Seminarergebnisse Musik und Poesie Von Reichardt bis Mahler Stefan Wilhelm Matrikelnummer.: <Nummer> <Straße, Hausnummer> <PLZ, Wohnort> <Telefonnummer> Email: [email protected] Universität Dortmund Institut für Musik und ihre Didaktik Musik und Poesie im WS 2005/2006 3. Fachsemester bei Reinhard Fehling Abgabetermin: 31. März 2006 Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Vorwort Diese Hausarbeit stellt die Ergebnissicherung des Seminars „Musik und Poesie“ von Herrn Fehling im Wintersemester 2005/2006 dar und geht in ihrem letzten Teil darüber hinaus, indem eine didaktische Umsetzung des Stoffes schemenhaft dargestellt wird. Die Abschnitte fassen übersichtlich die wesentlichen Ergebnisse der einzelnen Sitzungen zusammen und bieten die Möglichkeit des schnellen Einstiegs in die Thematik. Die aufgeführten Notenbeispiele und Literaturangaben beziehen sich zumeist auf das im Seminar ausgeteilte Material. Herne, den 27. März 2006 Stefan Wilhelm -I- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Inhaltsverzeichnis VORWORT ...................................................................................................................................................................I INHALTSVERZEICHNIS......................................................................................................................................... II I. EINLEITUNG .......................................................................................................................................................... 1 II. DIE BERLINER SCHULE UND J. F. REICHARDT ......................................................................................... 1 HISTORISCHE EINORDNUNG........................................................................................................................................ 1 ZUM VERSTÄNDNIS DES LIEDES ................................................................................................................................. 2 NOTENBEISPIELE ZU REICHARDT ................................................................................................................................ 3 III. DAS DEUTSCHE KUNSTLIED SCHUBERTS................................................................................................. 3 DIE SCHUBERTIADEN ................................................................................................................................................. 3 DIE LIEDVERTONUNGEN SCHUBERTS .......................................................................................................................... 3 NOTENBEISPIELE ZU SCHUBERT .................................................................................................................................. 4 FRIEDRICH SILCHER: EIN VERBRECHEN AN KUNSTLIEDERN?...................................................................................... 4 IV. VON SCHUMANN BIS BRAHMS ...................................................................................................................... 5 SCHUMANN UND BARTHOLDY .................................................................................................................................... 5 BRAHMS UND DAS VOLKSLIED ................................................................................................................................... 5 NOTENBEISPIELE ZU BRAHMS ..................................................................................................................................... 6 V. MÖRIKE-VERTONUNGEN VON HUGO WOLF ............................................................................................. 6 DAS KUNSTLIED AUF ZWEI EBENEN ............................................................................................................................ 6 NOTENBEISPIELE ZU WOLF ......................................................................................................................................... 7 VI. DAS ORCHESTERLIED UND MAHLER ......................................................................................................... 