Es ist üblich, von etwa 400 Jahren osmanischer Herrschaft in

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DAS ENDE DES OSMANISCHEN REICHES
Es ist üblich, von etwa 400 Jahren osmanischer Herrschaft in Bosnien-Herzegowina
auszugehen: vom Jahr 1463 bis zum Jahr 1878. In der Tat impliziert dies jedoch zwei
Irrtümer, zum einen, dass es sich tatsächlich um eine derart lange Herrschaftsphase im
gesamten Gebiet von Bosnien-Herzegowina handelte, und zum anderen, dass es eine Zeit
der Stabilität und des Friedens war. Wie anfangs ausgeführt, dauerte die Eroberung des
Königreichs Bosnien entweder nahezu eineinhalb Jahrhunderte oder, auf die
gegenwertigen Grenzen Bosnien-Herzegowina bezogen, gar über zwei Jahrhunderte
(siehe oben). Die osmanische Kultur übte zwar etwa vier Jahrhunderte einen starken
Einfluss aus, doch die Herrschaft der Osmanen war weder im gesamten Gebiet absolut,
noch erfasste sie von Anfang an das gesamte Gebiet des Landes. Bezüglich Stabilität und
Frieden handelt es sich um einen noch größeren Irrtum, denn während der gesamten
osmanischen Regierungsphase herrschten Kriege, teilweise im Land selbst und nahezu
ununterbrochen mit den Nachbarländern, an denen die Menschen Bosniens und der
Herzegowina teilnehmen mussten. Das wirkungsvolle osmanische Regierungssystem der
Provinzen basierte, vereinfacht ausgedrückt, auf zwei Grundlagen, auf der militärischen
Verpflichtung und den Steuern. Die militärische Verpflichtung, nach dem osmanischen
Militärfeudalsystem konzipiert, traf vor allem Feudalbesitzer, denn von der Größe des
Besitzes bzw. des Lehens hingen die militärischen Dienste und der Anzahl der Soldaten
ab, welche die Feudalherren zur Verfügung stellen und besolden mussten. Die häufigsten
Kämpfe der Osmanen, an denen erwachsene und erwerbsfähige Männer BosnienHerzegowinas teilnehmen mussten, waren neben Kämpfen mit Venedig jene mit
Österreich-Ungarn. Über eine der Schlachten nahe der bosnischen Grenze schreibt
Lovrenović, dass sie paradigmatisch die Tragik der geschichtlichen Situation des
bosnisch-herzegowinischen Landes und Volkes in der damaligen Zeit illustriert:
„[…] offiziell trafen in dieser Schlacht Wien und Istanbul, Österreich und die Türkei, der
Westen und der Osten aufeinander. In Wirklichkeit aber bestanden die Konfliktparteien aus
bosnischen Menschen, und es fielen bosnische Köpfe, die sowohl für Wien als auch für
Istanbul in gleicher Weise uninteressant waren, außer als Grenzer und Soldaten, als
Kanonenfutter und ständige Todeskandidaten im Rahmen größerer Pläne, die in den
Generalstäben ausgeheckt werden“ (Lovrenović I. 1998: 87).
Etwa ab der Niederlage der Osmanen vor den Toren Wiens im Jahre 1683 und dem
Rückzug der osmanischen Truppen südlich des Flusses Save fing der Niedergang des
Osmanischen Reiches an, und für die Grenzgebiete Bosniens brach erneut eine
verheerende Zeit aus. Ende des 17. Jahrhunderts haben die Truppen des Prinzen Eugen
von Savoyen folgenschwere Vernichtungen bis nach Sarajevo angerichtet und auch eine
Spaltung innerhalb des Volkes herbeigeführt. Für die Zerstörungen durch Eugens Armee
wurde nämlich auch das christliche Volk Bosniens mitverantwortlich gemacht, was zu
einer Aussiedlungswelle insbesondere vieler römisch-katholischer Bürger führte. Die
Wirtschaft, einst durch Handel, Bauindustrie sowie auch durch die Waffenproduktion
stark, war nun lahm gelegt. Die aufkommende Unzufriedenheit der Massen aller
Konfessionen, die deutliche Verschlechterung der Lage des nicht-muslimischen Volkes
sowie auch die Anarchie innerhalb der osmanischen Elitetruppen führten im 18.
