Kants Kritik der Urteilskraft

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Lena Simon
PS Kant: Kritik der Urteilskraft
Philosophie und Geisteswissenschaften
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Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft
Das Problem der Unendlichkeit bei Kants Erhabenen
Lena Simon
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FB Philosophie und Geisteswissenschaften
Sommersemester 2005
Dozentin: Dr. Mirjam Schaub
Lena Simon
PS Kant: Kritik der Urteilskraft
Philosophie und Geisteswissenschaften
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Inhalt
EINLEITUNG.......................................................................................................................3
ÜBER DAS ZUSAMMENSPIEL VON VERNUNFT UND EINBILDUNGSKRAFT IN
KANTS PHILOSOPHIE......................................................................................................4
EINORDNUNG DER URTEILSKRAFT IN DIE DREI KRITIKEN
ERLÄUTERUNG VON VERNUNFT UND EINBILDUNGSKRAFT IN KANTS PHILOSOPHIE
4
4
DAS ERHABENE.................................................................................................................6
WARUM DER MENSCH DIE GROSSEN FRAGEN NICHT BEANTWORTEN KANN UND TROTZDEM IMMER
DANACH FRAGEN WIRD. EINE GEDANKLICHE HERLEITUNG IN ANLEHNUNG AN EIN BEISPIEL AUS SOFIES
WELT.
6
6
KANTS DEFINITION DES ERHABENEN IN DER KRITIK DER URTEILSKRAFT
7
ABGRENZUNG DES ERHABENEN GEGENÜBER DEM BEGRIFF DES SCHÖNEN
9
DAS MATHEMATISCHE ERHABENE UND DAS NATURERHABENE
9
DIE UNENDLICHKEIT IN KANTS ERHABENEN.......................................................11
DAS PHÄNOMEN DER UNENDLICHKEIT UND DESSEN ENTSTEHUNG
11
LITERATURANGABEN...................................................................................................14
2
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PS Kant: Kritik der Urteilskraft
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Einleitung
Ich habe mich dafür entschieden, über Kants Begriff des Erhabenen zu schreiben,
weil
mich
seine
Beschreibung
des
Erhabenen
als
eine
Erfahrung
der
Selbstbewusstwerdung im Angesicht von erhabenen Situationen sehr bewegt. Über
den Aspekt der Unendlichkeit schreibe ich, weil dies für mich das beste Beispiel für
Erhabenheit darstellt und weil ich in meinem gesamten Leben mit diesem Begriff
gerungen habe.
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich im Matheunterricht zum ersten Mal
einer Periode begegnete. Ich rechnete eine „Geteilt-Aufgabe“1, als ich bemerkte, dass
ich immer wieder den gleichen Rest erhielt und auch weiterhin erhalten würde, wenn
ich weiter rechnete. Damals fühlte ich mich tatsächlich sehr erhaben, als ich begriff,
dass ich ohne weiter rechnen zu müssen, in der Lage war, das Ergebnis festzustellen.
Ich schrieb 10 Kommastellen auf und ging damit, stolz das Ergebnis ohne großen
Rechenaufwand gefunden zu haben, zur Lehrerin. Erst jetzt erfuhr ich, dass dies als
Periode bezeichnet wird. Die Fähigkeit, die Unendlichkeit mathematisch zu erfassen
und allein mit meinem Verstand in der Lage zu sein zu begreifen, warum diese
Rechenaufgabe nie ein Ende haben würde, beflügelte mich schon damals.
Heute kämpfe ich mit dem Begriff der Unendlichkeit, im Kontext der Diskussion um
den
Kapitalismus:
Ich
bin
nicht
in
der
Lage,
mir
ein
unendliches
Wirtschaftswachstum vorzustellen und zweifle, ob es klug ist, die Wirtschaftsform
auf einem Phänomen basieren zu lassen, welches wir selbst gar nicht überblicken
können.
Dies sind nur zwei Beispiele, die veranschaulichen, weshalb gerade die
Unendlichkeit ein wichtiges Thema für mich darstellt und mich zum Nachdenken
anregt.
1
10:3 = 3,33...