7 STÄRKERER AUSDRUCK DURCH DIE ORCHESTERBEGLEITUNG ..................................................................................... 7 VII. FACHDIDAKTISCHE AUFBEREITUNG FÜR DIE SCHULE ..................................................................... 8 ANALYSE UND INTERPRETATION VON KUNSTLIEDERN ................................................................................................ 8 SCHEMA ZUR ANALYSE UND INTERPRETATION EINES KUNSTLIEDS .............................................................................. 9 GRÜNDE FÜR DIE BEHANDLUNG IM UNTERRICHT UND VORSCHLAG ZUR UMSETZUNG ............................................... 10 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................................................. 11 ZUR BERLINER SCHULE UND REICHARDT ................................................................................................................. 11 DIE SCHUBERTIADEN ............................................................................................................................................... 11 VON SCHUMANN BIS BRAHMS .................................................................................................................................. 11 MÖRIKE-VERTONUNGEN VON HUGO WOLF .............................................................................................................. 11 DAS ORCHESTERLIED UND MAHLER ......................................................................................................................... 11 - II - Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler I. Einleitung Das Wort „Kunstlied“ bezeichnet hauptsächlich die seit Schubert „durchkomponierten“ Lieder für Gesang und Instrumentalbegleitung. Durchkomponiert heißt, dass die Art und Weise der Begleitung und Melodieführung auf die Aussage des Textes abgestimmt ist. Es werden in der Regel Gedichte anderer Künstler die Aussage verstärkend oder kontrastierend vertont. Aus dem einfachen Strophenlied mit immer gleicher Begleitung und Melodie entwickelten sich zwei weitere Formen. Das variierende Strophenlied enthält nur wenige vom Rest abweichende Strophen, um z. B. unterschiedliche Stimmungen deutlich zu machen. Das durchkomponierte Lied ist der Textauslegung entsprechend gestaltet und weist keine Strophenform auf. Die Entwicklung des Kunstlieds, die schon in der Berliner Liederschule eingeleitet wurde, fand größtenteils während der Romantik statt und setzte sich in der Moderne durch das Orchesterlied fort. Im folgenden wird diese Entwicklung nachgezeichnet. II. Die Berliner Schule und J. F. Reichardt Historische Einordnung Friedrich (II.) der Große, der selber komponierte und Flöte spielte, versammelte seit 1740 bedeutende Komponisten an seinem Berliner Hof. Zunächst schrieben jene Instrumentalmusik seinen Vorgaben und interpretatorischen Fähigkeiten entsprechend. Diese beschränkte sich vorwiegend auf barocke Formen. Im weiteren Verlauf kamen ab 1752 Liedkompositionen hinzu. Nach der „Ersten Berliner Liederschule“ wird seit 1780 von der „Zweiten Berliner Liederschule“ gesprochen. Diese bekannte sich zum Strophenlied, der Gleichberechtigung von Dichtung und Musik, die genaueste Deklamation des Textes und zur Volkstümlichkeit.1 Johann Friedrich Reichardt (1752 - 1814) war Kapellmeister am königlichen Hof und Komponist vieler Kunstlieder dieser Zeit. In engem Kontakt mit Goethe (1749 - 1832) vertonte er die Lieder (zunächst Gedichte) des Schriftstellers und brachte sie auf diesem Weg (und nach Goethes Meinung) zur Vollendung. Dieser Zeit kann eine besondere 1 Noltensmeier 1996 -1- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Liedästhetik zugeordnet werden, die sich an der „Sangbarkeit“2 orientierte und im Folgenden erläutert wird. Zum Verständnis des Liedes Lieder sind zunächst nicht ausschließlich im musikalischen Sinn zu verstehen, sondern als eine Literaturgattung der Poesie. Diese Textform verlange nach der Vervollkommnung durch die Musik3 und erfülle dazu besondere Voraussetzungen4: 1. Das Lied ist inhaltlich zunächst auf eine Affekteinheit beschränkt, die auch die strophische Behandlung ermöglicht. Goethe lehnte beispielsweise die Vertonung seiner Balladen durch Schubert ab, da ihre epischen und dramatischen Handlungsstränge durch die Musik nicht angemessen wiedergegeben würden. Denn Lieder verlangten nach einer in sich geschlossenen Form. Ihr Ende bezöge sich wieder auf den Anfang (musikalisches Prinzip), während Texte ein Ende haben könnten, welches in anderer Weise fortgeführt erreicht würde. 