Klinikum am Weissenhof Manual und Bauchgefühl – widerspricht sich das? Die Kraft des Zweifelns Symposion, Heidelberg, Kongresshalle, 13.-15.10.2016 Heidelberger Institut für Systemische Forschung und Therapie e.V. Sektion IV: Manual und/oder Bauchgefühl Chair: Jürgen Kriz Hans-Jürgen Luderer, Klinikum an Weissenhof, Weinsberg Institut für Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung, Stuttgart Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Manual: Definition • Deutsche Sprache: ursprünglich ausschließlich musikalische Bedeutung • Ebene der Klaviatur bei Tasteninstrumenten (Orgel, Cembalo) • Technik: Benutzerhandbuch • Buchstabengetreue Übernahme der englischen Bezeichnung für schriftliche Anleitungen zu Benutzung eines Geräts, einer Software o.ä. www.igb-stuttgart.de 2 Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Manuale in der Psychotherapie • Psychotherapiemanual: • Problem- oder störungsspezifischen Handbuch, Beschreibung des psychotherapeutischen Vorgehens • Häufige Inhalte: • Skizzierung des Problems oder der Störung • Begründung und Beschreibung der vorgeschlagenen psychotherapeutischen Interventionen • Festlegung der Stundenzahl und der zeitlichen Ordnung des Vorgehens www.igb-stuttgart.de 3 Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Manuale in der Psychotherapie • Einstellung zu Manualen in der Psychotherapie: • Befürworter der Manualisierung: • Transparenz des therapeutischen Vorgehens • Hilfe zum Einstieg in die Therapie bestimmter Störungen für Anfänger • Aufzeigen therapeutischer Möglichkeiten • Gegner der Manualisierung • Einengung der Therapeuten • Behindern des individuellen Eingehens auf die Klienten / Patienten, d.h. Therapie von der Stange www.igb-stuttgart.de 4 Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Gliederung • Manuale: Definition • Manuale in der Psychotherapie • Beispiele für Therapiemanuale: • Psychoedukationsgruppen • DBT (Dialektisch-behaviorale Therapie der BorderlinePersönlichkeitsstörung, Linehan 1996) • NET - Narrative Exposure Therapy (PTSD für Opfer von Krieg, Terror und Folter, Schauer et al. 2011) www.igb-stuttgart.de 5 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Psychoedukation – was ist das? „Unter dem Begriff der Psychoedukation werden ... systematische didaktisch - psychotherapeutische Interventionen zusammengefasst, um Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, das Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen.„ Bäuml J, Pitschel-Walz G: Psychoedukation bei schizophrenen Erkrankungen. Schattauer, Stuttgart, 2003, 2008 www.igb-stuttgart.de 6 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Psychoedukation bedeutet • Patienten und Angehörigen zuzuhören, • ihnen Informationen zu vermitteln und • die bei der Akzeptanz und der Krankheitsbewältigung zu unterstützen. Psychoedukation beinhaltet • didaktische und psychotherapeutische Aspekte. • Curriculare Form: Vorteile bei beiden Aspekten. • Für Patienten und Angehörige wissenswerte Sachinhalte und Probleme des subjektiven Erleben der Krankheit: Manuale bilden Erfahrungen vieler Jahre ab. • Beispiel: APES (LMU München) www.igb-stuttgart.de 7 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Arbeitsbuch PsychoEdukation Schizophrenie (APES) Curriculum 1. Krankheitsbegriff („Bin ich hier richtig?“) 2. Symptome („Ist das überhaupt eine Psychose?“) 3. Biologisches Modell („Wie passen Chemie und Seele zusammen?“) 4. Vulnerabilitäts-Stress-Modell („Ich war schon immer etwas sensibler als Andere“) 5. Medikamente und Nebenwirkungen („Schaden diese Medikamente nicht mehr als sie nützen?