Physikalisch-chemisches Praktikum für Pharmazeuten C6: Leitfähigkeit von Elektrolyten C. Nachbereitungsteil (NACH der Versuchsdurchführung lesen!) 4. Physikalische Grundlagen 4.1 Starke und schwache Elektrolyte Unter Elektrolyten versteht man solche chemischen Stoffe, die unter bestimmten Bedingungen in Ionen aufspalten, z.B. in wässriger Lösung (elektrolytische Dissoziation). Man unterscheidet starke und schwache Elektrolyte: Die starken Elektrolyte sind in wässriger Lösung bei hinreichender Verdünnung praktisch vollkommen dissoziiert. Zu ihnen gehören die starken Säuren und ihre Salze, wie z.B. HCl, H2SO4, NaCl, KCl, CaCl2, CaSO4, CuSO4, aber auch starke Basen, wie z.B. NaOH. Die schwachen Elektrolyte liegen in wässriger Lösung weitgehend in Form undissoziierter Moleküle vor. Das in diesem Versuch verwendete KCl ist ein starker Elektrolyt und liegt in wässriger Lösung in Form von K+- und Cl−-Ionen vor (auch ohne angelegtes elektrisches Feld). 4.2 Ohm’sches Gesetz und spezifische Leitfähigkeit Der elektrische Widerstand ist durch das Verhältnis von angelegter Spannung U und fließendem Strom I definiert. Das Ohm’sche Gesetz geht darüber hinaus und stellt die Konstanz dieses Verhältnisses unabhängig von Strom bzw. Spannung (bei konstanter Temperatur) fest: F (7) U = const. =: R I bei konstanter Temperatur T Der Widerstand R eines homogenen Leiters der Länge l und des Querschnittes A lässt sich durch die Gleichung F (8) R=ρ⋅ l A (ρ = spezifischer Widerstand des Leitermaterials) angeben. Den Reziprokwert des spezifischen Widerstandes nennt man spezifische Leitfähigkeit, die man bei Elektrolyten häufig mit dem griechischen Buchstaben κ („kappa“) bezeichnet: κ = 1 / ρ. Bei der elektrischen Leitung ist der Ladungstransport durch Elektronen (in Metallen und Halbleitern) von dem mit Materialtransport verbundenen Ladungstransport durch Ionen zu unterscheiden. In Flüssigkeiten (z.B. KCl-Lösung) liegt Ionenleitung vor, d. h. die durch den Einfluss eines elektrischen Feldes erzwungene Bewegung dieser Ionen stellt die Ursache des elektrischen Stromes dar. Die spezifische Leitfähigkeit einer Elektrolytlösung hängt vom Dissoziationsgrad ab, also davon, welcher Anteil der gelösten Moleküle in Ionen zerfallen ist. Im Falle unendlicher Verdünnung sind sämtliche gelösten Moleküle dissoziiert. Die spezifische Leitfähigkeit einer solchen Elektrolyt-Lösung ist gegeben durch: F (9) κ = e ⋅ (n+ ⋅ w+ ⋅ µ + + n− ⋅ w− ⋅ µ − ) n± : w± : µ± : Zahl der positiven bzw. negativen Ionen pro Volumeneinheit. Elektrochemische Wertigkeit der Ionen (sie gibt die Zahl der positiven oder negativen Elementarladungen an, die von den Ionen, in die ein Molekül des Elektrolyten zerfällt, mitgeführt werden). Ionenbeweglichkeit der positiv bzw. negativ geladenen Ionen (siehe folgender Abschnitt!) 14 Physikalisch-chemisches Praktikum für Pharmazeuten C6: Leitfähigkeit von Elektrolyten 4.3 Driftgeschwindigkeit und Ionenbeweglichkeit in einem elektrischen Feld Durch das Anlegen einer Spannung U an zwei Elektroden mit dem Abstand d, die in einen Elektrolyten eintauchen, entsteht zwischen diesen Elektroden ein elektrisches Feld E der Größe F (10) U d E= Durch das elektrische Feld wirkt auf Ionen mit der Wertigkeit wi eine Kraft FFeld, die proportional zu deren Ladung Q = wi · e ist (e: Elementarladung): F (11) FFeld = wi ⋅ e ⋅ E Deshalb werden die Ionen unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes entsprechend ihres Ladungsvorzeichens entweder zur Anode oder zur Kathode hin beschleunigt. Diesen Vorgang nennt man Elektrolyse. Die Bewegung der Ionen unterliegt jedoch in einer viskosen Flüssigkeit einer Reibungskraft FReib, die gemäß dem Stoke’schen Gesetz proportional zur Geschwindigkeit vi der Ionen ist. Diese StokesReibung beträgt: F (12) FReib = 6π ⋅η ⋅ ri ⋅ vi wobei ri der Radius der Ionen und η die Viskosität des Lösungsmittels ist (hier η = 1,009 · 10−3 Ns/m² für Wasser bei Raumtemperatur). Wenn