen gesetzt. In diesem
Zusammenhang hatte Pawlow ein höchst bemerkenswertes Phänomen beobachten können.
Eine Überschreitung dieser Grenzen zieht bei den Versuchstieren im Labor schwere
Verhaltensstörungen nach sich. Um bei unseren Beispiel zu bleiben. Wenn man das
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Diskriminationstraining, in dem die Hunde zwischen Kreis und Ellipsen zu unterscheiden
lernen, in der Art weitertreibt, dass man den Unterschied zwischen den Reizen immer weiter
verringert, so sinkt daraufhin die Diskriminationsleistung drastisch ab; zudem zeigen die
Versuchstiere starke emotionale Reaktionen: Die Hunde werde unruhig, winseln, bellen,
verweigeren zum Teil die Nahrungsaufnahme. Pawlow sprach in diesem Zusammenhang von
einer experimentellen Neurose, die er theoretisch auf einen Konflikt von Erregungs- und
Hemmungsinnervationen zurückführte.
Auf ein – vor allem für die Behavioristen besonders interessantes – Phänomen sei hier
schließlich noch aufmerksam gemacht: Auf das Phänomen der Konditionierungen höherer
Ordnung. Das Prinzip besteht darin, dass man dem ursprünglichen CS, auf den die
Konditionierung erfolgt ist, die Funktion eines UCS verleiht. Es handelt sich also um einen
Lernprozess, der auf einen vorangegangenen Lernprozess aufbaut. (Prinzip
veranschaulichen!)
Das mag zur Darstellung der Klassischen Konditionierung an Fakten einmal genügen. Kehren
wir nochmals zum ersten Teil der heutigen Vorlesung zurück. Dort habe ich Ihnen gezeigt,
dass für Watson die Entdeckung der Methode der Klassischen Konditionierung jenen
entscheidenden Schritt bedeutete, mit dem er jetzt die von ihm zunächst nur programmatisch
postulierte Möglichkeit einer Psychologie ohne Bewusstsein in Forschungspraxis umsetzen zu
können glaubte. Hat Watson Pawlow richtig verstanden? War also auch schon Pawlow
eigentlich ein Behaviorist? Nein! Pawlow hatte gänzlich anderes im Sinne als Watson und
seine Gefolgsleute: Keine praktisch verwertbare Verhaltenstechnologie, sondern eine Theorie
der – eben nicht direkt beobachtbaren! – höheren Nerventätigkeit. „Der dem praktischen
Leben zugewandte amerikanische Geschäftssinn fand“, so heißt es in einer Publikation von
Pawlow, „dass die genaue Kenntnis des äußeren Verhaltens des Menschen wichtiger ist, als
über seinen inneren Zustand mit allen seinen Kombinationen und Schwankungen
Mutmaßungen anzustellen.“
Die Differenz zwischen Pawlow und dem Programm der Behavioristen wird allein schon
darin deutlich, dass Pawlow die Verbindung zwischen UCS und CS nicht als Assoziation
beschrieben wissen wollte. Den CS nannte er ein „Signal“, das dem Versuchstier den UCS
ankündigt. So betrachtet, lernt das Versuchstier durch die Konditionierung eigentlich eine
Erwartung: die Erwartung, dass auf das Auftreten des CS der UCS folgen wird. Für die
antimentalistische Denkungs- und Redensart der Behavioristen war ein solcher Gedanke
grundsätzlich unannehmbar.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
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