2. Das Lied als Gedicht muss ein Versmetrum aufweisen, welches singbar (oder sangbar) ist. Die Vertonung des Textes stelle dann mehr oder weniger die Betonung der Verse dar.5 Die Gleichberechtigung von Dichtung und Musik ist in Reichardts Kompositionen so zu verstehen, dass der Begriff Musik sich vor allem auf die Singstimme bezieht. Die Klavierbegleitung, welche nun immer häufiger vorkam, hatte bislang noch keine große Bedeutung. Dies zeigt sich im Notensatz darin, dass Klavier und Stimme nicht immer in eigenen Notensystemen stehen (z. B. Singstimme in der ersten Zeile des Klaviersystems; vgl. Reichardts „Wandrers Nachtlied“ Nr. 52 oder „Jägers Nachtlied“ Nr. 54). Die Lieder waren der Zeit entsprechend tonal gebunden und der Ausdruck ordnete sich konventionellen und traditionellen Wendungen unter. Goethe begrüßte an Reichardts Vertonungen, dass sie seine Gedichte zu Lebzeiten „ins Allgemeine“ beförderten. 2 Schwab 1965 3 vgl. Salmen 1960 4 Schwab 1965 5 vgl. Schwab 1965 Die Beförderung -2- ins Allgemeine kann hier mit Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Bekanntmachung übersetzt oder so gedeutet werden wie es das Vorwort zu den Reichardt-Liedern6 macht: Dadurch dass Reichardt auch Chorsätze von Liedern anfertige, werde die Aussagekraft von Liedern auf eine Gemeinschaft (ins Allgemeine) übertragen und durch ein Kollektiv gesungen, so dass nicht nur ein einzelnes lyrisches Ich diese Gedanken für sich in Anspruch nähme. Notenbeispiele zu Reichardt • Reichardt: Die schöne Nacht • Reichardt: Wandrers Nachtlied • Reichardt: Wandrers Nachtlied (Neue Komposition für vier Singstimmen) • Reichardt: Jägers Nachtlied III. Das deutsche Kunstlied Schuberts Die Schubertiaden Schubert (1797 - 1828) wird als der bedeutendste Komponist des deutschen (romantischen) Kunstlieds gesehen. Er vertonte Gedichte von Goethe, Schiller und Müller sowie seinen Freunden, die er in der Wiener Hofkapelle kennen gelernt hatte. Mit ihnen veranstaltete er regelmäßige Zusammenkünfte: die Schubertiaden, bei denen sie seine Lieder spielten und sangen. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass die Klavierbegleitung mittlerweile die volle Gleichberechtigung gegenüber der Singstimme erlangt hatte. Die Liedvertonungen Schuberts Schubert steigerte mit Mitteln der Musik den Ausdrucks- und Stimmungsgehalt der lyrischen Textvorlagen. Als Mittel werden Vor-, Zwischen- oder Nachspiele des Klaviers und tonpoetische sowie -symbolische Verdeutlichungen und Weiterführungen im Instrumentalen genannt.7 Einzelnen Motiven oder sogar Tönen kommt eine Bedeutung hinzu, die zu dem Verständnis des Kunstliedes beitragen. So zum Beispiel in 6 Salmen 1960 7 Noltensmeier (1996) -3- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler seinem Lied „Gefrorne Tränen“. Das direkt im ersten Takt hervorstechende und immer weitergeführte a’ drückt die Erstarrung bzw. das Einfrieren der Tränen aus. Das Seufzermotiv in Takt 21 wird ebenfalls wiederholt und drückt die Trauer tonmalerisch aus. Diese schlägt sich auch in der Wahl der Harmonien (gerade an dieser Stelle) nieder. In einer Interpretation Schuberts „Lindenbaums“ weist Wolfgang Hubschmidt darauf hin, dass einzelne Details der Szenerie um den Lindenbaum im Notentext wiederzufinden seien. So stehen die ersten beiden Takte des Kunstliedes bereits für den Lindenbaum. Die Sechzehnteltriolen stellen beispielsweise das Rauschen seiner Zweige im Wind dar, während im zweiten Takt der Vorschlag (cis’ - h’) ein winziges Detail (einen Zweig) darstelle, welches im gesamten Lied wiederzufinden ist. Teilweise sei dieses Detail auch dahingehend verarbeitet, dass die einzelnen Töne z. B. im Bass zu finden sind (Takt 51 und 53) und das Detail dadurch immer präsent ist. Die oben