die beschleunigende Kraft FFeld gleich der Stokes’schen Reibungskraft FReib ist, stellt sich eine Gleichgewichtsdriftgeschwindigkeit vi,Drift der Ionen ein: F (13) vi ,Drift = wi ⋅ e ⋅ E 6π ⋅ η ⋅ ri Die durch das elektrische Feld gerichtete Bewegung der Ionen ist überlagert von einer statistischen Brown’schen Bewegung, die durch die kinetische Energie der Ionen aufgrund der Temperatur der Elektrolyt-Lösung zustande kommt. Die Ionen führen eine Art Wimmelbewegung aus, bei der sie mit Molekülen des Lösungsmittels sowie mit anderen Ionen immer wieder zusammenstoßen und dadurch von ihrem Kurs in Richtung der Elektrode abgelenkt werden. Die reale Geschwindigkeit der einzelnen Ionen ist deshalb deutlich größer als die durch die Driftbewegung in einem elektrischen Feld beobachtete. Weil die Driftgeschwindigkeit proportional zur elektrischen Feldstärke ist, ist es sinnvoll, eine Ionenbeweglichkeit µ i einzuführen: F (14) µi = vi ,Drift E Die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Ionen ist natürlich desto größer, je höher deren Konzentration c in dem Elektrolyten ist. Daher nimmt die Beweglichkeit mit wachsender Konzentration ab. Aus diesem Grund gibt man die Ionenbeweglichkeit in der Regel bei unendlicher Verdünnung (c = 0) an, die in der Literatur häufig mit µ 0 bezeichnet wird. Dazu misst man die Beweglichkeit bei verschiedenen Konzentrationen und erhält die Beweglichkeit µ 0 , indem man durch die Messpunkte eine Gerade legt und diese nach c = 0 hin extrapoliert (vgl. Abb. 4). Aus der Ionenbeweglichkeit lässt sich schließlich der Ionenradius ri abschätzen: F (15) ri = wi ⋅ e 6π ⋅ η ⋅ µ 0 15 Physikalisch-chemisches Praktikum für Pharmazeuten C6: Leitfähigkeit von Elektrolyten 4.4 Molare Leitfähigkeit und Kohlrausch-Gesetz Zur Leitfähigkeit einer Lösung tragen sowohl die Kationen als auch die Anionen bei. Sie hängt von der Anzahl der vorhandenen Ionen ab, und man führt deshalb die molare Leitfähigkeit Λm über die Beziehung F (16) Λm = κ c ein, wobei c die Konzentration des gelösten Elektrolyten ist. Manchmal wird auch die ÄquivalentLeitfähigkeit verwendet, die berücksichtigt, dass manche Ionen mehrfach geladen sind und bei ihrer Wanderung entsprechend mehr Ladung transportieren. In einer K+Cl−-Lösung beispielsweise transportiert jedes Ion gerade eine Elementarladung, weshalb die molare und die Äquivalent-Leitfähigkeit übereinstimmen. In einer Cu2+(SO4)2−-Lösung hingegen werden mit jedem Ion zwei Elementarladungen transportiert, und folglich ist die Äquivalent-Leitfähigkeit nur halb so groß wie die molare Leitfähigkeit. Die molare Leitfähigkeit Λm hängt im Allgemeinen von der Konzentration der Elektrolyt-Lösung ab. Bei den starken Elektrolyten nimmt die molare Leitfähigkeit langsam ab, wenn man die Konzentration erhöht. Friedrich Kohlrausch hat in vielen Messungen empirisch gezeigt, dass die molaren Leitfähigkeiten starker Elektrolyte bei kleinen Konzentrationen durch die Beziehung F (17) Λ m = Λ0m − K c gegeben ist. Λ0m ist die molare Grenzleitfähigkeit und K ein Koeffizient, der eher vom Typ des Elektrolyten (d. h. beispielsweise von der Stöchiometrie AB oder AB2 usw.) abhängt als von den Ionen, aus denen er besteht. Der Zahlenwert von Λ0m setzt sich bei allen Elektrolyten aus den Beiträgen der einzelnen Ionen zusammen. Bezeichnet man die molare Leitfähigkeit der Kationen mit Λ+m und diejenige der Anionen mit Λ−m , dann lautet das Gesetz der unabhängigen Ionenwanderung: F (18) Λ0m = n + ⋅ Λ+m + n − ⋅ Λ−m wobei n+ und n− die Anzahl der Kationen und Anionen angeben, die in einer Formeleinheit des Elektrolyten enthalten sind. (Bsp.: KCl: n+ = n− = 1, MgCl2: n+ = 1 und n− = 2 usw.) Mit Hilfe dieses Gesetzes lassen sich die molaren Grenzleitfähigkeiten zumindest für die starken Elektrolyten aus tabellierten Angaben für die einzelnen Ionensorten berechnen. Bei den schwachen Elektrolyten beobachtet man eine sehr starke Abnahme der molaren Leitfähigkeit