Jahrhundert zum unaufhaltsamen Zerfall des Osmanischen Reiches. Nur wenige
katholische Klöster blieben erhalten, das Patriarchat von Peć wurde durch die Osmanen
aufgehoben und die muslimische Bevölkerung fing rasant zu verarmen an, was zur
allgemeinen Stagnierung des kulturellen Lebens führte.
Banja Luka war im Jahrhundert davor bereits von zahlreichen Kriegen direkt und
indirekt betroffen, besonders im Jahre 1688, als die Truppen unter der Führung des
Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden die Stadt in Brand setzten. Mit dem
Friedensabkommen von Srijemski Karlovac (1699) stellt die Grenze Bosniens im Norden
und Nordwesten die Grenze des Osmanischen Reiches dar, wodurch das Grenzgebiet
Bosniens zur vordersten Kriegsfront zwischen Osmanischem Reich und seinen
erbittertsten Gegnern Österreich und Venedig wurde. Neben den drei größeren Kriegen
in den Jahren 1716–1718, 1737–1739 und 1788–1791 waren die Grenzstädte und Dörfer
ständig von Raubzügen und Gefechten betroffen. Die Flüchtlingswelle brachte zusätzliche
Spannungen, erhöhte Steuern und Unruhen im Land. Zu all dem breitete sich auch die Pest
Ende des 17. Jahrhunderts und in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts aus. Überdies
vernichtete die Kälte die Saat und die Ernte (Adanir 1982: 43–116, Pelidija 1989, ders.
1998, Šalić 1991: 80f., Ravlić 2002: 139–142, Helmedach und Koller 2013: 231–250). Im
Winter 1731 war es dermaßen kalt, dass Kleinvieh und Geflügel erfroren. 1732 brach
erneut die Pest aus. In den größeren Städten Bosnien-Herzegowinas – Sarajevo, Banja
Luka, Mostar – wurden laut Margetić bzw. Lašvanin täglich an die 300 Verstorbene
bestattet. Banja Luka, wie die meisten bosnischen Städte, wurde von Elend und Hunger
erfasst (siehe dazu die Chronik von Lašvanin aus dem 18. Jahrhundert; Lašvanin 1981:
64, 173 sowie Ravlić 2002: 139ff.). Die Kriege forderten auch ihren Tribut, und je näher
das Ende der osmanischen Herrschaft rückte, umso unerträglicher war das Leben in den
Grenzgebieten – besonders in Dalmatien und Krajina – wo die Bevöälkerung einem
ständigen Kampf ums Überleben ausgesetzt war. Im Jahre 1737 wurde Banja Luka wieder
von österreichischen Truppen angegriffen. Unerwartet schafften es die Einheimischen in
der Schlacht bei Banja Luka, die österreichisch-ungarischen Truppen zu besiegen. Auch
damals brannte Banja Luka; u. a. wurde die katholische Kirche nicht nur in Banja Luka
sondern auch in Trn niedergebrannt. Über diesen unstabilen und von Kämpfen
dominierten Alltag in der Krajina zeugen auch mündlich überlieferte Gedichte (siehe u. a.
Hörmann 1888/1889, Marjanović 1898/1899, Schmaus 1953, Pelidija 1998: 146, 166,
ferner auch Lovrenović I. 1980: 116, 125 und Jukić SD I und II). Wie Ivan Lovrenović
analysiert, hinterließen all diese Kriege Tod und Verwüstung, stoppten die wirtschaftliche
Entwicklung des Landes, und schufen überdies Intoleranz und Misstrauen unter den
einheimischen Bevölkerungsgruppen.
„Dieses Geflecht wird Ende des 18. Jahrhunderts noch komplizierter, als Österreich und
Russland beginnen, ihre eigentlichen Interessen auf dem Balkan in religiöse Formeln zu
kleiden und jeweilige Protektorate für die katholische und die orthodoxe Bevölkerung zu
verlangen“ (Lovrenović I. 1998: 92).
Damit wurde die Religion nun offen für politische Zwecke instrumentalisiert, so dass
das 18. Jahrhundert die Grundlage für die Separation des Volkes in Bosnien und der
Herzegowina und damit den Nährboden für chauvinistische und nationalistische
Auswüchse in den kommenden Generationen schaffte (siehe auch Malcolm 1996: 117–
141, 151ff. ,179f. ,197f).