aufgeführten Beispiele verdeutlichen, dass Schuberts Lieder eine kunstvolle und durchdachte Ausgestaltung der meist romantischen Textvorlagen sind. Der Klavierpart steigert den Gehalt und die Aussage der Werke, so dass Text/Melodie und Begleitung untrennbar scheinen. Diese Tatsache ist bei der Interpretation stets zu berücksichtigen. Die gleiche Genauigkeit ist in seinen Chorwerken (vgl. Gesang der Geister über den Wassern) zu erkennen. Harmonien und Stimmführungen sind immer als Ausdeutung der Textvorlage zu verstehen. Notenbeispiele zu Schubert • Schubert: Gefrorne Tränen • Schubert: Erstarrung • Schubert: Der Lindenbaum • Schubert: Irrlicht • Schubert: Gesang der Geister über den Wassern Friedrich Silcher: Ein Verbrechen an Kunstliedern? Die provokante Überschrift dieses Abschnitts ist gerechtfertigt, bedenkt man, dass die Aussage einiger Kunstlieder durch Friedrich Silcher (1789 - 1860) unauffällig verändert wurde. Denkt man an die Bearbeitung von Schuberts „Lindenbaum“, fällt die Veränderung der inhaltlichen Aussage schnell auf. Hörer der Chorfassung „Am -4- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Brunnen vor dem Tore“ (der Titel lautet nicht mehr „Der Lindenbaum“) haben ein harmonisches, ungetrübtes Verständnis des Liedes. Die Unterstellung von Selbstmordgedanken des lyrischen Ichs liegt in dieser Fassung beispielsweise durch den Wegfall der Mollstrophe fern, kann in Schuberts Version aufgrund der Harmonien und variierenden Strophen jedoch nachvollzogen werden. Allerdings machte Silcher die Melodien und Texte durch seine Chorfassungen populär. Er änderte variierende Strophen- oder durchkomponierte Lieder zu einfachen Strophenliedern, die in den neu aufkommenden Laienchorbewegungen gesungen werden konnten. Somit holte er die ausschließlich im Konzertsaal aufgeführten Lieder zurück ins Volk. Die künstlerische Aussage, Deutung und Aufführung kann darunter gelitten haben, doch dem Bekanntheitsgrad war es zuträglich und bot dem Interessierten einen neuen Zugang zur weiteren Beschäftigung mit dem Lied und Kunstliedern. IV. Von Schumann bis Brahms Schumann und Bartholdy Robert Schumann (1810 - 1856) verlagerte in seinen Liedern die Vertonung auf einzelne Details des Textes im Unterschied zu Schubert, welcher die Musik weitgehend entlang der Textvorlage gestaltete. Die Klavierbegleitung verselbständigte sich dabei hin zu einem poetischen Klavierstück. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 - 1847) schrieb sogar „Lieder ohne Worte“, in denen das Klavier alle poetischen Aussagen macht. Schumann bevorzugte romantische Lyriker wie Heine und Eichendorff.8 Brahms und das Volkslied Johannes Brahms (1833 - 1897) stand in engem Kontakt mit Robert Schumann und dessen Frau Clara und verwaltete später seinen Nachlass. Jedoch verfolgte er eine andere Art von Liedästhetik und bezog sich wieder auf die Volkstümlichkeit des Liedes. Er schrieb weitgehend strophisch und ordnete die Klavierbegleitung dem Gesang wieder unter. Dieses ist am Beispiel der „Mondnacht“ nachvollziehbar. Die Klavierbegleitung ist tonal einfach gehalten und unterstützt lediglich den Gesang. Die ersten zwei 8 Noltensmeier (1996) -5- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Strophen sind identisch (Wiederholungszeichen), während die dritte eine variierende Strophe ist. Notenbeispiele zu Brahms • Brahms: Mondnacht • Brahms: Es schauen die Blumen V. Mörike-Vertonungen von Hugo Wolf Das Kunstlied auf zwei Ebenen Hugo Wolf (1860 - 1903) komponierte Kunstlieder, die harmonisch, melodisch und gestalterisch auch in letzter Konsequenz den literarischen Vorlagen gerecht werden sollten. Wie bei Schubert müssen seine Lieder genau auf die einzelnen Bedeutungsträger (einzelne Töne, Motive usw.) untersucht werden. Darüber hinaus gewinnt die Klavierbegleitung eine immer größere Bedeutung. Sie ist Ausdruck der Situations- und Stimmungscharakteristik geworden. So wird in seinem Lied „Bei einer Trauung“ (eine Mörike-Vertonung wie die meisten seiner Lieder) die gesamte Stimmung durch die Begleitung erzeugt, während die Singstimme vorwiegend erzählenden Charakter hat (Deklamation). Gleichzeitig ist es