09
10
09
10
Huch! Da kommt ja immer wieder eine drei! Und immer wieder ein Rest von eins.
Das geht ja gar nicht anders, dass da etwas anderes kommt.
3
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Über das Zusammenspiel von Vernunft
Einbildungskraft in Kants Philosophie
und
Einordnung der Urteilskraft in die drei Kritiken
Nachdem Kant sich in der Kritik der reinen Vernunft (1781) mit der natürlichen
Einschränkung der Erkenntnis beschäftigt hat (was kann ich wissen? Verstand,
Begriffe, Kategorien und Schematismen) und in der Kritik der praktischen Vernunft
(1788) nach den moralphilosophischen Grundlagen richtigen Handelns sucht (was
kann ich tun? Vernunft, Sittlichkeit und Moralität; hier entwickelt er den
kategorischen Imperativ), wendet sich Kant in der Kritik der Urteilskraft (1790) den
Möglichkeiten und Gründen für das Urteilen, also der „reflektierende[n] Urteilskraft“
und der Einbildungskraft zu (wie kann ich urteilen?).
Die Kritik der Urteilskraft teilt Kant in zwei Teile: Im Ersten Teil, der Kritik der
ästhetischen Urteilskraft, erforscht er das Schöne und das Erhabene, über das ein
Urteil nur durch das subjektive Gefühl entstehe. Deshalb bezeichnet er das
ästhetische Urteil als ein reines Geschmacksurteil. Im zweiten Teil, der Kritik der
teleologischen Urteilskraft beschäftigt er sich dann mit den sogenannten
Naturgegenständen, deren Sinn in ihrer Materialität fundiert ist. Hier ergebe sich das
Urteil aus der Zweckmäßigkeit des Gegenstandes selbst.
Erläuterung von Vernunft und Einbildungskraft in Kants Philosophie
Kant versucht in seinen Schriften einen Kompromiss zwischen den Auffassungen
von Empiristen und Rationalisten zu finden. Für Kant ist es notwendig, beide
Aspekte der Menschlichkeit gleichwertig im Blick zu behalten: Die Vernunft und die
sinnliche Erfahrung.
Die Einbildungskraft versteht Kant als das menschliche Vermögen, sich einen
Gegenstand vorzustellen, ohne ihn gegenwärtig im Augenschein zu haben. Sie bildet
die „Gelenkstelle“ zwischen sinnlicher Erfahrung und Verstand.2
Alle Erkenntnisse sind abhängig von Sinneserfahrungen, werden aber gleichzeitig
von einem Rahmen begrenzt, den die Vernunft vorgibt. So stehen uns in der
sinnlichen Wahrnehmung nur die Anschauungsformen Zeit und Raum zur
2
Vgl. „Wichtige Begriffe bei Kant“ von Mirjam Schaub.
4
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Verfügung. Apperzeption3 und Apprehension4 sind für Kant gleichermaßen von
Bedeutung.
Die menschliche Urteilskraft ist für Kant eine Synthese aus Einbildungskraft,
Verstand und Vernunft. Schön ist, was ohne Interesse am Objekt gefällt, also in
Kants Worten was ein „uninteressierte[s] Wohlgefallen“5 auslöst. Wenn die
Erkenntniskräfte in einem harmonischen Zusammenspiel zueinander stehen entsteht
ein Gefühl der Lust. Dabei ist selbstverständlich, dass kein Vermögen in der Lage ist,
die Leistung einer Anderen zu übernehmen.
Sollte also die Einbildungskraft –wie später ausgeführt– nicht funktionieren, kann die
Vernunft diese apprehendierende und komprehendierende Leistung nicht schlicht
übernehmen. Sie kann jedoch im Rahmen ihrer Fähigkeiten „einspringen“.
3
„Innbegriff aller transzendentallogischen Bedingungen a priori der Erkenntnis“ zit. nach „Wichtige
Begriffe bei Kant“ nach Mirjam Schaub.
4
„unmittelbar an den Wahrnehmungen geübte Handlung der Einbildungskraft“ zit. nach „Wichtige
Begriffe bei Kant“ nach Mirjam Schaub.; a posteriori erworbene Erkenntnis.