als Funktion der Konzentration. Die starke Konzentrationsabhängigkeit kommt dadurch zustande, dass das Gleichgewicht AB(aq) ↔ A+(aq) + B−(aq) beim Verdünnen nach rechts verschoben wird. Die Leitfähigkeit hängt damit also von dem Dissoziationsgrad α ab, so dass man bei schwachen Elektrolyten eine um α verminderte molare Grenzleitfähigkeit Λ0m * beobachtet: F (19) Λ0m * = α ⋅ Λ0m Je stärker also die Verdünnung ist, desto mehr nähert sich Λ0m * dem Wert für vollständige Dissoziation Λ0m an. 16 Physikalisch-chemisches Praktikum für Pharmazeuten C6: Leitfähigkeit von Elektrolyten 4.5 Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit der Elektrolyte Die Temperaturabhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit von starken Elektrolyt-Lösungen folgt aus der Temperaturabhängigkeit der Viskosität des Lösungsmittels. Die Viskosität ist umgekehrt proportional zur Molekülbewegung, die einer Boltzmann’schen Temperaturabhängigkeit mit einer Aktivierungsenergie EA folgt: F (20) 1 η = 1 η0 ⋅ e − E A / k BT Nach Formel F (20) wird die Viskosität mit steigender Temperatur kleiner. Damit wird aus der Verknüpfung der Formeln F (9), F (13), F (14) und F (20) die Leitfähigkeit κ eines Elektrolyten (hier nur für eine Ionensorte betrachtet) größer: F (21) κ= n ⋅ w 2 ⋅ e 2 − E A / k BT ⋅e = κ 0 ⋅ e − E A / k BT 6π ⋅ η 0 ⋅ ri Der vergleichsweise hohe Siedepunkt des Wassers (373,15 K) und die hohe Verdampfungswärme (40,7 kJ/mol bei einem Dampfdruck von 100,325 Pa) liegen in der kräftigen Wechselwirkung der Wassermoleküle untereinander begründet. Diese wiederum ist an die Eigenschaft des Wassers geknüpft, intermolekulare Wasserstoffbrücken ausbilden zu können. Jede Brücke trägt dabei mit einer Energie EA = 12 kJ/mol zur Bindungsenergie des Wassers bei, wobei EA hier die Rolle der Aktivierungsenergie in Formel F (20) spielt. Bei den schwachen Elektrolyten ist die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit weitaus größer, als es aus der Veränderung der Viskosität folgen würde. Das liegt daran, dass der Dissoziationsgrad des gelösten Stoffes selbst stark von der Temperatur abhängt. Ist c0 die Stoffmengenkonzentration bei der Einwaage, dann bedeutet der Dissoziationsgrad α, dass die Konzentration der Ionen c+ = c− = α · c0 ist. Die Konzentration des restlichen, ungelösten Stoffes ist dann c∗ = (1 − α) · c0. Es gilt nach dem Massenwirkungsgesetz die Beziehung: F (22) c+ ⋅ c− α2 = ⋅ c0 ~ e − ED / k BT * c 1−α wobei ED die Energie ist, die benötigt wird, um ein Molekül in seine Ionen zu spalten. Die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit eines schwachen Elektrolyten folgt also aus einer Überlagerung aus thermisch-aktivierter Dissoziation und Viskositätsänderung des Lösungsmittels. 17 Physikalisch-chemisches Praktikum für Pharmazeuten C6: Leitfähigkeit von Elektrolyten 5. Aufgaben Versuchen Sie, die folgenden Aufgaben zu beantworten, und diskutieren Sie Ihre Lösungsvorschläge mit Ihrem Assistenten im Kolloquium. 5.1 Welche der folgenden Aussagen trifft nicht zu? Beim Ladungstransport in einem wässrigen Elektrolyten… 5.2 (A) …wandern die negativ geladenen Ionen zur Anode. (B) …wandern die positiv geladenen Ionen zur Kathode. (C) …nimmt die Leitfähigkeit der Flüssigkeit mit wachsender Temperatur zu. (D) …fließt im Elektrolyten die gleiche Stromstärke wie im äußeren Stromkreis. (E) …bewegen sich die Ionen in der Flüssigkeit annähernd mit Lichtgeschwindigkeit. Der Dissoziierungsgrad von schwachen Elektrolyten ist… (A) …unabhängig vom Lösungsmittel. (B) …temperaturunabhängig. (C) …wenig abhängig von der Konzentration. (D) …im Grenzfall unendlicher Verdünnung gleich Null. (E) …im Grenzfall unendlicher Verdünnung nahe Eins. − 5.3 In dem häufig auftretenden Term e ratur) die Dimension (A) einer Energie (B) der Temperatur (C) eines Druckes (D) eines Volumens (E) kB·T ist dimensionslos ∆E k BT hat kB·T (kB: Boltzmann-Konstante, T: absolute Tempe- 18