ihm aber auch möglich, eine gewisse Ironie durch die sich unterscheidenden Aussagen in Klavier und Singstimme auszudrücken. Während in den ersten neun Takten der Text auch für eine einvernehmliche, glückliche Hochzeit stehen könnte, macht das Klavier bereits deutlich, dass dem nicht so ist. In seinem Lied „Abschied“ werden ebenfalls zwei erzählende Ebenen deutlich. Auf der Ebene des Textes wird die Handlung erzählt, wobei die Stimmführung in ihrer Gestaltung der natürlichen Aussprache bzw. Deklamation angepasst ist. Auf der Ebene der Klavierbegleitung werden die Situation beschrieben und einzelne Details hervorgehoben: In Takt 5 ff. wird beispielsweise das Anklopfen tonmalerisch dargestellt, während im letzten Teil („Sehr mässiges Walzertempo“) der Klavierbegleitung eine ironisierende Aufgabe zukommt und sie Pate für eine bestimmte Gesellschaftsschicht steht, die in der Singstimme kommentiert wird. Somit erzeugt Hugo Wolf durch seine Musik eine „Bühne“, auf der ein Inhalt vorgetragen werden kann. -6- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Aber auch Prinzipien, welche bereits Schubert verwendet hatte, sind in Hugo Wolfs Liedern aufzufinden. So kündigt sich in „Er ist’s“ das Kommen des Frühlings durch das allmähliche Erreichen des Grundtones in der Singstimme an. Die Versenden halten jeweils auf eis (Takt 11), fis (Takt 23) und schließlich g (Takt 34), bis der Frühling tatsächlich angekommen ist. Zudem werden einzelne Textelemente tonmalerisch dargestellt. In Takt 23 z. B. die Harfe durch das Arpeggio in der linken Hand. Der belebte Frühling ist ferner in dem gesamten Lied durch die (frischen) Sechszehnteltriolenbewegungen dargestellt. Anders als bei Schubert erreicht die Klavierstimme durch ihr Tragen der Stimmung und Situation eine Autonomie, die es verlangt, dass im letzten Teil das Motiv des Frühlings im Klaviernachspiel zu Ende geführt wird. Festzuhalten bleibt, dass sich Hugo Wolf mit der Klavierbegleitung und der Singstimme zwei Aussageebenen bedient, die völlig gleichberechtigt und zusammengehörig sind. Zwar könnte die Begleitung einiger Lieder alleine gespielt werden (z. B. „Abschied“), doch behält sie ihre Deutung nur im kompletten Zusammenhang des Liedes. Zudem bewegt er sich dem Ende des 19. Jahrhunderts entsprechend harmonisch am Rande der Tonalität. Notenbeispiele zu Wolf • Wolf: Er ist’s • Wolf: Nimmersatte Liebe • Wolf: Fußreise • Wolf: Verborgenheit • Wolf: Der Feuerreiter • Wolf: Storchenbotschaft • Wolf: Jägerlied VI. Das Orchesterlied und Mahler Stärkerer Ausdruck durch die Orchesterbegleitung Gustav Mahler (1860 - 1911) setzt die Erzeugung der Stimmung durch die musikalische Begleitung in seinen Orchesterliedern fort. Um eine noch größere Klang- und -7- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Aussagevielfalt erreichen zu können, wurde nun das Orchester zur Begleitung eingesetzt. Das Orchesterlied ist allerdings nicht mit der Konzertarie zu verwechseln, welche andere Wurzeln hat. Die kunstvolle Ausdeutung lyrischer Texte bleibt der Liedgattung vorbehalten. In seinem Lied „Des Knaben Wunderhorn“ erzeugt Mahler eine Stimmung wie auf einem Schlachtfeld des Militärs, durch Trompetensignale und hämmernden Akkorden. Einzelne Phrasen ähneln dem Militärmarsch (z. B. Takt 12). Jedoch kommt eine neue Technik hinzu. Mahler bedient sich einer Art „Schnitttechnik“ oder kurzen „Einblendungen“, wie sie im Film bekannt sind. Nach einschlägigen Textstellen spielt das Orchester meist nur vier Takte lang ein Zwischenspiel, welches die grundlegende Stimmung unterbricht und den Zuhörer an das Schlachtfeld und Kämpfe erinnert. VII. Fachdidaktische Aufbereitung für die Schule Analyse und Interpretation von Kunstliedern Die Analyse von Kunstliedern findet auf den Ebenen des Textes und der Musik (also der Vertonung des Textes) statt. Während für den Text Analysemethoden aus dem Deutschunterricht als bekannt vorausgesetzt werden, müssen die Methoden aus dem Fach Musik vor der Analyse von Kunstliedern gelehrt werden. Hierbei muss auf Taktart, Melodieverlauf, Harmonisierung usw. eingegangen werden. Weitaus entscheidender ist die Interpretation oder Auslegung