5
KdU §2.
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Das Erhabene
Warum der Mensch die großen Fragen nicht beantworten kann und
trotzdem immer danach fragen wird. Eine gedankliche Herleitung in
Anlehnung an ein Beispiel aus Sofies Welt.
6
„Stell dir eine Katze vor, die im Zimmer auf dem Boden liegt. Stell dir dann
vor, dass ein Ball ins Zimmer rollt. Was macht dann die Katze?“
„Das habe ich schon oft ausprobiert. Die Katze läuft hinter dem Ball her.“
„Ja. Und nun stell dir vor, dass du statt der Katze im Zimmer sitzt. Wenn du
plötzlich siehst, dass ein Ball angerollt kommt, läufst du ihm dann auch
sofort hinterher?“
„Zuerst drehe ich mich um und sehe nach, woher der Ball kommt.“
„Ja, weil du ein Mensch bist, wirst du unweigerlich die Ursache jedes
Ereignisses suchen. Das Kausalgesetz ist also ein Teil deiner Konstitution.“
[...]
„Du weißt vielleicht noch, was die richtig großen philosophischen
Fragen[...] vor Kant gewesen waren: ob der Mensch eine unsterbliche Seele
hat; ob es einen Gott gibt; ob die Natur aus unteilbaren kleinsten Teilchen
besteht; oder ob der Weltraum endlich oder unendlich ist. [...] Kant meinte,
der Mensch könne über diese Fragen niemals sicheres Wissen erlangen. Das
heißt nicht, dass er nicht mit diesen Problemen zu tun haben wollte. Ganz im
Gegenteil. [...] Kant meinte gerade in diesen großen philosophischen Fragen
operiere die Vernunft außerhalb der Grenzen dessen, was wir Menschen
erkennen können. Andererseits liege in der Natur der Menschen [...] ein
grundlegender Drang, solche Fragen zu stellen. Aber wenn wir zum Beispiel
fragen, ob der Weltraum endlich oder unendlich ist, dann stellen wir eine
Frage nach dem Ganzen, von dem wir selber ein (winzig kleiner) Teil sind.
Und dieses Ganze können wir niemals voll erkennen.“
[...]
„Wir sind also gewissermaßen ein kleiner Teil des Balles, der über den
Boden rollt. Und deshalb können wir nicht wissen, woher er kommt.“
„Aber es wird immer eine Eigenschaft der Vernunft des Menschen sein, zu
fragen, woher so ein Ball kommt. Deshalb fragen und fragen wir und
strengen uns bis zum Geht-nicht-mehr an, um Antworten auf die großen
Fragen zu finden. Aber wir [...] erhalten niemals sichere Antworten, weil die
Vernunft im Leerlauf rennt.“
Der Philosophielehrer, Alberto Knox, erklärt seiner Schülerin Sofie hier in einfachen
Worten, das Kausalgesetz und die Wirkung des Erhabenen auf den Menschen.
Natürlich sind die „großen philosophischen Fragen“7 nur ein Teil der Erhabenheit.
Aber genau hier findet sich auch die Unendlichkeit wieder. Alberto erklärt, dass es
nicht für jedes Wesen selbstverständlich ist, nach der Ursache zu fragen. Die
6
7
Jostein Gaarder, Sofies Welt.
ebd.
6
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menschliche Vernunft betrachtet alles, was geschieht als Verhältnis zwischen
Ursache und Wirkung. Die Feststellung, dass wir existieren hat also unvermittelt die
Frage nach unserem Ursprung zur Folge. Diese Frage wird jedoch nach Kant nie
beantwortet werden können, denn sie ist zu groß, um von der Einbildungskraft in
Maßstab gerückt zu werden.
Wenn Alberto sagt, dass „die Vernunft im Leerlauf rennt“8 lässt er –der Einfachheit
halber– einen kleinen Unterschied aus, der für uns jedoch recht wichtig ist: Nicht die
Vernunft „rennt gegen die Wand“9, sondern die Einbildungskraft. Die Vernunft ist
die Instanz, die durch Einsicht der Unvorstellbarkeit und Setzen eines abstrakten
Begriffes der „Rennerei“ ein Ende bereitet.