“) 6. Psychotherapie (Kann man den inneren Knackpunkt finden?“) 7. Psychosoziale Maßnahmen (WAFFFF: Wohnung, Arbeit, Finanzen, Freizeit, Freunde, Familie, Future …) 8. Rezidivprophylaxe („Wie lange muss ich das Gras noch wachsen hören? „Habe ich das Schlimmste hinter mir?“) www.igb-stuttgart.de 8 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Arbeitsbuch PsychoEdukation Schizophrenie (APES) • Aufbau der einzelnen Module: • Umreißen des Themas • Vermitteln der Sachinformationen • Aktives Ansprechen der mit den Sachinformationen zusammenhängenden emotionalen Themen • Wesentlicher Vorteil des curricularen Aufbaus • Sachinformationen und emotionale Inhalte, die sich inder Erfahrung als bedeutsam erwiesen haben, werden thematisiert. • Ohne Vorgabe von Themen durch Therapeuten: viele Inhalte werden nicht angesprochen. Bäuml J, Pitschel-Walz G, Berger H, Gallinat J, Gunia H, Heinz A, Juckel G: Arbeitsbuch PsychoEdukation bei Schizophrenie. Schattauer, Stuttgart, 2005, 2010 www.igb-stuttgart.de 9 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Schizophrenie: Zahlreiche andere Manuale • APES: Zusammenstellung im Anhang C1, S. 174-182 • Ähnliche Inhalte, unterschiedliche Schwerpunkte, bei Sachthemen und emotionalen Inhalten Psychoedukation bei anderen psychischen und bei körperlichen Erkrankungen • Psychoedukation ist inzwischen Bestandteil vieler Behandlungsmodelle in Psychiatrie, Psychotherapie und bei chronischen Erkrankungen in der somatischen Medizin • Häufig: Gruppenprogramme mit curricularem Aufbau • Einzelpsychoedukation: Verwendung von Elementen der Gruppenprogramme Bäuml J, Henningsen P, Behrendt B, Pitschel-Walz G: Handbuch der Psychoedukation. Schattauer, Stuttgart, 2016 www.igb-stuttgart.de 10 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Psychoedukation Schizophrenie: Empirische Belege • Hornung et al. (1999): RCT-Studie: • Rezidivrate nach 5 Jahren 42%, Kontrollgruppe 69% bei Einbeziehung der Angehörigen • Pitschel-Walz et al. (2001), Metaanalyse, 25 RCT-Studien: • Senkung der Rezidivquote um 20 Prozentpunkte bei Einbeziehung bei Angehörigen • Pekkala, Merinder (2002): Cochrane-Review, 10 Studien: • Senkung der Rezidivrate nach 9- und 18-Monaten • Bäuml et al. (2016), RCT-Studie: • Reduktion von Rezidiven, stationärer Wiederaufnahmerate und Krankenhaustagen nach 2, 3 und 7 Jahren • 7 Jahre: Rehospitalisierung 54% vs. 88%, Krankenhaustage 75 vs. 225 www.igb-stuttgart.de 11 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Psychoedukation Schizophrenie: Empirische Belege Literaturnachweise • Hornung WP, Feldmann R, Schonauer K, Schäfer A, Mönking HS, Klingberg S, Buchkremer G. (1999): Psychoedukativ-psychotherapeutische Behandlung von schizophrenen Patienten und ihren Bezugspersonen II. Ergänzende Befunde der 2-Jahres-Katamnese. II. Ergänzende Befunde der 2-Jahres-KatamneseNervenarzt 70, 444-449, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10407840 • Pitschel-Walz, G., Leucht, S., Bäuml, J., Kissling, W., Engel, R.R. (2001): The effect of family intervention on relapse and rehospitalization in schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 27 (1), 73-92, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11215551 • Pekkala E, Merinder L (2002): Psychoeducation for schizophrenia. Cochrane Database Syst Rev. 2002;(2):CD002831, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12076455 • Bäuml J, Pitschel-Walz G, Volz A, Lüscher S, Rentrop