von Kunstliedern, bei der das Wort-Ton-Verhältnis dargestellt werden muss. Deutsch- und Musikunterricht werden hier miteinander verknüpft. Bedeutungsträger wie einzelne Noten, Motive, Taktarten, Akkorde usw. müssen herausgefunden und in ein Verhältnis zur Textaussage gestellt werden. Hierbei können sich musikalische und textliche Aussage ergänzen oder kontrastieren. Einzelne Textaussagen können abbildlich in der Musik (z. B. Vogelgezwitscher durch einen Triller oder das Martinshorn durch die Quarte) oder sinnbildlich (z. B. das Herunterfallen einer Treppe durch eine Abwärtsbewegung in der Melodie oder die Tiefen des Meeres durch tiefe Töne) dargestellt werden. Sind abbildliche oder sinnbildliche Aussagen widersprüchlich eingesetzt (z. B. tiefe Töne stehen für die Alpenlandschaft), so muss auch dieses Verhältnis interpretiert werden. Für die praktische Umsetzung einer Analyse und Interpretation kann man das umseitige Schema verwenden, welches Schülerinnen und Schülern empfohlen werden kann: -8- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Schema zur Analyse und Interpretation eines Kunstlieds 1. Erstes Hören des Liedes und erstes Verständnis des Textes 2. Informationen über den Komponisten, Dichter und Adressaten a. b. c. Jeweils gesellschaftliche Herkunft und Stellung, Auffassungen von Musik und/oder Literatur, Weltanschauung, geistige Einstellung (z. B. zur Aufklärung), Beruf, familiäre Verhältnisse, Alter, Konfession usw. klären. An wen ist das Gedicht gerichtet gewesen? An wen ist nun das Kunstlied gerichtet? (Adressat klären, gerade bei politischen Liedern) Wer soll das Lied aufführen? 3. Analyse des Textes (Fakten) a. b. c. d. e. f. g. h. Aus welcher Zeit stammt der Text? Wie sind die Strophen aufgebaut? Welche äußeren, formalen Auffälligkeiten weist das Original auf? Welches Versmaß wird verwendet? Welche Stilmittel kommen vor (Alliteration, Klimax usw.)? Welche Schlüsselwörter gibt es? Hauptaussagen des Textes und Intentionen usw. 4. Interpretation des Textes (belegte eigene Meinung) a. b. c. d. Einordnung des Textes in den historischen Zusammenhang Was wollen einzelne Elemente des Textes aussagen? Was intendiert der Autor? Welche Motive hatte er, das Gedicht zu schreiben? Welche Stimmung erzeugt der Text? Beurteilung und Bewertung des Textes in Hinblick auf seine Aussagekraft 5. Analyse der musikalischen Umsetzung a. b. c. d. e. f. g. h. Welche Taktart liegt vor? Welche Form hat das vorliegende Stück/Lied (Strophen, Perioden, Wiederholungen etc.)? In welcher Tonart ist es geschrieben? Welche harmonischen Auffälligkeiten kommen vor? Wie verläuft die Melodie (linear, wellenförmig etc.)? Welche Motive kommen vor (auch Wiederholungen, Sequenzen etc.)? Wie ist die Instrumentalisierung gewählt? Ist es eine Bearbeitung? usw. 6. Arbeitshypothese (kurze Interpretation der Musik) a. Lassen sich schon Stimmungen oder besondere Wendungen in der musikalischen Analyse finden? 7. Interpretation des Wort-Ton-Verhältnisses a. b. c. d. e. Welches sind die Bedeutungsträger (Noten, Motive etc.)? Wo sind sinnbildliche, abbildliche Verarbeitungen des Textes? Was sagt die Harmonisierung in Hinblick auf den Text aus? Wie verhalten sich die Ebenen von Begleitung und Gesang zueinander? usw. 8. Zweites Hören des Kunstliedes mit Überprüfung der bisherigen Ergebnisse 9. Beurteilung und Bewertung a. b. c. d. Wie ist das Kunstlied in die Musikgeschichte einzuordnen? Hat sich die Aussage des Kunstlieds gegenüber der Textvorlage verändert? Kann das Lied immer noch stilistisch klar eingeordnet werden? usw. 10. Abschließendes Hören des Kunstliedes und Überprüfung des Endergebnisses -9- Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Gründe für die Behandlung im Unterricht und Vorschlag zur Umsetzung Kunstlieder bieten die Möglichkeit des fächerübergreifenden Unterrichts in den Fächern Deutsch und Musik. Zudem bieten sie die Chance, in das Leben einzelner Komponisten der unterschiedlichen musikalischen Ausrichtungen hineinzublicken, ihre Ansichten nachzuvollziehen, sich in ihre Zeit hineinzuversetzen und dadurch die eigene Empathiefähigkeit auch für Menschen im eigenen Umfeld auszubauen. Über