Zwei Jahre nach der Schlacht von Banja Luka, bei welcher die österreichischungarischen Heere wie erwähnt eine Niederlage erlitten, wurde 1739 das
Friedensabkommen vom Belgrad unterzeichnet. In diesem Abkommen verzichtete
Österreich-Ungarn auf das Territorium südlich des Flusses Save. Diese damals
vereinbarte Grenze stellt die Nordgrenze des heutigen Bosnien-Herzegowina dar. Das 18.
Jahrhundert endete nach kriegerischen Gefechten (1788 Schlacht von Dubica, ein Jahr
später Vormarsch der österreichischen Truppen bis nach Serbien) auf dem
Diplomatentisch: um den Status eines Protektorats für das christliche Volk im
Osmanischen Reich zu erhalten, verzichtete Österreich auf die eroberten Gebiete.
Karte VII: Eyalet Bosnien und Militärgrenze vom 17.–19. Jhd.
Im 19. Jahrhundert kam es durch Napoleons Siege zur Machtverschiebung innerhalb
Europas, was erneut Kriege hervorrief. Von Kriegen geschwächt, begann das Osmanische
Reich allmählich von innen her zu zerfallen. Autonomiebestrebungen und Aufstände
erfassten das gesamte bosnisch-herzegowinische Gebiet. Da die Reformen erfolglos
blieben, das Land wirtschaftlich immer tiefer sank, die lokalen Machthaber öffentlich
rebellierten und die Großfeudalen - die Begs - sich der Zentralmacht in Istanbul in
kleinerem
oder
größeren
Ausmaß
wiedersetzten,
ergriff
die
Anarchie
alle
Bevölkerungsschichten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kam es vermehrt zu Revolten
und Aufständen, teilweise vielversprechenden, aber nahezu alle wurden mit Gewalt
gebrochen, die meisten durch die rücksichtslose Verfolgung seitens Omer-Pascha Latas.
Das osmanische System der Regierung entsprach nun nicht mehr dem „Zeitgeist“ und die
Wirtschaftslage konnte die Prosperität nicht mehr gewährleisten. Die Reformen aus
Istanbul, die u. a. die Timarlehen (1831), und in Bosnien die Hauptmannschaften
(Kapetanije, 1835) abschafften, führten auch positive Entwicklungen herbei, so
beispielsweise die Gleichstellung aller Untertanen (1839), unabhängig von ihrer
Konfession. Der Schutz des Lebens, des Besitzes und der Ehre wurde gewährleistet. (siehe
Malcolm 1996: 147). Die Reformen blieben aber wirkungslos, so auch die
Modernisierungsversuche von Osman-Pascha (1861–1868), welche lediglich temporär
bescheidene Erfolge verzeichneten. Das Ende des Osmanischen Reiches endete für
Nordbosnien blutig; um Bauernaufstände zu brechen, wurden zahlreiche Dörfer
niedergebrannt, mehrere tausende Bauern ermordet und mehr als 100.000 Menschen
vertrieben (siehe u. a. Augenzeugenberichte von Knežević und Yriarte in Džaja M.
1962: 83–90, 92–96, sowie Bogićević 1950: 143–184, Hadžibegić 1950, Džaja M. 1962: 7–
15, Ekmečić 1973, Ravlić 1979: 15, Lovrenović I. 1980: 160, ders. 1998: 99f., Adanir 1982:
43–116, Šalić 1991: 77–111, 113f., 121–134, Malcolm 1996: 157f., Šljivo 1999,
Hadžibegović 2004: 215–226, ferner die Studie von Grandits 2008: 482–568, 608–639,
665–685 und Pilar 1995).
In dieser Zeit taucht auch der Name Ivan Franjo Jukić (1818–1857) auf. Jukić wurde
in Banja Luka geboren und in Fojnica, Zagreb und Ungarn ausgebildet. Er gehörte dem
Franziskanerorden an, und wurde recht früh von der Idee eines autonomen BosnienHerzegowinas erfasst. In Zagreb kam er unter Einfluss der Illyrischen Bewegung (Ilirski
pokret), die bestrebt war, die nationale Identität der (Süd-)Slawen herzustellen und sie
sowohl in kulturellem als auch im ethnischen Sinn zu einer (politischen) Einheit zu
verschmelzen. Viele Prozesse in Europa haben die Entstehung der Illyrischen Bewegung
bedingt, nicht zuletzt die in den Schriften der deutschen Romantiker propagierte
Stärkung der nationalen Identität, und
die am Wendepunkt befindliche Atmosphäre in
Europa. Jukić war bewusst, dass zahlreiche bosnischherzegowinische Intellektuelle unter den Osmanen der
Lethargie verfielen, während die Nachbarländer nicht
nur das eigene, sondern auch das bosnische Volk für
die Idee einer großen südslawischen Nation zu
mobilisieren suchten und gleichzeitig die eigene
(kroatische oder serbische) Nation zu stärken. So
gründete
Jukić
im
literaturwissenschaftliche
Jahre
1850
Zeitschrift
die
in
erste
Bosnien-
Herzegowina namens Bosanski prijatelj (Der bosnische
Abb. 51: Ivan Franjo Jukić
Freund), die er in Zagreb in der Druckerei von Ljudevit Gaj, dem Hauptvertreter der
Illyrischen
Bewegung,
drucken
ließ.