M, Kissling W, Jahn T (2016): Psychoeducation Improves Compliance and Outcome in Schizophrenia Without an Increase of Adverse Side Effects: A 7-Year Follow-up of the Munich PIP-Study. Schizophr Bull. 42 Suppl 1:S62-70, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26955982 www.igb-stuttgart.de 12 Beispiele für Therapiemanuale: Psychoedukationsgruppen Klinikum am Weissenhof Zusammenfassung • Psychoedukation ist eine störungsspezifische Form der Psychotherapie • Sie beinhaltet Informationsvermittlung und Unterstützung bei Krankheitsakzeptanz und Krankheitsbewältigung • Informationen werden dann verstanden und akzeptiert, wenn sie am inneren Erleben der betroffenen Personen anknüpfen • Bei vielen Krankheiten haben sich bestimmte Sachinhalte und emotionale Inhalte als bedeutsam für die Betroffenen erwiesen. • Es ist hilfreich, diese Inhalte von Seiten der Therapeuten aktiv anzubieten. www.igb-stuttgart.de 13 Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Gliederung • Manuale: Definition • Manuale in der Psychotherapie • Beispiele für Therapiemanuale: • Psychoedukationsgruppen • DBT (Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, Linehan 1996) • NET - Narrative Exposure Therapy (PTSD für Opfer von Krieg, Terror und Folter, Schauer et al. 2011) www.igb-stuttgart.de 14 Klinikum am Weissenhof Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPD) • BPD: Schwerwiegende Störung der Affektregulation • Instabilität der Affekte und der sozialen Beziehungen, Impulsivität, dissoziative und pseudopsychotische Symptome • Entwicklung in der frühen Adoleszenz • Erste Anzeichen: Stimmungsschwankungen, aggressive Durchbrüche, Selbstzweifel • Häufig: Selbstverletzungen • Weitere mögliche Folgen: Suizidhandlungen, Drogenprobleme, Essstörungen Bohus M, Schmahl C (2009): Psychopathologie und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. CME Ärzteblatt Kompakt, 2009, S. 20a-20g. http://www.aerzteblatt.de/archiv/64189/Psychopathologie-und-Therapie-der-BorderlinePersoenlichkeitsstoerung Bohus M: Borderlne-Persönlichketsstörung. In Hermer M, Röhrle B: Handbuch der Therapeutischen Beziehung. DGVTVerlag, Tübingen, 2008, www.igb-stuttgart.de 15 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Epidemiologie, Ätiologie • Selbstverletzungen: Regelmäßige Selbstverletzungen und häufige Suizidgedanken bei 6% aller 15jährigen Mädchen Brunner R, Parzer P, Haffner J et al.: Prevalence and Psychological Correlates of Occasional and Repetitive Deliberate Self-Harm in Adolescents. Arch Pediatr Adolesc Med 2007; 161: 641–9 • Lebenszeitprävalenz Kernsyndrom BPD: 5-6% Prävalenz im Alter von 45 Jahren: 0,6% Grant BF, Chou SP, Goldstein RB et al.: Prevalence, correlates, disability, and comorbidity of DSM-IV borderline personality disorder: Results from the Wave 2 National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions. J Clin Psychiatry 2008; 69: 533–45 • Genetische Teilursachen wahrscheinlich (Zwillingsstudie) Torgersen S, Lygren S, Oien PA et al.: A twin study of personality disorders. Compr Psychiatry. 