Jostein Gaarder zeichnet hier ein Bild, das die Bedeutung der Erhabenheit betont.
Die Frage nach dem Erhabenen ist philosophisch hoch brisant. Sie kommt
unweigerlich auf, sobald der Mensch eine der „großen philosophischen Fragen“
stellt, die er nicht beantworten kann.
Kants Definition des Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft
Wie auch das Schöne ist das Erhabene für Kant eine ästhetische Erfahrung.
Ästhetisch kann aber nur etwas erfahren werden, für dessen Existenz das Subjekt
kein Interesse hat.
Bei dem Erhabenen handelt es sich, nach Kant, um die Anerkennung der
Überlegenheit einer anderen Kraft bzw. Macht. Sie entsteht aus der Disfunktionalität
der Einbildungskraft bei übergroßen Gegenständen.
„Erhaben nennen wir das, was schlechthin groß ist.“10 Erhaben ist alles Große,
Mächtige, Kraftvolle, demgegenüber wir uns im direkten Vergleich klein
vorkommen. „Erhaben ist das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist.“11
Allerdings darf dies weder Reiz noch Gefahr für uns haben. Würde es uns bedrohen,
wäre es schlicht schrecklich, würde es uns reizen, wäre es nicht mehr interesselos
und damit nicht mehr rein ästhetisch, sondern verstandesorientiert.
8
ebd.
Frei nach Mirjam Schaub.
10
KdU § 25.
11
ebd..
9
7
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Alles Unendliche und Riesige löst im Betrachter Furcht aus. Wenn er aber erkennt,
dass er dadurch nicht gefährdet ist, mischt/ überlagert sich diese Angst jedoch mit
einer großen Lust.
Der Mensch hat in vielen Fällen einen Maßstab zur Verfügung, anhand dessen er
seine Urteile fällt. Hierzu ist natürlich nicht nur die Vernunft notwendig, sondern
auch die Einbildungskraft, die beispielsweise eine vorhandene Größe mit einer
vorgestellten Größe vergleicht. Dieser Maßstab zerbricht jedoch in dem Moment,
indem ein Phänomen beurteilt werden soll, welches die Einbildungskraft nicht
abschließend darstellen kann. „Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein
Vermögen des Gemüts beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.“12
In der Begegnung mit einem erhabenen Objekt, zum Beispiel der Unendlichkeit,
gerät die Zusammenarbeit von Einbildungskraft und Vernunft ins Ungleichgewicht.
Da die Vernunft selbst keine Gegenstände ausmalen kann, fordert sie eine
(Not)Darstellung von der Einbildungskraft. Diese scheitert bei Begriffen des
Erhabenen jedoch an der Größe und kann dies deshalb nicht leisten. Die
Einbildungskraft dreht sich so lange im Kreis, bis die Vernunft sie durch eine
indirekte Darstellung „tröstet“. Später werde ich ausführen, wie dies im Fall der
Unendlichkeit geschieht.
Die „Erlösung“ wird erhebend empfunden, da sie die Behebung eines Problems ist,
wenn auch nur behelfsweise. Wir werden uns unserer selbst und der Überlegenheit
unserer Vernunft bewusst. Dabei ist klar, dass wir die Natur körperlich nicht
bezwingen können, doch unsere Vernunft wird sich ihrer Stärke, das Übermächtige
Anzuerkennen, auch gegenüber der Natur bewusst. Jedoch wird dem Menschen
durch die Fähigkeit, das Unendliche als Totalität potentiell denken zu können eines
Übersinnlichen Vermögens gewahr und wird sich über die Überlegenheit seines
Verstandes bewusst. Wir bekommen ein „Gefühl eines übersinnlichen Vermögens“13.
Die Unlust-Erfahrung, die durch das Scheitern der Einbildungskraft entsteht, wird
durch die Überlegenheitserfahrung der Vernunft entkräftet und übertroffen.
12
13
8
KdU § 25.
ebd.
