10.02.2012 Wie erkenne ich eine Wochenbettdepression? Patrick Frottier – forpsycon-moment-oase-psd kjp-wien 1 10.02.2012 Bedeutung Leider werden diese Erkrankungen von Ärzten immer noch zu selten diagnostiziert - zum einen, weil die Betroffenen die Beschwerden aus Scham und Schuldgefühlen über ihr vermeintliches Versagen als Mutter verschweigen, zum anderen, weil diese Krankheitsbilder in der deutschsprachigen Medizin bisher zu wenig Beachtung gefunden haben, auch wenn sich diesbezüglich in neuerer Zeit viel gebessert hat. Riecher-Rössler 2001 Historisch... Psychopathologie 2 10.02.2012 Definitionen nach ICD-10, I F 53 Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett, andernorts nicht klassifiziert F 53.0 Leichte psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett: postpartale Depression F 53.1 Schwere psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett: Puerperalpsychose Definition nach ICD-10, II F 32 Depressive Episode F 32.0 Leichte depressive Epsiode F 32.00 Ohne somatisches Syndrom F 32.01 Mit somatischem Syndrom F 32.1 Mittelgradige depressive Epsiode F 32.2 Schwere depressive Episode, ohne psychotische Symptome F32.3 Schwere depressive Epsisode mit psychotischen Symptomen F32.30 Synthyme psychotische Symptome F32.31 Parathyme psychotische Symptome Symptome I Typische Symptome: A. gedrückte depressive Stimmung Interessenverlust und Freudlosigkeit C. Verminderung der Energie mit erhöhter Ermüdbarkeit (nach kleinen Anstrengungen), Aktivitätseinschränkung, Verminderung des Antriebs B. 3 10.02.2012 Symptome II Andere häufige Symptome: a. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit b. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen c. Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit d. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven e. Suizidgedanken, Selbstverletzungen und Suizidhandlungen f. Schlafstörungen e. Verminderter Appetit Symptome III Somatisches Syndrom: 1. Deutlicher Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten 2. Mangelnde Fähigkeit zur emotionalen Resonanz auf Ereignisse oder Aktivitäten 3. Früherwachen mind. 2 h vor der üblichen Zeit 4. Morgentief 5. Psychomotorische Hemmung (Antriebshemmung) oder Agitiertheit Allgemein gesprochen... Postpartales Stimmungstief („Baby-Blues“, „Heultage“) Postpartale Depression („Wochenbettdepression“) Postpartale Psychose 4 10.02.2012 Baby-Blues Leichtes und kurzfristiges Stimmungstief in den ersten Wochen nach der Geburt, betrifft lt. Literatur 25-80% aller Wöchnerinnen Dauer: Stunden bis wenige Tage PPS: Subdepressive Stimmung, Stimmungslabilität (Weinen, Traurigkeit, Irritierbarkeit, Reizbarkeit, Ängstlichkeit), Appetitlosigkeit, Erschöpfung, Schlafstörung, Konzentrationsschwierigkeiten Biologische Ursachen: Hormonelle Umstellung (Abfall von Östrogen und Prolaktin) Verstärkend: Versagensängste, Zukunftsängste vor der Neuorientierung, Soziologische Theorie: Rollenveränderung Therapie von Baby-Blues Aufklärende und supportive Gespräche bzw. soziale Unterstützung bei Bedarf, mehr ist lege artis nicht indiziert Postpartale Depression Beginnt innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt, betrifft lt. Literatur 6-22% der Mütter, Dauer: Beginn ca. nach der 6. Woche, innerhalb des ersten Jahres, erste 3 Monate besonderes Risiko PPS: die Kriterien der Depression (F32) sind erfüllt Risikofaktoren: Psychische Erkrankungen vor der Schwangerschaft (Depression, Bipolare Störung, Zwangstörungen, Angststörungen, Sozialphobie), bzw. in der Familie, sozial belastende Faktoren Behandlungsnotwendigkeit gegeben! (Cave: Suizidgefahr: 70-fach erhöht, Gefahr des Infantizids: 2 pro 100 000) 5 10.02.2012 Problemstellung Die Symptomatik beginnt meist erst, wenn die Mutter nach der Entbindung wieder nach Hause entlassen ist. Zwar hat die Frau in dieser Zeit im allgemeinen noch regelmäßig Kontakt mit dem nachbehandelnden Gynäkologen und dem Pädiater, aber oft wird die Symptomatik von der Mutter aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen verschwiegen, zum Teil auch aus Angst, sie werde stationär eingewiesen und von ihrem Kind getrennt und könne dieses dann erst recht nicht mehr versorgen. Non-Verbale Zeichen: Depressive Menschen… Vermeiden Augenkontakt reduzierte Augenbewegungen Haben reduzierte Mundbewegungen Reden wenig und leise Sind kaum affizierbar Ihre Affekte sind kaum moduliert Alles Zeichen der Unterwerfung und Regression: „Calming Signals“ zur Deeskalation? Haben Screening BDI Hamilton EPDS (Edinburgh postnatale Depression Skala): Stimmung der letzten 7 Tage, 10 Fragen, 0 bis 3 Punkte, , ab 10 Punkte Depression wahrscheinlich, ab 13 hoch wahrscheinlich 6 10.02.2012 EPDS