2000; 41(6): 416–25 • ADHS vor BPD-Symptomatik bei 50% der Betroffenen www.igb-stuttgart.de 16 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Epidemiologie, Ätiologie • Biographiesche Belastungsfaktoren: • Sexuelle Gewalt (65%), körperliche Gewalt (60%), schwere Vernachlässigung (40%), Traumata nicht bei allen BPD-Pat. • Zanarini MC, Williams AA, LewisRE, Reich RB. Reported pathological childhood experiences associated with the development of borderline personality disorder. Am J Psychiatry 1997; 154: 1101–6. • Komorbidität mit Depression, Angststörungen, substanzbedingten Störungen hoch – Zimmermann, Mattia 1999, Compr Psychiat 40, 245-252 • Hohe Suizidrate (8-9 %) – Stone 1987, Bull Menninger Clin 51, 231-247 www.igb-stuttgart.de 17 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Psychotherapiestudien • 10 Studien (Stand: 2006) • 8 Studien DBT • DBT allen Kontrollbedingungen überlegen • Mentalization Based Treatment tuefenpsychologisch) Kontrollbedingung (TAU) überlegen (eine Studie bis 2006) • Schematherapie tiefenpsych. Th. (Kernberg) überlegen (eine Studie) • Mentalization Based Treatment: TAU überlegen (2008, 2009) Bateman, A.W., Fonagy, P. (2008). "8-Year Follow-Up of Patients Treated for Borderline Personality Disorder: Mentalization-Based Treatment Versus Treatment as Usual". Am J Psychiatry. 165 (5): 631–638 Bateman, A.W., Fonagy, P. (2009). "Randomized Controlled Trial of Outpatient Mentalization-Based Treatment Versus Structured Clinical Management for Borderline Personality Disorder". Am J Psychiatry. 166: 1355–1364 www.igb-stuttgart.de 18 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Charakteristika aller wirksamen Therapien (auch der tiefenpsychologischen): • Manualisierung • Zeitliche Begrenzung (bis zu drei Jahre) • Therapievereinbarungen hinsichtlich Umgang mit Suizidalität, Krisen und Störungen der therapeutischen Rahmenbedingungen • Hierarchisierung der Therapieziele • Suizidalität, Dissoziation, komorbide Essstörungen, Substanzgebrauch (Alkohol, Benzodiazepine, Drogen) werden vorrangig behandelt • Fazit: • Therapievorgaben seitens des Therapeuten hilfreich, aber: • Ist Planung alles? www.igb-stuttgart.de 19 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Linehan MM (1993): Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT, entwickelt für Kerngruppe traumatisierter Frauen) • Störungsmodell der DBT: Störung der Emotionsregulation Hohe Sensibilität für innere und äußere Stimuli Ausgeprägte Fähigkeit zur Empathie anderen Menschen gegenüber • Geringe Fähigkeit zur Selbstempathie • Hintergrund: Sexueller Missbrauch, schwere Vernachlässigung • • Linehan MM: Cognitive-behavioral treatment of borderline personality disorder. Guilford, New York, 1993. Deutsch: Kognitiv-behaviorale Therapie der Borderline-Störung. CIP, München, 1996 www.igb-stuttgart.de 20 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Linehan MM (1993): DBT • Erleben sexuellen Missbrauchs • Missbrauchende Person ist gleichzeitig wichtige, u.U. fürsorgliche Bezugsperson • Widerstand ist zwecklos, Flucht nicht möglich • Einziger Ausweg: sich auf bevorstehenden Missbrauch einstellen • Methode: sich innerlich unempfindlich machen (Dissoziation) • Patientinnen haben gelernt, Wünsche und Gefühle Anderer wahrzunehmen und die eigenen zu unterdrücken www.igb-stuttgart.de 21 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Linehan MM (1993): DBT • Innere Spannung • Verschiedene Emotionen werden diffus als unerträgliche innere Spannung wahrgenommen • BPD-Patienten versuchen, die Spannung zu reduzieren • Wirksames Mittel: Selbstverletzung • Selbstverletzung führt zum Gefühl der Erleichterung • Anderes wirksames Mittel: Dissoziation • Mittel, um aus der Isolation der Dissoziation herauszufinden: Selbstverletzung • Selbstverletzung und Dissoziation sind auf die Dauer nicht hilfreich (=dysfunktional). www.igb-stuttgart.de 22 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Linehan MM (1993): DBT • Dialektische Haltung