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Abgrenzung des Erhabenen gegenüber dem Begriff des Schönen
„Verstand ist erhaben, Witz ist schön. Kühnheit ist erhaben und groß, List ist klein,
aber schön. Erhabene Eigenschaften flößen Hochachtung, schöne aber Liebe ein.“14
Das Erhabene steht für Kant selbstständig neben dem Schönen dar. Da beide
Erfahrungen ästhetisch sind, haben sie einige Gemeinsamkeiten. So gefallen beide
ohne Interesse an der Existenz des Gegenstandes und verursachen Lust. Beim
Schönen entsteht die Lust jedoch aus einem positiven Gefallen heraus, während die
Lust am Erhabenen aus der Überwindung einer Unlust entspringt. Während das
Schöne dazu anregt, die Natur nicht als Mechanismus, sonders als etwas
Zweckmäßiges zu betrachten, verursacht das Erhabene ein verlassen der Naturebene
und eine Beschäftigung mit Ideen der Vernunft und höheren Zweckmäßigkeiten.
Während das Schöne innerhalb einer abgegrenzten Form des Objektes entsteht, kann
sich das Erhabene auch auf formlose, unbegrenzte Gegenstände erstrecken. Daher
bezieht sich das Schöne auf die Qualität, während das Erhabene von der Quantität
eines Objektes ausgeht. Außerdem sprechen das Schöne und das Erhabene das
Gemüt des Subjektes völlig unterschiedlich an: Das Schöne ist verbunden mit einer
Gemütsruhe. Im Erhabenen entsteht jedoch eher eine Gemütsbewegung, mit Kants
Worten „eine mit der Beurteilung des Gegenstandes verbundene Bewegung des
Gemüts“15
Das Mathematische Erhabene und das Naturerhabene
Für Kant gibt es zwei Typen des Erhabenen: das Mathematische Erhabene, welches
sich auf das Erkenntnisvermögen bezieht und das Dynamisch-Erhabene der Natur,
bei dem es um das Begehrungsvermögen geht:
Das Mathematische Erhabene beschäftigt sich mit der Darstellung der Größe. Ein
Gegenstand ist mathematisch erhaben, wenn er schlechterdings groß, d.h. über alle
Vergleiche groß ist. Die Größeneinschätzung bezieht sich dabei nicht auf die
mathematisch-logische Komponente des Verstandes, sondern auf die ästhetische
Komponente der Urteilskraft die mittels eines subjektiven Größenmaßstabes arbeitet.
Während die Einbildungskraft einfache Gegenstände leicht darstellen kann, kann sie
eine Darstellung der Vernunftideen nicht leisten, da sie über keine sinnliche
14
Stenzel, Grundlagen des kritischen Denkens, S. 126 „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen
und Erhabenen“.
15
KdU § 24.
9
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Anschauung von ihnen verfügt. Vernunftideen können nur indirekt, also symbolisch
dargestellt werden. Die Idee wird durch die Übertragung der Reflexionsregeln
hinsichtlich des Symbols auf die Idee symbolisch repräsentiert. Damit ist das Symbol
weder ein Zeichen für die Idee, noch eine Verkörperung der Idee. Es besteht
lediglich eine strukturale Ähnlichkeit zwischen Symbol und Idee.
Anders, als die Begegnung mit der Unendlichkeit als Symbol (sei es in Form einer
Periode oder des Unendlichkeitszeichen) erlebt der Mensch die Unendlichkeit in der
Natur. So wirkt ein Blick in den Himmel (mit der Vermutung, dass es ein Blick in
die Unendlichkeit ist) oder ein Blick in zwei einander gegenüberliegende Spiegel auf
eine ganz andere Weise auf den Menschen, als die Entdeckung der Mathematischen
Unendlichkeit. Daher unterscheidet sich hier auch das Gefühl der Erhabenheit.