Bosanski
prijatelj
leitete
das
moderne
Zeitschriftwesen in Bosnien ein und war das erste Blatt, das sich ausschließlich mit
Bosnien, seiner Kultur und seinen Menschen befasste. Jukić setzte sich für die
Volksbildung, freie Presse und Meinungsfreiheit ein, und obzwar er als Anhänger des
Illyrismus charakterisiert werden kann, lag sein Bemühen unverkennbar in der Stärkung
der bosnischen (damals bosniakischen) Identität und der Idee eines selbständigen
Bosnien-Herzegowinas, was aus seinen Worten eindeutig hervorgeht:
„Wir Bosniaken, einst ein berühmtes Volk, [sind] gegenwärtig kaum noch am Leben; die
Freunde der Wissenschaften sehen uns nur noch als einen abgebrochenes Ast des
slawischen Baumes - und bemitleiden uns! […] – Es ist an der Zeit, dass auch wir aus der
langandauernden Achtlosigkeit erwachen; Nehmt den Kelch und trinkt aus der Quelle des
Verstandes Weisheit und Wissenschaft; Seid bemüht, vorerst unsere Herzen von
Voreingenommenheit zu befreien, greifen wir zum Buch und zur Zeitschrift, sehen wir
uns an, was andere getan haben, und bedienen wir uns der gleichen Mittel, um unser
einfaches Volk aus der Dunkelheit des Unwissens an das Licht der Wahrheit zu führen“
(Jukić SD I: 125)
Jukić verwendet den Ausdruck Bosniaken, damit alle Einwohner BosnienHerzegowina meinend, unabhängig von der Konfession, wie er vom Mittelalter bis in das
beginnende 20. Jahrhundert verwendet wurde, also vor der modernen serbischen und
kroatischen Nationalbewegung, die die konfessionelle Zugehörigkeit mit der nationalen
verschnürten. Um der Zuneigung zu seiner Heimat Ausdruck zu verleihen, schrieb Jukić
teilweise unter dem Pseudonym Slavoljub Bošnjak. So war Jukić für die osmanische
Regierung, die er für Elend in Bosnien verantwortlich machte, ein unerwünschter
Usurpator, und für Österreich-Ungarn, dessen Expansionsbestrebungen ihm missfielen,
wegen seinen revolutionären Ideen eine suspekte Person. Den Beistand der Kroaten und
Serben fand er auch nicht im ausreichenden Maße, was an der geringen Unterstützung für
sein Vorhaben, eine literarische Gesellschaft in Bosnien zu gründen, zu erkennen ist. Aus
der Heimat vertrieben, starb er auf der Flucht schwer erkrankt in Wien. Er hinterließ ein
beachtliches Schaffen sowie die Vision eines selbständigen Bosnien-Herzegowinas. Antun
Knežević, genannt Škobalj, ebenfalls Franziskanermönch, hat die begonnene Arbeit Jukićs
fortgeführt. Obzwar die Ideen zur Lebzeiten von Ivan Franjo Jukić nicht den erwünschten
großen Zulauf fanden, schaffte er es dennoch, wenn auch mit Verzögerung, das bosnisch-
herzegowinische Volk aus dem „Tiefschlaf“ (Jukić SD II: 23) zu wecken, wie die politischen
Geschehnisse des ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert gezeigt haben (Jukić SD I, ders.
SD II, ders. SD III, Jelenić 1913: 84–85, sowie u. a. Ćorić 1973: 9–101, Ravlić 1979: 14, ders.
2002: 118–135, Šalić 1991: 116–119, Džaja S. 2002: 83–101, Lukenda 2007, Lovrenović
I. 2007).
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