gegenüber Borderline-Patientinnen: • Veränderung und Annehmen: • Veränderungen können nur in einem Umfeld erfolgen, das das Gegebene akzeptiert. • Kontrolle und Freiheit: • Therapeut behält die Kontrolle über die Therapie, damit sich die Patientin frei entwickeln kann. • Validierung (ähnlich wie unconditional positive regard in der personzentrierten Therapie und Beratung) www.igb-stuttgart.de 23 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Therapeutische Haltung gegenüber Borderline-Patientinnen: • Flexibilität: Keine willkürlichen Grenzen, keine unbedingte Konsistenz. Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen. • Grundregel: Verletztheit einer Patientin ist immer berechtigt. • Wer versucht, Gründe für die Verletztheit herunterzuspielen, verhält er sich wie frühere traumatisierenden Bezugspersonen, bei denen nur hilfloses Ertragen möglich war. www.igb-stuttgart.de 24 Beispiele für Therapiemanuale: Borderline-Persönlichkeitsstörungen Klinikum am Weissenhof Therapeutische Haltung gegenüber Borderline-Patientinnen: • Flexibilität: Keine willkürlichen Grenzen, keine unbedingte Konsistenz. Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen. • Grundregel: Verletztheit einer Patientin ist immer berechtigt. • Wer versucht, Gründe für die Verletztheit herunterzuspielen, verhält er sich wie frühere traumatisierenden Bezugspersonen, bei denen nur hilfloses Ertragen möglich war. www.igb-stuttgart.de 25 Klinikum am Weissenhof Marsha Linehan (1993): DBT • Wie hilft das Manual bei der Empathie? • BPD-Patienten können ihre Gefühle nicht benennen: Wahrnehmung verschiedener Emotionen als unerträgliche diffuse innere Spannung. Hilfe: Unterstützung des Benennens • Herstellen innerlicher Unempfindlichkeit (Dissoziation) ist Versuch der Spannungsreduktion, Ähnlichkeit zum Erleben sexuellen Missbrauchs. • Leben suizidaler Borderline-Patienten ist unerträglich • Umgang mit Traumata ist wichtiger Bestandteil der Therapie. www.igb-stuttgart.de 26 Klinikum am Weissenhof Marsha Linehan (1993): DBT • Wie hilft das Manual bei der positiven Wertschätzung? • Grundsätzliche Annahme: Patienten kämpfen. Sie geben sich Mühe und wollen sich ändern. • BPD-Patienten sind anderen Menschen gegenüber extrem einfühlsam, aber nicht sich selbst gegenüber. • Selbstverletzung keine Manipulation, sondern Versuch der Spannungsreduktion, d. h. Ausdruck innerer Not. • Dialektische Sichtweise: Veränderungen nur in einem Umfeld, das das Gegebene akzeptiert. www.igb-stuttgart.de 27 Klinikum am Weissenhof Marsha Linehan (1993): DBT • Wie hilft das Manual bei der Kongruenz? • Forderungen an Therapeuten: Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen. • Grundregel: Verletztheit einer Patientin ist immer berechtigt. • Verletztheit herunterspielen: Verhalten wie frühere traumatisierende Bezugspersonen: nur hilfloses Ertragen möglich. www.igb-stuttgart.de 28 Klinikum am Weissenhof Marsha Linehan (1993): DBT • BDT wird oft auf Fertigkeiten (Skills)-Training und zusätzlich auf Ablenkungstechniken durch starke Sinnesreize reduziert • Zufügen von starken sensorischen Reizen (z.B. mit Igelball, Eiswürfeln, Chilischoten) ist eine Gruppe von Techniken zur Reduktion der inneren Spannung • Oft hilfreich, um Selbstverletzungen mit ihren Folgen zu reduzieren. • Fertigkeitstraining umfasst andere Elemente (Achtsamkeit, Umgang mit typischen zwischenmenschlichen Problemen von Borderline-Patienten, Umgang mit Gefühlen, Selbstwert) in curricularer Form www.igb-stuttgart.de 29 Klinikum am Weissenhof Manualisierung