Das Gefühl des Erhabenen in der Natur ist „Achtung für unsere eigene Bestimmung,
die wir einem Objekte der Natur durch eine gewisse Subreption [...] beweisen,
welches
uns
die
Überlegenheit
der
Vernunftbestimmung
unserer
Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichsam
anschaulich macht“16. So erniedrigt die scheinbare Übermacht der Natur über den
Menschen den menschlichen Verstand. „Der Anblick eines Gebirges, dessen
beschneite Gipfel sich über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturm
oder die Schilderung des höllischen Reichs von MILTON erregen Wohlgefallen,
aber mit Grausen [...].“17 Die erhabene Natur löst –im Gegensatz zum
Mathematischen Erhabenen– Furcht im Betrachter aus und verursacht ein
Unwohlsein, da das menschliche Vermögen den Gegenstand nicht angemessen
ästhetisch beurteilen kann. Sobald jedoch eine Flucht vor den Naturgewalten
notwendig wird, kann kein ästhetisches Urteil stattfinden. Daher handelt es sich
hierbei auch nicht um ein Gefühl des Erhabenen. Ob etwas als erhaben erscheint,
hängt davon ab, wie groß der Entzug der Furcht des Subjekts vor dem Objekt ist.
Hier zeigt sich wieder deutlich, dass die Erhabenheit von Dingen subjektiv ist und
vom Betrachter abhängt. So fühlt sich ein Schwimmer, der auf einem See rudert
weniger von der Tiefe des Wassers in ein Gefühl des Erhabenen versetzt, als ein
Nichtschwimmer.
16
KdU § 27.
Stenzel, Grundlagen des kritischen Denkens, S. 126 „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen
und Erhabenen“.
17
10
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Das Gefühl des Erhabenen entsteht durch die Selbstermächtigung der Vernunft, in
Form einer Tröstung der Einbildungskraft.
Die Unendlichkeit in Kants Erhabenen
Das Phänomen der Unendlichkeit und dessen Entstehung
Wie bereits beschrieben arbeiten die menschlichen Vermögen (Vernunft, Verstand,
Einbildungskraft) nach Kant möglichst gleichgewichtig zusammen, und bereiten
damit die menschliche (Selbst-) Wahrnehmung.
Bei der Planung eines einfachen Vorgangs, wie den des Essenbereitens, arbeiten
Vernunft und Einbildungskraft zusammen. Der Verstand stellt die notwendigen
Zutaten zusammen und die Einbildungskraft schafft derweil, basierend auf der
Erfahrung, ein Bild von ihnen, woraufhin der Verstand diese in die richtige
Reihenfolge bringt usw. Würde jedoch der Verstand einen Begriff denken wollen,
den die Einbildungskraft aufgrund mangelnder Erfahrung nicht darstellen kann,
würde –mal abgesehen davon, dass der Verstand diesen Begriff dann auch nicht
kennen würde– ein Problem entstehen, da der Verstand selbst nicht in der Lage ist
ihn darzustellen, womit der Begriff leer bliebe.
Ähnlich verhält es sich mit der Unendlichkeit. Der Mensch nimmt ein Phänomen
wahr, welches er bisher noch nicht umfassend erfahren konnte und wohl nie können
wird: die Unendlichkeit. Sie begegnet dem Menschen häufig und doch kann er sie
nie wirklich erfahren, denn das würde ein Ende der Unendlichkeit voraussetzen; ein
Widerspruch in sich. Somit ist der Begriff der Unendlichkeit eine Un-Idee.