Ich konnte Lachen und das Leben von der heiteren Seite sehen Ich war ängstlich und machte mir unnötig Sorgen Ich war so unglücklich, dass ich nicht schlafen konnte Es gab vieles worauf ich mich freute Ich fühlte mich verängstigt und wurde panisch ohne wirklichen Grund Ich war traurig und fühlte mich elend Ich habe mich unberechtigterweise schuldig gefühlt wenn etwas danebenging Mir ist alles zuviel geworden Ich war so unglücklich, dass ich weinen musste EPDS Gelegentlich kam mir der Gedanke, mir etwas anzutun: Ja, oft (3 Punkte) Manchmal (2 Punkte) Selten (1 Punkt) Nein, nie (0 punkte) Multifaktorielle Ursachen I Neurobiologische Überlegungen, z.B. Fehlanpassung bei chronischem Stress: Dauerstimulation der HypothalamusHypophsen-Nebennierenachse: Glucocorticoide , z.B. Neurotransmitterreaktion: Serotonin$ 7 10.02.2012 Multifaktorielle Ursachen II Soziologische Ebene: Aneignung und Übernahme der Elternrolle, Neudefinition der Partnerbeziehung, der beruflichen Karrierevorstellungen Psychologische Ebene: Verunsicherung, Angst und Ambivalenz, erlernte Hilflosigkeit Psychodynamische Ebene: Wiederbelebung der modellhaften eigenen Mutter-Kind Erfahrungen Konsequenzen für die Kinder Die Kinder solcher Mütter entwickeln häufig nicht nur emotionale und Verhaltensauffälligkeiten, sondern auch Entwicklungsverzögerungen im kognitiven Bereich. Dies kann zum Teil noch bis ins Schulalter nachgewiesen werden. Vor allem bei Knaben blieben die kognitiven Defizite bis zum Ende der Primarschulzeit nachweisbar. Jedoch kann eine frühzeitige Behandlung der Mütter die Mutter-Kind-Beziehung und die Entwicklung des Kindes deutlich verbessern. PBQ: Parenting bonding questionaire 25 Fragen, 4 Skalen: 3 Formen von Beziehungsstörungen 1. Verzögerung oder Verlust des Muttergefühls 2. Pathologische Wut gegenüber dem Kind 3. Ablehnung des Kindes Verzögerte Bindung (Cut off 12) Ablehnung oder Wut (Cut off 17) Angst (Cut off 10) Gefahr von Missbrauch des Kindes (Cut off 3) 8 10.02.2012 La mère morte André Green, Vortrag 1980: wesentliche Zug dieser Depression ist, das sie in Anwesenheit dieses Objekts stattfindet, das seinerseits durch eine Trauer völlig in Anspruch genommen ist. Der Postpartale Psychose 1-3 von 1000 Müttern Entsteht in den ersten 2 Wochen nach der Entbindung oder später aus einer Depression heraus ICD 10: F 23.0; akute polymorphe Störung ohne Symptome einer Schizophrenie F 23.1; akute polymorphe Störung mit Symptomen einer Schizophrenie F 23.2; akute schizophreniforme psychotische Störung Behandlung I: Psychopharmaka und Stillen Mütterliche Plasmakonzentration (Pharmakokinetik der Mutter) Konzentration in der Muttermilch (pH der Milch) Getrunkene Milch (Milchvolumen, Zeitpunkt des Stillens) Kindliche Dosis Kindliche Plasmakonzentration (Reife der Leber- und Nierenfunktion) Medikamenteneffekt im Kind (Rezeptorsensitivität) 9 10.02.2012 Behandlung II Kognitiv-behaviorale Therapie: Beratung über die Kinderbetreuung, Bestätigung über die Elternfähigkeiten, Ermutigung zu genussvollen Aktivitäten, Beratung über die Nutzung diverser praktischer Hilfemöglichkeiten Tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie: Konflikte, die oft durch das Mutterwerden aktualisiert werden, können bearbeitet werden. Es geht um die ambivalent erlebte Mutterrolle, die durch den oft einschneidenden Rollenwechsel der Frau in Zusammenhang mit dem ersten oder oft auch erst dem zweiten Kind ausgelöst wird: Es geht z.B. um die faktische Überbelastung durch die multiplen Rollen als Mutter, Partnerin, Hausfrau, Berufstätige und die damit oft einhergehende Erschöpfung, um Partnerschaftskonflikte oder die Beziehung zur eigenen Mutter. Behandlung III Wie also erkenne ich die Wochenbettdepression? Von der Veraguthschen Falte zum inneren Erleben........ 1. Depression (z.B. postpartal) Psychose (z.B. postpartal) 3. Angst und Trauer (Baby-Blues) 2. 10 10.02.2012 Zusammenfassung I Frauen mit depressiven Erkrankungen in der Familienund vor allem der eigenen Vorgeschichte haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko, sollten hierüber aufgeklärt und unter bestimmten Umständen auch prophylaktisch behandelt werden. Depressive Erkrankungen bedürfen gerade in der Postpartalzeit unserer besonderen Aufmerksamkeit und dringend der Therapie, wobei je nach Schweregrad der Erkrankung neben psychotherapeutischen oft auch pharmakotherapeutische und sozialarbeiterische Maßnahmen notwendig sind. Riecher-Rössler 2001 Zusammenfassung II Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Moment www.moment.co.at Institut für sequentielle Therapie (IST) Institut für forensische Begutachtung (IFB) Institut für analytische Organisationsberatung (IAO) 11