in der Psychotherapie Gliederung • Manuale: Definition • Manuale in der Psychotherapie • Beispiele für Therapiemanuale: • Psychoedukationsgruppen • DBT (Dialektisch-behaviorale Therapie der BorderlinePersönlichkeitsstörung, Linehan 1996) • NET - Narrative Exposure Therapy (PTSD für Opfer von Krieg, Terror und Folter, Schauer et al. 2005, 2011) www.igb-stuttgart.de 30 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET) • Verfahren zur Behandlung von Opfern organisierter Gewalt, Folter, Terror und Krieg • Anwendung bei anderen Traumata möglich • Mögliche Folgen von Kriegstraumata: • spezifische (PTSD) und unspezifische Traumafolgestörungen • PTSD (Posttraumatic Stress Disorder), Symptome: • Wiederkehrende unkontrollierbare, unvollständige Erinnerungen an Trauma(ta), Versuche, die Erinnerung zu vermeiden, Angst, emotionale und soziale Probleme, Unruhe, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Selbstverletzungen Schauer M, Neuner F, Elbert T: Narrative Exposure Therapy. Hogrefe, Göttingen, 2011 www.igb-stuttgart.de 31 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Grundprinzipien: • Reden über die Erinnerungen an die traumatischen Ereignisse, dadurch • Wiedererleben der damaligen Gefühle • Wiederbeleben und Präzisieren der Erinnerungen • Einordnen der Erinnerungen in das biographische Gedächtnis • Trennen der damaligen Gefühle von den aktuellen Ängsten • NET beinhaltet therapeutisch geleitete Selbstkonfrontation und Selbstdistanzierung www.igb-stuttgart.de 32 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: Vorbereitung • Feststellung spezifischer Traumafolgesymptome • 1. Erinnerungen, die sich aufdrängen: Träume und Tagträume, Angst bei Ereignissen, die an die Traumata erinnern • „Kommen die Erinnerungen wieder, auch wenn Sie noch so sehr versuchen, nicht an sie zu denken?“ • 2. Innere Anspannung: • „Haben Sie Angst, ärger, Sie sich, sind Sie wütend oder verzweifelt, ohne richtigen Grund, leiden Sie unter körperlichen Schmerzen, obwohl der Arzt nichts findet? • „Sind Sie jetzt noch angespannt, ähnlich wie damals, denken Sie manchmal, alles könnte wieder geschehen?“) • 3. Vermeiden der Erinnerung: • „Versuchen Sie, allem aus dem Weg zu gehen, was Sie an das erinnert, was geschehen ist?“ www.igb-stuttgart.de 33 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: Vorbereitung • Information über Traumafolgen • Normalisierung: es ist normal, an Traumafolgen zu leiden. • Legitimierung: Die betroffene Person trifft keine Schuld, das Leiden und die Symptome sind gerechtfertigt. • Die Symptome, unter denen die betreffende Person leidet, (Symptome nennen) sind typische Traumafolgen. • Erklärung des Vorgehens im Gespräch • Grundgedanken von NET: • 1. Konfrontation mit den Erinnerungen und • 2. Einordnung der Erinnerungen in die eigene Biographie • Freiwilligkeit: die betroffene Person muss reden wollen. • Keine ungeklärten Fragen: ausreichend Gelegenheit bieten, alles zu fragen, bevor das eigentliche Gespräch beginnt. www.igb-stuttgart.de 34 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: Vorbereitung • Information über genaues Nachfragen im Gespräch: • Der Therapeut / Berater / Begleiter wird nachfragen, wenn die betroffene Person das, was sie erlebt hat, nur vage andeutet. • Information über das, was die Betroffenen nach den Gesprächen empfinden werden. • Erleichterung, sich die schlimmen Erfahrungen von der Seele geredet zu haben, aber auch • Leiden unter unangenehmen Erinnerungen, die wieder bewusst werden. • Hinweise an die