die Analyse und Interpretation des Kunstliedes hinaus kann auch an der Geschichte des Liedes ein Teil der Musikgeschichte erarbeitet werden. So kann die Entwicklung hin zum Kunstlied (z. B. angefangen beim Minnegesang) zusammen mit dem Fach Geschichte verfolgt werden. Zudem steigert die Auseinandersetzung mit Liedern auch das Verständnis heutiger Popsongs. Schülerinnen und Schüler werden in die Lage versetzt über Inhalte der Musik nachzudenken und Bezüge zwischen der musikalischen Umsetzung und der Aussage aufzuzeigen. Man könnte beispielsweise im Rahmen eines Projektes oder in Gruppen das Kunstlied in seinen verschiedenen Ausprägungen - angefangen bei der Berliner Liederschule bis hin zum Orchesterlied Mahlers - erarbeiten. Die Gruppen beschaffen sich Material zu den Komponisten und ihren Einstellungen gegenüber dem Lied. Eine Analyse eines Kunstliedes „ihres“ Komponisten kann dann jeweils der gesamten Klasse vorgestellt werden. Auf diese Weise kann die Geschichte des Kunstliedes recht schnell erarbeitet werden. Anschließende Unterrichtseinheiten können zum Beispiel auf die Geschichte vor oder nach dieser Zeit eingehen. Ursprünge des Liedes können forschend erlernt oder die Bedeutung des Liedes im Allgemeinen und einzelner Lieder in unserer Zeit hinterfragt werden. Auch Übertragungen alter Ideen und Gedichte in unsere heutige Zeit (vgl. Seminarstunde von Julian Osthues zum Zitat von Beethovens 9. Sinfonie durch die Band Bright Eyes) können behandelt werden. Falls das Interesse für einen bestimmten Musiker groß ist, könnte auch ein eigener Film über sein Leben gedreht werden. Hier knüpft man direkt an die Medienerziehung an und behandelt gleichzeitig ein Thema der Musik. Die Entwicklung des Kunstliedes fand durch viele Einflüsse statt, deren Erforschung durch die Schülerinnen und Schüler sich lohnt. Nur durch das Wissen über Mittel und Geschichte der Musik können auch heutige Aufführungspraxis vernünftig bewertet werden. - 10 - (Kunst-) Lieder und deren Musik und Poesie - Von Reichardt bis Mahler Literaturverzeichnis Zur Berliner Schule und Reichardt • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Berliner Schule, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 1, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar • Salmen, Walter (1960): Vorwort in der Veröffentlichung der Reichardt-Lieder, welche im Seminar ausgeteilt wurde, Quellenangaben blieben unbekannt • Schwab, Heinrich W. (1965): Sangbarkeit, Popularität und Kunstlied. Studien zu Lied und Liedästhetik der mittleren Goethezeit 1770 - 1814, in: [Hrsg. fehlt]: Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 3, Gustav Bosse Verlag: Regensburg 1965 Die Schubertiaden • [Autor nicht bekannt]: Modell einer Textvertonung: Goethe/Schubert „Wanderers Nachtlied“ • Hubschmidt, Wolfgang [Jahr fehlt]: Lied 5: „Der Lindenbaum“ - oder: Wie verdrängt man eine böse Erinnerung, in: Hubschmidt, Wolfgang: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehen, [keine weiteren Angaben] • Hubschmidt, Wolfgang [Jahr fehlt]: Lied 9: „Irrlicht“ - Eine verkehrte Welt, in: Hubschmidt, Wolfgang: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehen, [keine weiteren Angaben] • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Lied, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 2, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar Von Schumann bis Brahms • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Lied, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 2, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar Mörike-Vertonungen von Hugo Wolf • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Lied, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 2, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar • zwei weitere ausgeteilte Texte ohne Quellenangabe Das Orchesterlied und Mahler • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Lied, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 2, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar • Noltensmeier, Ralf (Hrsg., 1996): Orchestergesang, in: Das neue Lexikon der Musik, Bd. 2, Metzler Musik: Stuttgart, Weimar - 11 -