Während sich der Mensch der Unendlichkeit gewahr wird, fordert die Vernunft –wie
immer– eine Darstellung von der Einbildungskraft. Diese kann dies jedoch nicht
leisten und dreht sich deshalb im Kreis. Weshalb kann die Einbildungskraft den
Vorgang der Darstellung der Unendlichkeit nicht leisten? Ihre Arbeit beruht auf
Erfahrungen. Wie Kant feststellte hängt das Kausalgesetz von der Beschaffenheit
des Menschen ab (siehe Gaarders Geschichte mit dem Ball) und der Mensch kann
nur in Raum und Zeit denken. Der Erfahrungshorizont des Menschen entscheidet
demnach darüber, was der Mensch zu denken in der Lage ist. Jedoch hat noch kein
Mensch die gesamte Unendlichkeit erfahren können, weder im Raum, noch in der
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Zeit. Da eine Darstellung innerhalb des menschlichen Geistes demnach begrenzt sein
muss ist eine Abbildung der Unendlichkeit unmöglich. Nun beginnt das oben
beschriebene Phänomen. Die Vernunft muss einschreiten und die Einbildungskraft
durch den abstrakten Begriff der Unendlichkeit „trösten“. Durch die Einführung des
abstrakten Begriffes ist das Problem der Einbildungskraft zwar nicht gelöst, aber
durch den Eingriff der Vernunft ist die Einbildungskraft davon abgehalten weiterhin
etwas darzustellen zu versuchen, das für sie nicht erfassbar ist. Die Vernunft
ermöglich damit zwar keine Abbildung des Phänomens, aber sie bekommt es mit
ihren Mitteln in den Griff. Somit kann der Mensch ein Phänomen benennen, welches
er sich nicht vorstellen kann. Allein die Vernunft kann die Unendlichkeit erfassen.
Dies erklärt auch das Überlegenheitsgefühl, welches sich nun einstellt. Es fühlt sich
an, als sei die Vernunft größer als die Unendlichkeit selbst –auch wenn hier wieder
ein Paradoxon entsteht, denn eine Steigerung des Unendlichen ist durch die
Wortbedeutung ausgeschlossen.
12
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Schlussbemerkungen
Kant liefert eine spannende Erklärung für das Gefühl des Erhabenen. An vielen
Punkten wirkt sie sehr einleuchtend und anregend. Besonders aufregend geschildert
wurde das Zusammenspiel von Vernunft und Einbildungskraft im Moment einer
erhabenen Erfahrung. Das Reizvolle am Erhabenen für mich war genau die
Unfähigkeit der Einbildungskraft und das Einspringen der Vernunft. Allerdings
entsteht das Gefühl des Erhabenen für mich mehr durch das Einreden einer
Überlegenheitserfahrung. Ich denke nicht, dass die behelfsmäßige Lösung der
Vernunft stabil genug ist um sich davon erheben zu lassen. Ich denke eher, dass der
Mensch nicht existieren könnte, wenn die Vernunft nicht einen Ausweg aus dem
Dilemma der Einbildungskraft finden würde. Doch das Finden eines Hintertürchens
verdient kein Lob wie das Schreiten durch den Haupteingang. Es ist klarerweise
beeindruckend, dass die Vernunft in der Lage ist, die Disfunktion der
Einbildungskraft zu kompensieren und vielleicht verdient sie sich deshalb auch ein
wenig Eigenlob, doch letztlich ist die Einsicht, etwas nicht einsehen zu können, nur
eine Notlösung und verdient kein besonderes Lob. Erst recht nicht die Erhebung über
die Macht der Natur. Aus dem Gewahrwerden eines Phänomens der Natur wird der
Mensch nicht automatisch so mächtig wie die Natur. Das Gefühl des Erhabenen
möchte ich nicht bestreiten, doch die Ursachen dafür erscheinen mir wie eine
Erschleichung eines unangemessen großen Lobs der Vernunft.
13
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Literaturangaben
•
Kant, Immanuel: Werke in Zwölf Bänden, Kritik der Urteilskraft und
Schriften
zur
Naturphilosophie“
[KdU],
Band
X,
Suhrkampverlag/
Inselverlag, Wiesbaden 1957 .
•
Skirbekk, Gunnar / Nils Gilje: Geschichte der Philosophie –Eine Einführung
in die europäische Philosophiegeschichte, Band 2,
Surkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1993 .
•
Stenzel, Gerhard (Hrsg.): Kant –Die Grundlagen des kritischen Denkens,
Ausgewählte Schriften, Sigbert Mohn Verlag, Duisburg 1971 .
•
Gaarder, Jostein: Sofies Welt –Roman über die Geschichte der Philosophie,
Carl Hanser Verlag, München 1993 .
•
Schaub, Mirjam: Wichtige Begriffe bei Kant, Arbeitsunterlagen zum
Seminar, Berlin 2005 .
14
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