Betroffenen: • 1. Die folgende Nacht kann unruhig werden. • 2. Das ist normal. www.igb-stuttgart.de 35 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: • Erster Schritt: Betroffene schildern die Zeit vor den Traumata, • glückliche Zeiten in der Familie, in der Gemeinschaft mit Freunden und Verwandten. • Zweiter Schritt: Sie schildern die Traumata (Konfrontation) • Wiedererleben der Gefühle, die sie während der Traumatisierung erlebt haben, aber in sicherer Umgebung • Wiedererinnern an den äußeren Ablauf der Traumatisierung. • Wann? Wo? Wie? Was habe ich gesehen? Was habe ich gehört? Was habe ich gespürt? Was habe ich gerochen? Wie fühlt sich das jetzt (im Gespräch) an? • Therapeut schreibt nach der Sitzung die Schilderung auf. • Dritter Schritt: Wiederholung. weitere Sitzungen • Gemeinsames Lesen und Ergänzen des Aufgeschriebenen www.igb-stuttgart.de 36 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: • Beenden eines Gesprächs über Traumata Fragen über das, was nach der Traumatisierung geschehen ist: „Wie hat das alles aufgehört? Was ist danach geschehen?“ • Denn jede einzelne Traumatisierung geht irgendwann einmal zu Ende. • Weitere Fragen: • „Wie geht es Ihnen jetzt? War es gut, darüber zu reden? War es belastend? Oder war es beides?“ • Noch einmal darauf hinweisen, dass die folgende Nacht unruhig werden kann, dass das aber normal ist. • • www.igb-stuttgart.de 37 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Narrative Exposure Therapy (NET), Ablauf: • Therapeut hilft der betroffenen Person, • ihr Erleben in Worte zu fassen, zu ordnen und • die Schilderung nach einer gewissen Zeit zu beenden. • Regel zum Ablauf: Zeitlich geordnet vorgehen, in einer Sitzung nichts zeitlich überspringen, nie zeitlich zurückgehen. • Die Betroffenen lernen bei diesen Schritten: • ihre Erinnerungen in zeitlicher Ordnung anzuschauen, • ruhig über diese Erinnerungen zu reden und • Details der Erinnerungen wieder lebendig werden zu lassen. • Dadurch können sie • Gefühle und äußeren Ablauf einander zuordnen, • gewinnen Zugang zu und Kontrolle über ihre Gefühle. www.igb-stuttgart.de 38 Beispiele für Therapiemanuale: PTSD nach Kriegstraumata (NET) Klinikum am Weissenhof Wie hilft das NET-Manual bei der Empathie? • Kriegstraumatisierte Personen: Bedürfnis, über gute Zeiten vor • • • • den Traumata zu reden. Danach fällt es ihnen leichter, die Traumata anzusprechen. Regel, beim Erzählern nicht zurück zu gehen: Hilfe, Endlosschleifen zu vermeiden. Frage, wie ein einzelnes Trauma zu Ende gegangen ist: Hilfe, die Schilderung und die intensive Beschäftigung mit dem Trauma zu beenden. Ebenfalls im Manual: zahlreiche Selbstschilderungen traumatisierter Personen, Hinweise der Autoren auf das subjektive Erleben der Betroffenen. www.igb-stuttgart.de 39 Manual und Bauchgefühl Klinikum am Weissenhof • Manuale zur störungsspezifischen Behandlung psychischer Störungen • • • • • sind aus der Begegnung der Autoren mit vielen Patienten entstanden. Sie sind eine Zusammenfassung dessen, was die Autoren als wichtig für die Behandlung ansehen Gute Manuale enthalten weit mehr als den Ablauf der Therapiestunden. Sie beinhalten Beschreibungen der von außen beobachteten Charakteristika der Störung und des subjektiven Erlebens (Manuale als Empathiehilfen) Bei der Entstehung der Manuale spielt das Bauchgefühl der Autoren eine zentrale Rolle. Die therapeutische Aufgabe ist es, • Manuale authentisch anzuwenden (Gruppentherapien) • Elemente der Manuale situationsspezifisch zu nutzen (Einzeltherapie) 40